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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 72. Köln, 11. August 1848.

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Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No 72. Köln, Freitag 11. August 1848.

Die "Neue Rheinische Zeitung" erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.

Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich.

Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.

Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung.

Deutschland.
* Köln, 10. Aug.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
!!! Frankfurt, 8. August.

57. Sitzung der Nationalversammlung.

Präsident: von Soiron. (Gagern setzt sich auf von Soiron's Platz.) Beginn der Sitzung 1/210 Uhr.

Tagesordnung. Fortsetzung der gestrigen Debatte. Ferner die schon vor 2 Tagen erwähnten andern Ausschußberichte über Hecker etc. - Die Galerien sind wieder gedrängt voll.

Ich schreibe ihnen die ersten Zeilen gleich um 10. Soiron beginnt mit großer komischer Würde: Meine Herren, ich wurde gestern verhindert, den Abgeordneten Brentano seine Worte wiederholen zu lassen. Heute habe ich mich aus den stenographischen Berichten überzeugt. Die Worte riefen einen Sturm hervor, den wir gewiß alle bedauern. Es sind mir bezüglich hierauf 3 Anträge zugekommen.

1. Antrag von Vinke und vielen Andern lautet: die Nationalversammlung, in Erwägung daß der Abg. Brentano durch seine Aeußerung einen deutschen Staat auf's gröblichste beleidigt, mißbilligt das Benehmen des Abgeordneten Brentano. Unter andern unterzeichnet von Künsberg, Beckerrath, Bassermann, Lychnowsky (Gelächter), Mylius, Arndt (das Kind), Jahn (der Deutsche), Jakob Grimm, Plathner, Simson und vielen Anderen.

2. Antrag, derselbe Qualm. Brentano habe einen deutschen Volksstamm, und durch diesen die Versammlung beleidigt; der Präsident solle ihn zur Ordnung rufen. Wernher v. Nierstein u. A.

3. Antrag, unterzeichnet von sehr vielen, wenigstens 70 Mitgliedern der Linken, lautet etwa: Der Abgeordnete Brentano wurde gestern gewaltsam verhindert durch viele Mitglieder der Rechten, Plathner, v. Vinke etc. Man ging sogar zu Thätlichkeiten über. Soweit ging man in der Versammlung, selbst Forderung zu Pistolenduellen einander zuzurufen. Die Linke versieht sich zum Präsidenten, er werde diesen Friedensbruch zu rügen, und die Ordnung herbeizuführen wissen.

Nach Verlesung dieser drei Adressen nimmt Soiron das Wort, und beginnt also: Meine Herren, der Abgeordnete Brentano meine Herren, (Gelächter) hat durch den Vergleich in seiner gestrigen Rede einen deutschen Volksstamm, und dadurch die ganze Versammlung beleidigt; aus diesen Gründen rufe ich - - (weiter kommt er nicht; ein donnernder Ausbruch erhebt sich links, unterstützt von den jauchzenden Gallerien. Man verlangt Diskussion über den beabsichtigten Ordnungsruf. Vogt schreit laut: Ehe die Sache nicht diskutirt ist, darf kein Ruf zur Ordnung ergehen. Schlöffel springt dem Soiron unter die Nase, und demonstrirt unter furchtbarem Beifall der Gallerien so lange, bis Soiron erbost schreit: ich rufe sie zur Ordnung, was mit Hohngelächter aufgenommen wird. Das Toben geht fort, Soiron kommt nur noch zum Wort um die Sitzung aufzuheben und bis um 11 Uhr zu vertagen. Einzelne Stimmen verlangten während des Sturmes, Gagern solle weiter präsidiren. Gagern sah dem Skandal mit ruhigem Hohne zu.

- Alle Abgeordneten bleiben inzwischen in einzelnen Gruppen tobend in der Kirche, ebenso alle Gallerien bleiben besetzt.

Um ungefähr 1/212 Uhr beginnt die Sitzung auf's neue.

Soiron: Meine Herren, Sie haben meinen Ordnungsruf gehört, (Unterbrechung und Getöse. - Links: Sie sind nicht fähig zum Präsidenten, nieder mit Soiron.)

Soiron fährt fort: der Abgeordnete Brentano ist zur Ordnung gerufen, und ich nehme keinen Widerspruch dagegen, keinen dahin gehenden Antrag mehr an. Die Sache ist erledigt.

Furchtbares Getöse. Links: Sie mögen die Präsidentschaft niederlegen, Sie sind Partei. Sie waren gestern in der Sokratesloge. Gagern erhebt sich endlich und spricht von der Tribüne mit erhabener Würde: dergleichen Auftritte mögen nie wieder vorkommen. Sie erregen unseren gerechten Zorn. Es handelt sich hier um die Rechte des Präsidenten. Es ist nicht möglich, daß der motivirte Ordnungsruf des Präsidenten Gegenstand der Diskussion werde. Haben Sie etwas dagegen, so mögen sie ihren desfallsigen Antrag schriftlich bringen. (Bravo und Zischen. Der Lärm wird schwächer.)

v. Soiron: Der Abgeordnete Brentano hat das Wort zur Fortsetzung seiner Rede.

Links: Nein! Nein! Getöse. Verschiedene Redensarten.

Vogt: Der Vicepräsident hat nicht mehr Recht als jeder Abgeordnete. (Bravo der Gallerien).

v. Soiron: Brentano hat das Wort. Furchtbares Geschrei: Nein!

v. Soiron: Brentano hat das Wort, wenn er nicht spricht, kommt der nächste Redner! (Nein! Lärm!)

Brentano besteigt hierauf die Tribüne, aber es erhebt sich solcher furchtbarer Lärm auf den Gallerien und Widerspruch links, daß Soiron den Gallerien Räumung befiehlt. Auf wiederholten, durch Gagern unterstützten Ruf Soiron's deshalb, geht Niemand fort. Endlich gehen einige Damen. Jucho und viele Abgeordnete besteigen die Gallerien, und versuchen mit Hülfe der Konstabler der Versammlung die Gallerien zu räumen. Soiron droht mit bewaffneter Macht.

Der edle Gagern selbst geht als Konstabler, sowie Hr. Polizeidirektor Biedermann, auf die Gallerien, und hilft durch Rede und Hand die Gallerien räumen. Man weicht nach und nach. Die lärmende Unterbrechung dauert fort. Jucho schreit mit Marsstimme auf den Gallerien: Im Namen der Freiheit, folgen Sie mir. (Furchtbares Gelächter.) Die bewaffnete Macht erscheint an den Thüren des Heiligthums. Alle Zuschauer und auch die Zeitungskorrespondenten verlassen unter Widersprüchen komischer und ernster Art die Gallerien. Um die Kirche herum Aufregung und Getöse.

Nach einem Beschluß der Versammlung bei festgeschlossenen Thüren werden wir (Korrespondenten) endlich nach etwa einer 1/2 Stunde wieder zugelassen.

Die Linke hat verlangt, daß man namentlich darüber abstimme, ob die Zuhörer wieder zuzulassen sein? Nach heftiger aber kurzer Debatte wird die Abstimmung beschlossen.

v. Soiron: die Frage lautet, sollen die Zuhörer jetzt wieder zugelassen werden?

Namentliche Abstimmung.

Ergebniß: Gestimmt haben: 479.
Für Nein: 380.
Für Ja: 99. (Nur ein Theil der Linken.)

Der deutsche Jahn machte, als er mit Nein stimmte, die Bemerkung: Ich will die Kerle (d. h. das Publikum) nicht hier. (Um die Kirche hört man Getöse.)

Tagesordnung.

Brentano: Meine Herren, als ein ungehört Verurtheilter appellire ich an ihre Gerechtigkeit. Ich verlange das Wort zur Vertheidigung. Der Präsident hat es mir versprochen. Ein Ordnungsruf ist eine Strafe. (Getöse draußen.) Die Strafe kommt mir nicht zu. (Gebrüll draußen.) Um dieser Strafe vorzubeugen, ist mir das Wort nicht gegeben worden vorher; ich nehme es jetzt. (Unterbrechung.)

v. Soiron: Eine Erklärung ist erlaubt, vielleicht ist ein Irrthum vorgefallen.

Brentano: Was habe ich denn mit meinen gestrigen Worten verbrochen? Liegt eine Schmähung eines deutschen Staates drin? Die Freiheit der Rede lasse ich mir nicht nehmen; ob ich von einem Fürsten oder Privatmann spreche, ist mir gleichviel. Kürzlich über den König von Hannover, und gestern über den Großherzog von Baden, sind ähnliche und noch schlimmere Worte gefallen, der erstere ganz offen ein Rebell genannt worden. Es scheint also ein anderer Grund vorzuliegen, weshalb meine Worte einen solchen Sturm erregt. In Preußen, höre ich, besteht eine Partei, die den Prinzen von Preußen zur Regierung bringen will.

Soiron unterbricht ihn.

Brentano: Die Anträge, die heute früh gegen mich eingebracht, haben mein Staunen erregt. Einer von denen, die mich noch hintendrein zur Ordnung zu rufen beantragen, hat Hand an mich gelegt, an mich, einen Abgeordneten, (große Sensation, Hohngeschrei links. Rechts: Widerspruch. Links: ja Plathner.)

Soiron hat davon nichts bemerkt.

Brentano: Man hat es gewagt (Geschrei).

Soiron: Dies müßte nach Schluß der Sitzung gewesen sein. (Links nein.)

Brentano: Ich sage, man hat Hand an mich gelegt. (Rechts wer?)

Brentano: Der Abgeordnete Plathner aus Halberstadt. (Rechts nein.) Es hat mich mit größerem Erstaunen erfüllt, daß die Abgeordneten Plathner und Wardensleben mich auf Kugeln gefordert. (Geschrei links, Kinderstreiche.) [Anmerk. Man möge den Hrn. Plathner und Wardensleben Mirabeau's Rede verlesen, worin er in der französischen Nationalversammlung bei ähnlicher Gelegenheit sagte: "das Leben eines Volksvertreters ist mehr werth als das von 100 solcher Krautjunker. Die Nation würde mich verachten, wenn ich es ihr entzöge um es gegen sie aufs Spiel zu setzen."] Mit Kugeln und Degenspitzen will man unsern Gründe entgegnen, und solche Leute wollen mich noch hinterdrein zur Ordnung rufen! Wenn der Präsident den Ordnungsruf nicht zurücknimmt, appellire ich an das deutsche Volk. Ueber die Amnestiefrage spreche ich nicht heute.

Soiron will die Debatte über die Amnestie weiter gehen lassen. Die Linke will erst die question personelle entscheiden. Man will über diese sprechen.

