Neue Rheinische Zeitung. Nr. 70. Köln, 9. August 1848.Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 70. Köln, Mittwoch 9. August 1848. Die "Neue Rheinische Zeitung" erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an. Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich. Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung. Deutschland. ** Köln, 7. August. (Die Polendebatte in Frankfurt.) Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. (Fortsetzung.) Zu den Eigenschaften eines Ritters ohne Furcht und Tadel gehört nicht nur ein kleiner Fuß, eine weiße Hand, ein kohlschwarzer Schnurrbart, ein herausforderndes Profil, eine halbe Million, ein Dutzend Liebschaften - nein, auch ein Duell. Ein glücklich überstandenes Duell verleiht dem Menschen einen eigenthümlichen Reiz. Ich rathe einem Jeden, sich wenigstens ein Mal in seinem Leben auf 14 Schritt mit Pistolen zu schießen. Das ist eine herrliche Sache. Die Frauen werden ihm artiger, und die Männer werden ihm höflicher entgegenkommen. Man weiß, er hat seine Sporen verdient, er hat den Kugeln getrotzt, er hat sich als Mann gezeigt - kann man den Frauen ein größeres Vergnügen machen, als wenn man ihnen beweist, daß man ein Mann ist? So auch dachte der Ritter Schnapphahnski, als er nach seinem unsterblich schönen Abentheuer mit der Gräfin S. wohlweißlich den Weg zwischen die Beine nahm und sich auf eine unglaublich schnelle Weise aus dem Staube machte. Halte Gott vor Augen und im Herzen! heißt es in der Bibel. Halte die Lakaien des Grafen S. vor Augen und im Herzen! summte es in die Ohren Schnapphahnski's. Er sah ein, daß ihm in Schlesien weder Rosen noch Lorbeeren, sondern nur Hasel- und Heinebüchenstöcke sprießen würden, daß er in der Gegend von O. nie auf einen grünen Zweig kommen, sondern daß die grünen Zweige, oder vielmehr die grünen Prügel nur auf ihn herunter kommen würden, und er zweifelte aus diesem Grunde daran, daß er es länger als Freiwilliger des 4. (braunen) Husarenregimentes in O. aushalten könne, und mit einem Worte, der edle Ritter entfernte sich, Schnapphahnski nahm Reißaus. Ach! noch so jung und doch schon so unglücklich! Der edle Ritter hätte über sich selbst weinen mögen. Aber was war gegen das häßlich-unerbittliche Schicksal zu machen? Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden kann das Geschehene nicht ungeschehen machen; selbst der Kaiser Nicolaus ist ohnmächtig in diesem Punkte ... Schnapphahnski begriff, daß er die schöne Gräfin S. keck entführt und daß er sie feige verlassen hatte. Die Schande stand über seinem Leben so offenbar, wie die Sonne leuchtend über der Welt steht, und es handelte sich nur noch darum, wie man diese Sonne der Schmach am besten in den undurchdringlichsten blauen Dunst der Lüge verstecken könnte. Ein Mann wie Schnapphahnski, wenn er eine Flasche Champagner getrunken, drei Cigarren geraucht, und sich sechs Mal verliebt im Spiegel angesehen hat, ist nie um eine erbauliche, glaubhafte Lüge verlegen. Der edle Ritter war keineswegs ein solcher Narr, daß er schon von vorn herein an seinem erfinderischen Haupte verzweifelte. Bin ich nicht Schnapphahnski, ein Mann wie ein Engel? rief er, den jugendlichen Schnurrbart streichend, und das ganze Firmament messend, mit den flammenden Blicken. Unser Ritter hatte recht. Gewandt und hübsch machte er aus dem Abentheuer mit der Gräfin S. die schönste Duellgeschichte, eine Geschichte, so verwickelt, so verteufelt verzwickt, daß zuletzt Niemand mehr daraus klug wurde - die Lakaien des Grafen S. ausgenommen. - Die überstandene Gefahr eines erlogenen, aber nichtsdestoweniger frech ausposaunten Duells, sollte die nackte Schmach eines feigen Entrinnens