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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 36. Köln, 6. Juli 1848. Beilage.

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Extrabeilage zu Nr. 36 der Neuen Rheinischen Zeitung.
Neue Ministerkrisis. Rodbertus ausgetreten. Sieg der Linken. Staatsstreich der Rechten.
103 Berlin, 4. Juli.

Ich komme so eben aus der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung und bin so verwirrt von den verschiedenartigsten Eindrücken, welche diese Sitzung auf mich und gewiß auch auf alle Anwesende hervorbrachte, daß ich kaum weiß, worüber ich Ihnen berichten soll. Ein Gedanke überstürzt den andern und deshalb will ich nur Alles gleich auf einmal auskramen. Der Minister des Kultus, Rodbertus, hat abgedankt. - Die Polenfrage wurde gegen den Willen der Minister entschieden. - Die Vereinbarer widerrufen hierauf theilweise den gefaßten Beschluß, nachdem sich die Linke in Masse wegen der ungerechten Fragestellung entfernt. - Das Ministerium erkennt nothgedrungen die in Frankfurt angenommene Vollstreckungsbehörde und den Reichsverweser Erzherzog Johann an.

Nach Eröffnung der heutigen Sitzung zeigte der Ministerpräsident v. Auerswald an, daß der Minister des Kultus, Rodbertus, seine Entlassung eingereicht habe. Die Meinungsverschiedenheit sey durch die Behandlung der deutschen Angelegenheit hervorgerufen. Obgleich das Ministerium darüber einstimmig gewesen, daß die Begründung eines einigen und starken Deutschlands das einzige Ziel sei, das es zu verfolgen habe, ist es doch nicht gelungen, eine Einigung über die einzelnen Fragen mit dem Minister des Kultus zu Stande zu bringen. Das Ministerium hält sich durch diesen Austritt nicht für gefährdet und will suchen sich gelegentlich zu ergänzen. Einstweilen und bis zur baldigen Wiederbesetzung wird der Direktor im Kultusministerium, v. Ladenberg, dasselbe interimistisch vorstehen.

Rodbertus machte hierauf die Mittheilung, daß er nur in einigen Differenzen bei der deutschen Frage mit seinen Kollegen gewesen, glaubte aber deshalb seine Entlassung einreichen zu müssen. Er hatte diesen Schritt genau erwogen und wäre der Meinung gewesen, durch diesen Schritt das fernere Bestehen des Ministeriums nicht zu gefährden. Er glaubte es aber seiner Gesinnung schuldig zu sein, auszutreten, jedoch wird er auch ferner das Ministerium in allen Fragen unterstützen.

Hiermit war die Sache in der Vereinbarerversammlung erledigt, nachdem der Ministerpräsident veranlaßt durch einige Bemerkungen und Zurufe von der Linken sich genötbigt sah zu erklären, daß Hr. v. Ladenberg dem Ministerium des Kultus jedenfalls nur bis zur baldigen Wiederbesetzung dieses Ministeriums vorstehen werde. Hr. v. Ladenberg ist nämlich noch ein Beamter des alten Systems, der Günstling des Exministers Eichhorn; deshalb ist es nicht auffallend, daß die Linke sogleich ihr Mißfallen über diese Besetzung zu erkennen gab.

Hierauf kam die polnische Frage zur Verhandlung. Das Kommissionsgutachten ging dahin, "daß eine Kommission zur Untersuchung der Ursachen, wodurch die blutigen Vorfälle im Großherzogthum Posen hervorgerufen, niedergesetzt und ihr zu deren Erforschung völlig freie Hand gelassen werde." - Viele Amendements zur Erweiterung oder Beschränkung der Befugnisse der Kommission wurden eingereicht, eine Menge Redner, im verschiedenartigsten Sinne wurden angehört, selbst der Minister des Innern, Kühlwetter, fand sich veranlaßt, das Wort zu ergreifen, um erstens die Beamten des Großherzogthums, denen man Partheilichkeit und viel Schuld am Vorgefallenen vorgeworfen hatte, in Schutz zu nehmen. Man solle den ganzen Beamtenstand nicht tadeln, weil vielleicht einzelne Beamte unrecht gehandelt hätten. Dann gab der Minister eine langweilige Auseinandersetzung zum Besten, über die Befugnisse der Kammern zur Einsetzung von Untersuchungs-Kommissionen und über die Trennung der richterlichen, der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalten. Seiner langen Rede kurzer Sinn war, daß er die Befugnisse oder die Kompetenz der Versammlung zu bezweifeln schien und daß seiner Ansicht nach die Kommission wenig ausrichten könne.

