Neue Rheinische Zeitung. Nr. 83. Köln, 23. August 1848.Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 83. Köln, Mittwoch 23. August 1848. Deutschland. 19 Köln, 21. Aug. (Die Verhandlungen über die deutschen Grundrechte.) "La libertad, Sancho, es uno de los mas preciosos donos, que a los hombres dieron los Ciclos", erklärte schon der edle Ritter Don Quixote seinem Schildknappen. "Die Freiheit ist eines der kostbarsten Himmelsgüter der Sterblichen." Es kömmt bloß auf die verschiedene Bedeutung an, welche man mit dem Begriff der Freiheit verbinden will. Die Begriffsfähigkeit der kostbaren Güter, welche die Frankfurter Nationalversammlung dem deutschen Volke in den Grundrechten gewährleistet, ist um so unbeschränkter, als die Grundrechte nach dem Geständniß des Berichterstatters Beseler bekanntlich "ohne Prinzipien und ohne Feststellung dessen, was dazu gehört" entworfen wurden. In dem allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht war es die Einheit und Freiheit, deren Deklaration die Versammlung beschäftigte, - die Freiheit, welche von Hrn. Jakob Grimm als Wirkung der Luft, die Einheit, die von dem Redakteur der begriffenen Welt "als politischer Begriff" erklärt wurde. Wir folgen ihr diesmal in den Debatten über §. 6 des Entwurfs zu einem neuen Begriff, dem precioso dono der "Gleichheit", welches den unsterblichen Deutschen gewährleistet werden soll. "Einheit, Freiheit, Gleichheit," - kein Don Quixote würde zweifeln, daß mit diesen dreifaltigen Himmelsgütern der Himmel selbst sich auf Deutschland niedergelassen. Der Antrag des Ausschusses in §. 6. der Grundrechte verlangt Gleichheit vor dem Gesetz, Aufhebung der Standesprivilegien, Zugänglichkeit der öffentlichen Aemter für "Alle dazu Befähigten", und allgemeine Wehrpflicht. Fünf Minoritätsgutachten und zahllose Anträge, welche meist auf Abschaffung des Adels, Aufhebung der Orden und Titel und allgemeines Waffenrecht gerichtet sind, bekunden hinlänglich die Ernsthaftigkeit, mit welcher die Versammlung diese Verhandlung aufzufassen gedenkt. Herr Ahrens von Salzgitter hat die Ehre, diese wichtige Discussion zu eröffnen, und wünscht vorzuschlagen, daß die Phrase der "Gleichheit vor dem Gesetz" am liebsten ohne alle Discussion angenommen werden möge. Er begründet diesen patriotischen Antrag mit der Berufung, daß der belgische Congreß im Jahre 1831 dies "politische Axiom" ebenfalls ohne Discussion in die Constitution aufgenommen habe, eine Thatsache, welche allerdings zur Genüge die Harmlosigkeit der Phrase beweist. Gleichwohl findet es Hr. Ahrens nöthig, sich noch weiter über die Ungefährlichkeit des Satzes, der bloß ein " Rechtssprüchwort" enthalte, auszulassen. "M. H.", spricht er mit sehr starker Stimme, " es handelt sich hier allein um die bürgerliche Gleichheit, nicht um eine rohe materialistisch-communistische Gleichheit, welche die Folgen natürlicher Unterschiede in Bezug auf Arbeit und Vermögenserwerb vertilgen will!" Wäre Hr. Ahrens nicht Professor der Krause'schen Philosophie in Brüssel, so würde man glauben, er habe eine sehr mangelhafte Erziehung genossen. In der That benimmt sich der ehrenwerthe Abgeordnete wie jener Domherr am ästhetischen Theetisch, der bei den süßflötenden Gesprächen über platonische Liebe den Mund weit zu der Warnung öffnet: "Die Liebe sei nicht zu roh, sonst schadet sie der Gesundheit!" Die Versammlung verhandelt über die platonische Rechtsgleichheit, welche sich "auf die natürlichen Klassenunterschiede" gründet, - und der Domherr der krauseanischen Moral verwahrt dieselbe gegen die "rohe materialistische Gleichheitsliebe," welche die Gesundheit der Klassenunterschiede, die Basis des bürgerlich-juristischen Gleichheitplatonismus gefährdet! - Der brüsseler Professor hat sich indeß einmal die Aufgabe gesetzt, die Harmlosigkeit eines "politischen Axioms", welches auch in der belgischen Musterkonstitution Aufnahme gefunden hat, gegen Mißdeutungen zu verwahren. Nachdem er den Verdacht des Communismus siegreich von dem Ausschußantrag abgewendet hat, richtet er sich mit gleichem Erfolg gegen den Vorwurf eines politischen Radicalismus in diesem Gesetz. Eine "gewichtige Stimme", der ehrenwerthe Professor Dahlmann, hat nämlich bei einer früheren Gelegenheit wissenschaftliche Bedenken gegen den Ausdruck: #x201E;Gleichheit vor dem Gesetz" geäußert. Herr Dahlmann sagte: "Ich weiß, wenn dieser Grundsatz gelten soll, nichts zu machen mit unsern Fürsten, mit unsern verantwortlichen Ministern, am Ende auch nichts zu machen, fürchte ich, mit einer Ständeversammlung, vielleicht nicht einmal mit der Nationalversammlung. Denn wenn wir Fürsten haben, wollen wir Männer haben, die nicht gleich sind vor dem Gesetz, ... und wir dürfen keine Minister haben, denn sie sind ungleich vor dem Gesetz, weil sie nur auf bestimmte Weise in Anklagezustand versetzt werden können." Herr Ahrens lächelt mit Recht über diese Sprünge deutschen Professorenthums. Die Ausstellungen des Herrn Dahlmann würden nur dann gerechtfertigt sein, wenn die "Gleichheit vor dem Gesetz" mehr als ein bloßes "Rechtssprüchwort" werden und alle Ausnahmegesetze ausschließen solle. Herr Ahrens giebt dagegen die wahre Begriffserklärung: "Der Satz, daß Alle gleich seien vor dem Gesetz, will nicht bedeuten, daß eine allgemein gleiche, Alles nivellirende Gesetzgebung stattfinden soll, sondern nur, daß für alle Personen und Sachen, welche sich in gleicher Lage befinden, gleiche Gesetze bestehen ... Wir wollen an dem Satz festhalten, weil darin ein Rechtssprüchwort gegeben ist, welches sich Jedem leicht einprägt (als Gedächtnißübung); wir wollen ihn festhalten, weil die allgemeine Achtung, welche das Gesetz hiermit Allen angedeihen läßt, sich zu einer allgemeinen persönlichen Achtung erweitert." Womit übrigens Herr Ahrens nicht sagen will, daß die Ausnahmgesetze für Fürsten und Minister den Anspruch auf "persönliche Achtung" ausschließen. Indem "für Alle, die sich in gleicher Lage befinden, gleiche Gesetze bestehen," für Fürsten und Beamte besondere, für