in etwa verhüllen. Die Welt sollte glauben, daß der edle Ritter unglücklich geliebt und daß er sich furchtbar geschossen habe - mit einem Worte, Schnapphahnski that Alles, was ein ehrlicher Mann thun kann, um aus einer schlechten Sache eine brilliante Historie zu machen, und keck stürzte er sich wieder in den Strudel der vornehmen Welt - natürlich eben nicht in der Nähe der Lakaien des Grafen S. Mit ihrem Erfinder reiste auch die Fabel in die Welt hinein, und wie sie von Mund zu Munde ging, da nahm sie natürlich auch an Abentheuerlichkeit zu, so daß unser Schnapphahnski nach kaum einem Vierteljahre schon weit und breit als einer der wüthendsten Raufbolde, als einer der schrecklichsten Duellanten seiner Zeit bekannt war. Unser Ritter war glücklich; aber ach, er hatte vergessen, daß es nichts gefährlicheres auf Erden giebt, als Ruhm. Unberühmte Leute können die besten Gedichte machen, die schlechtesten Prozesse gewinnen, und die ausgezeichnetsten Reden halten: man verzeiht ihnen das Alles; aber wehe dir, wenn du ein bekanntes Haupt bist, da paßt man dir auf die Finger, und du magst dich drehen und wenden wie du willst, es sitzt dir irgend ein Teufelskind im Nacken, und erinnert dich daran, daß du ein sehr sterblicher und vergänglicher Mann bist. Der edle Ritter Schnapphahnski fand sein Teufelskind, den Kobold seines Lebens in einem gewissen Grafen, in einem Manne, der Zeit seines Lebens die Menschen lieber lebendig als todt fraß, lieber mit Haut und Haar, als gestooft oder abgekocht, lieber roh und ohne alle Zuthat, als mit Essig, Oel, Pfeffer, Salz und Mostert. Graf G. ist wo möglich noch einer der kühnsten und ehrlichsten Degen die der preußische Adel aufzuweisen hat; ein Mann, der auf seinem Roß die steilste Treppe hinangaloppirt, der seine Pistole so sicher schießt, wie der alte Lederstrumpf seine lange Flinte, und der den Säbel mit einer solchen Gewissenhaftigkeit zu führen weiß, daß ich ihn, nämlich den Herrn Grafen G., hierdurch aufs Höflichste gebeten haben will, mir doch stets drei Schritte vom Leibe zu bleiben, sintemalen ich nicht die geringste Lust verspüre, ihm zu fernerer Erprobung seines schauerlichen Handwerks an meinem Leibe Gelegenheit zu geben. Graf G. hörte von den Thaten Schnapphahnski's und es versteht sich von selbst, daß ihn sofort die Eifersucht stachelte, um aus der Haut zu fahren, um verrückt zu werden. Ueberall wo er ging und stand, immer Schnapphahnski und ewig Schnapphahnski! Graf G. gerieth zuletzt in ein wahres Delirium, in einen St. Veitstanz, wenn man ihn nur im entferntesten an unsern Ritter erinnerte; Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 70. Köln, Mittwoch 9. August 1848. Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an. Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich. Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung. Deutschland. ** Köln, 7. August. (Die Polendebatte in Frankfurt.) Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. (Fortsetzung.) Zu den Eigenschaften eines Ritters ohne Furcht und Tadel gehört nicht nur ein kleiner Fuß, eine weiße Hand, ein kohlschwarzer Schnurrbart, ein herausforderndes Profil, eine halbe Million, ein Dutzend Liebschaften ‒ nein, auch ein Duell. Ein glücklich überstandenes Duell verleiht dem Menschen einen eigenthümlichen Reiz. Ich rathe einem Jeden, sich wenigstens ein Mal in seinem Leben auf 14 Schritt mit Pistolen zu schießen. Das ist eine herrliche Sache. Die Frauen werden ihm artiger, und die Männer werden ihm höflicher entgegenkommen. Man weiß, er hat seine Sporen verdient, er hat den Kugeln getrotzt, er hat sich als Mann gezeigt ‒ kann man den Frauen ein größeres Vergnügen machen, als wenn