Neue Rheinische Zeitung. Nr. 35. Köln, 5. Juli 1848.d. stattfinden soll. Man sucht dadurch einen Vorwand, um den Truppen abermals die Stadt zur Plünderung zu überlassen. N. S. Eine aus Calabrien angelangte Estaffette meldet, daß Runziante bei Montollone vollständig geschlagen worden ist. Französische Republik.
16 Paris, 2. Juli. Die Haussuchungen dauern fort. Im Quartier des Luxemburg zählte man am gestrigen Tage allein zwölf. Man visitirte Küche, Abtritt, Betten, Schränke, Koffer. Ein Detaschement von 20 Infanteristen mit zwei modernen Polizeisergeanten (Wächter von Paris) und einem Gendarm postiren vor den Hausthüren neben einem Handwagen und Stunde nach Stunde rollt er schwerbelastet weiter. Verhaftungen sind an der Tagesordnung; in der Rue Notredame de Nazareth ist buchstäblich die Hälfte eines Hauses arretirt, vom Portier ab (der ein blindes Mädchen und eine kranke Frau hinterläßt, die von dem Hauptmiether des Hauses fortgejagt wird) durch alle vier Etagen bis zu den Dachstübchen. In den Faubourgs stehen kleinere Häuser ganz leer; auch Frauen müssen oft mit. - Auf der Straße halten die Nationalgarden in Uniform Wache bei ihren Almosenkisten, worauf: "für die armen Verwundeten" geschrieben ist; ich habe aber unendlich viel weniger Personen spenden gesehen, als im Februar. Oft hält die Wache Omnibus und Privatwagen an und bittet um Beiträge. - Die frechen Lügen des "Corsaire" fangen an in's Possierliche umzuschlagen: "in den Taschen der zum St. Louishospital gebrachten "Insurgenten habe man 150,000 Fr. entdeckt, und eine Kugel "sei ausgeschnitten worden, die in einem besondern Apparat Blau-"säure enthalte," wobei er die Kühnheit hat, den Namen des Arztes zu nennen. Wenn dies auch gerade nicht zum Todschießen war, so ist es wenigstens zum Todlachen. Glaublich dagegen ist die Anekdote von dem zerlumpten Gefangenen, der eine ziemliche Summe in der Blouse genäht trug und auf Befragen spöttisch antwortete: "damit wollte ich meinen Schneider bezahlen, ihr Herren Bourgeois." - Erzbischof Affre ist durch die Kugel eines Mobilen getödtet worden. Bekanntlich trugen ihn die St. Antoiner sogleich über die Barrikadenmauer, während das Gefecht plötzlich, man weiß nicht weßhalb, mit ungeheurer Hitze entbrannte und pflegten ihn auf's Beste; Aerzte und ein Pfarrer des Faubourg sind als Zeugen vorhanden. Der begleitende Vikar des Erzbischofs bekam mehrere Kugeln in die Sutane, und sein Dienstbote eine in den Fuß; wie denn überhaupt auf dem Bastillenplatz diese Ordnungsvertheidiger, vorher und nachher, mehrmals trotz Waffenstillständen eingestandenermaßen gefeuert haben. Die Julisäule hat keinen Schaden erlitten, obschon die Achtzehnpfünder und die Haubitzen mit glühenden Kugeln rüstig auf die drei Eckhäuser am Kanal, an der Rue Charonne und an der Rue St. Antoine losdonnerten. Ein Repräsentant hatte die Ehre, die rothe Fahne von der Säule herunterzureißen. Ich hatte Gelegenheit, zwei französische junge Damen zu sprechen, die, obschon dem Aufstand von ganzer Seele feind, dennoch über die anständige, fast chevalereske Weise der Insurgenten nicht Lob genug spenden konnten. Ein seltsamer Zufall hatte gewollt, daß sie am Samstag einen Haupttheil des insurgirten Paris zu Fuß zweimal durchwandern mußten. Bei einigen Dutzend Barrikaden angelangt, rief man ihnen zu, sie sollten sich bücken und die Kugeln sausten vorbei; danach halfen ihnen die Ouoriers hinüberklettern. Kein arges Wort, geschweige denn eine unziemliche Geberde; "laßt die Damen vorbei" schrie man sich zu, "gebt ihnen den Arm, wenn sie es wünschen," oder: "zeigt ihnen den besten Weg." Bourgeoisfrauen wollen freilich dergleichen Thatsachen nicht glauben; la blouse c'est une brute (die Blouse ist ein Vieh) sagte mir gestern ein junges Mädchen, vor deren Fenster ein müder Barrikadenmann umfiel. Die Umstände der Ermordung des Generals Brea und seines Adjudanten sind, so scheint es, jetzt am Tage; es herrschte auf der Barrikade an der Barriere Fontainebleau keine Disziplin, und während ein Weib den Ge neral mit ihrem Körper zu decken suchte und der Chef der Barrikade wüthend die Ungehorsamen zurecht wies, schoß ein junger Bursche von der Seite mit den Worten: "wartet, ich will unsern Herrn Chef ein Bischen ärgern" dem Adjudanten ins Gesicht, hierauf riß man den Gefangenen die Epauletten ab und tödtete beide. Die Thäter sind eingezogen; man hat die Epauletten und Degen in einem Hofraum verscharrt gefunden. Das ist ein ausnahmsweises Faktum. Paris, 2. Juli. Das Gesetz über die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten bestimmt im Prinzip, daß diese Wahlen von der Regierung unabhängig sind und nur von dem Munizipalrath ausgehn, unter der Bedingung, daß er aus seinem eignen Schooße wählt. Aber im ersten Paragraphen das Prinzip und in den folgenden die Anwendung des Prinzips. Sprechen und thun sind zweierlei und ihr Unterschied findet geräumigen Platz in den Paragraphen eines und desselben Gesetzes. Das Prinzip ist schon bornirt genug, indem es die Stadtwahlen zum Privilegium einer Korporation macht und wer kennt nicht den Geist der Korporationen! Aber die Anwendung zeigt erst die Falle des engen Prinzips. Die Anwendung, wie die Nationalversammlung vom 1. Juli sie dekretirt hat, verläuft sich dahin, daß die exekutive Gewalt die Bürgermeister und ihre Adjunkten ernennt. Das ist die Regel, die den ersten Paragraphen des Gesetzes nach die Ausnahme bilden mußte. Das Prinzip dagegen bildet in der Praxis die Ausnahme und zwar so, daß der Munizipalrath den Bürgermeister und seine Adjunkten ernennt nur in folgenden Fällen: 1) In den Kommunen, die weder Hauptkreis- noch Hauptdepartementssitze sind, 2) in denen, deren Bevölkerung nicht 6000 Seelen beträgt. Das heißt in andern Worten die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten hängt überall von dem Belieben der Regierung ab, mit Ausnahme der Orte, deren städtische Verwaltung der Regierung gleichgültig, wo sie also den respektiven Stadträthen die Einbildung kühn überlassen kann, ihre Stimmen in die Wagschaale der Schicksale der französischen Republik zu werfen. Aber im Abgrund des Brunnens, sagt Democrit, liegt die Wahrheit. Und die Wahrheit, die im Abgrund dieses Gesetzes liegt, ist die, daß die Partei Thiers Hrn. Marrast von seiner Stelle als Maire von Paris beseitigen wird, sobald Einfälle von Selbstständigkeit den Ritter von der "Phrase", den "Gentilhomme vom Tricolor", den "Ceremonienmeister der Republik" lästig machen würden. - Heute, Sonntag, weder Börse noch Nationalversammlung. Die Nationalversammlung hat am Schluß ihrer gestrigen Sitzung endlich entschieden: daß die Bürgermeister (Maires) und ihre Gehülfen (Adjoints) in allen Städten über 6000 Seelen von der Regierung gewählt werden sollen. Nur die Gemeinderäthe von Flecken unter dieser Seelenzahl können sich ihre Bürgermeister oder Schulzen selbstwählen. - Der Moniteur bringt die Ernennung des Generals Cavaignac, bisherigen Gouverneur von Algerien, zum Oberbefehlshaber der Bürgerwehr des Seinedepartements. Cavaignac hat die Tuilerien bereits bezogen. - Die Junirevolution kostete folgende Generäle: 1) Negrier, 2) Brea, 3) Francois, 4) Reynaud, 5) Bourgon. Verwundet liegen noch darnieder: 1) Korte, 2) Damesme, 3) Duvivier, 4) Foucher, 5) Bedeau, 6) Lafontaine, 7) der sogenannte Bürgergeneral Clement Thomas. General Lamoriciere wurde nicht getroffen, aber zwei Pferde wurden unter ihm erschossen. - Cavaignac will unter Foucher's Oberbefehl bei Versailles ein Lager von 30,000 Mann errichten. - Thore zeigt in der Reforme an, daß seine Vraie Republique fort erscheint, sobald der Belagerungsstand gehoben ist. - Proudhon's Blatt "le Representant" erklärt den sozialistischen Auswanderungsversuch Pierre Leroux's, Lagrange's und Proudhon's als die Erfindung eines müßigen Redakteurs der ehemaligen Epoque, der jetzt per Zeile bezahlt wird. - Goudchaux's erste Handlung als Finanzminister war gegen die Idee der Eisenbahn-Expropriation gerichtet. Zum nicht geringen Erstaunen eines großen Theils der Nationalversammlung ist das Duclerc'sche Projekt, das morgen zur Diskussion kommen sollte, von der Tagesordnung wie durch Zauber verschwunden. - Carnot, Minister des Unterrichts, hat der National-Versammlung den Plan vorgelegt, nach welchem das Volksschulwesen in Frankreich geschaffen oder umgeschaffen werden soll. Demselben liegt das ABC-Reglement der preußischen Monarchie zum Grunde. Die Kinder der armen Leute sollen, statt auf's Feld oder in die Fabrik, künftig in die Schule geschickt werden, wo man sie lesen, schreiben, etwas rechnen und vielleicht einige Bocksprünge lehren wird. Für diese Lappalie verlangt der Herr Minister jährlich die Bagatelle von 47,420,350 Franken. Das heißt man die glorreichen Versprechungen der Februar-Revolution erfüllen. Großbritannien.