Dr. d'Ester widerlegt den Minister und mehrere andere Redner der Rechten in einer langen glänzenden Rede. Seiner Ansicht nach, maßt sich die Versammlung durch die Einsetzung der vorgeschlagenen Untersuchungs-Kommission keine richterliche Gewalt an. "Wir thun nichts anders, als Jemand, der einen Beschluß fassen, und sich vorher deshalb informiren will. Auch wir wollen uns informiren. Man bestreitet die Kompetenz der Versammlung, ihre Berechtigung, Zeugenverhöre vorzunehmen. Aber ich behaupte, daß jeder Privatmann sogar dazu berechtigt ist. (Dieser Satz findet viel Widerspruch.) Es freut mich, daß ich Widerspruch finde, da ich besonders darüber Aufschluß geben kann. Ich und der ebenfalls hier anwesende Dr. Borchhardt waren angeklagt, zwei Zeugen vernommen zu haben, um politische Thatsachen festzustellen. Alle Gerichtshöfe haben unsere Berechtigung dazu anerkannt. Ich muß ferner bezweifeln, ob das Ministerium im Stande wäre, alle nöthigen Mittheilungen machen zu können, weil es eben an die einseitigen Berichte seiner Beamten gebunden ist. Deshalb ist es durchaus nothwendig, daß die Kommission das Recht haben muß, sich selbst an Ort und Stelle zu begeben und den nöthigen Thatbestand aufzunehmen. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf in Posen wirklich der Kampf zweier Nacen war, wie er bisher dargestellt wurde. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf nicht auch wie in ganz Europa der Kampf der Unterjochten gegen das unterdrückende System war." Nachdem der Redner seine Ansichten noch näher begründet hatte, schloß er mit vielem Beifall. Als endlich der Schluß der Debatte angenommen war, wurde zur Fragestellung geschritten. Der Präsident Grabow entwickelte mit vieler Klarheit, daß nach den vielen gestellten Amendements nicht anders zum Ziele zu gelangen sei, als daß er alle in die Form von Fragen auflöse. Die Versammlung nimmt hierauf fast einstimmig an, "daß eine Kommission zur Untersuchung der Angelegenheiten im Großherzogthum Posen seit der versprochenen Reorganisation vom 22. März dieses Jahres eingesetzt werde; daß diese Kommission aus sechszehn Mitgliedern bestehen solle, wozu je zwei Mitglieder in jeder Abtheilung gewählt werden sollen; daß die Kommission die Aufgabe haben soll, die Gründe und Ursachen zu erforschen, welche die unter den Angehörigen der polnischen und deutschen Nationalität stattgefundenen Entzweiungen hervorgebracht; daß sie das Ganze, bei der Einleitung der Reorganisation seitens der Regierung und ihrer Organe beobachtete Verfahren untersuche; daß sie die, die Provinz Posen betreffenden internationalen Verhältnisse untersuche; daß sie die Mittel erforsche und angebe, wie die Eintracht herzustellen sei; daß sie ermittele, wie die beabsichtigte Reorganisation durchzuführen sei." - Alle diese Fragen wurden angenommen und es handelte sich nur noch um die Fragestellung, wie die Kommission ihre Aufträge in Ausführung zu bringen habe. Der Präsident stellt nun zuerst die Frage: "Soll der Kommission in Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand gelassen werden?"

Der Präsident erklärt, daß wenn diese Frage angenommen wird, alle andern Fragen wegfallen würden, da die andern Fragen diese erste beschränken. Nach einer kurzen Debatte stellte sich als ganz sicher heraus, daß durch die Annahme dieser Frage der Kommission alle mögliche Befugnisse eingeräumt werden. - Graf Reichenbach verlangt namentliche Abstimmung, welche auch von der ganzen Linken unterstützt wird. - Die namentliche Abstimmung ergiebt folgendes:

195 stimmen mit "ja" - 170 mit "nein"

Die Frage ist also angenommen. Alle Minister haben mit nein gestimmt, also eine Niederlage des Ministeriums.

Schon während der Stimmenzählung entfernten sich viele Mitglieder der Linken, in der Gewißheit, daß die Frage angenommen, und daß dadurch alle nachfolgenden verworfen seien. Aber die Rechte war anderer Meinung. Sie wollte nun durchaus die andern Fragen auch zur Abstimmung bringen. Durch die Annahme der ersten Frage, die ganz allgemein sei, wären die Mittel zur Ausführung noch nicht angegeben; man müsse erst feststellen, ob die Kommission das Recht haben solle, Zeugen zu vernehmen u. s. w. Man bestürmte den Präsidenten so lange, bis er einwilligte, die Fragen zur Abstimmung zu bringen. Daß der Präsident bei der Fragestellung durch die Annahme der ersten Frage die andern für unnöthig erklärt habe, das sei noch kein Beschluß der Versammlung. Der Präsident sieht sich genöthigt, die Frage zur Abstimmung zu bringen. Die Linke protestirt dagegen und da die Rechte auf der Fragestellung besteht, so verläßt die Linke in Masse die Versammlung.

Nachdem sich nun die Linke entfernt hatte, beschließt die Versammlung, in Widerspruch mit der ersten Frage, welche mit Majorität angenommen war, die andern Fragen auch zur Abstimmung zu bringen, und die Frage: "Soll der Kommission die Befugniß zustehen, sich nöthigenfalls nach der Provinz Posen begeben und Zeugen vernehmen zu dürfen?" wird verneint. - Die Kommission, welcher man durch die Annahme der ersten Frage, zur Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand gelassen, wird durch die Bestimmung, sich nicht nach Posen begeben und Zeugen vernehmen zu dürfen, wieder beschränkt.

Die Durchführung der letzten Fragstellung ist jedenfalls ein Staatsstreich, dessen Folgen von unermeßlicher Wirkung sein kann. Jetzt ist es an der Zeit, jetzt kann die Linke der Versammlung zeigen, ob sie es ernsthaft meint. - Die Spaltung, die bisher in der Versammlung bestand, ist heute zum völligen Bruch geworden.

Nach dieser folgenreichen Abstimmung nahm zuletzt noch der Minister-Präsident v. Auerswald das Wort und sprach mit lieblichen Phrasen von der Einheit Deutschlands, von Eintracht, und daß das Ministerium demnach auch die in Frankfurt gefaßten Beschlüsse, die Einsetzung einer exekutiven Behörde und die Wahl eines Reichsverwesers in der Person des Erzherzogs Johann, dieses edlen Prinzen, anerkenne. Er gab nicht undeutlich zu verstehen, daß eine vorhergehende Genehmigung Preußens zu diesen Beschlüssen nöthig gewesen wäre, aber das Ministerium wolle Alles durch die Dringlichkeit der Umstände entschuldigen, und gebe seine vollkommene Zustimmung.

Wenn wir ein Haus auf festen Grundlagen bauen wollen, so müssen wir es mit Eintracht errichten u. s. w. So schloß der Ministerpräsident seine Rede. - Der Präsident Grabow forderte hierauf die Versammlung auf, ihre Zustimmung durch ein einstimmiges Hoch auszudrücken, und die folgsamen Vereinbarer - die unfolgsamen hatten sich ja entfernt - brachten ein "Hoch Deutschland" aus.

