Neue Rheinische Zeitung. Nr. 1. Köln, 1. Juni 1848.Französische Republik. 7Paris, 29. Mai. Noch immer laufen die widersprechendsten Gerüchte um über das plötzliche Verschwinden des bisherigen Direktors der Nationalwerkstätten, Emile Thomas, der von der Regierung verhaftet und unter Begleitung von Polizeibeamten nach Bordeaux gebracht wurde. Der Minister der öffentlichen Arbeiten, Trelat, hat eine Proklamation erlassen, worin er von einer vorzunehmenden "Reorganisation" der Nationalwerkstätten spricht. Er erklärt, viele Leute seien eingeschrieben worden, die sonst noch eigene Ressourcen hätten; andere seien mehrmals eingeschrieben und erhielten mehrfaches Salair, und die Folge davon sei, daß die Regierung sich jetzt gezwungen sehe, die Listen neu anfertigen zu lassen und nur wirklich brodlose hülfsbedürftige Arbeiter aufzunehmen. Der Moniteur dagegen spricht schon ganz anders. Er erzählt zuerst, daß die Aufregung unter den im Park von Monceaux angestellten Arbeitern durch die Anwesenheit Trelats beschwichtigt, daß Hr. Lalanne, der neue Direktor, installirt sei, und fährt dann in folgenden Ausdrücken fort : "Die Regierung hegt die aufrichtigsten und unbestreitbarsten Sympathieen für die Arbeiter; diese selbst können daran nicht zweifeln. Wenn sie daran denkt, die Nationalwerkstätten aufzulösen, (also nicht zu reorganisiren), welche in der That nicht länger bestehen bleiben können, so weiß sie doch, welche sorgfältige Rücksicht die Leiden so vieler Arbeiter verdienen, Arbeiter, die seit langer Zeit ohne Beschäftigung, in den Staatswerkstätten einen kaum ausreichenden Lohn gefunden haben. Eine Spezialkommission, von der Nationalversammlung ernannt, beschäftigt sich in diesem Augenblick, im Verein mit der Kommission der vollziehenden Gewalt, mit der Auffindung neuer Ressourcen. Die Regierung denkt nicht daran, irgend eine Maßregel in Betreff der Nationalwerkstätten zu nehmen, so lange nicht sich ehrlichen und fleißigen Arbeitern sichre und gute Beschäftigung darbietet. Aber wenn die Unordnung unglücklicher Weise zunehmen, wenn verbrecherische Intriguen bei den Arbeitern um sich greifen und sie verirren sollten, so würde es die dringendste Pflicht der Behörde sein, von der ihr anvertrauten Gewalt Gebrauch zu machen und durch die energischsten Maßregeln die Ausführung der Bestimmungen zu sichern, welche sie treffen zu müssen geglaubt hat. Man sieht aus diesem Artikel wie viel sich in Paris seit dem 24. Februar geändert hat. Der Styl dieses Regierungsartikels erinnert schon wieder sehr stark an die Erlasse der "Regierung des Königs." Die Arbeiter werden schon gar nicht mehr als dem Minister gleichgestellte Citoyens, sondern als hülfsbedürftige Bettler behandelt. Die Nationalwerkstätten sind nicht die erste Grundlage, der erste durch die momentane Nothwendigkeit bedingte Schritt zu einer Veränderung in der Stellung des Arbeiters zum Kapitalisten, sie sind reine Wohlthätigkeitsanstalten, und als solche "können sie" natürlich auch "in der That nicht bestehen bleiben." Daß bei dieser veränderten Lage der Dinge, und noch dazu bei dem Versuch des Ministers Trelat, dem Herrn Thomas eine beaufsichtigende, beschränkende Commission von Bourgeois aufzuladen, daß da Herr Thomas, der unter anderen Bedingungen eingetreten war, seine Demission gab, ist leicht begreiflich. Man braucht darum nicht zu der Voraussetzung zu greifen, Herr Thomas habe bedeutende Unterschleife begangen. Deutsche Zeitungskorrespondenten in Paris, selbst höchst oberflächlich bekannt mit den Verhältnissen und Personen, vollständig desorientirt seit der Revolution, sind noch so an das Regime der Bestechung gewöhnt, daß sie gleich hinter jedem Conflikt einen Unterschleif suchen. Die Besiegten des Februar, die großen Pariser Börsenwölfe, thun ebenfalls ihr Bestes, um die Republikaner alten Stammes, und namentlich die radikale Fraktion derselben, aller möglicher erdichteten Unterschleife, Gelderpressungen u. s. w. zu beschuldigen. Man kennt das in Paris und man kümmert sich nicht drum. Uebrigens ist Herr Thomas, wie aus einem von ihm geschriebn[e]n, durch Zufall richtig beförderten Brief an seine Mutter hervorgeht, am 26. Abends zu Trelat bestellt worden, der ihm erklärte, er habe seine Stelle niederzulegen und mit einer Mission nach Bordeaux und Bayonne abzureisen. Erklärungen gab der Minister weiter nicht; Thomas mußte im Hotel bleiben, durfte seine Mutter nicht mehr sehen, und reiste Abends halb elf Uhr in Begleitung zweier Polizeibeamten ab, die der Regierung bezeugen sollten, daß Thomas wirklich in Bordeaux angekommen. Uebrigens wurde er sehr höflich behandelt. Als wahrscheinliches Motiv dieser Behandlung gibt er selbst an: "Ich habe erklärt, daß, sobald man Maßregeln ergriff, die ich in Hinsicht auf die öffentliche Ruhe für unklug hielte, ich meine Entlassung nehmen würde, um nicht dafür verantwortlich zu sein; daß ich aber wenigstens an die National-Versammlung appelliren würde." Die Regierung wird wohl noch weitere Aufschlüsse über diese Angelegenheit geben müssen. Abgesehen von persönlichen Collisionen, die vorgekommen sein mögen, ist die Entfernung Thomas' ein ganz konsequenter Schritt der Regierungsmajorität. Nachdem Louis Blanc aus dem Luxemburg verdrängt war, blieb nur noch Thomas in einer offiziellen Stellung an der Spitze einer bedeutenden Masse von Arbeitern. Er gehört der linken Seite, den Arbeitsorganisateurs an, und man mußte ihn natürlich entfernen. So verschwindet eine Eroberung der Februartage nach der andern für die Arbeiter. Die Arbeiter der Nationalwerkstätten sind über diesen Schritt der Regierung natürlich noch immer höchst aufgeregt. Die Chefs der Nationalwerkstätten erklärten, sie könnten für nichts einstehen. Die Arbeiter selbst unterzeichnen eine Petition an die Commission der vollziehenden Gewalt, worin sie die Gründe des Verfahrens gegen Thomas wissen wollen, ihre Anhänglichkeit an ihn erklären und seine Wiedereinsetzung fordern für den Fall, daß er sich nicht irgendwie vergangen habe. Es heißt darin: "Das geheiligte Recht der Wahl, das wir auf den Februar-Barrikaden erobert haben, läßt uns hoffen, daß Sie die Güte haben werden, dies Recht stets zu respektiren." Uebrigens war Paris am 28. vollständig ruhig und alle Vorsichtsmaßregeln, die die Behörden getroffen hatten, bewiesen sich als vollständig überflüssig. - An die Spitze der Nationalwerkstätten tritt, durch Beschluß des Ministers der öffentlichen Arbeiten eine dirigirende Commission welche alle nöthigen Maßregeln treffen wird um die auf dem Staate lastenden Kosten zu vermindern ohne jedoch dem geheiligten Prinzip der Garantie der Arbeit entgegen zu treten! Ob Herr Trelat wirklich glaubte das sei möglich oder ob er die Phrase von der Garantie der Arbeit den Arbeitern bloß zur Beruhigung hinwirft wollen wir nicht entscheiden. Die Commission besteht aus lauter Fachleuten und hat zum Präsident Hrn. Boulage, Generalsecretär auf dem Ministerium der öffentl. Arbeiten; zum Secretär Hrn. Lalanne der Stellvertreter des abgesetzten Thomas. - Der Revolutionsclub, dem Barbes präsidirte, und der seit dem 15. keine Sitzungen gehalten, ist vorgestern wieder eröffnet worden. Durch Acclamation wurden die Gefangenen Barbes und Raizan wieder zum Präsidenten und Vizepräsidenten ernannt. Drei bis vierhundert Mitglieder waren zugegen. - Caussidiere tritt wieder als Candidat für die Nationalversammlung in Paris auf. Er verspricht Publikation eines Memoire über seine Verwaltung. Paris, 28. Mai. Das Journal la Republique berichtet die jedoch noch nicht zuverlässige Nachricht, daß die Calabresen in Neapel eingezogen seien, die Garnison sich zu dem Volke geschlagen habe, und daß in Folge einer neuen blutigen Kollision der Palast des Königs genommen worden sei. Ferdinand sei endlich in die Hände des Volkes gefallen, das er niederschießen ließ. **Paris, 29. Mai. Die Nationalversammlung hat heute unter dem Schutz von 20,000 Bajonetten Sitzung gehalten, um den Bericht des Herrn Falloux über die Nationalwerkstätten zu vernehmen. Hr. Trelat gab höchst ungenügende Erläuterungen über die Entlassung des Herrn Emil Thomas. - Die Diskussion über die Befugnisse der exekutiven Gewalt endete in einem wahren Sturm. Paris ist in einer solchen Aufregung, daß man jeden Augenblick einen Ausbruch erwartet. Großbritannien. XLondon, 29. Mai. Vor der Wahl der neuen französischen Exekutivgewalt war Ledru Rollin und seine ganze Partei in deutschen Journalen glänzend durchgefallen und förmlich aus dem öffentlichen Leben relegirt worden. Auf einmal erklärt Lamartine, ohne Ledru Rollin die Theilnahme an der Regierung ablehnen zu müssen. Die deutschen Journale, von jeher dem status quo huldihend, können nun nicht mehr regieren ohne Ledru Rollin. Der anmaßlich lächerliche Diktator, einen Tag vorher noch ohne Halt in der Volksmeinung, eine bloße Traumgewalt, wird plötzlich zum Mann der Nothwendigkeit. Die deutschen Redakteure drohen, ihre Stellen niederzulegen, wenn Ledru Rollin, der unentbehrlich geworden, die seine nicht erhält oder nicht annimmt. Aber die deutschen Journale wissen sich zu rächen. Haben die Umstände sie gezwungen, einen gestern geschmähten französischen Demokraten heute wieder zu rehabilitiren, so erlauben ihnen die Umstände dagegen morgen die heute noch verherrlichte, weil sagenhaft verhüllte Figur eines englischen Demokraten zwerghaft zusammenschrumpfen zu lassen. So hat O'Connor,der Chartisten-Chef, und mit ihm die ganze Partei der Chartisten, dafür büßen müssen, daß ein Moment eingetreten war, wo in Deutschland die Redakteure liberal scheinen wollten und wo in Frankreich die Verhältnisse liberal zu sein schienen. In diesem