London, 2. Juni. Schluß des Berichtes des Hrn. George Julian Harney, Redakteur des "Northern Star" an die "Neue Rheinische Zeitung". Die Mittelklasse sehnte sich nach Reformen. Es war, als ob ihr gleichzeitig einfiele, daß der Bewegung der alten Radikalen doch etwas Wahres zum Grunde liege und wenn sie sich bisher gefürchtet hatte, Hand in Hand mit der revolutionären Masse zu gehen, so suchte sie sich jetzt an die Spitze derselben zu stellen. Vergebens bemühte sich Hr. Hunt, seine Gewalt auf die Menge geltend zu machen; ein neues Geschlecht war inzwischen emporgewachsen und er hatte nicht mehr jenen Einfluß auf die Söhne, den er einst auf die Väter gehabt hatte. Mogte er noch so energisch den Ruf für Allgemeine Wahl erheben - die ganze "liberale" Presse heulte ihn zu Boden und irregeleitet von einer Menge glattzüngiger "Redner", die plötzlich auf der politischen Bühne erschienen, stimmte bald der ganze große Haufen der Arbeiter den Schrei für die Russell'sche Reform-Bill an, "für die Bill, die ganze Bill und für nichts als die Bill." Man bekam diese nur die Mittelklasse begünstigende Bill. In der That aber auch nichts weiteres an Reformen. Wohl aber manches an Grausamkeit und Tyrannei. Sobald sie zur Herrschaft gekommen war, änderte die Mittelklasse ihren Ton, ihr ganzes Benehmen. Unwillig stieß sie die Leiter zurück auf der sie emporgestiegen war, indem das erste unter der Reform-Bill gewählte Parlament Zwangsmaßregeln gegen Irland und Strafgesetze für die Armuth englischer Arbeiter passiren ließ. Außerdem denunzirte man die politischen Verbindungen der Proletarier und wandte Alles an um die sogenannten Trades-Unions, die Vereine der verschiedenen Gewerke, zu unterdrücken. Rathlos stand das Volk da. Burdett war zu den Tory's übergegangen, Cobbett starb und auch Hunt ging endlich den Weg alles Irdischen. Eine starke Agitation gegen das neue Armengesetz, in der sich namentlich Richard Oastler, der Vertheidiger der Fabrikkinder, auszeichnete, veranlaßte zunächst ein abermaliges Erheben der Massen. An ihrer Spitze sehen wir jetzt zuerst den Irländer Feargus O'Connor. In der Grafschaft Cork hatte man ihn für das "Reform"-Parlament gewählt; da er indeß nicht die nöthige Summe des Einkommens hatte, so mußte er auf seinen Sitz verzichten und warf sich nun in die Bewegung der Arbeiter, indem er nicht nur gegen das neue Armengesetz agitirte, sondern auch als Nachfolger Hunt's für die Sache der radikalen Reform auftrat. Die große Energie, welche er bei der Vertheidigung der wegen politischer Umtriebe angeklagten Dorchester-Arbeiter und der Glasgow-Baumwollspinner entwickelte, machte ihn bei der arbeitenden Klasse schnell bekannt und verschaffte ihm viele Anhänger. Sein Einfluß erlangte indeß erst ein entscheidendes Gewicht, als er im November 1837 den "Northern Star" gründete, jenes Journal, welches nun schon seit mehr als zehn Jahren die Demokratie und die sozialen und politischen Rechte des Volkes vertheidigt hat. Der "Northern Star" erschien zuerst in Leeds, dem Hauptorte der Grafschaft Yorkshire. Im November 1844 verlegte man das Blatt nach London. Freunde und Feinde erkennen es als das Organ der Chartistenbewegung an; sein Einfluß auf die arbeitende Klasse ist enorm. Die Partei der Chartisten, welche hinfort eine so bedeutende Rolle in der englischen Geschichte spielt, erhielt ihren Namen von der "Charter", von jenem Dokument, welches im Mai 1838 von einem Comite von sechs Männern der Arbeiter-Association und von eben so viel Parlamentsmitgliedern entworfen wurde. Unter letztern war auch Daniel O'Connell, jener unsterbliche "Humbug," jener größeste aller politischen Schwindler. Dieser Aufschneider unterschrieb die Charte mit dem Bemerken, daß sich Jeder dafür erklären werde, Schurken ausgenommen, die dabei interessirt wären ein schlechtes Staatssystem aufrecht zu erhalten und Narren, auf die weder Thatsachen noch Argumente Eindruck machen könnten. Wenige Monate nachher denunzirte indeß dieser Schuft die Chartisten und bot den Whigs "fünfmalhundertausend Tipperary Jungens" an, um damit der chartistischen Bewegung ein Ende zu machen. Bis zu seinem letzten Lebenstage verläumdete der unselige Mann die Chartisten in der niederträchtigsten Weise und rühmte sich sogar noch bei Gelegenheit der durch das Ministerium Peel gegen ihn erhobenen Untersuchung, mit der Heldenthat, sein meistes und bestes gethan zu haben, um die Unternehmungen der Chartisten zu vereiteln. Er gab dies als Beweis seiner Loyalität gegenüber dem britischen Gouvernement an! War er nicht ein unvergleichlicher Schuft? Und dennoch verehrten ihn zehn Tausende von Narren in seinem eigenen Lande. Befriedigend ist es indeß, wenn man bedenkt, daß er seine Popularität überlebte. Seiner betrogenen Schafe waren freilich zuletzt noch viele; gering war aber ihre Zahl in Vergleich mit der ersten Masse seiner Partei. Der alte Heuchler starb gerade zu rechter Zeit; hätte er ein wenig damit gewartet, so würde er es selbst noch mit erlebt haben, wie seine Macht gebrochen, seine Partei auseinandergejagt und seine Popularität so bald erloschen war. Die Charte vereinigte nur in parlamentarischer Form, was Fox, Grey, Erskine, Macintosh, Cartwright, Burdett, Hunt und andere so viele Jahre lang als die Prinzipien der Radikalreform vertheidigt hatten. Ihr Hauptpunkt ist die allgemeine Wahl, oder die Ausdehnung des Wahlrechtes auf einen Jeden, der 21 Jahre und darüber alt ist, Verbrecher und Verrückte ausgenommen. Ferner: Das Votiren durch Ballotage, oder geheimes Abstimmen. Drittens: Jährliche Parlamente oder jährliche Wahl der Volks-Repräsentanten. Viertens: Keine Eigenthumsqualifikation oder Zulassung aller für das Unterhaus durch die Majorität bestimmten Mitglieder, unabhängig von irgend einer Restriktion, wie sie jetzt besteht, wo Jeder (wirklich oder nur nominell) ein reines, durch Landbesitz vertretenes Einkommen von jährlich 300 Pfd. haben muß, wenn er einen Flecken, oder 500 Pfd., wenn er eine Grafschaft vertritt. Fünftens: Bezahlung der Parlamentsmitglieder, damit Unbemittelte die Wahl anzunehmen im Stande sind. Sechstens endlich: Gleiche Wahldistrikte, um der Ungleichheit des jetzigen Repräsentativsystems ein Ende zu machen, welches manchen Distrikten mit nicht mehr als 2 bis 300 Wählern erlaubt, dieselbe Anzahl Mitglieder ins Parlament zu senden, wie andern Gegenden welche mehrere Tausend Wähler zählen. Dies, mit den nöthigen Details, ist die Charte. Es wird hinreichen um zu zeigen, was Chartismus ist. Im Herbst 1838 wurde bei einem immensen Meeting in Birmingham eine "National-Petition" in Betreff der sechs Punkte der Charter angenommen. Andre Versammlungen folgten in London und in den Manufaktur-Distrikten Englands und Schottlands, welche zunächst "einen Konvent von Abgeordneten der arbeitenden Klasse" zum Resultat hatten, der in London im Februar 1839 zusammentrat und außer der Leitung der Agitation auch die Ueberreichung der von einer und einer viertel Million Unterschriften bedeckten Petition übernahm. Der "Konvent" war aus weit mehr zweifelhaften als ehrlichen Leuten zusammengesetzt; aus Leuten, die ein gutes Geschäft mit ihrer Popularität zu machen und nur von den Fonds der Verbindung zu leben suchten. Die Frage, ob man "moralische" oder "physische Gewalt" zur Durchsetzung der verschiedenen Pläne anwenden solle, verursachte stürmische Debatten. Die Agitation nahm ihren Fortgang, und den ganzen Sommer hindurch herrschte die größeste Aufregung im ganzen Lande. In Birmingham und an mehreren andern Orten fanden Emeuten statt, bei denen eine Menge Agitatoren verhaftet wurden. Der Konvent lößte sich indeß auf, und nur in Newport in Wales kam es unter Anführung John Frost's zum Treffen. Mehrere Chartisten wurden dabei erschossen; da der ganze Aufstand aber sehr schlecht vorbereitet war, so blieb er ohne entscheidenden Erfolg. Außer Frost wurden auch noch Williams und Jones als Haupträdelsführer verhaftet und zum Tode verurtheilt, später indeß in so weit begnadigt, als man die Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung nach van Diemeus Land verwandelte. Obgleich man an andern Orten mehrere Emeuten im Entstehen erstickte, so fuhr man doch mit Verhaftungen fort, und verurtheilte auch Feargus O'Connor wegen einiger Artikel des "Northern Star," zu 18 Monat Gefängniß in York Castle, von denen er 16 Monate absitzen mußte. So verfolgt und gequält von den Whigs, hießen die Chartisten die endlich herankommenden Wahlen von 1841 auf's freudigste willkommen, indem sie sich überall zusammenrotteten und die Whigs zu strafen, den Tories so sehr in ihrem Kampfe halfen, daß erstere das Feld räumen mußten und Sir Robert Peel siegreich auf den Schild erhoben wurde. Unter seiner Verwaltung hatte 1842 jener große "Turn-out", jene Arbeitseinstellung der Fabrikproletarier, statt, welche für einen Augenblick alle gesellschaftlichen Einrichtungen Englands wahrhaft mit dem Untergang bedrohte; die Chartisten hatten diese Revolte nicht hervorgerufen; - sie wurden aber verantwortlich dafür gemacht, indem man neun und fünfzig ihrer Führer arretirte; darunter O'Connor, William Hill, Dr. M'. Donall, Leach, Beesley, West u. s. w.; ich selbst gehörte ebenfalls zu den Verhafteten. Die Vertheidigung der Gefangenen schadete indeß den Verfolgern so sehr, daß auf das Verdikt gegen die Chartisten nie eine Strafe folgte. Auf's Neue aufgehalten, nahm die Agitation nichts destoweniger ihren Fortgang, und im Frühjahr 1842 brachte man abermals eine Petition in Betreff der Charter vor das Unterhaus, einen Akt mit drei Millionen Unterschriften. Natürlich wurde er wieder voll Verachtung entgegengenommen. Eine Verbindung der Whigs mit den betrogenen Protektionisten brachte dann Sir Robert Peel zum Sturz, und die Whigs von Neuem in's Amt. Sie versprachen, gemäßigte aber fortschreitende Reformer zu sein, und heuchelten große Sympathieen für Irland, indem sie jeden Versuch, dieses unglückliche Land durch Zwangsmaßregeln zu regieren, für falsch und infam erklärten. - - Jedermann weiß, was sie seitdem gethan haben! In Juli-August 1847 geschahen die letzten großen Wahlen, die ein Parlament aus Whigs, Protektionisten, heuchlerischen Radikalen und andern bis zu einem gewissen Punkte ehrlichen und entschiedenen Leuten, welche wohl die Prinzipien der Charter, aber nicht ihren Namen adoptiren, und jener von den Chartisten verabscheuten Partei der Freihandelsmänner dienstbar sind, zum Resultate hatten. Einige Ultra-Chartisten traten ebenfalls bei dieser Gelegenheit als Kandidaten auf; unter ihnen Feargus O'Connor in Nottingham, Philipp M' Grath in Derby, Ernest Jones in Halifax, Thomas Clark in Sheffield, John West in Stockport, Samuel Kydd in Greenwich, John M' Crae in Greenock, ich selbst in Tiverton. Feargus O'Connor siegte vollkommen und wurde gewählt, indem er seine beiden Konkurrenten, Sir John Cam Hobhouse, ein reiches Mitglied des Whig-Ministeriums und Gisborne, einen Whig von vielem lokalen Einfluß aus dem Felde schlug. Dies war ein wahrer Triumph für die Chartisten. Andere, wie Jones, Clark, Mc. Grath, obgleich sie bei der offiziellen Abstimmung durchfielen, hatten nichtsdestoweniger eine große Anzahl Votirender für sich. Ich selbst, indem ich Lord Palmerston zum Kampfe herausforderte, that es mit keiner Hoffnung auf Erfolg, sondern blos, um einmal die Heucheleien der Whigs an's Licht heraufzuzerren. Alle chartistischen Kandidaten wurden indeß bei der, dem offiziellen Votiren vorhergehenden Abstimmung, durch Aufheben der Hände gewählt, was den deutlichsten Beweis giebt, welches Resultat erfolgt sein würde, wenn alle Erwachsenen auch das Recht der offiziellen Abstimmung ausüben dürften. Schließen wir hiermit. Ich habe versucht, Ihnen mit wenigen Strichen das Bild von wenigstens sechszig, achtzig Jahren zu zeichnen. Was Wunder, wenn da meine Darstellung hin und wieder nicht klar und verständlich genug ist! Ich suchte Ihnen jene Bewegung zu schildern, die in den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts ihren Anfang nimmt, und sich unaufhaltsam fortentwickelt hat bis zur heutigen Stunde. Hob ich nur das politische Moment derselben hervor, so geschah es einzig und allein, weil es unmöglich ist, in so wenigen Worten eine Kette von Ereignissen auch nach der interessanteren, nach der sozialen Seite hin zu beleuchten. Wie jede politische Bewegung, so entwickelte sich auch die englische zu gleicher Zeit mit einer totalen Umgestaltung der meisten gesellschaftlichen Zustände. Das Aufhören der alten Gilden vernichtet das Verhältniß, indem der ganze Handwerkerstand mit Meistern und Gesellen bisher der Gesellschaft gegenüberstand. Ein patriarchalisches Zusammenwirken ändert sich zu einem feindlichen Gegenüberstehen der Arbeitgebenden und der Arbeiter, und zu einem Konkurriren der Arbeiter untereinander. Eine entschiedenere Umwälzung bringen indeß die großen Erfindungen der achtziger Jahre mit sich. Der Anfang der modernen Industrie ist ein Schlag, der tausend Verhältnisse über den Haufen wirft. Massen von Menschen, die bisher handarbeitend eine große Strecke Landes und einzelne zerstreut bewohnten, werden aus ihren Schlupfwinkeln emporgejagt, um zusammengedrängt in neuen, wie im Fluge entstandenen Städten, die Sklaven derselben Maschine zu werden, welche sie im Kampfe der Konkurrenz zu Boden rang. Zu dem Lumpenproletariate, mit dem sich England seit den Zeiten der Elisabeth durch eine jährliche Armentaxe abzufinden suchte, gesellt sich das industrielle Proletariat, dessen Werth mit dem Werthe der Fabrikate von der Nachfrage und Zufuhr abhängt, und hin- und hergewürfelt von allen Konsequenzen der industriellen Entwicklung, bald jene kolossale revolutionäre Masse bildet, welche sich endlich erhebt um auf dem Wege politischer Umwälzungen eine Besserung ihrer sozialen Lage durchzusetzen. Abwechselnd unter dem Einfluß der radikalen Aristokratie und d. stattfinden soll. Man sucht dadurch einen Vorwand, um den Truppen abermals die Stadt zur Plünderung zu überlassen. N. S. Eine aus Calabrien angelangte Estaffette meldet, daß Runziante bei Montollone vollständig geschlagen worden ist. Französische Republik.