Soiron verweigert das Wort. Welcker soll sprechen. Venedey beantragt Vertagung; will die Amnestie in geheimer Sitzung nicht weiter besprechen.

Soiron mit seiner heiseren Bierstimme gebärdet sich schrecklich. Ob die Versammlung auf Venedey's Antrag eingehen wolle.

Nachdem noch Jordan aus Berlin sich für Vertagung der Amnestiefrage ausgesprochen, frägt Soiron die Versammlung, ob man die Debatte über die Amnestie fortsetzen wolle? Man beschließt dies.

Welcker: Sein Gewissen verbietet ihm, seinen Landsleuten gegenüber, gegen die Amnestie zu sprechen, die er doch nicht mit seinen Grundsätzen vereinbaren könne. (Die Linke geht zum Theil fort, draußen Toben.) Vertheidigt sich gegen die Anschuldigungen Simons aus Trier, als hätte er zu Ficklers Verhaftung beigetragen. Diese Vertheidigung geht ohne Widerspruch vorüber, weil die Linke nicht anwesend ist. Nach einer Lobrede auf Mathy schließt Welcker, er könne nicht für die Amnestie stimmen, weil er davon Erneuerung des Aufstandes fürchte.

Vogt, der unterdessen wieder gekommen, frägt laut vom Platze, ob der Präsident Ordre gegeben die Paulskirche mit Truppen zu umstellen.

Soiron: Nein. Uebrigens (witzig) seien die Truppen nicht gegen die Versammlung gerichtet.

Michelsen, der jetzt in der Reihe der Redner kommt, bittet nur, man solle die Debatte schließen. (Schluß, Schluß!) Die Versammlung beschließt den Schluß.

Wiedenmann, der Berichterstatter soll jetzt sprechen. (Links schreit man Vertagung, draußen dumpfes Toben.)

Venedey will die Vertagung beantragen. (Nein, nein!) Er sagt, man solle diese Stimmung bei der Abstimmung über die Amnestie nicht mißbrauchen.

Noch ein zweiter beantragt Vertagung für die Abstimmung. Draußen Toben. Bürgerwehr und Militär marschirt draußen auf. Einzelne Soldaten stehen zwischen den Ausgangsthüren.

v. Stadenhagen: Man möge morgen abstimmen.

Saucken (ein Cato) will trotz der äußeren Aufregung abstimmen, gebärdet sich furchtbar kourageus. (Bravo, bravo!)

Knieriem (ein zweiter Cato): Bravo! Wir können nicht wegen Hecker und Konsorten unsere Angelegenheiten in die Länge ziehen.

Itzstein will sprechen. Man brüllt den alten Mann von der Tribüne herunter.

Präsident fragt die Versammlung, ob sie die Abstimmung noch heute vornehmen wolle? Ja.

Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.

(Fortsetzung.)

Treue Freunde des Ritters Schnapphahnski, bedauern wir mit ihm die harte Prüfung, die das Schicksal in Folge jenes bekannten Abenteuers mit der göttlichen Carlotta über ihn verhängte. Die Moral der Geschichte war, daß weder mit einem schönen Frauenzimmer noch mit einem Garde-Offizier zu spaßen ist, und daß man nicht den Wüstling und den Bramarbas herausbeißen soll, wenn man wirklich nur ein so unschädlich liebenswürdiger Mann wie der Ritter Schnapphahnski ist. Der Adonis Carlotten's, der Gardelieutenant v. W.-M., dessen tugendhafte Entrüstung wir nicht genug anerkennen können, war schuld daran, daß unser Ritter für einige Zeit die Einsamkeit suchte, um in stillen Betrachtungen jene Ruhe des Gemüthes wiederzufinden, die er auf so leichtsinnige Weise verscherzt hatte. Zu der Furcht vor den Lakaien aus O. und zu den unangenehmen Erinnerungen aus Troppau gesellte sich nun noch die Angst vor dem verhängnißvollen Dokumente der Berliner Offiziere, und wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß das Eine oder das Andere manchmal sehr störend auf die Morgenträume unseres Helden einwirkte. Der jugendlich kühne Flug unseres Ritters war gelähmt; wie mancher andere ehrliche Mann fühlte er allmählig, daß er dem Straßenkothe näher war als den Sternen und daß der schöne schwarze Schnurrbart vielleicht das Beste an dem ganzen Menschen sei. Diese und ähnliche melancholische Gedanken waren indeß nur vorübergehend; der Ritter war von zu guter Klasse, als daß er das Leben nicht von der heitersten Seite aufgefaßt hatte.

Mag es Dir noch so schlecht gehen, sagte er oft zu sich selbst, zum allerwenigsten kannst Du doch noch immer ein ausgezeichneter Diplomat werden! Dies tröstete Hrn. v. Schnapphahnski.

Wir werden später sehen, wie unser Ritter diesen diplomatischen Gelüsten wirklich Luft machte. Ehe wir dazu übergehen, wollen wir ihm noch etwas durch die labyrinthischen Gänge seines Berliner Daseins folgen.

Wie gesagt, durchlebte der Ritter nach seiner letzten Prüfung eine Periode der Erniedrigung. Zuerst liebte er eine Gräfin, dann eine Carlotta, jetzt sollte er unter das Corps de Ballet gerathen - - zwei leidliche Beine hatten Eindruck auf unsern Ritter gemacht. Wie bitten unsere Leser wegen dieser ungemeinen Wahrheitsliebe aufs Demüthigste um Verzeihung.

Die Beine des Ballets waren damals in Berlin en vogue. Der höchste Geschmack hatte sich dazu herabgelassen und wir würden ein Verbrechen begehen, wenn wir nachträglich darüber spötteln wollten. Uebrigens schwärmen wir selbst für den Tanz. Gibt es etwas reizenderes als die süße Musik der Schenkel? Gibt es etwas berauschenderes, als wenn eine Fanny Elsner ihre Bachschen Fugen, eine Taglioni ihre Beethovenschen Symphonien, und eine Grisi ihre weichen, wollüstigen Donizettischen Arien tanzt? Jedesmal, wenn ich die Grisi sah, da war ich fest davon überzeugt, daß Gott den Menschen nur der Beine wegen geschaffen hat; gern hätte ich mich köpfen lassen; es wäre mir einerlei gewesen; ich hielt den Kopf für werthlos und ich begriff nicht, weshalb die Beine nicht die Ehre haben, oben zu stehen und weshalb der Kopf nicht nach unten geht - mit einem Worte: die Beine hatten meinen Verstand auf den Kopf gestellt. Ist es die Kraft des kleinen Fußes, aus dem das Bein so schlank emporsteigt wie ein Lilienstiel aus der Wurzel, der den ganzen Leib so graziös zu tragen weiß wie der Stamm einer Fächerpalme seine prächtig harmonische Krone - oder ist es der Schwung des ganzen Körpers, wenn er in sanften Wellenlinien melodisch dahinschaukelt und all' unsere Gedanken mit fortreißt in das wogende Meer der Sinnlichkeit - was uns dem Tanz einer Grisi mit wahrhaft religiöser Andacht zuschauen läßt? Ich weiß es nicht, aber ich danke Dir Mutter Natur, daß Du nicht nur Deine Vulkane ihre Flammen gen Himmel schleudern und Deine tannenbewachsenen Felsen so herrlich mit blitzendem Schnee prangen läßt, sondern daß Du auch Rosen und Lilien geschaffen hast und ich liebe Dich, weil Du so graziös und so bezaubernd bist herab von den ewigen Sternen, dort oben in dem Blau der Unendlichkeit bis hinunter in die Fußspitze eines schönen Weibes.

Aehnliche, wohlfeile Betrachtungen durchfuhren auch den Ritter Schnapphahnski, als er nach einigen aufmerksamen Studien, zwar nicht Helenen in jedem Weibe und nicht die Grisi in jeder Korpsspringerin entdeckte, wohl aber die Bemerkung machte, daß auch in der untern Sphäre der menschlichen Gesellschaft für Geld und gute Worte des Süßen viel zu erwarten ist. Es rieselt uns kalt über den Rücken - - zum ersten Male müssen wir von Geld und zugleich von Liebe sprechen. Ja wahrhaftig, wir sehen unsern Ritter abermals eine Stufe hinabrutschen - was ihm früher die Götter aus freien Händen gegeben: er kauft es!

Liebe kaufen! Gibt es etwas Gemeineres? Als einst am 1. Mai die Welt begann - ich glaube nämlich, daß die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und nicht am 1. Januar, wie man fälschlich vermuthen möchte, sintemalen die armen nackten Menschen, da sie nicht mit Stiefeln und Sporen auf die Welt kamen, ja im Januar sofort wieder erfroren wären - als, wie gesagt, die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und die goldne Sonne lachte und die Blumen dufteten und die Quellen rieselten, da sprach der Spatz zu der Spätzin: Spätzin, ich achte dich! Da sprach der Haifisch zu seines Gleichen: Fräulein Haifisch, ich verehre Sie! Da brüllte der Löwe zu der Löwin: Löwin, du gefällst mir! und der Mann sprach zum Weibe: Frau, ich liebe dich! Das war eine schöne Hochzeit. Man trank Burgunder und aß Austern nach Herzenslust. Menschen und Thiere saßen in bunter Reihe und als das Banquet vorüber war, da siedelten sich die Spatzen in den Lüften an, die Haifische im Wasser, die Löwen in der Wüste und die Menschen in Ninive, Babylon, Bagdad, Petersburg, Paris, Wien, Breslau u. s. w. Lange Zeit ging dies gut. Die Männer fanden stets ihre Frauen, und die Frauen ihre Männer, was die vielen artigen Buben und Mädchen bezeugen, die heuer in der Welt herumstrei-

Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No 72. Köln, Freitag 11. August 1848.

Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an.

Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich.

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Deutschland.
* Köln, 10. Aug.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
!!! Frankfurt, 8. August.

57. Sitzung der Nationalversammlung.

Präsident: von Soiron. (Gagern setzt sich auf von Soiron's Platz.) Beginn der Sitzung 1/210 Uhr.

Tagesordnung. Fortsetzung der gestrigen Debatte. Ferner die schon vor 2 Tagen erwähnten andern Ausschußberichte über Hecker etc. ‒ Die Galerien sind wieder gedrängt voll.

Ich schreibe ihnen die ersten Zeilen gleich um 10. Soiron beginnt mit großer komischer Würde: Meine Herren, ich wurde gestern verhindert, den Abgeordneten Brentano seine Worte wiederholen zu lassen. Heute habe ich mich aus den stenographischen Berichten überzeugt. Die Worte riefen einen Sturm hervor, den wir gewiß alle bedauern. Es sind mir bezüglich hierauf 3 Anträge zugekommen.