charakterlosen Wirrwarr, in diesem Auf und Ab der Anerkennung und Verkennung der demokratischen Parteien und ihrer Vertreter, in dieser beständigen Kniebeugung vor den Namen und der Gewalt des Augenblickes, bleibt sich die deutsche Presse nichts desto weniger treu, treu in der gesinnungstüchtigen Feigheit, treu im biedern Schwanken, treu in dem unfehlbaren Instinkt, womit sie am gelegenen Ort und zur rechten Zeit die Sache der jedesmaligen Reaktion herauszuwittern und sich anzueignen versteht. Kommen wir auf O'Connor zurück. Die Sitzung, worin Cobden, der nominelle Vertreter der industriellen Bourgoisie Englands - wir sagen nominell,denn Cobden ist in Wirklichkeit nur der populäre Name des Quäkers John Bright - die Parlamentssitzung also, worin Cobden dem Ingrimm der englischen Bourgeoisie gegen die Arbeiterpartei Luft machte und sich in Renommistereien gegen O'Connor erging; albernen Renommistereien, die er in derselben Sitzung widerrufen mußte, diese schwache Stunde Richard Cobden's war die starke Stunde für den deutschen Preßbengel. Kurz vorher hatte noch Hr. Cripps in diesem lieu d'aisance der öffentlichen Meinung kniend Abbitte gethan vor dem athlethischen Celten. Jetzt liegt der celtische Athlet zu Füßen des kentischen Bauernsohnes und Lancashire- Kattundruckers, der so trocken, so dürr und eckig sich windet, wie ein aus dem gepreßten Bündel gezogener Strang Baumwollengarn. In kurzen Zügen werde ich Ihnen das Duell zwischen Cobden und O'Connor schildern, das Duell zwischen dem englischen Bauernsohn, der die Bourgeoisie, und dem irischen Königssohn, der das Proletariat vertritt - ein Duell, das in England mit allen Waffen, zu jeder Stunde und an allen Orten ausgekämpft wird, aber nicht immer zwischen zwei so klassischen Figuranten. Also : es bedarf nur der Erinnerung, daß unerwarteter Weise in England eine seuchenartig um sich greifende Sympathie der Middleclatz für die Arbeiterklasse ausgebrochen war nach der verfehlten Demonstration der Chartisten vom 10. April. Die Anticornlawleague fing an in politicis zu machen und Herr Hume entwarf eine geschwächte Volks-Charte, welche die Forderungen der Chartisten bürgerlich zustutzte und provisorisch ein gemeinsames Wirken der radikalen Bourgoisie und der Arbeiterklasse möglich zu machen schien. O'Connor, in gutem Glauben, empfiehlt den Chartisten einstweilen ihre Bewegung mit der Bewegung der demokratisch gewordenen League zu vereinen. Wie aber die englische Bourgeoisie stets nur heuchlerische Friedensverträge mit der Arbeiterpartei schloß, um ihre eigenen Forderungen der Aristokratie gegenüber als Volksforderungen geltend machen und hinterher mit verdoppelter Wucht über den eigenen bethörten Bundesgenossen herfallen zu können, so auch diesmal. Herr Hume! Doch sagen wir vorher zwei Worte über den Herrn Hume. Herr Hume war stets eine der sieben Krücken im Dienste des verrotteten Whigthums vom Jahre 1833-1841. Er und 6 andere haschten nach Popularität, indem sie Ausdehnung der Volksrechte verlangten. Kam aber die Regierung, der sie opponirten, ernstlich in Gefahr, so wurden aus den sieben radikalen Krücken eben so viele liberale Knüppel, womit das Ministerium nach Willkür auf seine Gegner losschlagen konnte. Herr Hume hat zudem die Specialität, an den Staatsausgaben herumzumäkeln und dafür zu sorgen, daß der englischen hohen Bourgeoisie das Verwaltungs-Comite ihrer gemeinschaftlichen Angelegenheiten, der Staat, nicht zu viel Ausgaben verursacht. Der Punch hat ihn nach dieser Seite hin treffend charakterisirt als "revenue-cutter." Endlich ist Hr. Hume der Rabulist des Hauses der Gemeinen, der alle die unzähligen Kniffe und Pfiffe kennt, die das unentwirrbare englische parlamentarische Reglement zuläßt. Er betreibt seinen Kampf gegen seine Gegner wie ein Advokat, dessen Hauptwaffen Prozedurschwierigkeiten, Nullitätsfragen, Formalitätschikanen sind! Dieser Herr Hume also hatte einstweilen die chartistische Bewegung gelähmt durch das Versprechen in der Sitzung des Hauses der Gemeinen vom 22. Mai die von den Arbeitern und den Freihandelsmännern gemeinschaftlich acceptirten Reformforderungen als Motion einzubringen. Alles war gespannt im Hause der Gemeinen. Die liberalen irischen Mitglieder waren entschlossen, die ganze Nacht zu bleiben, um mit O'Connor und den Freetradern vereint, die Motion zu unterstützen. Herr Hume unterdessen plaudert mit den Peeliten und mit den Ministern. Herr Milner Gibson, Deputirter von Manchester und Hauptfreetrader, provocirt im offnen Einverständniß mit Hume eine unmotivirte Debatte mit Lord Bentinck, die sich bis ein Viertel nach 10 Uhr Abends fortspinnt. Nun war es nach der Gewohnheit des Hauses zu spät, die von Hume gestellte Motion einzubringen. Herr Hume erklärt, daß er jetzt nach der Zahl der auf der Tagesordnung befindlichen Gegenstände erst den 20. Juni seine Motion einbringen könne. So hat der schlaue Mann die Wahlreformfrage für einen ganzen Monat eskamotirt und in Wirklichkeit die Motion fallen gelassen. Die Reformfrage ist für die Freetrader nämlich ein bloser Schein, wie das wohlfeile Brod und das hohe Salair, die durch die Abschaffung der Korngesetze den Arbeitern errungen werden sollten, Scheinbrod und Scheinsalair waren. Wie einst O'Connell und Konsorten in Irland die Repealfrage nur als Popanz benutzten, um das Gouvernement einzuschüchtern, so gedenken die Herren Freetrader die Wahlreform zu manipuliren, um die Ermäßigung der auf den industriellen Kapitalisten lastenden Steuern zu erzwingen. Cobden, Hume und seine Freunde haben nämlich den Forderungen der parlamentarischen Reform die Forderung "einer billigen Reduktion der Besteuerung" hinzugemengt. Cobden und Compagnie wissen es recht wohl, daß ein nach den Prinzipien der Volks-Charte reformirtes Haus der Gemeinen, eine wirkliche Volksrepräsentation, die billige Regulirung der Steuern von selbst nach sich ziehen würden. Radikale Reform des Parlaments ist der kürzeste Weg zur Revision der Steuergesetzgebung. Aber es ist keineswegs eine "billige" Besteuerung, wonach es diese Patrioten drängt. Die Lasten, die sie gegenwärtig drücken, wollen sie auf andere Schultern abwälzen, auf die Grund- und Geldrentner, oder auf die Schultern des Volks. Die Schultern, worauf diese Last fällt, sind ihnen natürlich gleich gerecht. Die Wahlreform ist nur die Peitsche um Regierung und Parlament zu dieser Steuerveränderung hinzujagen. Einmal die Steuerrevision erreicht, so würde ihr Reformgeschrei sofort verstummen. Da nun die Aristokratie, eher der Bourgeoisie jede Konzession als dem Volk seine Rechte zugestehen wird, so kann die Arbeiterklasse, schließt sie sich der Bewegung der Freetraders auf die gegebenen Bedingungen an, von vornherein entnehmen, daß man sie prellen wird, wie früher. Ihre "respektablen" Freunde wollen sie benutzen und dann mit Füßen treten. Das Manoeuvre des Hrn. Hume in der Sitzung vom 22. Mai öffnete dem O'Connor die Augen. Er enthüllte den ganzen Feldzugsplan. Die Zurechtweisung, die Herr Cobden ihm darauf zukommen ließ, haben die deutschen Journale, die hier Reaktion witterten, als den Todesschlag O'Connor's dargestellt. Und nun merken Sie auf, wie der große Cobden den O'Connor getödtet. Zuerst erzählt Herr Cobden, er habe keinen Grund gegen O'Connor aufgebracht zu sein, denn nie habe ihm ein Mann mehr geschmeichelt. Das Parlament selbst war über diese Schamlosigkeit erstaunt. Die Schmeichelei bestand darin, daß O'Connor, der fünfzehn Jahre unermüdlich die Antikornlawleague und Cobden an deren Spitze bekämpft hatte, nach seiner Zusammenkunft mit Cobden in Northampton in dem ihm zugehörigen Chartistenblatt, dem Northernstar, erklärte, Herr Cobden scheine ihm ein persönlich gemäßigter und philantropischer Mann. Er werde ihn künftig schonender behandeln. Und, fuhr Herr Cobden fort, jede Stadt Englands weiß zu erzählen von den Siegen, die ich in den Volksversammlungen über O'Connor davon getragen. O'Connor erwidert hierauf, daß er nur zweimal mit Cobden zusammen getroffen, einmal in Malta, und einmal in Northampton, wo Cobden notorisch unterlegen sei. Der Philantrop Cobden, auf einer augenscheinlichen Lüge ertappt, sucht sich herauszuwinden durch die neue Lüge, er habe nicht O'Connor selbst, sondern seine Helfershelfer, die Chartisten im Allgemeinen gemeint. Auf diese prunkende Versicherung antwortet einfach die Thatsache, daß die Anticornlawleaguer in den letzten zwei bis drei Jahren nur noch Ticket-meetings abzuhalten wagten, weil sie in allen öffentlichen Meetings von den Chartisten regelmäßig geschlagen wurden. Endlich erklärt Herr Cobden die Chartisten für eine kleine, unbedeutende und machtlose Parthei, für eine in den kleinsten Umrissen organisirte Faktion. O'Connor antwortete darauf, indem er in ganz London Placate anheften ließ, worin er den Richard Cobden aufforderte, in Wakefield mit ihm auf den Sonntag zur öffentlichen Debatte zusammenzutreffen. Vor dem versammelten Volke werde es sich dann herausstellen, auf wessen Seite die "möglichst kleine Faktion" sei. Herr Cobden hat sich weislich gehütet, die Einladung zu acceptiren. Ich habe Ihnen über diesen Vorfall so ausführlich berichtet, zunächst um an einem Beispiel die alberne Schamlosigkeit nachzu Französische Republik. 