Neue Rheinische Zeitung. Nr. 71. Köln, 10. August 1848.Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 71. Köln, Donnerstag 10. August 1848. Die "Neue Rheinische Zeitung" erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an. Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich. Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung. Uebersicht. Deutschland. Berlin. (Der Abgeordnete Stein und die Konstabler. - Die Bürgerwehr. - Die Studenten. - Das polnische Gymnasium in Posen. - Der 6. August. - Die Ostbahn. - Erste politische Freisprechung. - Untersuchungsarrest. - Der dänische Krieg und die deutsche Einheit). Frankfurt. (Nationalversammlung). Mainz. (Eine Stelle aus dem Urtheil gegen Schöppler und Genossen). Augsburg. (Huldigungsfeier). Dessau. (Abschaffung des Adels). Braunschweig. (Die Huldigung). Prag. (Windisch-Grätz's Proklamation über die große Slavenverschwörung). Wien. (Der Kaiser und Brandis. - Reichstagssitzung vom 4. August. - Fischhof im Ministerium des Innern angestellt. - Stadion's Nachfolger. - Aufhebung der Convicte). Schweidnitz. (Offizielle Erklärung der Stadtbehörden). Apenrade. (Dänische Rekognoscirung. - Keine Feier des 6. August). Luxemburg. (Der Journalstempel abgeschafft). Italien. Frankfurt. (Peschiera überrumpelt; der Po von den Oestreichern überschritten; Alessandria eingenommen. - Radetzky's Antwort an Karl Albert; Herzog von Genua gefangen). Mailand. (Amtliches Bülletin). Verona. (Welden's Manifest. - Neues Bülletin Radetzky's.) Rom. (Ende der Ministerkrise. - Nachgeben des Pabstes.) Schweiz. Zürich. (Die neue Bundesverfassung.) Französische Republik. Paris. (Attentat auf Thiers. - Der Bericht Bouchard. - Nationalversammlung. - Vermischtes.) Großbritannien. London. (Selbstanklage eines Polizisten.) Edinburg. (Vergleich zwischen dem Consum starker Getränke und dem des Brodes.) Dublin. (Smith O'Brien in Thursles arretirt und nach Dublin gebracht. - Eine Post angefallen. - Staatsprozeß gegen Duffy und Genossen.) Rußland. Petersburg. (Cholera.) Donaufürstenthümer. Hermannstadt. (Odobesko und Salamon abgedankt.) Jassy. (Die Russen.) Amerika. Monte-Video. - (Erneuerung der Blokade aller argentinischen Hafen.) New-York. (Arbeiten des Kongresses. - Berichte aus Mexiko und Westindien.) Deutschland. 15 Berlin, 7. August. Ein eigenthümliches Schicksal scheint unsere Deputirten, besonders die linke Seite derselben mit der Bürgerwehr und den Konstablern (Krummschnabler oder auch Rumstapler nennt sie das Volk) in beständige Reibungen zu bringen. Nachdem in der vorigen Woche Rodbertus, Berg und mehrere andere Abgeordnete ohne Rücksicht auf ihre Unverletzlichkeit verhaftet worden, ist ein gleiches Loos gestern Abend dem Dr. Stein widerfahren. Dieser stand ganz gemüthlich unter den Linden und rauchte seine Cigarre; plötzlich wird er von einem Trupp Konstablern umringt, die ihn ohne Weiteres arretiren, und als er, sich ohne Einwendungen fügend, seine Cigarre weiter rauchte, ihm dieselbe aus dem Munde schlugen, mit der Bemerkung: Sie sind verhaftet und dürfen nicht rauchen. Stein folgte ihnen ganz ruhig nach der Wache. Dort angekommen, wird er erkannt; unter tausend Entschuldigungen will man ihn entlassen. Er aber bleibt, und meint, er würde nicht früher weichen, als bis man ihm eine Gesetzesstelle nachweise, wonach das ruhige Stehen eines Einzelnen unter den Linden verboten sei. - So ziehen sich denn gefährliche Wolken über dem Konstablerthum zusammen, gegen welches sich die Linke und das Centrum verschworen haben; zugleich aber auch über Kühlwetter, der mit diesem Institut stehen und fallen will, so wie über Hansemann, der den öffentlichen Kredit und das allgemeine Vertrauen in so nahe Beziehung zu den Konstablern gebracht hat. Auch der Unwille des Volkes gegen die Schutzmänner hat sich noch nicht gelegt; die Handwerker sind entrüstet darüber, daß man ihnen unverheirathete, ja auch fremde Gesellen vorgezogen hat, und diesen eine Besoldung giebt, welche manche Prolelatierfamilie ernähren könnte. Die Bürgerwehr fängt an, gegen die Lindenklubs energisch einzuschreiten. Jeden Abend sind dort mehrere Kompagnien aufgestellt, welche gegen jeden Volkshaufen mit gefälltem Bajonet eindringen, um ihn auseinander zu treiben. Besonders tapfer benimmt sich hierbei das vierte Bataillon, dasselbe, dem Rodbertus seine Verhaftung verdankt, und dem Hr. Rimpler, unser neuer Bürgergeneral, unter dem Versprechen, es zukünftig immer zur Aufrechthaltung der Ruhe zu verwenden, eine besondere Belobigung hat zu Theil werden lassen. Die Studenten erklären öffentlich, daß sie an der morgenden Bürgerwehrparade keinen Antheil nehmen werden. Ergötzlich ist es, das vor der Universität aufgestellte schwarze Brett der Studirenden und die Anschläge darauf zu betrachten. Auch ist dasselbe fortwährend von solchen Massen Neu- und Lesebegieriger umdrängt, daß es oft schwer hält heranzutreten um ein günstiges Plätzchen zum Lesen zu erobern. Seit mehreren Tagen wird zwischen dem reaktionären und demokratischen Theil der Studentenschaft ein hitziger Krieg geführt. Die Hengstenbergianer und die Söhne der Beamten und Adeligen haben einen Bund, den "Wingolf" gestiftet, der aus ungefähr 40 Mitgliedern besteht. Dieser Wingolf hat vor einigen Tagen ein anonymes Plakat veröffentlicht, worin gegen die Beschlüsse der "sogenannten, allgemeinen Studentenschaft" Protest eingelegt und dieselbe nur als ein kleiner, kaum der zehnte Theil der wirklichen Studentenschaft dargestellt wird. Es sei nur eine Partei, welche, das Treiben der Wiener Studenten nachahmend, den Königen und ihren Rathgebern nicht nur grobe "Wahrheiten, sondern auch wahre Grobheiten" sage. Mehre Studenten forderten nun den oder die Verfasser des erwähnten Plakates öffentlich auf, ihren Namen zu nennen, wenn sie noch einen Funken von Ehre besäßen. Ja, da hapert's! Zwar traten die Herrn v. Arnim, v. Diest, v. Winterfeld, de Bourdot (wie man sieht, lauter Aristokraten) auf, welche sich offen mit jenem Plakat einverstanden erklärten; ja ein Hr. v. Puttkammer verkündet, daß er jenes Plakat "nicht direkt verfaßt" habe, aber trotz wiederholter Aufforderungen hat noch Niemand klar und entschieden sich als Verfasser nennen wollen. Mit der Reorganisation im Großherzogthum Posen geht es lustig weiter. In Trzemeszno hat der Landrath den Bürgermeister Perzynski ohne Weiteres von seinem Amt entfernt, und dafür einen guten Deutschen, Namens Priebe, der das Verdienst hat, Unterschriften zu einer Einverleibungsadresse nach Frankfurt gesammelt zu haben, an seine Stelle gesetzt, und außerdem mehre ihm mißliebige Polen, die früher Mitglieder des Nationalcomites gewesen waren, aus dem Magistrat verjagt. - Zur Wieder-Eröffnung des Marien-Gymnasiums in Posen hat der Schulrath Brettner eine sehr schöne Rede gehalten, welche gewiß nur Wenigen der anwesenden Schüler mißfallen hat, aus dem Grunde, weil diese deutsch war, und von den Meisten deshalb nicht verstanden wurde. Der Herr Schulrath ermahnte die Jugend väterlich, den preußischen Behörden hübsch folgsam zu sein, wo nicht, so könnten sie darauf rechnen, daß die väterliche preußische Regierung das Gymnasium sofort schließen würde. (Wo bleiben die Shrapnells?) Ein kaiserlicher Ukas verordnet, daß in Petersburg alljährlich auf 2 Monate ein aus 4 Mitgliedern und einem Präses bestehendes Rabbiner-Comite zusammentreten solle. Zu dem Zwecke sollen die Rabbiner, Kaufleute und angesehenern Juden der 6 Gouvernements, in denen Juden wohnen dürfen, die betreffenden Wahlen halten, die General-Gouverneurs 18 Kandidaten vorschlagen und das Ministerium des Innern 5 Mitglieder daraus ernennen. Aufgabe des Comites ist Berichterstattung über jüdische Ritual-Gesetze und Ceremonien. 