Druck von Wilhelm Clouth in Köln.

Extrabeilage zu Nr. 36 der Neuen Rheinischen Zeitung.
Neue Ministerkrisis. Rodbertus ausgetreten. Sieg der Linken. Staatsstreich der Rechten.
103 Berlin, 4. Juli.

Ich komme so eben aus der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung und bin so verwirrt von den verschiedenartigsten Eindrücken, welche diese Sitzung auf mich und gewiß auch auf alle Anwesende hervorbrachte, daß ich kaum weiß, worüber ich Ihnen berichten soll. Ein Gedanke überstürzt den andern und deshalb will ich nur Alles gleich auf einmal auskramen. Der Minister des Kultus, Rodbertus, hat abgedankt. ‒ Die Polenfrage wurde gegen den Willen der Minister entschieden. ‒ Die Vereinbarer widerrufen hierauf theilweise den gefaßten Beschluß, nachdem sich die Linke in Masse wegen der ungerechten Fragestellung entfernt. ‒ Das Ministerium erkennt nothgedrungen die in Frankfurt angenommene Vollstreckungsbehörde und den Reichsverweser Erzherzog Johann an.

Nach Eröffnung der heutigen Sitzung zeigte der Ministerpräsident v. Auerswald an, daß der Minister des Kultus, Rodbertus, seine Entlassung eingereicht habe. Die Meinungsverschiedenheit sey durch die Behandlung der deutschen Angelegenheit hervorgerufen. Obgleich das Ministerium darüber einstimmig gewesen, daß die Begründung eines einigen und starken Deutschlands das einzige Ziel sei, das es zu verfolgen habe, ist es doch nicht gelungen, eine Einigung über die einzelnen Fragen mit dem Minister des Kultus zu Stande zu bringen. Das Ministerium hält sich durch diesen Austritt nicht für gefährdet und will suchen sich gelegentlich zu ergänzen. Einstweilen und bis zur baldigen Wiederbesetzung wird der Direktor im Kultusministerium, v. Ladenberg, dasselbe interimistisch vorstehen.

Rodbertus machte hierauf die Mittheilung, daß er nur in einigen Differenzen bei der deutschen Frage mit seinen Kollegen gewesen, glaubte aber deshalb seine Entlassung einreichen zu müssen. Er hatte diesen Schritt genau erwogen und wäre der Meinung gewesen, durch diesen Schritt das fernere Bestehen des Ministeriums nicht zu gefährden. Er glaubte es aber seiner Gesinnung schuldig zu sein, auszutreten, jedoch wird er auch ferner das Ministerium in allen Fragen unterstützen.

Hiermit war die Sache in der Vereinbarerversammlung erledigt, nachdem der Ministerpräsident veranlaßt durch einige Bemerkungen und Zurufe von der Linken sich genötbigt sah zu erklären, daß Hr. v. Ladenberg dem Ministerium des Kultus jedenfalls nur bis zur baldigen Wiederbesetzung dieses Ministeriums vorstehen werde. Hr. v. Ladenberg ist nämlich noch ein Beamter des alten Systems, der Günstling des Exministers Eichhorn; deshalb ist es nicht auffallend, daß die Linke sogleich ihr Mißfallen über diese Besetzung zu erkennen gab.

Hierauf kam die polnische Frage zur Verhandlung. Das Kommissionsgutachten ging dahin, „daß eine Kommission zur Untersuchung der Ursachen, wodurch die blutigen Vorfälle im Großherzogthum Posen hervorgerufen, niedergesetzt und ihr zu deren Erforschung völlig freie Hand gelassen werde.“ ‒ Viele Amendements zur Erweiterung oder Beschränkung der Befugnisse der Kommission wurden eingereicht, eine Menge Redner, im verschiedenartigsten Sinne wurden angehört, selbst der Minister des Innern, Kühlwetter, fand sich veranlaßt, das Wort zu ergreifen, um erstens die Beamten des Großherzogthums, denen man Partheilichkeit und viel Schuld am Vorgefallenen vorgeworfen hatte, in Schutz zu nehmen. Man solle den ganzen Beamtenstand nicht tadeln, weil vielleicht einzelne Beamte unrecht gehandelt hätten. Dann gab der Minister eine langweilige Auseinandersetzung zum Besten, über die Befugnisse der Kammern zur Einsetzung von Untersuchungs-Kommissionen und über die Trennung der richterlichen, der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalten. Seiner langen Rede kurzer Sinn war, daß er die Befugnisse oder die Kompetenz der Versammlung zu bezweifeln schien und daß seiner Ansicht nach die Kommission wenig ausrichten könne.