7Paris, 29. Mai. Noch immer laufen die widersprechendsten Gerüchte um über das plötzliche Verschwinden des bisherigen Direktors der Nationalwerkstätten, Emile Thomas, der von der Regierung verhaftet und unter Begleitung von Polizeibeamten nach Bordeaux gebracht wurde. Der Minister der öffentlichen Arbeiten, Trélat, hat eine Proklamation erlassen, worin er von einer vorzunehmenden „Reorganisation“ der Nationalwerkstätten spricht. Er erklärt, viele Leute seien eingeschrieben worden, die sonst noch eigene Ressourcen hätten; andere seien mehrmals eingeschrieben und erhielten mehrfaches Salair, und die Folge davon sei, daß die Regierung sich jetzt gezwungen sehe, die Listen neu anfertigen zu lassen und nur wirklich brodlose hülfsbedürftige Arbeiter aufzunehmen. Der Moniteur dagegen spricht schon ganz anders. Er erzählt zuerst, daß die Aufregung unter den im Park von Monceaux angestellten Arbeitern durch die Anwesenheit Trélats beschwichtigt, daß Hr. Lalanne, der neue Direktor, installirt sei, und fährt dann in folgenden Ausdrücken fort : „Die Regierung hegt die aufrichtigsten und unbestreitbarsten Sympathieen für die Arbeiter; diese selbst können daran nicht zweifeln. Wenn sie daran denkt, die Nationalwerkstätten aufzulösen, (also nicht zu reorganisiren), welche in der That nicht länger bestehen bleiben können, so weiß sie doch, welche sorgfältige Rücksicht die Leiden so vieler Arbeiter verdienen, Arbeiter, die seit langer Zeit ohne Beschäftigung, in den Staatswerkstätten einen kaum ausreichenden Lohn gefunden haben. Eine Spezialkommission, von der Nationalversammlung ernannt, beschäftigt sich in diesem Augenblick, im Verein mit der Kommission der vollziehenden Gewalt, mit der Auffindung neuer Ressourcen. Die Regierung denkt nicht daran, irgend eine Maßregel in Betreff der Nationalwerkstätten zu nehmen, so lange nicht sich ehrlichen und fleißigen Arbeitern sichre und gute Beschäftigung darbietet. Aber wenn die Unordnung unglücklicher Weise zunehmen, wenn verbrecherische Intriguen bei den Arbeitern um sich greifen und sie verirren sollten, so würde es die dringendste Pflicht der Behörde sein, von der ihr anvertrauten Gewalt Gebrauch zu machen und durch die energischsten Maßregeln die Ausführung der Bestimmungen zu sichern, welche sie treffen zu müssen geglaubt hat. Man sieht aus diesem Artikel wie viel sich in Paris seit dem 24. Februar geändert hat. Der Styl dieses Regierungsartikels erinnert schon wieder sehr stark an die Erlasse der „Regierung des Königs.“ Die Arbeiter werden schon gar nicht mehr als dem Minister gleichgestellte Citoyens, sondern als hülfsbedürftige Bettler behandelt. Die Nationalwerkstätten sind nicht die erste Grundlage, der erste durch die momentane Nothwendigkeit bedingte Schritt zu einer Veränderung in der Stellung des Arbeiters zum Kapitalisten, sie sind reine Wohlthätigkeitsanstalten, und als solche „können sie“ natürlich auch „in der That nicht bestehen bleiben.“ Daß bei dieser veränderten Lage der Dinge, und noch dazu bei dem Versuch des Ministers Trélat, dem Herrn Thomas eine beaufsichtigende, beschränkende Commission von Bourgeois aufzuladen, daß da Herr Thomas, der unter anderen Bedingungen eingetreten war, seine Demission gab, ist leicht begreiflich. Man braucht darum nicht zu der Voraussetzung zu greifen, Herr Thomas habe bedeutende Unterschleife begangen. Deutsche Zeitungskorrespondenten in Paris, selbst höchst oberflächlich bekannt mit den Verhältnissen und Personen, vollständig desorientirt seit der Revolution, sind noch so an das Regime der Bestechung gewöhnt, daß sie gleich hinter jedem Conflikt einen Unterschleif suchen. Die Besiegten des Februar, die großen Pariser Börsenwölfe, thun ebenfalls ihr Bestes, um die Republikaner alten Stammes, und namentlich die radikale Fraktion derselben, aller möglicher erdichteten Unterschleife, Gelderpressungen u. s. w. zu beschuldigen. Man kennt das in Paris und man kümmert sich nicht drum. Uebrigens ist Herr Thomas, wie aus einem von ihm geschriebn[e]n, durch Zufall richtig beförderten Brief an seine Mutter hervorgeht, am 26. Abends zu Trélat bestellt worden, der ihm erklärte, er habe seine Stelle niederzulegen und mit einer Mission nach Bordeaux und Bayonne abzureisen. Erklärungen gab der Minister weiter nicht; Thomas mußte im Hotel bleiben, durfte seine Mutter nicht mehr sehen, und reiste Abends halb elf Uhr in Begleitung zweier Polizeibeamten ab, die der Regierung bezeugen sollten, daß Thomas wirklich in Bordeaux angekommen. Uebrigens wurde er sehr höflich behandelt. Als wahrscheinliches Motiv dieser Behandlung gibt er selbst an: „Ich habe erklärt, daß, sobald man Maßregeln ergriff, die ich in Hinsicht auf die öffentliche Ruhe für unklug hielte, ich meine Entlassung nehmen würde, um nicht dafür verantwortlich zu sein; daß ich aber wenigstens an die National-Versammlung appelliren würde.“ Die Regierung wird wohl noch weitere Aufschlüsse über diese Angelegenheit geben müssen. Abgesehen von persönlichen Collisionen, die vorgekommen sein mögen, ist die Entfernung Thomas' ein ganz konsequenter Schritt der Regierungsmajorität. Nachdem Louis Blanc aus dem Luxemburg verdrängt war, blieb nur noch Thomas in einer offiziellen Stellung an der Spitze einer bedeutenden Masse von Arbeitern. Er gehört der linken Seite, den Arbeitsorganisateurs an, und man mußte ihn natürlich entfernen. So verschwindet eine Eroberung der Februartage nach der andern für die Arbeiter. Die Arbeiter der Nationalwerkstätten sind über diesen Schritt der Regierung natürlich noch immer höchst aufgeregt. Die Chefs der Nationalwerkstätten erklärten, sie könnten für nichts einstehen. Die Arbeiter selbst unterzeichnen eine Petition an die Commission der vollziehenden Gewalt, worin sie die Gründe des Verfahrens gegen Thomas wissen wollen, ihre Anhänglichkeit an ihn erklären und seine Wiedereinsetzung fordern für den Fall, daß er sich nicht irgendwie vergangen habe. Es heißt darin: „Das geheiligte Recht der Wahl, das wir auf den Februar-Barrikaden erobert haben, läßt uns hoffen, daß Sie die Güte haben werden, dies Recht stets zu respektiren.“ Uebrigens war Paris am 28. vollständig ruhig und alle Vorsichtsmaßregeln, die die Behörden getroffen hatten, bewiesen sich als vollständig überflüssig. ‒ An die Spitze der Nationalwerkstätten tritt, durch Beschluß des Ministers der öffentlichen Arbeiten eine dirigirende Commission welche alle nöthigen Maßregeln treffen wird um die auf dem Staate lastenden Kosten zu vermindern ohne jedoch dem geheiligten Prinzip der Garantie der Arbeit entgegen zu treten! Ob Herr Trélat wirklich glaubte das sei möglich oder ob er die Phrase von der Garantie der Arbeit den Arbeitern bloß zur Beruhigung hinwirft wollen wir nicht entscheiden. Die Commission besteht aus lauter Fachleuten und hat zum Präsident Hrn. Boulage, Generalsecretär auf dem Ministerium der öffentl. Arbeiten; zum Secretär Hrn. Lalanne der Stellvertreter des abgesetzten Thomas. ‒ Der Revolutionsclub, dem Barbés präsidirte, und der seit dem 15. keine Sitzungen gehalten, ist vorgestern wieder eröffnet worden. Durch Acclamation wurden die Gefangenen Barbés und Raizan wieder zum Präsidenten und Vizepräsidenten ernannt. Drei bis vierhundert Mitglieder waren zugegen. ‒ Caussidiere tritt wieder als Candidat für die Nationalversammlung in Paris auf. Er verspricht Publikation eines Memoire über seine Verwaltung. Paris, 28. Mai. Das Journal la Republique berichtet die jedoch noch nicht zuverlässige Nachricht, daß die Calabresen in Neapel eingezogen seien, die Garnison sich zu dem Volke geschlagen habe, und daß in Folge einer neuen blutigen Kollision der Palast des Königs genommen worden sei. Ferdinand sei endlich in die Hände des Volkes gefallen, das er niederschießen ließ. **Paris, 29. Mai. Die Nationalversammlung hat heute unter dem Schutz von 20,000 Bajonetten Sitzung gehalten, um den Bericht des Herrn Falloux über die Nationalwerkstätten zu vernehmen. Hr. Trelat gab höchst ungenügende Erläuterungen über die Entlassung des Herrn Emil Thomas. ‒ Die Diskussion über die Befugnisse der exekutiven Gewalt endete in einem wahren Sturm. Paris ist in einer solchen Aufregung, daß man jeden Augenblick einen Ausbruch erwartet. Großbritannien. XLondon, 29. Mai. Vor der Wahl der neuen französischen Exekutivgewalt war Ledru Rollin und seine ganze Partei in deutschen Journalen glänzend durchgefallen und förmlich aus dem öffentlichen Leben relegirt worden. Auf einmal erklärt Lamartine, ohne Ledru Rollin die Theilnahme an der Regierung ablehnen zu müssen. Die deutschen Journale, von jeher dem status quo huldihend, können nun nicht mehr regieren ohne Ledru Rollin. Der anmaßlich lächerliche Diktator, einen Tag vorher noch ohne Halt in der Volksmeinung, eine bloße Traumgewalt, wird plötzlich zum Mann der Nothwendigkeit. Die deutschen Redakteure drohen, ihre Stellen niederzulegen, wenn Ledru Rollin, der unentbehrlich geworden, die seine nicht erhält oder nicht annimmt. Aber die deutschen Journale wissen sich zu rächen. Haben die Umstände sie gezwungen, einen gestern geschmähten französischen Demokraten heute wieder zu rehabilitiren, so erlauben ihnen die Umstände dagegen morgen die heute noch verherrlichte, weil sagenhaft verhüllte Figur eines englischen Demokraten zwerghaft zusammenschrumpfen zu lassen. So hat O'Connor,der Chartisten-Chef, und mit ihm die ganze Partei der Chartisten, dafür büßen müssen, daß ein Moment eingetreten war, wo in Deutschland die Redakteure liberal scheinen wollten und wo in Frankreich die Verhältnisse liberal zu sein schienen. In diesem charakterlosen Wirrwarr, in diesem Auf und Ab der Anerkennung und Verkennung der demokratischen Parteien und ihrer Vertreter, in dieser beständigen Kniebeugung vor den Namen und der Gewalt des Augenblickes, bleibt sich die deutsche Presse nichts desto weniger treu, treu in der gesinnungstüchtigen Feigheit, treu im biedern Schwanken, treu in dem unfehlbaren Instinkt, womit sie am gelegenen Ort und zur rechten Zeit die Sache der jedesmaligen Reaktion herauszuwittern und sich anzueignen