103 Berlin, 7. August. Auf der Tagesordnung zu der morgen stattfindenden Sitzung der Vereinbarer-Versammlung stehet zunächst nach geendigter Berathung und Abstimmung des Gesetzes über die Abschaffung der Todesstrafe, der Antrag des Abgeordneten Waldeck, die sofortige Erlassung der Habeas-Corpus-Akte. Dieser Antrag ist bereits in Folge des in der Sitzung vom 1. August gefaßten Beschlusses in den Abtheilungen und der von derselben gewählten Central-Abtheilung vorberathen worden. Auf den Wunsch des Minister-Präsidenten zur Herstellung eines Einverständnisses, wurden die Minister zu der am vergangenen Sonnabend stattgefundenen Sitzung der Central-Abtheilung eingeladen. Die Minister haben sich auch mit der Abtheilung über alle Punkte des ursprünglichen Antrages geeinigt. Nur über die, von der Abtheilung neu hinzugefügte Bestimmung, die Regreßpflichtigkeit der Beamten betreffend, konnte das Einverständniß mit dem Ministerium nicht erlangt werden. Die Abtheilung verharrt aber bei ihrer Ansicht und wird in ihrer heutigen Sitzung die Radaktion dieses höchstwichtigen Gesetzes mit den Motiven beendigen. Auf den Antrag des Abgeordneten Pokrzywinicki ist in der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung vom 28. Juli eine Kommission niedergesetzt worden um zu untersuchen: "ob Veranlassung vorhanden ist, die an der Ostbahn in der streitigen Richtung von Driesen nach Bromberg begonnenen Arbeiten so lange einzustellen bis die Versammlung über die dieser Bahn zu gebende Richtung Beschluß gefaßt hat." Die Kommission hat sich trotzdem, daß die direkte Linie von Küstrin über Woldenberg und Conitz nach Dirschau 8 Meilen kürzer ist als die in Angriff genommene Linie über Driesen und Bromberg, für die letzten entschieden. Man sagt daß die an der bevorzugten längern Linie über Bromberg ansässigen Gutsbesitzer großen Einfluß auf diesen Beschluß ausgeübt hätten. Dadurch hat sich Herr Semrau Abgeordneter des Schlochauer Kreises, welcher Kreis von der direckten Linie über Conitz würde durchschnitten werden, veranlaßt gesehen sämmtlichen Vereinbarern eine Denkschrift über die Richtung der Ostbahn vertheilen zu lassen. Er empfiehlt die direkte Linie über Conitz, da diese Richtung: an Kosten circa 7 Millionen Thaler erspart, die Vollendung der Bahn früher in Aussicht stellt, den Bau der Strecke von Frankfurt bis Woldenberg einstweilen weniger nöthig macht, in staatswirthschaftlicher und strategischer Beziehung jede andere Linie weit hinter sich zurückläßt, und endlich West-Preußen und Hinter-Pommern befriedigt. Der Handlungsdiener Müller stand vor der ersten Abtheilung des Criminalgerichts, angeklagt der versuchten Verleitung zur Befreiung des gefangenen Schlöffel. Ein hochgestelltes Mitglied des Denuncianten-Vereins hatte ihn beim Staatsanwalt denuncirt, die Arbeiter am Plötzensee zur Befreiung Schlöffels überredet zu haben. Alle Arbeiter, welche heute vorgeladen waren, stellten diese Thatsache, wie sie dies schon in der Voruntersuchung gethan, bestimmt in Abrede, und der Angeklagte wurde freigesprochen. Wie ist es aber zu verantworten, daß dieser unschuldig Denuncirte und Angeklagte, gegen den sich schon in der Voruntersuchung nicht das Geringste herausstellte, dennoch über drei Monat in Untersuchungshaft gehalten wurde. Und im Angesicht solcher Thatsachen opponirt man gegen den Erlaß einer Habeas-Corpus-Akte! Im gleichen Falle befand sich der jetzige Inhaber Nante's, der Schriftsteller A. Hopf von Charlottenburg, welcher in Folge eines Flugblattes dem Staasanwalt wegen Majestätsbeleidigung denuncirt war. Er befand sich drei Wochen in Untersuchungshaft und wurde heute entlassen. - Also der Herr Staatsanwalt braucht volle drei Wochen um zu entdecken, daß keine Majestätsbeleidigung in dem Flugblatte enthalten ist! 14 Berlin, 7. Aug.
Der Huldigungstag ist vorüber. Die Soldaten haben nicht gehuldigt; die Bürgerwehr hat die Huldigung verschoben; das Volk hat gehuldigt - aber nicht dem Unverantwortlichen, sondern speziell der deutschen Einheit Was aber die Bürgerwehr angeht, so verhält sich die Sache so 92 Kompagnien hatten sich vor zwei Tagen zu einer Huldigungs Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. (Fortsetzung.) Nach dem Abentheuer in Troppau treffen wir Hrn. v. Schnapphahnski zunächst in Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesichte und es versteht sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so vortheilhafter an's Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommirender Duellant - in Berlin ist er Flaneur. "Salamanca's Damen glühen Wenn er durch die Straßen schreitet: Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd Und von Hunden stets begleitet." Giebt es etwas schöneres, als flaniren? Der Hauptreiz des süßen Nichtsthuns besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklingend und schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade dann flanirt, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugstiere arbeiten müssen. Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen diese oder jene Summe profitirt, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine Havanna-Cigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in der Gluth der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen. Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren todt schlagen. Ja, thut es! es ist mir ganz recht - aber nur einen verschont mir: den Ritter Schnapphahnski! Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Thee und das Weißbier den Rang streitig machen, wo die schönsten Garde-Offiziere und die schönsten Frauen in schlanken Taillen wetteifern, und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas Bildung besitzt, wenn auch nur für einen Silbergroschen - Berlin war der Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen. Schnapphahnski war allmählig in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Caviar - - ein Blaustrumpf, eine Emanzipirte, eine Giftmischerin! - es war unserm Ritter einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore! Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der letzten Affaire in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasirt war, wie eine kranke Ente. Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnski's auf die göttliche Carlotta fielen . . . . Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte erwünschter sein, als ein Roman mit einer geistreicher Schauspielerin, und nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so unrecht. Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein pikantes, daß man in ihr eben das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme ich gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes, eines ganzen Welttheils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr Thiers eine Rachel liebt - - Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhangs noch vor allen Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken; derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtniß von tausend Rivalen schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich einem seligen Räthsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der Gluth eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna, oder eine Donna Maria unter vier Augen, ist ein Triumph über die Jeunesse doree von halb Europa. Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es was wolle? Er machte sich auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Weh's und Ach's dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand der Blokade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und Gräben, bedient man sich einiger Dutzend Veilchen- und Rosensträuße. Das Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und Fiddeln, dem man indeß noch eine Aufforderung zur Uebergabe in möglichst gelungenen Stanzen und Sonnetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat man den Angriff eine Zeit lang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgend einer alten Thür- oder Thorwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man das Feuer wüthender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von seinem Verlangen abstehen, und man geberdet sich auch sofort wie ein betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und sich ruinirt hat an Witz, Leib und Beutel. "Es ist eine alte Geschichte Doch bleibt sie ewig neu -" Schnapphahnski belagerte seine Corlotta mit einer wahrhaft horntollen Beständigkeit. Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 71. Köln, Donnerstag 10. August 1848. Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an. Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich. Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung. Uebersicht. Deutschland. Berlin. (Der Abgeordnete Stein und die Konstabler. ‒ Die Bürgerwehr. ‒ Die Studenten. ‒ Das polnische Gymnasium in Posen. ‒ Der 6. August. ‒ Die Ostbahn. ‒ Erste politische Freisprechung. ‒ Untersuchungsarrest. ‒ Der dänische Krieg und die deutsche Einheit). Frankfurt. (Nationalversammlung). Mainz. (Eine Stelle aus dem Urtheil gegen Schöppler und Genossen). Augsburg. (Huldigungsfeier). Dessau. (Abschaffung des Adels). Braunschweig. (Die Huldigung). Prag. (Windisch-Grätz's Proklamation über die große Slavenverschwörung). Wien. (Der Kaiser und Brandis. ‒ Reichstagssitzung vom 4. August. ‒ Fischhof im Ministerium des Innern angestellt. ‒ Stadion's Nachfolger. ‒ Aufhebung der Convicte). Schweidnitz. (Offizielle Erklärung der Stadtbehörden). Apenrade. (Dänische Rekognoscirung. ‒ Keine Feier des 6. August). Luxemburg. (Der Journalstempel abgeschafft). Italien. Frankfurt. (Peschiera überrumpelt; der Po von den Oestreichern überschritten; Alessandria eingenommen. ‒ Radetzky's Antwort an Karl Albert; Herzog von Genua gefangen). Mailand. (Amtliches Bülletin). Verona. (Welden's Manifest. ‒ Neues Bülletin Radetzky's.) Rom. (Ende der Ministerkrise. ‒ Nachgeben des Pabstes.) Schweiz. Zürich. (Die neue Bundesverfassung.) Französische Republik. Paris. (Attentat auf Thiers. ‒ Der Bericht Bouchard. ‒ Nationalversammlung. ‒ Vermischtes.) Großbritannien. London. (Selbstanklage eines Polizisten.) Edinburg. (Vergleich zwischen dem Consum starker Getränke und dem des Brodes.) Dublin. (Smith O'Brien in Thursles arretirt und nach Dublin gebracht. ‒ Eine Post angefallen. ‒ Staatsprozeß gegen Duffy und Genossen.) Rußland. Petersburg. (Cholera.) Donaufürstenthümer. Hermannstadt. (Odobesko und Salamon abgedankt.) Jassy. (Die Russen.) Amerika. Monte-Video. ‒ (Erneuerung der Blokade aller argentinischen Hafen.) New-York. (Arbeiten des Kongresses. ‒ Berichte aus Mexiko und Westindien.) Deutschland. 15 Berlin, 7. August. Ein eigenthümliches Schicksal scheint unsere Deputirten, besonders die linke Seite derselben mit der Bürgerwehr und den Konstablern (Krummschnabler oder auch Rumstapler nennt sie das Volk) in beständige Reibungen zu bringen. Nachdem in der vorigen Woche Rodbertus, Berg und mehrere andere Abgeordnete ohne Rücksicht auf ihre Unverletzlichkeit verhaftet worden, ist ein gleiches Loos gestern Abend dem Dr. Stein widerfahren. Dieser stand ganz gemüthlich unter den Linden und rauchte seine Cigarre; plötzlich wird er von einem Trupp Konstablern umringt, die ihn ohne Weiteres arretiren, und als er, sich ohne Einwendungen fügend, seine Cigarre weiter rauchte, ihm dieselbe aus dem Munde schlugen, mit der Bemerkung: Sie sind verhaftet und dürfen nicht rauchen. Stein folgte ihnen ganz ruhig nach der Wache. Dort angekommen, wird er erkannt; unter tausend Entschuldigungen will man ihn entlassen. Er aber bleibt, und meint, er würde nicht früher weichen, als bis man ihm eine Gesetzesstelle nachweise, wonach das ruhige Stehen eines Einzelnen unter den Linden verboten sei. ‒ So ziehen sich denn gefährliche Wolken über dem Konstablerthum zusammen, gegen welches sich die Linke und das Centrum verschworen haben; zugleich aber auch über Kühlwetter, der mit diesem Institut stehen und fallen will, so wie über Hansemann, der den öffentlichen Kredit und das allgemeine Vertrauen in so nahe Beziehung zu den Konstablern gebracht hat. Auch der Unwille des Volkes gegen die Schutzmänner hat sich noch nicht gelegt; die Handwerker sind entrüstet darüber, daß man ihnen unverheirathete, ja auch fremde Gesellen vorgezogen hat, und diesen eine Besoldung giebt, welche manche Prolelatierfamilie ernähren könnte. Die Bürgerwehr fängt an, gegen die Lindenklubs energisch einzuschreiten. Jeden Abend sind dort mehrere Kompagnien aufgestellt, welche gegen jeden Volkshaufen mit gefälltem Bajonet eindringen, um ihn auseinander zu treiben. Besonders tapfer benimmt sich hierbei das vierte Bataillon, dasselbe, dem Rodbertus seine Verhaftung verdankt, und dem Hr. Rimpler, unser neuer Bürgergeneral, unter dem Versprechen, es zukünftig immer zur Aufrechthaltung der Ruhe zu verwenden, eine besondere Belobigung hat zu Theil werden lassen. Die Studenten erklären öffentlich, daß sie an der morgenden Bürgerwehrparade keinen Antheil nehmen werden. Ergötzlich ist es, das vor der Universität aufgestellte schwarze Brett der Studirenden und die Anschläge darauf zu betrachten. Auch ist dasselbe fortwährend von solchen Massen Neu- und Lesebegieriger umdrängt, daß es oft schwer hält heranzutreten um ein günstiges Plätzchen zum Lesen zu erobern. Seit mehreren Tagen wird zwischen dem reaktionären und demokratischen Theil der Studentenschaft ein hitziger Krieg geführt. Die Hengstenbergianer und die Söhne der Beamten und Adeligen haben einen Bund, den „Wingolf“ gestiftet, der aus ungefähr 40 Mitgliedern besteht. Dieser Wingolf hat vor einigen Tagen ein anonymes Plakat veröffentlicht, worin gegen die Beschlüsse der „sogenannten, allgemeinen Studentenschaft“ Protest eingelegt und dieselbe nur als ein kleiner, kaum der zehnte Theil der wirklichen Studentenschaft dargestellt wird. Es sei nur eine Partei, welche, das Treiben der Wiener Studenten nachahmend, den Königen und ihren Rathgebern nicht nur grobe „Wahrheiten, sondern auch wahre Grobheiten“ sage. Mehre Studenten forderten nun den oder die Verfasser des erwähnten Plakates öffentlich auf, ihren Namen zu nennen, wenn sie noch einen Funken von Ehre besäßen. Ja, da hapert's! Zwar traten die Herrn v. Arnim, v. Diest, v. Winterfeld, de Bourdot (wie man sieht, lauter Aristokraten) auf, welche sich offen mit jenem Plakat einverstanden erklärten; ja ein Hr. v. Puttkammer verkündet, daß er jenes Plakat „nicht direkt verfaßt“ habe, aber trotz wiederholter Aufforderungen hat noch Niemand klar und entschieden sich als Verfasser nennen wollen. Mit der Reorganisation im Großherzogthum Posen geht es lustig weiter. In Trzemeszno hat der Landrath den Bürgermeister Perzynski ohne Weiteres von seinem Amt entfernt, und dafür einen guten Deutschen, Namens Priebe, der das Verdienst hat, Unterschriften zu einer Einverleibungsadresse nach Frankfurt gesammelt zu haben, an seine Stelle gesetzt, und außerdem mehre ihm mißliebige Polen, die früher Mitglieder des Nationalcomités gewesen waren, aus dem Magistrat verjagt. ‒ Zur Wieder-Eröffnung des Marien-Gymnasiums in Posen hat der Schulrath Brettner eine sehr schöne Rede gehalten, welche gewiß nur Wenigen der anwesenden Schüler mißfallen hat, aus dem Grunde, weil diese deutsch war, und von den Meisten deshalb nicht verstanden wurde. Der Herr Schulrath ermahnte die Jugend väterlich, den preußischen Behörden hübsch folgsam zu sein, wo nicht, so könnten sie darauf rechnen, daß die väterliche preußische Regierung das Gymnasium sofort schließen würde. (Wo bleiben die Shrapnells?) Ein kaiserlicher Ukas verordnet, daß in Petersburg alljährlich auf 2 Monate ein aus 4 Mitgliedern und einem Präses bestehendes Rabbiner-Comité zusammentreten solle. Zu dem Zwecke sollen die Rabbiner, Kaufleute und angesehenern Juden der 6 Gouvernements, in denen Juden wohnen dürfen, die betreffenden Wahlen halten, die General-Gouverneurs 18 Kandidaten vorschlagen und das Ministerium des Innern 5 Mitglieder daraus ernennen. Aufgabe des Comités ist Berichterstattung über jüdische Ritual-Gesetze und Ceremonien. 103 Berlin, 7. August. Auf der Tagesordnung zu der morgen stattfindenden Sitzung der Vereinbarer-Versammlung stehet zunächst nach geendigter Berathung und Abstimmung des Gesetzes über die Abschaffung der Todesstrafe, der Antrag des Abgeordneten Waldeck, die sofortige Erlassung der Habeas-Corpus-Akte. Dieser Antrag ist bereits in Folge des in der Sitzung vom 1. August gefaßten Beschlusses in den Abtheilungen und der von derselben gewählten Central-Abtheilung vorberathen worden. Auf den Wunsch des Minister-Präsidenten zur Herstellung eines Einverständnisses, wurden die Minister zu der am vergangenen Sonnabend stattgefundenen Sitzung der Central-Abtheilung eingeladen. Die Minister haben sich auch mit der Abtheilung über alle Punkte des ursprünglichen Antrages geeinigt. Nur über die, von der Abtheilung neu hinzugefügte Bestimmung, die Regreßpflichtigkeit der Beamten betreffend, konnte das Einverständniß mit dem Ministerium nicht erlangt werden. Die Abtheilung verharrt aber bei ihrer Ansicht und wird in ihrer heutigen Sitzung die Radaktion dieses höchstwichtigen Gesetzes mit den Motiven beendigen. Auf den Antrag des Abgeordneten Pokrzywinicki ist in der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung vom 28. Juli eine Kommission niedergesetzt worden um zu untersuchen: „ob Veranlassung vorhanden ist, die an der Ostbahn in der streitigen Richtung von Driesen nach Bromberg begonnenen Arbeiten so lange einzustellen bis die Versammlung über die dieser Bahn zu gebende Richtung Beschluß gefaßt hat.