Dr. d'Ester widerlegt den Minister und mehrere andere Redner der Rechten in einer langen glänzenden Rede. Seiner Ansicht nach, maßt sich die Versammlung durch die Einsetzung der vorgeschlagenen Untersuchungs-Kommission keine richterliche Gewalt an. „Wir thun nichts anders, als Jemand, der einen Beschluß fassen, und sich vorher deshalb informiren will. Auch wir wollen uns informiren. Man bestreitet die Kompetenz der Versammlung, ihre Berechtigung, Zeugenverhöre vorzunehmen. Aber ich behaupte, daß jeder Privatmann sogar dazu berechtigt ist. (Dieser Satz findet viel Widerspruch.) Es freut mich, daß ich Widerspruch finde, da ich besonders darüber Aufschluß geben kann. Ich und der ebenfalls hier anwesende Dr. Borchhardt waren angeklagt, zwei Zeugen vernommen zu haben, um politische Thatsachen festzustellen. Alle Gerichtshöfe haben unsere Berechtigung dazu anerkannt. Ich muß ferner bezweifeln, ob das Ministerium im Stande wäre, alle nöthigen Mittheilungen machen zu können, weil es eben an die einseitigen Berichte seiner Beamten gebunden ist. Deshalb ist es durchaus nothwendig, daß die Kommission das Recht haben muß, sich selbst an Ort und Stelle zu begeben und den nöthigen Thatbestand aufzunehmen. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf in Posen wirklich der Kampf zweier Nacen war, wie er bisher dargestellt wurde. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf nicht auch wie in ganz Europa der Kampf der Unterjochten gegen das unterdrückende System war.“ Nachdem der Redner seine Ansichten noch näher begründet hatte, schloß er mit vielem Beifall. Als endlich der Schluß der Debatte angenommen war, wurde zur Fragestellung geschritten. Der Präsident Grabow entwickelte mit vieler Klarheit, daß nach den vielen gestellten Amendements nicht anders zum Ziele zu gelangen sei, als daß er alle in die Form von Fragen auflöse. Die Versammlung nimmt hierauf fast einstimmig an, „daß eine Kommission zur Untersuchung der Angelegenheiten im Großherzogthum Posen seit der versprochenen Reorganisation vom 22. März dieses Jahres eingesetzt werde; daß diese Kommission aus sechszehn Mitgliedern bestehen solle, wozu je zwei Mitglieder in jeder Abtheilung gewählt werden sollen; daß die Kommission die Aufgabe haben soll, die Gründe und Ursachen zu erforschen, welche die unter den Angehörigen der polnischen und deutschen Nationalität stattgefundenen Entzweiungen hervorgebracht; daß sie das Ganze, bei der Einleitung der Reorganisation seitens der Regierung und ihrer Organe beobachtete Verfahren untersuche; daß sie die, die Provinz Posen betreffenden internationalen Verhältnisse untersuche; daß sie die Mittel erforsche und angebe, wie die Eintracht herzustellen sei; daß sie ermittele, wie die beabsichtigte Reorganisation durchzuführen sei.“ ‒ Alle diese Fragen wurden angenommen und es handelte sich nur noch um die Fragestellung, wie die Kommission ihre Aufträge in Ausführung zu bringen habe. Der Präsident stellt nun zuerst die Frage: „Soll der Kommission in Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand gelassen werden?“

Der Präsident erklärt, daß wenn diese Frage angenommen wird, alle andern Fragen wegfallen würden, da die andern Fragen diese erste beschränken. Nach einer kurzen Debatte stellte sich als ganz sicher heraus, daß durch die Annahme dieser Frage der Kommission alle mögliche Befugnisse eingeräumt werden. ‒ Graf Reichenbach verlangt namentliche Abstimmung, welche auch von der ganzen Linken unterstützt wird. ‒ Die namentliche Abstimmung ergiebt folgendes:

195 stimmen mit „ja“ ‒ 170 mit „nein“

Die Frage ist also angenommen. Alle Minister haben mit nein gestimmt, also eine Niederlage des Ministeriums.

Schon während der Stimmenzählung entfernten sich viele Mitglieder der Linken, in der Gewißheit, daß die Frage angenommen, und daß dadurch alle nachfolgenden verworfen seien. Aber die Rechte war anderer Meinung. Sie wollte nun durchaus die andern Fragen auch zur Abstimmung bringen. Durch die Annahme der ersten Frage, die ganz allgemein sei, wären die Mittel zur Ausführung noch nicht angegeben; man müsse erst feststellen, ob die Kommission das Recht haben solle, Zeugen zu vernehmen u. s. w. Man bestürmte den Präsidenten so lange, bis er einwilligte, die Fragen zur Abstimmung zu bringen. Daß der Präsident bei der Fragestellung durch die Annahme der ersten Frage die andern für unnöthig erklärt habe, das sei noch kein Beschluß der Versammlung. Der Präsident sieht sich genöthigt, die Frage zur Abstimmung zu bringen. Die Linke protestirt dagegen und da die Rechte auf der Fragestellung besteht, so verläßt die Linke in Masse die Versammlung.

Nachdem sich nun die Linke entfernt hatte, beschließt die Versammlung, in Widerspruch mit der ersten Frage, welche mit Majorität angenommen war, die andern Fragen auch zur Abstimmung zu bringen, und die Frage: „Soll der Kommission die Befugniß zustehen, sich nöthigenfalls nach der Provinz Posen begeben und Zeugen vernehmen zu dürfen?“ wird verneint. ‒ Die Kommission, welcher man durch die Annahme der ersten Frage, zur Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand gelassen, wird durch die Bestimmung, sich nicht nach Posen begeben und Zeugen vernehmen zu dürfen, wieder beschränkt.

Die Durchführung der letzten Fragstellung ist jedenfalls ein Staatsstreich, dessen Folgen von unermeßlicher Wirkung sein kann. Jetzt ist es an der Zeit, jetzt kann die Linke der Versammlung zeigen, ob sie es ernsthaft meint. ‒ Die Spaltung, die bisher in der Versammlung bestand, ist heute zum völligen Bruch geworden.

Nach dieser folgenreichen Abstimmung nahm zuletzt noch der Minister-Präsident v. Auerswald das Wort und sprach mit lieblichen Phrasen von der Einheit Deutschlands, von Eintracht, und daß das Ministerium demnach auch die in Frankfurt gefaßten Beschlüsse, die Einsetzung einer exekutiven Behörde und die Wahl eines Reichsverwesers in der Person des Erzherzogs Johann, dieses edlen Prinzen, anerkenne. Er gab nicht undeutlich zu verstehen, daß eine vorhergehende Genehmigung Preußens zu diesen Beschlüssen nöthig gewesen wäre, aber das Ministerium wolle Alles durch die Dringlichkeit der Umstände entschuldigen, und gebe seine vollkommene Zustimmung.