versteht. Kommen wir auf O'Connor zurück. Die Sitzung, worin Cobden, der nominelle Vertreter der industriellen Bourgoisie Englands ‒ wir sagen nominell,denn Cobden ist in Wirklichkeit nur der populäre Name des Quäkers John Bright ‒ die Parlamentssitzung also, worin Cobden dem Ingrimm der englischen Bourgeoisie gegen die Arbeiterpartei Luft machte und sich in Renommistereien gegen O'Connor erging; albernen Renommistereien, die er in derselben Sitzung widerrufen mußte, diese schwache Stunde Richard Cobden's war die starke Stunde für den deutschen Preßbengel. Kurz vorher hatte noch Hr. Cripps in diesem lieu d'aisance der öffentlichen Meinung kniend Abbitte gethan vor dem athlethischen Celten. Jetzt liegt der celtische Athlet zu Füßen des kentischen Bauernsohnes und Lancashire- Kattundruckers, der so trocken, so dürr und eckig sich windet, wie ein aus dem gepreßten Bündel gezogener Strang Baumwollengarn. In kurzen Zügen werde ich Ihnen das Duell zwischen Cobden und O'Connor schildern, das Duell zwischen dem englischen Bauernsohn, der die Bourgeoisie, und dem irischen Königssohn, der das Proletariat vertritt ‒ ein Duell, das in England mit allen Waffen, zu jeder Stunde und an allen Orten ausgekämpft wird, aber nicht immer zwischen zwei so klassischen Figuranten. Also : es bedarf nur der Erinnerung, daß unerwarteter Weise in England eine seuchenartig um sich greifende Sympathie der Middleclatz für die Arbeiterklasse ausgebrochen war nach der verfehlten Demonstration der Chartisten vom 10. April. Die Anticornlawleague fing an in politicis zu machen und Herr Hume entwarf eine geschwächte Volks-Charte, welche die Forderungen der Chartisten bürgerlich zustutzte und provisorisch ein gemeinsames Wirken der radikalen Bourgoisie und der Arbeiterklasse möglich zu machen schien. O'Connor, in gutem Glauben, empfiehlt den Chartisten einstweilen ihre Bewegung mit der Bewegung der demokratisch gewordenen League zu vereinen. Wie aber die englische Bourgeoisie stets nur heuchlerische Friedensverträge mit der Arbeiterpartei schloß, um ihre eigenen Forderungen der Aristokratie gegenüber als Volksforderungen geltend machen und hinterher mit verdoppelter Wucht über den eigenen bethörten Bundesgenossen herfallen zu können, so auch diesmal. Herr Hume! Doch sagen wir vorher zwei Worte über den Herrn Hume. Herr Hume war stets eine der sieben Krücken im Dienste des verrotteten Whigthums vom Jahre 1833‒1841. Er und 6 andere haschten nach Popularität, indem sie Ausdehnung der Volksrechte verlangten. Kam aber die Regierung, der sie opponirten, ernstlich in Gefahr, so wurden aus den sieben radikalen Krücken eben so viele liberale Knüppel, womit das Ministerium nach Willkür auf seine Gegner losschlagen konnte. Herr Hume hat zudem die Specialität, an den Staatsausgaben herumzumäkeln und dafür zu sorgen, daß der englischen hohen Bourgeoisie das Verwaltungs-Comite ihrer gemeinschaftlichen Angelegenheiten, der Staat, nicht zu viel Ausgaben verursacht. Der Punch hat ihn nach dieser Seite hin treffend charakterisirt als „revenue-cutter.“ Endlich ist Hr. Hume der Rabulist des Hauses der Gemeinen, der alle die unzähligen Kniffe und Pfiffe kennt, die das unentwirrbare englische parlamentarische Reglement zuläßt. Er betreibt seinen Kampf gegen seine Gegner wie ein Advokat, dessen Hauptwaffen Prozedurschwierigkeiten, Nullitätsfragen, Formalitätschikanen sind! Dieser Herr Hume also hatte einstweilen die chartistische Bewegung gelähmt durch das Versprechen in der Sitzung des Hauses der Gemeinen vom 22. Mai die von den Arbeitern und den Freihandelsmännern gemeinschaftlich acceptirten Reformforderungen als Motion einzubringen. Alles war gespannt im Hause der Gemeinen. Die liberalen irischen Mitglieder waren entschlossen, die ganze Nacht zu bleiben, um mit O'Connor und den Freetradern vereint, die Motion zu unterstützen. Herr Hume unterdessen plaudert mit den Peeliten und mit den Ministern. Herr Milner Gibson, Deputirter von Manchester und Hauptfreetrader, provocirt im offnen Einverständniß mit Hume eine unmotivirte Debatte mit Lord Bentinck, die sich bis ein Viertel nach 10 Uhr Abends fortspinnt. Nun war es nach der Gewohnheit des Hauses zu spät, die von Hume gestellte Motion einzubringen. Herr Hume erklärt, daß er jetzt nach der Zahl der auf der Tagesordnung befindlichen Gegenstände erst den 20. Juni seine Motion einbringen könne. So hat der schlaue Mann die Wahlreformfrage für einen ganzen Monat eskamotirt und in Wirklichkeit die Motion fallen gelassen. Die Reformfrage ist für die Freetrader nämlich ein bloser Schein, wie das wohlfeile Brod und das hohe Salair, die durch die Abschaffung der Korngesetze den Arbeitern errungen werden sollten, Scheinbrod und Scheinsalair waren. Wie einst O'Connell und Konsorten in Irland die Repealfrage nur als Popanz benutzten, um das Gouvernement einzuschüchtern, so gedenken die Herren Freetrader die Wahlreform zu manipuliren, um die Ermäßigung der auf den industriellen Kapitalisten lastenden Steuern zu erzwingen. Cobden, Hume und seine Freunde haben nämlich den Forderungen der parlamentarischen Reform die Forderung „einer billigen Reduktion der Besteuerung“ hinzugemengt. Cobden und Compagnie wissen es recht wohl, daß ein nach den Prinzipien der Volks-Charte reformirtes Haus der Gemeinen, eine wirkliche Volksrepräsentation, die billige Regulirung der Steuern von selbst nach sich ziehen würden. Radikale Reform des Parlaments ist der kürzeste Weg zur Revision der Steuergesetzgebung. Aber es ist keineswegs eine „billige“ Besteuerung, wonach es diese Patrioten drängt. Die Lasten, die sie gegenwärtig drücken, wollen sie auf andere Schultern abwälzen, auf die Grund- und Geldrentner, oder auf die Schultern des Volks. Die Schultern, worauf diese Last fällt, sind ihnen natürlich gleich gerecht. Die Wahlreform ist nur die Peitsche um Regierung und Parlament zu dieser Steuerveränderung hinzujagen. Einmal die Steuerrevision erreicht, so würde ihr Reformgeschrei sofort verstummen. Da nun die Aristokratie, eher der Bourgeoisie jede Konzession als dem Volk seine Rechte zugestehen wird, so kann die Arbeiterklasse, schließt sie sich der Bewegung der Freetraders auf die gegebenen Bedingungen an, von vornherein entnehmen, daß man sie prellen wird, wie früher. Ihre „respektablen“ Freunde wollen sie benutzen und dann mit Füßen treten. Das Manoeuvre des Hrn. Hume in der Sitzung vom 22. Mai öffnete dem O'Connor die Augen. Er enthüllte den ganzen Feldzugsplan. Die Zurechtweisung, die Herr Cobden ihm darauf zukommen ließ, haben die deutschen Journale, die hier Reaktion witterten, als den Todesschlag O'Connor's dargestellt. Und nun merken Sie auf, wie der große Cobden den O'Connor getödtet. Zuerst erzählt Herr Cobden, er habe keinen Grund gegen O'Connor aufgebracht zu sein, denn nie habe ihm ein Mann mehr geschmeichelt. Das Parlament selbst war über diese Schamlosigkeit erstaunt. Die Schmeichelei bestand darin, daß O'Connor, der fünfzehn Jahre unermüdlich die Antikornlawleague und Cobden an deren Spitze bekämpft hatte, nach seiner Zusammenkunft mit Cobden in Northampton in dem ihm zugehörigen Chartistenblatt, dem Northernstar, erklärte, Herr Cobden scheine ihm ein persönlich gemäßigter und philantropischer Mann. Er werde ihn künftig schonender behandeln. Und, fuhr Herr Cobden fort, jede Stadt Englands weiß zu erzählen von den Siegen, die ich in den Volksversammlungen über O'Connor davon getragen. O'Connor erwidert hierauf, daß er nur zweimal mit Cobden zusammen getroffen, einmal in Malta, und einmal in Northampton, wo Cobden notorisch unterlegen sei. Der Philantrop Cobden, auf einer augenscheinlichen Lüge ertappt, sucht sich herauszuwinden durch die neue Lüge, er habe nicht O'Connor selbst, sondern seine Helfershelfer, die Chartisten im Allgemeinen gemeint. Auf diese prunkende Versicherung antwortet einfach die Thatsache, daß die Anticornlawleaguer in den letzten zwei bis drei Jahren nur noch Ticket-meetings abzuhalten wagten, weil sie in allen öffentlichen Meetings von den Chartisten regelmäßig geschlagen wurden. Endlich erklärt Herr Cobden die Chartisten für eine kleine, unbedeutende und machtlose Parthei, für eine in den kleinsten Umrissen organisirte Faktion. O'Connor antwortete darauf, indem er in ganz London Placate anheften ließ, worin er den Richard Cobden aufforderte, in Wakefield mit ihm auf den Sonntag zur öffentlichen Debatte zusammenzutreffen. Vor dem versammelten Volke werde es sich dann herausstellen, auf wessen Seite die „möglichst kleine Faktion“ sei. Herr Cobden hat sich weislich gehütet, die Einladung zu acceptiren. Ich habe Ihnen über diesen Vorfall so ausführlich berichtet, zunächst um an einem Beispiel die alberne Schamlosigkeit nachzu <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0003" n="0003"/> <div xml:id="fr" n="1"> <head>Französische Republik.</head> <div xml:id="ar001_017" type="jArticle"> <head><bibl><author>7</author></bibl><hi rendition="#g">Paris,</hi> 29. Mai.</head> <p>Noch immer laufen die widersprechendsten Gerüchte um über das plötzliche Verschwinden des bisherigen Direktors der Nationalwerkstätten, Emile Thomas, der von der Regierung verhaftet und unter Begleitung von Polizeibeamten nach Bordeaux gebracht wurde.</p> <p>Der Minister der öffentlichen Arbeiten, Trélat, hat eine Proklamation erlassen, worin er von einer vorzunehmenden „Reorganisation“ der Nationalwerkstätten spricht. Er erklärt, viele Leute seien eingeschrieben worden, die sonst noch eigene Ressourcen hätten; andere seien mehrmals eingeschrieben und erhielten mehrfaches Salair, und die Folge davon sei, daß die Regierung sich jetzt gezwungen sehe, die Listen neu anfertigen zu lassen und nur wirklich brodlose hülfsbedürftige Arbeiter aufzunehmen.