“ Die Kommission hat sich trotzdem, daß die direkte Linie von Küstrin über Woldenberg und Conitz nach Dirschau 8 Meilen kürzer ist als die in Angriff genommene Linie über Driesen und Bromberg, für die letzten entschieden. Man sagt daß die an der bevorzugten längern Linie über Bromberg ansässigen Gutsbesitzer großen Einfluß auf diesen Beschluß ausgeübt hätten. Dadurch hat sich Herr Semrau Abgeordneter des Schlochauer Kreises, welcher Kreis von der direckten Linie über Conitz würde durchschnitten werden, veranlaßt gesehen sämmtlichen Vereinbarern eine Denkschrift über die Richtung der Ostbahn vertheilen zu lassen. Er empfiehlt die direkte Linie über Conitz, da diese Richtung: an Kosten circa 7 Millionen Thaler erspart, die Vollendung der Bahn früher in Aussicht stellt, den Bau der Strecke von Frankfurt bis Woldenberg einstweilen weniger nöthig macht, in staatswirthschaftlicher und strategischer Beziehung jede andere Linie weit hinter sich zurückläßt, und endlich West-Preußen und Hinter-Pommern befriedigt. Der Handlungsdiener Müller stand vor der ersten Abtheilung des Criminalgerichts, angeklagt der versuchten Verleitung zur Befreiung des gefangenen Schlöffel. Ein hochgestelltes Mitglied des Denuncianten-Vereins hatte ihn beim Staatsanwalt denuncirt, die Arbeiter am Plötzensee zur Befreiung Schlöffels überredet zu haben. Alle Arbeiter, welche heute vorgeladen waren, stellten diese Thatsache, wie sie dies schon in der Voruntersuchung gethan, bestimmt in Abrede, und der Angeklagte wurde freigesprochen. Wie ist es aber zu verantworten, daß dieser unschuldig Denuncirte und Angeklagte, gegen den sich schon in der Voruntersuchung nicht das Geringste herausstellte, dennoch über drei Monat in Untersuchungshaft gehalten wurde. Und im Angesicht solcher Thatsachen opponirt man gegen den Erlaß einer Habeas-Corpus-Akte! Im gleichen Falle befand sich der jetzige Inhaber Nante's, der Schriftsteller A. Hopf von Charlottenburg, welcher in Folge eines Flugblattes dem Staasanwalt wegen Majestätsbeleidigung denuncirt war. Er befand sich drei Wochen in Untersuchungshaft und wurde heute entlassen. ‒ Also der Herr Staatsanwalt braucht volle drei Wochen um zu entdecken, daß keine Majestätsbeleidigung in dem Flugblatte enthalten ist! 14 Berlin, 7. Aug.
Der Huldigungstag ist vorüber. Die Soldaten haben nicht gehuldigt; die Bürgerwehr hat die Huldigung verschoben; das Volk hat gehuldigt ‒ aber nicht dem Unverantwortlichen, sondern speziell der deutschen Einheit Was aber die Bürgerwehr angeht, so verhält sich die Sache so 92 Kompagnien hatten sich vor zwei Tagen zu einer Huldigungs Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. (Fortsetzung.) Nach dem Abentheuer in Troppau treffen wir Hrn. v. Schnapphahnski zunächst in Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesichte und es versteht sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so vortheilhafter an's Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommirender Duellant ‒ in Berlin ist er Flaneur. „Salamanca's Damen glühen Wenn er durch die Straßen schreitet: Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd Und von Hunden stets begleitet.“ Giebt es etwas schöneres, als flaniren? Der Hauptreiz des süßen Nichtsthuns besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklingend und schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade dann flanirt, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugstiere arbeiten müssen. Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen diese oder jene Summe profitirt, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine Havanna-Cigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in der Gluth der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen. Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren todt schlagen. Ja, thut es! es ist mir ganz recht ‒ aber nur einen verschont mir: den Ritter Schnapphahnski! Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Thee und das Weißbier den Rang streitig machen, wo die schönsten Garde-Offiziere und die schönsten Frauen in schlanken Taillen wetteifern, und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas Bildung besitzt, wenn auch nur für einen Silbergroschen ‒ Berlin war der Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen. Schnapphahnski war allmählig in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Caviar ‒ ‒ ein Blaustrumpf, eine Emanzipirte, eine Giftmischerin! ‒ es war unserm Ritter einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore! Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der letzten Affaire in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasirt war, wie eine kranke Ente. Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnski's auf die göttliche Carlotta fielen . . . . Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte erwünschter sein, als ein Roman mit einer geistreicher Schauspielerin, und nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so unrecht. Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein pikantes, daß man in ihr eben das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme ich gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes, eines ganzen Welttheils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr Thiers eine Rachel liebt ‒ ‒ Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhangs noch vor allen Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken; derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtniß von tausend Rivalen schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich einem seligen Räthsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der Gluth eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna, oder eine Donna Maria unter vier Augen, ist ein Triumph über die Jeunesse dorée von halb Europa. Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es was wolle? Er machte sich auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Weh's und Ach's dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand der Blokade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und Gräben, bedient man sich einiger Dutzend Veilchen- und Rosensträuße. Das Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und Fiddeln, dem man indeß noch eine Aufforderung zur Uebergabe in möglichst gelungenen Stanzen und Sonnetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat man den Angriff eine Zeit lang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgend einer alten Thür- oder Thorwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man das Feuer wüthender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von seinem Verlangen abstehen, und man geberdet sich auch sofort wie ein betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und sich ruinirt hat an Witz, Leib und Beutel. „Es ist eine alte Geschichte Doch bleibt sie ewig neu ‒“ Schnapphahnski belagerte seine Corlotta mit einer wahrhaft horntollen Beständigkeit. <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0357"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung.</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 71. Köln, Donnerstag 10. August 1848.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="jExpedition"> <p>Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.</p> <p>Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. <hi rendition="#g">Alexander,</hi> Nr. 28, Brandgasse in <hi rendition="#g">Straßburg,</hi> und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. <hi rendition="#g">J. J. Ewer</hi> & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich.</p> <p>Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. <hi rendition="#g">Inserate:</hi> die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.</p> <p>Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung.</p> </div> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Berlin. (Der Abgeordnete Stein und die Konstabler. ‒ Die Bürgerwehr. ‒ Die Studenten. ‒ Das polnische Gymnasium in Posen. ‒ Der 6. August. ‒ Die Ostbahn. ‒ Erste politische Freisprechung. ‒ Untersuchungsarrest. ‒ Der dänische Krieg und die deutsche Einheit). Frankfurt. (Nationalversammlung). Mainz. (Eine Stelle aus dem Urtheil gegen Schöppler und Genossen). Augsburg. (Huldigungsfeier). Dessau. (Abschaffung des Adels). Braunschweig. (Die Huldigung). Prag. (Windisch-Grätz's Proklamation über die große Slavenverschwörung). Wien. (Der Kaiser und Brandis. ‒ Reichstagssitzung vom 4. August. ‒ Fischhof im Ministerium des Innern angestellt. ‒ Stadion's Nachfolger. ‒ Aufhebung der Convicte). Schweidnitz. (Offizielle Erklärung der Stadtbehörden). Apenrade. (Dänische Rekognoscirung. ‒ Keine Feier des 6. August). Luxemburg. (Der Journalstempel abgeschafft).