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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 60. Köln, 30. Juli 1848.

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26 Crefeld, 25. Juli.

Unsere Bürgerwehr hat durch geheimes Serurinium einen Bürger aus ihren Reihen gestoßen, weil er bei einer gelegentlichen Parade nicht eingestimmt haben soll, in die "Hoch" auf den Erzherzog und den König von Preußen. In Folge dieses Ausschlusses wollte ihm ein Bürger-Offizier sein Gewehr wegnehmen und als er sich diesem Vorhaben widersetzte, requirirte der Kommandant Hr. Spezial-Eisenbahn-Direktor Schnarr unsere Polizei, die denn auch drei Mann hoch vorrückte und unter ihrem Inspektor die fragliche Waffe mit Gewalt wegnahm. Auf eine desfallsige Beschwerde, worin gefragt wurde, ob die Polizei das Recht habe, einen Bürger auf Requisition eines Bürgerwehr-Kommandanten seiner Waffen zu berauben, die ihm doch die Revolution zum Schutze seiner Person und seines Eigenthums gegeben, erging folgender Bescheid des Oberprokurators in Düsseldorf, der wohl verdient in weiten Kreisen bekannt zu werden um zu zeigen, welche väterliche Theilnahme unsre Polizei an dem Bürgerwehr-Institute nimmt, damit der gute Geist bei ihr erhalten und gepflegt werde. Das Schreiben des Herrn Prokurators Schnaase lautet: "Ihre Beschwerde vom 14. d. M. kann ich nicht als begründet anerkennen. Durch Ihren Beitritt zur Bürgerwehr haben Sie sich der von der Königl. Regierung bestätigten Ordnung derselben und mithin auch der Bestimmung, welche der Kompagnie das Recht der Ausschließung beilegt, unterworfen und sind Sie also durch den von derselben gefaßten Beschluß rechtskräftig ausgeschlossen. Dadurch hatten Sie aber auch die Befugniß verloren, die Ihnen übergebenen Waffen zurückzubehalten, da dieselben vom Staate nicht sowohl Ihnen persönlich als der Bürgerwehr anvertraut und Ihnen nur als Mitglied derselben eingehändigt waren. Es stand daher auch dem Kommandanten der Bürgerwehr das Recht der Ausführung jenes Sie ausschließenden Beschlusses zu und ist nichts dagegen zu erinnern, wenn er diese Ausführung dem Polizei-Inspektor überließ und dieser es übernahm. Der Oberprokurator Schnaase.

Wie wir vernehmen, hat der ausgestoßene Bürger sich an den Generalprokurator resp. an das Ministerium gewandt, um zu erfahren, ob die Ansicht des Herrn Schnaase auch von diesen Wächtern des Gesetzes getheilt wird. Den erhaltenen Bescheid hoffe ich Ihnen s. Z. mittheilen zu können.

* Crefeld, 23. Juli.

Unsere, seit der Aufhebung der Censurgesetze hier erscheinende Zeitung bringt in einer Beilage zu Nro. 62 einen originellen Artikel, der gewiß verdient, der größtmöglichen Oeffentlichkeit übergeben zu werden. Zur bessern Verständigung nur zwei Worte: Als die Pariser Revolution abermals die Kette der Sklaverei zerbrochen hatte und den Auferstehungsruf durch die Länder der Erde sandte, warfen auch unsere elenden Seidenweber ihr hartes Joch ab und traten auf für ihre unveräußerlichen Rechte. Es war ein schwüler Tag für unser Crefeld, als nun urplötzlich die lang unterdrückte Stimme so vieler Tausende sich erhob, und wie der Sturm des jüngsten Gerichts nach Rache rief! Die Fabrikherren mochten fühlen, wie gefährlich es sei, noch ferner bei den "allerdings großen Mißbräuchen, die sich in manchen hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten," zu verbleiben und sie beeilten sich daher, einen Lohntarif so wie ein Statut zu entwerfen, wodurch jene "großen Mißbräuche"abgeschafft werden sollten. Der Jubel, den die Verkündigung dieser Gesetze hervorrief, kann nicht beschrieben werden: unsere Proletarier bekränzten ihre Fabrikherrn mit Eichenlaub und Lorbeerzweigen und zogen Arm in Arm mit ihren Herrn, im Taumel der "Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit" unter Gesang und Musik durch die Straßen. Aber nicht lange sollte diese Illusion dauern; bald war der Gedanke an diese Lohnlisten nur noch wie der Traum vom verlorenen Paradiese, wie die verbotene Frucht am Baume der Erkenntniß, die man sehnsüchtig anschauen durfte, ohne sie zu pflücken! Man erklärte theilweise geradezu, daß die Fabrikherrn die stipulirten Löhne nicht zahlen könnten und daß diejenigen, welche dieselben verlangten, keine Arbeit mehr erhalten sollten. Unterdessen war unsere Bürgerwehr organisirt; die Gewalt hatte sich gefühlt und im Hinblicke auf diese tröstliche Stütze singt ein Jeremia sein Klagelied wie folgt:

An meine Mitbürger, namentlich die Seidenfabrikanten und Seidenweber. Ein Wort der Wahrheit und der Mahnung!

Bei den vielen Veränderungen, welche die letztvergangnen fünf Monate über Europas Länder und Völker gebracht haben, und welche fast in alle Verhältnisse der Gesellschaft eingedrungen sind, konnte auch unsere Stadt nicht unberührt bleiben. - Sie ist eine Fabrikstadt, und leider! eine solche, deren Wohl und Wehe fast ausschließlich an einem Faden hängt -nämlich an dem Seidenfaden. - Nichts natürlicher also, als daß die neuen Ideen von Freiheit, Volkswohl, Erleichterung der arbeitenden Klassen, und wie alle jene Stichwörter der Neuzeit heißen mögen, auch hier sofort auf diese für uns wichtigste Industrie, und auf die Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angewandt wurden.

Bis zum Jahr 1845 war Crefelds Zustand ein höchst blühender. - Die Fabriken waren seit vielen Jahren in mehr oder minder schwunghaftem Betriebe gewesen, die Bevölkerung und mit ihr die Ausdehnung der Stadt wuchsen riesenhaft, alle Handwerke waren in luftiger Thätigkeit, und wer alle diese breiten Straßen, die netten wohnlichen Häuser überblickte, mußte glauben, daß schon ein tüchtiger, solider Wohlstand in denselben eingekehrt sei, und daß auch eine vorübergehende Unterbrechung der industriellen Thätigkeit ohne tief eingreifende Folgen an uns vorübergehende werde.

Da kam schwere Zeit über uns und fast ganz Europa, die Hungerjahre von 1846 und 47! - Wäre es nur der Druck der übermäßig gesteigerten Preise der ersten Lebensbedürfnisse gewesen, der auf uns gelastet hätte, wir würden ihn verhältnißmäßig leicht ertragen haben. - Allein Handel und Gewerbe geriethen in's Stocken, Jeder schränkte sich ein, Mancher vielleicht mehr als gut und nöthig war, und so verminderte sich der Erwerb der arbeitenden Hand bedeutend, während er hätte wachsen müssen, um dem stark gesteigerten Bedürfnisse zu entsprechen. -

Indessen auch diese Zeit ging vorüber. Die Erndten von 1847 fielen
theilweise reichlich aus, die Preise der Lebensmittel gingen abwärts, während Muth und Lebens- und Unternehmungslust sich wieder hoben, und man auf die Vergangenheit, wie auf einen schweren Traum, zurückzublicken anfing. Allerdings war dem Wohlstande eine tiefe Wunde geschlagen, und daß auch bei uns "nicht alles Gold sei, was glänzt" hatte sich leider vielfach herausgestellt. - Doch im Januar und Februar dieses Jahres kam wieder Leben in die Geschäfte, man hörte von den Reisenden, daß sie zufrieden in die Heimath zurückkehrten, Beschäftigung für die Seidenfabriken mitbringend, und noch bessere Aussichten für die Zukunft. So möchten denn jene Wunden bald geheilt gewesen sein, mit den Fabriken würden auch die Handwerke sich gehoben haben, und Mancher hätte vielleicht aus der schweren Zeit die heilsame Lehre mit hinübergenommen, daß es wohlgethan sei, in der guten einen Sparpfennig für die schlechte zurückzulegen. - Doch so weit sollte es leider nicht kommen. In Paris brach die Februarrevolution aus und mit ihr ein Sturm über ganz Europa, wie die Geschichte keinen gleichen aufzuweisen hat!

Was dieses Weltereigniß in der politischen Welt hervorrief, was es zerstörte, um mit Gott! Besseres wieder aufzubauen, das wollen wir hier unberührt lassen! Wir haben es zunächst mit seiner Einwirkung auf die allgemeinen Verhältnisse des Handels und deren Rückwirkung auf diejenigen unserer Gewerbthätigkeit zu thun, und wollen uns an diese halten.

Mit der Unsicherheit, welche die Februar-Revolution und die Kriege, die sie hervorrief, in alle Zustände brachte, wurde auch die freundliche Dämmerung, welche in den industriellen Verhältnissen unsrer Stadt angebrochen war, auf einmal wieder in tiefe Nacht verwandelt. - Gegebne Aufträge wurden zurückgezogen oder - wenn ausgeführt - die Waare zur Verfügung gestellt, eingegangene Verbindlichkeiten aller Art wurden nicht erfüllt, oder konnten nicht erfüllt werden, das Wort "Bezahlen" war aus dem Handelswörterbuche ausgestrichen, an neue Geschäfte war nirgendwo zu denken und - das Schlimmste von Allem - auch kein Hoffnungsschimmer einer bald wiederkehrenden, besseren Zukunft leuchtete, kein sterbliches Auge konnte das Ende des Jammers mit einiger Zuversicht vorhersehen. - Wen traf dieses Unglück zunächst? Die Fabrikanten - die Arbeitgeber, welche bei den herben Verlusten, von denen sie auf allen Seiten getroffen wurden, auch noch die schweren Sorgen zu tragen hatten, wie sie ihre Arbeiter, ihr Geschäft, wie sie ihre kaufmännische Ehre aufrecht erhalten sollten. - Wen traf es zugleich mit ihnen, und vielleicht in manchen Fällen noch härter als sie? Zunächst einen großen Theil der Fabrikarbeiter, die außer Brod gesetzt werden mußten, die sich mit ihren Familien dem Mangel auf's Neue Preis gegeben sahen, den sie schon zwei Jahre lang ertragen hatten, und den ein kurzes Aufdämmern einer bessern Zeit nur um so fühlbarer machte. - Eben so hart wie letztere wurden aber auch fast alle Handwerker unsrer Stadt betroffen, denn ihr Wohl und Wehe geht ja mit demjenigen der Fabriken Hand in Hand, und wenn diese stocken, liegt auch ihr Erwerb danieder. - Was Wunder also, daß man auf Mittel sann, der Noth abzuhelfen, die sich in so schrecklicher Gestalt darstellte, daß man einige allerdings große Mißbräuche, die sich in manchen hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten, in ihrer Rückwirkung auf die Arbeiter noch für weit verderblicher hielt, als sie es wirklich waren, daß man vergaß, wie vor den Mangel-Jahren unter ganz gleichen Verhältnissen für den Fleißigen Arbeit und genügender Erwerb in vollem Maaße vorhanden gewesen, und auch der nicht ganz Träge sein Bestehen fand, und daß man somit, der allgemeinen Verhältnisse vergessend, welche allein die Schuld der hiesigen Noth trugen und noch tragen, in Abänderung besondere Abhülfe suchte, und auf diese Weise - zum Theil wenigstens - ganz verkehrte Mittel ergriff, Uebel nur ärger machte, ja! das Wohl unsrer Stadt und Gegend für alle Zeiten in Gefahr brachte.-