Wenn wir ein Haus auf festen Grundlagen bauen wollen, so müssen wir es mit Eintracht errichten u. s. w. So schloß der Ministerpräsident seine Rede. ‒ Der Präsident Grabow forderte hierauf die Versammlung auf, ihre Zustimmung durch ein einstimmiges Hoch auszudrücken, und die folgsamen Vereinbarer ‒ die unfolgsamen hatten sich ja entfernt ‒ brachten ein „Hoch Deutschland“ aus.

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          <p>Hiermit war die Sache in der Vereinbarerversammlung erledigt, nachdem der                         Ministerpräsident veranlaßt durch einige Bemerkungen und Zurufe von der                         Linken sich genötbigt sah zu erklären, daß Hr. v. Ladenberg dem Ministerium                         des Kultus jedenfalls nur bis zur baldigen Wiederbesetzung dieses                         Ministeriums vorstehen werde. Hr. v. Ladenberg ist nämlich noch ein Beamter                         des alten Systems, der Günstling des Exministers Eichhorn; deshalb ist es                         nicht auffallend, daß die Linke sogleich ihr Mißfallen über diese Besetzung                         zu erkennen gab.</p>
          <p>Hierauf kam die polnische Frage zur Verhandlung. Das Kommissionsgutachten                         ging dahin, &#x201E;daß eine Kommission zur Untersuchung der Ursachen, wodurch die                         blutigen Vorfälle im Großherzogthum Posen hervorgerufen, niedergesetzt und                         ihr zu deren Erforschung völlig freie Hand gelassen werde.&#x201C; &#x2012; Viele                         Amendements zur Erweiterung oder Beschränkung der Befugnisse der Kommission                         wurden eingereicht, eine Menge Redner, im verschiedenartigsten Sinne wurden                         angehört, selbst der <hi rendition="#g">Minister des Innern,                             Kühlwetter,</hi> fand sich veranlaßt, das Wort zu ergreifen, um erstens                         die Beamten des Großherzogthums, denen man Partheilichkeit und viel Schuld                         am Vorgefallenen vorgeworfen hatte, in Schutz zu nehmen. Man solle den                         ganzen Beamtenstand nicht tadeln, weil vielleicht einzelne Beamte unrecht                         gehandelt hätten. Dann gab der Minister eine langweilige Auseinandersetzung                         zum Besten, über die Befugnisse der Kammern zur Einsetzung von                         Untersuchungs-Kommissionen und über die Trennung der richterlichen, der                         gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalten. Seiner langen Rede kurzer                         Sinn war, daß er die Befugnisse oder die Kompetenz der Versammlung zu                         bezweifeln schien und daß seiner Ansicht nach die Kommission wenig                         ausrichten könne.</p>
          <p>Dr. <hi rendition="#g">d'Ester</hi> widerlegt den Minister und mehrere andere                         Redner der Rechten in einer langen glänzenden Rede. Seiner Ansicht nach,                         maßt sich die Versammlung durch die Einsetzung der vorgeschlagenen                         Untersuchungs-Kommission keine richterliche Gewalt an. &#x201E;Wir thun nichts                         anders, als Jemand, der einen Beschluß fassen, und sich vorher deshalb                         informiren will. Auch wir wollen uns informiren. Man bestreitet die                         Kompetenz der Versammlung, ihre Berechtigung, Zeugenverhöre vorzunehmen.                         Aber ich behaupte, daß jeder Privatmann sogar dazu berechtigt ist. (Dieser                         Satz findet viel Widerspruch.) Es freut mich, daß ich Widerspruch finde, da                         ich besonders darüber Aufschluß geben kann. Ich und der ebenfalls hier                         anwesende Dr. Borchhardt waren angeklagt, zwei Zeugen vernommen zu haben, um                         politische Thatsachen festzustellen. Alle Gerichtshöfe haben unsere                         Berechtigung dazu anerkannt. Ich muß ferner bezweifeln, ob das Ministerium                         im Stande wäre, alle nöthigen Mittheilungen machen zu können, weil es eben                         an die einseitigen Berichte seiner Beamten gebunden ist. Deshalb ist es                         durchaus nothwendig, daß die Kommission das Recht haben muß, sich selbst an                         Ort und Stelle zu begeben und den nöthigen Thatbestand aufzunehmen. Es fragt                         sich noch, ob dieser Kampf in Posen wirklich der Kampf zweier Nacen war, wie                         er bisher dargestellt wurde. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf nicht auch                         wie in ganz Europa der Kampf der Unterjochten gegen das unterdrückende                         System war.&#x201C; Nachdem der Redner seine Ansichten noch näher begründet hatte,                         schloß er mit vielem Beifall. Als endlich der Schluß der Debatte angenommen                         war, wurde zur Fragestellung geschritten. Der Präsident <hi rendition="#g">Grabow</hi> entwickelte mit vieler Klarheit, daß nach den vielen                         gestellten Amendements nicht anders zum Ziele zu gelangen sei, als daß er                         alle in die Form von Fragen auflöse. Die Versammlung nimmt hierauf fast                         einstimmig an, &#x201E;daß eine Kommission zur Untersuchung der Angelegenheiten im                         Großherzogthum Posen seit der versprochenen Reorganisation vom 22. März                         dieses Jahres eingesetzt werde; daß diese Kommission aus sechszehn                         Mitgliedern bestehen solle, wozu je zwei Mitglieder in jeder Abtheilung                         gewählt werden sollen; daß die Kommission die Aufgabe haben soll, die Gründe                         und Ursachen zu erforschen, welche die unter den Angehörigen der polnischen                         und deutschen Nationalität stattgefundenen Entzweiungen hervorgebracht; daß                         sie das Ganze, bei der Einleitung der Reorganisation seitens der Regierung                         und ihrer Organe beobachtete Verfahren untersuche; daß sie die, die Provinz                         Posen betreffenden internationalen Verhältnisse untersuche; daß sie die                         Mittel erforsche und angebe, wie die Eintracht herzustellen sei; daß sie                         ermittele, wie die beabsichtigte Reorganisation durchzuführen sei.