</p> <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> Frankfurt. (Peschiera überrumpelt; der Po von den Oestreichern überschritten; Alessandria eingenommen. ‒ Radetzky's Antwort an Karl Albert; Herzog von Genua gefangen). Mailand. (Amtliches Bülletin). Verona. (Welden's Manifest. ‒ Neues Bülletin Radetzky's.) Rom. (Ende der Ministerkrise. ‒ Nachgeben des Pabstes.)</p> <p><hi rendition="#g">Schweiz.</hi> Zürich. (Die neue Bundesverfassung.)</p> <p><hi rendition="#g">Französische Republik.</hi> Paris. (Attentat auf Thiers. ‒ Der Bericht Bouchard. ‒ Nationalversammlung. ‒ Vermischtes.)</p> <p><hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> London. (Selbstanklage eines Polizisten.) Edinburg. (Vergleich zwischen dem Consum starker Getränke und dem des Brodes.) Dublin. (Smith O'Brien in Thursles arretirt und nach Dublin gebracht. ‒ Eine Post angefallen. ‒ Staatsprozeß gegen Duffy und Genossen.)</p> <p><hi rendition="#g">Rußland.</hi> Petersburg. (Cholera.)</p> <p><hi rendition="#g">Donaufürstenthümer.</hi> Hermannstadt. (Odobesko und Salamon abgedankt.) Jassy. (Die Russen.)</p> <p><hi rendition="#g">Amerika.</hi> Monte-Video. ‒ (Erneuerung der Blokade aller argentinischen Hafen.) New-York. (Arbeiten des Kongresses. ‒ Berichte aus Mexiko und Westindien.)</p> </div> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar071_001" type="jArticle"> <head><bibl><author>15</author></bibl> Berlin, 7. August.</head> <p>Ein eigenthümliches Schicksal scheint unsere Deputirten, besonders die linke Seite derselben mit der Bürgerwehr und den Konstablern (Krummschnabler oder auch Rumstapler nennt sie das Volk) in beständige Reibungen zu bringen. Nachdem in der vorigen Woche Rodbertus, Berg und mehrere andere Abgeordnete ohne Rücksicht auf ihre Unverletzlichkeit verhaftet worden, ist ein gleiches Loos gestern Abend dem Dr. <hi rendition="#g">Stein</hi> widerfahren. Dieser stand ganz gemüthlich unter den Linden und rauchte seine Cigarre; plötzlich wird er von einem Trupp Konstablern umringt, die ihn ohne Weiteres arretiren, und als er, sich ohne Einwendungen fügend, seine Cigarre weiter rauchte, ihm dieselbe aus dem Munde schlugen, mit der Bemerkung: Sie sind verhaftet und dürfen nicht rauchen. Stein folgte ihnen ganz ruhig nach der Wache. Dort angekommen, wird er erkannt; unter tausend Entschuldigungen will man ihn entlassen. Er aber bleibt, und meint, er würde nicht früher weichen, als bis man ihm eine Gesetzesstelle nachweise, wonach das ruhige Stehen eines Einzelnen unter den Linden verboten sei. ‒ So ziehen sich denn gefährliche Wolken über dem Konstablerthum zusammen, gegen welches sich die Linke und das Centrum verschworen haben; zugleich aber auch über Kühlwetter, der mit diesem Institut stehen und fallen will, so wie über Hansemann, der den öffentlichen Kredit und das allgemeine Vertrauen in so nahe Beziehung zu den Konstablern gebracht hat. Auch der Unwille des Volkes gegen die Schutzmänner hat sich noch nicht gelegt; die Handwerker sind entrüstet darüber, daß man ihnen unverheirathete, ja auch fremde Gesellen vorgezogen hat, und diesen eine Besoldung giebt, welche manche Prolelatierfamilie ernähren könnte.</p> <p>Die Bürgerwehr fängt an, gegen die Lindenklubs energisch einzuschreiten. Jeden Abend sind dort mehrere Kompagnien aufgestellt, welche gegen jeden Volkshaufen mit gefälltem Bajonet eindringen, um ihn auseinander zu treiben. Besonders tapfer benimmt sich hierbei das vierte Bataillon, dasselbe, dem Rodbertus seine Verhaftung verdankt, und dem Hr. Rimpler, unser neuer Bürgergeneral, unter dem Versprechen, es zukünftig immer zur Aufrechthaltung der Ruhe zu verwenden, eine besondere Belobigung hat zu Theil werden lassen.</p> <p>Die Studenten erklären öffentlich, daß sie an der morgenden Bürgerwehrparade keinen Antheil nehmen werden. Ergötzlich ist es, das vor der Universität aufgestellte schwarze Brett der Studirenden und die Anschläge darauf zu betrachten. Auch ist dasselbe fortwährend von solchen Massen Neu- und Lesebegieriger umdrängt, daß es oft schwer hält heranzutreten um ein günstiges Plätzchen zum Lesen zu erobern. Seit mehreren Tagen wird zwischen dem reaktionären und demokratischen Theil der Studentenschaft ein hitziger Krieg geführt. Die Hengstenbergianer und die Söhne der Beamten und Adeligen haben einen Bund, den „Wingolf“ gestiftet, der aus ungefähr 40 Mitgliedern besteht. Dieser Wingolf hat vor einigen Tagen ein anonymes Plakat veröffentlicht, worin gegen die Beschlüsse der „sogenannten, allgemeinen Studentenschaft“ Protest eingelegt und dieselbe nur als ein kleiner, kaum der zehnte Theil der wirklichen Studentenschaft dargestellt wird. Es sei nur eine Partei, welche, das Treiben der Wiener Studenten nachahmend, den Königen und ihren Rathgebern nicht nur grobe „Wahrheiten, sondern auch wahre Grobheiten“ sage. Mehre Studenten forderten nun den oder die Verfasser des erwähnten Plakates öffentlich auf, ihren Namen zu nennen, wenn sie noch einen Funken von Ehre besäßen. Ja, da hapert's! Zwar traten die Herrn <hi rendition="#g">v. Arnim, v. Diest, v. Winterfeld, de Bourdot</hi> (wie man sieht, lauter Aristokraten) auf, welche sich offen mit jenem Plakat einverstanden erklärten; ja ein Hr. v. Puttkammer verkündet, daß er jenes Plakat „nicht direkt verfaßt“ habe, aber trotz wiederholter Aufforderungen hat noch Niemand klar und entschieden sich als Verfasser nennen wollen.</p> <p>Mit der Reorganisation im Großherzogthum Posen geht es lustig weiter. In Trzemeszno hat der Landrath den Bürgermeister Perzynski ohne Weiteres von seinem Amt entfernt, und dafür einen guten Deutschen, Namens Priebe, der das Verdienst hat, Unterschriften zu einer Einverleibungsadresse nach Frankfurt gesammelt zu haben, an seine Stelle gesetzt, und außerdem mehre ihm mißliebige Polen, die früher Mitglieder des Nationalcomités gewesen waren, aus dem Magistrat verjagt. ‒ Zur Wieder-Eröffnung des Marien-Gymnasiums in Posen hat der Schulrath Brettner eine sehr schöne Rede gehalten, welche gewiß nur Wenigen der anwesenden Schüler mißfallen hat, aus dem Grunde, weil diese deutsch war, und von den Meisten deshalb nicht verstanden wurde. Der Herr Schulrath ermahnte die Jugend väterlich, den preußischen Behörden hübsch folgsam zu sein, wo nicht, so könnten sie darauf rechnen, daß die väterliche preußische Regierung das Gymnasium sofort schließen würde. (Wo bleiben die Shrapnells?) Ein kaiserlicher Ukas verordnet, daß in Petersburg alljährlich auf 2 Monate ein aus 4 Mitgliedern und einem Präses bestehendes Rabbiner-Comité zusammentreten solle. Zu dem Zwecke sollen die Rabbiner, Kaufleute und angesehenern Juden der 6 Gouvernements, in denen Juden wohnen dürfen, die betreffenden Wahlen halten, die General-Gouverneurs 18 Kandidaten vorschlagen und das Ministerium des Innern 5 Mitglieder daraus ernennen. Aufgabe des Comités ist Berichterstattung über jüdische Ritual-Gesetze und Ceremonien.</p> </div> <div xml:id="ar071_002" type="jArticle"> <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 7. August.</head> <p>Auf der Tagesordnung zu der morgen stattfindenden Sitzung der Vereinbarer-Versammlung stehet zunächst nach geendigter Berathung und Abstimmung des Gesetzes über die Abschaffung der Todesstrafe, der Antrag des Abgeordneten <hi rendition="#g">Waldeck,</hi> die sofortige Erlassung der Habeas-Corpus-Akte. Dieser Antrag ist bereits in Folge des in der Sitzung vom 1. August gefaßten Beschlusses in den Abtheilungen und der von derselben gewählten Central-Abtheilung vorberathen worden. Auf den Wunsch des Minister-Präsidenten zur Herstellung eines Einverständnisses, wurden die Minister zu der am vergangenen Sonnabend stattgefundenen Sitzung der Central-Abtheilung eingeladen. Die Minister haben sich auch mit der Abtheilung über alle Punkte des ursprünglichen Antrages geeinigt. Nur über die, von der Abtheilung neu hinzugefügte Bestimmung, die Regreßpflichtigkeit der Beamten betreffend, konnte das Einverständniß mit dem Ministerium nicht erlangt werden. Die Abtheilung verharrt aber bei ihrer Ansicht und wird in ihrer heutigen Sitzung die Radaktion dieses höchstwichtigen Gesetzes mit den Motiven beendigen.