16 Paris, 2. Juli. Die Haussuchungen dauern fort. Im Quartier des Luxemburg zählte man am gestrigen Tage allein zwölf. Man visitirte Küche, Abtritt, Betten, Schränke, Koffer. Ein Detaschement von 20 Infanteristen mit zwei modernen Polizeisergeanten (Wächter von Paris) und einem Gendarm postiren vor den Hausthüren neben einem Handwagen und Stunde nach Stunde rollt er schwerbelastet weiter. Verhaftungen sind an der Tagesordnung; in der Rue Notredame de Nazareth ist buchstäblich die Hälfte eines Hauses arretirt, vom Portier ab (der ein blindes Mädchen und eine kranke Frau hinterläßt, die von dem Hauptmiether des Hauses fortgejagt wird) durch alle vier Etagen bis zu den Dachstübchen. In den Faubourgs stehen kleinere Häuser ganz leer; auch Frauen müssen oft mit. ‒ Auf der Straße halten die Nationalgarden in Uniform Wache bei ihren Almosenkisten, worauf: „für die armen Verwundeten“ geschrieben ist; ich habe aber unendlich viel weniger Personen spenden gesehen, als im Februar. Oft hält die Wache Omnibus und Privatwagen an und bittet um Beiträge. ‒ Die frechen Lügen des „Corsaire“ fangen an in's Possierliche umzuschlagen: „in den Taschen der zum St. Louishospital gebrachten „Insurgenten habe man 150,000 Fr. entdeckt, und eine Kugel „sei ausgeschnitten worden, die in einem besondern Apparat Blau-„säure enthalte,“ wobei er die Kühnheit hat, den Namen des Arztes zu nennen. Wenn dies auch gerade nicht zum Todschießen war, so ist es wenigstens zum Todlachen. Glaublich dagegen ist die Anekdote von dem zerlumpten Gefangenen, der eine ziemliche Summe in der Blouse genäht trug und auf Befragen spöttisch antwortete: „damit wollte ich meinen Schneider bezahlen, ihr Herren Bourgeois.“ ‒ Erzbischof Affre ist durch die Kugel eines Mobilen getödtet worden. Bekanntlich trugen ihn die St. Antoiner sogleich über die Barrikadenmauer, während das Gefecht plötzlich, man weiß nicht weßhalb, mit ungeheurer Hitze entbrannte und pflegten ihn auf's Beste; Aerzte und ein Pfarrer des Faubourg sind als Zeugen vorhanden. Der begleitende Vikar des Erzbischofs bekam mehrere Kugeln in die Sutane, und sein Dienstbote eine in den Fuß; wie denn überhaupt auf dem Bastillenplatz diese Ordnungsvertheidiger, vorher und nachher, mehrmals trotz Waffenstillständen eingestandenermaßen gefeuert haben. Die Julisäule hat keinen Schaden erlitten, obschon die Achtzehnpfünder und die Haubitzen mit glühenden Kugeln rüstig auf die drei Eckhäuser am Kanal, an der Rue Charonne und an der Rue St. Antoine losdonnerten. Ein Repräsentant hatte die Ehre, die rothe Fahne von der Säule herunterzureißen. Ich hatte Gelegenheit, zwei französische junge Damen zu sprechen, die, obschon dem Aufstand von ganzer Seele feind, dennoch über die anständige, fast chevalereske Weise der Insurgenten nicht Lob genug spenden konnten. Ein seltsamer Zufall hatte gewollt, daß sie am Samstag einen Haupttheil des insurgirten Paris zu Fuß zweimal durchwandern mußten. Bei einigen Dutzend Barrikaden angelangt, rief man ihnen zu, sie sollten sich bücken und die Kugeln sausten vorbei; danach halfen ihnen die Ouoriers hinüberklettern. Kein arges Wort, geschweige denn eine unziemliche Geberde; „laßt die Damen vorbei“ schrie man sich zu, „gebt ihnen den Arm, wenn sie es wünschen,“ oder: „zeigt ihnen den besten Weg.“ Bourgeoisfrauen wollen freilich dergleichen Thatsachen nicht glauben; la blouse c'est une brute (die Blouse ist ein Vieh) sagte mir gestern ein junges Mädchen, vor deren Fenster ein müder Barrikadenmann umfiel. Die Umstände der Ermordung des Generals Bréa und seines Adjudanten sind, so scheint es, jetzt am Tage; es herrschte auf der Barrikade an der Barriere Fontainebleau keine Disziplin, und während ein Weib den Ge neral mit ihrem Körper zu decken suchte und der Chef der Barrikade wüthend die Ungehorsamen zurecht wies, schoß ein junger Bursche von der Seite mit den Worten: „wartet, ich will unsern Herrn Chef ein Bischen ärgern“ dem Adjudanten ins Gesicht, hierauf riß man den Gefangenen die Epauletten ab und tödtete beide. Die Thäter sind eingezogen; man hat die Epauletten und Degen in einem Hofraum verscharrt gefunden. Das ist ein ausnahmsweises Faktum. Paris, 2. Juli. Das Gesetz über die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten bestimmt im Prinzip, daß diese Wahlen von der Regierung unabhängig sind und nur von dem Munizipalrath ausgehn, unter der Bedingung, daß er aus seinem eignen Schooße wählt. Aber im ersten Paragraphen das Prinzip und in den folgenden die Anwendung des Prinzips. Sprechen und thun sind zweierlei und ihr Unterschied findet geräumigen Platz in den Paragraphen eines und desselben Gesetzes. Das Prinzip ist schon bornirt genug, indem es die Stadtwahlen zum Privilegium einer Korporation macht und wer kennt nicht den Geist der Korporationen! Aber die Anwendung zeigt erst die Falle des engen Prinzips. Die Anwendung, wie die Nationalversammlung vom 1. Juli sie dekretirt hat, verläuft sich dahin, daß die exekutive Gewalt die Bürgermeister und ihre Adjunkten ernennt. Das ist die Regel, die den ersten Paragraphen des Gesetzes nach die Ausnahme bilden mußte. Das Prinzip dagegen bildet in der Praxis die Ausnahme und zwar so, daß der Munizipalrath den Bürgermeister und seine Adjunkten ernennt nur in folgenden Fällen: 1) In den Kommunen, die weder Hauptkreis- noch Hauptdepartementssitze sind, 2) in denen, deren Bevölkerung nicht 6000 Seelen beträgt. Das heißt in andern Worten die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten hängt überall von dem Belieben der Regierung ab, mit Ausnahme der Orte, deren städtische Verwaltung der Regierung gleichgültig, wo sie also den respektiven Stadträthen die Einbildung kühn überlassen kann, ihre Stimmen in die Wagschaale der Schicksale der französischen Republik zu werfen. Aber im Abgrund des Brunnens, sagt Democrit, liegt die Wahrheit. Und die Wahrheit, die im Abgrund dieses Gesetzes liegt, ist die, daß die Partei Thiers Hrn. Marrast von seiner Stelle als Maire von Paris beseitigen wird, sobald Einfälle von Selbstständigkeit den Ritter von der „Phrase“, den „Gentilhomme vom Tricolor“, den „Ceremonienmeister der Republik“ lästig machen würden. ‒ Heute, Sonntag, weder Börse noch Nationalversammlung. Die Nationalversammlung hat am Schluß ihrer gestrigen Sitzung endlich entschieden: daß die Bürgermeister (Maires) und ihre Gehülfen (Adjoints) in allen Städten über 6000 Seelen von der Regierung gewählt werden sollen. Nur die Gemeinderäthe von Flecken unter dieser Seelenzahl können sich ihre Bürgermeister oder Schulzen selbstwählen. ‒ Der Moniteur bringt die Ernennung des Generals Cavaignac, bisherigen Gouverneur von Algerien, zum Oberbefehlshaber der Bürgerwehr des Seinedepartements. Cavaignac hat die Tuilerien bereits bezogen. ‒ Die Junirevolution kostete folgende Generäle: 1) Negrier, 2) Brea, 3) François, 4) Reynaud, 5) Bourgon. Verwundet liegen noch darnieder: 1) Korte, 2) Damesme, 3) Duvivier, 4) Foucher, 5) Bedeau, 6) Lafontaine, 7) der sogenannte Bürgergeneral Clement Thomas. General Lamoricière wurde nicht getroffen, aber zwei Pferde wurden unter ihm erschossen. ‒ Cavaignac will unter Foucher's Oberbefehl bei Versailles ein Lager von 30,000 Mann errichten. ‒ Thoré zeigt in der Reforme an, daß seine Vraie Republique fort erscheint, sobald der Belagerungsstand gehoben ist. ‒ Proudhon's Blatt „le Représentant“ erklärt den sozialistischen Auswanderungsversuch Pierre Leroux's, Lagrange's und Proudhon's als die Erfindung eines müßigen Redakteurs der ehemaligen Epoque, der jetzt per Zeile bezahlt wird. ‒ Goudchaux's erste Handlung als Finanzminister war gegen die Idee der Eisenbahn-Expropriation gerichtet. Zum nicht geringen Erstaunen eines großen Theils der Nationalversammlung ist das Duclerc'sche Projekt, das morgen zur Diskussion kommen sollte, von der Tagesordnung wie durch Zauber verschwunden. ‒ Carnot, Minister des Unterrichts, hat der National-Versammlung den Plan vorgelegt, nach welchem das Volksschulwesen in Frankreich geschaffen oder umgeschaffen werden soll. Demselben liegt das ABC-Reglement der preußischen Monarchie zum Grunde. Die Kinder der armen Leute sollen, statt auf's Feld oder in die Fabrik, künftig in die Schule geschickt werden, wo man sie lesen, schreiben, etwas rechnen und vielleicht einige Bocksprünge lehren wird. Für diese Lappalie verlangt der Herr Minister jährlich die Bagatelle von 47,420,350 Franken. Das heißt man die glorreichen Versprechungen der Februar-Revolution erfüllen. Großbritannien.