Ich will von der sogenannten Uebereinkunft reden, die hier zwischen Fabrikanten und Arbeitern unter großer Aufregung und manchen schwer zu entschuldigenden Umständen, zu Stande gekommen ist, und die später eine neue Lohnliste zur Folge gehabt hat, die jetzt der Regierung zur Bestätigung vorliegt, die diese aber wohl nie erlangen wird, weil gedachte hohe Regierung glücklicherweise weiter sieht, als hier bei Abfassung dieses Werkes gesehen worden ist. -

Daß man die schon oben erwähnten, gehässigen Mißbräuche abschaffte, namentlich die sogenannten Gesellenstühle, die Werkmeisterstühle, diese stets fetten, reichlich milchgebenden Kühe, wo andere, weniger begünstigte, dem fleißigen Arbeiter kaum für sich und seine Familie die nöthigen Erhaltungsmittel abgeben; daß man ungebührlichen Abzügen und Strafen ein Ziel setzte, das war gut, und ist die Abschaffung dieser Mißbräuche einmal als Ortsstatut festgestellt, was rechtlicherweise geschehen konnte und noch geschehen kann, so wird dadurch eine wesentliche Verbesserung des Zustandes der Arbeiter herbeigeführt werden. Daß man aber die Löhne fast aller Artikel erhöhte, ja einige derselben fast ungebührlich steigerte, war höchst unklug, denn man vergaß dabei einen kleinen Uebelstand, nämlich den - daß wir nicht allein in der Welt sind. -

Endlich setzte man dieser Unklugheit noch die Krone auf, indem man feststellte, daß die hiesigen Fabrikinhaber weder hier noch anderwärts zu niedrigerm Lohne dürften arbeiten lassen, auch wenn sich bereitwillige Hände genug dazu finden sollten. - Das war nicht nur unklug, sondern es war auch ungerecht, indem es die hiesigen Fabrikanten nöthigt, entweder ihr Geschäft niederzulegen, oder in die hiesige Umgegend, nach Elberfeld, Rheydt, Süchteln etc. etc. überzusiedeln, wo sie sich dieser Beschränkung entziehen können.

Was wird aber für Crefeld, und namentlich für dessen Seidenarbeiter die nächste, die unausbleibliche Folge dieser beiden letztgenannten Maßregeln sein? - Antwort: nicht nur die Schweiz, Sachsen und Berlin, auch bei dem frühern, niedrigern Lohne schon unsre gefährlichsten, kaum zu bekämpfenden Konkurrenten, werden uns alle unsre bis dahin noch der hiesigen Industrie erhaltnen Artikel, einen nach dem andern abnehmen, sondern in Elberfeld und in unsrer Umgegend, in der Entfernung von wenigen Stunden, werden sich theils ältere, theils neuere, theils von Crefeld auswandernde Häuser der Crefelder Seidenfabrikation bemächtigen, was ihnen bei dem wohlfeilen Lohne, zu dem sie Arbeiter genug finden, ein leichtes sein wird, und unsern Arbeitern wird nichts übrig bleiben, als dorthin auszuwandern, um für vielleicht weit niedrigern Lohn zu arbeiten, als der ist, den sie hier verschmähten (denn wir wissen ja, was z. B. in Süchteln, Rheydt und Viersen für Löhne bezahlt wurden, und noch bezahlt werden!) oder sie werden in Hunger und Elend umkommen müssen.

Aus sich'rer Quelle vernehmen wir, daß schon jetzt namhafte Aufträge in verschiedenen Artikeln eingeh'n, die, bei den veränderten Löhnen, hier nicht mehr zu machen sind, und zwar warfen mehrere dieser Artikel auch vor der Lohnerhöhung reichlichen Erwerb ab, 4, 5, 6 ja 7 Thaler in der Woche. - So geht denn mancher Arbeiter müßig, der jenen schönen Erwerb verschmäht, oder ihn nicht erlangen kann, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer an die neue Lohnliste gebunden sind. - Ist es nun aber recht, und von der Stadt zu verlangen, daß sie solche Unbeschäftigte ernähre, die nur unbeschäftigt sind, weil ein sträflicher Eigensinn das Unmögliche durchsetzen will?

Schlimmer, weit schlimmer als dies ist es aber, daß mehrere der ersten Häuser in Elberfeld, denen es an Kenntnissen und Mitteln aller Art wahrlich nicht fehlt, sich jetzt mit Macht auf die Fabrikation von Crefelder Seidenwaaren werfen, da es ihnen ein Leichtes ist, bei dem bedeutend niedrigern Arbeitslohn, den sie zu zahlen haben, die hiesigen Fabriken aus dem Felde zu schlagen. - Dort sind die Arbeiter klüger als hier Sie haben nichts Unmögliches verlangt, und meinen, daß es besser sei, Etwas und jedenfalls genug zum Lebensunterhalte zu verdienen, als gar nichts.

Die Elberfelder Häuser ließen bisher zum Theil hier fabriziren, was dem Arbeiter nur vortheilhaft sein konnte, jetzt tritt das Umgekehrte ein, und sie finden, zum Schaden des hiesigen Webers, ganz bequem, in der Nähe, und zu bedeutend niedrigerm Lohne, was sie sonst in der Ferne suchen mußten - Ein Haus hat dort in der letzten Zeit 150 Weber angesetzt, und mehrere andere werfen sich mit Macht auf Crefelder Artikel. - Dauert dieser Zustand aber nur 6 Monate fort, so ist für Crefeld - man mag nachher auf die alten Löhne zurückgehen oder nicht - ein großer Theil seiner Industrierettungslos verloren, denn was in Elberfeld und in unsrer Umgegend von Fabriken sich einmal angesiedelt, was dort die Crefelder Artikel zu machen gelernt, oder die hiesige Industrie dorthin verlegt hat, das führt keine Macht wieder hierher zurück, es ist und bleibt verloren.

So mag denn Deutschland einig werden, eine bessere, eine schöne Zeit mag für Handel und Gewerbe aufgehen, wenn das Vertrauen wiederkehrt, und alle Binnenzölle fallen, für uns ist das alles nicht vorhanden! Crefelds Konkurrenten werden überall unsre Artikel wohlfeiler ausbieten, sie werden den Abnehmern sagen: Warum wollt ihr in Crefeld bestellen, wo die Fabrikanten bekanntlich unvernünftig hohe Löhne bezahlen müssen, während wir viel billiger arbeiten können? Sie werden die Sache noch ärger machen, als sie ist, und so werden wir müßig liegen und darben, während um uns her Thätigkeit und Wohlstand herrscht.

Und wie, wenn der Winter zu dem Elende kommt?

Mit der Seiden-Industrie aber werden Handwerker, Wirthe, kurz alles, was damit zusammenhängt, zu Grunde gehen, die Wohlhabenden werden die Stadt verlassen, und in wenigen Jahren wird in Crefeld's Straßen das Gras wachsen!

Wer mich widerlegen kann, dem werde ich es aufrichtig Dank wissen, denn er wird mir eine große Sorge für unsere Stadt vom Herzen nehmen.

Wenn man mich aber nicht widerlegen kann, dann eile man zu ändern, was man unüberlegter Weise und in der Aufregung gethan hat. - Die Arbeiter, und durch ihren Einfluß die Kommission, haben das Uebel angerichtet, von ihnen möge schleunige Abhülfe ausgehen, damit es nicht heiße:

Es ist zu spät!

X Bielefeld, 26. Juli.

Wie das Petitions- und Vereinigungsrecht der Soldaten verstanden wird und wie häufig der Soldat es bitter zu bereuen hat, wenn er glaubt, er besitze auch einen Antheil an der neuen "konstitutionellen" Freiheit, möge folgender Vorfall beweisen. Die Kriegsreserve einer hier in Garnison stehenden Kompagnie des 15. Infanterie-Regiments hatte eine Kollektiv-Petition mit Umgehung des Instanzenzuges direkt an das Generalkommando gerichtet, worin sie das Verlangen stellte, "da sie auf dem Kriegsfuß stehe, auch den gesetzlichen Vorschriften gemäß behandelt zu werden, namentlich die ihr gebührende Feldzulage, die ihr bis jetzt nicht verabreicht worden, zu empfangen, worin sie ferner auf den Uebelstand aufmerksam machte, daß die Reservisten, welche einflußreiche Verbindungen hätten, entlassen würden, während der unbemittelte Reservist, wenn er auch seiner bisherigen Beschäftigung zu seinem größten Nachtheile entrissen sei, keine Aussicht auf Berücksichtigung habe, worin sie endlich verlangte, entweder entlassen oder gegen den Feind geführt zu werden, weil sie etwas Besseres thun könne, als in der Garnison zu faullenzen."