</p> <p>Auf den Antrag des Abgeordneten <hi rendition="#g">Pokrzywinicki</hi> ist in der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung vom 28. Juli eine Kommission niedergesetzt worden um zu untersuchen: „ob Veranlassung vorhanden ist, die an der Ostbahn in der streitigen Richtung von Driesen nach Bromberg begonnenen Arbeiten so lange einzustellen bis die Versammlung über die dieser Bahn zu gebende Richtung Beschluß gefaßt hat.“ Die Kommission hat sich trotzdem, daß die direkte Linie von Küstrin über Woldenberg und Conitz nach Dirschau 8 Meilen kürzer ist als die in Angriff genommene Linie über Driesen und Bromberg, für die letzten entschieden. Man sagt daß die an der bevorzugten längern Linie über Bromberg ansässigen Gutsbesitzer großen Einfluß auf diesen Beschluß ausgeübt hätten. Dadurch hat sich Herr Semrau Abgeordneter des Schlochauer Kreises, welcher Kreis von der direckten Linie über Conitz würde durchschnitten werden, veranlaßt gesehen sämmtlichen Vereinbarern eine Denkschrift über die Richtung der Ostbahn vertheilen zu lassen. Er empfiehlt die direkte Linie über <hi rendition="#g">Conitz,</hi> da diese Richtung: an Kosten circa 7 Millionen Thaler erspart, die Vollendung der Bahn früher in Aussicht stellt, den Bau der Strecke von Frankfurt bis Woldenberg einstweilen weniger nöthig macht, in staatswirthschaftlicher und strategischer Beziehung jede andere Linie weit hinter sich zurückläßt, und endlich West-Preußen und Hinter-Pommern befriedigt.</p> <p>Der Handlungsdiener <hi rendition="#g">Müller</hi> stand vor der ersten Abtheilung des Criminalgerichts, angeklagt der versuchten Verleitung zur Befreiung des gefangenen <hi rendition="#g">Schlöffel.</hi> Ein hochgestelltes Mitglied des Denuncianten-Vereins hatte ihn beim Staatsanwalt denuncirt, die Arbeiter am Plötzensee zur Befreiung Schlöffels überredet zu haben.</p> <p>Alle Arbeiter, welche heute vorgeladen waren, stellten diese Thatsache, wie sie dies schon in der Voruntersuchung gethan, bestimmt in Abrede, und der Angeklagte wurde <hi rendition="#g">freigesprochen.</hi> </p> <p>Wie ist es aber zu verantworten, daß dieser unschuldig Denuncirte und Angeklagte, gegen den sich schon in der Voruntersuchung nicht das Geringste herausstellte, dennoch über drei Monat in Untersuchungshaft gehalten wurde. Und im Angesicht solcher Thatsachen opponirt man gegen den Erlaß einer Habeas-Corpus-Akte!</p> <p>Im gleichen Falle befand sich der jetzige Inhaber Nante's, der Schriftsteller A. <hi rendition="#g">Hopf</hi> von Charlottenburg, welcher in Folge eines Flugblattes dem Staasanwalt wegen Majestätsbeleidigung denuncirt war. Er befand sich drei Wochen in Untersuchungshaft und wurde heute entlassen. ‒ Also der Herr Staatsanwalt braucht volle drei Wochen um zu entdecken, daß keine Majestätsbeleidigung in dem Flugblatte enthalten ist!</p> </div> <div xml:id="ar071_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>14</author></bibl> Berlin, 7. Aug.</head> <p>Der Huldigungstag ist vorüber. Die Soldaten haben nicht gehuldigt; die Bürgerwehr hat die Huldigung verschoben; das Volk hat gehuldigt ‒ aber nicht dem Unverantwortlichen, sondern speziell <hi rendition="#g">der deutschen Einheit</hi> Was aber die Bürgerwehr angeht, so verhält sich die Sache so 92 Kompagnien hatten sich vor zwei Tagen zu einer Huldigungs</p> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="ar071_004" type="jArticle"> <head>Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.</head> <p> <ref type="link">(Fortsetzung.)</ref> </p> <p>Nach dem Abentheuer in Troppau treffen wir Hrn. v. Schnapphahnski zunächst in Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesichte und es versteht sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so vortheilhafter an's Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommirender Duellant ‒ in Berlin ist er Flaneur.</p> <lg type="poem"> <l>„Salamanca's Damen glühen</l><lb/> <l>Wenn er durch die Straßen schreitet:</l><lb/> <l>Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd</l><lb/> <l>Und von Hunden stets begleitet.“</l><lb/> </lg> <p>Giebt es etwas schöneres, als flaniren? Der Hauptreiz des süßen Nichtsthuns besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklingend und schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade dann flanirt, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugstiere arbeiten müssen.</p> <p>Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen diese oder jene Summe profitirt, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine Havanna-Cigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in der Gluth der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen.</p> <p>Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren todt schlagen. Ja, thut es! es ist mir ganz recht ‒ aber nur einen verschont mir: den Ritter Schnapphahnski!</p> <p>Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Thee und das Weißbier den Rang streitig machen, wo die schönsten Garde-Offiziere und die schönsten Frauen in schlanken Taillen wetteifern, und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas Bildung besitzt, wenn auch nur für einen Silbergroschen ‒ Berlin war der Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen.</p> <p>Schnapphahnski war allmählig in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Caviar ‒ ‒ ein Blaustrumpf, eine Emanzipirte, eine Giftmischerin! ‒ es war unserm Ritter einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore!</p> <p>Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der letzten Affaire in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasirt war, wie eine kranke Ente.</p> <p>Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnski's auf die göttliche Carlotta fielen . . . . Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte erwünschter sein, als ein Roman mit einer geistreicher Schauspielerin, und nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so unrecht.</p> <p>Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein pikantes, daß man in ihr eben das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme ich gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes, eines ganzen Welttheils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr Thiers eine Rachel liebt ‒ ‒</p> <p>Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhangs noch vor allen Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken; derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtniß von tausend Rivalen schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich einem seligen Räthsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der Gluth eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna, oder eine Donna Maria unter vier Augen, ist ein Triumph über die Jeunesse dorée von halb Europa.</p> <p>Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es was wolle? Er machte sich auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Weh's und Ach's dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand der Blokade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und Gräben, bedient man sich einiger Dutzend Veilchen- und Rosensträuße. Das Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und Fiddeln, dem man indeß noch eine Aufforderung zur Uebergabe in möglichst gelungenen Stanzen und Sonnetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat man den Angriff eine Zeit lang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgend einer alten Thür- oder Thorwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man das Feuer wüthender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von seinem Verlangen abstehen, und man geberdet sich auch sofort wie ein betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und sich ruinirt hat an Witz, Leib und Beutel.</p> <lg type="poem"> <l>„Es ist eine alte Geschichte</l><lb/> <l>Doch bleibt sie ewig neu ‒“</l><lb/> </lg> <p>Schnapphahnski belagerte seine Corlotta mit einer wahrhaft horntollen Beständigkeit.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0357/0001]
Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 71. Köln, Donnerstag 10. August 1848. Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.
Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich.
Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.
Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung.
Uebersicht. Deutschland. Berlin. (Der Abgeordnete Stein und die Konstabler. ‒ Die Bürgerwehr. ‒ Die Studenten. ‒ Das polnische Gymnasium in Posen. ‒ Der 6. August. ‒ Die Ostbahn. ‒ Erste politische Freisprechung. ‒ Untersuchungsarrest. ‒ Der dänische Krieg und die deutsche Einheit). Frankfurt. (Nationalversammlung). Mainz. (Eine Stelle aus dem Urtheil gegen Schöppler und Genossen). Augsburg. (Huldigungsfeier). Dessau. (Abschaffung des Adels). Braunschweig. (Die Huldigung). Prag. (Windisch-Grätz's Proklamation über die große Slavenverschwörung). Wien. (Der Kaiser und Brandis. ‒ Reichstagssitzung vom 4. August. ‒ Fischhof im Ministerium des Innern angestellt. ‒ Stadion's Nachfolger. ‒ Aufhebung der Convicte). Schweidnitz. (Offizielle Erklärung der Stadtbehörden). Apenrade. (Dänische Rekognoscirung. ‒ Keine Feier des 6. August). Luxemburg. (Der Journalstempel abgeschafft).
Italien. Frankfurt. (Peschiera überrumpelt; der Po von den Oestreichern überschritten; Alessandria eingenommen. ‒ Radetzky's Antwort an Karl Albert; Herzog von Genua gefangen). Mailand. (Amtliches Bülletin). Verona. (Welden's Manifest. ‒ Neues Bülletin Radetzky's.) Rom. (Ende der Ministerkrise. ‒ Nachgeben des Pabstes.)
Schweiz. Zürich. (Die neue Bundesverfassung.)
Französische Republik. Paris. (Attentat auf Thiers. ‒ Der Bericht Bouchard. ‒ Nationalversammlung. ‒ Vermischtes.)
Großbritannien. London. (Selbstanklage eines Polizisten.) Edinburg. (Vergleich zwischen dem Consum starker Getränke und dem des Brodes.) Dublin. (Smith O'Brien in Thursles arretirt und nach Dublin gebracht. ‒ Eine Post angefallen. ‒ Staatsprozeß gegen Duffy und Genossen.)
Rußland. Petersburg. (Cholera.)
Donaufürstenthümer. Hermannstadt. (Odobesko und Salamon abgedankt.) Jassy. (Die Russen.)
Amerika. Monte-Video. ‒ (Erneuerung der Blokade aller argentinischen Hafen.) New-York. (Arbeiten des Kongresses. ‒ Berichte aus Mexiko und Westindien.)
Deutschland. 15 Berlin, 7. August. Ein eigenthümliches Schicksal scheint unsere Deputirten, besonders die linke Seite derselben mit der Bürgerwehr und den Konstablern (Krummschnabler oder auch Rumstapler nennt sie das Volk) in beständige Reibungen zu bringen. Nachdem in der vorigen Woche Rodbertus, Berg und mehrere andere Abgeordnete ohne Rücksicht auf ihre Unverletzlichkeit verhaftet worden, ist ein gleiches Loos gestern Abend dem Dr. Stein widerfahren. Dieser stand ganz gemüthlich unter den Linden und rauchte seine Cigarre; plötzlich wird er von einem Trupp Konstablern umringt, die ihn ohne Weiteres arretiren, und als er, sich ohne Einwendungen fügend, seine Cigarre weiter rauchte, ihm dieselbe aus dem Munde schlugen, mit der Bemerkung: Sie sind verhaftet und dürfen nicht rauchen. Stein folgte ihnen ganz ruhig nach der Wache. Dort angekommen, wird er erkannt; unter tausend Entschuldigungen will man ihn entlassen. Er aber bleibt, und meint, er würde nicht früher weichen, als bis man ihm eine Gesetzesstelle nachweise, wonach das ruhige Stehen eines Einzelnen unter den Linden verboten sei. ‒ So ziehen sich denn gefährliche Wolken über dem Konstablerthum zusammen, gegen welches sich die Linke und das Centrum verschworen haben; zugleich aber auch über Kühlwetter, der mit diesem Institut stehen und fallen will, so wie über Hansemann, der den öffentlichen Kredit und das allgemeine Vertrauen in so nahe Beziehung zu den Konstablern gebracht hat. Auch der Unwille des Volkes gegen die Schutzmänner hat sich noch nicht gelegt; die Handwerker sind entrüstet darüber, daß man ihnen unverheirathete, ja auch fremde Gesellen vorgezogen hat, und diesen eine Besoldung giebt, welche manche Prolelatierfamilie ernähren könnte.
Die Bürgerwehr fängt an, gegen die Lindenklubs energisch einzuschreiten. Jeden Abend sind dort mehrere Kompagnien aufgestellt, welche gegen jeden Volkshaufen mit gefälltem Bajonet eindringen, um ihn auseinander zu treiben. Besonders tapfer benimmt sich hierbei das vierte Bataillon, dasselbe, dem Rodbertus seine Verhaftung verdankt, und dem Hr. Rimpler, unser neuer Bürgergeneral, unter dem Versprechen, es zukünftig immer zur Aufrechthaltung der Ruhe zu verwenden, eine besondere Belobigung hat zu Theil werden lassen.
Die Studenten erklären öffentlich, daß sie an der morgenden Bürgerwehrparade keinen Antheil nehmen werden. Ergötzlich ist es, das vor der Universität aufgestellte schwarze Brett der Studirenden und die Anschläge darauf zu betrachten. Auch ist dasselbe fortwährend von solchen Massen Neu- und Lesebegieriger umdrängt, daß es oft schwer hält heranzutreten um ein günstiges Plätzchen zum Lesen zu erobern. Seit mehreren Tagen wird zwischen dem reaktionären und demokratischen Theil der Studentenschaft ein hitziger Krieg geführt. Die Hengstenbergianer und die Söhne der Beamten und Adeligen haben einen Bund, den „Wingolf“ gestiftet, der aus ungefähr 40 Mitgliedern besteht. Dieser Wingolf hat vor einigen Tagen ein anonymes Plakat veröffentlicht, worin gegen die Beschlüsse der „sogenannten, allgemeinen Studentenschaft“ Protest eingelegt und dieselbe nur als ein kleiner, kaum der zehnte Theil der wirklichen Studentenschaft dargestellt wird. Es sei nur eine Partei, welche, das Treiben der Wiener Studenten nachahmend, den Königen und ihren Rathgebern nicht nur grobe „Wahrheiten, sondern auch wahre Grobheiten“ sage. Mehre Studenten forderten nun den oder die Verfasser des erwähnten Plakates öffentlich auf, ihren Namen zu nennen, wenn sie noch einen Funken von Ehre besäßen. Ja, da hapert's! Zwar traten die Herrn v. Arnim, v. Diest, v. Winterfeld, de Bourdot (wie man sieht, lauter Aristokraten) auf, welche sich offen mit jenem Plakat einverstanden erklärten; ja ein Hr. v. Puttkammer verkündet, daß er jenes Plakat „nicht direkt verfaßt“ habe, aber trotz wiederholter Aufforderungen hat noch Niemand klar und entschieden sich als Verfasser nennen wollen.