1. Antrag von Vinke und vielen Andern lautet: die Nationalversammlung, in Erwägung daß der Abg. Brentano durch seine Aeußerung einen deutschen Staat auf's gröblichste beleidigt, mißbilligt das Benehmen des Abgeordneten Brentano. Unter andern unterzeichnet von Künsberg, Beckerrath, Bassermann, Lychnowsky (Gelächter), Mylius, Arndt (das Kind), Jahn (der Deutsche), Jakob Grimm, Plathner, Simson und vielen Anderen.

2. Antrag, derselbe Qualm. Brentano habe einen deutschen Volksstamm, und durch diesen die Versammlung beleidigt; der Präsident solle ihn zur Ordnung rufen. Wernher v. Nierstein u. A.

3. Antrag, unterzeichnet von sehr vielen, wenigstens 70 Mitgliedern der Linken, lautet etwa: Der Abgeordnete Brentano wurde gestern gewaltsam verhindert durch viele Mitglieder der Rechten, Plathner, v. Vinke etc. Man ging sogar zu Thätlichkeiten über. Soweit ging man in der Versammlung, selbst Forderung zu Pistolenduellen einander zuzurufen. Die Linke versieht sich zum Präsidenten, er werde diesen Friedensbruch zu rügen, und die Ordnung herbeizuführen wissen.

Nach Verlesung dieser drei Adressen nimmt Soiron das Wort, und beginnt also: Meine Herren, der Abgeordnete Brentano meine Herren, (Gelächter) hat durch den Vergleich in seiner gestrigen Rede einen deutschen Volksstamm, und dadurch die ganze Versammlung beleidigt; aus diesen Gründen rufe ich ‒ ‒ (weiter kommt er nicht; ein donnernder Ausbruch erhebt sich links, unterstützt von den jauchzenden Gallerien. Man verlangt Diskussion über den beabsichtigten Ordnungsruf. Vogt schreit laut: Ehe die Sache nicht diskutirt ist, darf kein Ruf zur Ordnung ergehen. Schlöffel springt dem Soiron unter die Nase, und demonstrirt unter furchtbarem Beifall der Gallerien so lange, bis Soiron erbost schreit: ich rufe sie zur Ordnung, was mit Hohngelächter aufgenommen wird. Das Toben geht fort, Soiron kommt nur noch zum Wort um die Sitzung aufzuheben und bis um 11 Uhr zu vertagen. Einzelne Stimmen verlangten während des Sturmes, Gagern solle weiter präsidiren. Gagern sah dem Skandal mit ruhigem Hohne zu.

‒ Alle Abgeordneten bleiben inzwischen in einzelnen Gruppen tobend in der Kirche, ebenso alle Gallerien bleiben besetzt.

Um ungefähr 1/212 Uhr beginnt die Sitzung auf's neue.

Soiron: Meine Herren, Sie haben meinen Ordnungsruf gehört, (Unterbrechung und Getöse. ‒ Links: Sie sind nicht fähig zum Präsidenten, nieder mit Soiron.)

Soiron fährt fort: der Abgeordnete Brentano ist zur Ordnung gerufen, und ich nehme keinen Widerspruch dagegen, keinen dahin gehenden Antrag mehr an. Die Sache ist erledigt.

Furchtbares Getöse. Links: Sie mögen die Präsidentschaft niederlegen, Sie sind Partei. Sie waren gestern in der Sokratesloge. Gagern erhebt sich endlich und spricht von der Tribüne mit erhabener Würde: dergleichen Auftritte mögen nie wieder vorkommen. Sie erregen unseren gerechten Zorn. Es handelt sich hier um die Rechte des Präsidenten. Es ist nicht möglich, daß der motivirte Ordnungsruf des Präsidenten Gegenstand der Diskussion werde. Haben Sie etwas dagegen, so mögen sie ihren desfallsigen Antrag schriftlich bringen. (Bravo und Zischen. Der Lärm wird schwächer.)

v. Soiron: Der Abgeordnete Brentano hat das Wort zur Fortsetzung seiner Rede.

Links: Nein! Nein! Getöse. Verschiedene Redensarten.

Vogt: Der Vicepräsident hat nicht mehr Recht als jeder Abgeordnete. (Bravo der Gallerien).

v. Soiron: Brentano hat das Wort. Furchtbares Geschrei: Nein!

v. Soiron: Brentano hat das Wort, wenn er nicht spricht, kommt der nächste Redner! (Nein! Lärm!)

Brentano besteigt hierauf die Tribüne, aber es erhebt sich solcher furchtbarer Lärm auf den Gallerien und Widerspruch links, daß Soiron den Gallerien Räumung befiehlt. Auf wiederholten, durch Gagern unterstützten Ruf Soiron's deshalb, geht Niemand fort. Endlich gehen einige Damen. Jucho und viele Abgeordnete besteigen die Gallerien, und versuchen mit Hülfe der Konstabler der Versammlung die Gallerien zu räumen. Soiron droht mit bewaffneter Macht.

Der edle Gagern selbst geht als Konstabler, sowie Hr. Polizeidirektor Biedermann, auf die Gallerien, und hilft durch Rede und Hand die Gallerien räumen. Man weicht nach und nach. Die lärmende Unterbrechung dauert fort. Jucho schreit mit Marsstimme auf den Gallerien: Im Namen der Freiheit, folgen Sie mir. (Furchtbares Gelächter.) Die bewaffnete Macht erscheint an den Thüren des Heiligthums. Alle Zuschauer und auch die Zeitungskorrespondenten verlassen unter Widersprüchen komischer und ernster Art die Gallerien. Um die Kirche herum Aufregung und Getöse.

Nach einem Beschluß der Versammlung bei festgeschlossenen Thüren werden wir (Korrespondenten) endlich nach etwa einer 1/2 Stunde wieder zugelassen.

Die Linke hat verlangt, daß man namentlich darüber abstimme, ob die Zuhörer wieder zuzulassen sein? Nach heftiger aber kurzer Debatte wird die Abstimmung beschlossen.

v. Soiron: die Frage lautet, sollen die Zuhörer jetzt wieder zugelassen werden?

Namentliche Abstimmung.

Ergebniß: Gestimmt haben: 479.
Für Nein: 380.
Für Ja: 99. (Nur ein Theil der Linken.)

Der deutsche Jahn machte, als er mit Nein stimmte, die Bemerkung: Ich will die Kerle (d. h. das Publikum) nicht hier. (Um die Kirche hört man Getöse.)

Tagesordnung.

Brentano: Meine Herren, als ein ungehört Verurtheilter appellire ich an ihre Gerechtigkeit. Ich verlange das Wort zur Vertheidigung. Der Präsident hat es mir versprochen. Ein Ordnungsruf ist eine Strafe. (Getöse draußen.) Die Strafe kommt mir nicht zu. (Gebrüll draußen.) Um dieser Strafe vorzubeugen, ist mir das Wort nicht gegeben worden vorher; ich nehme es jetzt. (Unterbrechung.)

v. Soiron: Eine Erklärung ist erlaubt, vielleicht ist ein Irrthum vorgefallen.

Brentano: Was habe ich denn mit meinen gestrigen Worten verbrochen? Liegt eine Schmähung eines deutschen Staates drin? Die Freiheit der Rede lasse ich mir nicht nehmen; ob ich von einem Fürsten oder Privatmann spreche, ist mir gleichviel. Kürzlich über den König von Hannover, und gestern über den Großherzog von Baden, sind ähnliche und noch schlimmere Worte gefallen, der erstere ganz offen ein Rebell genannt worden. Es scheint also ein anderer Grund vorzuliegen, weshalb meine Worte einen solchen Sturm erregt. In Preußen, höre ich, besteht eine Partei, die den Prinzen von Preußen zur Regierung bringen will.

Soiron unterbricht ihn.

Brentano: Die Anträge, die heute früh gegen mich eingebracht, haben mein Staunen erregt. Einer von denen, die mich noch hintendrein zur Ordnung zu rufen beantragen, hat Hand an mich gelegt, an mich, einen Abgeordneten, (große Sensation, Hohngeschrei links. Rechts: Widerspruch. Links: ja Plathner.)

Soiron hat davon nichts bemerkt.

Brentano: Man hat es gewagt (Geschrei).

Soiron: Dies müßte nach Schluß der Sitzung gewesen sein. (Links nein.)

Brentano: Ich sage, man hat Hand an mich gelegt. (Rechts wer?)

Brentano: Der Abgeordnete Plathner aus Halberstadt. (Rechts nein.) Es hat mich mit größerem Erstaunen erfüllt, daß die Abgeordneten Plathner und Wardensleben mich auf Kugeln gefordert. (Geschrei links, Kinderstreiche.) [Anmerk. Man möge den Hrn. Plathner und Wardensleben Mirabeau's Rede verlesen, worin er in der französischen Nationalversammlung bei ähnlicher Gelegenheit sagte: „das Leben eines Volksvertreters ist mehr werth als das von 100 solcher Krautjunker. Die Nation würde mich verachten, wenn ich es ihr entzöge um es gegen sie aufs Spiel zu setzen.“] Mit Kugeln und Degenspitzen will man unsern Gründe entgegnen, und solche Leute wollen mich noch hinterdrein zur Ordnung rufen! Wenn der Präsident den Ordnungsruf nicht zurücknimmt, appellire ich an das deutsche Volk. Ueber die Amnestiefrage spreche ich nicht heute.

Soiron will die Debatte über die Amnestie weiter gehen lassen. Die Linke will erst die question personelle entscheiden. Man will über diese sprechen.

Soiron verweigert das Wort. Welcker soll sprechen. Venedey beantragt Vertagung; will die Amnestie in geheimer Sitzung nicht weiter besprechen.

Soiron mit seiner heiseren Bierstimme gebärdet sich schrecklich. Ob die Versammlung auf Venedey's Antrag eingehen wolle.

Nachdem noch Jordan aus Berlin sich für Vertagung der Amnestiefrage ausgesprochen, frägt Soiron die Versammlung, ob man die Debatte über die Amnestie fortsetzen wolle? Man beschließt dies.

Welcker: Sein Gewissen verbietet ihm, seinen Landsleuten gegenüber, gegen die Amnestie zu sprechen, die er doch nicht mit seinen Grundsätzen vereinbaren könne. (Die Linke geht zum Theil fort, draußen Toben.) Vertheidigt sich gegen die Anschuldigungen Simons aus Trier, als hätte er zu Ficklers Verhaftung beigetragen. Diese Vertheidigung geht ohne Widerspruch vorüber, weil die Linke nicht anwesend ist. Nach einer Lobrede auf Mathy schließt Welcker, er könne nicht für die Amnestie stimmen, weil er davon Erneuerung des Aufstandes fürchte.