das Bürgerthum besondere, und für die "natürlichen Folgen natürlicher Unterschiede," für das Proletariat besondere Gesetze, - läßt das Gesetz Allen eine "allgemeine Achtung" angedeihen. Diese "allgemeine Achtung" hat die Wirkung, sich zu einer persönlichen zu erweitern, indem sie, wie Hr. Ahrens sagt, "alle Bürger einander näher bringt," - innerhalb der "natürlichen Klassenunterschiede", Fürsten mit Ministern, Bürger mit Bürgern, Proletarier mit Proletariern. Das Prinzip selbst "bleibt bestehen." Die Gleichheit besteht, nicht "roh, materialistisch", sondern platonisch, ideell, - innerhalb der natürlichen Unterschiede, als gemeinschaftliches "Rechtssprüchwort." Angenehme Wirkung des Gleichheit-Begriffs! Nachdem Hr. Ahrens sodann noch im Sinn der politischen Moral für Abstellung der Civilorden gesprochen, dem Militärstand aber in dieser Beziehung Ausnahmgesetze vindicirt hat, ohne sich um den Ruf der Versammlung nach Schluß und um die Ermahnung des Präsidenten zur Kürze zu kümmern, erscheint Hr. Moriz Mohl auf der Tribüne. Hr. Mohl spricht für den Minoritätsantrag, welcher den Theil des Paragraphen, der von Aufhebung der Standesprivilegien handelt, auf Abschaffung des Adels, seiner Titel und Benennungen ausgedehnt wissen will. "Meine Herren, man mag die Sache betrachten wie man will, sie ist erstaunlich einfach. Das Bestehen eines Standes, dessen Mitglieder vermöge ihrer bloßen Geburt einer äußern Auszeichnung genießen, das Bestehen eines solchen Standes ist eine vollkommene Verneinung der staatsbürgerlichen Gleichheit. Eine solche Einrichtung, wenn sie auch gar nicht mißbraucht wird, ist ein Unrecht, eine Beleidigung gegen die Nation." Hr. Mohl macht der Versammlung glauben, er stehe auf "prinzipiellem, rein theoretischem" Standpunkt. In der That aber ist die Stellung, die er einnimmt, ein ganz gewöhnlicher rein bürgerlicher Standpunkt; seine ganze Polemik ist nichts, als der schwache Ausdruck des alten Klassenkampfs der Bourgeoisie gegen die "höhere" Adelsrace. "Ich frage Sie, m. H., welche größere Ungleichheit vor dem Gesetze gibt es, als die Eintheilung des Volkes in zwei Kasten, in eine vornehme Kaste und eine geringe Kaste?" Diese zwei Kasten sind nach Hrn. Mohl Adel und "Bürgerstand," und Hr. Mohl hat daher durchaus kein Recht, hierfür den Namen des Volks zu vindiciren. Hr. Mohl weiß nichts von den Erfahrungen der Pariser Junischlacht, seine Polemik ist der beste Beweis davon. Seine ganze Rede ist eine Apologie der Bourgeoisie gegenüber dem "Adelsstand." Er erzählt von den Verdiensten des Bürgerthums um Handel, Schifffahrt, städtische Institutionen; er erinnert daran, daß Schiller, Göthe und alle "großen Sterne am geistigen Horizont" aus dem Bürgerthum hervorgegangen seien; er greift die kriegerischen Vorzüge des Adels an, und fragt, ob die Bürger, Juden und Krämer nicht ebenso tapfer in dem französischen Kriege gekämpft hätten; er gesteht dem Adel zu, hin und wieder auf dem landwirthschaftlichen Feld mit den " bürgerlichen Gutsbesitzern gewetteifert zu haben, und sein ganzes Resume ist, daß der "bürgerliche" Theil der Nation dem Adel seine " Ebenbürtigkeit " durch die That bewiesen habe. Wenn Hr. Mohl konsequent wäre, hätte er nicht auf Abschaffung des Adels, sondern auf Erhebung der Bourgeoisie in den Adelsstand antragen müssen. Hierbei ändert es nichts, wenn Hr. Mohl zuletzt erklärt, daß nicht dieses oder jenes Vorrecht das "Wesentliche" des Adels, sondern daß das Erbliche des Adels das eigentliche Privilegium, die wahre Ungleichheit vor dem Gesetz sei. Hat Hr. Mohl nie gehört, daß auch die "Verdienste" seiner " bürgerlichen Gutsbesitzer " erblich sind? Hr. Mohl glaubt den Unsinn des Adels entdeckt zu haben, indem er triumphirend ausruft: "Welches größere Standes-Privilegium gibt es, als daß die Geburt zu einem höhern Stande berechtigt?" Ah, Hr. Mohl, bei Ihren "bürgerlichen Gutsbesitzern" ist es nicht die Geburt, welche zu besserer Erziehung, zur "Befähigung zu Staatsämtern," und den bürgerlichen Privilegien der Spekulation und des Wuchers berechtigen? Wunderbare Gedankenfülle des schwäbischen Bürgerfreundes! Friedrich Gentz erklärte einst den Adel für eine Eigenthumsfrage; er erklärte den Adel als Ausfluß des Eigenthums, "weil zwischen dem erblichen Besitz einer Würde und dem erblichen Besitz eines Grundstückes keine Spur rechtlichen Unterschiedes sei." Was will Hr. Mohl darauf antworten? Erbrecht um Erbrecht! Um den bürgerlichen Standpunkt in dieser Polemik vollständig zu wahren, erinnert Herr Mohl zum Schluß noch daran, daß der Adel überall in Ländern, wo er "keine Privilegien," aber seine Adelstitel noch besitze, das Grundeigenthum an sich gebracht habe, und durch den Vorrang seines Namens reiche Heirathen zu schließen befugt sei. "Sie wissen ja, m. H., daß die Töchter der Geldsäcke besonderes Vergnügen daran finden, sich Gräfinnen nennen zu lassen." In der That, ist nicht diese heillose Lust der Bourgeois-Töchter bereits zum Gegenstand offener Spekulation geworden? Hat nicht u. A. ein "Herr von altem Adel" in den Berliner Zeitungen ein Heirathsgesuch annoncirt, worin er sich bereit erklärt, seinen alten Namen mit einer jungen Bürgerlichen zu theilen, falls ihm diese eine gewisse Geldsumme "baar" zuführte? Retten wir also das Geld des Bürgerthums, indem wir das "von" des Adels streichen! "Erst dann, m. H., wenn der Adel wie in Frankreich, Nord-Amerika, der Schweiz, Norwegen, wirklich aufgehoben ist, erst dann, wenn die Schranken fallen, die ihn vom Bürgerstand trennen, erst dann, wenn es nur noch Ein Volk, keine zwei verschiedene Racen mehr gibt, erst dann werden Sie die Freiheit wahrhaft und fest gegründet haben!" Einfache Lösung der socialen Probleme, welche nach dem Berichterstatter des volkswirthschaftlichen Ausschusses durch die Grundrechte in "vernünftiger Weise" in Angriff genommen werden soll! Nach Aufhebung der Adelstitel wird es überall nur Ein Volk, keine zwei entgegengesetzten Kasten mehr geben, - denn die Pariser Junirevolution kann nur die Erhebung einiger von ausländischem Adel gewonnenen Strolche gewesen sein. Nach Aufhebung des Adels ist die "Gleichheit" wahrhaft und fest gewährleistet, - nicht die "rohe, materialistische," sondern die platonische, bürgerliche, welche auf natürlichen, d. h. geschichtlichen und gesellschaftlichen Unterschieden fußt. (Schluß folgt.) 