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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 14. Köln, 14. Juni 1848.

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Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No. 14. Köln, Mittwoch 14. Juni 1848.

Die "Neue Rheinische Zeitung" erscheint vom 1. Juni an täglich. Der Raum des Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis beträgt : Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.; für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September) geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt : Für Köln 2 Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und Buchhandlungen des In- und Auslandes; - für Köln in der Expedition der Zeitung bei Hrn. W. Clouth, St. Agatha 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden. Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. - Insertionsgebühren. Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.

Die Expedition der "Neuen Rheinischen Zeitung."

Uebersicht.

Deutschland. Köln (Berliner Debatten über die Revolution). Berlin (Stimmung in Berlin. - Die Berliner Arbeiter. - Neue preußische Zeitung. - Nachträgliches über den 9. Juni. - Arago gefeiert. - Die Clubs beschließen Steuerverweigerung. - Heerschau der Prinzen von Preußen über die Volkswache des Teltover Kreises. - Die Exminister zu Potsdam). Bielefeld (Reaktion. - Das Kösliner Manifest). Oberschlesien (Annehmlichkeit der Patrimonialgerichtsbarkeit und Polizei). Posen (fünftes Schreiben des Erzbischofs an das Berliner Cabinet. - Bekanntmachung Pfuels). Hamburg (Exceß).

Belgien. Brüssel (der Pauperismus).

Französische Republik. Paris (Angriff auf die Presse. - Die Republikaner. - Auflauf. - Nationalversammlung vom 10. Juni. -

Italien. Mailand (Rückzug der Oestreicher).

Großbritannien. London (Sir Robert Peel in der Debatte über die Schifffahrtsgesetze).

Deutschland.
** Köln, 13. Juni.

(Die Berliner Debatte über die Revolution.)

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
8Berlin, 10. Juni.

Das gottlose Volk! selbst vor den hohen Personen der Minister hat es keine Respekt mehr, ja es ist frech genug, sich an ihnen zu vergreifen. Gestern hatte sich aus leicht erklärlichen Gründen vor dem Sitzungsgebäude der Abgeordneten eine Masse Menschen gesammelt, um das Resultat der höchst wichtigen Verhandlung zu erfahren. - Minister Graf von Arnim verließ den Saal und mischte sich unter einen Volkshaufen, um die Gespräche der Leute zu behorchen. Man bat ihn, da man ihn für einen Abgeordneten hielt, um Auskunft über die Sitzung, durch welche Bitte jedoch der Herr Minister des Auswärtigen höchlich beleidigt, sich äußerte was denn die Leute hier wollten; ob es etwa Sonntag sei, sie möchten nach Hause gehen. Durch diese Aeußerung erbitterte er das Volk so, daß es auf ihn eindrang und ihn offenbar mißhandelt hätte, wenn nicht einige Studenten aus Mitleid sich seiner Person angenommen und ihn nach der Aula der Universität gebracht hätten, wohin eine Masse Menschen nachdrang. - Der Minister, dem der Schreck in alle Glieder gefahren war, dankte für seine Rettung aus den Händen einer verblendeten Volksmasse (Scharren), versicherte, er sei stets ein Freund der Freiheit gewesen (Gelächter), und habe als Student für ein deutsches Reich geschwärmt. Dies zeuge für seine echt liberale Gesinnung. - Ist das nicht prächtig? - Die Abgeordneten Behrends und Jung, die ebenfalls in die Aula gefolgt waren, sprachen ihr Bedauern über den Vorfall aus. Ein Redner warf in seinem servilen Eifer dem Volke Gemeinheit vor, was Student von Salis unter großem Beifall mit Entrüstung zurückwies. Der Minister war noch gegenwärtig und mußte mit anhören, wie das Volk, das ihn hatte züchtigen wollen, in Schutz genommen wurde. - Er dankte zum Schlusse nochmals, und da er seine Beschützer persönlich kennen zu lernen wünschte, so forderte er die ganze Versammlung auf, seine alle Dienstag geöffneten Salons zu besuchen. Ein angemessenes Stillschweigen war die Antwort auf diese kindische Kaptation. - Doch, glaube ich, werden sich trotz dem manche finden, die dem Herrn Grafen die Aufwartung machen. - Wie an allen Universitäten, so zeigt sich auch hier theilweise ein Servilismus, der den Beobachter an diesen jungen Leuten ganz irre machen könnte.

Während dies oben vorging, bemühten sich die Abg. von Breslau, Brill und Stein, das unten versammelte Volk zu beruhigen, was ihnen jedoch nicht ganz gelang, da auch dem Prediger Sydow von hier dasselbe widerfuhr, was dem Minister geschehen, wenn auch aus andern Gründen. Auch er flüchtete in die Universität.

*Berlin, 10. Juni.

Gestern Abend brachten mehrere Tausend Patrioten der Residenz Hrn. Arago vor dem Hotel de Rome, unter dem Jubelruf : vive la republique! und unter Absingung der Marsaillaise ein wohlorganisirtes herzliches Lebehoch. Der Gesang blieb etwas schwerfällig, was wohl theils daher kam, weil es an einer Instrumentalbegleitung fehlte. Einer deutete dies an. Ein Anderer, ein guter Berliner, erwiderte: "des macht man nischt; in Potsdam ärgerts doch." Arago trat unterdessen heraus, dankte sehr lebhaft und bedauerte, in seiner Stellung als Gesandter sich nicht so ausdrücken zu können, wie er es in der Heimath thun würde. Er nehme die Aufmerksamkeit nicht als seiner Person, sondern ganz Frankreich geltend entgegen; er dürfe versichern, daß seine Nation die wärmsten Sympathien gegen Deutschland hege etc. - Heute halten die Minister und Milde Konseil über Schutzmaßregeln. - In den Klubs wurde beschlossen, keine Steuern mehr zu zahlen, bis die Revolution mit allen ihren Konsequenzen von der Regierung anerkannt sei. - Die Durchgänge des tgl. Schlosses sollen mit starken Eisengittern, die bereits fertig sind, gesperrt werden, und zwar, um den "Schatz" zu sichern, und zugleich den Dienst der Bürgerwehr zu erleichtern. Hiergegen erhebt sich, namentlich auch von der Bürgerwehr selbst, die lebhafteste Opposition. - Bei Gelegenheit, als der Prinz von Preußen die Nationalversammlung besuchte, vertheilten zwei Herren von der Sing-Akademie Geld, um für den Prinzen von Preußen einige Hurrahs zu erhalten. Die Vertheiler wurden, wobei die Geschenkenehmer hülfreiche Hand leisteten, auf die Wache geschleppt, und es ergab sich, daß zwei in Civil verkleidete Offiziere aus Potsdam waren. - Der Prinz hatte sich bei seiner Ankunft in Potsdam die Illumination verbeten. Einige Offiziere, die dennoch dem Drange des Herzens folgten, und beleuchteten, büßten dafür die Fensterscheiben ein. - Morgen hält der Prinz von Preußen auf dem Babelsberge Heerschau über die Volkswehr des Teltower Kreises. Man hat den Bauern vorgespiegelt, die Metze Kartoffeln würde wieder 5 Sgr. (kostet jetzt nur 1 1/2 Sgr.) kommen, wenn der Prinz siegte. Was soll denn wohl erfochten werden? Die Herrschaft der Reaktion?

