Neue Rheinische Zeitung. Nr. 44. Köln, 14. Juli 1848.Russisches Militär. (Fortsetzung und Schluß.) Nach den Staatsregistern besteht die ganze Truppenmasse Rußlands, in Friedenszeiten aus 1,047,000 Mann. Ein höherer Offizier, der lange Zeit in den Ministerial-Bureaux arbeitete, behauptet indeß, daß in Wirklichkeit wohl nur 785,000 Mann Infanterie, reguläre und irreguläre Kavallerie, Artillerie, Genie und verschiedene Truppen unter den Waffen sein möchten. Jedenfalls werden eine Menge Regimenter mit Leuten und Pferden, welche niemals existirten, Jahr aus, Jahr ein vom Staate bezahlt. Wie wir sahen, ist dies indeß der geringste Uebelstand bei der ganzen Sache, denn da einmal die Stämme der verschiedenen Regimenter in vollständiger Ordnung vorhanden sind, so ist es bei den eigenthümlichen Zuständen Rußlands ein Leichtes, im Fall der Noth, die erforderliche Anzahl Rekruten in so großer Geschwindigkeit herbeizuschaffen, daß man die Lücken niemals gewahr wird. Die eigentlichen Schattenseiten des russischen Militärwesens kommen erst dann zum Vorschein, wenn diese jungen, schlecht genährten Soldaten, plötzlich mehrere hundert Meilen weit aus dem Innern nach den Gränzen des Reiches marschiren sollen. Die höheren Vorgesetzten bemächtigen sich dann sofort der Nationen, des Soldes und der Kleider ihrer Untergebenen und lassen den geduldigen, nie murrenden Soldaten nur so viel übrig, als ihnen durchaus nöthig ist, um nicht auf der Stelle zu erliegen. Dieser im Großen betriebene Diebstahl der ersten Offiziere wird während des Marsches von allen Subalternen nachgeahmt. Man macht Kontrakte mit den Lieferanten, mit den Bauern, bei denen man einquartirt wird, mit den Grundbesitzern und ihren Agenten und gewönne man auch nur ein gutes Mittagsessen und eine Flasche Champagner dabei, so drückt man doch gern ein Auge bei allen Entbehrungen zu, welche eine Kompagnie, ein ganzes Regiment durch das Verkürzen seiner Rationen zu erdulden hat. In der That, ganze Armeekorps würden zu Grunde gehen, wenn sich der gemeine Soldat nicht hin und wieder durch Raub und Plünderung für seine Leiden entschädigen könnte. Das Wunderbarste bei der ganzen Geschichte ist indeß, daß nie Jemand Klage führt. Der Soldat jeden Ranges ist aber an das Stehlen seiner Vorgesetzten so sehr gewohnt, daß er nicht anders glaubt, als es müsse so sein und Jeder nimmt für das Erlittene dann seinen Regreß an die unter ihm stehende Person. Jedes Regiment, welches auswärts dienen soll, schmilzt gewöhnlich vor dem Erreichen der Gränze bis auf die Hälfte zusammen. Die Gewohnheiten der Moskowiten und das Unzureichende ihrer vegetabilischen Nahrung würden die außerordentlichste Sorgfalt nöthig machen, um jene Epidemieen zu verhindern, welche die Reihen auf so entsetzliche Weise lichten und man kann die russischen Heere auch nur dadurch auf dem Kriegsschauplatze erhalten, daß man eine Verstärkung nach der andern abmarschiren läßt. Bei den Armeen aller Völker ist dieser Umstand mehr oder weniger vorherrschend. Die Sterblichkeit in dem russischen Heere übersteigt indeß jeden Vergleich. Trotz der ungeheuern Mittel, welche der Kaiser für den Krieg besitzt, würde es ihm daher fast unmöglich sein, etwa 150,000 Mann Truppen an ein und derselben Stelle, außerhalb der Gränzen zur Schlacht gerüstet zu erhalten? Schließen wir hiermit unsere Notizen aus jenem interessanten Werke, welches wir einer der gewandtesten englischen Federn der neuern Zeit zu verdanken haben. Etwaige Unrichtigkeiten werden leicht zu verbessern sein, wenn wir nächstens Gelegenheit bekommen, die kaiserlichen Soldaten mit hoffentlich sehr fühlbaren deutschen Erinnerungen in ihre Steppen zurück zu jagen. Weimar, 8. Juli. In den Fürstenthümern Reuß wird die Aufregung immer größer. Der Fürst von Ebersdorf soll sich für zahlungsunfähig erklärt haben, und in Gera in einer haftähnlichen Eingeschlossenheit weilen; es handelt sich um 800,000 Thlr. (Wes. Z.)[Deutschland] 15 Berlin, 10. Juli. Die Franz-Lachmann'sche Angelegenheit, die sich erst in den jüngsten Tagen ereignete, wird Ihnen bekannt sein. Aber für meine Pflicht halte ich es, einen Mann, der dem Rheinlande entstammt, dessen Büste seine Vaterstadt vor wenigen Jahren in den Sälen ihres Rathhauses aufgestellt, in Ihrer Zeitung vor dem ganzen Rheinlande anzuklagen. Dieser Mann, er heißt Johannes Müller, und ist in Koblenz geboren, hat, so oft er bis jetzt öffentlich aufgetreten, sich fast immer als einen Diener des alten Polizeistaates, als eifrigen Verfolger jeder freieren Richtung, kurz, nicht als rheinländischen, sondern als ächt altpreußischen Zopfgelehrten bewiesen. Lassen Sie mich Ihnen Einiges aus der jüngsten Vergangenheit dieses Mannes erzählen, dieses Mannes, dem es nicht etwa gleichgültig ist, ob er unter Altenstein oder Eichhorn, unter Freiheit oder Knechtschaft lebt, nein, der seine Vorliebe für Censur und Denunciation offen und thatsächlich bekundet hat. Das mag ihm noch nicht hoch angerechnet werden, wenn er im vorigen Jahre den Armensünderbrief der Akademie an den König mit unterzeichnete, wenn er, kurz vor den Märzereignissen einen die Studirenden zur Berathung über Universitätsreformen einladenden Anschlagzettel von dem Anatomiegebäude öffentlich mit dem Bemerken herunterriß, er hätte geglaubt, daß die Mediziner zu vernünftig wären, um sich solch' unsinnigem Treiben anzuschließen; wenn er zur selben Zeit, als dem wegen seiner freieren Richtung vom pietistischen Lehrer Friedlaender denuncirten, von Eichhorn weggejagten und damals hier verweilenden, Stettiner Gymnasial-Direktor Hasselbach ein Fackelzug gebracht werden sollte, die Erlaubniß dazu mit den Worten verweigerte, es könnte ja wie eine politische Demonstration aussehen! Aber das ist eine Schmach und verdient öffentlich gerügt zu werden, daß Müller, nach geschehener (?) Revolution, nachdem wenigstens das alte Universitätsgilden- und Bevormundswesen gebrochen war, seine Rektoratsstelle zu einem Schergenamt benutzte, und noch täglich benutzt. Sie wissen, daß der König einen Tag, nachdem der unübertreffliche Verfassungsentwurf erschienen war, eine große Parade über die Bürgerwehr und die fliegenden Korps abhielt. Hr. Müller nahm als Rektor der Universität an dem kindischen Spiele Theil, und schritt dem antiwühlerischen, gesinnungstüchtigen Theile des bewaffneten Studentenkorps stolz voran. Da schaut er zum Balkon der Universität empor, und bemerkt, o Schrecken! eine schwarze Fahne, die dort heraushängt. Gleich eilt er hinauf, faßt den Kühnen, der solch' verbrecherische Gesinnung kund gegeben, verklagt ihn beim Universitätsgericht, denuncirt ihn bei der Polizei! Unglücklicherweise war der Student, Rechenberg aus Königsberg, so hieß der Verwogene, noch nicht in Berlin immatrikulirt, und hatte, da seine Papiere von seinem frühern Studienort noch nicht angelangt waren, vom Rektor eine vorläufige Aufenthaltskarte erhalten. Diese wird ihm sofort gekündigt und der heimathlose Verbrecher angewiesen, die Stadt binnen 24 Stunden zu verlassen. Um dies Schicksal von seinem Haupt abzuwenden, schickten ihn die Studenten damals als einen ihrer Deputirten nach der Wartburg, und während seiner Abwesenheit wurde denn vom Polizei-Präsidenten die Erlaubniß zu seinem ferneren Hierbleiben erwirkt. - Ein anderes, eben so löbliches Geschäft, was Hr. Müller betreibt, besteht