121 Köln, 21. Aug. Sonderbarer Weise hat man die hier erscheinenden "Freien Volksblätter" unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Jedesmal am Tage des Erscheinens dieser Blätter - In einem Thal bei armen Hirten Erschien mit jedem jungen Jahr, So oft die ersten Lerchen schwirrten, Ein Mädchen schön und wunderbar - mit jeder jungen Nummer, ja bevor sie noch ausgegeben, erscheinen in der Druckerei zwei bis vier bis an die Zähne bewaffnete Gensdarmen und kaufen sich das erste jungfräuliche Exemplar. - Obgleich diesen Herren mehrmals bemerkt worden, daß es billiger und vortheilhafter sei, wenn sie sich auf die Blätter abonnirten, indem sie alsdann der Mühe überhoben wären, sich jede einzelne Nummer auf der Expedition zu holen, wollten sie doch den Vortheil nicht einsehen und bemerkten, daß sie dienstmäßig dazu kommandirt seien. - Diese Maßregel datirt von einem in den "Fr. Volksblättern" erschienenen Artikel: "Die Verhaftungen in Köln," auf Grund melchen Artikels gegen den Herausgeber, Hrn. Bernh. Dietz, eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet worden. Man sieht also, daß die von der hohen Polizei diesen Blättern zugewandte gesteigerte Aufmerksamkeit nicht ohne wohlwollende Absicht ist. 103 Berlin, 20. Aug.
Unsere Aristokratie entfaltet hier seit einigen Tagen eine außerordentliche Thätigkeit, um den Sturz des Hrn. Hansemann herbeizuführen. Die Erhöhung der Grundsteuer, der Branntweinsteuer und Rübenzuckersteuer, deren Ausführung den völlige Ruin vieler Gutsbesitzer herbeiführen würde, haben Hrn. Hansemann den Zorn und Haß dieser Leute zugezogen. Man will, wenn er seinen Plänen oder seiner Stelle nicht freiwillig entsagt, ihn auf jede Weise zu beseitigen suchen. Einige Gutsbesitzer, welche heute einem Abgeordneten von der äußersten Linken ihren Besuch abstatteten um ihn für ihre Pläne zu gewinnen, wurden so zutraulich zu demselben, da er ihnen seine Mitwirkung versprach, daß sie ihm erzählten, wie sie Hrn. Han- [Fortsetzung] Das Domfest von 1848. (Fortsetzung.) Ich muß gestehen, ich war erschöpft vom Anhören so vieler köstlichen Toaste. Ich hatte meinen Platz verlassen und war hart an die Erhöhung des Saales getreten um recht in der nächsten Nähe in dem Anblick der größten Männer unseres Jahrhunderts schwelgen zu können. Gott weiß es, wie lange ich durch den ausgezeichnet schönen Bart eines liebenswürdigen Fürsten, durch das gesunde Aussehen Jupiters oder durch die sprechende Aehnlichkeit des Herrn von Soiron festgebannt und gefeit worden wäre, wenn nicht plötzlich ein ziemlich wohlbeleibter Mann meine Schulter berührt und mich im reinsten westphälischen Dialekt darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich ihm durch meine Stellung die Aussicht nach einer höchst einladenden Torte versperre, die bei dem allgemeinen Redeenthusiasmus bisher unberücksichtigt geblieben war. Der würdige Dombaudeputirte, der von Hamm, Soest, von Dortmund oder von irgend einer anderen sabbathstillen Stadt der rothen Erde nach Cöln gekommen war, um sich einmal recht am Wein, am Gebet und am Patriotismus zu letzen, schien mir fest entschlossen zu sein, den hohen Eintrittspreis des Festmahles gewissenhaft herausfressen zu wollen. Der ehrenwerthe Mann kümmerte sich wenig um den Erzherzog-Reichsverweser, um Herrn von Gagern und den päbstlichen Runtins - er ließ der Weltgeschichte ihren Lauf und beschäftigte sich mehr mit den praktischen Interessen des Hungers und des Durstes. "Wollten Sie mir nicht die Aussicht nach jener Torte gewähren?" fragte mich der gute Westphale mit dem Ausdruck der höchsten Freundlichkeit. Ich merkte die leidenschaftlichen Gelüste des alten Knaben, denn während er mich anredete sah er nicht auf mich, sondern immer nach der Stelle hin, wo die herzerfreuende Torte stand. "Mit dem größten Vergnügen!" erwiederte ich ihm und stemmte meine Faust in die Seite, so daß der Westphale, wie man durch das Bingerloch nach dem Rheingau, oder durch den Rolandsbogen nach dem Siebengebirge blickt, so durch meinen gekrümmten Arm hindurch nach dem Gegenstand aller seiner Wünsche schauen konnte. Der Westphale schien zu glauben, daß ich seine tieferen Absichten nicht verstanden hätte; er sah mich daher mit seinen großen, blauen Augen ziemlich stier an, als wollte er mich fragen, ob ich denn nicht die Sprüche Salomonis kenne, wo da geschrieben steht, daß man dem Ochsen der da drischt das Maul nicht verbinden soll? - Ich blieb aber unerbittlich. " Lieber Herr, wollten Sie mir nicht gefälligst die Aussicht nach jener Torte gewähren?" fragte da der Sohn der rothen Erde zum zweiten Male und ein Gemisch von Wollust und Melancholie spielte um seinen sehr großen Mund. Die Leiden des armen Mannes rührten mich. "Mit dem größten Vergnügen!" rief ich abermals - "Sie scheinen nicht gut sehen zu können - wollen Sie sich meiner Lorgnette bedienen?" Während mein rechter Arm seine frühere gekrümmte Position beibehielt, reichte ich ihm mit der linken Hand die Lorgnette über den Tisch hinüber. Der Westphale stutzte. Sie müssen entweder ein sehr dummer oder ein höchst impertinenter Mensch sein - schien der unglückliche Sehnsüchtige zu denken. Da ermannte er sich und sprach zum dritten Male mit einer so bittenden, wehmüthigen Stimme, daß es einen Stein hätte erweichen können: "Sehr verehrter Herr, hätten Sie nicht die große Gewogenheit mir die Aussicht nach jener Torte gefälligst zu gewähren? Ich habe ein 1 Thaler 20 Silbergroschen für mein Billet bezahlt - Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld! - es verlangt mich nach jener Torte --" Das Antlitz des Armen überflog eine sichtbare Bangigkeit. Er sah wie von der andern Seite noch ein zweiter Aspirant