Barbes.

Ich setze den Fall, daß es eine der Republik feindliche Partei gibt, die Partei des Herzogs von Joinville oder die des Herzogs von Bordeaux; - nehmen wir weiter an, daß diese beiden Parteien an einem schönen Tag, an einem Tag des Aufruhrs und der "Mißverständnisse," wie wir in neuerer Zeit deren mehrere gesehen haben, sich vereinigen, und daß den Manifestationen dieser beiden noch andere Parteien sich ungesäumt zugesellen; - denn es gibt auch noch andere Parteien, es gibt da die Partei des Prinzen Louis, und in der Familie Louis-Philippe's können ebenfalls mehrere Prätendenten erstehen, die sich unter einander nicht in Einklang befinden. Zuerst Louis-Philippe, der noch am Leben ist, und sagen könnte, seine Abdankung habe keinen ernsthafteren Karakter als alle übrigen politischen Handlungen seines Lebens; ferner die Herzogin von Orleans und ihr Söhnlein, deren Interesse immer der Regentschaft des Herrn von Remours entgegengesetzt wäre; und endlich sehe ich nicht ein, warum die Herren von Montpensier und Aumale nicht auch ihre kleinen Anmaßungen und kleinen Parteien haben sollten. Da wir doch einmal mit Voraussetzungen im Zug sind, so kann das nichts verschlagen.

Nehmen wir also an, daß mitten in unserer fortschreitenden moralischen Anarchie alle diese Herren genug Kühnheit, genug Geld, genug Führer, und genug Gewandtheit besäßen, um die Bevölkerung von Paris aufzuregen, stm ihr zu versprechen, was man ihr immer verspricht und niemals hält, und was sie nicht aufhört zu hoffen, und daß endlich an einem heißen Tag voll Schwüle, Mißbehagen, Elend und übler Laune, eine aus diesen verschiedenen und heterogenen Elementen bestehende Emeute in die Nationalversammlung dringt, sie beleidigt und für gesprengt erklärt.

Um alles dies zu verwirklichen, bedarf es blos ein wenig mehr Scheu vor Arbeiten und Liebe zum Nichtsthun von Seiten der Nationalversammlung; ein wenig mehr Hinneigung zur Reaktion von Seiten der gemäßigten Republikaner, ein wenig mehr Elend, Unbehagen und Entmuthigung von Seiten des Volks, dessen große Masse zwar an diesem Verrath seiner Zukunft nicht Theil haben würde, aus dessen Schoos aber immer einige verirrte Haufen sich losreißen könnten. Und damit das volle Ungewitter von allen Enden des Himmels zusammenkäme, um sich über der völlig wehrlosen Nationalversammlung zu entladen, bedarf es blos einiger schlecht ertheilten, oder schlecht ausgeführten, oder schlecht aufgenommenen Befehle. Es bedarf weder der Verschwörung, des Verraths; es bedarf einzig, wie wir das gesehen haben, der Unordnung, des Zufalls und des Mißgeschicks auf einer oder der andern Seite.

Das Heiligthum der Nationalversammlung wird nie vor einem Handstreich gesichert sein, so lange man nicht eine Maßregel ergreift, welche einfach, ökonomisch, volksthümlich und gebieterisch ist. Diese Maßregel, welche wir heute in der Hoffnung, sie in 50 Jahren in Erwägung gezogen zu sehen, vorschlagen, besteht darin, daß man über den Eingang des Nationalpalastes die Worte schreiben möge: "Die Nationalversammlung hat keinen andern Schutz als die Gesetzlichkeit der Nation. Sie hat kein einziges Bajonett zwischen sich und dem Volke. - Aber die Nation erklärt jeden Bürger für infam, der diese Schwelle ohne Bevollmächtigung überschreitet."

Ohne grade zu großer Optimist und Romantiker zu sein, überrede ich mich, daß wenn an dem Morgen des beklagenswerthen 15. Mai als Schutzwache die vorgeschlagene Erklärung vor den Thüren der Nationalversammlung gestanden hätte, die Versammlung niemals ruhiger und würdevoller gewesen wäre.

Statt dessen aber, was sahen wir! einen militärischen Aufzug, als ob die Kosaken vor den Thoren von Paris gestanden hätten. Welche traurige Taktik! Die ganze Nationalgarde, noch dazu bis an die Zähne bewaffnet, auf den Beinen - wißt ihr, was das heißt? Das heißt zu einem Theil des Volkes sagen, daß man ihm mißtraut, daß man Furcht vor ihm hat, daß man ihn verantwortlich macht für die Frevel, an denen er noch nicht hat Theil nehmen wollen!

Indeß ich komme zurück zu meiner Voraussetzung. Sie besteht darin, daß sich das ganze Schauspiel mit neuen Personen wiederhole und daß diese Personen statt einer kühnen socialistischen Berechnung eine weit furchtbarere monarchische Berechnung zur Ausführung bringen wollten. Ich setze den Fall, daß die klügsten dieser Agitatoren Hrn. Marrast, Hrn. Buchez oder jeden andern der gemäßigten Republikaner, um die öffentliche Meinung zu bestechen, in die Arme nehmen und ihn mit guter oder böser Miene aufs Stadthaus führen, und daß sie dort ihre neue Regierung mit Zuziehung gewisser republikanischer Namen proklamiren, ohne welche ihnen der Erfolg ihrer monarchischen Usurpation unmöglich scheint. Würde sich Herr Marrast oder Herr Buchez weigern, Mitglied einer scheinbar republikanischen Regierung zu sein, wo Herr Odilon-Barrot und andere "provisorische" Uebergünge zwischen der Republik des "National" und der Republik der Regentschaft die Diktatur üben sollten?"

Wenn Marrast oder Buchez Augen hätte, um durch die Mauern des Stadthauses zu sehen, wenn er draußen die ihn drängenden aufrührerischen Gruppen sähe, wenn er sich Rechenschaft gäbe über Ohnmacht der Emeute, welche ihn hierher geführt hat, so würde er ohne allen Zweifel gegen einen tollen Versuch protestiren und zu den nunmehrigen "anarchischen Wühlern" sagen: "Ihr habt Unrecht gehabt, auf mich zu zählen. Ich gehöre zu den gemäßigten Heulern, es ist wahr; eine nichtsociale Republik wollte ich, aber ich wollte keine monarchische Republik. Laßt mich gehn, ich gehöre nicht zu den Euern."

Laßt aber zufällig ein oder zwei Stunden lang das Stadthaus in der Gewalt der Insurgenten sich befinden, laßt die Nationalgarde nicht dazu kommen, laßt in Marrast'd (oder Buchez'd) Augen das Volk der monarchischen Republik seine Unterstützung geben, was würde dann Herr Buchez (oder Herr Marrast) maßgeblicher Weise thun? Der eine wie der andere würde einen Augenblick verzweifeln, aber in der Verzweiflung einen kühnen Entschluß fassen und - zugreifen nach der Gewalt. (Schluß folgt.)

[Deutschland]
8Berlin, 11. Juni.

"Ueber unsere Barrikaden sind sie gestiegen auf ihre Polster und heute wollen sie Nichts von uns wissen!" "Wir haben die Barrikaden zu niedrig gebaut; sie konn-

Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No. 14. Köln, Mittwoch 14. Juni 1848.

Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Der Raum des Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis beträgt : Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.; für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September) geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt : Für Köln 2 Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und Buchhandlungen des In- und Auslandes; ‒ für Köln in der Expedition der Zeitung bei Hrn. W. Clouth, St. Agatha 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden. Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. ‒ Insertionsgebühren. Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.

Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“

Uebersicht.

Deutschland. Köln (Berliner Debatten über die Revolution). Berlin (Stimmung in Berlin. ‒ Die Berliner Arbeiter. ‒ Neue preußische Zeitung. ‒ Nachträgliches über den 9. Juni. ‒ Arago gefeiert. ‒ Die Clubs beschließen Steuerverweigerung. ‒ Heerschau der Prinzen von Preußen über die Volkswache des Teltover Kreises. ‒ Die Exminister zu Potsdam). Bielefeld (Reaktion. ‒ Das Kösliner Manifest). Oberschlesien (Annehmlichkeit der Patrimonialgerichtsbarkeit und Polizei). Posen (fünftes Schreiben des Erzbischofs an das Berliner Cabinet. ‒ Bekanntmachung Pfuels). Hamburg (Exceß).

Belgien. Brüssel (der Pauperismus).

Französische Republik. Paris (Angriff auf die Presse. ‒ Die Republikaner. ‒ Auflauf. ‒ Nationalversammlung vom 10. Juni. ‒

Italien. Mailand (Rückzug der Oestreicher).

Großbritannien. London (Sir Robert Peel in der Debatte über die Schifffahrtsgesetze).

Deutschland.
** Köln, 13. Juni.

(Die Berliner Debatte über die Revolution.)

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
8Berlin, 10. Juni.

Das gottlose Volk! selbst vor den hohen Personen der Minister hat es keine Respekt mehr, ja es ist frech genug, sich an ihnen zu vergreifen. Gestern hatte sich aus leicht erklärlichen Gründen vor dem Sitzungsgebäude der Abgeordneten eine Masse Menschen gesammelt, um das Resultat der höchst wichtigen Verhandlung zu erfahren. ‒ Minister Graf von Arnim verließ den Saal und mischte sich unter einen Volkshaufen, um die Gespräche der Leute zu behorchen. Man bat ihn, da man ihn für einen Abgeordneten hielt, um Auskunft über die Sitzung, durch welche Bitte jedoch der Herr Minister des Auswärtigen höchlich beleidigt, sich äußerte was denn die Leute hier wollten; ob es etwa Sonntag sei, sie möchten nach Hause gehen. Durch diese Aeußerung erbitterte er das Volk so, daß es auf ihn eindrang und ihn offenbar mißhandelt hätte, wenn nicht einige Studenten aus Mitleid sich seiner Person angenommen und ihn nach der Aula der Universität gebracht hätten, wohin eine Masse Menschen nachdrang. ‒ Der Minister, dem der Schreck in alle Glieder gefahren war, dankte für seine Rettung aus den Händen einer verblendeten Volksmasse (Scharren), versicherte, er sei stets ein Freund der Freiheit gewesen (Gelächter), und habe als Student für ein deutsches Reich geschwärmt. Dies zeuge für seine echt liberale Gesinnung. ‒ Ist das nicht prächtig? ‒ Die Abgeordneten Behrends und Jung, die ebenfalls in die Aula gefolgt waren, sprachen ihr Bedauern über den Vorfall aus. Ein Redner warf in seinem servilen Eifer dem Volke Gemeinheit vor, was Student von Salis unter großem Beifall mit Entrüstung zurückwies. Der Minister war noch gegenwärtig und mußte mit anhören, wie das Volk, das ihn hatte züchtigen wollen, in Schutz genommen wurde. ‒ Er dankte zum Schlusse nochmals, und da er seine Beschützer persönlich kennen zu lernen wünschte, so forderte er die ganze Versammlung auf, seine alle Dienstag geöffneten Salons zu besuchen. Ein angemessenes Stillschweigen war die Antwort auf diese kindische Kaptation. ‒ Doch, glaube ich, werden sich trotz dem manche finden, die dem Herrn Grafen die Aufwartung machen. ‒ Wie an allen Universitäten, so zeigt sich auch hier theilweise ein Servilismus, der den Beobachter an diesen jungen Leuten ganz irre machen könnte.

Während dies oben vorging, bemühten sich die Abg. von Breslau, Brill und Stein, das unten versammelte Volk zu beruhigen, was ihnen jedoch nicht ganz gelang, da auch dem Prediger Sydow von hier dasselbe widerfuhr, was dem Minister geschehen, wenn auch aus andern Gründen. Auch er flüchtete in die Universität.

*Berlin, 10. Juni.

Gestern Abend brachten mehrere Tausend Patrioten der Residenz Hrn. Arago vor dem Hotel de Rome, unter dem Jubelruf : vive la republique! und unter Absingung der Marsaillaise ein wohlorganisirtes herzliches Lebehoch. Der Gesang blieb etwas schwerfällig, was wohl theils daher kam, weil es an einer Instrumentalbegleitung fehlte. Einer deutete dies an. Ein Anderer, ein guter Berliner, erwiderte: „des macht man nischt; in Potsdam ärgerts doch.“ Arago trat unterdessen heraus, dankte sehr lebhaft und bedauerte, in seiner Stellung als Gesandter sich nicht so ausdrücken zu können, wie er es in der Heimath thun würde. Er nehme die Aufmerksamkeit nicht als seiner Person, sondern ganz Frankreich geltend entgegen; er dürfe versichern, daß seine Nation die wärmsten Sympathien gegen Deutschland hege etc. ‒ Heute halten die Minister und Milde Konseil über Schutzmaßregeln. ‒ In den Klubs wurde beschlossen, keine Steuern mehr zu zahlen, bis die Revolution mit allen ihren Konsequenzen von der Regierung anerkannt sei. ‒ Die Durchgänge des tgl. Schlosses sollen mit starken Eisengittern, die bereits fertig sind, gesperrt werden, und zwar, um den „Schatz“ zu sichern, und zugleich den Dienst der Bürgerwehr zu erleichtern. Hiergegen erhebt sich, namentlich auch von der Bürgerwehr selbst, die lebhafteste Opposition. ‒ Bei Gelegenheit, als der Prinz von Preußen die Nationalversammlung besuchte, vertheilten zwei Herren von der Sing-Akademie Geld, um für den Prinzen von Preußen einige Hurrahs zu erhalten. Die Vertheiler wurden, wobei die Geschenkenehmer hülfreiche Hand leisteten, auf die Wache geschleppt, und es ergab sich, daß zwei in Civil verkleidete Offiziere aus Potsdam waren. ‒ Der Prinz hatte sich bei seiner Ankunft in Potsdam die Illumination verbeten. Einige Offiziere, die dennoch dem Drange des Herzens folgten, und beleuchteten, büßten dafür die Fensterscheiben ein. ‒ Morgen hält der Prinz von Preußen auf dem Babelsberge Heerschau über die Volkswehr des Teltower Kreises. Man hat den Bauern vorgespiegelt, die Metze Kartoffeln würde wieder 5 Sgr. (kostet jetzt nur 1 1/2 Sgr.) kommen, wenn der Prinz siegte. Was soll denn wohl erfochten werden? Die Herrschaft der Reaktion?

Barbès.