Vogt, der unterdessen wieder gekommen, frägt laut vom Platze, ob der Präsident Ordre gegeben die Paulskirche mit Truppen zu umstellen.

Soiron: Nein. Uebrigens (witzig) seien die Truppen nicht gegen die Versammlung gerichtet.

Michelsen, der jetzt in der Reihe der Redner kommt, bittet nur, man solle die Debatte schließen. (Schluß, Schluß!) Die Versammlung beschließt den Schluß.

Wiedenmann, der Berichterstatter soll jetzt sprechen. (Links schreit man Vertagung, draußen dumpfes Toben.)

Venedey will die Vertagung beantragen. (Nein, nein!) Er sagt, man solle diese Stimmung bei der Abstimmung über die Amnestie nicht mißbrauchen.

Noch ein zweiter beantragt Vertagung für die Abstimmung. Draußen Toben. Bürgerwehr und Militär marschirt draußen auf. Einzelne Soldaten stehen zwischen den Ausgangsthüren.

v. Stadenhagen: Man möge morgen abstimmen.

Saucken (ein Cato) will trotz der äußeren Aufregung abstimmen, gebärdet sich furchtbar kourageus. (Bravo, bravo!)

Knieriem (ein zweiter Cato): Bravo! Wir können nicht wegen Hecker und Konsorten unsere Angelegenheiten in die Länge ziehen.

Itzstein will sprechen. Man brüllt den alten Mann von der Tribüne herunter.

Präsident fragt die Versammlung, ob sie die Abstimmung noch heute vornehmen wolle? Ja.

Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.

(Fortsetzung.)

Treue Freunde des Ritters Schnapphahnski, bedauern wir mit ihm die harte Prüfung, die das Schicksal in Folge jenes bekannten Abenteuers mit der göttlichen Carlotta über ihn verhängte. Die Moral der Geschichte war, daß weder mit einem schönen Frauenzimmer noch mit einem Garde-Offizier zu spaßen ist, und daß man nicht den Wüstling und den Bramarbas herausbeißen soll, wenn man wirklich nur ein so unschädlich liebenswürdiger Mann wie der Ritter Schnapphahnski ist. Der Adonis Carlotten's, der Gardelieutenant v. W.-M., dessen tugendhafte Entrüstung wir nicht genug anerkennen können, war schuld daran, daß unser Ritter für einige Zeit die Einsamkeit suchte, um in stillen Betrachtungen jene Ruhe des Gemüthes wiederzufinden, die er auf so leichtsinnige Weise verscherzt hatte. Zu der Furcht vor den Lakaien aus O. und zu den unangenehmen Erinnerungen aus Troppau gesellte sich nun noch die Angst vor dem verhängnißvollen Dokumente der Berliner Offiziere, und wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß das Eine oder das Andere manchmal sehr störend auf die Morgenträume unseres Helden einwirkte. Der jugendlich kühne Flug unseres Ritters war gelähmt; wie mancher andere ehrliche Mann fühlte er allmählig, daß er dem Straßenkothe näher war als den Sternen und daß der schöne schwarze Schnurrbart vielleicht das Beste an dem ganzen Menschen sei. Diese und ähnliche melancholische Gedanken waren indeß nur vorübergehend; der Ritter war von zu guter Klasse, als daß er das Leben nicht von der heitersten Seite aufgefaßt hatte.

Mag es Dir noch so schlecht gehen, sagte er oft zu sich selbst, zum allerwenigsten kannst Du doch noch immer ein ausgezeichneter Diplomat werden! Dies tröstete Hrn. v. Schnapphahnski.

Wir werden später sehen, wie unser Ritter diesen diplomatischen Gelüsten wirklich Luft machte. Ehe wir dazu übergehen, wollen wir ihm noch etwas durch die labyrinthischen Gänge seines Berliner Daseins folgen.

Wie gesagt, durchlebte der Ritter nach seiner letzten Prüfung eine Periode der Erniedrigung. Zuerst liebte er eine Gräfin, dann eine Carlotta, jetzt sollte er unter das Corps de Ballet gerathen ‒ ‒ zwei leidliche Beine hatten Eindruck auf unsern Ritter gemacht. Wie bitten unsere Leser wegen dieser ungemeinen Wahrheitsliebe aufs Demüthigste um Verzeihung.

Die Beine des Ballets waren damals in Berlin en vogue. Der höchste Geschmack hatte sich dazu herabgelassen und wir würden ein Verbrechen begehen, wenn wir nachträglich darüber spötteln wollten. Uebrigens schwärmen wir selbst für den Tanz. Gibt es etwas reizenderes als die süße Musik der Schenkel? Gibt es etwas berauschenderes, als wenn eine Fanny Elsner ihre Bachschen Fugen, eine Taglioni ihre Beethovenschen Symphonien, und eine Grisi ihre weichen, wollüstigen Donizettischen Arien tanzt? Jedesmal, wenn ich die Grisi sah, da war ich fest davon überzeugt, daß Gott den Menschen nur der Beine wegen geschaffen hat; gern hätte ich mich köpfen lassen; es wäre mir einerlei gewesen; ich hielt den Kopf für werthlos und ich begriff nicht, weshalb die Beine nicht die Ehre haben, oben zu stehen und weshalb der Kopf nicht nach unten geht ‒ mit einem Worte: die Beine hatten meinen Verstand auf den Kopf gestellt. Ist es die Kraft des kleinen Fußes, aus dem das Bein so schlank emporsteigt wie ein Lilienstiel aus der Wurzel, der den ganzen Leib so graziös zu tragen weiß wie der Stamm einer Fächerpalme seine prächtig harmonische Krone ‒ oder ist es der Schwung des ganzen Körpers, wenn er in sanften Wellenlinien melodisch dahinschaukelt und all' unsere Gedanken mit fortreißt in das wogende Meer der Sinnlichkeit ‒ was uns dem Tanz einer Grisi mit wahrhaft religiöser Andacht zuschauen läßt? Ich weiß es nicht, aber ich danke Dir Mutter Natur, daß Du nicht nur Deine Vulkane ihre Flammen gen Himmel schleudern und Deine tannenbewachsenen Felsen so herrlich mit blitzendem Schnee prangen läßt, sondern daß Du auch Rosen und Lilien geschaffen hast und ich liebe Dich, weil Du so graziös und so bezaubernd bist herab von den ewigen Sternen, dort oben in dem Blau der Unendlichkeit bis hinunter in die Fußspitze eines schönen Weibes.

Aehnliche, wohlfeile Betrachtungen durchfuhren auch den Ritter Schnapphahnski, als er nach einigen aufmerksamen Studien, zwar nicht Helenen in jedem Weibe und nicht die Grisi in jeder Korpsspringerin entdeckte, wohl aber die Bemerkung machte, daß auch in der untern Sphäre der menschlichen Gesellschaft für Geld und gute Worte des Süßen viel zu erwarten ist. Es rieselt uns kalt über den Rücken ‒ ‒ zum ersten Male müssen wir von Geld und zugleich von Liebe sprechen. Ja wahrhaftig, wir sehen unsern Ritter abermals eine Stufe hinabrutschen ‒ was ihm früher die Götter aus freien Händen gegeben: er kauft es!

Liebe kaufen! Gibt es etwas Gemeineres? Als einst am 1. Mai die Welt begann ‒ ich glaube nämlich, daß die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und nicht am 1. Januar, wie man fälschlich vermuthen möchte, sintemalen die armen nackten Menschen, da sie nicht mit Stiefeln und Sporen auf die Welt kamen, ja im Januar sofort wieder erfroren wären ‒ als, wie gesagt, die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und die goldne Sonne lachte und die Blumen dufteten und die Quellen rieselten, da sprach der Spatz zu der Spätzin: Spätzin, ich achte dich! Da sprach der Haifisch zu seines Gleichen: Fräulein Haifisch, ich verehre Sie! Da brüllte der Löwe zu der Löwin: Löwin, du gefällst mir! und der Mann sprach zum Weibe: Frau, ich liebe dich! Das war eine schöne Hochzeit. Man trank Burgunder und aß Austern nach Herzenslust. Menschen und Thiere saßen in bunter Reihe und als das Banquet vorüber war, da siedelten sich die Spatzen in den Lüften an, die Haifische im Wasser, die Löwen in der Wüste und die Menschen in Ninive, Babylon, Bagdad, Petersburg, Paris, Wien, Breslau u. s. w. Lange Zeit ging dies gut. Die Männer fanden stets ihre Frauen, und die Frauen ihre Männer, was die vielen artigen Buben und Mädchen bezeugen, die heuer in der Welt herumstrei-