darin, daß er Zettel, worin Studentenversammlungen zur Berathung über Universitätsreformen ausgeschrieben werden, vom schwarzen Brett herunterreißt. Einer sich darüber beschwerenden, von den Studirenden an ihn gesandten Deputation, erwiderte der ehrenwerthe Hr. Rektor, daß er alle gegen die Gesetze und gegen die Sittlichkeit verstoßenden Anschläge abreißen müsse, daß er von diesem Rechte jedoch einen sehr sparsamen, nämlich erst 6 Maligen Gebrauch gemacht habe. Auch wünschte er, wenn Studentenversammlungen abgehalten werden sollten, vorher von dem Zwecke derselben unterrichtet zu werden, da er gesetzwidrige verhindern müsse. X Berlin, 11. Juli. Der heute auf der Tagesordnung stehende Antrag Jacoby's, "die preußische konstituirende Versammlung kann den von der deutschen Nationalversammlung gefaßten Beschluß nicht billigen, durch welchen ein unverantwortlicher, an die Beschlüsse der Nationalversammlung nicht gebundener Reichsverweser ernannt wird; die preußische konstituirende Versammlung erklärt sich aber zugleich dahin, daß die deutsche Nationalversammlung vollkommen befugt war, jenen Beschluß zu fassen, ohne vorher die Zustimmung der einzelnen deutschen Regierungen einzuholen, daß es daher der preußischen Regierung nicht zustand, Vorbehalt irgend einer Art zu machen," hatte die Tribünen mehr als je gefüllt. Auf dem Platze vor der Singakademie waren wieder bedeutende Anhäufungen der auf das Resultat dieses Antrages gespannten Berliner. Zwei Volksversammlungen, die Sonnabend und gestern vor den Zelten, trotz der angedrohten Strafe von 5 bis 50 Thlr. für die Anordner und Redner bei denselben, abgehalten worden, hatten das ihrige dazu beigetragen, auch die arbeitenden Klassen auf die heutige Sitzung der Nationalversammlung aufmerksam zu machen. Und das Resultat ist vorherzusehen, der Jacoby'sche Antrag wird verworfen werden, das linke Centrum, die Wiege des jetzigen Ministeriums, hat sich hierzu mit der Rechten verbunden. Vor dem Beginne der Debatte theilte jedoch der Präsident noch der Versammlung mit, daß das Ministerium einige Gesetzesvorlagen, Zwangsanleihe, Erhöhung der Branntweinsteuer, Aufhebung der Ausnahmsberechtigung bei der Klassensteuer u. s. w. und eine Denkschrift in Bezug auf die Finanzen des Landes eingereicht und Hr. Hansemann hielt hierauf noch eine längere Rede, nach welcher wir glauben müssen, daß die Finanzlage unseres Landes eine sehr glückliche ist. Die Einnahmen, sagt er, haben in den letzten Monaten natürlich abnehmen müssen, da alle Produkte im Werthe gesunken sind, so sind es auch die Staats-, hauptsächlich die Bergwerksprodukte, die unter den jetzigen Verhältnissen gar nicht veräußert werden können. Die Einnahmen der Domänen und der Konsumtionssteuer haben ebenfalls abgenommen, dazu kommen die Posen'schen Unruhen, der Erlaß eines Drittels der Mahlsteuer zum Besten der arbeitenden Klassen, Ausfälle, die zusammen wohl 8 Mill. Thlr. betragen. Dagegen hat der Staat eine Mehrausgabe von 221/2 Mill. Thlr., wovon auf das Militär allein bis jetzt 10 Mill. kommen, insgesammt würde ein Mehrbedürfniß von 30 Mill. wohl für das ganze Jahr anzunehmen sein. Was nun die Anleihe betrifft, so werden die Bürger, die weniger als 4000 Thlr. oder eine jährliche Einnahme von 400 Thlr. haben, davon befreit sein. Von diesem Vermögenssatze an aber soll die Steuer bis zu dem Reichen hinauf progressiv von 1/2 bis 2 pCt. stattfinden. Und der Finanzminister, der dieses Maaß für progressiv hält, hat auch die Hoffnung, daß nur das Erscheinen des Gesetzes schon hinreichen werde, um die freiwillige Anleihe desto ergiebiger und die unfreiwillige vielleicht ganz überflüssig zu machen. Er hat deshalb noch kein neues Steuergesetz vorgelegt, weil die diesjährigen Bedürfnisse des Staats gedeckt werden müssen, und bei einer neuen Steuer man den Erfolg immer nicht vorher berechnen kann, er behalte sich daher dieselbe bis zum nächsten Jahre vor. Der Herr Minister scheint also große Zuversicht auf den Bestand seiner Stellung zu haben. Er theilt dann noch mit, daß die Regierung die Absicht habe, die Staatsforsten zu behalten, dagegen die Domänen der Bewirthschaftung freier Eigenthümer zu übergeben, und zwar sollen sie tabellenweise verkauft werden. Er kommt dann auf das Institut der Seehandlung und hat die Gelegenheit, seinen Erfahrungssatz anzubringen, daß der Staat nicht Industrie treiben dürfe, es ist seine Ansicht, man müsse die Fabriken der Seehandlung, sobald der Kredit sich erst gehoben, an Private, wenn auch mit Schaden, verkaufen, denn jetzt kosteten sie uns Verluste. Wie er vom Staatsschatz spricht, ob dort fernerhin auch noch Geld angesammelt werden solle, erhebt sich ein Gelächter, nach der Erklärung des Ministers aber hat er wirklich in den letzten 7 Jahren zugenommen, wie er dies in der vorigen Sitzung schon erklärt, und zwar waren die Einnahmen desselben während der Jahre 1820 bis 1840 24,400,000 Thlr. und die Ausgaben 12,250,000 Thlr., ultimo Juni 1840 hatte er also einen Bestand von ungefähr 12 Mill. Die Einnahmen desselben von dieser Zeit bis ultimo Juni 1847 betrugen 9,000,860 Thlr. und die Ausgaben nur 2 Mill. und zwar wurden dieselben zur Unterstützung der Hauptbank, eines Privatunternehmens, angewandt. Hr. Hansemann ergeht sich in ungeheuern Lobeserhebungen über die bisherige Verwaltung der preußischen Finanzen, bei der nur wenig zu verändern, die er nur hie und da zu vereinfachen habe. Die Staatsschulden betrugen 1820 206 Mill., davon waren 1847 fast 81 Mill. getilgt, ohne daß erhebliche neue dazu gemacht wurden, so daß sie jetzt nur 126 Mill. Thlr. betragen. Dagegen haben die Domänen einen viel größern Werth als sämmtliche Schulden des Staates von alter Zeit und Hr. Hansemann sprach die Hoffnung aus, daß wir unter solchen Verhältnissen über die Schwierigkeiten des Augenblicks leicht hinwegkommen werden. Waldeck referirt hierauf über die Arbeiten der Verfassungskommission, die mit den Beschlüssen des Inhaltes der Verfassung bis auf die Frage, ob eine oder zwei Kammern und überdie Attribute des Königs, ihre Arbeiten so weit gebracht, daß sie nun auch die Fassung der Beschlüsse schnell vollendet haben wird. Von Garantie der Arbeit oder sonst etwas, was die Ansprüche der arbeitenden Klasse betrifft, haben wir kein Wort gehört und da über die künftige Gestaltung der Volksrepräsentation in der Kommission eben auch noch nichts entschieden ist, so hätten wir über dies Referat nichts mitzutheilen, was Sie in ihren früheren Nummern nicht schon gebracht. Da dies Referat so wenig Positives bot, so konnte der Antrag des Abgeordneten Temme, die Versammlung möge sogleich die Titel des Verfassungs-Entwurfs debattiren, natürlich keine Unterstützung finden. Endlich ist der Antrag von Jacoby an der Reihe, sogleich stürmt der vierte Theil der Versammlung zum Sekretär, um sich zum Reden zu melden. Die Rechte besonders war hierbei sehr thätig; sie will gewiß Gelegenheit nehmen, große Reden zu halten, ihr Licht leuchten zu lassen und hat doch heute keinen einzigen gescheiten Gedanken zu Tage gefördert. - Jacoby unterstützt seinen Antrag mit kurzen Worten; er hält es für die Versammlung für angemessen, daß sie zu erkennen gebe, in welchem Verhältniß sie zur deutschen Nationalversammlung und zur Einheit Deutschlands stehe, Still- Russisches Militär. (Fortsetzung und