Ich setze den Fall, daß es eine der Republik feindliche Partei gibt, die Partei des Herzogs von Joinville oder die des Herzogs von Bordeaux; ‒ nehmen wir weiter an, daß diese beiden Parteien an einem schönen Tag, an einem Tag des Aufruhrs und der „Mißverständnisse,“ wie wir in neuerer Zeit deren mehrere gesehen haben, sich vereinigen, und daß den Manifestationen dieser beiden noch andere Parteien sich ungesäumt zugesellen; ‒ denn es gibt auch noch andere Parteien, es gibt da die Partei des Prinzen Louis, und in der Familie Louis-Philippe's können ebenfalls mehrere Prätendenten erstehen, die sich unter einander nicht in Einklang befinden. Zuerst Louis-Philippe, der noch am Leben ist, und sagen könnte, seine Abdankung habe keinen ernsthafteren Karakter als alle übrigen politischen Handlungen seines Lebens; ferner die Herzogin von Orleans und ihr Söhnlein, deren Interesse immer der Regentschaft des Herrn von Remours entgegengesetzt wäre; und endlich sehe ich nicht ein, warum die Herren von Montpensier und Aumale nicht auch ihre kleinen Anmaßungen und kleinen Parteien haben sollten. Da wir doch einmal mit Voraussetzungen im Zug sind, so kann das nichts verschlagen.

Nehmen wir also an, daß mitten in unserer fortschreitenden moralischen Anarchie alle diese Herren genug Kühnheit, genug Geld, genug Führer, und genug Gewandtheit besäßen, um die Bevölkerung von Paris aufzuregen, stm ihr zu versprechen, was man ihr immer verspricht und niemals hält, und was sie nicht aufhört zu hoffen, und daß endlich an einem heißen Tag voll Schwüle, Mißbehagen, Elend und übler Laune, eine aus diesen verschiedenen und heterogenen Elementen bestehende Emeute in die Nationalversammlung dringt, sie beleidigt und für gesprengt erklärt.

Um alles dies zu verwirklichen, bedarf es blos ein wenig mehr Scheu vor Arbeiten und Liebe zum Nichtsthun von Seiten der Nationalversammlung; ein wenig mehr Hinneigung zur Reaktion von Seiten der gemäßigten Republikaner, ein wenig mehr Elend, Unbehagen und Entmuthigung von Seiten des Volks, dessen große Masse zwar an diesem Verrath seiner Zukunft nicht Theil haben würde, aus dessen Schoos aber immer einige verirrte Haufen sich losreißen könnten. Und damit das volle Ungewitter von allen Enden des Himmels zusammenkäme, um sich über der völlig wehrlosen Nationalversammlung zu entladen, bedarf es blos einiger schlecht ertheilten, oder schlecht ausgeführten, oder schlecht aufgenommenen Befehle. Es bedarf weder der Verschwörung, des Verraths; es bedarf einzig, wie wir das gesehen haben, der Unordnung, des Zufalls und des Mißgeschicks auf einer oder der andern Seite.

Das Heiligthum der Nationalversammlung wird nie vor einem Handstreich gesichert sein, so lange man nicht eine Maßregel ergreift, welche einfach, ökonomisch, volksthümlich und gebieterisch ist. Diese Maßregel, welche wir heute in der Hoffnung, sie in 50 Jahren in Erwägung gezogen zu sehen, vorschlagen, besteht darin, daß man über den Eingang des Nationalpalastes die Worte schreiben möge: „Die Nationalversammlung hat keinen andern Schutz als die Gesetzlichkeit der Nation. Sie hat kein einziges Bajonett zwischen sich und dem Volke. ‒ Aber die Nation erklärt jeden Bürger für infam, der diese Schwelle ohne Bevollmächtigung überschreitet.“

Ohne grade zu großer Optimist und Romantiker zu sein, überrede ich mich, daß wenn an dem Morgen des beklagenswerthen 15. Mai als Schutzwache die vorgeschlagene Erklärung vor den Thüren der Nationalversammlung gestanden hätte, die Versammlung niemals ruhiger und würdevoller gewesen wäre.

Statt dessen aber, was sahen wir! einen militärischen Aufzug, als ob die Kosaken vor den Thoren von Paris gestanden hätten. Welche traurige Taktik! Die ganze Nationalgarde, noch dazu bis an die Zähne bewaffnet, auf den Beinen ‒ wißt ihr, was das heißt? Das heißt zu einem Theil des Volkes sagen, daß man ihm mißtraut, daß man Furcht vor ihm hat, daß man ihn verantwortlich macht für die Frevel, an denen er noch nicht hat Theil nehmen wollen!

Indeß ich komme zurück zu meiner Voraussetzung. Sie besteht darin, daß sich das ganze Schauspiel mit neuen Personen wiederhole und daß diese Personen statt einer kühnen socialistischen Berechnung eine weit furchtbarere monarchische Berechnung zur Ausführung bringen wollten. Ich setze den Fall, daß die klügsten dieser Agitatoren Hrn. Marrast, Hrn. Buchez oder jeden andern der gemäßigten Republikaner, um die öffentliche Meinung zu bestechen, in die Arme nehmen und ihn mit guter oder böser Miene aufs Stadthaus führen, und daß sie dort ihre neue Regierung mit Zuziehung gewisser republikanischer Namen proklamiren, ohne welche ihnen der Erfolg ihrer monarchischen Usurpation unmöglich scheint. Würde sich Herr Marrast oder Herr Buchez weigern, Mitglied einer scheinbar republikanischen Regierung zu sein, wo Herr Odilon-Barrot und andere „provisorische“ Uebergünge zwischen der Republik des „National“ und der Republik der Regentschaft die Diktatur üben sollten?“

Wenn Marrast oder Buchez Augen hätte, um durch die Mauern des Stadthauses zu sehen, wenn er draußen die ihn drängenden aufrührerischen Gruppen sähe, wenn er sich Rechenschaft gäbe über Ohnmacht der Emeute, welche ihn hierher geführt hat, so würde er ohne allen Zweifel gegen einen tollen Versuch protestiren und zu den nunmehrigen „anarchischen Wühlern“ sagen: „Ihr habt Unrecht gehabt, auf mich zu zählen. Ich gehöre zu den gemäßigten Heulern, es ist wahr; eine nichtsociale Republik wollte ich, aber ich wollte keine monarchische Republik. Laßt mich gehn, ich gehöre nicht zu den Euern.“

Laßt aber zufällig ein oder zwei Stunden lang das Stadthaus in der Gewalt der Insurgenten sich befinden, laßt die Nationalgarde nicht dazu kommen, laßt in Marrast'd (oder Buchez'd) Augen das Volk der monarchischen Republik seine Unterstützung geben, was würde dann Herr Buchez (oder Herr Marrast) maßgeblicher Weise thun? Der eine wie der andere würde einen Augenblick verzweifeln, aber in der Verzweiflung einen kühnen Entschluß fassen und ‒ zugreifen nach der Gewalt. (Schluß folgt.)