London, 2. Juni. Schluß des Berichtes des Hrn. George Julian Harney, Redakteur des „Northern Star“ an die „Neue Rheinische Zeitung“. Die Mittelklasse sehnte sich nach Reformen. Es war, als ob ihr gleichzeitig einfiele, daß der Bewegung der alten Radikalen doch etwas Wahres zum Grunde liege und wenn sie sich bisher gefürchtet hatte, Hand in Hand mit der revolutionären Masse zu gehen, so suchte sie sich jetzt an die Spitze derselben zu stellen. Vergebens bemühte sich Hr. Hunt, seine Gewalt auf die Menge geltend zu machen; ein neues Geschlecht war inzwischen emporgewachsen und er hatte nicht mehr jenen Einfluß auf die Söhne, den er einst auf die Väter gehabt hatte. Mogte er noch so energisch den Ruf für Allgemeine Wahl erheben ‒ die ganze „liberale“ Presse heulte ihn zu Boden und irregeleitet von einer Menge glattzüngiger „Redner“, die plötzlich auf der politischen Bühne erschienen, stimmte bald der ganze große Haufen der Arbeiter den Schrei für die Russell'sche Reform-Bill an, „für die Bill, die ganze Bill und für nichts als die Bill.“ Man bekam diese nur die Mittelklasse begünstigende Bill. In der That aber auch nichts weiteres an Reformen. Wohl aber manches an Grausamkeit und Tyrannei. Sobald sie zur Herrschaft gekommen war, änderte die Mittelklasse ihren Ton, ihr ganzes Benehmen. Unwillig stieß sie die Leiter zurück auf der sie emporgestiegen war, indem das erste unter der Reform-Bill gewählte Parlament Zwangsmaßregeln gegen Irland und Strafgesetze für die Armuth englischer Arbeiter passiren ließ. Außerdem denunzirte man die politischen Verbindungen der Proletarier und wandte Alles an um die sogenannten Trades-Unions, die Vereine der verschiedenen Gewerke, zu unterdrücken. Rathlos stand das Volk da. Burdett war zu den Tory's übergegangen, Cobbett starb und auch Hunt ging endlich den Weg alles Irdischen. Eine starke Agitation gegen das neue Armengesetz, in der sich namentlich Richard Oastler, der Vertheidiger der Fabrikkinder, auszeichnete, veranlaßte zunächst ein abermaliges Erheben der Massen. An ihrer Spitze sehen wir jetzt zuerst den Irländer Feargus O'Connor. In der Grafschaft Cork hatte man ihn für das „Reform“-Parlament gewählt; da er indeß nicht die nöthige Summe des Einkommens hatte, so mußte er auf seinen Sitz verzichten und warf sich nun in die Bewegung der Arbeiter, indem er nicht nur gegen das neue Armengesetz agitirte, sondern auch als Nachfolger Hunt's für die Sache der radikalen Reform auftrat. Die große Energie, welche er bei der Vertheidigung der wegen politischer Umtriebe angeklagten Dorchester-Arbeiter und der Glasgow-Baumwollspinner entwickelte, machte ihn bei der arbeitenden Klasse schnell bekannt und verschaffte ihm viele Anhänger. Sein Einfluß erlangte indeß erst ein entscheidendes Gewicht, als er im November 1837 den „Northern Star“ gründete, jenes Journal, welches nun schon seit mehr als zehn Jahren die Demokratie und die sozialen und politischen Rechte des Volkes vertheidigt hat. Der „Northern Star“ erschien zuerst in Leeds, dem Hauptorte der Grafschaft Yorkshire. Im November 1844 verlegte man das Blatt nach London. Freunde und Feinde erkennen es als das Organ der Chartistenbewegung an; sein Einfluß auf die arbeitende Klasse ist enorm. Die Partei der Chartisten, welche hinfort eine so bedeutende Rolle in der englischen Geschichte spielt, erhielt ihren Namen von der „Charter“, von jenem Dokument, welches im Mai 1838 von einem Comité von sechs Männern der Arbeiter-Association und von eben so viel Parlamentsmitgliedern entworfen wurde. Unter letztern war auch Daniel O'Connell, jener unsterbliche „Humbug,“ jener größeste aller politischen Schwindler. Dieser Aufschneider unterschrieb die Charte mit dem Bemerken, daß sich Jeder dafür erklären werde, Schurken ausgenommen, die dabei interessirt wären ein schlechtes Staatssystem aufrecht zu erhalten und Narren, auf die weder Thatsachen noch Argumente Eindruck machen könnten. Wenige Monate nachher denunzirte indeß dieser Schuft die Chartisten und bot den Whigs „fünfmalhundertausend Tipperary Jungens“ an, um damit der chartistischen Bewegung ein Ende zu machen. Bis zu seinem letzten Lebenstage verläumdete der unselige Mann die Chartisten in der niederträchtigsten Weise und rühmte sich sogar noch bei Gelegenheit der durch das Ministerium Peel gegen ihn erhobenen Untersuchung, mit der Heldenthat, sein meistes und bestes gethan zu haben, um die Unternehmungen der Chartisten zu vereiteln. Er gab dies als Beweis seiner Loyalität gegenüber dem britischen Gouvernement an! War er nicht ein unvergleichlicher Schuft? Und dennoch verehrten ihn zehn Tausende von Narren in seinem eigenen Lande. Befriedigend ist es indeß, wenn man bedenkt, daß er seine Popularität überlebte. Seiner betrogenen Schafe waren freilich zuletzt noch viele; gering war aber ihre Zahl in Vergleich mit der ersten Masse seiner Partei. Der alte Heuchler starb gerade zu rechter Zeit; hätte er ein wenig damit gewartet, so würde er es selbst noch mit erlebt haben, wie seine Macht gebrochen, seine Partei auseinandergejagt und seine Popularität so bald erloschen war. Die Charte vereinigte nur in parlamentarischer Form, was Fox, Grey, Erskine, Macintosh, Cartwright, Burdett, Hunt und andere so viele Jahre lang als die Prinzipien der Radikalreform vertheidigt hatten. Ihr Hauptpunkt ist die allgemeine Wahl, oder die Ausdehnung des Wahlrechtes auf einen Jeden, der 21 Jahre und darüber alt ist, Verbrecher und Verrückte ausgenommen. Ferner: Das Votiren durch Ballotage, oder geheimes Abstimmen. Drittens: Jährliche Parlamente oder jährliche Wahl der Volks-Repräsentanten. Viertens: Keine Eigenthumsqualifikation oder Zulassung aller für das Unterhaus durch die Majorität bestimmten Mitglieder, unabhängig von irgend einer Restriktion, wie sie jetzt besteht, wo Jeder (wirklich oder nur nominell) ein reines, durch Landbesitz vertretenes Einkommen von jährlich 300 Pfd. haben muß, wenn er einen Flecken, oder 500 Pfd., wenn er eine Grafschaft vertritt. Fünftens: Bezahlung der Parlamentsmitglieder, damit Unbemittelte die Wahl anzunehmen im Stande sind. Sechstens endlich: Gleiche Wahldistrikte, um der Ungleichheit des jetzigen Repräsentativsystems ein Ende zu machen, welches manchen Distrikten mit nicht mehr als 2 bis 300 Wählern erlaubt, dieselbe Anzahl Mitglieder ins Parlament zu senden, wie andern Gegenden welche mehrere Tausend Wähler zählen. Dies, mit den nöthigen Details, ist die Charte. Es wird hinreichen um zu zeigen, was Chartismus ist. Im Herbst 1838 wurde bei einem immensen Meeting in Birmingham eine „National-Petition“ in Betreff der sechs Punkte der Charter angenommen. Andre Versammlungen folgten in London und in den Manufaktur-Distrikten Englands und Schottlands, welche zunächst „einen Konvent von Abgeordneten der arbeitenden Klasse“ zum Resultat hatten, der in London im Februar 1839 zusammentrat und außer der Leitung der Agitation auch die Ueberreichung der von einer und einer viertel Million Unterschriften bedeckten Petition übernahm. Der „Konvent“ war aus weit mehr zweifelhaften als ehrlichen Leuten zusammengesetzt; aus Leuten, die ein gutes Geschäft mit ihrer Popularität zu machen und nur von den Fonds der Verbindung zu leben suchten. Die Frage, ob man „moralische“ oder „physische Gewalt“ zur Durchsetzung der verschiedenen Pläne anwenden solle, verursachte stürmische Debatten. Die Agitation nahm ihren Fortgang, und den ganzen Sommer hindurch herrschte die größeste Aufregung im ganzen Lande. In Birmingham und an mehreren andern Orten fanden Emeuten statt, bei denen eine Menge Agitatoren verhaftet wurden. Der Konvent lößte sich indeß auf, und nur in Newport in Wales kam es unter Anführung John Frost's zum Treffen. Mehrere Chartisten wurden dabei erschossen; da der ganze Aufstand aber sehr schlecht vorbereitet war, so blieb er ohne entscheidenden Erfolg. Außer Frost wurden auch noch Williams und Jones als Haupträdelsführer verhaftet und zum Tode verurtheilt, später indeß in so weit begnadigt, als man die Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung nach van Diemeus Land verwandelte. Obgleich man an andern Orten mehrere Emeuten im Entstehen erstickte, so fuhr man doch mit Verhaftungen fort, und verurtheilte auch Feargus O'Connor wegen einiger Artikel des „Northern Star,“ zu 18 Monat Gefängniß in York Castle, von denen er 16 Monate absitzen mußte. So verfolgt und gequält von den Whigs, hießen die Chartisten die endlich herankommenden Wahlen von 1841 auf's freudigste willkommen, indem sie sich überall zusammenrotteten und die Whigs zu strafen, den Tories so sehr in ihrem Kampfe halfen, daß erstere das Feld räumen mußten und Sir Robert Peel siegreich auf den Schild erhoben wurde. Unter seiner Verwaltung hatte 1842 jener große „Turn-out“, jene Arbeitseinstellung der Fabrikproletarier, statt, welche für einen Augenblick alle gesellschaftlichen Einrichtungen Englands wahrhaft mit dem Untergang bedrohte; die Chartisten hatten diese Revolte nicht hervorgerufen; ‒ sie wurden aber verantwortlich dafür gemacht, indem man neun und fünfzig ihrer Führer arretirte; darunter O'Connor, William Hill, Dr. M'. Donall, Leach, Beesley, West u. s. w.; ich selbst gehörte ebenfalls zu den Verhafteten. Die Vertheidigung der Gefangenen schadete indeß den Verfolgern so sehr, daß auf das Verdikt gegen die Chartisten nie eine Strafe folgte. Auf's Neue aufgehalten, nahm die Agitation nichts destoweniger ihren Fortgang, und im Frühjahr 1842 brachte man abermals eine Petition in Betreff der Charter vor das Unterhaus, einen Akt mit drei Millionen Unterschriften. Natürlich wurde er wieder voll Verachtung entgegengenommen. Eine Verbindung der Whigs mit den betrogenen Protektionisten brachte dann Sir Robert Peel zum Sturz, und die Whigs von Neuem in's Amt. Sie versprachen, gemäßigte aber fortschreitende Reformer zu sein, und heuchelten große Sympathieen für Irland, indem sie jeden Versuch, dieses unglückliche Land durch Zwangsmaßregeln zu regieren, für falsch und infam erklärten. ‒ ‒ Jedermann weiß, was sie seitdem gethan haben! In Juli-August 1847 geschahen die letzten großen Wahlen, die ein Parlament aus Whigs, Protektionisten, heuchlerischen Radikalen und andern bis zu einem gewissen Punkte ehrlichen und entschiedenen Leuten, welche wohl die Prinzipien der Charter, aber nicht ihren Namen adoptiren, und jener von den Chartisten verabscheuten Partei der Freihandelsmänner dienstbar sind, zum Resultate hatten. Einige Ultra-Chartisten traten ebenfalls bei dieser Gelegenheit als Kandidaten auf; unter ihnen Feargus O'Connor in Nottingham, Philipp M' Grath in Derby, Ernest Jones in Halifax, Thomas Clark in Sheffield, John West in Stockport, Samuel Kydd in Greenwich, John M' Crae in Greenock, ich selbst in Tiverton. Feargus O'Connor siegte vollkommen und wurde gewählt, indem er seine beiden Konkurrenten, Sir John Cam Hobhouse, ein reiches Mitglied des Whig-Ministeriums und Gisborne, einen Whig von vielem lokalen Einfluß aus dem Felde schlug. Dies war ein wahrer Triumph für die Chartisten. Andere, wie Jones, Clark, Mc. Grath, obgleich sie bei der offiziellen Abstimmung durchfielen, hatten nichtsdestoweniger eine große Anzahl Votirender für sich. Ich selbst, indem ich Lord Palmerston zum Kampfe herausforderte, that es mit keiner Hoffnung auf Erfolg, sondern blos, um einmal die Heucheleien der Whigs an's Licht heraufzuzerren. Alle chartistischen Kandidaten wurden indeß bei der, dem offiziellen Votiren vorhergehenden Abstimmung, durch Aufheben der Hände gewählt, was den deutlichsten Beweis giebt, welches Resultat erfolgt sein würde, wenn alle Erwachsenen auch das Recht der offiziellen Abstimmung ausüben dürften. Schließen wir hiermit. Ich habe versucht, Ihnen mit wenigen Strichen das Bild von wenigstens sechszig, achtzig Jahren zu zeichnen. Was Wunder, wenn da meine Darstellung hin und wieder nicht klar und verständlich genug ist! Ich suchte Ihnen jene Bewegung zu schildern, die in den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts ihren Anfang nimmt, und sich unaufhaltsam fortentwickelt hat bis zur heutigen Stunde. Hob ich nur das politische Moment derselben hervor, so geschah es einzig und allein, weil es unmöglich ist, in so wenigen Worten eine Kette von Ereignissen auch nach der interessanteren, nach der sozialen Seite hin zu beleuchten. Wie jede politische Bewegung, so entwickelte sich auch die englische zu gleicher Zeit mit einer totalen Umgestaltung der meisten gesellschaftlichen Zustände. Das Aufhören der alten Gilden vernichtet das Verhältniß, indem der ganze Handwerkerstand mit Meistern und Gesellen bisher der Gesellschaft gegenüberstand. Ein patriarchalisches Zusammenwirken ändert sich zu einem feindlichen Gegenüberstehen der Arbeitgebenden und der Arbeiter, und zu einem Konkurriren der Arbeiter untereinander. Eine entschiedenere Umwälzung bringen indeß die großen Erfindungen der achtziger Jahre mit sich. Der Anfang der modernen Industrie ist ein Schlag, der tausend Verhältnisse über den Haufen wirft. Massen von Menschen, die bisher handarbeitend eine große Strecke Landes und einzelne zerstreut bewohnten, werden aus ihren Schlupfwinkeln emporgejagt, um zusammengedrängt in neuen, wie im Fluge entstandenen Städten, die Sklaven derselben Maschine zu werden, welche sie im Kampfe der Konkurrenz zu Boden rang. Zu dem Lumpenproletariate, mit dem sich England seit den Zeiten der Elisabeth durch eine jährliche Armentaxe abzufinden suchte, gesellt sich das industrielle Proletariat, dessen Werth mit dem Werthe der Fabrikate von der Nachfrage und Zufuhr abhängt, und hin- und hergewürfelt von allen Konsequenzen der industriellen Entwicklung, bald jene kolossale revolutionäre Masse bildet, welche sich endlich erhebt um auf dem Wege politischer Umwälzungen eine Besserung ihrer sozialen Lage durchzusetzen. Abwechselnd unter dem Einfluß der radikalen Aristokratie und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="ar035_016" type="jArticle"> <p><pb facs="#f0003" n="0175"/> d. stattfinden soll. Man sucht dadurch einen Vorwand, um den Truppen abermals die Stadt zur Plünderung zu überlassen.