Schluß.) Nach den Staatsregistern besteht die ganze Truppenmasse Rußlands, in Friedenszeiten aus 1,047,000 Mann. Ein höherer Offizier, der lange Zeit in den Ministerial-Bureaux arbeitete, behauptet indeß, daß in Wirklichkeit wohl nur 785,000 Mann Infanterie, reguläre und irreguläre Kavallerie, Artillerie, Genie und verschiedene Truppen unter den Waffen sein möchten. Jedenfalls werden eine Menge Regimenter mit Leuten und Pferden, welche niemals existirten, Jahr aus, Jahr ein vom Staate bezahlt. Wie wir sahen, ist dies indeß der geringste Uebelstand bei der ganzen Sache, denn da einmal die Stämme der verschiedenen Regimenter in vollständiger Ordnung vorhanden sind, so ist es bei den eigenthümlichen Zuständen Rußlands ein Leichtes, im Fall der Noth, die erforderliche Anzahl Rekruten in so großer Geschwindigkeit herbeizuschaffen, daß man die Lücken niemals gewahr wird. Die eigentlichen Schattenseiten des russischen Militärwesens kommen erst dann zum Vorschein, wenn diese jungen, schlecht genährten Soldaten, plötzlich mehrere hundert Meilen weit aus dem Innern nach den Gränzen des Reiches marschiren sollen. Die höheren Vorgesetzten bemächtigen sich dann sofort der Nationen, des Soldes und der Kleider ihrer Untergebenen und lassen den geduldigen, nie murrenden Soldaten nur so viel übrig, als ihnen durchaus nöthig ist, um nicht auf der Stelle zu erliegen. Dieser im Großen betriebene Diebstahl der ersten Offiziere wird während des Marsches von allen Subalternen nachgeahmt. Man macht Kontrakte mit den Lieferanten, mit den Bauern, bei denen man einquartirt wird, mit den Grundbesitzern und ihren Agenten und gewönne man auch nur ein gutes Mittagsessen und eine Flasche Champagner dabei, so drückt man doch gern ein Auge bei allen Entbehrungen zu, welche eine Kompagnie, ein ganzes Regiment durch das Verkürzen seiner Rationen zu erdulden hat. In der That, ganze Armeekorps würden zu Grunde gehen, wenn sich der gemeine Soldat nicht hin und wieder durch Raub und Plünderung für seine Leiden entschädigen könnte. Das Wunderbarste bei der ganzen Geschichte ist indeß, daß nie Jemand Klage führt. Der Soldat jeden Ranges ist aber an das Stehlen seiner Vorgesetzten so sehr gewohnt, daß er nicht anders glaubt, als es müsse so sein und Jeder nimmt für das Erlittene dann seinen Regreß an die unter ihm stehende Person. Jedes Regiment, welches auswärts dienen soll, schmilzt gewöhnlich vor dem Erreichen der Gränze bis auf die Hälfte zusammen. Die Gewohnheiten der Moskowiten und das Unzureichende ihrer vegetabilischen Nahrung würden die außerordentlichste Sorgfalt nöthig machen, um jene Epidemieen zu verhindern, welche die Reihen auf so entsetzliche Weise lichten und man kann die russischen Heere auch nur dadurch auf dem Kriegsschauplatze erhalten, daß man eine Verstärkung nach der andern abmarschiren läßt. Bei den Armeen aller Völker ist dieser Umstand mehr oder weniger vorherrschend. Die Sterblichkeit in dem russischen Heere übersteigt indeß jeden Vergleich. Trotz der ungeheuern Mittel, welche der Kaiser für den Krieg besitzt, würde es ihm daher fast unmöglich sein, etwa 150,000 Mann Truppen an ein und derselben Stelle, außerhalb der Gränzen zur Schlacht gerüstet zu erhalten? Schließen wir hiermit unsere Notizen aus jenem interessanten Werke, welches wir einer der gewandtesten englischen Federn der neuern Zeit zu verdanken haben. Etwaige Unrichtigkeiten werden leicht zu verbessern sein, wenn wir nächstens Gelegenheit bekommen, die kaiserlichen Soldaten mit hoffentlich sehr fühlbaren deutschen Erinnerungen in ihre Steppen zurück zu jagen. Weimar, 8. Juli. In den Fürstenthümern Reuß wird die Aufregung immer größer. Der Fürst von Ebersdorf soll sich für zahlungsunfähig erklärt haben, und in Gera in einer haftähnlichen Eingeschlossenheit weilen; es handelt sich um 800,000 Thlr. (Wes. Z.)[Deutschland] 15 Berlin, 10. Juli. Die Franz-Lachmann'sche Angelegenheit, die sich erst in den jüngsten Tagen ereignete, wird Ihnen bekannt sein. Aber für meine Pflicht halte ich es, einen Mann, der dem Rheinlande entstammt, dessen Büste seine Vaterstadt vor wenigen Jahren in den Sälen ihres Rathhauses aufgestellt, in Ihrer Zeitung vor dem ganzen Rheinlande anzuklagen. Dieser Mann, er heißt Johannes Müller, und ist in Koblenz geboren, hat, so oft er bis jetzt öffentlich aufgetreten, sich fast immer als einen Diener des alten Polizeistaates, als eifrigen Verfolger jeder freieren Richtung, kurz, nicht als rheinländischen, sondern als ächt altpreußischen Zopfgelehrten bewiesen. Lassen Sie mich Ihnen Einiges aus der jüngsten Vergangenheit dieses Mannes erzählen, dieses Mannes, dem es nicht etwa gleichgültig ist, ob er unter Altenstein oder Eichhorn, unter Freiheit oder Knechtschaft lebt, nein, der seine Vorliebe für Censur und Denunciation offen und thatsächlich bekundet hat. Das mag ihm noch nicht hoch angerechnet werden, wenn er im vorigen Jahre den Armensünderbrief der Akademie an den König mit unterzeichnete, wenn er, kurz vor den Märzereignissen einen die Studirenden zur Berathung über Universitätsreformen einladenden Anschlagzettel von dem Anatomiegebäude öffentlich mit dem Bemerken herunterriß, er hätte geglaubt, daß die Mediziner zu vernünftig wären, um sich solch' unsinnigem Treiben anzuschließen; wenn er zur selben Zeit, als dem wegen seiner freieren Richtung vom pietistischen Lehrer Friedlaender denuncirten, von Eichhorn weggejagten und damals hier verweilenden, Stettiner Gymnasial-Direktor Hasselbach ein Fackelzug gebracht werden sollte, die Erlaubniß dazu mit den Worten verweigerte, es könnte ja wie eine politische Demonstration aussehen! Aber das ist eine Schmach und verdient öffentlich gerügt zu werden, daß Müller, nach geschehener (?) Revolution, nachdem wenigstens das alte Universitätsgilden- und Bevormundswesen gebrochen war, seine Rektoratsstelle zu einem Schergenamt benutzte, und noch täglich benutzt. Sie wissen, daß der König einen Tag, nachdem der unübertreffliche Verfassungsentwurf erschienen war, eine große Parade über die Bürgerwehr und die fliegenden Korps abhielt. Hr. Müller nahm als Rektor der Universität an dem kindischen Spiele Theil, und schritt dem antiwühlerischen, gesinnungstüchtigen Theile des bewaffneten Studentenkorps stolz voran. Da schaut er zum Balkon der Universität empor, und bemerkt, o Schrecken! eine schwarze Fahne, die dort heraushängt. Gleich eilt er hinauf, faßt den Kühnen, der solch' verbrecherische Gesinnung kund gegeben, verklagt ihn beim Universitätsgericht, denuncirt ihn bei der Polizei! Unglücklicherweise war der Student, Rechenberg aus Königsberg, so hieß der Verwogene, noch nicht in Berlin immatrikulirt, und hatte, da seine Papiere von seinem frühern Studienort noch nicht angelangt waren, vom Rektor eine vorläufige Aufenthaltskarte erhalten. Diese wird ihm sofort gekündigt und der heimathlose Verbrecher angewiesen, die Stadt binnen 24 Stunden zu verlassen. Um dies Schicksal von seinem Haupt abzuwenden, schickten ihn die Studenten damals als einen ihrer Deputirten nach der Wartburg, und während seiner Abwesenheit wurde denn vom Polizei-Präsidenten die Erlaubniß zu seinem ferneren Hierbleiben erwirkt. ‒ Ein anderes, eben so löbliches Geschäft, was Hr. Müller betreibt, besteht darin, daß er Zettel, worin Studentenversammlungen zur Berathung über Universitätsreformen