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        <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung.</titlePart>
        <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart>
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          <docDate>No 72. Köln, Freitag 11. August 1848.</docDate>
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        <head>Deutschland.</head>
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          <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Der dänische Waffenstillstand und Hansemann. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 568.</bibl>                </note>
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 10. Aug.</head>
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          <head><bibl><author>!!!</author></bibl> Frankfurt, 8. August.</head>
          <p>57. Sitzung der Nationalversammlung.</p>
          <p>Präsident: von Soiron. (Gagern setzt sich auf von Soiron's Platz.) Beginn der                         Sitzung 1/210 Uhr.</p>
          <p>Tagesordnung. Fortsetzung der gestrigen Debatte. Ferner die schon vor 2 Tagen                         erwähnten andern Ausschußberichte über Hecker etc. &#x2012; Die Galerien sind                         wieder gedrängt voll.</p>
          <p>Ich schreibe ihnen die ersten Zeilen gleich um 10. Soiron beginnt mit großer                         komischer Würde: Meine Herren, ich wurde gestern verhindert, den                         Abgeordneten Brentano seine Worte wiederholen zu lassen. Heute habe ich mich                         aus den stenographischen Berichten überzeugt. Die Worte riefen einen Sturm                         hervor, den wir gewiß alle bedauern. Es sind mir bezüglich hierauf 3 Anträge                         zugekommen.</p>
          <p>1. Antrag von Vinke und vielen Andern lautet: die Nationalversammlung, in                         Erwägung daß der Abg. Brentano durch seine Aeußerung einen deutschen Staat                         auf's gröblichste beleidigt, mißbilligt das Benehmen des Abgeordneten                         Brentano. Unter andern unterzeichnet von Künsberg, Beckerrath, Bassermann,                         Lychnowsky (Gelächter), Mylius, Arndt (das Kind), Jahn (der Deutsche), Jakob                         Grimm, Plathner, Simson und vielen Anderen.</p>
          <p>2. Antrag, derselbe Qualm. Brentano habe einen deutschen Volksstamm, und                         durch diesen die Versammlung beleidigt; der Präsident solle ihn zur Ordnung                         rufen. Wernher v. Nierstein u. A.</p>
          <p>3. Antrag, unterzeichnet von sehr vielen, wenigstens 70 Mitgliedern der                         Linken, lautet etwa: Der Abgeordnete Brentano wurde gestern gewaltsam                         verhindert durch viele Mitglieder der Rechten, Plathner, v. Vinke etc. Man                         ging sogar zu Thätlichkeiten über. Soweit ging man in der Versammlung,                         selbst Forderung zu Pistolenduellen einander zuzurufen. Die Linke versieht                         sich zum Präsidenten, er werde diesen Friedensbruch zu rügen, und die                         Ordnung herbeizuführen wissen.</p>
          <p>Nach Verlesung dieser drei Adressen nimmt Soiron das Wort, und beginnt also:                         Meine Herren, der Abgeordnete Brentano meine Herren, (Gelächter) hat durch                         den Vergleich in seiner gestrigen Rede einen deutschen Volksstamm, und                         dadurch die ganze Versammlung beleidigt; aus diesen Gründen rufe ich &#x2012; &#x2012;                         (weiter kommt er nicht; ein donnernder Ausbruch erhebt sich links,                         unterstützt von den jauchzenden Gallerien. Man verlangt Diskussion über den                         beabsichtigten Ordnungsruf. Vogt schreit laut: Ehe die Sache nicht diskutirt                         ist, darf kein Ruf zur Ordnung ergehen. Schlöffel springt dem Soiron unter                         die Nase, und demonstrirt unter furchtbarem Beifall der Gallerien so lange,                         bis Soiron erbost schreit: ich rufe sie zur Ordnung, was mit Hohngelächter                         aufgenommen wird. Das Toben geht fort, Soiron kommt nur noch zum Wort um die                         Sitzung aufzuheben und bis um 11 Uhr zu vertagen. Einzelne Stimmen                         verlangten während des Sturmes, Gagern solle weiter präsidiren. Gagern sah                         dem Skandal mit ruhigem Hohne zu.</p>
          <p>&#x2012; Alle Abgeordneten bleiben inzwischen in einzelnen Gruppen tobend in der                         Kirche, ebenso alle Gallerien bleiben besetzt.</p>
          <p>Um ungefähr 1/212 Uhr beginnt die Sitzung auf's neue.</p>
          <p><hi rendition="#g">Soiron:</hi> Meine Herren, Sie haben meinen Ordnungsruf                         gehört, (Unterbrechung und Getöse. &#x2012; Links: Sie sind nicht fähig zum                         Präsidenten, nieder mit Soiron.)</p>
          <p>Soiron fährt fort: der Abgeordnete Brentano ist zur Ordnung gerufen, und ich                         nehme keinen Widerspruch dagegen, keinen dahin gehenden Antrag mehr an. Die                         Sache ist erledigt.</p>
          <p>Furchtbares Getöse. Links: Sie mögen die Präsidentschaft niederlegen, Sie                         sind Partei. Sie waren gestern in der Sokratesloge. Gagern erhebt sich                         endlich und spricht von der Tribüne mit erhabener Würde: dergleichen                         Auftritte mögen nie wieder vorkommen. Sie erregen unseren gerechten Zorn. Es                         handelt sich hier um die Rechte des Präsidenten. Es ist nicht möglich, daß                         der motivirte Ordnungsruf des Präsidenten Gegenstand der Diskussion werde.                         Haben Sie etwas dagegen, so mögen sie ihren desfallsigen Antrag schriftlich                         bringen. (Bravo und Zischen. Der Lärm wird schwächer.)</p>
          <p><hi rendition="#g">v. Soiron:</hi> Der Abgeordnete Brentano hat das Wort zur                         Fortsetzung seiner Rede.</p>
          <p>Links: Nein! Nein! Getöse. Verschiedene Redensarten.</p>
          <p><hi rendition="#g">Vogt:</hi> Der Vicepräsident hat nicht mehr Recht als                         jeder Abgeordnete. (Bravo der Gallerien).</p>
          <p><hi rendition="#g">v. Soiron:</hi> Brentano hat das Wort. Furchtbares                         Geschrei: Nein!</p>
          <p><hi rendition="#g">v. Soiron:</hi> Brentano hat das Wort, wenn er nicht                         spricht, kommt der nächste Redner! (Nein! Lärm!)</p>
          <p>Brentano besteigt hierauf die Tribüne, aber es erhebt sich solcher                         furchtbarer Lärm auf den Gallerien und Widerspruch links, daß Soiron den                         Gallerien Räumung befiehlt. Auf wiederholten, durch Gagern unterstützten Ruf                         Soiron's deshalb, geht Niemand fort. Endlich gehen einige Damen. Jucho und                         viele Abgeordnete besteigen die Gallerien, und versuchen mit Hülfe der                         Konstabler der Versammlung die Gallerien zu räumen. Soiron droht mit                         bewaffneter Macht.</p>
          <p>Der edle Gagern selbst geht als Konstabler, sowie Hr. Polizeidirektor                         Biedermann, auf die Gallerien, und hilft durch Rede und Hand die Gallerien                         räumen. Man weicht nach und nach. Die lärmende Unterbrechung dauert fort.                         Jucho schreit mit Marsstimme auf den Gallerien: Im Namen der Freiheit,                         folgen Sie mir. (Furchtbares Gelächter.) Die bewaffnete Macht erscheint an                         den Thüren des Heiligthums. Alle Zuschauer und auch die                         Zeitungskorrespondenten verlassen unter Widersprüchen komischer und ernster                         Art die Gallerien. Um die Kirche herum Aufregung und Getöse.</p>
          <p>Nach einem Beschluß der Versammlung bei festgeschlossenen Thüren werden wir                         (Korrespondenten) endlich nach etwa einer 1/2 Stunde wieder zugelassen.</p>
          <p>Die Linke hat verlangt, daß man namentlich darüber abstimme, ob die Zuhörer                         wieder zuzulassen sein? Nach heftiger aber kurzer Debatte wird die                         Abstimmung beschlossen.</p>
          <p><hi rendition="#g">v. Soiron:</hi> die Frage lautet, sollen die Zuhörer jetzt                         wieder zugelassen werden?</p>
          <p>Namentliche Abstimmung.</p>
          <p rendition="#et">Ergebniß: Gestimmt haben: 479.<lb/>
Für Nein: 380.<lb/>
Für                         Ja: 99. (Nur ein Theil der Linken.)</p>
          <p>Der deutsche Jahn machte, als er mit Nein stimmte, die Bemerkung: Ich will                         die Kerle (d. h. das Publikum) nicht hier. (Um die Kirche hört man                         Getöse.)</p>
          <p>Tagesordnung.</p>
          <p><hi rendition="#g">Brentano:</hi> Meine Herren, als ein ungehört                         Verurtheilter appellire ich an ihre Gerechtigkeit. Ich verlange das Wort zur                         Vertheidigung. Der Präsident hat es mir versprochen. Ein Ordnungsruf ist                         eine Strafe. (Getöse draußen.) Die Strafe kommt mir nicht zu. (Gebrüll                         draußen.) Um dieser Strafe vorzubeugen, ist mir das Wort nicht gegeben                         worden vorher; ich nehme es jetzt. (Unterbrechung.)</p>
          <p><hi rendition="#g">v. Soiron:</hi> Eine Erklärung ist erlaubt, vielleicht ist                         ein Irrthum vorgefallen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Brentano:</hi> Was habe ich denn mit meinen gestrigen                         Worten verbrochen? Liegt eine Schmähung eines deutschen Staates drin? Die                         Freiheit der Rede lasse ich mir nicht nehmen; ob ich von einem Fürsten oder                         Privatmann spreche, ist mir gleichviel. Kürzlich über den König von                         Hannover, und gestern über den Großherzog von Baden, sind ähnliche und noch                         schlimmere Worte gefallen, der erstere ganz offen ein Rebell genannt worden.                         Es scheint also ein anderer Grund vorzuliegen, weshalb meine Worte einen                         solchen Sturm erregt. In Preußen, höre ich, besteht eine Partei, die den                         Prinzen von Preußen zur Regierung bringen will.</p>