auf die reizende Torte lossteuerte; ein Mann, der sich etwas verschämt, wie es Liebende sind, rechts und links umschaute, um sich davon zu überzeugen, daß ihn auch Niemand in dem allgemeinen Wirrwarr bemerke. Es war die höchste Zeit, den Raub zu vollbringen. Den Westphalen stach es wie mit tausend Nadeln, er rückte hin und her und immer flehentlicher und immer bittender leuchteten seine unschuldigen Augen. Da konnte ich nicht länger widerstehen; ich wandte mich seitwärts und schon hatte ich die Hand nach der Heißersehnten ausgestreckt, da kam mir plötzlich der gewandtere Nebenbuhler des armen Westphalen zuvor, ich erkannte in meinem Gegner meinen frühern Nachbar, den preußischen Deputirten, den Ritter von der Teltower Rübe und ich wäre fast vor Lachen gestorben, als ich ihn mit einer wahrhaft teuflischen Geschwindigkeit sammt der eroberten Torte verschwinden sah. Der arme Westphale sank aber wie eine geknickte Blume zusammen; er röchelte in seine Serviette hinein und: "Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld!" schien er noch ein Mal zu seufzen, da machte ich mich aus dem Staube, denn ich fürchtete den gerechten Zorn des Mannes, ich glaube, er hätte mich getödtet mit Messer und mit Gabel und mich selbst gefressen statt der verhängnisvollsten aller Torten. Meine Aufmerksamkeit wurde nach der andern Seite des Saales gelenkt, wo sich ein eigenthümliches Getöse erhob, das mein musikalisches Gefühl auf's empfindlichste verletzte und mich eben so sehr an die Menagerie eines van Aaken als an jenes Grunzen und Brummen erinnerte, welches man Nachts um die zwölfte Stunde wohl aus den Bierhäusern deutscher Hochschulen schallen hört. Ich sah mich erstaunt und unwillig um und bemerkte zu meinem nicht geringen Leidwesen einen ehrenwerthen Vice-Präsidenten, der sich mit Händen und Füßen und mit einem nicht zu verachtenden Bierbaß nochmals Gehör zu verschaffen suchte, um sehr wahrscheinlich auf's Neue zu erklären, daß er ein einfacher Mann sei und nur ein einfaches Wort zu reden habe, recht aus dem Herzen, von allgemeiner Brüderlichkeit, durch sämmtliche Gaue des deutschen Vaterlandes, bis an die äußersten Gränzen. Der bekannte Redner winkte in derselben Weise mit den Händen wie es die Droschkenkutscher bei schlechtem Wetter thun, wenn sie die Vorübergehenden zum Besteigen des Wagens einladen. Aber ach, die hohe Versammlung wollte sich nicht zum zweiten Male verleiten lassen. Vergebens trampelte, winkte und schrie Sancho - mit wahrhaft deutscher Unhöflichkeit blieb man auf seinen Sitzen oder eilte an dem guten Manne vorüber, so daß Sancho zuletzt auf die Ehre des Wortes verzichtete und seinem Herrn und Meister das Feld überließ. Herr von Gagern machte indeß keine Anstalt zu einem abermaligen Vortrag, nein, er sammelte nur einige Deputirte um sich und stieg wie Zeus umgeben von seinen Olym- Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 83. Köln, Mittwoch 23. August 1848. Deutschland. 19 Köln, 21. Aug. (Die Verhandlungen über die deutschen Grundrechte.) „La libertad, Sancho, es uno de los mas preciosos donos, que a los hombres dieron los Ciclos“, erklärte schon der edle Ritter Don Quixote seinem Schildknappen. „Die Freiheit ist eines der kostbarsten Himmelsgüter der Sterblichen.“ Es kömmt bloß auf die verschiedene Bedeutung an, welche man mit dem Begriff der Freiheit verbinden will. Die Begriffsfähigkeit der kostbaren Güter, welche die Frankfurter Nationalversammlung dem deutschen Volke in den Grundrechten gewährleistet, ist um so unbeschränkter, als die Grundrechte nach dem Geständniß des Berichterstatters Beseler bekanntlich „ohne Prinzipien und ohne Feststellung dessen, was dazu gehört“ entworfen wurden. In dem allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht war es die Einheit und Freiheit, deren Deklaration die Versammlung beschäftigte, ‒ die Freiheit, welche von Hrn. Jakob Grimm als Wirkung der Luft, die Einheit, die von dem Redakteur der begriffenen Welt „als politischer Begriff“ erklärt wurde. Wir folgen ihr diesmal in den Debatten über §. 6 des Entwurfs zu einem neuen Begriff, dem precioso dono der „Gleichheit“, welches den unsterblichen Deutschen gewährleistet werden soll. „Einheit, Freiheit, Gleichheit,“ ‒ kein Don Quixote würde zweifeln, daß mit diesen dreifaltigen Himmelsgütern der Himmel selbst sich auf Deutschland niedergelassen. Der Antrag des Ausschusses in §. 6. der Grundrechte verlangt Gleichheit vor dem Gesetz, Aufhebung der Standesprivilegien, Zugänglichkeit der öffentlichen Aemter für „Alle dazu Befähigten“, und allgemeine Wehrpflicht. Fünf Minoritätsgutachten und zahllose Anträge, welche meist auf Abschaffung des Adels, Aufhebung der Orden und Titel und allgemeines Waffenrecht gerichtet sind, bekunden hinlänglich die Ernsthaftigkeit, mit welcher die Versammlung diese Verhandlung aufzufassen gedenkt. Herr Ahrens von Salzgitter hat die Ehre, diese wichtige Discussion zu eröffnen, und wünscht vorzuschlagen, daß die Phrase der „Gleichheit vor dem Gesetz“ am liebsten ohne alle Discussion angenommen werden möge. Er begründet diesen patriotischen Antrag mit der Berufung, daß der belgische Congreß im Jahre 1831 dies „politische Axiom“ ebenfalls ohne Discussion in die Constitution aufgenommen habe, eine Thatsache, welche allerdings zur Genüge die Harmlosigkeit der Phrase beweist. Gleichwohl findet es Hr. Ahrens nöthig, sich noch weiter über die Ungefährlichkeit des Satzes, der bloß ein „ Rechtssprüchwort“ enthalte, auszulassen. „M. H.“, spricht er mit sehr starker Stimme, „ es handelt sich hier allein um die bürgerliche Gleichheit, nicht um eine rohe materialistisch-communistische Gleichheit, welche die Folgen natürlicher Unterschiede in Bezug auf Arbeit und Vermögenserwerb vertilgen will!“ Wäre Hr. Ahrens nicht Professor der Krause'schen Philosophie in Brüssel, so würde man glauben, er habe eine sehr mangelhafte Erziehung genossen. In der That benimmt sich der ehrenwerthe Abgeordnete wie jener Domherr am ästhetischen Theetisch, der bei den süßflötenden Gesprächen über platonische Liebe den Mund weit zu der Warnung öffnet: „Die Liebe sei nicht zu roh, sonst schadet sie der Gesundheit!