</p> <p>N. S. Eine aus Calabrien angelangte Estaffette meldet, daß Runziante bei Montollone vollständig geschlagen worden ist.</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Französische Republik.</head> <div xml:id="ar035_017" type="jArticle"> <head><bibl><author>16</author></bibl> Paris, 2. Juli.</head> <p>Die Haussuchungen dauern fort. Im Quartier des Luxemburg zählte man am gestrigen Tage allein zwölf. Man visitirte Küche, Abtritt, Betten, Schränke, Koffer. Ein Detaschement von 20 Infanteristen mit zwei modernen Polizeisergeanten (Wächter von Paris) und einem Gendarm postiren vor den Hausthüren neben einem Handwagen und Stunde nach Stunde rollt er schwerbelastet weiter.</p> <p>Verhaftungen sind an der Tagesordnung; in der Rue Notredame de Nazareth ist buchstäblich die Hälfte eines Hauses arretirt, vom Portier ab (der ein blindes Mädchen und eine kranke Frau hinterläßt, die von dem Hauptmiether des Hauses fortgejagt wird) durch alle vier Etagen bis zu den Dachstübchen. In den Faubourgs stehen kleinere Häuser ganz leer; auch Frauen müssen oft mit. ‒ Auf der Straße halten die Nationalgarden in Uniform Wache bei ihren Almosenkisten, worauf: „für die armen Verwundeten“ geschrieben ist; ich habe aber unendlich viel weniger Personen spenden gesehen, als im Februar. Oft hält die Wache Omnibus und Privatwagen an und bittet um Beiträge. ‒ Die frechen Lügen des „Corsaire“ fangen an in's Possierliche umzuschlagen: „in den Taschen der zum St. Louishospital gebrachten „Insurgenten habe man 150,000 Fr. entdeckt, und eine Kugel „sei ausgeschnitten worden, die in einem besondern Apparat Blau-„säure enthalte,“ wobei er die Kühnheit hat, den Namen des Arztes zu nennen. Wenn dies auch gerade nicht zum Todschießen war, so ist es wenigstens zum Todlachen. Glaublich dagegen ist die Anekdote von dem zerlumpten Gefangenen, der eine ziemliche Summe in der Blouse genäht trug und auf Befragen spöttisch antwortete: „damit wollte ich meinen Schneider bezahlen, ihr Herren Bourgeois.“ ‒ Erzbischof Affre ist durch die Kugel eines Mobilen getödtet worden. Bekanntlich trugen ihn die St. Antoiner sogleich über die Barrikadenmauer, während das Gefecht plötzlich, man weiß nicht weßhalb, mit ungeheurer Hitze entbrannte und pflegten ihn auf's Beste; Aerzte und ein Pfarrer des Faubourg sind als Zeugen vorhanden. Der begleitende Vikar des Erzbischofs bekam mehrere Kugeln in die Sutane, und sein Dienstbote eine in den Fuß; wie denn überhaupt auf dem Bastillenplatz diese Ordnungsvertheidiger, vorher und nachher, mehrmals trotz Waffenstillständen eingestandenermaßen gefeuert haben.</p> <p>Die Julisäule hat keinen Schaden erlitten, obschon die Achtzehnpfünder und die Haubitzen mit glühenden Kugeln rüstig auf die drei Eckhäuser am Kanal, an der Rue Charonne und an der Rue St. Antoine losdonnerten. Ein Repräsentant hatte die Ehre, die rothe Fahne von der Säule herunterzureißen.</p> <p>Ich hatte Gelegenheit, zwei französische junge Damen zu sprechen, die, obschon dem Aufstand von ganzer Seele feind, dennoch über die anständige, fast chevalereske Weise der Insurgenten nicht Lob genug spenden konnten. Ein seltsamer Zufall hatte gewollt, daß sie am Samstag einen Haupttheil des insurgirten Paris zu Fuß zweimal durchwandern mußten. Bei einigen Dutzend Barrikaden angelangt, rief man ihnen zu, sie sollten sich bücken und die Kugeln sausten vorbei; danach halfen ihnen die Ouoriers hinüberklettern. Kein arges Wort, geschweige denn eine unziemliche Geberde; „laßt die Damen vorbei“ schrie man sich zu, „gebt ihnen den Arm, wenn sie es wünschen,“ oder: „zeigt ihnen den besten Weg.“ Bourgeoisfrauen wollen freilich dergleichen Thatsachen nicht glauben; la blouse c'est une brute (die Blouse ist ein Vieh) sagte mir gestern ein junges Mädchen, vor deren Fenster ein müder Barrikadenmann umfiel. Die Umstände der Ermordung des Generals Bréa und seines Adjudanten sind, so scheint es, jetzt am Tage; es herrschte auf der Barrikade an der Barriere Fontainebleau keine Disziplin, und während ein Weib den Ge neral mit ihrem Körper zu decken suchte und der Chef der Barrikade wüthend die Ungehorsamen zurecht wies, schoß ein junger Bursche von der Seite mit den Worten: „wartet, ich will unsern Herrn Chef ein Bischen ärgern“ dem Adjudanten ins Gesicht, hierauf riß man den Gefangenen die Epauletten ab und tödtete beide. Die Thäter sind eingezogen; man hat die Epauletten und Degen in einem Hofraum verscharrt gefunden. Das ist ein ausnahmsweises Faktum.</p> </div> <div xml:id="ar035_018" type="jArticle"> <head>Paris, 2. Juli.</head> <p>Das Gesetz über die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten bestimmt im <hi rendition="#g">Prinzip,</hi> daß diese Wahlen von der Regierung unabhängig sind und nur von dem Munizipalrath ausgehn, unter der Bedingung, daß er aus seinem eignen Schooße wählt. Aber im ersten Paragraphen das <hi rendition="#g">Prinzip</hi> und in den folgenden die <hi rendition="#g">Anwendung des Prinzips.</hi> Sprechen und thun sind zweierlei und ihr Unterschied findet geräumigen Platz in den Paragraphen eines und desselben Gesetzes. Das <hi rendition="#g">Prinzip</hi> ist schon bornirt genug, indem es die Stadtwahlen zum Privilegium einer Korporation macht und wer kennt nicht den Geist der Korporationen! Aber die <hi rendition="#g">Anwendung</hi> zeigt erst die Falle des engen Prinzips. Die Anwendung, wie die Nationalversammlung vom 1. Juli sie dekretirt hat, verläuft sich dahin, daß die exekutive Gewalt die Bürgermeister und ihre Adjunkten ernennt. Das ist <hi rendition="#g">die Regel,</hi> die den ersten Paragraphen des Gesetzes nach die Ausnahme bilden mußte. Das <hi rendition="#g">Prinzip</hi> dagegen bildet in der Praxis die Ausnahme und zwar so, daß der Munizipalrath den Bürgermeister und seine Adjunkten ernennt nur in folgenden Fällen: 1) In den Kommunen, die weder Hauptkreis- noch Hauptdepartementssitze sind, 2) in denen, deren Bevölkerung nicht 6000 Seelen beträgt. Das heißt in andern Worten die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten hängt überall von dem Belieben der Regierung ab, mit Ausnahme der Orte, deren städtische Verwaltung der Regierung gleichgültig, wo sie also den respektiven Stadträthen die Einbildung kühn überlassen kann, ihre Stimmen in die Wagschaale der Schicksale der französischen Republik zu werfen. Aber im Abgrund des Brunnens, sagt Democrit, liegt die Wahrheit. Und die Wahrheit, die im Abgrund dieses Gesetzes liegt, ist die, daß die Partei <hi rendition="#g">Thiers</hi> Hrn. <hi rendition="#g">Marrast</hi> von seiner Stelle als Maire von Paris beseitigen wird, sobald Einfälle von Selbstständigkeit den Ritter von der „Phrase“, den „Gentilhomme vom Tricolor“, den „Ceremonienmeister der Republik“ lästig machen würden.</p> <p>‒ Heute, Sonntag, weder Börse noch Nationalversammlung.</p> <p>Die Nationalversammlung hat am Schluß ihrer gestrigen Sitzung endlich entschieden: <hi rendition="#g">daß die Bürgermeister</hi> (Maires) <hi rendition="#g">und ihre Gehülfen</hi> (Adjoints) <hi rendition="#g">in allen Städten über 6000 Seelen von der Regierung gewählt werden sollen.</hi> Nur die Gemeinderäthe von Flecken <hi rendition="#g">unter</hi> dieser Seelenzahl können sich ihre Bürgermeister oder Schulzen selbstwählen.</p> <p>‒ Der Moniteur bringt die Ernennung des Generals Cavaignac, bisherigen Gouverneur von Algerien, zum Oberbefehlshaber der Bürgerwehr des Seinedepartements. Cavaignac hat die Tuilerien bereits bezogen.</p> <p>‒ Die Junirevolution kostete folgende Generäle: 1) Negrier, 2) Brea, 3) François, 4) Reynaud, 5) Bourgon. Verwundet liegen noch darnieder: 1) Korte, 2) Damesme, 3) Duvivier, 4) Foucher, 5) Bedeau, 6) Lafontaine, 7) der sogenannte Bürgergeneral Clement Thomas. General Lamoricière wurde nicht getroffen, aber zwei Pferde wurden unter ihm erschossen.</p> <p>‒ Cavaignac will unter Foucher's Oberbefehl bei Versailles ein Lager von 30,000 Mann errichten.</p> <p>‒ Thoré zeigt in der Reforme an, daß seine Vraie Republique fort erscheint, sobald der Belagerungsstand gehoben ist.</p> <p>‒ Proudhon's Blatt „le Représentant“ erklärt den sozialistischen Auswanderungsversuch Pierre Leroux's, Lagrange's und Proudhon's als die Erfindung eines müßigen Redakteurs der ehemaligen Epoque, der jetzt per Zeile bezahlt wird.</p> <p>‒ Goudchaux's erste Handlung als Finanzminister war gegen die Idee der Eisenbahn-Expropriation gerichtet. Zum nicht geringen Erstaunen eines großen Theils der Nationalversammlung ist das Duclerc'sche Projekt, das morgen zur Diskussion kommen sollte, von der Tagesordnung wie durch Zauber verschwunden.</p> <p>‒ Carnot, Minister des Unterrichts, hat der National-Versammlung den Plan vorgelegt, nach welchem das <hi rendition="#g">Volksschulwesen</hi> in Frankreich geschaffen oder umgeschaffen werden soll. Demselben liegt das ABC-Reglement der preußischen Monarchie zum Grunde. Die Kinder der armen Leute sollen, statt auf's Feld oder in die Fabrik, künftig in die Schule geschickt werden, wo man sie lesen, schreiben, etwas rechnen und vielleicht einige Bocksprünge lehren wird. Für diese Lappalie verlangt der Herr Minister jährlich die Bagatelle von 47,420,350 Franken. Das heißt man die glorreichen Versprechungen der Februar-Revolution erfüllen.</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Großbritannien.</head> <div xml:id="ar035_019" type="jArticle"> <head>London, 2. Juni.</head> <p>Schluß des Berichtes des Hrn. <hi rendition="#g">George Julian Harney,</hi> Redakteur des „Northern Star“ an die <hi rendition="#g">„Neue Rheinische Zeitung“.</hi></p> <p>Die Mittelklasse sehnte sich nach Reformen. Es war, als ob ihr gleichzeitig einfiele, daß der Bewegung der alten Radikalen doch etwas Wahres zum Grunde liege und wenn sie sich bisher gefürchtet hatte, Hand in Hand mit der revolutionären Masse zu gehen, so suchte sie sich jetzt an die Spitze derselben zu stellen. Vergebens bemühte sich Hr. Hunt, seine Gewalt auf die Menge geltend zu machen; ein neues Geschlecht war inzwischen emporgewachsen und er hatte nicht mehr jenen Einfluß auf die Söhne, den er einst auf die Väter gehabt hatte. Mogte er noch so energisch den Ruf für Allgemeine Wahl erheben ‒ die ganze „liberale“ Presse heulte ihn zu Boden und irregeleitet von einer Menge glattzüngiger „Redner“, die plötzlich auf der politischen Bühne erschienen, stimmte bald der ganze große Haufen der Arbeiter den Schrei für die Russell'sche Reform-Bill an, „für die Bill, die ganze Bill und für nichts als die Bill.“</p> <p>Man bekam diese nur die Mittelklasse begünstigende Bill. In der That aber auch nichts weiteres an Reformen. Wohl aber manches an Grausamkeit und Tyrannei. Sobald sie zur Herrschaft gekommen war, änderte die Mittelklasse ihren Ton, ihr ganzes Benehmen. Unwillig stieß sie die Leiter zurück auf der sie emporgestiegen war, indem das erste unter der Reform-Bill gewählte Parlament Zwangsmaßregeln gegen Irland und Strafgesetze für die Armuth englischer Arbeiter passiren ließ. Außerdem denunzirte man die politischen Verbindungen der Proletarier und wandte Alles an um die sogenannten Trades-Unions, die Vereine der verschiedenen Gewerke, zu unterdrücken. Rathlos stand das Volk da. Burdett war zu den Tory's übergegangen, Cobbett starb und auch Hunt ging endlich den Weg alles Irdischen.