Kurz nach Abgang dieser Petition kam der Befehl von Münster, die hier stehende Kompagnie nach Minden zu verlegen. Kaum in Minden angekommen, wurde die Untersuchung gegen die Reservisten eingeleitet, die "Rädelsführer" wurden verhaftet und einer derselben, der die Sache im festen Glauben, daß er auch ein freier

26 Crefeld, 25. Juli.

Unsere Bürgerwehr hat durch geheimes Serurinium einen Bürger aus ihren Reihen gestoßen, weil er bei einer gelegentlichen Parade nicht eingestimmt haben soll, in die „Hoch“ auf den Erzherzog und den König von Preußen. In Folge dieses Ausschlusses wollte ihm ein Bürger-Offizier sein Gewehr wegnehmen und als er sich diesem Vorhaben widersetzte, requirirte der Kommandant Hr. Spezial-Eisenbahn-Direktor Schnarr unsere Polizei, die denn auch drei Mann hoch vorrückte und unter ihrem Inspektor die fragliche Waffe mit Gewalt wegnahm. Auf eine desfallsige Beschwerde, worin gefragt wurde, ob die Polizei das Recht habe, einen Bürger auf Requisition eines Bürgerwehr-Kommandanten seiner Waffen zu berauben, die ihm doch die Revolution zum Schutze seiner Person und seines Eigenthums gegeben, erging folgender Bescheid des Oberprokurators in Düsseldorf, der wohl verdient in weiten Kreisen bekannt zu werden um zu zeigen, welche väterliche Theilnahme unsre Polizei an dem Bürgerwehr-Institute nimmt, damit der gute Geist bei ihr erhalten und gepflegt werde. Das Schreiben des Herrn Prokurators Schnaase lautet: „Ihre Beschwerde vom 14. d. M. kann ich nicht als begründet anerkennen. Durch Ihren Beitritt zur Bürgerwehr haben Sie sich der von der Königl. Regierung bestätigten Ordnung derselben und mithin auch der Bestimmung, welche der Kompagnie das Recht der Ausschließung beilegt, unterworfen und sind Sie also durch den von derselben gefaßten Beschluß rechtskräftig ausgeschlossen. Dadurch hatten Sie aber auch die Befugniß verloren, die Ihnen übergebenen Waffen zurückzubehalten, da dieselben vom Staate nicht sowohl Ihnen persönlich als der Bürgerwehr anvertraut und Ihnen nur als Mitglied derselben eingehändigt waren. Es stand daher auch dem Kommandanten der Bürgerwehr das Recht der Ausführung jenes Sie ausschließenden Beschlusses zu und ist nichts dagegen zu erinnern, wenn er diese Ausführung dem Polizei-Inspektor überließ und dieser es übernahm. Der Oberprokurator Schnaase.

Wie wir vernehmen, hat der ausgestoßene Bürger sich an den Generalprokurator resp. an das Ministerium gewandt, um zu erfahren, ob die Ansicht des Herrn Schnaase auch von diesen Wächtern des Gesetzes getheilt wird. Den erhaltenen Bescheid hoffe ich Ihnen s. Z. mittheilen zu können.

* Crefeld, 23. Juli.

Unsere, seit der Aufhebung der Censurgesetze hier erscheinende Zeitung bringt in einer Beilage zu Nro. 62 einen originellen Artikel, der gewiß verdient, der größtmöglichen Oeffentlichkeit übergeben zu werden. Zur bessern Verständigung nur zwei Worte: Als die Pariser Revolution abermals die Kette der Sklaverei zerbrochen hatte und den Auferstehungsruf durch die Länder der Erde sandte, warfen auch unsere elenden Seidenweber ihr hartes Joch ab und traten auf für ihre unveräußerlichen Rechte. Es war ein schwüler Tag für unser Crefeld, als nun urplötzlich die lang unterdrückte Stimme so vieler Tausende sich erhob, und wie der Sturm des jüngsten Gerichts nach Rache rief! Die Fabrikherren mochten fühlen, wie gefährlich es sei, noch ferner bei den „allerdings großen Mißbräuchen, die sich in manchen hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten,“ zu verbleiben und sie beeilten sich daher, einen Lohntarif so wie ein Statut zu entwerfen, wodurch jene „großen Mißbräuche“abgeschafft werden sollten. Der Jubel, den die Verkündigung dieser Gesetze hervorrief, kann nicht beschrieben werden: unsere Proletarier bekränzten ihre Fabrikherrn mit Eichenlaub und Lorbeerzweigen und zogen Arm in Arm mit ihren Herrn, im Taumel der „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ unter Gesang und Musik durch die Straßen. Aber nicht lange sollte diese Illusion dauern; bald war der Gedanke an diese Lohnlisten nur noch wie der Traum vom verlorenen Paradiese, wie die verbotene Frucht am Baume der Erkenntniß, die man sehnsüchtig anschauen durfte, ohne sie zu pflücken! Man erklärte theilweise geradezu, daß die Fabrikherrn die stipulirten Löhne nicht zahlen könnten und daß diejenigen, welche dieselben verlangten, keine Arbeit mehr erhalten sollten. Unterdessen war unsere Bürgerwehr organisirt; die Gewalt hatte sich gefühlt und im Hinblicke auf diese tröstliche Stütze singt ein Jeremia sein Klagelied wie folgt:

An meine Mitbürger, namentlich die Seidenfabrikanten und Seidenweber. Ein Wort der Wahrheit und der Mahnung!

Bei den vielen Veränderungen, welche die letztvergangnen fünf Monate über Europas Länder und Völker gebracht haben, und welche fast in alle Verhältnisse der Gesellschaft eingedrungen sind, konnte auch unsere Stadt nicht unberührt bleiben. ‒ Sie ist eine Fabrikstadt, und leider! eine solche, deren Wohl und Wehe fast ausschließlich an einem Faden hängt ‒nämlich an dem Seidenfaden. ‒ Nichts natürlicher also, als daß die neuen Ideen von Freiheit, Volkswohl, Erleichterung der arbeitenden Klassen, und wie alle jene Stichwörter der Neuzeit heißen mögen, auch hier sofort auf diese für uns wichtigste Industrie, und auf die Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angewandt wurden.

Bis zum Jahr 1845 war Crefelds Zustand ein höchst blühender. ‒ Die Fabriken waren seit vielen Jahren in mehr oder minder schwunghaftem Betriebe gewesen, die Bevölkerung und mit ihr die Ausdehnung der Stadt wuchsen riesenhaft, alle Handwerke waren in luftiger Thätigkeit, und wer alle diese breiten Straßen, die netten wohnlichen Häuser überblickte, mußte glauben, daß schon ein tüchtiger, solider Wohlstand in denselben eingekehrt sei, und daß auch eine vorübergehende Unterbrechung der industriellen Thätigkeit ohne tief eingreifende Folgen an uns vorübergehende werde.

Da kam schwere Zeit über uns und fast ganz Europa, die Hungerjahre von 1846 und 47! ‒ Wäre es nur der Druck der übermäßig gesteigerten Preise der ersten Lebensbedürfnisse gewesen, der auf uns gelastet hätte, wir würden ihn verhältnißmäßig leicht ertragen haben. ‒ Allein Handel und Gewerbe geriethen in's Stocken, Jeder schränkte sich ein, Mancher vielleicht mehr als gut und nöthig war, und so verminderte sich der Erwerb der arbeitenden Hand bedeutend, während er hätte wachsen müssen, um dem stark gesteigerten Bedürfnisse zu entsprechen. ‒

Indessen auch diese Zeit ging vorüber. Die Erndten von 1847 fielen
theilweise reichlich aus, die Preise der Lebensmittel gingen abwärts, während Muth und Lebens- und Unternehmungslust sich wieder hoben, und man auf die Vergangenheit, wie auf einen schweren Traum, zurückzublicken anfing. Allerdings war dem Wohlstande eine tiefe Wunde geschlagen, und daß auch bei uns „nicht alles Gold sei, was glänzt“ hatte sich leider vielfach herausgestellt. ‒ Doch im Januar und Februar dieses Jahres kam wieder Leben in die Geschäfte, man hörte von den Reisenden, daß sie zufrieden in die Heimath zurückkehrten, Beschäftigung für die Seidenfabriken mitbringend, und noch bessere Aussichten für die Zukunft. So möchten denn jene Wunden bald geheilt gewesen sein, mit den Fabriken würden auch die Handwerke sich gehoben haben, und Mancher hätte vielleicht aus der schweren Zeit die heilsame Lehre mit hinübergenommen, daß es wohlgethan sei, in der guten einen Sparpfennig für die schlechte zurückzulegen. ‒ Doch so weit sollte es leider nicht kommen. In Paris brach die Februarrevolution aus und mit ihr ein Sturm über ganz Europa, wie die Geschichte keinen gleichen aufzuweisen hat!

Was dieses Weltereigniß in der politischen Welt hervorrief, was es zerstörte, um mit Gott! Besseres wieder aufzubauen, das wollen wir hier unberührt lassen! Wir haben es zunächst mit seiner Einwirkung auf die allgemeinen Verhältnisse des Handels und deren Rückwirkung auf diejenigen unserer Gewerbthätigkeit zu thun, und wollen uns an diese halten.

Mit der Unsicherheit, welche die Februar-Revolution und die Kriege, die sie hervorrief, in alle Zustände brachte, wurde auch die freundliche Dämmerung, welche in den industriellen Verhältnissen unsrer Stadt angebrochen war, auf einmal wieder in tiefe Nacht verwandelt. ‒ Gegebne Aufträge wurden zurückgezogen oder ‒ wenn ausgeführt ‒ die Waare zur Verfügung gestellt, eingegangene Verbindlichkeiten aller Art wurden nicht erfüllt, oder konnten nicht erfüllt werden, das Wort „Bezahlen“ war aus dem Handelswörterbuche ausgestrichen, an neue Geschäfte war nirgendwo zu denken und ‒ das Schlimmste von Allem ‒ auch kein Hoffnungsschimmer einer bald wiederkehrenden, besseren Zukunft leuchtete, kein sterbliches Auge konnte das Ende des Jammers mit einiger Zuversicht vorhersehen. ‒ Wen traf dieses Unglück zunächst? Die Fabrikanten ‒ die Arbeitgeber, welche bei den herben Verlusten, von denen sie auf allen Seiten getroffen wurden, auch noch die schweren Sorgen zu tragen hatten, wie sie ihre Arbeiter, ihr Geschäft, wie sie ihre kaufmännische Ehre aufrecht erhalten sollten. ‒ Wen traf es zugleich mit ihnen, und vielleicht in manchen Fällen noch härter als sie? Zunächst einen großen Theil der Fabrikarbeiter, die außer Brod gesetzt werden mußten, die sich mit ihren Familien dem Mangel auf's Neue Preis gegeben sahen, den sie schon zwei Jahre lang ertragen hatten, und den ein kurzes Aufdämmern einer bessern Zeit nur um so fühlbarer machte. ‒ Eben so hart wie letztere wurden aber auch fast alle Handwerker unsrer Stadt betroffen, denn ihr Wohl und Wehe geht ja mit demjenigen der Fabriken Hand in Hand, und wenn diese stocken, liegt auch ihr Erwerb danieder. ‒ Was Wunder also, daß man auf Mittel sann, der Noth abzuhelfen, die sich in so schrecklicher Gestalt darstellte, daß man einige allerdings große Mißbräuche, die sich in manchen hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten, in ihrer Rückwirkung auf die Arbeiter noch für weit verderblicher hielt, als sie es wirklich waren, daß man vergaß, wie vor den Mangel-Jahren unter ganz gleichen Verhältnissen für den Fleißigen Arbeit und genügender Erwerb in vollem Maaße vorhanden gewesen, und auch der nicht ganz Träge sein Bestehen fand, und daß man somit, der allgemeinen Verhältnisse vergessend, welche allein die Schuld der hiesigen Noth trugen und noch tragen, in Abänderung besondere Abhülfe suchte, und auf diese Weise ‒ zum Theil wenigstens ‒ ganz verkehrte Mittel ergriff, Uebel nur ärger machte, ja! das Wohl unsrer Stadt und Gegend für alle Zeiten in Gefahr brachte.‒