</p> <p>Der <hi rendition="#g">Moniteur</hi> dagegen spricht schon ganz anders. Er erzählt zuerst, daß die Aufregung unter den im Park von Monceaux angestellten Arbeitern durch die Anwesenheit Trélats beschwichtigt, daß Hr. Lalanne, der neue Direktor, installirt sei, und fährt dann in folgenden Ausdrücken fort : „Die Regierung hegt die aufrichtigsten und unbestreitbarsten Sympathieen für die Arbeiter; diese selbst können daran nicht zweifeln. Wenn sie daran denkt, die <hi rendition="#g">Nationalwerkstätten aufzulösen,</hi> (also nicht zu reorganisiren), welche in der That nicht länger bestehen bleiben können, so weiß sie doch, welche sorgfältige Rücksicht die Leiden so vieler Arbeiter verdienen, Arbeiter, die seit langer Zeit ohne Beschäftigung, in den Staatswerkstätten einen kaum ausreichenden Lohn gefunden haben. Eine Spezialkommission, von der Nationalversammlung ernannt, beschäftigt sich in diesem Augenblick, im Verein mit der Kommission der vollziehenden Gewalt, mit der Auffindung neuer Ressourcen. Die Regierung denkt nicht daran, irgend eine Maßregel in Betreff der Nationalwerkstätten zu nehmen, so lange nicht sich ehrlichen und fleißigen Arbeitern sichre und gute Beschäftigung darbietet. Aber wenn die Unordnung unglücklicher Weise zunehmen, wenn verbrecherische Intriguen bei den Arbeitern um sich greifen und sie verirren sollten, so würde es die dringendste Pflicht der Behörde sein, von der ihr anvertrauten Gewalt Gebrauch zu machen und durch die energischsten Maßregeln die Ausführung der Bestimmungen zu sichern, welche sie treffen zu müssen geglaubt hat.</p> <p>Man sieht aus diesem Artikel wie viel sich in Paris seit dem 24. Februar geändert hat. Der Styl dieses Regierungsartikels erinnert schon wieder sehr stark an die Erlasse der „Regierung des Königs.“ Die Arbeiter werden schon gar nicht mehr als dem Minister gleichgestellte Citoyens, sondern als hülfsbedürftige Bettler behandelt. Die Nationalwerkstätten sind nicht die erste Grundlage, der erste durch die momentane Nothwendigkeit bedingte Schritt zu einer Veränderung in der Stellung des Arbeiters zum Kapitalisten, sie sind reine Wohlthätigkeitsanstalten, und als solche „können sie“ natürlich auch „in der That nicht bestehen bleiben.“ Daß bei dieser veränderten Lage der Dinge, und noch dazu bei dem Versuch des Ministers Trélat, dem Herrn Thomas eine beaufsichtigende, beschränkende Commission von Bourgeois aufzuladen, daß da Herr Thomas, der unter anderen Bedingungen eingetreten war, seine Demission gab, ist leicht begreiflich. Man braucht darum nicht zu der Voraussetzung zu greifen, Herr Thomas habe bedeutende Unterschleife begangen. Deutsche Zeitungskorrespondenten in Paris, selbst höchst oberflächlich bekannt mit den Verhältnissen und Personen, vollständig desorientirt seit der Revolution, sind noch so an das Regime der Bestechung gewöhnt, daß sie gleich hinter jedem Conflikt einen Unterschleif suchen. Die Besiegten des Februar, die großen Pariser Börsenwölfe, thun ebenfalls ihr Bestes, um die Republikaner alten Stammes, und namentlich die radikale Fraktion derselben, aller möglicher erdichteten Unterschleife, Gelderpressungen u. s. w. zu beschuldigen. Man kennt das in Paris und man kümmert sich nicht drum.</p> <p>Uebrigens ist Herr Thomas, wie aus einem von ihm geschriebn<supplied>e</supplied>n, durch Zufall richtig beförderten Brief an seine Mutter hervorgeht, am 26. Abends zu Trélat bestellt worden, der ihm erklärte, er habe seine Stelle niederzulegen und mit einer Mission nach Bordeaux und Bayonne abzureisen. Erklärungen gab der Minister weiter nicht; Thomas mußte im Hotel bleiben, durfte seine Mutter nicht mehr sehen, und reiste Abends halb elf Uhr in Begleitung zweier Polizeibeamten ab, die der Regierung bezeugen sollten, daß Thomas wirklich in Bordeaux angekommen. Uebrigens wurde er sehr höflich behandelt. Als wahrscheinliches Motiv dieser Behandlung gibt er selbst an: „Ich habe erklärt, daß, sobald man Maßregeln ergriff, die ich in Hinsicht auf die öffentliche Ruhe für unklug hielte, ich meine Entlassung nehmen würde, um nicht dafür verantwortlich zu sein; daß ich aber wenigstens an die National-Versammlung appelliren würde.“</p> <p>Die Regierung wird wohl noch weitere Aufschlüsse über diese Angelegenheit geben müssen. Abgesehen von persönlichen Collisionen, die vorgekommen sein mögen, ist die Entfernung Thomas' ein ganz konsequenter Schritt der Regierungsmajorität. Nachdem Louis Blanc aus dem Luxemburg verdrängt <choice><sic>wan</sic><corr>war</corr></choice>, blieb nur noch Thomas in einer offiziellen Stellung an der Spitze einer bedeutenden Masse von Arbeitern. Er gehört der linken Seite, den Arbeitsorganisateurs an, und man mußte ihn natürlich entfernen. So verschwindet eine Eroberung der Februartage nach der andern für die Arbeiter.</p> <p>Die Arbeiter der Nationalwerkstätten sind über diesen Schritt der Regierung natürlich noch immer höchst aufgeregt. Die Chefs der Nationalwerkstätten erklärten, sie könnten für nichts einstehen. Die Arbeiter selbst unterzeichnen eine Petition an die Commission der vollziehenden Gewalt, worin sie die Gründe des Verfahrens gegen Thomas wissen wollen, ihre Anhänglichkeit an ihn erklären und seine Wiedereinsetzung fordern für den Fall, daß er sich nicht irgendwie vergangen habe. Es heißt darin: „Das geheiligte Recht der Wahl, das wir auf den Februar-Barrikaden erobert haben, läßt uns hoffen, daß Sie die Güte haben werden, dies Recht stets zu respektiren.“</p> <p>Uebrigens war Paris am 28. vollständig ruhig und alle Vorsichtsmaßregeln, die die Behörden getroffen hatten, bewiesen sich als vollständig überflüssig.</p> <p>‒ An die Spitze der Nationalwerkstätten tritt, durch Beschluß des Ministers der öffentlichen Arbeiten eine dirigirende Commission welche alle nöthigen Maßregeln treffen wird um die auf dem Staate lastenden Kosten zu vermindern ohne jedoch dem geheiligten Prinzip der Garantie der Arbeit entgegen zu treten! Ob Herr Trélat wirklich glaubte das sei möglich oder ob er die Phrase von der Garantie der Arbeit den Arbeitern bloß zur Beruhigung hinwirft wollen wir nicht entscheiden. Die Commission besteht aus lauter Fachleuten und hat zum Präsident Hrn. Boulage, Generalsecretär auf dem Ministerium der öffentl. Arbeiten; zum Secretär Hrn. Lalanne der Stellvertreter des abgesetzten Thomas.</p> <p>‒ Der Revolutionsclub, dem Barbés präsidirte, und der seit dem 15. keine Sitzungen gehalten, ist vorgestern wieder eröffnet worden. Durch Acclamation wurden die Gefangenen Barbés und Raizan wieder zum Präsidenten und Vizepräsidenten ernannt. Drei bis vierhundert Mitglieder waren zugegen.</p> <p>‒ Caussidiere tritt wieder als Candidat für die Nationalversammlung in Paris auf. Er verspricht Publikation eines Memoire über seine Verwaltung.</p> </div> <div xml:id="ar001_018" type="jArticle"> <head><hi rendition="#g">Paris,</hi> 28. Mai.</head> <p>Das Journal la Republique berichtet die jedoch noch nicht zuverlässige Nachricht, daß die Calabresen in Neapel eingezogen seien, die Garnison sich zu dem Volke geschlagen habe, und daß in Folge einer neuen blutigen Kollision der Palast des Königs genommen worden sei. Ferdinand sei endlich in die Hände des Volkes gefallen, das er niederschießen ließ.</p> </div> <div xml:id="ar001_019" type="jArticle"> <head><bibl><author>**</author></bibl><hi rendition="#g">Paris,</hi> 29. Mai.</head> <p>Die Nationalversammlung hat heute unter dem Schutz von 20,000 Bajonetten Sitzung gehalten, um den Bericht des Herrn Falloux über die Nationalwerkstätten zu vernehmen. Hr. Trelat gab höchst ungenügende Erläuterungen über die Entlassung des Herrn Emil Thomas. ‒ Die Diskussion über die Befugnisse der exekutiven Gewalt endete in einem wahren Sturm. Paris ist in einer solchen Aufregung, daß man jeden Augenblick einen Ausbruch erwartet.</p> </div> </div> <div xml:id="gb" n="1"> <head>Großbritannien.</head> <div xml:id="ar001_020" type="jArticle"> <head><bibl><author>X</author></bibl><hi rendition="#g">London,</hi> 29. Mai.</head> <p>Vor der Wahl der neuen französischen Exekutivgewalt war Ledru Rollin und seine ganze Partei in deutschen Journalen glänzend durchgefallen und förmlich aus dem öffentlichen Leben relegirt worden. Auf einmal erklärt Lamartine, ohne Ledru Rollin die Theilnahme an der Regierung ablehnen zu müssen. Die deutschen Journale, von jeher dem status quo huldihend, können nun nicht mehr regieren ohne Ledru Rollin. Der anmaßlich lächerliche Diktator, einen Tag vorher noch ohne Halt in der Volksmeinung, eine bloße Traumgewalt, wird plötzlich zum Mann der Nothwendigkeit. Die deutschen Redakteure drohen, ihre Stellen niederzulegen, wenn Ledru Rollin, der unentbehrlich geworden, die seine nicht erhält oder nicht annimmt.</p> <p>Aber die deutschen Journale wissen sich zu rächen. Haben die Umstände sie gezwungen, einen gestern geschmähten französischen Demokraten heute wieder zu rehabilitiren, so erlauben ihnen die Umstände dagegen morgen die heute noch verherrlichte, weil sagenhaft verhüllte Figur eines englischen Demokraten zwerghaft zusammenschrumpfen zu lassen. So hat <hi rendition="#g">O'Connor,</hi>der Chartisten-Chef, und mit ihm die ganze Partei der Chartisten, dafür büßen müssen, daß ein Moment eingetreten war, wo in Deutschland die Redakteure liberal scheinen wollten und wo in Frankreich die Verhältnisse liberal zu sein schienen.