“ Die Versammlung verhandelt über die platonische Rechtsgleichheit, welche sich „auf die natürlichen Klassenunterschiede“ gründet, ‒ und der Domherr der krauseanischen Moral verwahrt dieselbe gegen die „rohe materialistische Gleichheitsliebe,“ welche die Gesundheit der Klassenunterschiede, die Basis des bürgerlich-juristischen Gleichheitplatonismus gefährdet! ‒ Der brüsseler Professor hat sich indeß einmal die Aufgabe gesetzt, die Harmlosigkeit eines „politischen Axioms“, welches auch in der belgischen Musterkonstitution Aufnahme gefunden hat, gegen Mißdeutungen zu verwahren. Nachdem er den Verdacht des Communismus siegreich von dem Ausschußantrag abgewendet hat, richtet er sich mit gleichem Erfolg gegen den Vorwurf eines politischen Radicalismus in diesem Gesetz. Eine „gewichtige Stimme“, der ehrenwerthe Professor Dahlmann, hat nämlich bei einer früheren Gelegenheit wissenschaftliche Bedenken gegen den Ausdruck: #x201E;Gleichheit vor dem Gesetz“ geäußert. Herr Dahlmann sagte: „Ich weiß, wenn dieser Grundsatz gelten soll, nichts zu machen mit unsern Fürsten, mit unsern verantwortlichen Ministern, am Ende auch nichts zu machen, fürchte ich, mit einer Ständeversammlung, vielleicht nicht einmal mit der Nationalversammlung. Denn wenn wir Fürsten haben, wollen wir Männer haben, die nicht gleich sind vor dem Gesetz, … und wir dürfen keine Minister haben, denn sie sind ungleich vor dem Gesetz, weil sie nur auf bestimmte Weise in Anklagezustand versetzt werden können.“ Herr Ahrens lächelt mit Recht über diese Sprünge deutschen Professorenthums. Die Ausstellungen des Herrn Dahlmann würden nur dann gerechtfertigt sein, wenn die „Gleichheit vor dem Gesetz“ mehr als ein bloßes „Rechtssprüchwort“ werden und alle Ausnahmegesetze ausschließen solle. Herr Ahrens giebt dagegen die wahre Begriffserklärung: „Der Satz, daß Alle gleich seien vor dem Gesetz, will nicht bedeuten, daß eine allgemein gleiche, Alles nivellirende Gesetzgebung stattfinden soll, sondern nur, daß für alle Personen und Sachen, welche sich in gleicher Lage befinden, gleiche Gesetze bestehen … Wir wollen an dem Satz festhalten, weil darin ein Rechtssprüchwort gegeben ist, welches sich Jedem leicht einprägt (als Gedächtnißübung); wir wollen ihn festhalten, weil die allgemeine Achtung, welche das Gesetz hiermit Allen angedeihen läßt, sich zu einer allgemeinen persönlichen Achtung erweitert.“ Womit übrigens Herr Ahrens nicht sagen will, daß die Ausnahmgesetze für Fürsten und Minister den Anspruch auf „persönliche Achtung“ ausschließen. Indem „für Alle, die sich in gleicher Lage befinden, gleiche Gesetze bestehen,“ für Fürsten und Beamte besondere, für das Bürgerthum besondere, und für die „natürlichen Folgen natürlicher Unterschiede,“ für das Proletariat besondere Gesetze, ‒ läßt das Gesetz Allen eine „allgemeine Achtung“ angedeihen. Diese „allgemeine Achtung“ hat die Wirkung, sich zu einer persönlichen zu erweitern, indem sie, wie Hr. Ahrens sagt, „alle Bürger einander näher bringt,“ ‒ innerhalb der „natürlichen Klassenunterschiede“, Fürsten mit Ministern, Bürger mit Bürgern, Proletarier mit Proletariern. Das Prinzip selbst „bleibt bestehen.“ Die Gleichheit besteht, nicht „roh, materialistisch“, sondern platonisch, ideell, ‒ innerhalb der natürlichen Unterschiede, als gemeinschaftliches „Rechtssprüchwort.“ Angenehme Wirkung des Gleichheit-Begriffs! Nachdem Hr. Ahrens sodann noch im Sinn der politischen Moral für Abstellung der Civilorden gesprochen, dem Militärstand aber in dieser Beziehung Ausnahmgesetze vindicirt hat, ohne sich um den Ruf der Versammlung nach Schluß und um die Ermahnung des Präsidenten zur Kürze zu kümmern, erscheint Hr. Moriz Mohl auf der Tribüne. Hr. Mohl spricht für den Minoritätsantrag, welcher den Theil des Paragraphen, der von Aufhebung der Standesprivilegien handelt, auf Abschaffung des Adels, seiner Titel und Benennungen ausgedehnt wissen will. „Meine Herren, man mag die Sache betrachten wie man will, sie ist erstaunlich einfach. Das Bestehen eines Standes, dessen Mitglieder vermöge ihrer bloßen Geburt einer äußern Auszeichnung genießen, das Bestehen eines solchen Standes ist eine vollkommene Verneinung der staatsbürgerlichen Gleichheit. Eine solche Einrichtung, wenn sie auch gar nicht mißbraucht wird, ist ein Unrecht, eine Beleidigung gegen die Nation.“ Hr. Mohl macht der Versammlung glauben, er stehe auf „prinzipiellem, rein theoretischem“ Standpunkt. In der That aber ist die Stellung, die er einnimmt, ein ganz gewöhnlicher rein bürgerlicher Standpunkt; seine ganze Polemik ist nichts, als der schwache Ausdruck des alten Klassenkampfs der Bourgeoisie gegen die „höhere“ Adelsrace. „Ich frage Sie, m. H., welche größere Ungleichheit vor dem Gesetze gibt es, als die Eintheilung des Volkes in zwei Kasten, in eine vornehme Kaste und eine geringe Kaste?“ Diese zwei Kasten sind nach Hrn. Mohl Adel und „Bürgerstand,“ und Hr. Mohl hat daher durchaus kein Recht, hierfür den Namen des Volks zu vindiciren. Hr. Mohl weiß nichts von den Erfahrungen der Pariser Junischlacht, seine Polemik ist der beste Beweis davon. Seine ganze Rede ist eine Apologie der Bourgeoisie gegenüber dem „Adelsstand.“ Er erzählt von den Verdiensten des Bürgerthums um Handel, Schifffahrt, städtische Institutionen; er erinnert daran, daß Schiller, Göthe und alle „großen Sterne am geistigen Horizont“ aus dem Bürgerthum hervorgegangen seien; er greift die kriegerischen Vorzüge des Adels an, und fragt, ob die Bürger, Juden und Krämer nicht ebenso tapfer in dem französischen Kriege gekämpft hätten; er gesteht dem Adel zu, hin und wieder auf dem landwirthschaftlichen Feld mit den „ bürgerlichen Gutsbesitzern gewetteifert zu haben, und sein ganzes Resume ist, daß der „bürgerliche“ Theil der Nation dem Adel seine „ Ebenbürtigkeit “ durch die That bewiesen habe. Wenn Hr. Mohl konsequent wäre, hätte er nicht auf Abschaffung des Adels, sondern auf Erhebung der Bourgeoisie in den Adelsstand antragen müssen. Hierbei ändert es nichts, wenn Hr. Mohl zuletzt erklärt, daß nicht dieses oder jenes Vorrecht das „Wesentliche“ des Adels, sondern daß das Erbliche des Adels das eigentliche Privilegium, die wahre Ungleichheit vor dem Gesetz sei. Hat Hr. Mohl nie gehört, daß auch die „Verdienste“ seiner „ bürgerlichen Gutsbesitzer “ erblich sind? Hr. Mohl glaubt den Unsinn des Adels entdeckt zu haben, indem er triumphirend ausruft: „Welches größere Standes-Privilegium gibt es, als daß die Geburt zu einem höhern Stande berechtigt?