man ihnen beweist, daß man ein Mann ist? So auch dachte der Ritter Schnapphahnski, als er nach seinem unsterblich schönen Abentheuer mit der Gräfin S. wohlweißlich den Weg zwischen die Beine nahm und sich auf eine unglaublich schnelle Weise aus dem Staube machte. Halte Gott vor Augen und im Herzen! heißt es in der Bibel. Halte die Lakaien des Grafen S. vor Augen und im Herzen! summte es in die Ohren Schnapphahnski's. Er sah ein, daß ihm in Schlesien weder Rosen noch Lorbeeren, sondern nur Hasel- und Heinebüchenstöcke sprießen würden, daß er in der Gegend von O. nie auf einen grünen Zweig kommen, sondern daß die grünen Zweige, oder vielmehr die grünen Prügel nur auf ihn herunter kommen würden, und er zweifelte aus diesem Grunde daran, daß er es länger als Freiwilliger des 4. (braunen) Husarenregimentes in O. aushalten könne, und mit einem Worte, der edle Ritter entfernte sich, Schnapphahnski nahm Reißaus. Ach! noch so jung und doch schon so unglücklich! Der edle Ritter hätte über sich selbst weinen mögen. Aber was war gegen das häßlich-unerbittliche Schicksal zu machen? Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden kann das Geschehene nicht ungeschehen machen; selbst der Kaiser Nicolaus ist ohnmächtig in diesem Punkte … Schnapphahnski begriff, daß er die schöne Gräfin S. keck entführt und daß er sie feige verlassen hatte. Die Schande stand über seinem Leben so offenbar, wie die Sonne leuchtend über der Welt steht, und es handelte sich nur noch darum, wie man diese Sonne der Schmach am besten in den undurchdringlichsten blauen Dunst der Lüge verstecken könnte. Ein Mann wie Schnapphahnski, wenn er eine Flasche Champagner getrunken, drei Cigarren geraucht, und sich sechs Mal verliebt im Spiegel angesehen hat, ist nie um eine erbauliche, glaubhafte Lüge verlegen. Der edle Ritter war keineswegs ein solcher Narr, daß er schon von vorn herein an seinem erfinderischen Haupte verzweifelte. Bin ich nicht Schnapphahnski, ein Mann wie ein Engel? rief er, den jugendlichen Schnurrbart streichend, und das ganze Firmament messend, mit den flammenden Blicken. Unser Ritter hatte recht. Gewandt und hübsch machte er aus dem Abentheuer mit der Gräfin S. die schönste Duellgeschichte, eine Geschichte, so verwickelt, so verteufelt verzwickt, daß zuletzt Niemand mehr daraus klug wurde ‒ die Lakaien des Grafen S. ausgenommen. ‒ Die überstandene Gefahr eines erlogenen, aber nichtsdestoweniger frech ausposaunten Duells, sollte die nackte Schmach eines feigen Entrinnens in etwa verhüllen. Die Welt sollte glauben, daß der edle Ritter unglücklich geliebt und daß er sich furchtbar geschossen habe ‒ mit einem Worte, Schnapphahnski that Alles, was ein ehrlicher Mann thun kann, um aus einer schlechten Sache eine brilliante Historie zu machen, und keck stürzte er sich wieder in den Strudel der vornehmen Welt ‒ natürlich eben nicht in der Nähe der Lakaien des Grafen S. Mit ihrem Erfinder reiste auch die Fabel in die Welt hinein, und wie sie von Mund zu Munde ging, da nahm sie natürlich auch an Abentheuerlichkeit zu, so daß unser Schnapphahnski nach kaum einem Vierteljahre schon weit und breit als einer der wüthendsten Raufbolde, als einer der schrecklichsten Duellanten seiner Zeit bekannt war. Unser Ritter war glücklich; aber ach, er hatte vergessen, daß es nichts gefährlicheres auf Erden giebt, als Ruhm. Unberühmte Leute können die besten Gedichte machen, die schlechtesten Prozesse gewinnen, und die ausgezeichnetsten Reden halten: man verzeiht ihnen das Alles; aber wehe dir, wenn du ein bekanntes Haupt bist, da paßt man dir auf die Finger, und du magst dich drehen und wenden wie du willst, es sitzt dir irgend ein Teufelskind im Nacken, und