Ich will von der sogenannten Uebereinkunft reden, die hier zwischen Fabrikanten und Arbeitern unter großer Aufregung und manchen schwer zu entschuldigenden Umständen, zu Stande gekommen ist, und die später eine neue Lohnliste zur Folge gehabt hat, die jetzt der Regierung zur Bestätigung vorliegt, die diese aber wohl nie erlangen wird, weil gedachte hohe Regierung glücklicherweise weiter sieht, als hier bei Abfassung dieses Werkes gesehen worden ist. ‒

Daß man die schon oben erwähnten, gehässigen Mißbräuche abschaffte, namentlich die sogenannten Gesellenstühle, die Werkmeisterstühle, diese stets fetten, reichlich milchgebenden Kühe, wo andere, weniger begünstigte, dem fleißigen Arbeiter kaum für sich und seine Familie die nöthigen Erhaltungsmittel abgeben; daß man ungebührlichen Abzügen und Strafen ein Ziel setzte, das war gut, und ist die Abschaffung dieser Mißbräuche einmal als Ortsstatut festgestellt, was rechtlicherweise geschehen konnte und noch geschehen kann, so wird dadurch eine wesentliche Verbesserung des Zustandes der Arbeiter herbeigeführt werden. Daß man aber die Löhne fast aller Artikel erhöhte, ja einige derselben fast ungebührlich steigerte, war höchst unklug, denn man vergaß dabei einen kleinen Uebelstand, nämlich den ‒ daß wir nicht allein in der Welt sind.

Endlich setzte man dieser Unklugheit noch die Krone auf, indem man feststellte, daß die hiesigen Fabrikinhaber weder hier noch anderwärts zu niedrigerm Lohne dürften arbeiten lassen, auch wenn sich bereitwillige Hände genug dazu finden sollten. ‒ Das war nicht nur unklug, sondern es war auch ungerecht, indem es die hiesigen Fabrikanten nöthigt, entweder ihr Geschäft niederzulegen, oder in die hiesige Umgegend, nach Elberfeld, Rheydt, Süchteln etc. etc. überzusiedeln, wo sie sich dieser Beschränkung entziehen können.

Was wird aber für Crefeld, und namentlich für dessen Seidenarbeiter die nächste, die unausbleibliche Folge dieser beiden letztgenannten Maßregeln sein? ‒ Antwort: nicht nur die Schweiz, Sachsen und Berlin, auch bei dem frühern, niedrigern Lohne schon unsre gefährlichsten, kaum zu bekämpfenden Konkurrenten, werden uns alle unsre bis dahin noch der hiesigen Industrie erhaltnen Artikel, einen nach dem andern abnehmen, sondern in Elberfeld und in unsrer Umgegend, in der Entfernung von wenigen Stunden, werden sich theils ältere, theils neuere, theils von Crefeld auswandernde Häuser der Crefelder Seidenfabrikation bemächtigen, was ihnen bei dem wohlfeilen Lohne, zu dem sie Arbeiter genug finden, ein leichtes sein wird, und unsern Arbeitern wird nichts übrig bleiben, als dorthin auszuwandern, um für vielleicht weit niedrigern Lohn zu arbeiten, als der ist, den sie hier verschmähten (denn wir wissen ja, was z. B. in Süchteln, Rheydt und Viersen für Löhne bezahlt wurden, und noch bezahlt werden!) oder sie werden in Hunger und Elend umkommen müssen.

Aus sich'rer Quelle vernehmen wir, daß schon jetzt namhafte Aufträge in verschiedenen Artikeln eingeh'n, die, bei den veränderten Löhnen, hier nicht mehr zu machen sind, und zwar warfen mehrere dieser Artikel auch vor der Lohnerhöhung reichlichen Erwerb ab, 4, 5, 6 ja 7 Thaler in der Woche. ‒ So geht denn mancher Arbeiter müßig, der jenen schönen Erwerb verschmäht, oder ihn nicht erlangen kann, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer an die neue Lohnliste gebunden sind. ‒ Ist es nun aber recht, und von der Stadt zu verlangen, daß sie solche Unbeschäftigte ernähre, die nur unbeschäftigt sind, weil ein sträflicher Eigensinn das Unmögliche durchsetzen will?

Schlimmer, weit schlimmer als dies ist es aber, daß mehrere der ersten Häuser in Elberfeld, denen es an Kenntnissen und Mitteln aller Art wahrlich nicht fehlt, sich jetzt mit Macht auf die Fabrikation von Crefelder Seidenwaaren werfen, da es ihnen ein Leichtes ist, bei dem bedeutend niedrigern Arbeitslohn, den sie zu zahlen haben, die hiesigen Fabriken aus dem Felde zu schlagen. ‒ Dort sind die Arbeiter klüger als hier Sie haben nichts Unmögliches verlangt, und meinen, daß es besser sei, Etwas und jedenfalls genug zum Lebensunterhalte zu verdienen, als gar nichts.

Die Elberfelder Häuser ließen bisher zum Theil hier fabriziren, was dem Arbeiter nur vortheilhaft sein konnte, jetzt tritt das Umgekehrte ein, und sie finden, zum Schaden des hiesigen Webers, ganz bequem, in der Nähe, und zu bedeutend niedrigerm Lohne, was sie sonst in der Ferne suchen mußten ‒ Ein Haus hat dort in der letzten Zeit 150 Weber angesetzt, und mehrere andere werfen sich mit Macht auf Crefelder Artikel. ‒ Dauert dieser Zustand aber nur 6 Monate fort, so ist für Crefeld ‒ man mag nachher auf die alten Löhne zurückgehen oder nicht ‒ ein großer Theil seiner Industrierettungslos verloren, denn was in Elberfeld und in unsrer Umgegend von Fabriken sich einmal angesiedelt, was dort die Crefelder Artikel zu machen gelernt, oder die hiesige Industrie dorthin verlegt hat, das führt keine Macht wieder hierher zurück, es ist und bleibt verloren.

So mag denn Deutschland einig werden, eine bessere, eine schöne Zeit mag für Handel und Gewerbe aufgehen, wenn das Vertrauen wiederkehrt, und alle Binnenzölle fallen, für uns ist das alles nicht vorhanden! Crefelds Konkurrenten werden überall unsre Artikel wohlfeiler ausbieten, sie werden den Abnehmern sagen: Warum wollt ihr in Crefeld bestellen, wo die Fabrikanten bekanntlich unvernünftig hohe Löhne bezahlen müssen, während wir viel billiger arbeiten können? Sie werden die Sache noch ärger machen, als sie ist, und so werden wir müßig liegen und darben, während um uns her Thätigkeit und Wohlstand herrscht.

Und wie, wenn der Winter zu dem Elende kommt?

Mit der Seiden-Industrie aber werden Handwerker, Wirthe, kurz alles, was damit zusammenhängt, zu Grunde gehen, die Wohlhabenden werden die Stadt verlassen, und in wenigen Jahren wird in Crefeld's Straßen das Gras wachsen!

Wer mich widerlegen kann, dem werde ich es aufrichtig Dank wissen, denn er wird mir eine große Sorge für unsere Stadt vom Herzen nehmen.

Wenn man mich aber nicht widerlegen kann, dann eile man zu ändern, was man unüberlegter Weise und in der Aufregung gethan hat. ‒ Die Arbeiter, und durch ihren Einfluß die Kommission, haben das Uebel angerichtet, von ihnen möge schleunige Abhülfe ausgehen, damit es nicht heiße:

Es ist zu spät!

X Bielefeld, 26. Juli.

Wie das Petitions- und Vereinigungsrecht der Soldaten verstanden wird und wie häufig der Soldat es bitter zu bereuen hat, wenn er glaubt, er besitze auch einen Antheil an der neuen „konstitutionellen“ Freiheit, möge folgender Vorfall beweisen. Die Kriegsreserve einer hier in Garnison stehenden Kompagnie des 15. Infanterie-Regiments hatte eine Kollektiv-Petition mit Umgehung des Instanzenzuges direkt an das Generalkommando gerichtet, worin sie das Verlangen stellte, „da sie auf dem Kriegsfuß stehe, auch den gesetzlichen Vorschriften gemäß behandelt zu werden, namentlich die ihr gebührende Feldzulage, die ihr bis jetzt nicht verabreicht worden, zu empfangen, worin sie ferner auf den Uebelstand aufmerksam machte, daß die Reservisten, welche einflußreiche Verbindungen hätten, entlassen würden, während der unbemittelte Reservist, wenn er auch seiner bisherigen Beschäftigung zu seinem größten Nachtheile entrissen sei, keine Aussicht auf Berücksichtigung habe, worin sie endlich verlangte, entweder entlassen oder gegen den Feind geführt zu werden, weil sie etwas Besseres thun könne, als in der Garnison zu faullenzen.“

Kurz nach Abgang dieser Petition kam der Befehl von Münster, die hier stehende Kompagnie nach Minden zu verlegen. Kaum in Minden angekommen, wurde die Untersuchung gegen die Reservisten eingeleitet, die „Rädelsführer“ wurden verhaftet und einer derselben, der die Sache im festen Glauben, daß er auch ein freier