“ Ah, Hr. Mohl, bei Ihren „bürgerlichen Gutsbesitzern“ ist es nicht die Geburt, welche zu besserer Erziehung, zur „Befähigung zu Staatsämtern,“ und den bürgerlichen Privilegien der Spekulation und des Wuchers berechtigen? Wunderbare Gedankenfülle des schwäbischen Bürgerfreundes! Friedrich Gentz erklärte einst den Adel für eine Eigenthumsfrage; er erklärte den Adel als Ausfluß des Eigenthums, „weil zwischen dem erblichen Besitz einer Würde und dem erblichen Besitz eines Grundstückes keine Spur rechtlichen Unterschiedes sei.“ Was will Hr. Mohl darauf antworten? Erbrecht um Erbrecht! Um den bürgerlichen Standpunkt in dieser Polemik vollständig zu wahren, erinnert Herr Mohl zum Schluß noch daran, daß der Adel überall in Ländern, wo er „keine Privilegien,“ aber seine Adelstitel noch besitze, das Grundeigenthum an sich gebracht habe, und durch den Vorrang seines Namens reiche Heirathen zu schließen befugt sei. „Sie wissen ja, m. H., daß die Töchter der Geldsäcke besonderes Vergnügen daran finden, sich Gräfinnen nennen zu lassen.“ In der That, ist nicht diese heillose Lust der Bourgeois-Töchter bereits zum Gegenstand offener Spekulation geworden? Hat nicht u. A. ein „Herr von altem Adel“ in den Berliner Zeitungen ein Heirathsgesuch annoncirt, worin er sich bereit erklärt, seinen alten Namen mit einer jungen Bürgerlichen zu theilen, falls ihm diese eine gewisse Geldsumme „baar“ zuführte? Retten wir also das Geld des Bürgerthums, indem wir das „von“ des Adels streichen! „Erst dann, m. H., wenn der Adel wie in Frankreich, Nord-Amerika, der Schweiz, Norwegen, wirklich aufgehoben ist, erst dann, wenn die Schranken fallen, die ihn vom Bürgerstand trennen, erst dann, wenn es nur noch Ein Volk, keine zwei verschiedene Racen mehr gibt, erst dann werden Sie die Freiheit wahrhaft und fest gegründet haben!“ Einfache Lösung der socialen Probleme, welche nach dem Berichterstatter des volkswirthschaftlichen Ausschusses durch die Grundrechte in „vernünftiger Weise“ in Angriff genommen werden soll! Nach Aufhebung der Adelstitel wird es überall nur Ein Volk, keine zwei entgegengesetzten Kasten mehr geben, ‒ denn die Pariser Junirevolution kann nur die Erhebung einiger von ausländischem Adel gewonnenen Strolche gewesen sein. Nach Aufhebung des Adels ist die „Gleichheit“ wahrhaft und fest gewährleistet, ‒ nicht die „rohe, materialistische,“ sondern die platonische, bürgerliche, welche auf natürlichen, d. h. geschichtlichen und gesellschaftlichen Unterschieden fußt. (Schluß folgt.) 121 Köln, 21. Aug. Sonderbarer Weise hat man die hier erscheinenden „Freien Volksblätter“ unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Jedesmal am Tage des Erscheinens dieser Blätter ‒ In einem Thal bei armen Hirten Erschien mit jedem jungen Jahr, So oft die ersten Lerchen schwirrten, Ein Mädchen schön und wunderbar ‒ mit jeder jungen Nummer, ja bevor sie noch ausgegeben, erscheinen in der Druckerei zwei bis vier bis an die Zähne bewaffnete Gensdarmen und kaufen sich das erste jungfräuliche Exemplar. ‒ Obgleich diesen Herren mehrmals bemerkt worden, daß es billiger und vortheilhafter sei, wenn sie sich auf die Blätter abonnirten, indem sie alsdann der Mühe überhoben wären, sich jede einzelne Nummer auf der Expedition zu holen, wollten sie doch den Vortheil nicht einsehen und bemerkten, daß sie dienstmäßig dazu kommandirt seien. ‒ Diese Maßregel datirt von einem in den „Fr. Volksblättern“ erschienenen Artikel: „Die Verhaftungen in Köln,“ auf Grund melchen Artikels gegen den Herausgeber, Hrn. Bernh. Dietz, eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet worden. Man sieht also, daß die von der hohen Polizei diesen Blättern zugewandte gesteigerte Aufmerksamkeit nicht ohne wohlwollende Absicht ist. 103 Berlin, 20. Aug.
Unsere Aristokratie entfaltet hier seit einigen Tagen eine außerordentliche Thätigkeit, um den Sturz des Hrn. Hansemann herbeizuführen. Die Erhöhung der Grundsteuer, der Branntweinsteuer und Rübenzuckersteuer, deren Ausführung den völlige Ruin vieler Gutsbesitzer herbeiführen würde, haben Hrn. Hansemann den Zorn und Haß dieser Leute zugezogen. Man will, wenn er seinen Plänen oder seiner Stelle nicht freiwillig entsagt, ihn auf jede Weise zu beseitigen suchen. Einige Gutsbesitzer, welche heute einem Abgeordneten von der äußersten Linken ihren Besuch abstatteten um ihn für ihre Pläne zu gewinnen, wurden so zutraulich zu demselben, da er ihnen seine Mitwirkung versprach, daß sie ihm erzählten, wie sie Hrn. Han- [Fortsetzung] Das Domfest von 1848. (Fortsetzung.) Ich muß gestehen, ich war erschöpft vom Anhören so vieler köstlichen Toaste. Ich hatte meinen Platz verlassen und war hart an die Erhöhung des Saales getreten um recht in der nächsten Nähe in dem Anblick der größten Männer unseres Jahrhunderts schwelgen zu können. Gott weiß es, wie lange ich durch den ausgezeichnet schönen Bart eines liebenswürdigen Fürsten, durch das gesunde Aussehen Jupiters oder durch die sprechende Aehnlichkeit des Herrn von Soiron festgebannt und gefeit worden wäre, wenn nicht plötzlich ein ziemlich wohlbeleibter Mann meine Schulter berührt und mich im reinsten westphälischen Dialekt darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich ihm durch meine Stellung die Aussicht nach einer höchst einladenden Torte versperre, die bei dem allgemeinen Redeenthusiasmus bisher unberücksichtigt geblieben war. Der würdige Dombaudeputirte, der