          <p>Soiron unterbricht ihn.</p>
          <p><hi rendition="#g">Brentano:</hi> Die Anträge, die heute früh gegen mich                         eingebracht, haben mein Staunen erregt. Einer von denen, die mich noch                         hintendrein zur Ordnung zu rufen beantragen, hat Hand an mich gelegt, an                         mich, einen Abgeordneten, (große Sensation, Hohngeschrei links. Rechts:                         Widerspruch. Links: ja Plathner.)</p>
          <p>Soiron hat davon nichts bemerkt.</p>
          <p><hi rendition="#g">Brentano:</hi> Man hat es gewagt (Geschrei).</p>
          <p><hi rendition="#g">Soiron:</hi> Dies müßte nach Schluß der Sitzung gewesen                         sein. (Links nein.)</p>
          <p><hi rendition="#g">Brentano:</hi> Ich sage, man hat Hand an mich gelegt.                         (Rechts wer?)</p>
          <p><hi rendition="#g">Brentano:</hi> Der Abgeordnete Plathner aus Halberstadt.                         (Rechts nein.) Es hat mich mit größerem Erstaunen erfüllt, daß die                         Abgeordneten Plathner und Wardensleben mich auf Kugeln gefordert. (Geschrei                         links, Kinderstreiche.) [<hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Man möge den Hrn.                         Plathner und Wardensleben Mirabeau's Rede verlesen, worin er in der                         französischen Nationalversammlung bei ähnlicher Gelegenheit sagte: &#x201E;das                         Leben eines Volksvertreters ist mehr werth als das von 100 solcher                         Krautjunker. Die Nation würde mich verachten, wenn ich es ihr entzöge um es                         gegen sie aufs Spiel zu setzen.&#x201C;] Mit Kugeln und Degenspitzen will man                         unsern Gründe entgegnen, und solche Leute wollen mich noch hinterdrein zur                         Ordnung rufen! Wenn der Präsident den Ordnungsruf nicht zurücknimmt,                         appellire ich an das deutsche Volk. Ueber die Amnestiefrage spreche ich                         nicht heute.</p>
          <p>Soiron will die Debatte über die Amnestie weiter gehen lassen. Die Linke will                         erst die question personelle entscheiden. Man will über diese sprechen.</p>
          <p>Soiron verweigert das Wort. Welcker soll sprechen. Venedey beantragt                         Vertagung; will die Amnestie in geheimer Sitzung nicht weiter                         besprechen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Soiron</hi> mit seiner heiseren Bierstimme gebärdet sich                         schrecklich. Ob die Versammlung auf Venedey's Antrag eingehen wolle.</p>
          <p>Nachdem noch Jordan aus Berlin sich für Vertagung der Amnestiefrage                         ausgesprochen, frägt Soiron die Versammlung, ob man die Debatte über die                         Amnestie fortsetzen wolle? Man beschließt dies.</p>
          <p><hi rendition="#g">Welcker:</hi> Sein Gewissen verbietet ihm, seinen                         Landsleuten gegenüber, gegen die Amnestie zu sprechen, die er doch nicht mit                         seinen Grundsätzen vereinbaren könne. (Die Linke geht zum Theil fort,                         draußen Toben.) Vertheidigt sich gegen die Anschuldigungen Simons aus Trier,                         als hätte er zu Ficklers Verhaftung beigetragen. Diese Vertheidigung geht                         ohne Widerspruch vorüber, weil die Linke nicht anwesend ist. Nach einer                         Lobrede auf Mathy schließt Welcker, er könne nicht für die Amnestie stimmen,                         weil er davon Erneuerung des Aufstandes fürchte.</p>
          <p><hi rendition="#g">Vogt,</hi> der unterdessen wieder gekommen, frägt laut vom                         Platze, ob der Präsident Ordre gegeben die Paulskirche mit Truppen zu                         umstellen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Soiron:</hi> Nein. Uebrigens (witzig) seien die Truppen                         nicht gegen die Versammlung gerichtet.</p>
          <p><hi rendition="#g">Michelsen,</hi> der jetzt in der Reihe der Redner kommt,                         bittet nur, man solle die Debatte schließen. (Schluß, Schluß!) Die                         Versammlung beschließt den Schluß.</p>
          <p><hi rendition="#g">Wiedenmann,</hi> der Berichterstatter soll jetzt sprechen.                         (Links schreit man Vertagung, draußen dumpfes Toben.)</p>
          <p><hi rendition="#g">Venedey</hi> will die Vertagung beantragen. (Nein, nein!)                         Er sagt, man solle diese Stimmung bei der Abstimmung über die Amnestie nicht                         mißbrauchen.</p>
          <p>Noch ein zweiter beantragt Vertagung für die Abstimmung. Draußen Toben.                         Bürgerwehr und Militär marschirt draußen auf. Einzelne Soldaten stehen                         zwischen den Ausgangsthüren.</p>
          <p><hi rendition="#g">v. Stadenhagen:</hi> Man möge morgen abstimmen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Saucken</hi> (ein Cato) will trotz der äußeren Aufregung                         abstimmen, gebärdet sich furchtbar kourageus. (Bravo, bravo!)</p>
          <p><hi rendition="#g">Knieriem</hi> (ein zweiter Cato): Bravo! Wir können nicht                         wegen Hecker und Konsorten unsere Angelegenheiten in die Länge ziehen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Itzstein</hi> will sprechen. Man brüllt den alten Mann von                         der Tribüne herunter.</p>
          <p>Präsident fragt die Versammlung, ob sie die Abstimmung noch heute vornehmen                         wolle? Ja.</p>
        </div>
      </div>
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        <div xml:id="ar072_003" type="jArticle">
          <head>Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.</head>
          <p>
            <ref type="link">(Fortsetzung.)</ref>
          </p>
          <p>Treue Freunde des Ritters Schnapphahnski, bedauern wir mit ihm die harte                         Prüfung, die das Schicksal in Folge jenes bekannten Abenteuers mit der                         göttlichen Carlotta über ihn verhängte. Die Moral der Geschichte war, daß                         weder mit einem schönen Frauenzimmer noch mit einem Garde-Offizier zu spaßen                         ist, und daß man nicht den Wüstling und den Bramarbas herausbeißen soll,                         wenn man wirklich nur ein so unschädlich liebenswürdiger Mann wie der Ritter                         Schnapphahnski ist. Der Adonis Carlotten's, der Gardelieutenant v. W.-M.,                         dessen tugendhafte Entrüstung wir nicht genug anerkennen können, war schuld                         daran, daß unser Ritter für einige Zeit die Einsamkeit suchte, um in stillen                         Betrachtungen jene Ruhe des Gemüthes wiederzufinden, die er auf so                         leichtsinnige Weise verscherzt hatte. Zu der Furcht vor den Lakaien aus O.                         und zu den unangenehmen Erinnerungen aus Troppau gesellte sich nun noch die                         Angst vor dem verhängnißvollen Dokumente der Berliner Offiziere, und wir                         brauchen wohl nicht zu versichern, daß das Eine oder das Andere manchmal                         sehr störend auf die Morgenträume unseres Helden einwirkte. Der jugendlich                         kühne Flug unseres Ritters war gelähmt; wie mancher andere ehrliche Mann                         fühlte er allmählig, daß er dem Straßenkothe näher war als den Sternen und                         daß der schöne schwarze Schnurrbart vielleicht das Beste an dem ganzen                         Menschen sei. Diese und ähnliche melancholische Gedanken waren indeß nur                         vorübergehend; der Ritter war von zu guter Klasse, als daß er das Leben                         nicht von der heitersten Seite aufgefaßt hatte.</p>
          <p>Mag es Dir noch so schlecht gehen, sagte er oft zu sich selbst, zum                         allerwenigsten kannst Du doch noch immer ein ausgezeichneter Diplomat                         werden! Dies tröstete Hrn. v. Schnapphahnski.</p>
          <p>Wir werden später sehen, wie unser Ritter diesen diplomatischen Gelüsten                         wirklich Luft machte. Ehe wir dazu übergehen, wollen wir ihm noch etwas                         durch die labyrinthischen Gänge seines Berliner Daseins folgen.</p>
          <p>Wie gesagt, durchlebte der Ritter nach seiner letzten Prüfung eine Periode                         der Erniedrigung. Zuerst liebte er eine Gräfin, dann eine Carlotta, jetzt                         sollte er unter das Corps de Ballet gerathen &#x2012; &#x2012; zwei leidliche Beine hatten                         Eindruck auf unsern Ritter gemacht. Wie bitten unsere Leser wegen dieser                         ungemeinen Wahrheitsliebe aufs Demüthigste um Verzeihung.</p>
          <p>Die Beine des Ballets waren damals in Berlin en vogue. Der höchste Geschmack                         hatte sich dazu herabgelassen und wir würden ein Verbrechen begehen, wenn                         wir nachträglich darüber spötteln wollten. Uebrigens schwärmen wir selbst                         für den Tanz. Gibt es etwas reizenderes als die süße Musik der Schenkel?                         Gibt es etwas berauschenderes, als wenn eine Fanny Elsner ihre Bachschen                         Fugen, eine Taglioni ihre Beethovenschen Symphonien, und eine Grisi ihre                         weichen, wollüstigen Donizettischen Arien tanzt? Jedesmal, wenn ich die                         Grisi sah, da war ich fest davon überzeugt, daß Gott den Menschen nur der                         Beine wegen geschaffen hat; gern hätte ich mich köpfen lassen; es wäre mir                         einerlei gewesen; ich hielt den Kopf für werthlos und ich begriff nicht,                         weshalb die Beine nicht die Ehre haben, oben zu stehen und weshalb der Kopf                         nicht nach unten geht &#x2012; mit einem Worte: die Beine hatten meinen Verstand                         auf den Kopf gestellt. Ist es die Kraft des kleinen Fußes, aus dem das Bein                         so schlank emporsteigt wie ein Lilienstiel aus der Wurzel, der den ganzen                         Leib so graziös zu tragen weiß wie der Stamm einer Fächerpalme seine                         prächtig harmonische Krone &#x2012; oder ist es der Schwung des ganzen Körpers,                         wenn er in sanften Wellenlinien melodisch dahinschaukelt und all' unsere                         Gedanken mit fortreißt in das wogende Meer der Sinnlichkeit &#x2012; was uns dem                         Tanz einer Grisi mit wahrhaft religiöser Andacht zuschauen läßt? Ich weiß es                         nicht, aber ich danke Dir Mutter Natur, daß Du nicht nur Deine Vulkane ihre                         Flammen gen Himmel schleudern und Deine tannenbewachsenen Felsen so herrlich                         mit blitzendem Schnee prangen läßt, sondern daß Du auch Rosen und Lilien                         geschaffen hast und ich liebe Dich, weil Du so graziös und so bezaubernd                         bist herab von den ewigen Sternen, dort oben in dem Blau der Unendlichkeit                         bis hinunter in die Fußspitze eines schönen Weibes.</p>