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          <head><bibl><author>26</author></bibl> Crefeld, 25. Juli.</head>
          <p> Unsere Bürgerwehr hat durch geheimes Serurinium einen Bürger aus ihren Reihen gestoßen,       weil er bei einer gelegentlichen Parade nicht eingestimmt haben soll, in die &#x201E;Hoch&#x201C; auf den       Erzherzog und den König von Preußen. In Folge dieses Ausschlusses wollte ihm ein       Bürger-Offizier sein Gewehr wegnehmen und als er sich diesem Vorhaben widersetzte, requirirte       der Kommandant Hr. Spezial-Eisenbahn-Direktor Schnarr unsere Polizei, die denn auch drei Mann       hoch vorrückte und unter ihrem Inspektor die fragliche Waffe mit Gewalt wegnahm. Auf eine       desfallsige Beschwerde, worin gefragt wurde, ob die Polizei das Recht habe, einen Bürger auf       Requisition eines Bürgerwehr-Kommandanten seiner Waffen zu berauben, die ihm doch die       Revolution zum Schutze seiner Person und seines Eigenthums gegeben, erging folgender Bescheid       des Oberprokurators in Düsseldorf, der wohl verdient in weiten Kreisen bekannt zu werden um zu       zeigen, welche väterliche Theilnahme unsre Polizei an dem Bürgerwehr-Institute nimmt, damit       der gute Geist bei ihr erhalten und gepflegt werde. Das Schreiben des Herrn Prokurators       Schnaase lautet: &#x201E;Ihre Beschwerde vom 14. d. M. kann ich nicht als begründet anerkennen. Durch       Ihren Beitritt zur Bürgerwehr haben Sie sich der von der Königl. Regierung bestätigten Ordnung       derselben und mithin auch der Bestimmung, welche der Kompagnie das Recht der Ausschließung       beilegt, unterworfen und sind Sie also durch den von derselben gefaßten Beschluß rechtskräftig       ausgeschlossen. Dadurch hatten Sie aber auch die Befugniß verloren, die Ihnen übergebenen       Waffen zurückzubehalten, da dieselben vom Staate nicht sowohl Ihnen persönlich als der       Bürgerwehr anvertraut und Ihnen nur als Mitglied derselben eingehändigt waren. Es stand daher       auch dem Kommandanten der Bürgerwehr das Recht der Ausführung jenes Sie ausschließenden       Beschlusses zu und ist nichts dagegen zu erinnern, wenn er diese Ausführung dem       Polizei-Inspektor überließ und dieser es übernahm. Der Oberprokurator Schnaase.</p>
          <p>Wie wir vernehmen, hat der ausgestoßene Bürger sich an den Generalprokurator resp. an das       Ministerium gewandt, um zu erfahren, ob die Ansicht des Herrn Schnaase auch von diesen       Wächtern des Gesetzes getheilt wird. Den erhaltenen Bescheid hoffe ich Ihnen s. Z. mittheilen       zu können.</p>
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          <head><bibl><author>*</author></bibl> Crefeld, 23. Juli.</head>
          <p>Unsere, seit der Aufhebung der Censurgesetze hier erscheinende Zeitung bringt in einer       Beilage zu Nro. 62 einen originellen Artikel, der gewiß verdient, der größtmöglichen       Oeffentlichkeit übergeben zu werden. Zur bessern Verständigung nur zwei Worte: Als die Pariser       Revolution abermals die Kette der Sklaverei zerbrochen hatte und den Auferstehungsruf durch       die Länder der Erde sandte, warfen auch unsere elenden Seidenweber ihr hartes Joch ab und       traten auf für ihre unveräußerlichen Rechte. Es war ein schwüler Tag für unser Crefeld, als       nun urplötzlich die lang unterdrückte Stimme so vieler Tausende sich erhob, und wie der Sturm       des jüngsten Gerichts nach Rache rief! Die Fabrikherren mochten fühlen, wie gefährlich es sei,       noch ferner bei den &#x201E;<hi rendition="#g">allerdings großen Mißbräuchen, die sich in manchen        hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten,</hi>&#x201C; zu verbleiben und sie beeilten sich daher,       einen Lohntarif so wie ein Statut zu entwerfen, wodurch jene &#x201E;großen Mißbräuche&#x201C;abgeschafft       werden sollten. Der Jubel, den die Verkündigung dieser Gesetze hervorrief, kann nicht       beschrieben werden: unsere Proletarier bekränzten ihre Fabrikherrn mit Eichenlaub und       Lorbeerzweigen und zogen Arm in Arm mit ihren Herrn, im Taumel der       &#x201E;Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit&#x201C; unter Gesang und Musik durch die Straßen. Aber nicht       lange sollte diese Illusion dauern; bald war der Gedanke an diese Lohnlisten nur noch wie der       Traum vom verlorenen Paradiese, wie die verbotene Frucht am Baume der Erkenntniß, die man       sehnsüchtig anschauen durfte, ohne sie zu pflücken! Man erklärte theilweise geradezu, daß die       Fabrikherrn die stipulirten Löhne nicht zahlen könnten und daß diejenigen, welche dieselben       verlangten, keine Arbeit mehr erhalten sollten. Unterdessen war unsere Bürgerwehr organisirt;       die Gewalt hatte sich gefühlt und im Hinblicke auf diese tröstliche Stütze singt ein Jeremia       sein Klagelied wie folgt:</p>
          <p>An meine Mitbürger, namentlich die Seidenfabrikanten und Seidenweber. Ein Wort der Wahrheit       und der Mahnung!</p>
          <p>Bei den vielen Veränderungen, welche die letztvergangnen fünf Monate über Europas Länder und       Völker gebracht haben, und welche fast in alle Verhältnisse der Gesellschaft eingedrungen       sind, konnte auch unsere Stadt nicht unberührt bleiben. &#x2012; Sie ist eine Fabrikstadt, und       leider! eine solche, deren Wohl und Wehe fast ausschließlich an <hi rendition="#g">einem</hi> Faden hängt &#x2012;nämlich an dem Seidenfaden. &#x2012; Nichts natürlicher also, als daß die neuen Ideen       von Freiheit, Volkswohl, Erleichterung der arbeitenden Klassen, und wie alle jene Stichwörter       der Neuzeit heißen mögen, auch hier sofort auf diese für uns wichtigste Industrie, und auf die       Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angewandt wurden.</p>
          <p>Bis zum Jahr 1845 war Crefelds Zustand ein höchst blühender. &#x2012; Die Fabriken waren seit       vielen Jahren in mehr oder minder schwunghaftem Betriebe gewesen, die Bevölkerung und mit ihr       die Ausdehnung der Stadt wuchsen riesenhaft, alle Handwerke waren in luftiger Thätigkeit, und       wer alle diese breiten Straßen, die netten wohnlichen Häuser überblickte, mußte glauben, daß       schon ein tüchtiger, solider Wohlstand in denselben eingekehrt sei, und daß auch eine       vorübergehende Unterbrechung der industriellen Thätigkeit ohne tief eingreifende Folgen an uns       vorübergehende werde.</p>
          <p>Da kam schwere Zeit über uns und fast ganz Europa, die Hungerjahre von 1846 und 47! &#x2012; Wäre       es nur der Druck der übermäßig gesteigerten Preise der ersten Lebensbedürfnisse gewesen, der       auf uns gelastet hätte, wir würden ihn verhältnißmäßig leicht ertragen haben. &#x2012; Allein Handel       und Gewerbe geriethen in's Stocken, Jeder schränkte sich ein, Mancher vielleicht mehr als gut       und nöthig war, und so verminderte sich der Erwerb der arbeitenden Hand bedeutend, während er       hätte wachsen müssen, um dem stark gesteigerten Bedürfnisse zu entsprechen. &#x2012;</p>
          <p>Indessen auch diese Zeit ging vorüber. Die Erndten von 1847 fielen<lb/>
theilweise reichlich       aus, die Preise der Lebensmittel gingen abwärts, während Muth und Lebens- und       Unternehmungslust sich wieder hoben, und man auf die Vergangenheit, wie auf einen schweren       Traum, zurückzublicken anfing. Allerdings war dem Wohlstande eine tiefe Wunde geschlagen, und       daß auch bei uns &#x201E;nicht alles Gold sei, was glänzt&#x201C; hatte sich leider vielfach herausgestellt.       &#x2012; Doch im Januar und Februar dieses Jahres kam wieder Leben in die Geschäfte, man hörte von       den Reisenden, daß sie zufrieden in die Heimath zurückkehrten, Beschäftigung für die       Seidenfabriken mitbringend, und noch bessere Aussichten für die Zukunft. So möchten denn jene       Wunden bald geheilt gewesen sein, mit den Fabriken würden auch die Handwerke sich gehoben       haben, und Mancher hätte vielleicht aus der schweren Zeit die heilsame Lehre mit       hinübergenommen, daß es wohlgethan sei, in der guten einen Sparpfennig für die schlechte       zurückzulegen. &#x2012; Doch so weit sollte es leider nicht kommen. In Paris brach die       Februarrevolution aus und mit ihr ein Sturm über ganz Europa, wie die Geschichte keinen       gleichen aufzuweisen hat!</p>
          <p>Was dieses Weltereigniß in der politischen Welt hervorrief, was es zerstörte, um mit Gott!       Besseres wieder aufzubauen, das wollen wir hier unberührt lassen! Wir haben es zunächst mit       seiner Einwirkung auf die allgemeinen Verhältnisse des Handels und deren Rückwirkung auf       diejenigen unserer Gewerbthätigkeit zu thun, und wollen uns an diese halten.</p>