</p> <p>In diesem charakterlosen Wirrwarr, in diesem Auf und Ab der Anerkennung und Verkennung der demokratischen Parteien und ihrer Vertreter, in dieser beständigen Kniebeugung vor den Namen und der Gewalt des Augenblickes, bleibt sich die deutsche Presse nichts desto weniger treu, treu in der gesinnungstüchtigen Feigheit, treu im biedern Schwanken, treu in dem unfehlbaren Instinkt, womit sie am gelegenen Ort und zur rechten Zeit die Sache der jedesmaligen Reaktion herauszuwittern und sich anzueignen versteht.</p> <p>Kommen wir auf <hi rendition="#g">O'Connor</hi> zurück. Die Sitzung, worin <hi rendition="#g">Cobden,</hi> der nominelle Vertreter der industriellen Bourgoisie Englands ‒ wir sagen <hi rendition="#g">nominell,</hi>denn Cobden ist in Wirklichkeit nur der populäre Name des Quäkers <hi rendition="#g">John Bright</hi> ‒ die Parlamentssitzung also, worin Cobden dem Ingrimm der englischen Bourgeoisie gegen die Arbeiterpartei Luft machte und sich in Renommistereien gegen O'Connor erging; albernen Renommistereien, die er in derselben Sitzung widerrufen <hi rendition="#g">mußte,</hi> diese schwache Stunde Richard Cobden's war die starke Stunde für den deutschen Preßbengel. Kurz vorher hatte noch Hr. Cripps in diesem lieu d'aisance der öffentlichen Meinung kniend Abbitte gethan vor dem athlethischen Celten. Jetzt liegt der celtische Athlet zu Füßen des kentischen Bauernsohnes und Lancashire- Kattundruckers, der so trocken, so dürr und eckig sich windet, wie ein aus dem gepreßten Bündel gezogener Strang Baumwollengarn.</p> <p>In kurzen Zügen werde ich Ihnen das Duell zwischen Cobden und O'Connor schildern, das Duell zwischen dem englischen Bauernsohn, der die Bourgeoisie, und dem irischen Königssohn, der das Proletariat vertritt ‒ ein Duell, das in England mit allen Waffen, zu jeder Stunde und an allen Orten ausgekämpft wird, aber nicht immer zwischen zwei so klassischen Figuranten.</p> <p>Also : es bedarf nur der Erinnerung, daß unerwarteter Weise in England eine seuchenartig um sich greifende Sympathie der Middleclatz für die Arbeiterklasse ausgebrochen war nach der verfehlten Demonstration der Chartisten vom 10. April. Die Anticornlawleague fing an in politicis zu machen und Herr Hume entwarf eine geschwächte Volks-Charte, welche die Forderungen der Chartisten bürgerlich zustutzte und provisorisch ein gemeinsames Wirken der radikalen Bourgoisie und der Arbeiterklasse möglich zu machen schien. O'Connor, in gutem Glauben, empfiehlt den Chartisten einstweilen ihre Bewegung mit der Bewegung der demokratisch gewordenen League zu vereinen.</p> <p>Wie aber die englische Bourgeoisie stets nur heuchlerische Friedensverträge mit der Arbeiterpartei schloß, um ihre eigenen Forderungen der Aristokratie gegenüber als Volksforderungen geltend machen und hinterher mit verdoppelter Wucht über den eigenen bethörten Bundesgenossen herfallen zu können, so auch diesmal.</p> <p>Herr <hi rendition="#g">Hume!</hi> Doch sagen wir vorher zwei Worte über den Herrn Hume. Herr Hume war stets eine der sieben Krücken im Dienste des verrotteten Whigthums vom Jahre 1833‒1841. Er und 6 andere haschten nach Popularität, indem sie Ausdehnung der Volksrechte verlangten. Kam aber die Regierung, der sie opponirten, ernstlich in Gefahr, so wurden aus den sieben radikalen Krücken eben so viele liberale Knüppel, womit das Ministerium nach Willkür auf seine Gegner losschlagen konnte. Herr Hume hat zudem die Specialität, an den Staatsausgaben herumzumäkeln und dafür zu sorgen, daß der englischen hohen Bourgeoisie das Verwaltungs-Comite ihrer gemeinschaftlichen Angelegenheiten, der Staat, nicht zu viel Ausgaben verursacht. Der Punch hat ihn nach dieser Seite hin treffend charakterisirt als „revenue-cutter.“ Endlich ist Hr. Hume der Rabulist des Hauses der Gemeinen, der alle die unzähligen Kniffe und Pfiffe kennt, die das unentwirrbare englische parlamentarische Reglement zuläßt. Er betreibt seinen Kampf gegen seine Gegner wie ein Advokat, dessen Hauptwaffen Prozedurschwierigkeiten, Nullitätsfragen, Formalitätschikanen sind!</p> <p>Dieser Herr Hume also hatte einstweilen die chartistische Bewegung gelähmt durch das Versprechen in der Sitzung des Hauses der Gemeinen vom 22. Mai die von den Arbeitern und den Freihandelsmännern gemeinschaftlich acceptirten Reformforderungen als Motion einzubringen. Alles war gespannt im Hause der Gemeinen. Die liberalen irischen Mitglieder waren entschlossen, die ganze Nacht zu bleiben, um mit O'Connor und den Freetradern vereint, die Motion zu unterstützen. Herr Hume unterdessen plaudert mit den Peeliten und mit den Ministern. Herr Milner Gibson, Deputirter von Manchester und Hauptfreetrader, provocirt im offnen Einverständniß mit Hume eine unmotivirte Debatte mit Lord Bentinck, die sich bis ein Viertel nach 10 Uhr Abends fortspinnt. Nun war es nach der Gewohnheit des Hauses zu spät, die von Hume gestellte Motion einzubringen. Herr Hume erklärt, daß er jetzt nach der Zahl der auf der Tagesordnung befindlichen Gegenstände erst den 20. Juni seine Motion einbringen könne.</p> <p>So hat der schlaue Mann die Wahlreformfrage für einen ganzen Monat eskamotirt und in Wirklichkeit die Motion fallen gelassen.</p> <p>Die Reformfrage ist für die Freetrader nämlich ein bloser Schein, wie das wohlfeile Brod und das hohe Salair, die durch die Abschaffung der Korngesetze den Arbeitern errungen werden sollten, Scheinbrod und Scheinsalair waren. Wie einst O'Connell und Konsorten in Irland die Repealfrage nur als Popanz benutzten, um das Gouvernement einzuschüchtern, so gedenken die Herren Freetrader die Wahlreform zu manipuliren, um die Ermäßigung der auf den industriellen Kapitalisten lastenden Steuern zu erzwingen. Cobden, Hume und seine Freunde haben nämlich den Forderungen der parlamentarischen Reform die Forderung „einer billigen Reduktion der Besteuerung“ hinzugemengt. Cobden und Compagnie wissen es recht wohl, daß ein nach den Prinzipien der Volks-Charte reformirtes Haus der Gemeinen, eine wirkliche Volksrepräsentation, die billige Regulirung der Steuern von selbst nach sich ziehen würden. Radikale Reform des Parlaments ist der kürzeste Weg zur Revision der Steuergesetzgebung. Aber es ist keineswegs eine „billige“ Besteuerung, wonach es diese Patrioten drängt. Die Lasten, die sie gegenwärtig drücken, wollen sie auf andere Schultern abwälzen, auf die Grund- und Geldrentner, oder auf die Schultern des Volks. Die Schultern, worauf diese Last fällt, sind ihnen natürlich gleich gerecht. Die Wahlreform ist nur die Peitsche um Regierung und Parlament zu dieser Steuerveränderung hinzujagen. Einmal die Steuerrevision erreicht, so würde ihr Reformgeschrei sofort verstummen. Da nun die Aristokratie, eher der Bourgeoisie jede Konzession als dem Volk seine Rechte zugestehen wird, so kann die Arbeiterklasse, schließt sie sich der Bewegung der Freetraders auf die gegebenen Bedingungen an, von vornherein entnehmen, daß man sie prellen wird, wie früher. Ihre „respektablen“ Freunde wollen sie benutzen und dann mit Füßen treten. Das Manoeuvre des Hrn. Hume in der Sitzung vom 22. Mai öffnete dem O'Connor die Augen. Er enthüllte den ganzen Feldzugsplan. Die Zurechtweisung, die Herr Cobden ihm darauf zukommen ließ, haben die deutschen Journale, die hier Reaktion witterten, als den Todesschlag O'Connor's dargestellt.</p> <p>Und nun merken Sie auf, wie der große Cobden den O'Connor getödtet.</p> <p>Zuerst erzählt Herr Cobden, er habe keinen Grund gegen O'Connor aufgebracht zu sein, denn nie habe ihm ein Mann mehr geschmeichelt. Das Parlament selbst war über diese Schamlosigkeit erstaunt. Die Schmeichelei bestand darin, daß O'Connor, der fünfzehn Jahre unermüdlich die Antikornlawleague und Cobden an deren Spitze bekämpft hatte, nach seiner Zusammenkunft mit Cobden in Northampton in dem ihm zugehörigen Chartistenblatt, dem Northernstar, erklärte, Herr Cobden scheine ihm ein persönlich gemäßigter und philantropischer Mann. Er werde ihn künftig schonender behandeln.</p> <p>Und, fuhr Herr Cobden fort, jede Stadt Englands weiß zu erzählen von den Siegen, die ich in den Volksversammlungen über O'Connor davon getragen.</p> <p>O'Connor erwidert hierauf, daß er nur zweimal mit Cobden zusammen getroffen, einmal in Malta, und einmal in Northampton, wo Cobden notorisch unterlegen sei.</p> <p>Der Philantrop Cobden, auf einer augenscheinlichen Lüge ertappt, sucht sich herauszuwinden durch die neue Lüge, er habe nicht O'Connor selbst, sondern seine Helfershelfer, die Chartisten im Allgemeinen gemeint. Auf diese prunkende Versicherung antwortet einfach die Thatsache, daß die Anticornlawleaguer in den letzten zwei bis drei Jahren nur noch Ticket-meetings abzuhalten wagten, weil sie in allen öffentlichen Meetings von den Chartisten regelmäßig geschlagen wurden.</p> <p>Endlich erklärt Herr Cobden die Chartisten für eine kleine, unbedeutende und machtlose Parthei, für eine in den kleinsten Umrissen organisirte Faktion. O'Connor antwortete darauf, indem er in ganz London Placate anheften ließ, worin er den Richard Cobden aufforderte, in Wakefield mit ihm auf den Sonntag zur öffentlichen Debatte zusammenzutreffen. Vor dem versammelten Volke werde es sich dann herausstellen, auf wessen Seite die „möglichst kleine Faktion“ sei. Herr Cobden hat sich weislich gehütet, die Einladung zu acceptiren.</p> <p>Ich habe Ihnen über diesen Vorfall so ausführlich berichtet, zunächst um an einem Beispiel die alberne Schamlosigkeit nachzu </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0003/0003]
Französische Republik. 7Paris, 29. Mai. Noch immer laufen die widersprechendsten Gerüchte um über das plötzliche Verschwinden des bisherigen Direktors der Nationalwerkstätten, Emile Thomas, der von der Regierung verhaftet und unter Begleitung von Polizeibeamten nach Bordeaux gebracht wurde.