erinnert dich daran, daß du ein sehr sterblicher und vergänglicher Mann bist. Der edle Ritter Schnapphahnski fand sein Teufelskind, den Kobold seines Lebens in einem gewissen Grafen, in einem Manne, der Zeit seines Lebens die Menschen lieber lebendig als todt fraß, lieber mit Haut und Haar, als gestooft oder abgekocht, lieber roh und ohne alle Zuthat, als mit Essig, Oel, Pfeffer, Salz und Mostert. Graf G. ist wo möglich noch einer der kühnsten und ehrlichsten Degen die der preußische Adel aufzuweisen hat; ein Mann, der auf seinem Roß die steilste Treppe hinangaloppirt, der seine Pistole so sicher schießt, wie der alte Lederstrumpf seine lange Flinte, und der den Säbel mit einer solchen Gewissenhaftigkeit zu führen weiß, daß ich ihn, nämlich den Herrn Grafen G., hierdurch aufs Höflichste gebeten haben will, mir doch stets drei Schritte vom Leibe zu bleiben, sintemalen ich nicht die geringste Lust verspüre, ihm zu fernerer Erprobung seines schauerlichen Handwerks an meinem Leibe Gelegenheit zu geben. Graf G. hörte von den Thaten Schnapphahnski's und es versteht sich von selbst, daß ihn sofort die Eifersucht stachelte, um aus der Haut zu fahren, um verrückt zu werden. Ueberall wo er ging und stand, immer Schnapphahnski und ewig Schnapphahnski! Graf G. gerieth zuletzt in ein wahres Delirium, in einen St. Veitstanz, wenn man ihn nur im entferntesten an unsern Ritter erinnerte; <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0351"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung.</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 70. Köln, Mittwoch 9. August 1848.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="jExpedition"> <p>Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.</p> <p>Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. 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Man weiß, er hat seine Sporen verdient, er hat den Kugeln getrotzt, er hat sich als Mann gezeigt ‒ kann man den Frauen ein größeres Vergnügen machen, als wenn man ihnen beweist, daß man ein Mann ist?</p> <p>So auch dachte der Ritter Schnapphahnski, als er nach seinem unsterblich schönen Abentheuer mit der Gräfin S. wohlweißlich den Weg zwischen die Beine nahm und sich auf eine unglaublich schnelle Weise aus dem Staube machte. Halte Gott vor Augen und im Herzen! heißt es in der Bibel. Halte die Lakaien des Grafen S. vor Augen und im Herzen! summte es in die Ohren Schnapphahnski's. Er sah ein, daß ihm in Schlesien weder Rosen noch Lorbeeren, sondern nur Hasel- und Heinebüchenstöcke sprießen würden, daß er in der Gegend von O. nie auf einen grünen Zweig kommen, sondern daß die grünen Zweige, oder vielmehr die grünen Prügel nur auf ihn herunter kommen würden, und er zweifelte aus diesem Grunde daran, daß er es länger als Freiwilliger des 4. (braunen) Husarenregimentes in O. aushalten könne, und mit einem Worte, der edle Ritter entfernte sich, Schnapphahnski nahm Reißaus.</p> <p>Ach! noch so jung und doch schon so unglücklich! Der edle Ritter hätte über sich selbst weinen mögen. Aber was war gegen das häßlich-unerbittliche Schicksal zu machen? Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden kann das Geschehene nicht ungeschehen machen; selbst der Kaiser Nicolaus ist ohnmächtig in diesem Punkte … Schnapphahnski begriff, daß er die schöne Gräfin S. keck entführt und daß er sie feige verlassen hatte. Die Schande stand über seinem Leben so offenbar, wie die Sonne leuchtend über der Welt steht, und es handelte sich nur noch darum, wie man diese Sonne der Schmach am besten in den undurchdringlichsten blauen Dunst der Lüge verstecken könnte.