          <p>Mit der Unsicherheit, welche die Februar-Revolution und die Kriege, die sie hervorrief, in       alle Zustände brachte, wurde auch die freundliche Dämmerung, welche in den industriellen       Verhältnissen unsrer Stadt angebrochen war, auf einmal wieder in tiefe Nacht verwandelt. &#x2012;       Gegebne Aufträge wurden zurückgezogen oder &#x2012; wenn ausgeführt &#x2012; die Waare zur Verfügung       gestellt, eingegangene Verbindlichkeiten aller Art wurden nicht erfüllt, oder konnten nicht       erfüllt werden, das Wort &#x201E;Bezahlen&#x201C; war aus dem Handelswörterbuche ausgestrichen, an neue       Geschäfte war nirgendwo zu denken und &#x2012; das Schlimmste von Allem &#x2012; auch kein Hoffnungsschimmer       einer bald wiederkehrenden, besseren Zukunft leuchtete, kein sterbliches Auge konnte das Ende       des Jammers mit einiger Zuversicht vorhersehen. &#x2012; Wen traf dieses Unglück zunächst? Die       Fabrikanten &#x2012; die Arbeitgeber, welche bei den herben Verlusten, von denen sie auf allen Seiten       getroffen wurden, auch noch die schweren Sorgen zu tragen hatten, wie sie ihre Arbeiter, ihr       Geschäft, wie sie ihre kaufmännische Ehre aufrecht erhalten sollten. &#x2012; Wen traf es zugleich       mit ihnen, und vielleicht in manchen Fällen noch härter als sie? Zunächst einen großen Theil       der Fabrikarbeiter, die außer Brod gesetzt werden mußten, die sich mit ihren Familien dem       Mangel auf's Neue Preis gegeben sahen, den sie schon zwei Jahre lang ertragen hatten, und den       ein kurzes Aufdämmern einer bessern Zeit nur um so fühlbarer machte. &#x2012; Eben so hart wie       letztere wurden aber auch fast alle Handwerker unsrer Stadt betroffen, denn ihr Wohl und Wehe       geht ja mit demjenigen der Fabriken Hand in Hand, und wenn diese stocken, liegt auch ihr       Erwerb danieder. &#x2012; Was Wunder also, daß man auf Mittel sann, der Noth abzuhelfen, die sich in       so schrecklicher Gestalt darstellte, daß man einige <hi rendition="#g">allerdings große        Mißbräuche, die sich in manchen hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten, in ihrer Rückwirkung        auf die Arbeiter noch für weit verderblicher hielt, als sie es wirklich waren,</hi> daß man       vergaß, wie vor den Mangel-Jahren unter ganz gleichen Verhältnissen für den Fleißigen Arbeit       und genügender Erwerb in vollem Maaße vorhanden gewesen, und auch der nicht ganz Träge sein       Bestehen fand, und daß man somit, der allgemeinen Verhältnisse vergessend, <hi rendition="#g">welche allein die Schuld der hiesigen Noth trugen und noch tragen, </hi>in Abänderung       besondere Abhülfe suchte, und auf diese Weise &#x2012; zum Theil wenigstens &#x2012; ganz verkehrte Mittel       ergriff, Uebel nur ärger machte, ja! das Wohl unsrer Stadt und Gegend für alle Zeiten in       Gefahr brachte.&#x2012;</p>
          <p>Ich will von der sogenannten Uebereinkunft reden, die hier zwischen Fabrikanten und       Arbeitern unter großer Aufregung und manchen schwer zu entschuldigenden Umständen, zu Stande       gekommen ist, und die später eine neue Lohnliste zur Folge gehabt hat, die jetzt der Regierung       zur Bestätigung vorliegt, die diese aber wohl nie erlangen wird, weil gedachte hohe Regierung       glücklicherweise weiter sieht, als hier bei Abfassung dieses Werkes gesehen worden ist. &#x2012;</p>
          <p>Daß man die schon oben erwähnten, gehässigen Mißbräuche abschaffte, namentlich die       sogenannten Gesellenstühle, die Werkmeisterstühle, diese stets fetten, reichlich milchgebenden       Kühe, wo andere, weniger begünstigte, dem fleißigen Arbeiter kaum für sich und seine Familie       die nöthigen Erhaltungsmittel abgeben; daß man <hi rendition="#g">ungebührlichen Abzügen und        Strafen ein Ziel setzte,</hi> das war gut, und ist die Abschaffung dieser Mißbräuche einmal       als Ortsstatut festgestellt, was rechtlicherweise geschehen konnte und noch geschehen kann, so       wird dadurch eine wesentliche Verbesserung des Zustandes der Arbeiter herbeigeführt werden.       Daß man aber die Löhne fast aller Artikel erhöhte, ja einige derselben fast ungebührlich       steigerte, war höchst unklug, denn man vergaß dabei einen kleinen Uebelstand, nämlich den &#x2012; <hi rendition="#g">daß wir nicht allein in der Welt sind.</hi> &#x2012;</p>
          <p>Endlich setzte man dieser Unklugheit noch die Krone auf, indem man feststellte, daß die       hiesigen Fabrikinhaber weder hier noch anderwärts zu niedrigerm Lohne dürften arbeiten lassen,       auch wenn sich bereitwillige Hände genug dazu finden sollten. &#x2012; Das war nicht nur unklug,       sondern es war auch ungerecht, indem es die hiesigen Fabrikanten nöthigt, entweder ihr       Geschäft niederzulegen, oder in die hiesige Umgegend, nach Elberfeld, Rheydt, Süchteln etc.       etc. überzusiedeln, wo sie sich dieser Beschränkung entziehen können.</p>
          <p>Was wird aber für Crefeld, und namentlich für dessen Seidenarbeiter die nächste, die       unausbleibliche Folge dieser beiden letztgenannten Maßregeln sein? &#x2012; Antwort: nicht nur die       Schweiz, Sachsen und Berlin, auch bei dem frühern, niedrigern Lohne schon unsre       gefährlichsten, kaum zu bekämpfenden Konkurrenten, werden uns alle unsre bis dahin noch der       hiesigen Industrie erhaltnen Artikel, einen nach dem andern abnehmen, sondern in Elberfeld und       in unsrer Umgegend, in der Entfernung von wenigen Stunden, werden sich theils ältere, theils       neuere, theils von Crefeld auswandernde Häuser der Crefelder Seidenfabrikation bemächtigen,       was ihnen bei dem wohlfeilen Lohne, zu dem sie Arbeiter genug finden, ein leichtes sein wird,       und unsern Arbeitern wird nichts übrig bleiben, als dorthin auszuwandern, um für vielleicht       weit niedrigern Lohn zu arbeiten, als der ist, den sie hier verschmähten (denn wir wissen ja,       was z. B. in Süchteln, Rheydt und Viersen für Löhne bezahlt wurden, und noch bezahlt werden!)       oder sie werden in Hunger und Elend umkommen müssen.</p>
          <p>Aus sich'rer Quelle vernehmen wir, daß schon jetzt namhafte Aufträge in verschiedenen       Artikeln eingeh'n, die, bei den veränderten Löhnen, hier nicht mehr zu machen sind, und zwar       warfen mehrere dieser Artikel auch vor der Lohnerhöhung reichlichen Erwerb ab, 4, 5, 6 ja 7       Thaler in der Woche. &#x2012; So geht denn mancher Arbeiter müßig, der jenen schönen Erwerb       verschmäht, oder ihn nicht erlangen kann, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer an die neue       Lohnliste gebunden sind. &#x2012; Ist es nun aber recht, und von der Stadt zu verlangen, daß sie       solche Unbeschäftigte ernähre, die nur unbeschäftigt sind, weil ein sträflicher Eigensinn das       Unmögliche durchsetzen will?</p>
          <p>Schlimmer, weit schlimmer als dies ist es aber, daß mehrere der ersten Häuser in Elberfeld,       denen es an Kenntnissen und Mitteln aller Art wahrlich nicht fehlt, sich jetzt mit Macht auf       die Fabrikation von Crefelder Seidenwaaren werfen, da es ihnen ein Leichtes ist, bei dem       bedeutend niedrigern Arbeitslohn, den sie zu zahlen haben, die hiesigen Fabriken aus dem Felde       zu schlagen. &#x2012; Dort sind die Arbeiter klüger als hier Sie haben nichts Unmögliches verlangt,       und meinen, daß es besser sei, Etwas und jedenfalls genug zum Lebensunterhalte zu verdienen,       als gar nichts.</p>
          <p>Die Elberfelder Häuser ließen bisher zum Theil hier fabriziren, was dem Arbeiter nur       vortheilhaft sein konnte, jetzt tritt das Umgekehrte ein, und sie finden, zum Schaden des       hiesigen Webers, ganz bequem, in der Nähe, und zu bedeutend niedrigerm Lohne, was sie sonst in       der Ferne suchen mußten &#x2012; Ein Haus hat dort in der letzten Zeit 150 Weber angesetzt, und       mehrere andere werfen sich mit Macht auf Crefelder Artikel. &#x2012; Dauert dieser Zustand aber nur 6       Monate fort, so ist für Crefeld &#x2012; man mag nachher auf die alten Löhne zurückgehen oder nicht &#x2012;       ein großer Theil seiner Industrierettungslos verloren, denn was in Elberfeld und in unsrer       Umgegend von Fabriken sich einmal angesiedelt, was dort die Crefelder Artikel zu machen       gelernt, oder die hiesige Industrie dorthin verlegt hat, das führt keine Macht wieder hierher       zurück, es ist und bleibt verloren.</p>
          <p>So mag denn Deutschland einig werden, eine bessere, eine schöne Zeit mag für Handel und       Gewerbe aufgehen, wenn das Vertrauen wiederkehrt, und alle Binnenzölle fallen, für uns ist das       alles nicht vorhanden! Crefelds Konkurrenten werden überall unsre Artikel wohlfeiler       ausbieten, sie werden den Abnehmern sagen: Warum wollt ihr in Crefeld bestellen, wo die       Fabrikanten bekanntlich unvernünftig hohe Löhne bezahlen müssen, während wir viel billiger       arbeiten können? Sie werden die Sache noch ärger machen, als sie ist, und so werden wir müßig       liegen und darben, während um uns her Thätigkeit und Wohlstand herrscht.</p>
          <p>Und wie, wenn der Winter zu dem Elende kommt?</p>
          <p>Mit der Seiden-Industrie aber werden Handwerker, Wirthe, kurz alles, was damit       zusammenhängt, zu Grunde gehen, die Wohlhabenden werden die Stadt verlassen, und in wenigen       Jahren wird in Crefeld's Straßen das Gras wachsen!</p>
          <p>Wer mich widerlegen kann, dem werde ich es aufrichtig Dank wissen, denn er wird mir eine       große Sorge für unsere Stadt vom Herzen nehmen.</p>
          <p>Wenn man mich aber nicht widerlegen kann, dann eile man zu ändern, was man unüberlegter       Weise und in der Aufregung gethan hat. &#x2012; Die Arbeiter, und durch ihren Einfluß die Kommission,       haben das Uebel angerichtet, von ihnen möge schleunige Abhülfe ausgehen, damit es nicht       heiße:</p>
          <p>Es ist zu spät!</p>
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          <head><bibl><author>X</author></bibl> Bielefeld, 26. Juli.</head>