Der Minister der öffentlichen Arbeiten, Trélat, hat eine Proklamation erlassen, worin er von einer vorzunehmenden „Reorganisation“ der Nationalwerkstätten spricht. Er erklärt, viele Leute seien eingeschrieben worden, die sonst noch eigene Ressourcen hätten; andere seien mehrmals eingeschrieben und erhielten mehrfaches Salair, und die Folge davon sei, daß die Regierung sich jetzt gezwungen sehe, die Listen neu anfertigen zu lassen und nur wirklich brodlose hülfsbedürftige Arbeiter aufzunehmen.
Der Moniteur dagegen spricht schon ganz anders. Er erzählt zuerst, daß die Aufregung unter den im Park von Monceaux angestellten Arbeitern durch die Anwesenheit Trélats beschwichtigt, daß Hr. Lalanne, der neue Direktor, installirt sei, und fährt dann in folgenden Ausdrücken fort : „Die Regierung hegt die aufrichtigsten und unbestreitbarsten Sympathieen für die Arbeiter; diese selbst können daran nicht zweifeln. Wenn sie daran denkt, die Nationalwerkstätten aufzulösen, (also nicht zu reorganisiren), welche in der That nicht länger bestehen bleiben können, so weiß sie doch, welche sorgfältige Rücksicht die Leiden so vieler Arbeiter verdienen, Arbeiter, die seit langer Zeit ohne Beschäftigung, in den Staatswerkstätten einen kaum ausreichenden Lohn gefunden haben. Eine Spezialkommission, von der Nationalversammlung ernannt, beschäftigt sich in diesem Augenblick, im Verein mit der Kommission der vollziehenden Gewalt, mit der Auffindung neuer Ressourcen. Die Regierung denkt nicht daran, irgend eine Maßregel in Betreff der Nationalwerkstätten zu nehmen, so lange nicht sich ehrlichen und fleißigen Arbeitern sichre und gute Beschäftigung darbietet. Aber wenn die Unordnung unglücklicher Weise zunehmen, wenn verbrecherische Intriguen bei den Arbeitern um sich greifen und sie verirren sollten, so würde es die dringendste Pflicht der Behörde sein, von der ihr anvertrauten Gewalt Gebrauch zu machen und durch die energischsten Maßregeln die Ausführung der Bestimmungen zu sichern, welche sie treffen zu müssen geglaubt hat.
Man sieht aus diesem Artikel wie viel sich in Paris seit dem 24. Februar geändert hat. Der Styl dieses Regierungsartikels erinnert schon wieder sehr stark an die Erlasse der „Regierung des Königs.“ Die Arbeiter werden schon gar nicht mehr als dem Minister gleichgestellte Citoyens, sondern als hülfsbedürftige Bettler behandelt. Die Nationalwerkstätten sind nicht die erste Grundlage, der erste durch die momentane Nothwendigkeit bedingte Schritt zu einer Veränderung in der Stellung des Arbeiters zum Kapitalisten, sie sind reine Wohlthätigkeitsanstalten, und als solche „können sie“ natürlich auch „in der That nicht bestehen bleiben.“ Daß bei dieser veränderten Lage der Dinge, und noch dazu bei dem Versuch des Ministers Trélat, dem Herrn Thomas eine beaufsichtigende, beschränkende Commission von Bourgeois aufzuladen, daß da Herr Thomas, der unter anderen Bedingungen eingetreten war, seine Demission gab, ist leicht begreiflich. Man braucht darum nicht zu der Voraussetzung zu greifen, Herr Thomas habe bedeutende Unterschleife begangen. Deutsche Zeitungskorrespondenten in Paris, selbst höchst oberflächlich bekannt mit den Verhältnissen und Personen, vollständig desorientirt seit der Revolution, sind noch so an das Regime der Bestechung gewöhnt, daß sie gleich hinter jedem Conflikt einen Unterschleif suchen. Die Besiegten des Februar, die großen Pariser Börsenwölfe, thun ebenfalls ihr Bestes, um die Republikaner alten Stammes, und namentlich die radikale Fraktion derselben, aller möglicher erdichteten Unterschleife, Gelderpressungen u. s. w. zu beschuldigen. Man kennt das in Paris und man kümmert sich nicht drum.
Uebrigens ist Herr Thomas, wie aus einem von ihm geschriebnen, durch Zufall richtig beförderten Brief an seine Mutter hervorgeht, am 26. Abends zu Trélat bestellt worden, der ihm erklärte, er habe seine Stelle niederzulegen und mit einer Mission nach Bordeaux und Bayonne abzureisen. Erklärungen gab der Minister weiter nicht; Thomas mußte im Hotel bleiben, durfte seine Mutter nicht mehr sehen, und reiste Abends halb elf Uhr in Begleitung zweier Polizeibeamten ab, die der Regierung bezeugen sollten, daß Thomas wirklich in Bordeaux angekommen. Uebrigens wurde er sehr höflich behandelt. Als wahrscheinliches Motiv dieser Behandlung gibt er selbst an: „Ich habe erklärt, daß, sobald man Maßregeln ergriff, die ich in Hinsicht auf die öffentliche Ruhe für unklug hielte, ich meine Entlassung nehmen würde, um nicht dafür verantwortlich zu sein; daß ich aber wenigstens an die National-Versammlung appelliren würde.“
Die Regierung wird wohl noch weitere Aufschlüsse über diese Angelegenheit geben müssen. Abgesehen von persönlichen Collisionen, die vorgekommen sein mögen, ist die Entfernung Thomas' ein ganz konsequenter Schritt der Regierungsmajorität. Nachdem Louis Blanc aus dem Luxemburg verdrängt war, blieb nur noch Thomas in einer offiziellen Stellung an der Spitze einer bedeutenden Masse von Arbeitern. Er gehört der linken Seite, den Arbeitsorganisateurs an, und man mußte ihn natürlich entfernen. So verschwindet eine Eroberung der Februartage nach der andern für die Arbeiter.
Die Arbeiter der Nationalwerkstätten sind über diesen Schritt der Regierung natürlich noch immer höchst aufgeregt. Die Chefs der Nationalwerkstätten erklärten, sie könnten für nichts einstehen. Die Arbeiter selbst unterzeichnen eine Petition an die Commission der vollziehenden Gewalt, worin sie die Gründe des Verfahrens gegen Thomas wissen wollen, ihre Anhänglichkeit an ihn erklären und seine Wiedereinsetzung fordern für den Fall, daß er sich nicht irgendwie vergangen habe. Es heißt darin: „Das geheiligte Recht der Wahl, das wir auf den Februar-Barrikaden erobert haben, läßt uns hoffen, daß Sie die Güte haben werden, dies Recht stets zu respektiren.“
Uebrigens war Paris am 28. vollständig ruhig und alle Vorsichtsmaßregeln, die die Behörden getroffen hatten, bewiesen sich als vollständig überflüssig.
‒ An die Spitze der Nationalwerkstätten tritt, durch Beschluß des Ministers der öffentlichen Arbeiten eine dirigirende Commission welche alle nöthigen Maßregeln treffen wird um die auf dem Staate lastenden Kosten zu vermindern ohne jedoch dem geheiligten Prinzip der Garantie der Arbeit entgegen zu treten! Ob Herr Trélat wirklich glaubte das sei möglich oder ob er die Phrase von der Garantie der Arbeit den Arbeitern bloß zur Beruhigung hinwirft wollen wir nicht entscheiden. Die Commission besteht aus lauter Fachleuten und hat zum Präsident Hrn. Boulage, Generalsecretär auf dem Ministerium der öffentl. Arbeiten; zum Secretär Hrn. Lalanne der Stellvertreter des abgesetzten Thomas.
‒ Der Revolutionsclub, dem Barbés präsidirte, und der seit dem 15. keine Sitzungen gehalten, ist vorgestern wieder eröffnet worden. Durch Acclamation wurden die Gefangenen Barbés und Raizan wieder zum Präsidenten und Vizepräsidenten ernannt. Drei bis vierhundert Mitglieder waren zugegen.
‒ Caussidiere tritt wieder als Candidat für die Nationalversammlung in Paris auf. Er verspricht Publikation eines Memoire über seine Verwaltung.
Paris, 28. Mai. Das Journal la Republique berichtet die jedoch noch nicht zuverlässige Nachricht, daß die Calabresen in Neapel eingezogen seien, die Garnison sich zu dem Volke geschlagen habe, und daß in Folge einer neuen blutigen Kollision der Palast des Königs genommen worden sei. Ferdinand sei endlich in die Hände des Volkes gefallen, das er niederschießen ließ.
**Paris, 29. Mai. Die Nationalversammlung hat heute unter dem Schutz von 20,000 Bajonetten Sitzung gehalten, um den Bericht des Herrn Falloux über die Nationalwerkstätten zu vernehmen. Hr. Trelat gab höchst ungenügende Erläuterungen über die Entlassung des Herrn Emil Thomas. ‒ Die Diskussion über die Befugnisse der exekutiven Gewalt endete in einem wahren Sturm. Paris ist in einer solchen Aufregung, daß man jeden Augenblick einen Ausbruch erwartet.
Großbritannien. XLondon, 29. Mai. Vor der Wahl der neuen französischen Exekutivgewalt war Ledru Rollin und seine ganze Partei in deutschen Journalen glänzend durchgefallen und förmlich aus dem öffentlichen Leben relegirt worden. Auf einmal erklärt Lamartine, ohne Ledru Rollin die Theilnahme an der Regierung ablehnen zu müssen. Die deutschen Journale, von jeher dem status quo huldihend, können nun nicht mehr regieren ohne Ledru Rollin. Der anmaßlich lächerliche Diktator, einen Tag vorher noch ohne Halt in der Volksmeinung, eine bloße Traumgewalt, wird plötzlich zum Mann der Nothwendigkeit. Die deutschen Redakteure drohen, ihre Stellen niederzulegen, wenn Ledru Rollin, der unentbehrlich geworden, die seine nicht erhält oder nicht annimmt.