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          <head><bibl><author>8</author></bibl><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 10.                         Juni.</head>
          <p>Das gottlose Volk! selbst vor den hohen Personen der Minister hat es keine                         Respekt mehr, ja es ist frech genug, sich an ihnen zu vergreifen. Gestern                         hatte sich aus leicht erklärlichen Gründen vor dem Sitzungsgebäude der                         Abgeordneten eine Masse Menschen gesammelt, um das Resultat der höchst                         wichtigen Verhandlung zu erfahren. &#x2012; Minister Graf von Arnim verließ den                         Saal und mischte sich unter einen Volkshaufen, um die Gespräche der Leute zu                         behorchen. Man bat ihn, da man ihn für einen Abgeordneten hielt, um Auskunft                         über die Sitzung, durch welche Bitte jedoch der Herr Minister des                         Auswärtigen höchlich beleidigt, sich äußerte was denn die Leute hier                         wollten; ob es etwa Sonntag sei, sie möchten nach Hause gehen. Durch diese                         Aeußerung erbitterte er das Volk so, daß es auf ihn eindrang und ihn                         offenbar mißhandelt hätte, wenn nicht einige Studenten aus Mitleid sich                         seiner Person angenommen und ihn nach der Aula der Universität gebracht                         hätten, wohin eine Masse Menschen nachdrang. &#x2012; Der Minister, dem der Schreck                         in alle Glieder gefahren war, dankte für seine Rettung aus den Händen einer <hi rendition="#g">verblendeten Volksmasse</hi> (Scharren), versicherte,                         er sei stets ein Freund der Freiheit gewesen (Gelächter), und habe als                         Student für ein deutsches Reich geschwärmt. Dies zeuge für seine echt                         liberale Gesinnung. &#x2012; Ist das nicht prächtig? &#x2012; Die Abgeordneten Behrends                         und Jung, die ebenfalls in die Aula gefolgt waren, sprachen ihr Bedauern                         über den Vorfall aus. Ein Redner warf in seinem servilen Eifer dem Volke <hi rendition="#g">Gemeinheit</hi> vor, was Student von Salis unter großem                         Beifall mit Entrüstung zurückwies. Der Minister war noch gegenwärtig und                         mußte mit anhören, wie das Volk, das ihn hatte züchtigen wollen, in Schutz                         genommen wurde. &#x2012; Er dankte zum Schlusse nochmals, und da er seine                         Beschützer persönlich kennen zu lernen wünschte, so forderte er die ganze                         Versammlung auf, seine alle Dienstag geöffneten Salons zu besuchen. Ein                         angemessenes Stillschweigen war die Antwort auf diese kindische Kaptation. &#x2012;                         Doch, glaube ich, werden sich trotz dem manche finden, die dem Herrn Grafen                         die Aufwartung machen. &#x2012; Wie an allen Universitäten, so zeigt sich auch hier                         theilweise ein Servilismus, der den Beobachter an diesen jungen Leuten ganz                         irre machen könnte.</p>
          <p>Während dies oben vorging, bemühten sich die Abg. von Breslau, Brill und                         Stein, das unten versammelte Volk zu beruhigen, was ihnen jedoch nicht ganz                         gelang, da auch dem Prediger Sydow von hier dasselbe widerfuhr, was dem                         Minister geschehen, wenn auch aus andern Gründen. Auch er flüchtete in die                         Universität.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar014_003" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 10.                         Juni.</head>
          <p>Gestern Abend brachten mehrere Tausend Patrioten der Residenz Hrn. <hi rendition="#g">Arago</hi> vor dem Hotel de Rome, unter dem Jubelruf :                         vive la republique! und unter Absingung der Marsaillaise ein                         wohlorganisirtes herzliches Lebehoch. Der Gesang blieb etwas schwerfällig,                         was wohl theils daher kam, weil es an einer Instrumentalbegleitung fehlte.                         Einer deutete dies an. Ein Anderer, ein guter Berliner, erwiderte: &#x201E;des                         macht man nischt; in Potsdam ärgerts doch.&#x201C; <hi rendition="#g">Arago</hi> trat unterdessen heraus, dankte sehr lebhaft und bedauerte, in seiner                         Stellung als Gesandter sich nicht so ausdrücken zu können, wie er es in der                         Heimath thun würde. Er nehme die Aufmerksamkeit nicht als seiner Person,                         sondern ganz Frankreich geltend entgegen; er dürfe versichern, daß seine                         Nation die wärmsten Sympathien gegen Deutschland hege etc. &#x2012; Heute halten                         die Minister und Milde Konseil über Schutzmaßregeln. &#x2012; In den Klubs wurde                         beschlossen, keine Steuern mehr zu zahlen, bis die Revolution mit allen                         ihren Konsequenzen von der Regierung anerkannt sei. &#x2012; Die Durchgänge des                         tgl. Schlosses sollen mit starken Eisengittern, die bereits fertig sind,                         gesperrt werden, und zwar, um den &#x201E;Schatz&#x201C; zu sichern, und zugleich den                         Dienst der Bürgerwehr zu erleichtern. Hiergegen erhebt sich, namentlich auch                         von der Bürgerwehr selbst, die lebhafteste Opposition. &#x2012; Bei Gelegenheit,                         als der Prinz von Preußen die Nationalversammlung besuchte, vertheilten zwei                         Herren von der Sing-Akademie Geld, um für den Prinzen von Preußen einige                         Hurrahs zu erhalten. Die Vertheiler wurden, wobei die Geschenkenehmer                         hülfreiche Hand leisteten, auf die Wache geschleppt, und es ergab sich, daß                         zwei in Civil verkleidete Offiziere aus Potsdam waren. &#x2012; Der Prinz hatte                         sich bei seiner Ankunft in Potsdam die Illumination verbeten. Einige                         Offiziere, die dennoch dem Drange des Herzens folgten, und beleuchteten,                         büßten dafür die Fensterscheiben ein. &#x2012; Morgen hält der Prinz von Preußen                         auf dem Babelsberge Heerschau über die Volkswehr des Teltower Kreises. Man                         hat den Bauern vorgespiegelt, die Metze Kartoffeln würde wieder 5 Sgr.                         (kostet jetzt nur 1 1/2 Sgr.) kommen, wenn der Prinz siegte. Was soll denn                         wohl erfochten werden? Die Herrschaft der Reaktion?</p>
        </div>
      </div>
      <div type="jFeuilleton" n="1">
        <div xml:id="ar014_004" type="jArticle">
          <head>Barbès.</head>