ausgeschrieben werden, vom schwarzen Brett herunterreißt. Einer sich darüber beschwerenden, von den Studirenden an ihn gesandten Deputation, erwiderte der ehrenwerthe Hr. Rektor, daß er alle gegen die Gesetze und gegen die Sittlichkeit verstoßenden Anschläge abreißen müsse, daß er von diesem Rechte jedoch einen sehr sparsamen, nämlich erst 6 Maligen Gebrauch gemacht habe. Auch wünschte er, wenn Studentenversammlungen abgehalten werden sollten, vorher von dem Zwecke derselben unterrichtet zu werden, da er gesetzwidrige verhindern müsse. X Berlin, 11. Juli. Der heute auf der Tagesordnung stehende Antrag Jacoby's, „die preußische konstituirende Versammlung kann den von der deutschen Nationalversammlung gefaßten Beschluß nicht billigen, durch welchen ein unverantwortlicher, an die Beschlüsse der Nationalversammlung nicht gebundener Reichsverweser ernannt wird; die preußische konstituirende Versammlung erklärt sich aber zugleich dahin, daß die deutsche Nationalversammlung vollkommen befugt war, jenen Beschluß zu fassen, ohne vorher die Zustimmung der einzelnen deutschen Regierungen einzuholen, daß es daher der preußischen Regierung nicht zustand, Vorbehalt irgend einer Art zu machen,“ hatte die Tribünen mehr als je gefüllt. Auf dem Platze vor der Singakademie waren wieder bedeutende Anhäufungen der auf das Resultat dieses Antrages gespannten Berliner. Zwei Volksversammlungen, die Sonnabend und gestern vor den Zelten, trotz der angedrohten Strafe von 5 bis 50 Thlr. für die Anordner und Redner bei denselben, abgehalten worden, hatten das ihrige dazu beigetragen, auch die arbeitenden Klassen auf die heutige Sitzung der Nationalversammlung aufmerksam zu machen. Und das Resultat ist vorherzusehen, der Jacoby'sche Antrag wird verworfen werden, das linke Centrum, die Wiege des jetzigen Ministeriums, hat sich hierzu mit der Rechten verbunden. Vor dem Beginne der Debatte theilte jedoch der Präsident noch der Versammlung mit, daß das Ministerium einige Gesetzesvorlagen, Zwangsanleihe, Erhöhung der Branntweinsteuer, Aufhebung der Ausnahmsberechtigung bei der Klassensteuer u. s. w. und eine Denkschrift in Bezug auf die Finanzen des Landes eingereicht und Hr. Hansemann hielt hierauf noch eine längere Rede, nach welcher wir glauben müssen, daß die Finanzlage unseres Landes eine sehr glückliche ist. Die Einnahmen, sagt er, haben in den letzten Monaten natürlich abnehmen müssen, da alle Produkte im Werthe gesunken sind, so sind es auch die Staats-, hauptsächlich die Bergwerksprodukte, die unter den jetzigen Verhältnissen gar nicht veräußert werden können. Die Einnahmen der Domänen und der Konsumtionssteuer haben ebenfalls abgenommen, dazu kommen die Posen'schen Unruhen, der Erlaß eines Drittels der Mahlsteuer zum Besten der arbeitenden Klassen, Ausfälle, die zusammen wohl 8 Mill. Thlr. betragen. Dagegen hat der Staat eine Mehrausgabe von 221/2 Mill. Thlr., wovon auf das Militär allein bis jetzt 10 Mill. kommen, insgesammt würde ein Mehrbedürfniß von 30 Mill. wohl für das ganze Jahr anzunehmen sein. Was nun die Anleihe betrifft, so werden die Bürger, die weniger als 4000 Thlr. oder eine jährliche Einnahme von 400 Thlr. haben, davon befreit sein. Von diesem Vermögenssatze an aber soll die Steuer bis zu dem Reichen hinauf progressiv von 1/2 bis 2 pCt. stattfinden. Und der Finanzminister, der dieses Maaß für progressiv hält, hat auch die Hoffnung, daß nur das Erscheinen des Gesetzes schon hinreichen werde, um die freiwillige Anleihe desto ergiebiger und die unfreiwillige vielleicht ganz überflüssig zu machen. Er hat deshalb noch kein neues Steuergesetz vorgelegt, weil die diesjährigen Bedürfnisse des Staats gedeckt werden müssen, und bei einer neuen Steuer man den Erfolg immer nicht vorher berechnen kann, er behalte sich daher dieselbe bis zum nächsten Jahre vor. Der Herr Minister scheint also große Zuversicht auf den Bestand seiner Stellung zu haben. Er theilt dann noch mit, daß die Regierung die Absicht habe, die Staatsforsten zu behalten, dagegen die Domänen der Bewirthschaftung freier Eigenthümer zu übergeben, und zwar sollen sie tabellenweise verkauft werden. Er kommt dann auf das Institut der Seehandlung und hat die Gelegenheit, seinen Erfahrungssatz anzubringen, daß der Staat nicht Industrie treiben dürfe, es ist seine Ansicht, man müsse die Fabriken der Seehandlung, sobald der Kredit sich erst gehoben, an Private, wenn auch mit Schaden, verkaufen, denn jetzt kosteten sie uns Verluste. Wie er vom Staatsschatz spricht, ob dort fernerhin auch noch Geld angesammelt werden solle, erhebt sich ein Gelächter, nach der Erklärung des Ministers aber hat er wirklich in den letzten 7 Jahren zugenommen, wie er dies in der vorigen Sitzung schon erklärt, und zwar waren die Einnahmen desselben während der Jahre 1820 bis 1840 24,400,000 Thlr. und die Ausgaben 12,250,000 Thlr., ultimo Juni 1840 hatte er also einen Bestand von ungefähr 12 Mill. Die Einnahmen desselben von dieser Zeit bis ultimo Juni 1847 betrugen 9,000,860 Thlr. und die Ausgaben nur 2 Mill. und zwar wurden dieselben zur Unterstützung der Hauptbank, eines Privatunternehmens, angewandt. Hr. Hansemann ergeht sich in ungeheuern Lobeserhebungen über die bisherige Verwaltung der preußischen Finanzen, bei der nur wenig zu verändern, die er nur hie und da zu vereinfachen habe. Die Staatsschulden betrugen 1820 206 Mill., davon waren 1847 fast 81 Mill. getilgt, ohne daß erhebliche neue dazu gemacht wurden, so daß sie jetzt nur 126 Mill. Thlr. betragen. Dagegen haben die Domänen einen viel größern Werth als sämmtliche Schulden des Staates von alter Zeit und Hr. Hansemann sprach die Hoffnung aus, daß wir unter solchen Verhältnissen über die Schwierigkeiten des Augenblicks leicht hinwegkommen werden. Waldeck referirt hierauf über die Arbeiten der Verfassungskommission, die mit den Beschlüssen des Inhaltes der Verfassung bis auf die Frage, ob eine oder zwei Kammern und überdie Attribute des Königs, ihre Arbeiten so weit gebracht, daß sie nun auch die Fassung der Beschlüsse schnell vollendet haben wird. Von Garantie der Arbeit oder sonst etwas, was die Ansprüche der arbeitenden Klasse betrifft, haben wir kein Wort gehört und da über die künftige Gestaltung der Volksrepräsentation in der Kommission eben auch noch nichts entschieden ist, so hätten wir über dies Referat nichts mitzutheilen, was Sie in ihren früheren Nummern nicht schon gebracht. Da dies Referat so wenig Positives bot, so konnte der Antrag des Abgeordneten Temme, die Versammlung möge sogleich die Titel des Verfassungs-Entwurfs debattiren, natürlich keine Unterstützung finden. Endlich ist der Antrag von Jacoby an der Reihe, sogleich stürmt der vierte Theil der Versammlung zum Sekretär, um sich zum Reden zu melden. Die Rechte besonders war hierbei sehr thätig; sie will gewiß Gelegenheit nehmen, große Reden zu halten, ihr Licht leuchten zu lassen und hat doch heute keinen einzigen gescheiten Gedanken zu Tage gefördert. ‒ Jacoby unterstützt seinen Antrag mit kurzen Worten; er hält es für die Versammlung für angemessen, daß sie zu erkennen gebe, in welchem Verhältniß sie zur deutschen Nationalversammlung und zur Einheit Deutschlands stehe, Still- <TEI> <text> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <pb facs="#f0002" n="0216"/> <div xml:id="ar044_005" type="jArticle"> <head>Russisches Militär.