&#x201C; &#x2012; Alle                         diese Fragen wurden angenommen und es handelte sich nur noch um die                         Fragestellung, wie die Kommission ihre Aufträge in Ausführung zu bringen                         habe. <hi rendition="#g">Der Präsident</hi> stellt nun zuerst die Frage: <hi rendition="#g">&#x201E;Soll der Kommission in Ausführung ihrer Aufträge ganz                             freie Hand gelassen werden?&#x201C;</hi> </p>
          <p>Der Präsident erklärt, daß wenn diese Frage angenommen wird, alle andern                         Fragen wegfallen würden, da die andern Fragen diese erste beschränken. Nach                         einer kurzen Debatte stellte sich als ganz sicher heraus, daß durch die                         Annahme dieser Frage der Kommission alle mögliche Befugnisse eingeräumt                         werden. &#x2012; Graf <hi rendition="#g">Reichenbach</hi> verlangt namentliche                         Abstimmung, welche auch von der ganzen Linken unterstützt wird. &#x2012; Die                         namentliche Abstimmung ergiebt folgendes:</p>
          <p>195 stimmen mit <hi rendition="#g">&#x201E;ja&#x201C;</hi> &#x2012; 170 mit <hi rendition="#g">&#x201E;nein&#x201C;</hi> </p>
          <p>Die Frage ist also angenommen. Alle Minister haben mit <hi rendition="#g">nein</hi> gestimmt, <hi rendition="#g">also eine Niederlage des                             Ministeriums.</hi> </p>
          <p>Schon während der Stimmenzählung entfernten sich viele Mitglieder der Linken,                         in der Gewißheit, daß die Frage angenommen, und daß dadurch alle                         nachfolgenden verworfen seien. Aber die Rechte war anderer Meinung. Sie                         wollte nun durchaus die andern Fragen auch zur Abstimmung bringen. Durch die                         Annahme der ersten Frage, die ganz allgemein sei, wären die Mittel zur                         Ausführung noch nicht angegeben; man müsse erst feststellen, ob die                         Kommission das Recht haben solle, Zeugen zu vernehmen u. s. w. Man bestürmte                         den Präsidenten so lange, bis er einwilligte, die Fragen zur Abstimmung zu                         bringen. Daß der Präsident bei der Fragestellung durch die Annahme der                         ersten Frage die andern für unnöthig erklärt habe, das sei noch kein                         Beschluß der Versammlung. Der Präsident sieht sich genöthigt, die Frage zur                         Abstimmung zu bringen. <hi rendition="#g">Die Linke protestirt dagegen</hi> und da die Rechte auf der Fragestellung besteht, so <hi rendition="#g">verläßt die Linke in Masse die Versammlung.</hi> </p>
          <p>Nachdem sich nun die Linke entfernt hatte, beschließt die Versammlung, in                         Widerspruch mit der ersten Frage, welche mit Majorität angenommen war, die                         andern Fragen auch zur Abstimmung zu bringen, und die Frage: <hi rendition="#g">&#x201E;Soll der Kommission die Befugniß zustehen, sich                             nöthigenfalls nach der Provinz Posen begeben und Zeugen vernehmen zu                             dürfen?&#x201C;</hi> wird verneint. &#x2012; Die Kommission, welcher man durch die                         Annahme der ersten Frage, zur Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand                         gelassen, wird durch die Bestimmung, sich nicht nach Posen begeben und                         Zeugen vernehmen zu dürfen, wieder beschränkt.</p>
          <p>Die Durchführung der letzten Fragstellung ist jedenfalls <hi rendition="#g">ein Staatsstreich,</hi> dessen Folgen von unermeßlicher Wirkung sein                         kann. Jetzt ist es an der Zeit, jetzt kann die Linke der Versammlung zeigen,                         ob sie es ernsthaft meint. &#x2012; Die Spaltung, die bisher in der Versammlung                         bestand, ist heute zum völligen Bruch geworden.</p>
          <p>Nach dieser folgenreichen Abstimmung nahm zuletzt noch der Minister-Präsident                         v. <hi rendition="#g">Auerswald</hi> das Wort und sprach mit lieblichen                         Phrasen von der Einheit Deutschlands, von Eintracht, und daß das Ministerium                         demnach auch die in Frankfurt gefaßten Beschlüsse, die Einsetzung einer                         exekutiven Behörde und die Wahl eines Reichsverwesers in der Person des                         Erzherzogs Johann, dieses edlen Prinzen, anerkenne. Er gab nicht undeutlich                         zu verstehen, daß eine vorhergehende Genehmigung Preußens zu diesen                         Beschlüssen nöthig gewesen wäre, aber das Ministerium wolle Alles durch die                         Dringlichkeit der Umstände entschuldigen, und gebe seine vollkommene                         Zustimmung.</p>