</p> <p>Eine starke Agitation gegen das neue Armengesetz, in der sich namentlich Richard Oastler, der Vertheidiger der Fabrikkinder, auszeichnete, veranlaßte zunächst ein abermaliges Erheben der Massen. An ihrer Spitze sehen wir jetzt zuerst den Irländer Feargus O'Connor. In der Grafschaft Cork hatte man ihn für das „Reform“-Parlament gewählt; da er indeß nicht die nöthige Summe des Einkommens hatte, so mußte er auf seinen Sitz verzichten und warf sich nun in die Bewegung der Arbeiter, indem er nicht nur gegen das neue Armengesetz agitirte, sondern auch als Nachfolger Hunt's für die Sache der radikalen Reform auftrat.</p> <p>Die große Energie, welche er bei der Vertheidigung der wegen politischer Umtriebe angeklagten Dorchester-Arbeiter und der Glasgow-Baumwollspinner entwickelte, machte ihn bei der arbeitenden Klasse schnell bekannt und verschaffte ihm viele Anhänger. Sein Einfluß erlangte indeß erst ein entscheidendes Gewicht, als er im November 1837 den „Northern Star“ gründete, jenes Journal, welches nun schon seit mehr als zehn Jahren die Demokratie und die sozialen und politischen Rechte des Volkes vertheidigt hat. Der „Northern Star“ erschien zuerst in Leeds, dem Hauptorte der Grafschaft Yorkshire. Im November 1844 verlegte man das Blatt nach London. Freunde und Feinde erkennen es als das Organ der Chartistenbewegung an; sein Einfluß auf die arbeitende Klasse ist enorm.</p> <p>Die Partei der Chartisten, welche hinfort eine so bedeutende Rolle in der englischen Geschichte spielt, erhielt ihren Namen von der „Charter“, von jenem Dokument, welches im Mai 1838 von einem Comité von sechs Männern der Arbeiter-Association und von eben so viel Parlamentsmitgliedern entworfen wurde.</p> <p>Unter letztern war auch Daniel O'Connell, jener unsterbliche „Humbug,“ jener größeste aller politischen Schwindler. Dieser Aufschneider unterschrieb die Charte mit dem Bemerken, daß sich Jeder dafür erklären werde, Schurken ausgenommen, die dabei interessirt wären ein schlechtes Staatssystem aufrecht zu erhalten und Narren, auf die weder Thatsachen noch Argumente Eindruck machen könnten. Wenige Monate nachher denunzirte indeß dieser Schuft die Chartisten und bot den Whigs „fünfmalhundertausend Tipperary Jungens“ an, um damit der chartistischen Bewegung ein Ende zu machen.</p> <p>Bis zu seinem letzten Lebenstage verläumdete der unselige Mann die Chartisten in der niederträchtigsten Weise und rühmte sich sogar noch bei Gelegenheit der durch das Ministerium Peel gegen ihn erhobenen Untersuchung, mit der Heldenthat, sein meistes und bestes gethan zu haben, um die Unternehmungen der Chartisten zu vereiteln. Er gab dies als Beweis seiner Loyalität gegenüber dem britischen Gouvernement an! War er nicht ein unvergleichlicher Schuft? Und dennoch verehrten ihn zehn Tausende von Narren in seinem eigenen Lande. Befriedigend ist es indeß, wenn man bedenkt, daß er seine Popularität überlebte. Seiner betrogenen Schafe waren freilich zuletzt noch viele; gering war aber ihre Zahl in Vergleich mit der ersten Masse seiner Partei. Der alte Heuchler starb gerade zu rechter Zeit; hätte er ein wenig damit gewartet, so würde er es selbst noch mit erlebt haben, wie seine Macht gebrochen, seine Partei auseinandergejagt und seine Popularität so bald erloschen war.</p> <p>Die Charte vereinigte nur in parlamentarischer Form, was Fox, Grey, Erskine, Macintosh, Cartwright, Burdett, Hunt und andere so viele Jahre lang als die Prinzipien der Radikalreform vertheidigt hatten. Ihr Hauptpunkt ist die allgemeine Wahl, oder die Ausdehnung des Wahlrechtes auf einen Jeden, der 21 Jahre und darüber alt ist, Verbrecher und Verrückte ausgenommen. Ferner: Das Votiren durch Ballotage, oder geheimes Abstimmen. Drittens: Jährliche Parlamente oder jährliche Wahl der Volks-Repräsentanten. Viertens: Keine Eigenthumsqualifikation oder Zulassung aller für das Unterhaus durch die Majorität bestimmten Mitglieder, unabhängig von irgend einer Restriktion, wie sie jetzt besteht, wo Jeder (wirklich oder nur nominell) ein reines, durch Landbesitz vertretenes Einkommen von jährlich 300 Pfd. haben muß, wenn er einen Flecken, oder 500 Pfd., wenn er eine Grafschaft vertritt. Fünftens: Bezahlung der Parlamentsmitglieder, damit Unbemittelte die Wahl anzunehmen im Stande sind. Sechstens endlich: Gleiche Wahldistrikte, um der Ungleichheit des jetzigen Repräsentativsystems ein Ende zu machen, welches manchen Distrikten mit nicht mehr als 2 bis 300 Wählern erlaubt, dieselbe Anzahl Mitglieder ins Parlament zu senden, wie andern Gegenden welche mehrere Tausend Wähler zählen.</p> <p>Dies, mit den nöthigen Details, ist die Charte. Es wird hinreichen um zu zeigen, was Chartismus ist.</p> <p>Im Herbst 1838 wurde bei einem immensen Meeting in Birmingham eine „National-Petition“ in Betreff der sechs Punkte der Charter angenommen. Andre Versammlungen folgten in London und in den Manufaktur-Distrikten Englands und Schottlands, welche zunächst „einen Konvent von Abgeordneten der arbeitenden Klasse“ zum Resultat hatten, der in London im Februar 1839 zusammentrat und außer der Leitung der Agitation auch die Ueberreichung der von einer und einer viertel Million Unterschriften bedeckten Petition übernahm. Der „Konvent“ war aus weit mehr zweifelhaften als ehrlichen Leuten zusammengesetzt; aus Leuten, die ein gutes Geschäft mit ihrer Popularität zu machen und nur von den Fonds der Verbindung zu leben suchten. Die Frage, ob man „moralische“ oder „physische Gewalt“ zur Durchsetzung der verschiedenen Pläne anwenden solle, verursachte stürmische Debatten. Die Agitation nahm ihren Fortgang, und den ganzen Sommer hindurch herrschte die größeste Aufregung im ganzen Lande. In Birmingham und an mehreren andern Orten fanden Emeuten statt, bei denen eine Menge Agitatoren verhaftet wurden. Der Konvent lößte sich indeß auf, und nur in Newport in Wales kam es unter Anführung John Frost's zum Treffen. Mehrere Chartisten wurden dabei erschossen; da der ganze Aufstand aber sehr schlecht vorbereitet war, so blieb er ohne entscheidenden Erfolg. Außer Frost wurden auch noch Williams und Jones als Haupträdelsführer verhaftet und zum Tode verurtheilt, später indeß in so weit begnadigt, als man die Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung nach van Diemeus Land verwandelte. Obgleich man an andern Orten mehrere Emeuten im Entstehen erstickte, so fuhr man doch mit Verhaftungen fort, und verurtheilte auch Feargus O'Connor wegen einiger Artikel des „Northern Star,“ zu 18 Monat Gefängniß in York Castle, von denen er 16 Monate absitzen mußte.</p> <p>So verfolgt und gequält von den Whigs, hießen die Chartisten die endlich herankommenden Wahlen von 1841 auf's freudigste willkommen, indem sie sich überall zusammenrotteten und die Whigs zu strafen, den Tories so sehr in ihrem Kampfe halfen, daß erstere das Feld räumen mußten und Sir Robert Peel siegreich auf den Schild erhoben wurde. Unter seiner Verwaltung hatte 1842 jener große „Turn-out“, jene Arbeitseinstellung der Fabrikproletarier, statt, welche für einen Augenblick alle gesellschaftlichen Einrichtungen Englands wahrhaft mit dem Untergang bedrohte; die Chartisten hatten diese Revolte nicht hervorgerufen; ‒ sie wurden aber verantwortlich dafür gemacht, indem man neun und fünfzig ihrer Führer arretirte; darunter O'Connor, William Hill, Dr. M'. Donall, Leach, Beesley, West u. s. w.; ich selbst gehörte ebenfalls zu den Verhafteten. Die Vertheidigung der Gefangenen schadete indeß den Verfolgern so sehr, daß auf das Verdikt gegen die Chartisten nie eine Strafe folgte.</p> <p>Auf's Neue aufgehalten, nahm die Agitation nichts destoweniger ihren Fortgang, und im Frühjahr 1842 brachte man abermals eine Petition in Betreff der Charter vor das Unterhaus, einen Akt mit drei Millionen Unterschriften. Natürlich wurde er wieder voll Verachtung entgegengenommen. Eine Verbindung der Whigs mit den betrogenen Protektionisten brachte dann Sir Robert Peel zum Sturz, und die Whigs von Neuem in's Amt. Sie versprachen, gemäßigte aber fortschreitende Reformer zu sein, und heuchelten große Sympathieen für Irland, indem sie jeden Versuch, dieses unglückliche Land durch Zwangsmaßregeln zu regieren, für falsch und infam erklärten. ‒ ‒ Jedermann weiß, was sie seitdem gethan haben!</p> <p>In Juli-August 1847 geschahen die letzten großen Wahlen, die ein Parlament aus Whigs, Protektionisten, heuchlerischen Radikalen und andern bis zu einem gewissen Punkte ehrlichen und entschiedenen Leuten, welche wohl die Prinzipien der Charter, aber nicht ihren Namen adoptiren, und jener von den Chartisten verabscheuten Partei der Freihandelsmänner dienstbar sind, zum Resultate hatten. Einige Ultra-Chartisten traten ebenfalls bei dieser Gelegenheit als Kandidaten auf; unter ihnen Feargus O'Connor in Nottingham, Philipp M' Grath in Derby, Ernest Jones in Halifax, Thomas Clark in Sheffield, John West in Stockport, Samuel Kydd in Greenwich, John M' Crae in Greenock, ich selbst in Tiverton.</p> <p>Feargus O'Connor siegte vollkommen und wurde gewählt, indem er seine beiden Konkurrenten, Sir John Cam Hobhouse, ein reiches Mitglied des Whig-Ministeriums und Gisborne, einen Whig von vielem lokalen Einfluß aus dem Felde schlug. Dies war ein wahrer Triumph für die Chartisten. Andere, wie Jones, Clark, Mc. Grath, obgleich sie bei der offiziellen Abstimmung durchfielen, hatten nichtsdestoweniger eine große Anzahl Votirender für sich. Ich selbst, indem ich Lord Palmerston zum Kampfe herausforderte, that es mit keiner Hoffnung auf Erfolg, sondern blos, um einmal die Heucheleien der Whigs an's Licht heraufzuzerren. Alle chartistischen Kandidaten wurden indeß bei der, dem offiziellen Votiren vorhergehenden Abstimmung, durch Aufheben der Hände gewählt, was den deutlichsten Beweis giebt, welches Resultat erfolgt sein würde, wenn alle Erwachsenen auch das Recht der offiziellen Abstimmung ausüben dürften.</p> <p>Schließen wir hiermit. Ich habe versucht, Ihnen mit wenigen Strichen das Bild von wenigstens sechszig, achtzig Jahren zu zeichnen. Was Wunder, wenn da meine Darstellung hin und wieder nicht klar und verständlich genug ist! Ich suchte Ihnen jene Bewegung zu schildern, die in den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts ihren Anfang nimmt, und sich unaufhaltsam fortentwickelt hat bis zur heutigen Stunde. Hob ich nur das politische Moment derselben hervor, so geschah es einzig und allein, weil es unmöglich ist, in so wenigen Worten eine Kette von Ereignissen auch nach der interessanteren, nach der sozialen Seite hin zu beleuchten. Wie jede politische Bewegung, so entwickelte sich auch die englische zu gleicher Zeit mit einer totalen Umgestaltung der meisten gesellschaftlichen Zustände. Das Aufhören der alten Gilden vernichtet das Verhältniß, indem der ganze Handwerkerstand mit Meistern und Gesellen bisher der Gesellschaft gegenüberstand. Ein patriarchalisches Zusammenwirken ändert sich zu einem feindlichen Gegenüberstehen der Arbeitgebenden und der Arbeiter, und zu einem Konkurriren der Arbeiter untereinander. Eine entschiedenere Umwälzung bringen indeß die großen Erfindungen der achtziger Jahre mit sich.</p> <p>Der Anfang der modernen Industrie ist ein Schlag, der tausend Verhältnisse über den Haufen wirft. Massen von Menschen, die bisher handarbeitend eine große Strecke Landes und einzelne zerstreut bewohnten, werden aus ihren Schlupfwinkeln emporgejagt, um zusammengedrängt in neuen, wie im Fluge entstandenen Städten, die Sklaven derselben Maschine zu werden, welche sie im Kampfe der Konkurrenz zu Boden rang. Zu dem Lumpenproletariate, mit dem sich England seit den Zeiten der Elisabeth durch eine jährliche Armentaxe abzufinden suchte, gesellt sich das industrielle Proletariat, dessen Werth mit dem Werthe der Fabrikate von der Nachfrage und Zufuhr abhängt, und hin- und hergewürfelt von allen Konsequenzen der industriellen Entwicklung, bald jene kolossale revolutionäre Masse bildet, welche sich endlich erhebt um auf dem Wege politischer Umwälzungen eine Besserung ihrer sozialen Lage durchzusetzen.</p> <p>Abwechselnd unter dem Einfluß der radikalen Aristokratie und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175/0003]
d. stattfinden soll. Man sucht dadurch einen Vorwand, um den Truppen abermals die Stadt zur Plünderung zu überlassen.