          <p>Ich setze den Fall, daß es eine der Republik feindliche Partei gibt, die                         Partei des Herzogs von Joinville oder die des Herzogs von Bordeaux; &#x2012; nehmen                         wir weiter an, daß diese beiden Parteien an einem schönen Tag, an einem Tag                         des Aufruhrs und der &#x201E;Mißverständnisse,&#x201C; wie wir in neuerer Zeit deren                         mehrere gesehen haben, sich vereinigen, und daß den Manifestationen dieser                         beiden noch andere Parteien sich ungesäumt zugesellen; &#x2012; denn es gibt auch                         noch andere Parteien, es gibt da die Partei des Prinzen Louis, und in der                         Familie Louis-Philippe's können ebenfalls mehrere Prätendenten erstehen, die                         sich unter einander nicht in Einklang befinden. Zuerst Louis-Philippe, der                         noch am Leben ist, und sagen könnte, seine Abdankung habe keinen                         ernsthafteren Karakter als alle übrigen politischen Handlungen seines                         Lebens; ferner die Herzogin von Orleans und ihr Söhnlein, deren Interesse                         immer der Regentschaft des Herrn von Remours entgegengesetzt wäre; und                         endlich sehe ich nicht ein, warum die Herren von Montpensier und Aumale                         nicht auch ihre kleinen Anmaßungen und kleinen Parteien haben sollten. Da                         wir doch einmal mit Voraussetzungen im Zug sind, so kann das nichts                         verschlagen.</p>
          <p>Nehmen wir also an, daß mitten in unserer fortschreitenden moralischen                         Anarchie alle diese Herren genug Kühnheit, genug Geld, genug Führer, und                         genug Gewandtheit besäßen, um die Bevölkerung von Paris aufzuregen, stm ihr                         zu versprechen, was man ihr immer verspricht und niemals hält, und was sie                         nicht aufhört zu hoffen, und daß endlich an einem heißen Tag voll Schwüle,                         Mißbehagen, Elend und übler Laune, eine aus diesen verschiedenen und                         heterogenen Elementen bestehende Emeute in die Nationalversammlung dringt,                         sie beleidigt und für gesprengt erklärt.</p>
          <p>Um alles dies zu verwirklichen, bedarf es blos ein wenig mehr Scheu vor                         Arbeiten und Liebe zum Nichtsthun von Seiten der Nationalversammlung; ein                         wenig mehr Hinneigung zur Reaktion von Seiten der gemäßigten Republikaner,                         ein wenig mehr Elend, Unbehagen und Entmuthigung von Seiten des Volks,                         dessen große Masse zwar an diesem Verrath seiner Zukunft nicht Theil haben                         würde, aus dessen Schoos aber immer einige verirrte Haufen sich losreißen                         könnten. Und damit das volle Ungewitter von allen Enden des Himmels                         zusammenkäme, um sich über der völlig wehrlosen Nationalversammlung zu                         entladen, bedarf es blos einiger schlecht ertheilten, oder schlecht                         ausgeführten, oder schlecht aufgenommenen Befehle. Es bedarf weder der                         Verschwörung, des Verraths; es bedarf einzig, wie wir das gesehen haben, der                         Unordnung, des Zufalls und des Mißgeschicks auf einer oder der andern                         Seite.</p>
          <p>Das Heiligthum der Nationalversammlung wird nie vor einem Handstreich                         gesichert sein, so lange man nicht eine Maßregel ergreift, welche einfach,                         ökonomisch, volksthümlich und gebieterisch ist. Diese Maßregel, welche wir                         heute in der Hoffnung, sie in 50 Jahren in Erwägung gezogen zu sehen,                         vorschlagen, besteht darin, daß man über den Eingang des Nationalpalastes                         die Worte schreiben möge: &#x201E;Die Nationalversammlung hat keinen andern Schutz                         als die Gesetzlichkeit der Nation. Sie hat kein einziges Bajonett zwischen                         sich und dem Volke. &#x2012; Aber die Nation erklärt jeden Bürger für infam, der                         diese Schwelle ohne Bevollmächtigung überschreitet.&#x201C;</p>
          <p>Ohne grade zu großer Optimist und Romantiker zu sein, überrede ich mich, daß                         wenn an dem Morgen des beklagenswerthen 15. Mai als Schutzwache die                         vorgeschlagene Erklärung vor den Thüren der Nationalversammlung gestanden                         hätte, die Versammlung niemals ruhiger und würdevoller gewesen wäre.</p>
          <p>Statt dessen aber, was sahen wir! einen militärischen Aufzug, als ob die                         Kosaken vor den Thoren von Paris gestanden hätten. Welche traurige Taktik!                         Die ganze Nationalgarde, noch dazu bis an die Zähne bewaffnet, auf den                         Beinen &#x2012; wißt ihr, was das heißt? Das heißt zu einem Theil des Volkes sagen,                         daß man ihm mißtraut, daß man Furcht vor ihm hat, daß man ihn verantwortlich                         macht für die Frevel, an denen er noch nicht hat Theil nehmen wollen!</p>
          <p>Indeß ich komme zurück zu meiner Voraussetzung. Sie besteht darin, daß sich                         das ganze Schauspiel mit neuen Personen wiederhole und daß diese Personen                         statt einer kühnen socialistischen Berechnung eine weit furchtbarere                         monarchische Berechnung zur Ausführung bringen wollten. Ich setze den Fall,                         daß die klügsten dieser Agitatoren Hrn. Marrast, Hrn. Buchez oder jeden                         andern der gemäßigten Republikaner, um die öffentliche Meinung zu bestechen,                         in die Arme nehmen und ihn mit guter oder böser Miene aufs Stadthaus führen,                         und daß sie dort ihre neue Regierung mit Zuziehung gewisser republikanischer                         Namen proklamiren, ohne welche ihnen der Erfolg ihrer monarchischen                         Usurpation unmöglich scheint. Würde sich Herr Marrast oder Herr Buchez                         weigern, Mitglied einer scheinbar republikanischen Regierung zu sein, wo                         Herr Odilon-Barrot und andere &#x201E;provisorische&#x201C; Uebergünge zwischen der                         Republik des &#x201E;National&#x201C; und der Republik der Regentschaft die Diktatur üben                         sollten?&#x201C;</p>
          <p>Wenn Marrast oder Buchez Augen hätte, um durch die Mauern des Stadthauses zu                         sehen, wenn er draußen die ihn drängenden aufrührerischen Gruppen sähe, wenn                         er sich Rechenschaft gäbe über Ohnmacht der Emeute, welche ihn hierher                         geführt hat, so würde er ohne allen Zweifel gegen einen tollen Versuch                         protestiren und zu den nunmehrigen &#x201E;anarchischen Wühlern&#x201C; sagen: &#x201E;Ihr habt                         Unrecht gehabt, auf mich zu zählen. Ich gehöre zu den gemäßigten Heulern, es                         ist wahr; eine nichtsociale Republik wollte ich, aber ich wollte keine                         monarchische Republik. Laßt mich gehn, ich gehöre nicht zu den Euern.&#x201C;</p>