          <p>Wie das Petitions- und Vereinigungsrecht der Soldaten verstanden wird und wie häufig der       Soldat es bitter zu bereuen hat, wenn er glaubt, er besitze auch einen Antheil an der neuen       &#x201E;konstitutionellen&#x201C; Freiheit, möge folgender Vorfall beweisen. Die Kriegsreserve einer hier in       Garnison stehenden Kompagnie des 15. Infanterie-Regiments hatte eine Kollektiv-Petition mit       Umgehung des Instanzenzuges direkt an das Generalkommando gerichtet, worin sie das Verlangen       stellte, &#x201E;da sie auf dem Kriegsfuß stehe, auch den gesetzlichen Vorschriften gemäß behandelt       zu werden, namentlich die ihr gebührende Feldzulage, die ihr bis jetzt nicht verabreicht       worden, zu empfangen, worin sie ferner auf den Uebelstand aufmerksam machte, daß die       Reservisten, welche einflußreiche Verbindungen hätten, entlassen würden, während der       unbemittelte Reservist, wenn er auch seiner bisherigen Beschäftigung zu seinem größten       Nachtheile entrissen sei, keine Aussicht auf Berücksichtigung habe, worin sie endlich       verlangte, entweder entlassen oder gegen den Feind geführt zu werden, weil sie etwas Besseres       thun könne, als in der Garnison zu faullenzen.&#x201C;</p>
          <p>Kurz nach Abgang dieser Petition kam der Befehl von Münster, die hier stehende Kompagnie       nach Minden zu verlegen. Kaum in Minden angekommen, wurde die Untersuchung gegen die       Reservisten eingeleitet, die &#x201E;Rädelsführer&#x201C; wurden verhaftet und einer derselben, der die       Sache im festen Glauben, daß er auch ein freier
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[0298/0002] 26 Crefeld, 25. Juli. Unsere Bürgerwehr hat durch geheimes Serurinium einen Bürger aus ihren Reihen gestoßen, weil er bei einer gelegentlichen Parade nicht eingestimmt haben soll, in die „Hoch“ auf den Erzherzog und den König von Preußen. In Folge dieses Ausschlusses wollte ihm ein Bürger-Offizier sein Gewehr wegnehmen und als er sich diesem Vorhaben widersetzte, requirirte der Kommandant Hr. Spezial-Eisenbahn-Direktor Schnarr unsere Polizei, die denn auch drei Mann hoch vorrückte und unter ihrem Inspektor die fragliche Waffe mit Gewalt wegnahm. Auf eine desfallsige Beschwerde, worin gefragt wurde, ob die Polizei das Recht habe, einen Bürger auf Requisition eines Bürgerwehr-Kommandanten seiner Waffen zu berauben, die ihm doch die Revolution zum Schutze seiner Person und seines Eigenthums gegeben, erging folgender Bescheid des Oberprokurators in Düsseldorf, der wohl verdient in weiten Kreisen bekannt zu werden um zu zeigen, welche väterliche Theilnahme unsre Polizei an dem Bürgerwehr-Institute nimmt, damit der gute Geist bei ihr erhalten und gepflegt werde. Das Schreiben des Herrn Prokurators Schnaase lautet: „Ihre Beschwerde vom 14. d. M. kann ich nicht als begründet anerkennen. Durch Ihren Beitritt zur Bürgerwehr haben Sie sich der von der Königl. Regierung bestätigten Ordnung derselben und mithin auch der Bestimmung, welche der Kompagnie das Recht der Ausschließung beilegt, unterworfen und sind Sie also durch den von derselben gefaßten Beschluß rechtskräftig ausgeschlossen. Dadurch hatten Sie aber auch die Befugniß verloren, die Ihnen übergebenen Waffen zurückzubehalten, da dieselben vom Staate nicht sowohl Ihnen persönlich als der Bürgerwehr anvertraut und Ihnen nur als Mitglied derselben eingehändigt waren. Es stand daher auch dem Kommandanten der Bürgerwehr das Recht der Ausführung jenes Sie ausschließenden Beschlusses zu und ist nichts dagegen zu erinnern, wenn er diese Ausführung dem Polizei-Inspektor überließ und dieser es übernahm. Der Oberprokurator Schnaase. Wie wir vernehmen, hat der ausgestoßene Bürger sich an den Generalprokurator resp. an das Ministerium gewandt, um zu erfahren, ob die Ansicht des Herrn Schnaase auch von diesen Wächtern des Gesetzes getheilt wird. Den erhaltenen Bescheid hoffe ich Ihnen s. Z. mittheilen zu können. * Crefeld, 23. Juli. Unsere, seit der Aufhebung der Censurgesetze hier erscheinende Zeitung bringt in einer Beilage zu Nro. 62 einen originellen Artikel, der gewiß verdient, der größtmöglichen Oeffentlichkeit übergeben zu werden. Zur bessern Verständigung nur zwei Worte: Als die Pariser Revolution abermals die Kette der Sklaverei zerbrochen hatte und den Auferstehungsruf durch die Länder der Erde sandte, warfen auch unsere elenden Seidenweber ihr hartes Joch ab und traten auf für ihre unveräußerlichen Rechte. Es war ein schwüler Tag für unser Crefeld, als nun urplötzlich die lang unterdrückte Stimme so vieler Tausende sich erhob, und wie der Sturm des jüngsten Gerichts nach Rache rief! Die Fabrikherren mochten fühlen, wie gefährlich es sei, noch ferner bei den „allerdings großen Mißbräuchen, die sich in manchen hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten,“ zu verbleiben und sie beeilten sich daher, einen Lohntarif so wie ein Statut zu entwerfen, wodurch jene „großen Mißbräuche“abgeschafft werden sollten. Der Jubel, den die Verkündigung dieser Gesetze hervorrief, kann nicht beschrieben werden: unsere Proletarier bekränzten ihre Fabrikherrn mit Eichenlaub und Lorbeerzweigen und zogen Arm in Arm mit ihren Herrn, im Taumel der „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ unter Gesang und Musik durch die Straßen. Aber nicht lange sollte diese Illusion dauern; bald war der Gedanke an diese Lohnlisten nur noch wie der Traum vom verlorenen Paradiese, wie die verbotene Frucht am Baume der Erkenntniß, die man sehnsüchtig anschauen durfte, ohne sie zu pflücken! Man erklärte theilweise geradezu, daß die Fabrikherrn die stipulirten Löhne nicht zahlen könnten und daß diejenigen, welche dieselben verlangten, keine Arbeit mehr erhalten sollten. Unterdessen war unsere Bürgerwehr organisirt; die Gewalt hatte sich gefühlt und im Hinblicke auf diese tröstliche Stütze singt ein Jeremia sein Klagelied wie folgt: An meine Mitbürger, namentlich die Seidenfabrikanten und Seidenweber. Ein Wort der Wahrheit und der Mahnung! Bei den vielen Veränderungen, welche die letztvergangnen fünf Monate über Europas Länder und Völker gebracht haben, und welche fast in alle Verhältnisse der Gesellschaft eingedrungen sind, konnte auch unsere Stadt nicht unberührt bleiben. ‒ Sie ist eine Fabrikstadt, und leider! eine solche, deren Wohl und Wehe fast ausschließlich an einem Faden hängt ‒nämlich an dem Seidenfaden. ‒ Nichts natürlicher also, als daß die neuen Ideen von Freiheit, Volkswohl, Erleichterung der arbeitenden Klassen, und wie alle jene Stichwörter der Neuzeit heißen mögen, auch hier sofort auf diese für uns wichtigste Industrie, und auf die Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angewandt wurden. Bis zum Jahr 1845 war Crefelds Zustand ein höchst blühender. ‒ Die Fabriken waren seit vielen Jahren in mehr oder minder schwunghaftem Betriebe gewesen, die Bevölkerung und mit ihr die Ausdehnung der Stadt wuchsen riesenhaft, alle Handwerke waren in luftiger Thätigkeit, und wer alle diese breiten Straßen, die netten wohnlichen Häuser überblickte, mußte glauben, daß schon ein tüchtiger, solider Wohlstand in denselben eingekehrt sei, und daß auch eine vorübergehende Unterbrechung der industriellen Thätigkeit ohne tief eingreifende Folgen an uns vorübergehende werde. Da kam schwere Zeit über uns und fast ganz Europa, die Hungerjahre von 1846 und 47! ‒ Wäre es nur der Druck der übermäßig gesteigerten Preise der ersten Lebensbedürfnisse gewesen, der auf uns gelastet hätte, wir würden ihn verhältnißmäßig leicht ertragen haben. ‒ Allein Handel und Gewerbe geriethen in's Stocken, Jeder schränkte sich ein, Mancher vielleicht mehr als gut und nöthig war, und so verminderte sich der Erwerb der arbeitenden Hand bedeutend, während er hätte wachsen müssen, um dem stark gesteigerten Bedürfnisse zu entsprechen. ‒ Indessen auch diese Zeit ging vorüber. Die Erndten von 1847 fielen theilweise reichlich aus, die Preise der Lebensmittel gingen abwärts, während Muth und Lebens- und Unternehmungslust sich wieder hoben, und man auf die Vergangenheit, wie auf einen schweren Traum, zurückzublicken anfing. Allerdings war dem Wohlstande eine tiefe Wunde geschlagen, und daß auch bei uns „nicht alles Gold sei, was glänzt“ hatte sich leider vielfach herausgestellt. ‒ Doch im Januar und Februar dieses Jahres kam wieder Leben in die Geschäfte, man hörte von den Reisenden, daß sie zufrieden in die Heimath zurückkehrten, Beschäftigung für die Seidenfabriken mitbringend, und noch bessere Aussichten für die Zukunft. So möchten denn jene Wunden bald geheilt gewesen sein, mit den Fabriken würden auch die Handwerke sich gehoben haben, und Mancher hätte vielleicht aus der schweren Zeit die heilsame Lehre mit hinübergenommen, daß es wohlgethan sei, in der guten einen Sparpfennig für die schlechte zurückzulegen. ‒ Doch so weit sollte es leider nicht kommen. In Paris brach die Februarrevolution aus und mit ihr ein Sturm über ganz Europa, wie die Geschichte keinen gleichen aufzuweisen hat! Was dieses Weltereigniß in der politischen Welt hervorrief, was es zerstörte, um mit Gott! Besseres wieder aufzubauen, das wollen wir hier unberührt lassen! Wir haben es zunächst mit seiner Einwirkung auf die allgemeinen Verhältnisse des Handels und deren Rückwirkung auf diejenigen unserer Gewerbthätigkeit zu thun, und wollen uns an diese halten. Mit der Unsicherheit, welche die Februar-Revolution und die Kriege, die sie hervorrief, in alle Zustände brachte, wurde auch die freundliche Dämmerung, welche in den industriellen Verhältnissen unsrer Stadt angebrochen war, auf einmal wieder in tiefe Nacht verwandelt. ‒ Gegebne Aufträge wurden zurückgezogen oder ‒ wenn ausgeführt ‒ die Waare zur Verfügung gestellt, eingegangene Verbindlichkeiten aller Art wurden nicht erfüllt, oder konnten nicht erfüllt werden, das Wort „Bezahlen“ war aus dem Handelswörterbuche ausgestrichen, an neue Geschäfte war nirgendwo zu denken und ‒ das Schlimmste von Allem ‒ auch kein Hoffnungsschimmer einer bald wiederkehrenden, besseren Zukunft leuchtete, kein sterbliches Auge konnte das Ende des Jammers mit einiger Zuversicht vorhersehen. ‒ Wen traf dieses Unglück zunächst? Die Fabrikanten ‒ die Arbeitgeber, welche bei den herben Verlusten, von denen sie auf allen Seiten getroffen wurden, auch noch die schweren Sorgen zu tragen hatten, wie sie ihre Arbeiter, ihr Geschäft, wie sie ihre kaufmännische Ehre aufrecht erhalten sollten. ‒ Wen traf es zugleich mit ihnen, und vielleicht in manchen Fällen noch härter als sie? Zunächst einen großen Theil der Fabrikarbeiter, die außer Brod gesetzt werden mußten, die sich mit ihren Familien dem Mangel auf's Neue Preis gegeben sahen, den sie schon zwei Jahre lang ertragen hatten, und den ein kurzes Aufdämmern einer bessern Zeit nur um so fühlbarer machte. ‒ Eben so hart wie letztere wurden aber auch fast alle Handwerker unsrer Stadt betroffen, denn ihr Wohl und Wehe geht ja mit demjenigen der Fabriken Hand in Hand, und wenn diese stocken, liegt auch ihr Erwerb danieder. ‒ Was Wunder also, daß man auf Mittel sann, der Noth abzuhelfen, die sich in so schrecklicher Gestalt darstellte, daß man einige allerdings große Mißbräuche, die sich in manchen hiesigen Fabriken eingeschlichen hatten, in ihrer Rückwirkung auf die Arbeiter noch für weit verderblicher hielt, als sie es wirklich waren, daß man vergaß, wie vor den Mangel-Jahren unter ganz gleichen Verhältnissen für den Fleißigen Arbeit und genügender Erwerb in vollem Maaße vorhanden gewesen, und auch der nicht ganz Träge sein Bestehen fand, und daß man somit, der allgemeinen Verhältnisse vergessend, welche allein die Schuld der hiesigen Noth trugen und noch tragen, in Abänderung besondere Abhülfe suchte, und auf diese Weise ‒ zum Theil wenigstens ‒ ganz verkehrte Mittel ergriff, Uebel nur ärger machte, ja! das Wohl unsrer Stadt und Gegend für alle Zeiten in Gefahr brachte.‒ Ich will von der sogenannten Uebereinkunft reden, die hier zwischen Fabrikanten und Arbeitern unter großer Aufregung und manchen schwer zu entschuldigenden Umständen, zu Stande gekommen ist, und die später eine neue Lohnliste zur Folge gehabt hat, die jetzt der Regierung zur Bestätigung vorliegt, die diese aber wohl nie erlangen wird, weil gedachte hohe Regierung glücklicherweise weiter sieht, als hier bei Abfassung dieses Werkes gesehen worden ist. ‒ Daß man die schon oben erwähnten, gehässigen Mißbräuche abschaffte, namentlich die sogenannten Gesellenstühle, die Werkmeisterstühle, diese stets fetten, reichlich milchgebenden Kühe, wo andere, weniger begünstigte, dem fleißigen Arbeiter kaum für sich und seine Familie die nöthigen Erhaltungsmittel abgeben; daß man ungebührlichen Abzügen und Strafen ein Ziel setzte, das war gut, und ist die Abschaffung dieser Mißbräuche einmal als Ortsstatut festgestellt, was rechtlicherweise geschehen konnte und noch geschehen kann, so wird dadurch eine wesentliche Verbesserung des Zustandes der Arbeiter herbeigeführt werden. Daß man aber die Löhne fast aller Artikel erhöhte, ja einige derselben fast ungebührlich steigerte, war höchst unklug, denn man vergaß dabei einen kleinen Uebelstand, nämlich den ‒ daß wir nicht allein in der Welt sind. ‒ Endlich setzte man dieser Unklugheit noch die Krone auf, indem man feststellte, daß die hiesigen Fabrikinhaber weder hier noch anderwärts zu niedrigerm Lohne dürften arbeiten lassen, auch wenn sich bereitwillige Hände genug dazu finden sollten. ‒ Das war nicht nur unklug, sondern es war auch ungerecht, indem es die hiesigen Fabrikanten nöthigt, entweder ihr Geschäft niederzulegen, oder in die hiesige Umgegend, nach Elberfeld, Rheydt, Süchteln etc. etc. überzusiedeln, wo sie sich dieser Beschränkung entziehen können. Was wird aber für Crefeld, und namentlich für dessen Seidenarbeiter die nächste, die unausbleibliche Folge dieser beiden letztgenannten Maßregeln sein? ‒ Antwort: nicht nur die Schweiz, Sachsen und Berlin, auch bei dem frühern, niedrigern Lohne schon unsre gefährlichsten, kaum zu bekämpfenden Konkurrenten, werden uns alle unsre bis dahin noch der hiesigen Industrie erhaltnen Artikel, einen nach dem andern abnehmen, sondern in Elberfeld und in unsrer Umgegend, in der Entfernung von wenigen Stunden, werden sich theils ältere, theils neuere, theils von Crefeld auswandernde Häuser der Crefelder Seidenfabrikation bemächtigen, was ihnen bei dem wohlfeilen Lohne, zu dem sie Arbeiter genug finden, ein leichtes sein wird, und unsern Arbeitern wird nichts übrig bleiben, als dorthin auszuwandern, um für vielleicht weit niedrigern Lohn zu arbeiten, als der ist, den sie hier verschmähten (denn wir wissen ja, was z. B. in Süchteln, Rheydt und Viersen für Löhne bezahlt wurden, und noch bezahlt werden!) oder sie werden in Hunger und Elend umkommen müssen. Aus sich'rer Quelle vernehmen wir, daß schon jetzt namhafte Aufträge in verschiedenen Artikeln eingeh'n, die, bei den veränderten Löhnen, hier nicht mehr zu machen sind, und zwar warfen mehrere dieser Artikel auch vor der Lohnerhöhung reichlichen Erwerb ab, 4, 5, 6 ja 7 Thaler in der Woche. ‒ So geht denn mancher Arbeiter müßig, der jenen schönen Erwerb verschmäht, oder ihn nicht erlangen kann, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer an die neue Lohnliste gebunden sind. ‒ Ist es nun aber recht, und von der Stadt zu verlangen, daß sie solche Unbeschäftigte ernähre, die nur unbeschäftigt sind, weil ein sträflicher Eigensinn das Unmögliche durchsetzen will? Schlimmer, weit schlimmer als dies ist es aber, daß mehrere der ersten Häuser in Elberfeld, denen es an Kenntnissen und Mitteln aller Art wahrlich nicht fehlt, sich jetzt mit Macht auf die Fabrikation von Crefelder Seidenwaaren werfen, da es ihnen ein Leichtes ist, bei dem bedeutend niedrigern Arbeitslohn, den sie zu zahlen haben, die hiesigen Fabriken aus dem Felde zu schlagen. ‒ Dort sind die Arbeiter klüger als hier Sie haben nichts Unmögliches verlangt, und meinen, daß es besser sei, Etwas und jedenfalls genug zum Lebensunterhalte zu verdienen, als gar nichts. Die Elberfelder Häuser ließen bisher zum Theil hier fabriziren, was dem Arbeiter nur vortheilhaft sein konnte, jetzt tritt das Umgekehrte ein, und sie finden, zum Schaden des hiesigen Webers, ganz bequem, in der Nähe, und zu bedeutend niedrigerm Lohne, was sie sonst in der Ferne suchen mußten ‒ Ein Haus hat dort in der letzten Zeit 150 Weber angesetzt, und mehrere andere werfen sich mit Macht auf Crefelder Artikel. ‒ Dauert dieser Zustand aber nur 6 Monate fort, so ist für Crefeld ‒ man mag nachher auf die alten Löhne zurückgehen oder nicht ‒ ein großer Theil seiner Industrierettungslos verloren, denn was in Elberfeld und in unsrer Umgegend von Fabriken sich einmal angesiedelt, was dort die Crefelder Artikel zu machen gelernt, oder die hiesige Industrie dorthin verlegt hat, das führt keine Macht wieder hierher zurück, es ist und bleibt verloren. So mag denn Deutschland einig werden, eine bessere, eine schöne Zeit mag für Handel und Gewerbe aufgehen, wenn das Vertrauen wiederkehrt, und alle Binnenzölle fallen, für uns ist das alles nicht vorhanden! Crefelds Konkurrenten werden überall unsre Artikel wohlfeiler ausbieten, sie werden den Abnehmern sagen: Warum wollt ihr in Crefeld bestellen, wo die Fabrikanten bekanntlich unvernünftig hohe Löhne bezahlen müssen, während wir viel billiger arbeiten können? Sie werden die Sache noch ärger machen, als sie ist, und so werden wir müßig liegen und darben, während um uns her Thätigkeit und Wohlstand herrscht. Und wie, wenn der Winter zu dem Elende kommt? Mit der Seiden-Industrie aber werden Handwerker, Wirthe, kurz alles, was damit zusammenhängt, zu Grunde gehen, die Wohlhabenden werden die Stadt verlassen, und in wenigen Jahren wird in Crefeld's Straßen das Gras wachsen! Wer mich widerlegen kann, dem werde ich es aufrichtig Dank wissen, denn er wird mir eine große Sorge für unsere Stadt vom Herzen nehmen. Wenn man mich aber nicht widerlegen kann, dann eile man zu ändern, was man unüberlegter Weise und in der Aufregung gethan hat. ‒ Die Arbeiter, und durch ihren Einfluß die Kommission, haben das Uebel angerichtet, von ihnen möge schleunige Abhülfe ausgehen, damit es nicht heiße: Es ist zu spät! X Bielefeld, 26. Juli. Wie das Petitions- und Vereinigungsrecht der Soldaten verstanden wird und wie häufig der Soldat es bitter zu bereuen hat, wenn er glaubt, er besitze auch einen Antheil an der neuen „konstitutionellen“ Freiheit, möge folgender Vorfall beweisen. Die Kriegsreserve einer hier in Garnison stehenden Kompagnie des 15. Infanterie-Regiments hatte eine Kollektiv-Petition mit Umgehung des Instanzenzuges direkt an das Generalkommando gerichtet, worin sie das Verlangen stellte, „da sie auf dem Kriegsfuß stehe, auch den gesetzlichen Vorschriften gemäß behandelt zu werden, namentlich die ihr gebührende Feldzulage, die ihr bis jetzt nicht verabreicht worden, zu empfangen, worin sie ferner auf den Uebelstand aufmerksam machte, daß die Reservisten, welche einflußreiche Verbindungen hätten, entlassen würden, während der unbemittelte Reservist, wenn er auch seiner bisherigen Beschäftigung zu seinem größten Nachtheile entrissen sei, keine Aussicht auf Berücksichtigung habe, worin sie endlich verlangte, entweder entlassen oder gegen den Feind geführt zu werden, weil sie etwas Besseres thun könne, als in der Garnison zu faullenzen.“ Kurz nach Abgang dieser Petition kam der Befehl von Münster, die hier stehende Kompagnie nach Minden zu verlegen. Kaum in Minden angekommen, wurde die Untersuchung gegen die Reservisten eingeleitet, die „Rädelsführer“ wurden verhaftet und einer derselben, der die Sache im festen Glauben, daß er auch ein freier

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 60. Köln, 30. Juli 1848, S. 0298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz060_1848/2>, abgerufen am 28.04.2024.