          <p>Aehnliche, wohlfeile Betrachtungen durchfuhren auch den Ritter                         Schnapphahnski, als er nach einigen aufmerksamen Studien, zwar nicht Helenen                         in jedem Weibe und nicht die Grisi in jeder Korpsspringerin entdeckte, wohl                         aber die Bemerkung machte, daß auch in der untern Sphäre der menschlichen                         Gesellschaft für Geld und gute Worte des Süßen viel zu erwarten ist. Es                         rieselt uns kalt über den Rücken &#x2012; &#x2012; zum ersten Male müssen wir von Geld und                         zugleich von Liebe sprechen. Ja wahrhaftig, wir sehen unsern Ritter abermals                         eine Stufe hinabrutschen &#x2012; was ihm früher die Götter aus freien Händen                         gegeben: er kauft es!</p>
          <p>Liebe kaufen! Gibt es etwas Gemeineres? Als einst am 1. Mai die Welt begann &#x2012;                         ich glaube nämlich, daß die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und nicht am 1.                         Januar, wie man fälschlich vermuthen möchte, sintemalen die armen nackten                         Menschen, da sie nicht mit Stiefeln und Sporen auf die Welt kamen, ja im                         Januar sofort wieder erfroren wären &#x2012; als, wie gesagt, die Welt am 1. Mai                         ihren Anfang nahm und die goldne Sonne lachte und die Blumen dufteten und                         die Quellen rieselten, da sprach der Spatz zu der Spätzin: Spätzin, ich                         achte dich! Da sprach der Haifisch zu seines Gleichen: Fräulein Haifisch,                         ich verehre Sie! Da brüllte der Löwe zu der Löwin: Löwin, du gefällst mir!                         und der Mann sprach zum Weibe: Frau, ich liebe dich! Das war eine schöne                         Hochzeit. Man trank Burgunder und aß Austern nach Herzenslust. Menschen und                         Thiere saßen in bunter Reihe und als das Banquet vorüber war, da siedelten                         sich die Spatzen in den Lüften an, die Haifische im Wasser, die Löwen in der                         Wüste und die Menschen in Ninive, Babylon, Bagdad, Petersburg, Paris, Wien,                         Breslau u. s. w. Lange Zeit ging dies gut. Die Männer fanden stets ihre                         Frauen, und die Frauen ihre Männer, was die vielen artigen Buben und Mädchen                         bezeugen, die heuer in der Welt herumstrei-
</p>
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</TEI>
[0363/0001] Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 72. Köln, Freitag 11. August 1848. Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für dies Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen. Alle Postämter Deutschlands nehmen Bestellungen an. Für Frankreich übernehmen Abonnements Herr G. A. Alexander, Nr. 28, Brandgasse in Straßburg, und 23, rue Notre Dame de Nazareth in Paris; so wie das königliche Ober-Post-Amt in Aachen. Für England die HH. J. J. Ewer & Comp. 72, Newgate Street in London. Für Belgien und Holland die respekt. königlichen Briefpost-Aemter und das Postbüreau zu Lüttich. Abonnementspreis in Köln vierteljährlich 1 Thlr. 15 Sgr., in allen übrigen Orten Preußens 2 Thlr. 3 Sgr. 9 Pf. Inserate: die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen der Zeitung die weiteste Verbreitung. Deutschland. * Köln, 10. Aug. _ !!! Frankfurt, 8. August. 57. Sitzung der Nationalversammlung. Präsident: von Soiron. (Gagern setzt sich auf von Soiron's Platz.) Beginn der Sitzung 1/210 Uhr. Tagesordnung. Fortsetzung der gestrigen Debatte. Ferner die schon vor 2 Tagen erwähnten andern Ausschußberichte über Hecker etc. ‒ Die Galerien sind wieder gedrängt voll. Ich schreibe ihnen die ersten Zeilen gleich um 10. Soiron beginnt mit großer komischer Würde: Meine Herren, ich wurde gestern verhindert, den Abgeordneten Brentano seine Worte wiederholen zu lassen. Heute habe ich mich aus den stenographischen Berichten überzeugt. Die Worte riefen einen Sturm hervor, den wir gewiß alle bedauern. Es sind mir bezüglich hierauf 3 Anträge zugekommen. 1. Antrag von Vinke und vielen Andern lautet: die Nationalversammlung, in Erwägung daß der Abg. Brentano durch seine Aeußerung einen deutschen Staat auf's gröblichste beleidigt, mißbilligt das Benehmen des Abgeordneten Brentano. Unter andern unterzeichnet von Künsberg, Beckerrath, Bassermann, Lychnowsky (Gelächter), Mylius, Arndt (das Kind), Jahn (der Deutsche), Jakob Grimm, Plathner, Simson und vielen Anderen. 2. Antrag, derselbe Qualm. Brentano habe einen deutschen Volksstamm, und durch diesen die Versammlung beleidigt; der Präsident solle ihn zur Ordnung rufen. Wernher v. Nierstein u. A. 3. Antrag, unterzeichnet von sehr vielen, wenigstens 70 Mitgliedern der Linken, lautet etwa: Der Abgeordnete Brentano wurde gestern gewaltsam verhindert durch viele Mitglieder der Rechten, Plathner, v. Vinke etc. Man ging sogar zu Thätlichkeiten über. Soweit ging man in der Versammlung, selbst Forderung zu Pistolenduellen einander zuzurufen. Die Linke versieht sich zum Präsidenten, er werde diesen Friedensbruch zu rügen, und die Ordnung herbeizuführen wissen. Nach Verlesung dieser drei Adressen nimmt Soiron das Wort, und beginnt also: Meine Herren, der Abgeordnete Brentano meine Herren, (Gelächter) hat durch den Vergleich in seiner gestrigen Rede einen deutschen Volksstamm, und dadurch die ganze Versammlung beleidigt; aus diesen Gründen rufe ich ‒ ‒ (weiter kommt er nicht; ein donnernder Ausbruch erhebt sich links, unterstützt von den jauchzenden Gallerien. Man verlangt Diskussion über den beabsichtigten Ordnungsruf. Vogt schreit laut: Ehe die Sache nicht diskutirt ist, darf kein Ruf zur Ordnung ergehen. Schlöffel springt dem Soiron unter die Nase, und demonstrirt unter furchtbarem Beifall der Gallerien so lange, bis Soiron erbost schreit: ich rufe sie zur Ordnung, was mit Hohngelächter aufgenommen wird. Das Toben geht fort, Soiron kommt nur noch zum Wort um die Sitzung aufzuheben und bis um 11 Uhr zu vertagen. Einzelne Stimmen verlangten während des Sturmes, Gagern solle weiter präsidiren. Gagern sah dem Skandal mit ruhigem Hohne zu. ‒ Alle Abgeordneten bleiben inzwischen in einzelnen Gruppen tobend in der Kirche, ebenso alle Gallerien bleiben besetzt. Um ungefähr 1/212 Uhr beginnt die Sitzung auf's neue. Soiron: Meine Herren, Sie haben meinen Ordnungsruf gehört, (Unterbrechung und Getöse. ‒ Links: Sie sind nicht fähig zum Präsidenten, nieder mit Soiron.) Soiron fährt fort: der Abgeordnete Brentano ist zur Ordnung gerufen, und ich nehme keinen Widerspruch dagegen, keinen dahin gehenden Antrag mehr an. Die Sache ist erledigt. Furchtbares Getöse. Links: Sie mögen die Präsidentschaft niederlegen, Sie sind Partei. Sie waren gestern in der Sokratesloge. Gagern erhebt sich endlich und spricht von der Tribüne mit erhabener Würde: dergleichen Auftritte mögen nie wieder vorkommen. Sie erregen unseren gerechten Zorn. Es handelt sich hier um die Rechte des Präsidenten. Es ist nicht möglich, daß der motivirte Ordnungsruf des Präsidenten Gegenstand der Diskussion werde. Haben Sie etwas dagegen, so mögen sie ihren desfallsigen Antrag schriftlich bringen. (Bravo und Zischen. Der Lärm wird schwächer.) v. Soiron: Der Abgeordnete Brentano hat das Wort zur Fortsetzung seiner Rede. Links: Nein! Nein! Getöse. Verschiedene Redensarten. Vogt: Der Vicepräsident hat nicht mehr Recht als jeder Abgeordnete. (Bravo der Gallerien). v. Soiron: Brentano hat das Wort. Furchtbares Geschrei: Nein! v. Soiron: Brentano hat das Wort, wenn er nicht spricht, kommt der nächste Redner! (Nein! Lärm!) Brentano besteigt hierauf die Tribüne, aber es erhebt sich solcher furchtbarer Lärm auf den Gallerien und Widerspruch links, daß Soiron den Gallerien Räumung befiehlt. Auf wiederholten, durch Gagern unterstützten Ruf Soiron's deshalb, geht Niemand fort. Endlich gehen einige Damen. Jucho und viele Abgeordnete besteigen die Gallerien, und versuchen mit Hülfe der Konstabler der Versammlung die Gallerien zu räumen. Soiron droht mit bewaffneter Macht. Der edle Gagern selbst geht als Konstabler, sowie Hr. Polizeidirektor Biedermann, auf die Gallerien, und hilft durch Rede und Hand die Gallerien räumen. Man weicht nach und nach. Die lärmende Unterbrechung dauert fort. Jucho schreit mit Marsstimme auf den Gallerien: Im Namen der Freiheit, folgen Sie mir. (Furchtbares Gelächter.) Die bewaffnete Macht erscheint an den Thüren des Heiligthums. Alle Zuschauer und auch die Zeitungskorrespondenten verlassen unter Widersprüchen komischer und ernster Art die Gallerien. Um die Kirche herum Aufregung und Getöse. Nach einem Beschluß der Versammlung bei festgeschlossenen Thüren werden wir (Korrespondenten) endlich nach etwa einer 1/2 Stunde wieder zugelassen. Die Linke hat verlangt, daß man namentlich darüber abstimme, ob die Zuhörer wieder zuzulassen sein? Nach heftiger aber kurzer Debatte wird die Abstimmung beschlossen. v. Soiron: die Frage lautet, sollen die Zuhörer jetzt wieder zugelassen werden? Namentliche Abstimmung. Ergebniß: Gestimmt haben: 479. Für Nein: 380. Für Ja: 99. (Nur ein Theil der Linken.) Der deutsche Jahn machte, als er mit Nein stimmte, die Bemerkung: Ich will die Kerle (d. h. das Publikum) nicht hier. (Um die Kirche hört man Getöse.) Tagesordnung. Brentano: Meine Herren, als ein ungehört Verurtheilter appellire ich an ihre Gerechtigkeit. Ich verlange das Wort zur Vertheidigung. Der Präsident hat es mir versprochen. Ein Ordnungsruf ist eine Strafe. (Getöse draußen.) Die Strafe kommt mir nicht zu. (Gebrüll draußen.) Um dieser Strafe vorzubeugen, ist mir das Wort nicht gegeben worden vorher; ich nehme es jetzt. (Unterbrechung.) v. Soiron: Eine Erklärung ist erlaubt, vielleicht