          <p>Laßt aber zufällig ein oder zwei Stunden lang das Stadthaus in der Gewalt der                         Insurgenten sich befinden, laßt die Nationalgarde nicht dazu kommen, laßt in                         Marrast'd (oder Buchez'd) Augen das Volk der monarchischen Republik seine                         Unterstützung geben, was würde dann Herr Buchez (oder Herr Marrast)                         maßgeblicher Weise thun? Der eine wie der andere würde einen Augenblick                         verzweifeln, aber in der Verzweiflung einen kühnen Entschluß fassen und &#x2012;                         zugreifen nach der Gewalt. <ref type="link">(Schluß folgt.)</ref></p>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head>[Deutschland]</head>
        <div xml:id="ar014_005" type="jArticle">
          <head><bibl><author>8</author></bibl>Berlin, 11. Juni.</head>
          <p>&#x201E;Ueber <hi rendition="#g">unsere</hi> Barrikaden sind sie gestiegen auf ihre                         Polster und heute wollen sie Nichts von uns wissen!&#x201C; &#x201E;Wir haben die                         Barrikaden zu niedrig gebaut; sie konn-
</p>
        </div>
      </div>
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</TEI>
[0057/0001] Neue Rheinische Zeitung.Organ der Demokratie.No. 14. Köln, Mittwoch 14. Juni 1848. Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Der Raum des Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis beträgt : Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.; für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September) geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt : Für Köln 2 Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und Buchhandlungen des In- und Auslandes; ‒ für Köln in der Expedition der Zeitung bei Hrn. W. Clouth, St. Agatha 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden. Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. ‒ Insertionsgebühren. Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“ Uebersicht.Deutschland. Köln (Berliner Debatten über die Revolution). Berlin (Stimmung in Berlin. ‒ Die Berliner Arbeiter. ‒ Neue preußische Zeitung. ‒ Nachträgliches über den 9. Juni. ‒ Arago gefeiert. ‒ Die Clubs beschließen Steuerverweigerung. ‒ Heerschau der Prinzen von Preußen über die Volkswache des Teltover Kreises. ‒ Die Exminister zu Potsdam). Bielefeld (Reaktion. ‒ Das Kösliner Manifest). Oberschlesien (Annehmlichkeit der Patrimonialgerichtsbarkeit und Polizei). Posen (fünftes Schreiben des Erzbischofs an das Berliner Cabinet. ‒ Bekanntmachung Pfuels). Hamburg (Exceß). Belgien. Brüssel (der Pauperismus). Französische Republik. Paris (Angriff auf die Presse. ‒ Die Republikaner. ‒ Auflauf. ‒ Nationalversammlung vom 10. Juni. ‒ Italien. Mailand (Rückzug der Oestreicher). Großbritannien. London (Sir Robert Peel in der Debatte über die Schifffahrtsgesetze). Deutschland. ** Köln, 13. Juni. (Die Berliner Debatte über die Revolution.) _ 8Berlin, 10. Juni. Das gottlose Volk! selbst vor den hohen Personen der Minister hat es keine Respekt mehr, ja es ist frech genug, sich an ihnen zu vergreifen. Gestern hatte sich aus leicht erklärlichen Gründen vor dem Sitzungsgebäude der Abgeordneten eine Masse Menschen gesammelt, um das Resultat der höchst wichtigen Verhandlung zu erfahren. ‒ Minister Graf von Arnim verließ den Saal und mischte sich unter einen Volkshaufen, um die Gespräche der Leute zu behorchen. Man bat ihn, da man ihn für einen Abgeordneten hielt, um Auskunft über die Sitzung, durch welche Bitte jedoch der Herr Minister des Auswärtigen höchlich beleidigt, sich äußerte was denn die Leute hier wollten; ob es etwa Sonntag sei, sie möchten nach Hause gehen. Durch diese Aeußerung erbitterte er das Volk so, daß es auf ihn eindrang und ihn offenbar mißhandelt hätte, wenn nicht einige Studenten aus Mitleid sich seiner Person angenommen und ihn nach der Aula der Universität gebracht hätten, wohin eine Masse Menschen nachdrang. ‒ Der Minister, dem der Schreck in alle Glieder gefahren war, dankte für seine Rettung aus den Händen einer verblendeten Volksmasse (Scharren), versicherte, er sei stets ein Freund der Freiheit gewesen (Gelächter), und habe als Student für ein deutsches Reich geschwärmt. Dies zeuge für seine echt liberale Gesinnung. ‒ Ist das nicht prächtig? ‒ Die Abgeordneten Behrends und Jung, die ebenfalls in die Aula gefolgt waren, sprachen ihr Bedauern über den Vorfall aus. Ein Redner warf in seinem servilen Eifer dem Volke Gemeinheit vor, was Student von Salis unter großem Beifall mit Entrüstung zurückwies. Der Minister war noch gegenwärtig und mußte mit anhören, wie das Volk, das ihn hatte züchtigen wollen, in Schutz genommen wurde. ‒ Er dankte zum Schlusse nochmals, und da er seine Beschützer persönlich kennen zu lernen wünschte, so forderte er die ganze Versammlung auf, seine alle Dienstag geöffneten Salons zu besuchen. Ein angemessenes Stillschweigen war die Antwort auf diese kindische Kaptation. ‒ Doch, glaube ich, werden sich trotz dem manche finden, die dem Herrn Grafen die Aufwartung machen. ‒ Wie an allen Universitäten, so zeigt sich auch hier theilweise ein Servilismus, der den Beobachter an diesen jungen Leuten ganz irre machen könnte. Während dies oben vorging, bemühten sich die Abg. von Breslau, Brill und Stein, das unten versammelte Volk zu beruhigen, was ihnen jedoch nicht ganz gelang, da auch dem Prediger Sydow von hier dasselbe widerfuhr, was dem Minister geschehen, wenn auch aus andern Gründen. Auch er flüchtete in die Universität. *Berlin, 10. Juni. Gestern Abend brachten mehrere Tausend Patrioten der Residenz Hrn. Arago vor dem Hotel de Rome, unter dem Jubelruf : vive la republique! und unter Absingung der Marsaillaise ein wohlorganisirtes herzliches Lebehoch. Der Gesang blieb etwas schwerfällig, was wohl theils daher kam, weil es an einer Instrumentalbegleitung fehlte. Einer deutete dies an. Ein Anderer, ein guter Berliner, erwiderte: „des macht man nischt; in Potsdam ärgerts doch.