Aber die deutschen Journale wissen sich zu rächen. Haben die Umstände sie gezwungen, einen gestern geschmähten französischen Demokraten heute wieder zu rehabilitiren, so erlauben ihnen die Umstände dagegen morgen die heute noch verherrlichte, weil sagenhaft verhüllte Figur eines englischen Demokraten zwerghaft zusammenschrumpfen zu lassen. So hat O'Connor,der Chartisten-Chef, und mit ihm die ganze Partei der Chartisten, dafür büßen müssen, daß ein Moment eingetreten war, wo in Deutschland die Redakteure liberal scheinen wollten und wo in Frankreich die Verhältnisse liberal zu sein schienen.
In diesem charakterlosen Wirrwarr, in diesem Auf und Ab der Anerkennung und Verkennung der demokratischen Parteien und ihrer Vertreter, in dieser beständigen Kniebeugung vor den Namen und der Gewalt des Augenblickes, bleibt sich die deutsche Presse nichts desto weniger treu, treu in der gesinnungstüchtigen Feigheit, treu im biedern Schwanken, treu in dem unfehlbaren Instinkt, womit sie am gelegenen Ort und zur rechten Zeit die Sache der jedesmaligen Reaktion herauszuwittern und sich anzueignen versteht.
Kommen wir auf O'Connor zurück. Die Sitzung, worin Cobden, der nominelle Vertreter der industriellen Bourgoisie Englands ‒ wir sagen nominell,denn Cobden ist in Wirklichkeit nur der populäre Name des Quäkers John Bright ‒ die Parlamentssitzung also, worin Cobden dem Ingrimm der englischen Bourgeoisie gegen die Arbeiterpartei Luft machte und sich in Renommistereien gegen O'Connor erging; albernen Renommistereien, die er in derselben Sitzung widerrufen mußte, diese schwache Stunde Richard Cobden's war die starke Stunde für den deutschen Preßbengel. Kurz vorher hatte noch Hr. Cripps in diesem lieu d'aisance der öffentlichen Meinung kniend Abbitte gethan vor dem athlethischen Celten. Jetzt liegt der celtische Athlet zu Füßen des kentischen Bauernsohnes und Lancashire- Kattundruckers, der so trocken, so dürr und eckig sich windet, wie ein aus dem gepreßten Bündel gezogener Strang Baumwollengarn.
In kurzen Zügen werde ich Ihnen das Duell zwischen Cobden und O'Connor schildern, das Duell zwischen dem englischen Bauernsohn, der die Bourgeoisie, und dem irischen Königssohn, der das Proletariat vertritt ‒ ein Duell, das in England mit allen Waffen, zu jeder Stunde und an allen Orten ausgekämpft wird, aber nicht immer zwischen zwei so klassischen Figuranten.
Also : es bedarf nur der Erinnerung, daß unerwarteter Weise in England eine seuchenartig um sich greifende Sympathie der Middleclatz für die Arbeiterklasse ausgebrochen war nach der verfehlten Demonstration der Chartisten vom 10. April. Die Anticornlawleague fing an in politicis zu machen und Herr Hume entwarf eine geschwächte Volks-Charte, welche die Forderungen der Chartisten bürgerlich zustutzte und provisorisch ein gemeinsames Wirken der radikalen Bourgoisie und der Arbeiterklasse möglich zu machen schien. O'Connor, in gutem Glauben, empfiehlt den Chartisten einstweilen ihre Bewegung mit der Bewegung der demokratisch gewordenen League zu vereinen.
Wie aber die englische Bourgeoisie stets nur heuchlerische Friedensverträge mit der Arbeiterpartei schloß, um ihre eigenen Forderungen der Aristokratie gegenüber als Volksforderungen geltend machen und hinterher mit verdoppelter Wucht über den eigenen bethörten Bundesgenossen herfallen zu können, so auch diesmal.
Herr Hume! Doch sagen wir vorher zwei Worte über den Herrn Hume. Herr Hume war stets eine der sieben Krücken im Dienste des verrotteten Whigthums vom Jahre 1833‒1841. Er und 6 andere haschten nach Popularität, indem sie Ausdehnung der Volksrechte verlangten. Kam aber die Regierung, der sie opponirten, ernstlich in Gefahr, so wurden aus den sieben radikalen Krücken eben so viele liberale Knüppel, womit das Ministerium nach Willkür auf seine Gegner losschlagen konnte. Herr Hume hat zudem die Specialität, an den Staatsausgaben herumzumäkeln und dafür zu sorgen, daß der englischen hohen Bourgeoisie das Verwaltungs-Comite ihrer gemeinschaftlichen Angelegenheiten, der Staat, nicht zu viel Ausgaben verursacht. Der Punch hat ihn nach dieser Seite hin treffend charakterisirt als „revenue-cutter.“ Endlich ist Hr. Hume der Rabulist des Hauses der Gemeinen, der alle die unzähligen Kniffe und Pfiffe kennt, die das unentwirrbare englische parlamentarische Reglement zuläßt. Er betreibt seinen Kampf gegen seine Gegner wie ein Advokat, dessen Hauptwaffen Prozedurschwierigkeiten, Nullitätsfragen, Formalitätschikanen sind!
Dieser Herr Hume also hatte einstweilen die chartistische Bewegung gelähmt durch das Versprechen in der Sitzung des Hauses der Gemeinen vom 22. Mai die von den Arbeitern und den Freihandelsmännern gemeinschaftlich acceptirten Reformforderungen als Motion einzubringen. Alles war gespannt im Hause der Gemeinen. Die liberalen irischen Mitglieder waren entschlossen, die ganze Nacht zu bleiben, um mit O'Connor und den Freetradern vereint, die Motion zu unterstützen. Herr Hume unterdessen plaudert mit den Peeliten und mit den Ministern. Herr Milner Gibson, Deputirter von Manchester und Hauptfreetrader, provocirt im offnen Einverständniß mit Hume eine unmotivirte Debatte mit Lord Bentinck, die sich bis ein Viertel nach 10 Uhr Abends fortspinnt. Nun war es nach der Gewohnheit des Hauses zu spät, die von Hume gestellte Motion einzubringen. Herr Hume erklärt, daß er jetzt nach der Zahl der auf der Tagesordnung befindlichen Gegenstände erst den 20. Juni seine Motion einbringen könne.
So hat der schlaue Mann die Wahlreformfrage für einen ganzen Monat eskamotirt und in Wirklichkeit die Motion fallen gelassen.
Die Reformfrage ist für die Freetrader nämlich ein bloser Schein, wie das wohlfeile Brod und das hohe Salair, die durch die Abschaffung der Korngesetze den Arbeitern errungen werden sollten, Scheinbrod und Scheinsalair waren. Wie einst O'Connell und Konsorten in Irland die Repealfrage nur als Popanz benutzten, um das Gouvernement einzuschüchtern, so gedenken die Herren Freetrader die Wahlreform zu manipuliren, um die Ermäßigung der auf den industriellen Kapitalisten lastenden Steuern zu erzwingen. Cobden, Hume und seine Freunde haben nämlich den Forderungen der parlamentarischen Reform die Forderung „einer billigen Reduktion der Besteuerung“ hinzugemengt. Cobden und Compagnie wissen es recht wohl, daß ein nach den Prinzipien der Volks-Charte reformirtes Haus der Gemeinen, eine wirkliche Volksrepräsentation, die billige Regulirung der Steuern von selbst nach sich ziehen würden. Radikale Reform des Parlaments ist der kürzeste Weg zur Revision der Steuergesetzgebung. Aber es ist keineswegs eine „billige“ Besteuerung, wonach es diese Patrioten drängt. Die Lasten, die sie gegenwärtig drücken, wollen sie auf andere Schultern abwälzen, auf die Grund- und Geldrentner, oder auf die Schultern des Volks. Die Schultern, worauf diese Last fällt, sind ihnen natürlich gleich gerecht. Die Wahlreform ist nur die Peitsche um Regierung und Parlament zu dieser Steuerveränderung hinzujagen. Einmal die Steuerrevision erreicht, so würde ihr Reformgeschrei sofort verstummen. Da nun die Aristokratie, eher der Bourgeoisie jede Konzession als dem Volk seine Rechte zugestehen wird, so kann die Arbeiterklasse, schließt sie sich der Bewegung der Freetraders auf die gegebenen Bedingungen an, von vornherein entnehmen, daß man sie prellen wird, wie früher. Ihre „respektablen“ Freunde wollen sie benutzen und dann mit Füßen treten. Das Manoeuvre des Hrn. Hume in der Sitzung vom 22. Mai öffnete dem O'Connor die Augen. Er enthüllte den ganzen Feldzugsplan. Die Zurechtweisung, die Herr Cobden ihm darauf zukommen ließ, haben die deutschen Journale, die hier Reaktion witterten, als den Todesschlag O'Connor's dargestellt.
Und nun merken Sie auf, wie der große Cobden den O'Connor getödtet.
Zuerst erzählt Herr Cobden, er habe keinen Grund gegen O'Connor aufgebracht zu sein, denn nie habe ihm ein Mann mehr geschmeichelt. Das Parlament selbst war über diese Schamlosigkeit erstaunt. Die Schmeichelei bestand darin, daß O'Connor, der fünfzehn Jahre unermüdlich die Antikornlawleague und Cobden an deren Spitze bekämpft hatte, nach seiner Zusammenkunft mit Cobden in Northampton in dem ihm zugehörigen Chartistenblatt, dem Northernstar, erklärte, Herr Cobden scheine ihm ein persönlich gemäßigter und philantropischer Mann. Er werde ihn künftig schonender behandeln.
Und, fuhr Herr Cobden fort, jede Stadt Englands weiß zu erzählen von den Siegen, die ich in den Volksversammlungen über O'Connor davon getragen.
O'Connor erwidert hierauf, daß er nur zweimal mit Cobden zusammen getroffen, einmal in Malta, und einmal in Northampton, wo Cobden notorisch unterlegen sei.
Der Philantrop Cobden, auf einer augenscheinlichen Lüge ertappt, sucht sich herauszuwinden durch die neue Lüge, er habe nicht O'Connor selbst, sondern seine Helfershelfer, die Chartisten im Allgemeinen gemeint. Auf diese prunkende Versicherung antwortet einfach die Thatsache, daß die Anticornlawleaguer in den letzten zwei bis drei Jahren nur noch Ticket-meetings abzuhalten wagten, weil sie in allen öffentlichen Meetings von den Chartisten regelmäßig geschlagen wurden.
Endlich erklärt Herr Cobden die Chartisten für eine kleine, unbedeutende und machtlose Parthei, für eine in den kleinsten Umrissen organisirte Faktion. O'Connor antwortete darauf, indem er in ganz London Placate anheften ließ, worin er den Richard Cobden aufforderte, in Wakefield mit ihm auf den Sonntag zur öffentlichen Debatte zusammenzutreffen. Vor dem versammelten Volke werde es sich dann herausstellen, auf wessen Seite die „möglichst kleine Faktion“ sei. Herr Cobden hat sich weislich gehütet, die Einladung zu acceptiren.
Ich habe Ihnen über diesen Vorfall so ausführlich berichtet, zunächst um an einem Beispiel die alberne Schamlosigkeit nachzu
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