</head> <p> <ref type="link">(Fortsetzung und Schluß.)</ref> </p> <p>Nach den Staatsregistern besteht die ganze Truppenmasse Rußlands, in Friedenszeiten aus 1,047,000 Mann. 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Die eigentlichen Schattenseiten des russischen Militärwesens kommen erst dann zum Vorschein, wenn diese jungen, schlecht genährten Soldaten, plötzlich mehrere hundert Meilen weit aus dem Innern nach den Gränzen des Reiches marschiren sollen. Die höheren Vorgesetzten bemächtigen sich dann sofort der Nationen, des Soldes und der Kleider ihrer Untergebenen und lassen den geduldigen, nie murrenden Soldaten nur so viel übrig, als ihnen durchaus nöthig ist, um nicht auf der Stelle zu erliegen.</p> <p>Dieser im Großen betriebene Diebstahl der ersten Offiziere wird während des Marsches von allen Subalternen nachgeahmt. Man macht Kontrakte mit den Lieferanten, mit den Bauern, bei denen man einquartirt wird, mit den Grundbesitzern und ihren Agenten und gewönne man auch nur ein gutes Mittagsessen und eine Flasche Champagner dabei, so drückt man doch gern ein Auge bei allen Entbehrungen zu, welche eine Kompagnie, ein ganzes Regiment durch das Verkürzen seiner Rationen zu erdulden hat. In der That, ganze Armeekorps würden zu Grunde gehen, wenn sich der gemeine Soldat nicht hin und wieder durch Raub und Plünderung für seine Leiden entschädigen könnte.</p> <p>Das Wunderbarste bei der ganzen Geschichte ist indeß, daß nie Jemand Klage führt. Der Soldat jeden Ranges ist aber an das Stehlen seiner Vorgesetzten so sehr gewohnt, daß er nicht anders glaubt, als es müsse so sein und Jeder nimmt für das Erlittene dann seinen Regreß an die unter ihm stehende Person.</p> <p>Jedes Regiment, welches auswärts dienen soll, schmilzt gewöhnlich vor dem Erreichen der Gränze bis auf die Hälfte zusammen. Die Gewohnheiten der Moskowiten und das Unzureichende ihrer vegetabilischen Nahrung würden die außerordentlichste Sorgfalt nöthig machen, um jene Epidemieen zu verhindern, welche die Reihen auf so entsetzliche Weise lichten und man kann die russischen Heere auch nur dadurch auf dem Kriegsschauplatze erhalten, daß man eine Verstärkung nach der andern abmarschiren läßt.</p> <p>Bei den Armeen aller Völker ist dieser Umstand mehr oder weniger vorherrschend. Die Sterblichkeit in dem russischen Heere übersteigt indeß jeden Vergleich. Trotz der ungeheuern Mittel, welche der Kaiser für den Krieg besitzt, würde es ihm daher fast unmöglich sein, etwa 150,000 Mann Truppen an ein und derselben Stelle, außerhalb der Gränzen zur Schlacht gerüstet zu erhalten?</p> <p>Schließen wir hiermit unsere Notizen aus jenem interessanten Werke, welches wir einer der gewandtesten englischen Federn der neuern Zeit zu verdanken haben.</p> <p>Etwaige Unrichtigkeiten werden leicht zu verbessern sein, wenn wir nächstens Gelegenheit bekommen, die kaiserlichen Soldaten mit hoffentlich sehr fühlbaren deutschen Erinnerungen in ihre Steppen zurück zu jagen.</p> </div> <div xml:id="ar044_006" type="jArticle"> <head>Weimar, 8. Juli.</head> <p>In den Fürstenthümern Reuß wird die Aufregung immer größer. Der Fürst von Ebersdorf soll sich für zahlungsunfähig erklärt haben, und in Gera in einer haftähnlichen Eingeschlossenheit weilen; es handelt sich um 800,000 Thlr.</p> <bibl>(Wes. Z.)</bibl> </div> </div> <div n="1"> <head>[Deutschland]</head> <div xml:id="ar044_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>15</author></bibl> Berlin, 10. Juli.</head> <p>Die Franz-Lachmann'sche Angelegenheit, die sich erst in den jüngsten Tagen ereignete, wird Ihnen bekannt sein. Aber für meine Pflicht halte ich es, einen Mann, der dem Rheinlande entstammt, dessen Büste seine Vaterstadt vor wenigen Jahren in den Sälen ihres Rathhauses aufgestellt, in Ihrer Zeitung vor dem ganzen Rheinlande anzuklagen. Dieser Mann, er heißt <hi rendition="#g">Johannes Müller,</hi> und ist in <hi rendition="#g">Koblenz</hi> geboren, hat, so oft er bis jetzt öffentlich aufgetreten, sich fast immer als einen Diener des alten Polizeistaates, als eifrigen Verfolger jeder freieren Richtung, kurz, nicht als rheinländischen, sondern als ächt altpreußischen Zopfgelehrten bewiesen. Lassen Sie mich Ihnen Einiges aus der jüngsten Vergangenheit dieses Mannes erzählen, dieses Mannes, dem es nicht etwa <hi rendition="#g">gleichgültig</hi> ist, ob er unter Altenstein oder Eichhorn, unter Freiheit oder Knechtschaft lebt, nein, der seine Vorliebe für Censur und Denunciation offen und thatsächlich bekundet hat. Das mag ihm noch nicht hoch angerechnet werden, wenn er im vorigen Jahre den Armensünderbrief der Akademie an den König mit unterzeichnete, wenn er, kurz vor den Märzereignissen einen die Studirenden zur Berathung über Universitätsreformen einladenden Anschlagzettel von dem Anatomiegebäude öffentlich mit dem Bemerken herunterriß, er hätte geglaubt, daß die Mediziner zu vernünftig wären, um sich solch' unsinnigem Treiben anzuschließen; wenn er zur selben Zeit, als dem wegen seiner freieren Richtung vom pietistischen Lehrer Friedlaender denuncirten, von Eichhorn weggejagten und damals hier verweilenden, Stettiner Gymnasial-Direktor <hi rendition="#g">Hasselbach</hi> ein Fackelzug gebracht werden sollte, die Erlaubniß dazu mit den Worten verweigerte, es könnte ja wie eine politische Demonstration aussehen! Aber das ist eine Schmach und verdient öffentlich gerügt zu werden, daß Müller, nach geschehener (?) Revolution, nachdem wenigstens das alte Universitätsgilden- und Bevormundswesen gebrochen war, seine Rektoratsstelle zu einem Schergenamt benutzte, und noch täglich benutzt. Sie wissen, daß der König einen Tag, nachdem der unübertreffliche Verfassungsentwurf erschienen war, eine große Parade über die Bürgerwehr und die fliegenden Korps abhielt. Hr. Müller nahm als Rektor der Universität an dem kindischen Spiele Theil, und schritt dem antiwühlerischen, gesinnungstüchtigen Theile des bewaffneten Studentenkorps stolz voran. Da schaut er zum Balkon der Universität empor, und bemerkt, o Schrecken! eine schwarze Fahne, die dort heraushängt. Gleich eilt er hinauf, faßt den Kühnen, der solch' verbrecherische Gesinnung kund gegeben, verklagt ihn beim Universitätsgericht, <hi rendition="#g">denuncirt ihn bei der Polizei!</hi> Unglücklicherweise war der Student, <hi rendition="#g">Rechenberg</hi> aus Königsberg, so hieß der Verwogene, noch nicht in Berlin immatrikulirt, und hatte, da seine Papiere von seinem frühern Studienort noch nicht angelangt waren, vom Rektor eine vorläufige Aufenthaltskarte erhalten. Diese wird ihm sofort gekündigt und der heimathlose Verbrecher angewiesen, die Stadt binnen 24 Stunden zu verlassen. Um dies Schicksal von seinem Haupt abzuwenden, schickten ihn die Studenten damals als einen ihrer Deputirten nach der Wartburg, und während seiner Abwesenheit wurde denn vom Polizei-Präsidenten die Erlaubniß zu seinem ferneren Hierbleiben erwirkt. ‒ Ein anderes, eben so löbliches Geschäft, was Hr. Müller betreibt, besteht darin, daß er Zettel, worin Studentenversammlungen zur Berathung über Universitätsreformen ausgeschrieben werden, vom schwarzen Brett herunterreißt. Einer sich darüber beschwerenden, von den Studirenden an ihn gesandten Deputation, erwiderte der ehrenwerthe Hr. Rektor, daß er alle gegen die <hi rendition="#g">Gesetze und gegen die Sittlichkeit</hi> verstoßenden Anschläge abreißen müsse, daß er von diesem Rechte jedoch einen sehr sparsamen, nämlich erst 6 Maligen Gebrauch gemacht habe. Auch wünschte er, wenn Studentenversammlungen abgehalten werden sollten, vorher von dem Zwecke derselben unterrichtet zu werden, da er gesetzwidrige verhindern müsse.