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[Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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den die Millionen Sonnen am Firmament eine Helle verbreiten, die uns, in einem
Licht-Meere schwebend, hindern müßte die Sterne zu sehen. Der Ideenkreis würde
sich in einem eingeschränkten Raume bewegen, während er jetzt die entfernte-
sten Weiten umfaßt. - Auch auf die Entwickelung religiöser Gefühle müßte
dieser Zustand einwirkend gewesen sein, da unstreitig nichts mehr geeignet ist,
eine religiöse Begeisterung hervorzurufen, als die Betrachtung des Gesetzmä-
ßigen in der Bewegung der Himmelskörper. - Alle tellurische Messungen
würden sich nur höchst unvollkommen und unbequem ausführen lassen, da ein
großer Theil derselben sich auf die Vergleichung entsprechender Messungen am
Himmel gründet. Es würden uns noch die Pendelversuche übrig bleiben, um
die Gestalt der Erde zu bestimmen; aber wie ungewiß, ob man ohne vorher-
gegangene allgemeinere Kenntniß, auf diese Versuche verfallen wäre. Die
Schiffarth würde ihrer sichersten Stütze, der Sternbeobachtung beraubt seyn, und
die höhere Mathematik, in so fern sie auf die Berechnung der Bahnen jener ent-
fernten Weltkörper angewendet wird, würde ganz fehlen. Wir sehen, daß die
Kenntniß der Gestirne nicht allein vom größten Einfluß auf die Gefühle, son-
dern auch auf die Kultur des Menschengeschlechtes ist.

Eine Annäherung an den Zustand in dem die Existenz der Gestirne uns ver-
borgen bliebe, finden wir temporair auf der Erde: und zwar nicht etwa unter
den Polen, sondern in dem schönen Tropenklima von Peru, wo ein nebelartiger
Dunst, (la garnna) den Himmel Monate lang so verhüllt, daß man die Sonne nur
als eine rothe Scheibe aufgehen sieht, (wie in dem denkwürdigen Jahre 1783, als ein
dichter Heerrauch uns so lange den Anblick des Himmels entzog) und die Stelle des

Mondes

den die Millionen Sonnen am Firmament eine Helle verbreiten, die uns, in einem
Licht-Meere schwebend, hindern müßte die Sterne zu sehen. Der Ideenkreis würde
sich in einem eingeschränkten Raume bewegen, während er jetzt die entfernte-
sten Weiten umfaßt. – Auch auf die Entwickelung religiöser Gefühle müßte
dieser Zustand einwirkend gewesen sein, da unstreitig nichts mehr geeignet ist,
eine religiöse Begeisterung hervorzurufen, als die Betrachtung des Gesetzmä-
ßigen in der Bewegung der Himmelskörper. – Alle tellurische Messungen
würden sich nur höchst unvollkommen und unbequem ausführen lassen, da ein
großer Theil derselben sich auf die Vergleichung entsprechender Messungen am
Himmel gründet. Es würden uns noch die Pendelversuche übrig bleiben, um
die Gestalt der Erde zu bestimmen; aber wie ungewiß, ob man ohne vorher-
gegangene allgemeinere Kenntniß, auf diese Versuche verfallen wäre. Die
Schiffarth würde ihrer sichersten Stütze, der Sternbeobachtung beraubt seyn, und
die höhere Mathematik, in so fern sie auf die Berechnung der Bahnen jener ent-
fernten Weltkörper angewendet wird, würde ganz fehlen. Wir sehen, daß die
Kenntniß der Gestirne nicht allein vom größten Einfluß auf die Gefühle, son-
dern auch auf die Kultur des Menschengeschlechtes ist.

Eine Annäherung an den Zustand in dem die Existenz der Gestirne uns ver-
borgen bliebe, finden wir temporair auf der Erde: und zwar nicht etwa unter
den Polen, sondern in dem schönen Tropenklima von Peru, wo ein nebelartiger
Dunst, (la garña) den Himmel Monate lang so verhüllt, daß man die Sonne nur
als eine rothe Scheibe aufgehen sieht, (wie in dem denkwürdigen Jahre 1783, als ein
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[69v/0142] den die Millionen Sonnen am Firmament eine Helle verbreiten, die uns, in einem LichtMeere schwebend, hindern müßte die Sterne zu sehen. Der Ideenkreis würde sich in einem eingeschränkten Raume bewegen, während er jetzt die entfernte- sten Weiten umfaßt. – Auch auf die Entwickelung religiöser Gefühle müßte dieser Zustand einwirkend gewesen sein, da unstreitig nichts mehr geeignet ist, eine religiöse Begeisterung hervorzurufen, als die Betrachtung des Gesetzmä- ßigen in der Bewegung der Himmelskörper. – Alle tellurische Messungen würden sich nur höchst unvollkommen und unbequem ausführen lassen, da ein großer Theil derselben sich auf die Vergleichung entsprechender Messungen am Himmel gründet. Es würden uns noch die Pendelversuche übrig bleiben, um die Gestalt der Erde zu bestimmen; aber wie ungewiß, ob man ohne vorher- gegangene allgemeinere Kenntniß, auf diese Versuche verfallen wäre. Die Schiffarth würde ihrer sichersten Stütze, der Sternbeobachtung beraubt seyn, und die höhere Mathematik, in so fern sie auf die Berechnung der Bahnen jener ent- fernten Weltkörper angewendet wird, würde ganz fehlen. Wir sehen, daß die Kenntniß der Gestirne nicht allein vom größten Einfluß auf die Gefühle, son- dern auch auf die Kultur des Menschengeschlechtes ist. Eine Annäherung an den Zustand in dem die Existenz der Gestirne uns ver- borgen bliebe, finden wir temporair auf der Erde: und zwar nicht etwa unter den Polen, sondern in dem schönen Tropenklima von Peru, wo ein nebelartiger Dunst, (la garña) den Himmel Monate lang so verhüllt, daß man die Sonne nur als eine rothe Scheibe aufgehen sieht, (wie in dem denkwürdigen Jahre 1783, als ein dichter Heerrauch uns so lange den Anblick des Himmels entzog) und die Stelle des Mondes

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellen der Digitalisierungsvorlage; Bilddigitalisierung

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Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription in Hamel, Jürgen u. Klaus Harro Tiemann (Hg.) (1993): Alexander von Humboldt: Über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie. Frankfurt a. M.: Insel. anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

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Zitationshilfe: [Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 69v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827/142>, abgerufen am 01.05.2024.