“ Arago trat unterdessen heraus, dankte sehr lebhaft und bedauerte, in seiner Stellung als Gesandter sich nicht so ausdrücken zu können, wie er es in der Heimath thun würde. Er nehme die Aufmerksamkeit nicht als seiner Person, sondern ganz Frankreich geltend entgegen; er dürfe versichern, daß seine Nation die wärmsten Sympathien gegen Deutschland hege etc. ‒ Heute halten die Minister und Milde Konseil über Schutzmaßregeln. ‒ In den Klubs wurde beschlossen, keine Steuern mehr zu zahlen, bis die Revolution mit allen ihren Konsequenzen von der Regierung anerkannt sei. ‒ Die Durchgänge des tgl. Schlosses sollen mit starken Eisengittern, die bereits fertig sind, gesperrt werden, und zwar, um den „Schatz“ zu sichern, und zugleich den Dienst der Bürgerwehr zu erleichtern. Hiergegen erhebt sich, namentlich auch von der Bürgerwehr selbst, die lebhafteste Opposition. ‒ Bei Gelegenheit, als der Prinz von Preußen die Nationalversammlung besuchte, vertheilten zwei Herren von der Sing-Akademie Geld, um für den Prinzen von Preußen einige Hurrahs zu erhalten. Die Vertheiler wurden, wobei die Geschenkenehmer hülfreiche Hand leisteten, auf die Wache geschleppt, und es ergab sich, daß zwei in Civil verkleidete Offiziere aus Potsdam waren. ‒ Der Prinz hatte sich bei seiner Ankunft in Potsdam die Illumination verbeten. Einige Offiziere, die dennoch dem Drange des Herzens folgten, und beleuchteten, büßten dafür die Fensterscheiben ein. ‒ Morgen hält der Prinz von Preußen auf dem Babelsberge Heerschau über die Volkswehr des Teltower Kreises. Man hat den Bauern vorgespiegelt, die Metze Kartoffeln würde wieder 5 Sgr. (kostet jetzt nur 1 1/2 Sgr.) kommen, wenn der Prinz siegte. Was soll denn wohl erfochten werden? Die Herrschaft der Reaktion? Barbès. Ich setze den Fall, daß es eine der Republik feindliche Partei gibt, die Partei des Herzogs von Joinville oder die des Herzogs von Bordeaux; ‒ nehmen wir weiter an, daß diese beiden Parteien an einem schönen Tag, an einem Tag des Aufruhrs und der „Mißverständnisse,“ wie wir in neuerer Zeit deren mehrere gesehen haben, sich vereinigen, und daß den Manifestationen dieser beiden noch andere Parteien sich ungesäumt zugesellen; ‒ denn es gibt auch noch andere Parteien, es gibt da die Partei des Prinzen Louis, und in der Familie Louis-Philippe's können ebenfalls mehrere Prätendenten erstehen, die sich unter einander nicht in Einklang befinden. Zuerst Louis-Philippe, der noch am Leben ist, und sagen könnte, seine Abdankung habe keinen ernsthafteren Karakter als alle übrigen politischen Handlungen seines Lebens; ferner die Herzogin von Orleans und ihr Söhnlein, deren Interesse immer der Regentschaft des Herrn von Remours entgegengesetzt wäre; und endlich sehe ich nicht ein, warum die Herren von Montpensier und Aumale nicht auch ihre kleinen Anmaßungen und kleinen Parteien haben sollten. Da wir doch einmal mit Voraussetzungen im Zug sind, so kann das nichts verschlagen. Nehmen wir also an, daß mitten in unserer fortschreitenden moralischen Anarchie alle diese Herren genug Kühnheit, genug Geld, genug Führer, und genug Gewandtheit besäßen, um die Bevölkerung von Paris aufzuregen, stm ihr zu versprechen, was man ihr immer verspricht und niemals hält, und was sie nicht aufhört zu hoffen, und daß endlich an einem heißen Tag voll Schwüle, Mißbehagen, Elend und übler Laune, eine aus diesen verschiedenen und heterogenen Elementen bestehende Emeute in die Nationalversammlung dringt, sie beleidigt und für gesprengt erklärt. Um alles dies zu verwirklichen, bedarf es blos ein wenig mehr Scheu vor Arbeiten und Liebe zum Nichtsthun von Seiten der Nationalversammlung; ein wenig mehr Hinneigung zur Reaktion von Seiten der gemäßigten Republikaner, ein wenig mehr Elend, Unbehagen und Entmuthigung von Seiten des Volks, dessen große Masse zwar an diesem Verrath seiner Zukunft nicht Theil haben würde, aus dessen Schoos aber immer einige verirrte Haufen sich losreißen könnten. Und damit das volle Ungewitter von allen Enden des Himmels zusammenkäme, um sich über der völlig wehrlosen Nationalversammlung zu entladen, bedarf es blos einiger schlecht ertheilten, oder schlecht ausgeführten, oder schlecht aufgenommenen Befehle. Es bedarf weder der Verschwörung, des Verraths; es bedarf einzig, wie wir das gesehen haben, der Unordnung, des Zufalls und des Mißgeschicks auf einer oder der andern Seite. Das Heiligthum der Nationalversammlung wird nie vor einem Handstreich gesichert sein, so lange man nicht eine Maßregel ergreift, welche einfach, ökonomisch, volksthümlich und gebieterisch ist. Diese Maßregel, welche wir heute in der Hoffnung, sie in 50 Jahren in Erwägung gezogen zu sehen, vorschlagen, besteht darin, daß man über den Eingang des Nationalpalastes die Worte schreiben möge: „Die Nationalversammlung hat keinen andern Schutz als die Gesetzlichkeit der Nation. Sie hat kein einziges Bajonett zwischen sich und dem Volke. ‒ Aber die Nation erklärt jeden Bürger für infam, der diese Schwelle ohne Bevollmächtigung überschreitet.“ Ohne grade zu großer Optimist und Romantiker zu sein, überrede ich mich, daß wenn an dem Morgen des beklagenswerthen 15. Mai als Schutzwache die vorgeschlagene Erklärung vor den Thüren der Nationalversammlung gestanden hätte, die Versammlung niemals ruhiger und würdevoller gewesen wäre. Statt dessen aber, was sahen wir! einen militärischen Aufzug, als ob die Kosaken vor den Thoren von Paris gestanden hätten. Welche traurige Taktik! Die ganze Nationalgarde, noch dazu bis an die Zähne bewaffnet, auf den Beinen ‒ wißt ihr, was das heißt? Das heißt zu einem Theil des Volkes sagen, daß man ihm mißtraut, daß man Furcht vor ihm hat, daß man ihn verantwortlich macht für die Frevel, an denen er noch nicht hat Theil nehmen wollen! Indeß ich komme zurück zu meiner Voraussetzung. Sie besteht darin, daß sich das ganze Schauspiel mit neuen Personen wiederhole und daß diese Personen statt einer kühnen socialistischen Berechnung eine weit furchtbarere monarchische Berechnung zur Ausführung bringen wollten. Ich setze den Fall, daß die klügsten dieser Agitatoren Hrn. Marrast, Hrn. Buchez oder jeden andern der gemäßigten Republikaner, um die öffentliche Meinung zu bestechen, in die Arme nehmen und ihn mit guter oder böser Miene aufs Stadthaus führen, und daß sie dort ihre neue Regierung mit Zuziehung gewisser republikanischer Namen proklamiren, ohne welche ihnen der Erfolg ihrer monarchischen Usurpation unmöglich scheint. Würde sich Herr Marrast oder Herr Buchez weigern, Mitglied einer scheinbar republikanischen Regierung zu sein, wo Herr Odilon-Barrot und andere „provisorische“ Uebergünge zwischen der Republik des „National“ und der Republik der Regentschaft die Diktatur üben sollten?“ Wenn Marrast oder Buchez Augen hätte, um durch die Mauern des Stadthauses zu sehen, wenn er draußen die ihn drängenden aufrührerischen Gruppen sähe, wenn er sich Rechenschaft gäbe über Ohnmacht der Emeute, welche ihn hierher geführt hat, so würde er ohne allen Zweifel gegen einen tollen Versuch protestiren und zu den nunmehrigen „anarchischen Wühlern“ sagen: „Ihr habt Unrecht gehabt, auf mich zu zählen. Ich gehöre zu den gemäßigten Heulern, es ist wahr; eine nichtsociale Republik wollte ich, aber ich wollte keine monarchische Republik. Laßt mich gehn, ich gehöre nicht zu den Euern.“ Laßt aber zufällig ein oder zwei Stunden lang das Stadthaus in der Gewalt der Insurgenten sich befinden, laßt die Nationalgarde nicht dazu kommen, laßt in Marrast'd (oder Buchez'd) Augen das Volk der monarchischen Republik seine Unterstützung geben, was würde dann Herr Buchez (oder Herr Marrast) maßgeblicher Weise thun? Der eine wie der andere würde einen Augenblick verzweifeln, aber in der Verzweiflung einen kühnen Entschluß fassen und ‒ zugreifen nach der Gewalt. (Schluß folgt.) [Deutschland] 8Berlin, 11. Juni. „Ueber unsere Barrikaden sind sie gestiegen auf ihre Polster und heute wollen sie Nichts von uns wissen!“ „Wir haben die Barrikaden zu niedrig gebaut; sie konn-

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 14. Köln, 14. Juni 1848, S. 0057. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz014_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.