</p> <p>Ein Mann wie Schnapphahnski, wenn er eine Flasche Champagner getrunken, drei Cigarren geraucht, und sich sechs Mal verliebt im Spiegel angesehen hat, ist nie um eine erbauliche, glaubhafte Lüge verlegen.</p> <p>Der edle Ritter war keineswegs ein solcher Narr, daß er schon von vorn herein an seinem erfinderischen Haupte verzweifelte. Bin ich nicht Schnapphahnski, ein Mann wie ein Engel? rief er, den jugendlichen Schnurrbart streichend, und das ganze Firmament messend, mit den flammenden Blicken. Unser Ritter hatte recht. Gewandt und hübsch machte er aus dem Abentheuer mit der Gräfin S. die schönste Duellgeschichte, eine Geschichte, so verwickelt, so verteufelt verzwickt, daß zuletzt Niemand mehr daraus klug wurde ‒ die Lakaien des Grafen S. ausgenommen. ‒ Die überstandene Gefahr eines erlogenen, aber nichtsdestoweniger frech ausposaunten Duells, sollte die nackte Schmach eines feigen Entrinnens in etwa verhüllen. Die Welt sollte glauben, daß der edle Ritter unglücklich geliebt und daß er sich furchtbar geschossen habe ‒ mit einem Worte, Schnapphahnski that Alles, was ein ehrlicher Mann thun kann, um aus einer schlechten Sache eine brilliante Historie zu machen, und keck stürzte er sich wieder in den Strudel der vornehmen Welt ‒ natürlich eben nicht in der Nähe der Lakaien des Grafen S.</p> <p>Mit ihrem Erfinder reiste auch die Fabel in die Welt hinein, und wie sie von Mund zu Munde ging, da nahm sie natürlich auch an Abentheuerlichkeit zu, so daß unser Schnapphahnski nach kaum einem Vierteljahre schon weit und breit als einer der wüthendsten Raufbolde, als einer der schrecklichsten Duellanten seiner Zeit bekannt war.</p> <p>Unser Ritter war glücklich; aber ach, er hatte vergessen, daß es nichts gefährlicheres auf Erden giebt, als Ruhm. Unberühmte Leute können die besten Gedichte machen, die schlechtesten Prozesse gewinnen, und die ausgezeichnetsten Reden halten: man verzeiht ihnen das Alles; aber wehe dir, wenn du ein bekanntes Haupt bist, da paßt man dir auf die Finger, und du magst dich drehen und wenden wie du willst, es sitzt dir irgend ein Teufelskind im Nacken, und erinnert dich daran, daß du ein sehr sterblicher und vergänglicher Mann bist.</p> <p>Der edle Ritter Schnapphahnski fand sein Teufelskind, den Kobold seines Lebens in einem gewissen Grafen, in einem Manne, der Zeit seines Lebens die Menschen lieber lebendig als todt fraß, lieber mit Haut und Haar, als gestooft oder abgekocht, lieber roh und ohne alle Zuthat, als mit Essig, Oel, Pfeffer, Salz und Mostert. Graf G. ist wo möglich noch einer der kühnsten und ehrlichsten Degen die der preußische Adel aufzuweisen hat; ein Mann, der auf seinem Roß die steilste Treppe hinangaloppirt, der seine Pistole so sicher schießt, wie der alte Lederstrumpf seine lange Flinte, und der den Säbel mit einer solchen Gewissenhaftigkeit zu führen weiß, daß ich ihn, nämlich den Herrn Grafen G., hierdurch aufs Höflichste gebeten haben will, mir doch stets drei Schritte vom Leibe zu bleiben, sintemalen ich nicht die geringste Lust verspüre, ihm zu fernerer Erprobung seines schauerlichen Handwerks an meinem Leibe Gelegenheit zu geben.</p> <p>Graf G. hörte von den Thaten Schnapphahnski's und es versteht sich von selbst, daß ihn sofort die Eifersucht stachelte, um aus der Haut zu fahren, um verrückt zu werden. Ueberall wo er ging und stand, immer Schnapphahnski und ewig Schnapphahnski! Graf G. gerieth zuletzt in ein wahres Delirium, in einen St. Veitstanz, wenn man ihn nur im entferntesten an unsern Ritter erinnerte; </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0351/0001]
Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 70. Köln, Mittwoch 9. August 1848. Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.
Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich.
Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.
Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung.
Deutschland. ** Köln, 7. August.
(Die Polendebatte in Frankfurt.)
_ Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. (Fortsetzung.)
Zu den Eigenschaften eines Ritters ohne Furcht und Tadel gehört nicht nur ein kleiner Fuß, eine weiße Hand, ein kohlschwarzer Schnurrbart, ein herausforderndes Profil, eine halbe Million, ein Dutzend Liebschaften ‒ nein, auch ein Duell.
Ein glücklich überstandenes Duell verleiht dem Menschen einen eigenthümlichen Reiz. Ich rathe einem Jeden, sich wenigstens ein Mal in seinem Leben auf 14 Schritt mit Pistolen zu schießen. Das ist eine herrliche Sache. Die Frauen werden ihm artiger, und die Männer werden ihm höflicher entgegenkommen. Man weiß, er hat seine Sporen verdient, er hat den Kugeln getrotzt, er hat sich als Mann gezeigt ‒ kann man den Frauen ein größeres Vergnügen machen, als wenn man ihnen beweist, daß man ein Mann ist?
So auch dachte der Ritter Schnapphahnski, als er nach seinem unsterblich schönen Abentheuer mit der Gräfin S. wohlweißlich den Weg zwischen die Beine nahm und sich auf eine unglaublich schnelle Weise aus dem Staube machte. Halte Gott vor Augen und im Herzen! heißt es in der Bibel. Halte die Lakaien des Grafen S. vor Augen und im Herzen! summte es in die Ohren Schnapphahnski's. Er sah ein, daß ihm in Schlesien weder Rosen noch Lorbeeren, sondern nur Hasel- und Heinebüchenstöcke sprießen würden, daß er in der Gegend von O. nie auf einen grünen Zweig kommen, sondern daß die grünen Zweige, oder vielmehr die grünen Prügel nur auf ihn herunter kommen würden, und er zweifelte aus diesem Grunde daran, daß er es länger als Freiwilliger des 4. (braunen) Husarenregimentes in O. aushalten könne, und mit einem Worte, der edle Ritter entfernte sich, Schnapphahnski nahm Reißaus.
Ach! noch so jung und doch schon so unglücklich! Der edle Ritter hätte über sich selbst weinen mögen. Aber was war gegen das häßlich-unerbittliche Schicksal zu machen? Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden kann das Geschehene nicht ungeschehen machen; selbst der Kaiser Nicolaus ist ohnmächtig in diesem Punkte … Schnapphahnski begriff, daß er die schöne Gräfin S. keck entführt und daß er sie feige verlassen hatte. Die Schande stand über seinem Leben so offenbar, wie die Sonne leuchtend über der Welt steht, und es handelte sich nur noch darum, wie man diese Sonne der Schmach am besten in den undurchdringlichsten blauen Dunst der Lüge verstecken könnte.
Ein Mann wie Schnapphahnski, wenn er eine Flasche Champagner getrunken, drei Cigarren geraucht, und sich sechs Mal verliebt im Spiegel angesehen hat, ist nie um eine erbauliche, glaubhafte Lüge verlegen.