          <p>Wenn wir ein Haus auf festen Grundlagen bauen wollen, so müssen wir es mit                         Eintracht errichten u. s. w. So schloß der Ministerpräsident seine Rede. &#x2012;                         Der Präsident <hi rendition="#g">Grabow</hi> forderte hierauf die                         Versammlung auf, ihre Zustimmung durch ein einstimmiges Hoch auszudrücken,                         und die folgsamen Vereinbarer &#x2012; die unfolgsamen hatten sich ja entfernt &#x2012;                         brachten ein &#x201E;Hoch Deutschland&#x201C; aus.</p>
        </div>
      </div>
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        <p>Druck von Wilhelm Clouth in Köln.</p>
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    </body>
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</TEI>
[0181/0001] Extrabeilage zu Nr. 36 der Neuen Rheinischen Zeitung. Neue Ministerkrisis. Rodbertus ausgetreten. Sieg der Linken. Staatsstreich der Rechten. 103 Berlin, 4. Juli. Ich komme so eben aus der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung und bin so verwirrt von den verschiedenartigsten Eindrücken, welche diese Sitzung auf mich und gewiß auch auf alle Anwesende hervorbrachte, daß ich kaum weiß, worüber ich Ihnen berichten soll. Ein Gedanke überstürzt den andern und deshalb will ich nur Alles gleich auf einmal auskramen. Der Minister des Kultus, Rodbertus, hat abgedankt. ‒ Die Polenfrage wurde gegen den Willen der Minister entschieden. ‒ Die Vereinbarer widerrufen hierauf theilweise den gefaßten Beschluß, nachdem sich die Linke in Masse wegen der ungerechten Fragestellung entfernt. ‒ Das Ministerium erkennt nothgedrungen die in Frankfurt angenommene Vollstreckungsbehörde und den Reichsverweser Erzherzog Johann an. Nach Eröffnung der heutigen Sitzung zeigte der Ministerpräsident v. Auerswald an, daß der Minister des Kultus, Rodbertus, seine Entlassung eingereicht habe. Die Meinungsverschiedenheit sey durch die Behandlung der deutschen Angelegenheit hervorgerufen. Obgleich das Ministerium darüber einstimmig gewesen, daß die Begründung eines einigen und starken Deutschlands das einzige Ziel sei, das es zu verfolgen habe, ist es doch nicht gelungen, eine Einigung über die einzelnen Fragen mit dem Minister des Kultus zu Stande zu bringen. Das Ministerium hält sich durch diesen Austritt nicht für gefährdet und will suchen sich gelegentlich zu ergänzen. Einstweilen und bis zur baldigen Wiederbesetzung wird der Direktor im Kultusministerium, v. Ladenberg, dasselbe interimistisch vorstehen. Rodbertus machte hierauf die Mittheilung, daß er nur in einigen Differenzen bei der deutschen Frage mit seinen Kollegen gewesen, glaubte aber deshalb seine Entlassung einreichen zu müssen. Er hatte diesen Schritt genau erwogen und wäre der Meinung gewesen, durch diesen Schritt das fernere Bestehen des Ministeriums nicht zu gefährden. Er glaubte es aber seiner Gesinnung schuldig zu sein, auszutreten, jedoch wird er auch ferner das Ministerium in allen Fragen unterstützen. Hiermit war die Sache in der Vereinbarerversammlung erledigt, nachdem der Ministerpräsident veranlaßt durch einige Bemerkungen und Zurufe von der Linken sich genötbigt sah zu erklären, daß Hr. v. Ladenberg dem Ministerium des Kultus jedenfalls nur bis zur baldigen Wiederbesetzung dieses Ministeriums vorstehen werde. Hr. v. Ladenberg ist nämlich noch ein Beamter des alten Systems, der Günstling des Exministers Eichhorn; deshalb ist es nicht auffallend, daß die Linke sogleich ihr Mißfallen über diese Besetzung zu erkennen gab. Hierauf kam die polnische Frage zur Verhandlung. Das Kommissionsgutachten ging dahin, „daß eine Kommission zur Untersuchung der Ursachen, wodurch die blutigen Vorfälle im Großherzogthum Posen hervorgerufen, niedergesetzt und ihr zu deren Erforschung völlig freie Hand gelassen werde.“ ‒ Viele Amendements zur Erweiterung oder Beschränkung der Befugnisse der Kommission wurden eingereicht, eine Menge Redner, im verschiedenartigsten Sinne wurden angehört, selbst der Minister des Innern, Kühlwetter, fand sich veranlaßt, das Wort zu ergreifen, um erstens die Beamten des Großherzogthums, denen man Partheilichkeit und viel Schuld am Vorgefallenen vorgeworfen hatte, in Schutz zu nehmen. Man solle den ganzen Beamtenstand nicht tadeln, weil vielleicht einzelne Beamte unrecht gehandelt hätten. Dann gab der Minister eine langweilige Auseinandersetzung zum Besten, über die Befugnisse der Kammern zur Einsetzung von Untersuchungs-Kommissionen und über die Trennung der richterlichen, der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalten. Seiner langen Rede kurzer Sinn war, daß er die Befugnisse oder die Kompetenz der Versammlung zu bezweifeln schien und daß seiner Ansicht nach die Kommission wenig ausrichten könne. Dr. d'Ester widerlegt den Minister und mehrere andere Redner der Rechten in einer langen glänzenden Rede. Seiner Ansicht nach, maßt sich die Versammlung durch die Einsetzung der vorgeschlagenen Untersuchungs-Kommission keine richterliche Gewalt an. „Wir thun nichts anders, als Jemand, der einen Beschluß fassen, und sich vorher deshalb informiren will. Auch wir wollen uns informiren. Man bestreitet die Kompetenz der Versammlung, ihre Berechtigung, Zeugenverhöre vorzunehmen. Aber ich behaupte, daß jeder Privatmann sogar dazu berechtigt ist. (Dieser Satz findet viel Widerspruch.) Es freut mich, daß ich Widerspruch finde, da ich besonders darüber Aufschluß geben kann. Ich und der ebenfalls hier anwesende Dr. Borchhardt waren angeklagt, zwei Zeugen vernommen zu haben, um politische Thatsachen festzustellen. Alle Gerichtshöfe haben unsere Berechtigung dazu anerkannt. Ich muß ferner bezweifeln, ob das Ministerium im Stande wäre, alle nöthigen Mittheilungen machen zu können, weil es eben an die einseitigen Berichte seiner Beamten gebunden ist. Deshalb ist es durchaus nothwendig, daß die Kommission das Recht haben muß, sich selbst an Ort und Stelle zu begeben und den nöthigen Thatbestand aufzunehmen. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf in Posen wirklich der Kampf zweier Nacen war, wie er bisher dargestellt wurde. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf nicht auch wie in ganz Europa der Kampf der Unterjochten gegen das unterdrückende System war.“ Nachdem der Redner seine Ansichten noch näher begründet hatte, schloß er mit vielem Beifall. Als endlich der Schluß der Debatte angenommen war, wurde zur Fragestellung geschritten. Der Präsident Grabow entwickelte mit vieler Klarheit, daß nach den vielen gestellten Amendements nicht anders zum Ziele zu gelangen sei, als daß er alle in die Form von Fragen auflöse. Die Versammlung nimmt hierauf fast einstimmig an, „daß eine Kommission zur Untersuchung der Angelegenheiten im Großherzogthum Posen seit der versprochenen Reorganisation vom 22. März dieses Jahres eingesetzt werde; daß diese Kommission aus sechszehn Mitgliedern bestehen solle, wozu je zwei Mitglieder in jeder Abtheilung gewählt werden sollen; daß die Kommission die Aufgabe haben soll, die Gründe und Ursachen zu erforschen, welche die unter den Angehörigen der polnischen und deutschen Nationalität stattgefundenen Entzweiungen hervorgebracht; daß sie das Ganze, bei der Einleitung der Reorganisation seitens der Regierung und ihrer Organe beobachtete Verfahren untersuche; daß sie die, die Provinz Posen betreffenden internationalen Verhältnisse untersuche; daß sie die Mittel erforsche und angebe, wie die Eintracht herzustellen sei; daß sie ermittele, wie die beabsichtigte Reorganisation durchzuführen sei.“ ‒ Alle diese Fragen wurden angenommen und es handelte sich nur noch um die Fragestellung, wie die Kommission ihre Aufträge in Ausführung zu bringen habe. Der Präsident stellt nun zuerst die Frage: „Soll der Kommission in Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand gelassen werden?“ Der Präsident erklärt, daß wenn diese Frage angenommen wird, alle andern Fragen wegfallen würden, da die andern Fragen diese erste beschränken. Nach einer kurzen Debatte stellte sich als ganz sicher heraus, daß durch die Annahme dieser Frage der Kommission alle mögliche Befugnisse eingeräumt werden. ‒ Graf Reichenbach verlangt namentliche Abstimmung, welche auch von der ganzen Linken unterstützt wird. ‒ Die namentliche Abstimmung ergiebt folgendes: 195 stimmen mit „ja“ ‒ 170 mit „nein“ Die Frage ist also angenommen. Alle Minister haben mit nein gestimmt, also eine Niederlage des Ministeriums. Schon während der Stimmenzählung entfernten sich viele Mitglieder der Linken, in der Gewißheit, daß die Frage angenommen, und daß dadurch alle nachfolgenden verworfen seien. Aber die Rechte war anderer Meinung. Sie wollte nun durchaus die andern Fragen auch zur Abstimmung bringen. Durch die Annahme der ersten Frage, die ganz allgemein sei, wären die Mittel zur Ausführung noch nicht angegeben; man müsse erst feststellen, ob die Kommission das Recht haben solle, Zeugen zu vernehmen u. s. w. Man bestürmte den Präsidenten so lange, bis er einwilligte, die Fragen zur Abstimmung zu bringen. Daß der Präsident bei der Fragestellung durch die Annahme der ersten Frage die andern für unnöthig erklärt habe, das sei noch kein Beschluß der Versammlung. Der Präsident sieht sich genöthigt, die Frage zur Abstimmung zu bringen. Die Linke protestirt dagegen und da die Rechte auf der Fragestellung besteht, so verläßt die Linke in Masse die Versammlung. Nachdem sich nun die Linke entfernt hatte, beschließt die Versammlung, in Widerspruch mit der ersten Frage, welche mit Majorität angenommen war, die andern Fragen auch zur Abstimmung zu bringen, und die Frage: „Soll der Kommission die Befugniß zustehen, sich nöthigenfalls nach der Provinz Posen begeben und Zeugen vernehmen zu dürfen?“ wird verneint. ‒ Die Kommission, welcher man durch die Annahme der ersten Frage, zur Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand gelassen, wird durch die Bestimmung, sich nicht nach Posen begeben und Zeugen vernehmen zu dürfen, wieder beschränkt. Die Durchführung der letzten Fragstellung ist jedenfalls ein Staatsstreich, dessen Folgen von unermeßlicher Wirkung sein kann. Jetzt ist es an der Zeit, jetzt kann die Linke der Versammlung zeigen, ob sie es ernsthaft meint. ‒ Die Spaltung, die bisher in der Versammlung bestand, ist heute zum völligen Bruch geworden. Nach dieser folgenreichen Abstimmung nahm zuletzt noch der Minister-Präsident v. Auerswald das Wort und sprach mit lieblichen Phrasen von der Einheit Deutschlands, von Eintracht, und daß das Ministerium demnach auch die in Frankfurt gefaßten Beschlüsse, die Einsetzung einer exekutiven Behörde und die Wahl eines Reichsverwesers in der Person des Erzherzogs Johann, dieses edlen Prinzen, anerkenne. Er gab nicht undeutlich zu verstehen, daß eine vorhergehende Genehmigung Preußens zu diesen Beschlüssen nöthig gewesen wäre, aber das Ministerium wolle Alles durch die Dringlichkeit der Umstände entschuldigen, und gebe seine vollkommene Zustimmung. Wenn wir ein Haus auf festen Grundlagen bauen wollen, so müssen wir es mit Eintracht errichten u. s. w. So schloß der Ministerpräsident seine Rede. ‒ Der Präsident Grabow forderte hierauf die Versammlung auf, ihre Zustimmung durch ein einstimmiges Hoch auszudrücken, und die folgsamen Vereinbarer ‒ die unfolgsamen hatten sich ja entfernt ‒ brachten ein „Hoch Deutschland“ aus. Druck von Wilhelm Clouth in Köln.

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Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 36. Köln, 6. Juli 1848. Beilage, S. 0181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz036b_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.