von Hamm, Soest, von Dortmund oder von irgend einer anderen sabbathstillen Stadt der rothen Erde nach Cöln gekommen war, um sich einmal recht am Wein, am Gebet und am Patriotismus zu letzen, schien mir fest entschlossen zu sein, den hohen Eintrittspreis des Festmahles gewissenhaft herausfressen zu wollen. Der ehrenwerthe Mann kümmerte sich wenig um den Erzherzog-Reichsverweser, um Herrn von Gagern und den päbstlichen Runtins ‒ er ließ der Weltgeschichte ihren Lauf und beschäftigte sich mehr mit den praktischen Interessen des Hungers und des Durstes. „Wollten Sie mir nicht die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte mich der gute Westphale mit dem Ausdruck der höchsten Freundlichkeit. Ich merkte die leidenschaftlichen Gelüste des alten Knaben, denn während er mich anredete sah er nicht auf mich, sondern immer nach der Stelle hin, wo die herzerfreuende Torte stand. „Mit dem größten Vergnügen!“ erwiederte ich ihm und stemmte meine Faust in die Seite, so daß der Westphale, wie man durch das Bingerloch nach dem Rheingau, oder durch den Rolandsbogen nach dem Siebengebirge blickt, so durch meinen gekrümmten Arm hindurch nach dem Gegenstand aller seiner Wünsche schauen konnte. Der Westphale schien zu glauben, daß ich seine tieferen Absichten nicht verstanden hätte; er sah mich daher mit seinen großen, blauen Augen ziemlich stier an, als wollte er mich fragen, ob ich denn nicht die Sprüche Salomonis kenne, wo da geschrieben steht, daß man dem Ochsen der da drischt das Maul nicht verbinden soll? ‒ Ich blieb aber unerbittlich. „ Lieber Herr, wollten Sie mir nicht gefälligst die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte da der Sohn der rothen Erde zum zweiten Male und ein Gemisch von Wollust und Melancholie spielte um seinen sehr großen Mund. Die Leiden des armen Mannes rührten mich. „Mit dem größten Vergnügen!“ rief ich abermals ‒ „Sie scheinen nicht gut sehen zu können ‒ wollen Sie sich meiner Lorgnette bedienen?“ Während mein rechter Arm seine frühere gekrümmte Position beibehielt, reichte ich ihm mit der linken Hand die Lorgnette über den Tisch hinüber. Der Westphale stutzte. Sie müssen entweder ein sehr dummer oder ein höchst impertinenter Mensch sein ‒ schien der unglückliche Sehnsüchtige zu denken. Da ermannte er sich und sprach zum dritten Male mit einer so bittenden, wehmüthigen Stimme, daß es einen Stein hätte erweichen können: „Sehr verehrter Herr, hätten Sie nicht die große Gewogenheit mir die Aussicht nach jener Torte gefälligst zu gewähren? Ich habe ein 1 Thaler 20 Silbergroschen für mein Billet bezahlt ‒ Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld! ‒ es verlangt mich nach jener Torte ‒‒“ Das Antlitz des Armen überflog eine sichtbare Bangigkeit. Er sah wie von der andern Seite noch ein zweiter Aspirant auf die reizende Torte lossteuerte; ein Mann, der sich etwas verschämt, wie es Liebende sind, rechts und links umschaute, um sich davon zu überzeugen, daß ihn auch Niemand in dem allgemeinen Wirrwarr bemerke. Es war die höchste Zeit, den Raub zu vollbringen. Den Westphalen stach es wie mit tausend Nadeln, er rückte hin und her und immer flehentlicher und immer bittender leuchteten seine unschuldigen Augen. Da konnte ich nicht länger widerstehen; ich wandte mich seitwärts und schon hatte ich die Hand nach der Heißersehnten ausgestreckt, da kam mir plötzlich der gewandtere Nebenbuhler des armen Westphalen zuvor, ich erkannte in meinem Gegner meinen frühern Nachbar, den preußischen Deputirten, den Ritter von der Teltower Rübe und ich wäre fast vor Lachen gestorben, als ich ihn mit einer wahrhaft teuflischen Geschwindigkeit sammt der eroberten Torte verschwinden sah. Der arme Westphale sank aber wie eine geknickte Blume zusammen; er röchelte in seine Serviette hinein und: „Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld!“ schien er noch ein Mal zu seufzen, da machte ich mich aus dem Staube, denn ich fürchtete den gerechten Zorn des Mannes, ich glaube, er hätte mich getödtet mit Messer und mit Gabel und mich selbst gefressen statt der verhängnisvollsten aller Torten. Meine Aufmerksamkeit wurde nach der andern Seite des Saales gelenkt, wo sich ein eigenthümliches Getöse erhob, das mein musikalisches Gefühl auf's empfindlichste verletzte und mich eben so sehr an die Menagerie eines van Aaken als an jenes Grunzen und Brummen erinnerte, welches man Nachts um die zwölfte Stunde wohl aus den Bierhäusern deutscher Hochschulen schallen hört. Ich sah mich erstaunt und unwillig um und bemerkte zu meinem nicht geringen Leidwesen einen ehrenwerthen Vice-Präsidenten, der sich mit Händen und Füßen und mit einem nicht zu verachtenden Bierbaß nochmals Gehör zu verschaffen suchte, um sehr wahrscheinlich auf's Neue zu erklären, daß er ein einfacher Mann sei und nur ein einfaches Wort zu reden habe, recht aus dem Herzen, von allgemeiner Brüderlichkeit, durch sämmtliche Gaue des deutschen Vaterlandes, bis an die äußersten Gränzen. Der bekannte Redner winkte in derselben Weise mit den Händen wie es die Droschkenkutscher bei schlechtem Wetter thun, wenn sie die Vorübergehenden zum Besteigen des Wagens einladen. Aber ach, die hohe Versammlung wollte sich nicht zum zweiten Male verleiten lassen. Vergebens trampelte, winkte und schrie Sancho ‒ mit wahrhaft deutscher Unhöflichkeit blieb man auf seinen Sitzen oder eilte an dem guten Manne vorüber, so daß Sancho zuletzt auf die Ehre des Wortes verzichtete und seinem Herrn und Meister das Feld überließ. Herr von Gagern machte indeß keine Anstalt zu einem abermaligen Vortrag, nein, er sammelte nur einige Deputirte um sich und stieg wie Zeus umgeben von seinen Olym- <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0419"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung.</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 83. Köln, Mittwoch 23. August 1848.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar083_001" type="jArticle"> <head><bibl><author>19</author></bibl> Köln, 21. Aug.