Der edle Ritter war keineswegs ein solcher Narr, daß er schon von vorn herein an seinem erfinderischen Haupte verzweifelte. Bin ich nicht Schnapphahnski, ein Mann wie ein Engel? rief er, den jugendlichen Schnurrbart streichend, und das ganze Firmament messend, mit den flammenden Blicken. Unser Ritter hatte recht. Gewandt und hübsch machte er aus dem Abentheuer mit der Gräfin S. die schönste Duellgeschichte, eine Geschichte, so verwickelt, so verteufelt verzwickt, daß zuletzt Niemand mehr daraus klug wurde ‒ die Lakaien des Grafen S. ausgenommen. ‒ Die überstandene Gefahr eines erlogenen, aber nichtsdestoweniger frech ausposaunten Duells, sollte die nackte Schmach eines feigen Entrinnens in etwa verhüllen. Die Welt sollte glauben, daß der edle Ritter unglücklich geliebt und daß er sich furchtbar geschossen habe ‒ mit einem Worte, Schnapphahnski that Alles, was ein ehrlicher Mann thun kann, um aus einer schlechten Sache eine brilliante Historie zu machen, und keck stürzte er sich wieder in den Strudel der vornehmen Welt ‒ natürlich eben nicht in der Nähe der Lakaien des Grafen S.
Mit ihrem Erfinder reiste auch die Fabel in die Welt hinein, und wie sie von Mund zu Munde ging, da nahm sie natürlich auch an Abentheuerlichkeit zu, so daß unser Schnapphahnski nach kaum einem Vierteljahre schon weit und breit als einer der wüthendsten Raufbolde, als einer der schrecklichsten Duellanten seiner Zeit bekannt war.
Unser Ritter war glücklich; aber ach, er hatte vergessen, daß es nichts gefährlicheres auf Erden giebt, als Ruhm. Unberühmte Leute können die besten Gedichte machen, die schlechtesten Prozesse gewinnen, und die ausgezeichnetsten Reden halten: man verzeiht ihnen das Alles; aber wehe dir, wenn du ein bekanntes Haupt bist, da paßt man dir auf die Finger, und du magst dich drehen und wenden wie du willst, es sitzt dir irgend ein Teufelskind im Nacken, und erinnert dich daran, daß du ein sehr sterblicher und vergänglicher Mann bist.
Der edle Ritter Schnapphahnski fand sein Teufelskind, den Kobold seines Lebens in einem gewissen Grafen, in einem Manne, der Zeit seines Lebens die Menschen lieber lebendig als todt fraß, lieber mit Haut und Haar, als gestooft oder abgekocht, lieber roh und ohne alle Zuthat, als mit Essig, Oel, Pfeffer, Salz und Mostert. Graf G. ist wo möglich noch einer der kühnsten und ehrlichsten Degen die der preußische Adel aufzuweisen hat; ein Mann, der auf seinem Roß die steilste Treppe hinangaloppirt, der seine Pistole so sicher schießt, wie der alte Lederstrumpf seine lange Flinte, und der den Säbel mit einer solchen Gewissenhaftigkeit zu führen weiß, daß ich ihn, nämlich den Herrn Grafen G., hierdurch aufs Höflichste gebeten haben will, mir doch stets drei Schritte vom Leibe zu bleiben, sintemalen ich nicht die geringste Lust verspüre, ihm zu fernerer Erprobung seines schauerlichen Handwerks an meinem Leibe Gelegenheit zu geben.
Graf G. hörte von den Thaten Schnapphahnski's und es versteht sich von selbst, daß ihn sofort die Eifersucht stachelte, um aus der Haut zu fahren, um verrückt zu werden. Ueberall wo er ging und stand, immer Schnapphahnski und ewig Schnapphahnski! Graf G. gerieth zuletzt in ein wahres Delirium, in einen St. Veitstanz, wenn man ihn nur im entferntesten an unsern Ritter erinnerte;
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(2017-03-20T13:08:10Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML
(2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat
(2017-03-20T13:08:10Z)
Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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