Mit der Reorganisation im Großherzogthum Posen geht es lustig weiter. In Trzemeszno hat der Landrath den Bürgermeister Perzynski ohne Weiteres von seinem Amt entfernt, und dafür einen guten Deutschen, Namens Priebe, der das Verdienst hat, Unterschriften zu einer Einverleibungsadresse nach Frankfurt gesammelt zu haben, an seine Stelle gesetzt, und außerdem mehre ihm mißliebige Polen, die früher Mitglieder des Nationalcomités gewesen waren, aus dem Magistrat verjagt. ‒ Zur Wieder-Eröffnung des Marien-Gymnasiums in Posen hat der Schulrath Brettner eine sehr schöne Rede gehalten, welche gewiß nur Wenigen der anwesenden Schüler mißfallen hat, aus dem Grunde, weil diese deutsch war, und von den Meisten deshalb nicht verstanden wurde. Der Herr Schulrath ermahnte die Jugend väterlich, den preußischen Behörden hübsch folgsam zu sein, wo nicht, so könnten sie darauf rechnen, daß die väterliche preußische Regierung das Gymnasium sofort schließen würde. (Wo bleiben die Shrapnells?) Ein kaiserlicher Ukas verordnet, daß in Petersburg alljährlich auf 2 Monate ein aus 4 Mitgliedern und einem Präses bestehendes Rabbiner-Comité zusammentreten solle. Zu dem Zwecke sollen die Rabbiner, Kaufleute und angesehenern Juden der 6 Gouvernements, in denen Juden wohnen dürfen, die betreffenden Wahlen halten, die General-Gouverneurs 18 Kandidaten vorschlagen und das Ministerium des Innern 5 Mitglieder daraus ernennen. Aufgabe des Comités ist Berichterstattung über jüdische Ritual-Gesetze und Ceremonien.
103 Berlin, 7. August. Auf der Tagesordnung zu der morgen stattfindenden Sitzung der Vereinbarer-Versammlung stehet zunächst nach geendigter Berathung und Abstimmung des Gesetzes über die Abschaffung der Todesstrafe, der Antrag des Abgeordneten Waldeck, die sofortige Erlassung der Habeas-Corpus-Akte. Dieser Antrag ist bereits in Folge des in der Sitzung vom 1. August gefaßten Beschlusses in den Abtheilungen und der von derselben gewählten Central-Abtheilung vorberathen worden. Auf den Wunsch des Minister-Präsidenten zur Herstellung eines Einverständnisses, wurden die Minister zu der am vergangenen Sonnabend stattgefundenen Sitzung der Central-Abtheilung eingeladen. Die Minister haben sich auch mit der Abtheilung über alle Punkte des ursprünglichen Antrages geeinigt. Nur über die, von der Abtheilung neu hinzugefügte Bestimmung, die Regreßpflichtigkeit der Beamten betreffend, konnte das Einverständniß mit dem Ministerium nicht erlangt werden. Die Abtheilung verharrt aber bei ihrer Ansicht und wird in ihrer heutigen Sitzung die Radaktion dieses höchstwichtigen Gesetzes mit den Motiven beendigen.
Auf den Antrag des Abgeordneten Pokrzywinicki ist in der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung vom 28. Juli eine Kommission niedergesetzt worden um zu untersuchen: „ob Veranlassung vorhanden ist, die an der Ostbahn in der streitigen Richtung von Driesen nach Bromberg begonnenen Arbeiten so lange einzustellen bis die Versammlung über die dieser Bahn zu gebende Richtung Beschluß gefaßt hat.“ Die Kommission hat sich trotzdem, daß die direkte Linie von Küstrin über Woldenberg und Conitz nach Dirschau 8 Meilen kürzer ist als die in Angriff genommene Linie über Driesen und Bromberg, für die letzten entschieden. Man sagt daß die an der bevorzugten längern Linie über Bromberg ansässigen Gutsbesitzer großen Einfluß auf diesen Beschluß ausgeübt hätten. Dadurch hat sich Herr Semrau Abgeordneter des Schlochauer Kreises, welcher Kreis von der direckten Linie über Conitz würde durchschnitten werden, veranlaßt gesehen sämmtlichen Vereinbarern eine Denkschrift über die Richtung der Ostbahn vertheilen zu lassen. Er empfiehlt die direkte Linie über Conitz, da diese Richtung: an Kosten circa 7 Millionen Thaler erspart, die Vollendung der Bahn früher in Aussicht stellt, den Bau der Strecke von Frankfurt bis Woldenberg einstweilen weniger nöthig macht, in staatswirthschaftlicher und strategischer Beziehung jede andere Linie weit hinter sich zurückläßt, und endlich West-Preußen und Hinter-Pommern befriedigt.
Der Handlungsdiener Müller stand vor der ersten Abtheilung des Criminalgerichts, angeklagt der versuchten Verleitung zur Befreiung des gefangenen Schlöffel. Ein hochgestelltes Mitglied des Denuncianten-Vereins hatte ihn beim Staatsanwalt denuncirt, die Arbeiter am Plötzensee zur Befreiung Schlöffels überredet zu haben.
Alle Arbeiter, welche heute vorgeladen waren, stellten diese Thatsache, wie sie dies schon in der Voruntersuchung gethan, bestimmt in Abrede, und der Angeklagte wurde freigesprochen.
Wie ist es aber zu verantworten, daß dieser unschuldig Denuncirte und Angeklagte, gegen den sich schon in der Voruntersuchung nicht das Geringste herausstellte, dennoch über drei Monat in Untersuchungshaft gehalten wurde. Und im Angesicht solcher Thatsachen opponirt man gegen den Erlaß einer Habeas-Corpus-Akte!
Im gleichen Falle befand sich der jetzige Inhaber Nante's, der Schriftsteller A. Hopf von Charlottenburg, welcher in Folge eines Flugblattes dem Staasanwalt wegen Majestätsbeleidigung denuncirt war. Er befand sich drei Wochen in Untersuchungshaft und wurde heute entlassen. ‒ Also der Herr Staatsanwalt braucht volle drei Wochen um zu entdecken, daß keine Majestätsbeleidigung in dem Flugblatte enthalten ist!
14 Berlin, 7. Aug. Der Huldigungstag ist vorüber. Die Soldaten haben nicht gehuldigt; die Bürgerwehr hat die Huldigung verschoben; das Volk hat gehuldigt ‒ aber nicht dem Unverantwortlichen, sondern speziell der deutschen Einheit Was aber die Bürgerwehr angeht, so verhält sich die Sache so 92 Kompagnien hatten sich vor zwei Tagen zu einer Huldigungs
Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. (Fortsetzung.)
Nach dem Abentheuer in Troppau treffen wir Hrn. v. Schnapphahnski zunächst in Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesichte und es versteht sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so vortheilhafter an's Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommirender Duellant ‒ in Berlin ist er Flaneur.
„Salamanca's Damen glühen
Wenn er durch die Straßen schreitet:
Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd
Und von Hunden stets begleitet.“
Giebt es etwas schöneres, als flaniren? Der Hauptreiz des süßen Nichtsthuns besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklingend und schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade dann flanirt, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugstiere arbeiten müssen.
Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen diese oder jene Summe profitirt, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine Havanna-Cigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in der Gluth der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen.
Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren todt schlagen. Ja, thut es! es ist mir ganz recht ‒ aber nur einen verschont mir: den Ritter Schnapphahnski!
Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Thee und das Weißbier den Rang streitig machen, wo die schönsten Garde-Offiziere und die schönsten Frauen in schlanken Taillen wetteifern, und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas Bildung besitzt, wenn auch nur für einen Silbergroschen ‒ Berlin war der Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen.
Schnapphahnski war allmählig in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Caviar ‒ ‒ ein Blaustrumpf, eine Emanzipirte, eine Giftmischerin! ‒ es war unserm Ritter einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore!
Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der letzten Affaire in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasirt war, wie eine kranke Ente.
Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnski's auf die göttliche Carlotta fielen . . . . Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte erwünschter sein, als ein Roman mit einer geistreicher Schauspielerin, und nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so unrecht.
Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein pikantes, daß man in ihr eben das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme ich gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes, eines ganzen Welttheils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr Thiers eine Rachel liebt ‒ ‒
Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhangs noch vor allen Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken; derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtniß von tausend Rivalen schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich einem seligen Räthsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der Gluth eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna, oder eine Donna Maria unter vier Augen, ist ein Triumph über die Jeunesse dorée von halb Europa.
Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es was wolle? Er machte sich auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Weh's und Ach's dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand der Blokade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und Gräben, bedient man sich einiger Dutzend Veilchen- und Rosensträuße. Das Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und Fiddeln, dem man indeß noch eine Aufforderung zur Uebergabe in möglichst gelungenen Stanzen und Sonnetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat man den Angriff eine Zeit lang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgend einer alten Thür- oder Thorwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man das Feuer wüthender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von seinem Verlangen abstehen, und man geberdet sich auch sofort wie ein betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und sich ruinirt hat an Witz, Leib und Beutel.
„Es ist eine alte Geschichte
Doch bleibt sie ewig neu ‒“
Schnapphahnski belagerte seine Corlotta mit einer wahrhaft horntollen Beständigkeit.
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(2017-03-20T13:08:10Z)
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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