</p> </div> <div xml:id="ar044_004" type="jArticle"> <head><bibl><author>X</author></bibl> Berlin, 11. Juli.</head> <p>Der heute auf der Tagesordnung stehende Antrag Jacoby's, „die preußische konstituirende Versammlung kann den von der deutschen Nationalversammlung gefaßten Beschluß nicht billigen, durch welchen ein <hi rendition="#g">unverantwortlicher,</hi> an die Beschlüsse der Nationalversammlung nicht gebundener Reichsverweser ernannt wird; die preußische konstituirende Versammlung erklärt sich aber zugleich dahin, daß die deutsche Nationalversammlung vollkommen <hi rendition="#g">befugt</hi> war, jenen Beschluß zu fassen, ohne vorher die Zustimmung der einzelnen deutschen Regierungen einzuholen, daß es daher der preußischen Regierung nicht zustand, Vorbehalt irgend einer Art zu machen,“ hatte die Tribünen mehr als je gefüllt. Auf dem Platze vor der Singakademie waren wieder bedeutende Anhäufungen der auf das Resultat dieses Antrages gespannten Berliner. Zwei Volksversammlungen, die Sonnabend und gestern vor den Zelten, trotz der angedrohten Strafe von 5 bis 50 Thlr. für die Anordner und Redner bei denselben, abgehalten worden, hatten das ihrige dazu beigetragen, auch die arbeitenden Klassen auf die heutige Sitzung der Nationalversammlung aufmerksam zu machen. Und das Resultat ist vorherzusehen, der Jacoby'sche Antrag wird verworfen werden, das linke Centrum, die Wiege des jetzigen Ministeriums, hat sich hierzu mit der Rechten verbunden. Vor dem Beginne der Debatte theilte jedoch der Präsident noch der Versammlung mit, daß das Ministerium einige Gesetzesvorlagen, Zwangsanleihe, Erhöhung der Branntweinsteuer, Aufhebung der Ausnahmsberechtigung bei der Klassensteuer u. s. w. und eine Denkschrift in Bezug auf die Finanzen des Landes eingereicht und Hr. Hansemann hielt hierauf noch eine längere Rede, nach welcher wir glauben müssen, daß die Finanzlage unseres Landes eine sehr glückliche ist. Die Einnahmen, sagt er, haben in den letzten Monaten natürlich abnehmen müssen, da alle Produkte im Werthe gesunken sind, so sind es auch die Staats-, hauptsächlich die Bergwerksprodukte, die unter den jetzigen Verhältnissen gar nicht veräußert werden können. Die Einnahmen der Domänen und der Konsumtionssteuer haben ebenfalls abgenommen, dazu kommen die Posen'schen Unruhen, der Erlaß eines Drittels der Mahlsteuer zum Besten der arbeitenden Klassen, Ausfälle, die zusammen wohl 8 Mill. Thlr. betragen. Dagegen hat der Staat eine Mehrausgabe von 221/2 Mill. Thlr., wovon auf das Militär allein bis jetzt 10 Mill. kommen, insgesammt würde ein Mehrbedürfniß von 30 Mill. wohl für das ganze Jahr anzunehmen sein. Was nun die Anleihe betrifft, so werden die Bürger, die weniger als 4000 Thlr. oder eine jährliche Einnahme von 400 Thlr. haben, davon befreit sein. Von diesem Vermögenssatze an aber soll die Steuer bis zu dem Reichen hinauf progressiv von 1/2 bis 2 pCt. stattfinden. Und der Finanzminister, der dieses Maaß für progressiv hält, hat auch die Hoffnung, daß nur das Erscheinen des Gesetzes schon hinreichen werde, um die <hi rendition="#g">freiwillige</hi> Anleihe desto ergiebiger und die unfreiwillige vielleicht ganz überflüssig zu machen. Er hat deshalb noch kein <hi rendition="#g">neues</hi> Steuergesetz vorgelegt, weil die diesjährigen Bedürfnisse des Staats gedeckt werden müssen, und bei einer neuen Steuer man den Erfolg immer nicht vorher berechnen kann, er behalte sich daher dieselbe bis zum nächsten Jahre vor. Der Herr Minister scheint also große Zuversicht auf den Bestand seiner Stellung zu haben. Er theilt dann noch mit, daß die Regierung die Absicht habe, die Staatsforsten zu behalten, dagegen die Domänen der Bewirthschaftung freier Eigenthümer zu übergeben, und zwar sollen sie tabellenweise verkauft werden. Er kommt dann auf das Institut der Seehandlung und hat die Gelegenheit, seinen Erfahrungssatz anzubringen, daß der Staat nicht Industrie treiben dürfe, es ist seine Ansicht, man müsse die Fabriken der Seehandlung, sobald der Kredit sich erst gehoben, an Private, wenn auch mit Schaden, verkaufen, denn jetzt kosteten sie uns Verluste. Wie er vom Staatsschatz spricht, ob dort fernerhin auch noch Geld angesammelt werden solle, erhebt sich ein Gelächter, nach der Erklärung des Ministers aber hat er wirklich in den letzten 7 Jahren zugenommen, wie er dies in der vorigen Sitzung schon erklärt, und zwar waren die Einnahmen desselben während der Jahre 1820 bis 1840 24,400,000 Thlr. und die Ausgaben 12,250,000 Thlr., ultimo Juni 1840 hatte er also einen Bestand von ungefähr 12 Mill. Die Einnahmen desselben von dieser Zeit bis ultimo Juni 1847 betrugen 9,000,860 Thlr. und die Ausgaben nur 2 Mill. und zwar wurden dieselben zur Unterstützung der Hauptbank, eines Privatunternehmens, angewandt. Hr. Hansemann ergeht sich in ungeheuern Lobeserhebungen über die bisherige Verwaltung der preußischen Finanzen, bei der nur wenig zu verändern, die er nur hie und da zu vereinfachen habe. Die Staatsschulden betrugen 1820 206 Mill., davon waren 1847 fast 81 Mill. getilgt, ohne daß erhebliche neue dazu gemacht wurden, so daß sie jetzt nur 126 Mill. Thlr. betragen. Dagegen haben die Domänen einen viel größern Werth als sämmtliche Schulden des Staates von alter Zeit und Hr. Hansemann sprach die Hoffnung aus, daß wir unter solchen Verhältnissen über die Schwierigkeiten des Augenblicks leicht hinwegkommen werden.</p> <p>Waldeck referirt hierauf über die Arbeiten der Verfassungskommission, die mit den Beschlüssen des Inhaltes der Verfassung bis auf die Frage, ob eine oder zwei Kammern und überdie Attribute des Königs, ihre Arbeiten so weit gebracht, daß sie nun auch die Fassung der Beschlüsse schnell vollendet haben wird. Von Garantie der Arbeit oder sonst etwas, was die Ansprüche der arbeitenden Klasse betrifft, haben wir kein Wort gehört und da über die künftige Gestaltung der Volksrepräsentation in der Kommission eben auch noch nichts entschieden ist, so hätten wir über dies Referat nichts mitzutheilen, was Sie in ihren früheren Nummern nicht schon gebracht. Da dies Referat so wenig Positives bot, so konnte der Antrag des Abgeordneten Temme, die Versammlung möge sogleich die Titel des Verfassungs-Entwurfs debattiren, natürlich keine Unterstützung finden.</p> <p>Endlich ist der Antrag von Jacoby an der Reihe, sogleich stürmt der vierte Theil der Versammlung zum Sekretär, um sich zum Reden zu melden. Die Rechte besonders war hierbei sehr thätig; sie will gewiß Gelegenheit nehmen, große Reden zu halten, ihr Licht leuchten zu lassen und hat doch heute keinen einzigen gescheiten Gedanken zu Tage gefördert. ‒ Jacoby unterstützt seinen Antrag mit kurzen Worten; er hält es für die Versammlung für angemessen, daß sie zu erkennen gebe, in welchem Verhältniß sie zur deutschen Nationalversammlung und zur Einheit Deutschlands stehe, Still- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216/0002]
Russisches Militär. (Fortsetzung und Schluß.)