ist ein Irrthum vorgefallen. Brentano: Was habe ich denn mit meinen gestrigen Worten verbrochen? Liegt eine Schmähung eines deutschen Staates drin? Die Freiheit der Rede lasse ich mir nicht nehmen; ob ich von einem Fürsten oder Privatmann spreche, ist mir gleichviel. Kürzlich über den König von Hannover, und gestern über den Großherzog von Baden, sind ähnliche und noch schlimmere Worte gefallen, der erstere ganz offen ein Rebell genannt worden. Es scheint also ein anderer Grund vorzuliegen, weshalb meine Worte einen solchen Sturm erregt. In Preußen, höre ich, besteht eine Partei, die den Prinzen von Preußen zur Regierung bringen will. Soiron unterbricht ihn. Brentano: Die Anträge, die heute früh gegen mich eingebracht, haben mein Staunen erregt. Einer von denen, die mich noch hintendrein zur Ordnung zu rufen beantragen, hat Hand an mich gelegt, an mich, einen Abgeordneten, (große Sensation, Hohngeschrei links. Rechts: Widerspruch. Links: ja Plathner.) Soiron hat davon nichts bemerkt. Brentano: Man hat es gewagt (Geschrei). Soiron: Dies müßte nach Schluß der Sitzung gewesen sein. (Links nein.) Brentano: Ich sage, man hat Hand an mich gelegt. (Rechts wer?) Brentano: Der Abgeordnete Plathner aus Halberstadt. (Rechts nein.) Es hat mich mit größerem Erstaunen erfüllt, daß die Abgeordneten Plathner und Wardensleben mich auf Kugeln gefordert. (Geschrei links, Kinderstreiche.) [Anmerk. Man möge den Hrn. Plathner und Wardensleben Mirabeau's Rede verlesen, worin er in der französischen Nationalversammlung bei ähnlicher Gelegenheit sagte: „das Leben eines Volksvertreters ist mehr werth als das von 100 solcher Krautjunker. Die Nation würde mich verachten, wenn ich es ihr entzöge um es gegen sie aufs Spiel zu setzen.“] Mit Kugeln und Degenspitzen will man unsern Gründe entgegnen, und solche Leute wollen mich noch hinterdrein zur Ordnung rufen! Wenn der Präsident den Ordnungsruf nicht zurücknimmt, appellire ich an das deutsche Volk. Ueber die Amnestiefrage spreche ich nicht heute. Soiron will die Debatte über die Amnestie weiter gehen lassen. Die Linke will erst die question personelle entscheiden. Man will über diese sprechen. Soiron verweigert das Wort. Welcker soll sprechen. Venedey beantragt Vertagung; will die Amnestie in geheimer Sitzung nicht weiter besprechen. Soiron mit seiner heiseren Bierstimme gebärdet sich schrecklich. Ob die Versammlung auf Venedey's Antrag eingehen wolle. Nachdem noch Jordan aus Berlin sich für Vertagung der Amnestiefrage ausgesprochen, frägt Soiron die Versammlung, ob man die Debatte über die Amnestie fortsetzen wolle? Man beschließt dies. Welcker: Sein Gewissen verbietet ihm, seinen Landsleuten gegenüber, gegen die Amnestie zu sprechen, die er doch nicht mit seinen Grundsätzen vereinbaren könne. (Die Linke geht zum Theil fort, draußen Toben.) Vertheidigt sich gegen die Anschuldigungen Simons aus Trier, als hätte er zu Ficklers Verhaftung beigetragen. Diese Vertheidigung geht ohne Widerspruch vorüber, weil die Linke nicht anwesend ist. Nach einer Lobrede auf Mathy schließt Welcker, er könne nicht für die Amnestie stimmen, weil er davon Erneuerung des Aufstandes fürchte. Vogt, der unterdessen wieder gekommen, frägt laut vom Platze, ob der Präsident Ordre gegeben die Paulskirche mit Truppen zu umstellen. Soiron: Nein. Uebrigens (witzig) seien die Truppen nicht gegen die Versammlung gerichtet. Michelsen, der jetzt in der Reihe der Redner kommt, bittet nur, man solle die Debatte schließen. (Schluß, Schluß!) Die Versammlung beschließt den Schluß. Wiedenmann, der Berichterstatter soll jetzt sprechen. (Links schreit man Vertagung, draußen dumpfes Toben.) Venedey will die Vertagung beantragen. (Nein, nein!) Er sagt, man solle diese Stimmung bei der Abstimmung über die Amnestie nicht mißbrauchen. Noch ein zweiter beantragt Vertagung für die Abstimmung. Draußen Toben. Bürgerwehr und Militär marschirt draußen auf. Einzelne Soldaten stehen zwischen den Ausgangsthüren. v. Stadenhagen: Man möge morgen abstimmen. Saucken (ein Cato) will trotz der äußeren Aufregung abstimmen, gebärdet sich furchtbar kourageus. (Bravo, bravo!) Knieriem (ein zweiter Cato): Bravo! Wir können nicht wegen Hecker und Konsorten unsere Angelegenheiten in die Länge ziehen. Itzstein will sprechen. Man brüllt den alten Mann von der Tribüne herunter. Präsident fragt die Versammlung, ob sie die Abstimmung noch heute vornehmen wolle? Ja. Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. (Fortsetzung.) Treue Freunde des Ritters Schnapphahnski, bedauern wir mit ihm die harte Prüfung, die das Schicksal in Folge jenes bekannten Abenteuers mit der göttlichen Carlotta über ihn verhängte. Die Moral der Geschichte war, daß weder mit einem schönen Frauenzimmer noch mit einem Garde-Offizier zu spaßen ist, und daß man nicht den Wüstling und den Bramarbas herausbeißen soll, wenn man wirklich nur ein so unschädlich liebenswürdiger Mann wie der Ritter Schnapphahnski ist. Der Adonis Carlotten's, der Gardelieutenant v. W.-M., dessen tugendhafte Entrüstung wir nicht genug anerkennen können, war schuld daran, daß unser Ritter für einige Zeit die Einsamkeit suchte, um in stillen Betrachtungen jene Ruhe des Gemüthes wiederzufinden, die er auf so leichtsinnige Weise verscherzt hatte. Zu der Furcht vor den Lakaien aus O. und zu den unangenehmen Erinnerungen aus Troppau gesellte sich nun noch die Angst vor dem verhängnißvollen Dokumente der Berliner Offiziere, und wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß das Eine oder das Andere manchmal sehr störend auf die Morgenträume unseres Helden einwirkte. Der jugendlich kühne Flug unseres Ritters war gelähmt; wie mancher andere ehrliche Mann fühlte er allmählig, daß er dem Straßenkothe näher war als den Sternen und daß der schöne schwarze Schnurrbart vielleicht das Beste an dem ganzen Menschen sei. Diese und ähnliche melancholische Gedanken waren indeß nur vorübergehend; der Ritter war von zu guter Klasse, als daß er das Leben nicht von der heitersten Seite aufgefaßt hatte. Mag es Dir noch so schlecht gehen, sagte er oft zu sich selbst, zum allerwenigsten kannst Du doch noch immer ein ausgezeichneter Diplomat werden! Dies tröstete Hrn. v. Schnapphahnski. Wir werden später sehen, wie unser Ritter diesen diplomatischen Gelüsten wirklich Luft machte. Ehe wir dazu übergehen, wollen wir ihm noch etwas durch die labyrinthischen Gänge seines Berliner Daseins folgen. Wie gesagt, durchlebte der Ritter nach seiner letzten Prüfung eine Periode der Erniedrigung. Zuerst liebte er eine Gräfin, dann eine Carlotta, jetzt sollte er unter das Corps de Ballet gerathen ‒ ‒ zwei leidliche Beine hatten Eindruck auf unsern Ritter gemacht. Wie bitten unsere Leser wegen dieser ungemeinen Wahrheitsliebe aufs Demüthigste um Verzeihung. Die Beine des Ballets waren damals in Berlin en vogue. Der höchste Geschmack hatte sich dazu herabgelassen und wir würden ein Verbrechen begehen, wenn wir nachträglich darüber spötteln wollten. Uebrigens schwärmen wir selbst für den Tanz. Gibt es etwas reizenderes als die süße Musik der Schenkel? Gibt es etwas berauschenderes, als wenn eine Fanny Elsner ihre Bachschen Fugen, eine Taglioni ihre Beethovenschen Symphonien, und eine Grisi ihre weichen, wollüstigen Donizettischen Arien tanzt? Jedesmal, wenn ich die Grisi sah, da war ich fest davon überzeugt, daß Gott den Menschen nur der Beine wegen geschaffen hat; gern hätte ich mich köpfen lassen; es wäre mir einerlei gewesen; ich hielt den Kopf für werthlos und ich begriff nicht, weshalb die Beine nicht die Ehre haben, oben zu stehen und weshalb der Kopf nicht nach unten geht ‒ mit einem Worte: die Beine hatten meinen Verstand auf den Kopf gestellt. Ist es die Kraft des kleinen Fußes, aus dem das Bein so schlank emporsteigt wie ein Lilienstiel aus der Wurzel, der den ganzen Leib so graziös zu tragen weiß wie der Stamm einer Fächerpalme seine prächtig harmonische Krone ‒ oder ist es der Schwung des ganzen Körpers, wenn er in sanften Wellenlinien melodisch dahinschaukelt und all' unsere Gedanken mit fortreißt in das wogende Meer der Sinnlichkeit ‒ was uns dem Tanz einer Grisi mit wahrhaft religiöser Andacht zuschauen läßt? Ich weiß es nicht, aber ich danke Dir Mutter Natur, daß Du nicht nur Deine Vulkane ihre Flammen gen Himmel schleudern und Deine tannenbewachsenen Felsen so herrlich mit blitzendem Schnee prangen läßt, sondern daß Du auch Rosen und Lilien geschaffen hast und ich liebe Dich, weil Du so graziös und so bezaubernd bist herab von den ewigen Sternen, dort oben in dem Blau der Unendlichkeit bis hinunter in die Fußspitze eines schönen Weibes. Aehnliche, wohlfeile Betrachtungen durchfuhren auch den Ritter Schnapphahnski, als er nach einigen aufmerksamen Studien, zwar nicht Helenen in jedem Weibe und nicht die Grisi in jeder Korpsspringerin entdeckte, wohl aber die Bemerkung machte, daß auch in der untern Sphäre der menschlichen Gesellschaft für Geld und gute Worte des Süßen viel zu erwarten ist. Es rieselt uns kalt über den Rücken ‒ ‒ zum ersten Male müssen wir von Geld und zugleich von Liebe sprechen. Ja wahrhaftig, wir sehen unsern Ritter abermals eine Stufe hinabrutschen ‒ was ihm früher die Götter aus freien Händen gegeben: er kauft es! Liebe kaufen! Gibt es etwas Gemeineres? Als einst am 1. Mai die Welt begann ‒ ich glaube nämlich, daß die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und nicht am 1. Januar, wie man fälschlich vermuthen möchte, sintemalen die armen nackten Menschen, da sie nicht mit Stiefeln und Sporen auf die Welt kamen, ja im Januar sofort wieder erfroren wären ‒ als, wie gesagt, die Welt am 1. Mai ihren Anfang nahm und die goldne Sonne lachte und die Blumen dufteten und die Quellen rieselten, da sprach der Spatz zu der Spätzin: Spätzin, ich achte dich! Da sprach der Haifisch zu seines Gleichen: Fräulein Haifisch, ich verehre Sie! Da brüllte der Löwe zu der Löwin: Löwin, du gefällst mir! und der Mann sprach zum Weibe: Frau, ich liebe dich! Das war eine schöne Hochzeit. Man trank Burgunder und aß Austern nach Herzenslust. Menschen und Thiere saßen in bunter Reihe und als das Banquet vorüber war, da siedelten sich die Spatzen in den Lüften an, die Haifische im Wasser, die Löwen in der Wüste und die Menschen in Ninive, Babylon, Bagdad, Petersburg, Paris, Wien, Breslau u. s. w. Lange Zeit ging dies gut. Die Männer fanden stets ihre Frauen, und die Frauen ihre Männer, was die vielen artigen Buben und Mädchen bezeugen, die heuer in der Welt herumstrei-

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 72. Köln, 11. August 1848, S. 0363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz072_1848/1>, abgerufen am 28.03.2024.