N. S. Eine aus Calabrien angelangte Estaffette meldet, daß Runziante bei Montollone vollständig geschlagen worden ist.
Französische Republik. 16 Paris, 2. Juli. Die Haussuchungen dauern fort. Im Quartier des Luxemburg zählte man am gestrigen Tage allein zwölf. Man visitirte Küche, Abtritt, Betten, Schränke, Koffer. Ein Detaschement von 20 Infanteristen mit zwei modernen Polizeisergeanten (Wächter von Paris) und einem Gendarm postiren vor den Hausthüren neben einem Handwagen und Stunde nach Stunde rollt er schwerbelastet weiter.
Verhaftungen sind an der Tagesordnung; in der Rue Notredame de Nazareth ist buchstäblich die Hälfte eines Hauses arretirt, vom Portier ab (der ein blindes Mädchen und eine kranke Frau hinterläßt, die von dem Hauptmiether des Hauses fortgejagt wird) durch alle vier Etagen bis zu den Dachstübchen. In den Faubourgs stehen kleinere Häuser ganz leer; auch Frauen müssen oft mit. ‒ Auf der Straße halten die Nationalgarden in Uniform Wache bei ihren Almosenkisten, worauf: „für die armen Verwundeten“ geschrieben ist; ich habe aber unendlich viel weniger Personen spenden gesehen, als im Februar. Oft hält die Wache Omnibus und Privatwagen an und bittet um Beiträge. ‒ Die frechen Lügen des „Corsaire“ fangen an in's Possierliche umzuschlagen: „in den Taschen der zum St. Louishospital gebrachten „Insurgenten habe man 150,000 Fr. entdeckt, und eine Kugel „sei ausgeschnitten worden, die in einem besondern Apparat Blau-„säure enthalte,“ wobei er die Kühnheit hat, den Namen des Arztes zu nennen. Wenn dies auch gerade nicht zum Todschießen war, so ist es wenigstens zum Todlachen. Glaublich dagegen ist die Anekdote von dem zerlumpten Gefangenen, der eine ziemliche Summe in der Blouse genäht trug und auf Befragen spöttisch antwortete: „damit wollte ich meinen Schneider bezahlen, ihr Herren Bourgeois.“ ‒ Erzbischof Affre ist durch die Kugel eines Mobilen getödtet worden. Bekanntlich trugen ihn die St. Antoiner sogleich über die Barrikadenmauer, während das Gefecht plötzlich, man weiß nicht weßhalb, mit ungeheurer Hitze entbrannte und pflegten ihn auf's Beste; Aerzte und ein Pfarrer des Faubourg sind als Zeugen vorhanden. Der begleitende Vikar des Erzbischofs bekam mehrere Kugeln in die Sutane, und sein Dienstbote eine in den Fuß; wie denn überhaupt auf dem Bastillenplatz diese Ordnungsvertheidiger, vorher und nachher, mehrmals trotz Waffenstillständen eingestandenermaßen gefeuert haben.
Die Julisäule hat keinen Schaden erlitten, obschon die Achtzehnpfünder und die Haubitzen mit glühenden Kugeln rüstig auf die drei Eckhäuser am Kanal, an der Rue Charonne und an der Rue St. Antoine losdonnerten. Ein Repräsentant hatte die Ehre, die rothe Fahne von der Säule herunterzureißen.
Ich hatte Gelegenheit, zwei französische junge Damen zu sprechen, die, obschon dem Aufstand von ganzer Seele feind, dennoch über die anständige, fast chevalereske Weise der Insurgenten nicht Lob genug spenden konnten. Ein seltsamer Zufall hatte gewollt, daß sie am Samstag einen Haupttheil des insurgirten Paris zu Fuß zweimal durchwandern mußten. Bei einigen Dutzend Barrikaden angelangt, rief man ihnen zu, sie sollten sich bücken und die Kugeln sausten vorbei; danach halfen ihnen die Ouoriers hinüberklettern. Kein arges Wort, geschweige denn eine unziemliche Geberde; „laßt die Damen vorbei“ schrie man sich zu, „gebt ihnen den Arm, wenn sie es wünschen,“ oder: „zeigt ihnen den besten Weg.“ Bourgeoisfrauen wollen freilich dergleichen Thatsachen nicht glauben; la blouse c'est une brute (die Blouse ist ein Vieh) sagte mir gestern ein junges Mädchen, vor deren Fenster ein müder Barrikadenmann umfiel. Die Umstände der Ermordung des Generals Bréa und seines Adjudanten sind, so scheint es, jetzt am Tage; es herrschte auf der Barrikade an der Barriere Fontainebleau keine Disziplin, und während ein Weib den Ge neral mit ihrem Körper zu decken suchte und der Chef der Barrikade wüthend die Ungehorsamen zurecht wies, schoß ein junger Bursche von der Seite mit den Worten: „wartet, ich will unsern Herrn Chef ein Bischen ärgern“ dem Adjudanten ins Gesicht, hierauf riß man den Gefangenen die Epauletten ab und tödtete beide. Die Thäter sind eingezogen; man hat die Epauletten und Degen in einem Hofraum verscharrt gefunden. Das ist ein ausnahmsweises Faktum.
Paris, 2. Juli. Das Gesetz über die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten bestimmt im Prinzip, daß diese Wahlen von der Regierung unabhängig sind und nur von dem Munizipalrath ausgehn, unter der Bedingung, daß er aus seinem eignen Schooße wählt. Aber im ersten Paragraphen das Prinzip und in den folgenden die Anwendung des Prinzips. Sprechen und thun sind zweierlei und ihr Unterschied findet geräumigen Platz in den Paragraphen eines und desselben Gesetzes. Das Prinzip ist schon bornirt genug, indem es die Stadtwahlen zum Privilegium einer Korporation macht und wer kennt nicht den Geist der Korporationen! Aber die Anwendung zeigt erst die Falle des engen Prinzips. Die Anwendung, wie die Nationalversammlung vom 1. Juli sie dekretirt hat, verläuft sich dahin, daß die exekutive Gewalt die Bürgermeister und ihre Adjunkten ernennt. Das ist die Regel, die den ersten Paragraphen des Gesetzes nach die Ausnahme bilden mußte. Das Prinzip dagegen bildet in der Praxis die Ausnahme und zwar so, daß der Munizipalrath den Bürgermeister und seine Adjunkten ernennt nur in folgenden Fällen: 1) In den Kommunen, die weder Hauptkreis- noch Hauptdepartementssitze sind, 2) in denen, deren Bevölkerung nicht 6000 Seelen beträgt. Das heißt in andern Worten die Wahl der Bürgermeister und ihrer Adjunkten hängt überall von dem Belieben der Regierung ab, mit Ausnahme der Orte, deren städtische Verwaltung der Regierung gleichgültig, wo sie also den respektiven Stadträthen die Einbildung kühn überlassen kann, ihre Stimmen in die Wagschaale der Schicksale der französischen Republik zu werfen. Aber im Abgrund des Brunnens, sagt Democrit, liegt die Wahrheit. Und die Wahrheit, die im Abgrund dieses Gesetzes liegt, ist die, daß die Partei Thiers Hrn. Marrast von seiner Stelle als Maire von Paris beseitigen wird, sobald Einfälle von Selbstständigkeit den Ritter von der „Phrase“, den „Gentilhomme vom Tricolor“, den „Ceremonienmeister der Republik“ lästig machen würden.
‒ Heute, Sonntag, weder Börse noch Nationalversammlung.
Die Nationalversammlung hat am Schluß ihrer gestrigen Sitzung endlich entschieden: daß die Bürgermeister (Maires) und ihre Gehülfen (Adjoints) in allen Städten über 6000 Seelen von der Regierung gewählt werden sollen. Nur die Gemeinderäthe von Flecken unter dieser Seelenzahl können sich ihre Bürgermeister oder Schulzen selbstwählen.
‒ Der Moniteur bringt die Ernennung des Generals Cavaignac, bisherigen Gouverneur von Algerien, zum Oberbefehlshaber der Bürgerwehr des Seinedepartements. Cavaignac hat die Tuilerien bereits bezogen.
‒ Die Junirevolution kostete folgende Generäle: 1) Negrier, 2) Brea, 3) François, 4) Reynaud, 5) Bourgon. Verwundet liegen noch darnieder: 1) Korte, 2) Damesme, 3) Duvivier, 4) Foucher, 5) Bedeau, 6) Lafontaine, 7) der sogenannte Bürgergeneral Clement Thomas. General Lamoricière wurde nicht getroffen, aber zwei Pferde wurden unter ihm erschossen.
‒ Cavaignac will unter Foucher's Oberbefehl bei Versailles ein Lager von 30,000 Mann errichten.
‒ Thoré zeigt in der Reforme an, daß seine Vraie Republique fort erscheint, sobald der Belagerungsstand gehoben ist.
‒ Proudhon's Blatt „le Représentant“ erklärt den sozialistischen Auswanderungsversuch Pierre Leroux's, Lagrange's und Proudhon's als die Erfindung eines müßigen Redakteurs der ehemaligen Epoque, der jetzt per Zeile bezahlt wird.
‒ Goudchaux's erste Handlung als Finanzminister war gegen die Idee der Eisenbahn-Expropriation gerichtet. Zum nicht geringen Erstaunen eines großen Theils der Nationalversammlung ist das Duclerc'sche Projekt, das morgen zur Diskussion kommen sollte, von der Tagesordnung wie durch Zauber verschwunden.
‒ Carnot, Minister des Unterrichts, hat der National-Versammlung den Plan vorgelegt, nach welchem das Volksschulwesen in Frankreich geschaffen oder umgeschaffen werden soll. Demselben liegt das ABC-Reglement der preußischen Monarchie zum Grunde. Die Kinder der armen Leute sollen, statt auf's Feld oder in die Fabrik, künftig in die Schule geschickt werden, wo man sie lesen, schreiben, etwas rechnen und vielleicht einige Bocksprünge lehren wird. Für diese Lappalie verlangt der Herr Minister jährlich die Bagatelle von 47,420,350 Franken. Das heißt man die glorreichen Versprechungen der Februar-Revolution erfüllen.
Großbritannien. London, 2. Juni. Schluß des Berichtes des Hrn. George Julian Harney, Redakteur des „Northern Star“ an die „Neue Rheinische Zeitung“.
Die Mittelklasse sehnte sich nach Reformen. Es war, als ob ihr gleichzeitig einfiele, daß der Bewegung der alten Radikalen doch etwas Wahres zum Grunde liege und wenn sie sich bisher gefürchtet hatte, Hand in Hand mit der revolutionären Masse zu gehen, so suchte sie sich jetzt an die Spitze derselben zu stellen. Vergebens bemühte sich Hr. Hunt, seine Gewalt auf die Menge geltend zu machen; ein neues Geschlecht war inzwischen emporgewachsen und er hatte nicht mehr jenen Einfluß auf die Söhne, den er einst auf die Väter gehabt hatte. Mogte er noch so energisch den Ruf für Allgemeine Wahl erheben ‒ die ganze „liberale“ Presse heulte ihn zu Boden und irregeleitet von einer Menge glattzüngiger „Redner“, die plötzlich auf der politischen Bühne erschienen, stimmte bald der ganze große Haufen der Arbeiter den Schrei für die Russell'sche Reform-Bill an, „für die Bill, die ganze Bill und für nichts als die Bill.“
Man bekam diese nur die Mittelklasse begünstigende Bill. In der That aber auch nichts weiteres an Reformen. Wohl aber manches an Grausamkeit und Tyrannei. Sobald sie zur Herrschaft gekommen war, änderte die Mittelklasse ihren Ton, ihr ganzes Benehmen. Unwillig stieß sie die Leiter zurück auf der sie emporgestiegen war, indem das erste unter der Reform-Bill gewählte Parlament Zwangsmaßregeln gegen Irland und Strafgesetze für die Armuth englischer Arbeiter passiren ließ. Außerdem denunzirte man die politischen Verbindungen der Proletarier und wandte Alles an um die sogenannten Trades-Unions, die Vereine der verschiedenen Gewerke, zu unterdrücken. Rathlos stand das Volk da. Burdett war zu den Tory's übergegangen, Cobbett starb und auch Hunt ging endlich den Weg alles Irdischen.
Eine starke Agitation gegen das neue Armengesetz, in der sich namentlich Richard Oastler, der Vertheidiger der Fabrikkinder, auszeichnete, veranlaßte zunächst ein abermaliges Erheben der Massen. An ihrer Spitze sehen wir jetzt zuerst den Irländer Feargus O'Connor. In der Grafschaft Cork hatte man ihn für das „Reform“-Parlament gewählt; da er indeß nicht die nöthige Summe des Einkommens hatte, so mußte er auf seinen Sitz verzichten und warf sich nun in die Bewegung der Arbeiter, indem er nicht nur gegen das neue Armengesetz agitirte, sondern auch als Nachfolger Hunt's für die Sache der radikalen Reform auftrat.