Nach den Staatsregistern besteht die ganze Truppenmasse Rußlands, in Friedenszeiten aus 1,047,000 Mann. Ein höherer Offizier, der lange Zeit in den Ministerial-Bureaux arbeitete, behauptet indeß, daß in Wirklichkeit wohl nur 785,000 Mann Infanterie, reguläre und irreguläre Kavallerie, Artillerie, Genie und verschiedene Truppen unter den Waffen sein möchten.
Jedenfalls werden eine Menge Regimenter mit Leuten und Pferden, welche niemals existirten, Jahr aus, Jahr ein vom Staate bezahlt. Wie wir sahen, ist dies indeß der geringste Uebelstand bei der ganzen Sache, denn da einmal die Stämme der verschiedenen Regimenter in vollständiger Ordnung vorhanden sind, so ist es bei den eigenthümlichen Zuständen Rußlands ein Leichtes, im Fall der Noth, die erforderliche Anzahl Rekruten in so großer Geschwindigkeit herbeizuschaffen, daß man die Lücken niemals gewahr wird. Die eigentlichen Schattenseiten des russischen Militärwesens kommen erst dann zum Vorschein, wenn diese jungen, schlecht genährten Soldaten, plötzlich mehrere hundert Meilen weit aus dem Innern nach den Gränzen des Reiches marschiren sollen. Die höheren Vorgesetzten bemächtigen sich dann sofort der Nationen, des Soldes und der Kleider ihrer Untergebenen und lassen den geduldigen, nie murrenden Soldaten nur so viel übrig, als ihnen durchaus nöthig ist, um nicht auf der Stelle zu erliegen.
Dieser im Großen betriebene Diebstahl der ersten Offiziere wird während des Marsches von allen Subalternen nachgeahmt. Man macht Kontrakte mit den Lieferanten, mit den Bauern, bei denen man einquartirt wird, mit den Grundbesitzern und ihren Agenten und gewönne man auch nur ein gutes Mittagsessen und eine Flasche Champagner dabei, so drückt man doch gern ein Auge bei allen Entbehrungen zu, welche eine Kompagnie, ein ganzes Regiment durch das Verkürzen seiner Rationen zu erdulden hat. In der That, ganze Armeekorps würden zu Grunde gehen, wenn sich der gemeine Soldat nicht hin und wieder durch Raub und Plünderung für seine Leiden entschädigen könnte.
Das Wunderbarste bei der ganzen Geschichte ist indeß, daß nie Jemand Klage führt. Der Soldat jeden Ranges ist aber an das Stehlen seiner Vorgesetzten so sehr gewohnt, daß er nicht anders glaubt, als es müsse so sein und Jeder nimmt für das Erlittene dann seinen Regreß an die unter ihm stehende Person.
Jedes Regiment, welches auswärts dienen soll, schmilzt gewöhnlich vor dem Erreichen der Gränze bis auf die Hälfte zusammen. Die Gewohnheiten der Moskowiten und das Unzureichende ihrer vegetabilischen Nahrung würden die außerordentlichste Sorgfalt nöthig machen, um jene Epidemieen zu verhindern, welche die Reihen auf so entsetzliche Weise lichten und man kann die russischen Heere auch nur dadurch auf dem Kriegsschauplatze erhalten, daß man eine Verstärkung nach der andern abmarschiren läßt.
Bei den Armeen aller Völker ist dieser Umstand mehr oder weniger vorherrschend. Die Sterblichkeit in dem russischen Heere übersteigt indeß jeden Vergleich. Trotz der ungeheuern Mittel, welche der Kaiser für den Krieg besitzt, würde es ihm daher fast unmöglich sein, etwa 150,000 Mann Truppen an ein und derselben Stelle, außerhalb der Gränzen zur Schlacht gerüstet zu erhalten?
Schließen wir hiermit unsere Notizen aus jenem interessanten Werke, welches wir einer der gewandtesten englischen Federn der neuern Zeit zu verdanken haben.
Etwaige Unrichtigkeiten werden leicht zu verbessern sein, wenn wir nächstens Gelegenheit bekommen, die kaiserlichen Soldaten mit hoffentlich sehr fühlbaren deutschen Erinnerungen in ihre Steppen zurück zu jagen.
Weimar, 8. Juli. In den Fürstenthümern Reuß wird die Aufregung immer größer. Der Fürst von Ebersdorf soll sich für zahlungsunfähig erklärt haben, und in Gera in einer haftähnlichen Eingeschlossenheit weilen; es handelt sich um 800,000 Thlr.
(Wes. Z.) [Deutschland] 15 Berlin, 10. Juli. Die Franz-Lachmann'sche Angelegenheit, die sich erst in den jüngsten Tagen ereignete, wird Ihnen bekannt sein. Aber für meine Pflicht halte ich es, einen Mann, der dem Rheinlande entstammt, dessen Büste seine Vaterstadt vor wenigen Jahren in den Sälen ihres Rathhauses aufgestellt, in Ihrer Zeitung vor dem ganzen Rheinlande anzuklagen. Dieser Mann, er heißt Johannes Müller, und ist in Koblenz geboren, hat, so oft er bis jetzt öffentlich aufgetreten, sich fast immer als einen Diener des alten Polizeistaates, als eifrigen Verfolger jeder freieren Richtung, kurz, nicht als rheinländischen, sondern als ächt altpreußischen Zopfgelehrten bewiesen. Lassen Sie mich Ihnen Einiges aus der jüngsten Vergangenheit dieses Mannes erzählen, dieses Mannes, dem es nicht etwa gleichgültig ist, ob er unter Altenstein oder Eichhorn, unter Freiheit oder Knechtschaft lebt, nein, der seine Vorliebe für Censur und Denunciation offen und thatsächlich bekundet hat. Das mag ihm noch nicht hoch angerechnet werden, wenn er im vorigen Jahre den Armensünderbrief der Akademie an den König mit unterzeichnete, wenn er, kurz vor den Märzereignissen einen die Studirenden zur Berathung über Universitätsreformen einladenden Anschlagzettel von dem Anatomiegebäude öffentlich mit dem Bemerken herunterriß, er hätte geglaubt, daß die Mediziner zu vernünftig wären, um sich solch' unsinnigem Treiben anzuschließen; wenn er zur selben Zeit, als dem wegen seiner freieren Richtung vom pietistischen Lehrer Friedlaender denuncirten, von Eichhorn weggejagten und damals hier verweilenden, Stettiner Gymnasial-Direktor Hasselbach ein Fackelzug gebracht werden sollte, die Erlaubniß dazu mit den Worten verweigerte, es könnte ja wie eine politische Demonstration aussehen! Aber das ist eine Schmach und verdient öffentlich gerügt zu werden, daß Müller, nach geschehener (?) Revolution, nachdem wenigstens das alte Universitätsgilden- und Bevormundswesen gebrochen war, seine Rektoratsstelle zu einem Schergenamt benutzte, und noch täglich benutzt. Sie wissen, daß der König einen Tag, nachdem der unübertreffliche Verfassungsentwurf erschienen war, eine große Parade über die Bürgerwehr und die fliegenden Korps abhielt. Hr. Müller nahm als Rektor der Universität an dem kindischen Spiele Theil, und schritt dem antiwühlerischen, gesinnungstüchtigen Theile des bewaffneten Studentenkorps stolz voran. Da schaut er zum Balkon der Universität empor, und bemerkt, o Schrecken! eine schwarze Fahne, die dort heraushängt. Gleich eilt er hinauf, faßt den Kühnen, der solch' verbrecherische Gesinnung kund gegeben, verklagt ihn beim Universitätsgericht, denuncirt ihn bei der Polizei! Unglücklicherweise war der Student, Rechenberg aus Königsberg, so hieß der Verwogene, noch nicht in Berlin immatrikulirt, und hatte, da seine Papiere von seinem frühern Studienort noch nicht angelangt waren, vom Rektor eine vorläufige Aufenthaltskarte erhalten. Diese wird ihm sofort gekündigt und der heimathlose Verbrecher angewiesen, die Stadt binnen 24 Stunden zu verlassen. Um dies Schicksal von seinem Haupt abzuwenden, schickten ihn die Studenten damals als einen ihrer Deputirten nach der Wartburg, und während seiner Abwesenheit wurde denn vom Polizei-Präsidenten die Erlaubniß zu seinem ferneren Hierbleiben erwirkt. ‒ Ein anderes, eben so löbliches Geschäft, was Hr. Müller betreibt, besteht darin, daß er Zettel, worin Studentenversammlungen zur Berathung über Universitätsreformen ausgeschrieben werden, vom schwarzen Brett herunterreißt. Einer sich darüber beschwerenden, von den Studirenden an ihn gesandten Deputation, erwiderte der ehrenwerthe Hr. Rektor, daß er alle gegen die Gesetze und gegen die Sittlichkeit verstoßenden Anschläge abreißen müsse, daß er von diesem Rechte jedoch einen sehr sparsamen, nämlich erst 6 Maligen Gebrauch gemacht habe. Auch wünschte er, wenn Studentenversammlungen abgehalten werden sollten, vorher von dem Zwecke derselben unterrichtet zu werden, da er gesetzwidrige verhindern müsse.
X Berlin, 11. Juli. Der heute auf der Tagesordnung stehende Antrag Jacoby's, „die preußische konstituirende Versammlung kann den von der deutschen Nationalversammlung gefaßten Beschluß nicht billigen, durch welchen ein unverantwortlicher, an die Beschlüsse der Nationalversammlung nicht gebundener Reichsverweser ernannt wird; die preußische konstituirende Versammlung erklärt sich aber zugleich dahin, daß die deutsche Nationalversammlung vollkommen befugt war, jenen Beschluß zu fassen, ohne vorher die Zustimmung der einzelnen deutschen Regierungen einzuholen, daß es daher der preußischen Regierung nicht zustand, Vorbehalt irgend einer Art zu machen,“ hatte die Tribünen mehr als je gefüllt. Auf dem Platze vor der Singakademie waren wieder bedeutende Anhäufungen der auf das Resultat dieses Antrages gespannten Berliner. Zwei Volksversammlungen, die Sonnabend und gestern vor den Zelten, trotz der angedrohten Strafe von 5 bis 50 Thlr. für die Anordner und Redner bei denselben, abgehalten worden, hatten das ihrige dazu beigetragen, auch die arbeitenden Klassen auf die heutige Sitzung der Nationalversammlung aufmerksam zu machen. Und das Resultat ist vorherzusehen, der Jacoby'sche Antrag wird verworfen werden, das linke Centrum, die Wiege des jetzigen Ministeriums, hat sich hierzu mit der Rechten verbunden. Vor dem Beginne der Debatte theilte jedoch der Präsident noch der Versammlung mit, daß das Ministerium einige Gesetzesvorlagen, Zwangsanleihe, Erhöhung der Branntweinsteuer, Aufhebung der Ausnahmsberechtigung bei der Klassensteuer u. s. w. und eine Denkschrift in Bezug auf die Finanzen des Landes eingereicht und Hr. Hansemann hielt hierauf noch eine längere Rede, nach welcher wir glauben müssen, daß die Finanzlage unseres Landes eine sehr glückliche ist. Die Einnahmen, sagt er, haben in den letzten Monaten natürlich abnehmen müssen, da alle Produkte im Werthe gesunken sind, so sind es auch die Staats-, hauptsächlich die Bergwerksprodukte, die unter den jetzigen Verhältnissen gar nicht veräußert werden können. Die Einnahmen der Domänen und der Konsumtionssteuer haben ebenfalls abgenommen, dazu kommen die Posen'schen Unruhen, der Erlaß eines Drittels der Mahlsteuer zum Besten der arbeitenden Klassen, Ausfälle, die zusammen wohl 8 Mill. Thlr. betragen. Dagegen hat der Staat eine Mehrausgabe von 221/2 Mill. Thlr., wovon auf das Militär allein bis jetzt 10 Mill. kommen, insgesammt würde ein Mehrbedürfniß von 30 Mill. wohl für das ganze Jahr anzunehmen sein. Was nun die Anleihe betrifft, so werden die Bürger, die weniger als 4000 Thlr. oder eine jährliche Einnahme von 400 Thlr. haben, davon befreit sein. Von diesem Vermögenssatze an aber soll die Steuer bis zu dem Reichen hinauf progressiv von 1/2 bis 2 pCt. stattfinden. Und der Finanzminister, der dieses Maaß für progressiv hält, hat auch die Hoffnung, daß nur das Erscheinen des Gesetzes schon hinreichen werde, um die freiwillige Anleihe desto ergiebiger und die unfreiwillige vielleicht ganz überflüssig zu machen. Er hat deshalb noch kein neues Steuergesetz vorgelegt, weil die diesjährigen Bedürfnisse des Staats gedeckt werden müssen, und bei einer neuen Steuer man den Erfolg immer nicht vorher berechnen kann, er behalte sich daher dieselbe bis zum nächsten Jahre vor. Der Herr Minister scheint also große Zuversicht auf den Bestand seiner Stellung zu haben. Er theilt dann noch mit, daß die Regierung die Absicht habe, die Staatsforsten zu behalten, dagegen die Domänen der Bewirthschaftung freier Eigenthümer zu übergeben, und zwar sollen sie tabellenweise verkauft werden. Er kommt dann auf das Institut der Seehandlung und hat die Gelegenheit, seinen Erfahrungssatz anzubringen, daß der Staat nicht Industrie treiben dürfe, es ist seine Ansicht, man müsse die Fabriken der Seehandlung, sobald der Kredit sich erst gehoben, an Private, wenn auch mit Schaden, verkaufen, denn jetzt kosteten sie uns Verluste. Wie er vom Staatsschatz spricht, ob dort fernerhin auch noch Geld angesammelt werden solle, erhebt sich ein Gelächter, nach der Erklärung des Ministers aber hat er wirklich in den letzten 7 Jahren zugenommen, wie er dies in der vorigen Sitzung schon erklärt, und zwar waren die Einnahmen desselben während der Jahre 1820 bis 1840 24,400,000 Thlr. und die Ausgaben 12,250,000 Thlr., ultimo Juni 1840 hatte er also einen Bestand von ungefähr 12 Mill. Die Einnahmen desselben von dieser Zeit bis ultimo Juni 1847 betrugen 9,000,860 Thlr. und die Ausgaben nur 2 Mill. und zwar wurden dieselben zur Unterstützung der Hauptbank, eines Privatunternehmens, angewandt. Hr. Hansemann ergeht sich in ungeheuern Lobeserhebungen über die bisherige Verwaltung der preußischen Finanzen, bei der nur wenig zu verändern, die er nur hie und da zu vereinfachen habe. Die Staatsschulden betrugen 1820 206 Mill., davon waren 1847 fast 81 Mill. getilgt, ohne daß erhebliche neue dazu gemacht wurden, so daß sie jetzt nur 126 Mill. Thlr. betragen. Dagegen haben die Domänen einen viel größern Werth als sämmtliche Schulden des Staates von alter Zeit und Hr. Hansemann sprach die Hoffnung aus, daß wir unter solchen Verhältnissen über die Schwierigkeiten des Augenblicks leicht hinwegkommen werden.
Waldeck referirt hierauf über die Arbeiten der Verfassungskommission, die mit den Beschlüssen des Inhaltes der Verfassung bis auf die Frage, ob eine oder zwei Kammern und überdie Attribute des Königs, ihre Arbeiten so weit gebracht, daß sie nun auch die Fassung der Beschlüsse schnell vollendet haben wird. Von Garantie der Arbeit oder sonst etwas, was die Ansprüche der arbeitenden Klasse betrifft, haben wir kein Wort gehört und da über die künftige Gestaltung der Volksrepräsentation in der Kommission eben auch noch nichts entschieden ist, so hätten wir über dies Referat nichts mitzutheilen, was Sie in ihren früheren Nummern nicht schon gebracht. Da dies Referat so wenig Positives bot, so konnte der Antrag des Abgeordneten Temme, die Versammlung möge sogleich die Titel des Verfassungs-Entwurfs debattiren, natürlich keine Unterstützung finden.
Endlich ist der Antrag von Jacoby an der Reihe, sogleich stürmt der vierte Theil der Versammlung zum Sekretär, um sich zum Reden zu melden. Die Rechte besonders war hierbei sehr thätig; sie will gewiß Gelegenheit nehmen, große Reden zu halten, ihr Licht leuchten zu lassen und hat doch heute keinen einzigen gescheiten Gedanken zu Tage gefördert. ‒ Jacoby unterstützt seinen Antrag mit kurzen Worten; er hält es für die Versammlung für angemessen, daß sie zu erkennen gebe, in welchem Verhältniß sie zur deutschen Nationalversammlung und zur Einheit Deutschlands stehe, Still-
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(2017-03-20T13:08:10Z)
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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