Die große Energie, welche er bei der Vertheidigung der wegen politischer Umtriebe angeklagten Dorchester-Arbeiter und der Glasgow-Baumwollspinner entwickelte, machte ihn bei der arbeitenden Klasse schnell bekannt und verschaffte ihm viele Anhänger. Sein Einfluß erlangte indeß erst ein entscheidendes Gewicht, als er im November 1837 den „Northern Star“ gründete, jenes Journal, welches nun schon seit mehr als zehn Jahren die Demokratie und die sozialen und politischen Rechte des Volkes vertheidigt hat. Der „Northern Star“ erschien zuerst in Leeds, dem Hauptorte der Grafschaft Yorkshire. Im November 1844 verlegte man das Blatt nach London. Freunde und Feinde erkennen es als das Organ der Chartistenbewegung an; sein Einfluß auf die arbeitende Klasse ist enorm.
Die Partei der Chartisten, welche hinfort eine so bedeutende Rolle in der englischen Geschichte spielt, erhielt ihren Namen von der „Charter“, von jenem Dokument, welches im Mai 1838 von einem Comité von sechs Männern der Arbeiter-Association und von eben so viel Parlamentsmitgliedern entworfen wurde.
Unter letztern war auch Daniel O'Connell, jener unsterbliche „Humbug,“ jener größeste aller politischen Schwindler. Dieser Aufschneider unterschrieb die Charte mit dem Bemerken, daß sich Jeder dafür erklären werde, Schurken ausgenommen, die dabei interessirt wären ein schlechtes Staatssystem aufrecht zu erhalten und Narren, auf die weder Thatsachen noch Argumente Eindruck machen könnten. Wenige Monate nachher denunzirte indeß dieser Schuft die Chartisten und bot den Whigs „fünfmalhundertausend Tipperary Jungens“ an, um damit der chartistischen Bewegung ein Ende zu machen.
Bis zu seinem letzten Lebenstage verläumdete der unselige Mann die Chartisten in der niederträchtigsten Weise und rühmte sich sogar noch bei Gelegenheit der durch das Ministerium Peel gegen ihn erhobenen Untersuchung, mit der Heldenthat, sein meistes und bestes gethan zu haben, um die Unternehmungen der Chartisten zu vereiteln. Er gab dies als Beweis seiner Loyalität gegenüber dem britischen Gouvernement an! War er nicht ein unvergleichlicher Schuft? Und dennoch verehrten ihn zehn Tausende von Narren in seinem eigenen Lande. Befriedigend ist es indeß, wenn man bedenkt, daß er seine Popularität überlebte. Seiner betrogenen Schafe waren freilich zuletzt noch viele; gering war aber ihre Zahl in Vergleich mit der ersten Masse seiner Partei. Der alte Heuchler starb gerade zu rechter Zeit; hätte er ein wenig damit gewartet, so würde er es selbst noch mit erlebt haben, wie seine Macht gebrochen, seine Partei auseinandergejagt und seine Popularität so bald erloschen war.
Die Charte vereinigte nur in parlamentarischer Form, was Fox, Grey, Erskine, Macintosh, Cartwright, Burdett, Hunt und andere so viele Jahre lang als die Prinzipien der Radikalreform vertheidigt hatten. Ihr Hauptpunkt ist die allgemeine Wahl, oder die Ausdehnung des Wahlrechtes auf einen Jeden, der 21 Jahre und darüber alt ist, Verbrecher und Verrückte ausgenommen. Ferner: Das Votiren durch Ballotage, oder geheimes Abstimmen. Drittens: Jährliche Parlamente oder jährliche Wahl der Volks-Repräsentanten. Viertens: Keine Eigenthumsqualifikation oder Zulassung aller für das Unterhaus durch die Majorität bestimmten Mitglieder, unabhängig von irgend einer Restriktion, wie sie jetzt besteht, wo Jeder (wirklich oder nur nominell) ein reines, durch Landbesitz vertretenes Einkommen von jährlich 300 Pfd. haben muß, wenn er einen Flecken, oder 500 Pfd., wenn er eine Grafschaft vertritt. Fünftens: Bezahlung der Parlamentsmitglieder, damit Unbemittelte die Wahl anzunehmen im Stande sind. Sechstens endlich: Gleiche Wahldistrikte, um der Ungleichheit des jetzigen Repräsentativsystems ein Ende zu machen, welches manchen Distrikten mit nicht mehr als 2 bis 300 Wählern erlaubt, dieselbe Anzahl Mitglieder ins Parlament zu senden, wie andern Gegenden welche mehrere Tausend Wähler zählen.
Dies, mit den nöthigen Details, ist die Charte. Es wird hinreichen um zu zeigen, was Chartismus ist.
Im Herbst 1838 wurde bei einem immensen Meeting in Birmingham eine „National-Petition“ in Betreff der sechs Punkte der Charter angenommen. Andre Versammlungen folgten in London und in den Manufaktur-Distrikten Englands und Schottlands, welche zunächst „einen Konvent von Abgeordneten der arbeitenden Klasse“ zum Resultat hatten, der in London im Februar 1839 zusammentrat und außer der Leitung der Agitation auch die Ueberreichung der von einer und einer viertel Million Unterschriften bedeckten Petition übernahm. Der „Konvent“ war aus weit mehr zweifelhaften als ehrlichen Leuten zusammengesetzt; aus Leuten, die ein gutes Geschäft mit ihrer Popularität zu machen und nur von den Fonds der Verbindung zu leben suchten. Die Frage, ob man „moralische“ oder „physische Gewalt“ zur Durchsetzung der verschiedenen Pläne anwenden solle, verursachte stürmische Debatten. Die Agitation nahm ihren Fortgang, und den ganzen Sommer hindurch herrschte die größeste Aufregung im ganzen Lande. In Birmingham und an mehreren andern Orten fanden Emeuten statt, bei denen eine Menge Agitatoren verhaftet wurden. Der Konvent lößte sich indeß auf, und nur in Newport in Wales kam es unter Anführung John Frost's zum Treffen. Mehrere Chartisten wurden dabei erschossen; da der ganze Aufstand aber sehr schlecht vorbereitet war, so blieb er ohne entscheidenden Erfolg. Außer Frost wurden auch noch Williams und Jones als Haupträdelsführer verhaftet und zum Tode verurtheilt, später indeß in so weit begnadigt, als man die Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung nach van Diemeus Land verwandelte. Obgleich man an andern Orten mehrere Emeuten im Entstehen erstickte, so fuhr man doch mit Verhaftungen fort, und verurtheilte auch Feargus O'Connor wegen einiger Artikel des „Northern Star,“ zu 18 Monat Gefängniß in York Castle, von denen er 16 Monate absitzen mußte.
So verfolgt und gequält von den Whigs, hießen die Chartisten die endlich herankommenden Wahlen von 1841 auf's freudigste willkommen, indem sie sich überall zusammenrotteten und die Whigs zu strafen, den Tories so sehr in ihrem Kampfe halfen, daß erstere das Feld räumen mußten und Sir Robert Peel siegreich auf den Schild erhoben wurde. Unter seiner Verwaltung hatte 1842 jener große „Turn-out“, jene Arbeitseinstellung der Fabrikproletarier, statt, welche für einen Augenblick alle gesellschaftlichen Einrichtungen Englands wahrhaft mit dem Untergang bedrohte; die Chartisten hatten diese Revolte nicht hervorgerufen; ‒ sie wurden aber verantwortlich dafür gemacht, indem man neun und fünfzig ihrer Führer arretirte; darunter O'Connor, William Hill, Dr. M'. Donall, Leach, Beesley, West u. s. w.; ich selbst gehörte ebenfalls zu den Verhafteten. Die Vertheidigung der Gefangenen schadete indeß den Verfolgern so sehr, daß auf das Verdikt gegen die Chartisten nie eine Strafe folgte.
Auf's Neue aufgehalten, nahm die Agitation nichts destoweniger ihren Fortgang, und im Frühjahr 1842 brachte man abermals eine Petition in Betreff der Charter vor das Unterhaus, einen Akt mit drei Millionen Unterschriften. Natürlich wurde er wieder voll Verachtung entgegengenommen. Eine Verbindung der Whigs mit den betrogenen Protektionisten brachte dann Sir Robert Peel zum Sturz, und die Whigs von Neuem in's Amt. Sie versprachen, gemäßigte aber fortschreitende Reformer zu sein, und heuchelten große Sympathieen für Irland, indem sie jeden Versuch, dieses unglückliche Land durch Zwangsmaßregeln zu regieren, für falsch und infam erklärten. ‒ ‒ Jedermann weiß, was sie seitdem gethan haben!
In Juli-August 1847 geschahen die letzten großen Wahlen, die ein Parlament aus Whigs, Protektionisten, heuchlerischen Radikalen und andern bis zu einem gewissen Punkte ehrlichen und entschiedenen Leuten, welche wohl die Prinzipien der Charter, aber nicht ihren Namen adoptiren, und jener von den Chartisten verabscheuten Partei der Freihandelsmänner dienstbar sind, zum Resultate hatten. Einige Ultra-Chartisten traten ebenfalls bei dieser Gelegenheit als Kandidaten auf; unter ihnen Feargus O'Connor in Nottingham, Philipp M' Grath in Derby, Ernest Jones in Halifax, Thomas Clark in Sheffield, John West in Stockport, Samuel Kydd in Greenwich, John M' Crae in Greenock, ich selbst in Tiverton.
Feargus O'Connor siegte vollkommen und wurde gewählt, indem er seine beiden Konkurrenten, Sir John Cam Hobhouse, ein reiches Mitglied des Whig-Ministeriums und Gisborne, einen Whig von vielem lokalen Einfluß aus dem Felde schlug. Dies war ein wahrer Triumph für die Chartisten. Andere, wie Jones, Clark, Mc. Grath, obgleich sie bei der offiziellen Abstimmung durchfielen, hatten nichtsdestoweniger eine große Anzahl Votirender für sich. Ich selbst, indem ich Lord Palmerston zum Kampfe herausforderte, that es mit keiner Hoffnung auf Erfolg, sondern blos, um einmal die Heucheleien der Whigs an's Licht heraufzuzerren. Alle chartistischen Kandidaten wurden indeß bei der, dem offiziellen Votiren vorhergehenden Abstimmung, durch Aufheben der Hände gewählt, was den deutlichsten Beweis giebt, welches Resultat erfolgt sein würde, wenn alle Erwachsenen auch das Recht der offiziellen Abstimmung ausüben dürften.
Schließen wir hiermit. Ich habe versucht, Ihnen mit wenigen Strichen das Bild von wenigstens sechszig, achtzig Jahren zu zeichnen. Was Wunder, wenn da meine Darstellung hin und wieder nicht klar und verständlich genug ist! Ich suchte Ihnen jene Bewegung zu schildern, die in den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts ihren Anfang nimmt, und sich unaufhaltsam fortentwickelt hat bis zur heutigen Stunde. Hob ich nur das politische Moment derselben hervor, so geschah es einzig und allein, weil es unmöglich ist, in so wenigen Worten eine Kette von Ereignissen auch nach der interessanteren, nach der sozialen Seite hin zu beleuchten. Wie jede politische Bewegung, so entwickelte sich auch die englische zu gleicher Zeit mit einer totalen Umgestaltung der meisten gesellschaftlichen Zustände. Das Aufhören der alten Gilden vernichtet das Verhältniß, indem der ganze Handwerkerstand mit Meistern und Gesellen bisher der Gesellschaft gegenüberstand. Ein patriarchalisches Zusammenwirken ändert sich zu einem feindlichen Gegenüberstehen der Arbeitgebenden und der Arbeiter, und zu einem Konkurriren der Arbeiter untereinander. Eine entschiedenere Umwälzung bringen indeß die großen Erfindungen der achtziger Jahre mit sich.
Der Anfang der modernen Industrie ist ein Schlag, der tausend Verhältnisse über den Haufen wirft. Massen von Menschen, die bisher handarbeitend eine große Strecke Landes und einzelne zerstreut bewohnten, werden aus ihren Schlupfwinkeln emporgejagt, um zusammengedrängt in neuen, wie im Fluge entstandenen Städten, die Sklaven derselben Maschine zu werden, welche sie im Kampfe der Konkurrenz zu Boden rang. Zu dem Lumpenproletariate, mit dem sich England seit den Zeiten der Elisabeth durch eine jährliche Armentaxe abzufinden suchte, gesellt sich das industrielle Proletariat, dessen Werth mit dem Werthe der Fabrikate von der Nachfrage und Zufuhr abhängt, und hin- und hergewürfelt von allen Konsequenzen der industriellen Entwicklung, bald jene kolossale revolutionäre Masse bildet, welche sich endlich erhebt um auf dem Wege politischer Umwälzungen eine Besserung ihrer sozialen Lage durchzusetzen.
Abwechselnd unter dem Einfluß der radikalen Aristokratie und
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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