</head> <p><hi rendition="#g">(Die Verhandlungen über die deutschen Grundrechte.)</hi> „La libertad, Sancho, es uno de los mas preciosos donos, que a los hombres dieron los Ciclos“, erklärte schon der edle Ritter Don Quixote seinem Schildknappen. „Die Freiheit ist eines der kostbarsten Himmelsgüter der Sterblichen.“ Es kömmt bloß auf die verschiedene Bedeutung an, welche man mit dem Begriff der Freiheit verbinden will.</p> <p>Die Begriffsfähigkeit der kostbaren Güter, welche die Frankfurter Nationalversammlung dem deutschen Volke in den Grundrechten gewährleistet, ist um so unbeschränkter, als die Grundrechte nach dem Geständniß des Berichterstatters Beseler bekanntlich „ohne Prinzipien und ohne Feststellung dessen, was dazu gehört“ entworfen wurden. In dem allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht war es die Einheit und Freiheit, deren Deklaration die Versammlung beschäftigte, ‒ die Freiheit, welche von Hrn. Jakob Grimm als Wirkung der Luft, die Einheit, die von dem Redakteur der begriffenen Welt „als politischer Begriff“ erklärt wurde. Wir folgen ihr diesmal in den Debatten über §. 6 des Entwurfs zu einem neuen Begriff, dem precioso dono der „Gleichheit“, welches den unsterblichen Deutschen gewährleistet werden soll. „Einheit, Freiheit, Gleichheit,“ ‒ kein Don Quixote würde zweifeln, daß mit diesen dreifaltigen Himmelsgütern der Himmel selbst sich auf Deutschland niedergelassen.</p> <p>Der Antrag des Ausschusses in §. 6. der Grundrechte verlangt Gleichheit vor dem Gesetz, Aufhebung der Standesprivilegien, Zugänglichkeit der öffentlichen Aemter für „Alle dazu Befähigten“, und allgemeine Wehrpflicht. Fünf Minoritätsgutachten und zahllose Anträge, welche meist auf Abschaffung des Adels, Aufhebung der Orden und Titel und allgemeines Waffenrecht gerichtet sind, bekunden hinlänglich die Ernsthaftigkeit, mit welcher die Versammlung diese Verhandlung aufzufassen gedenkt.</p> <p>Herr Ahrens von Salzgitter hat die Ehre, diese wichtige Discussion zu eröffnen, und wünscht vorzuschlagen, daß die Phrase der „Gleichheit vor dem Gesetz“ am liebsten ohne alle Discussion angenommen werden möge. Er begründet diesen patriotischen Antrag mit der Berufung, daß der belgische Congreß im Jahre 1831 dies „politische Axiom“ ebenfalls ohne Discussion in die Constitution aufgenommen habe, eine Thatsache, welche allerdings zur Genüge die Harmlosigkeit der Phrase beweist. Gleichwohl findet es Hr. Ahrens nöthig, sich noch weiter über die Ungefährlichkeit des Satzes, der bloß ein „ Rechtssprüchwort“ enthalte, auszulassen.</p> <p>„M. H.“, spricht er mit sehr starker Stimme, „ es handelt sich hier allein um die bürgerliche Gleichheit, nicht um eine rohe materialistisch-communistische Gleichheit, welche die Folgen natürlicher Unterschiede in Bezug auf Arbeit und Vermögenserwerb vertilgen will!“</p> <p>Wäre Hr. Ahrens nicht Professor der Krause'schen Philosophie in Brüssel, so würde man glauben, er habe eine sehr mangelhafte Erziehung genossen. In der That benimmt sich der ehrenwerthe Abgeordnete wie jener Domherr am ästhetischen Theetisch, der bei den süßflötenden Gesprächen über platonische Liebe den Mund weit zu der Warnung öffnet: „Die Liebe sei nicht zu roh, sonst schadet sie der Gesundheit!“ Die Versammlung verhandelt über die platonische Rechtsgleichheit, welche sich „auf die natürlichen Klassenunterschiede“ gründet, ‒ und der Domherr der krauseanischen Moral verwahrt dieselbe gegen die „rohe materialistische Gleichheitsliebe,“ welche die Gesundheit der Klassenunterschiede, die Basis des bürgerlich-juristischen Gleichheitplatonismus gefährdet! ‒</p> <p>Der brüsseler Professor hat sich indeß einmal die Aufgabe gesetzt, die Harmlosigkeit eines „politischen Axioms“, welches auch in der belgischen Musterkonstitution Aufnahme gefunden hat, gegen Mißdeutungen zu verwahren. Nachdem er den Verdacht des Communismus siegreich von dem Ausschußantrag abgewendet hat, richtet er sich mit gleichem Erfolg gegen den Vorwurf eines politischen Radicalismus in diesem Gesetz. Eine „gewichtige Stimme“, der ehrenwerthe Professor Dahlmann, hat nämlich bei einer früheren Gelegenheit wissenschaftliche Bedenken gegen den Ausdruck: #x201E;Gleichheit vor dem Gesetz“ geäußert. Herr Dahlmann sagte: „Ich weiß, wenn dieser Grundsatz gelten soll, nichts zu machen mit unsern Fürsten, mit unsern verantwortlichen Ministern, am Ende auch nichts zu machen, <hi rendition="#g">fürchte ich,</hi> mit einer Ständeversammlung, vielleicht nicht einmal mit der Nationalversammlung. Denn wenn wir Fürsten haben, wollen wir Männer haben, <hi rendition="#g">die nicht gleich sind vor dem Gesetz,</hi> … und wir dürfen keine Minister haben, denn <hi rendition="#g">sie sind ungleich vor dem Gesetz,</hi> weil sie nur auf bestimmte Weise in Anklagezustand versetzt werden können.“</p> <p>Herr Ahrens lächelt mit Recht über diese Sprünge deutschen Professorenthums. Die Ausstellungen des Herrn Dahlmann würden nur dann gerechtfertigt sein, wenn die „Gleichheit vor dem Gesetz“ mehr als ein bloßes „Rechtssprüchwort“ werden und alle Ausnahmegesetze ausschließen solle. Herr Ahrens giebt dagegen die wahre Begriffserklärung:</p> <p>„Der Satz, daß Alle gleich seien vor dem Gesetz, will nicht bedeuten, daß eine <hi rendition="#g">allgemein gleiche,</hi> Alles nivellirende Gesetzgebung stattfinden soll, sondern nur, daß für alle Personen und Sachen, welche sich in <hi rendition="#g">gleicher Lage</hi> befinden, <hi rendition="#g">gleiche Gesetze</hi> bestehen … Wir wollen an dem Satz festhalten, weil darin ein Rechtssprüchwort gegeben ist, welches sich Jedem leicht einprägt (als Gedächtnißübung); wir wollen ihn festhalten, weil die <hi rendition="#g">allgemeine</hi> Achtung, welche das Gesetz hiermit Allen angedeihen läßt, sich zu einer allgemeinen <hi rendition="#g">persönlichen</hi> Achtung erweitert.“</p> <p>Womit übrigens Herr Ahrens nicht sagen will, daß die Ausnahmgesetze für Fürsten und Minister den Anspruch auf „persönliche Achtung“ ausschließen.</p> <p>Indem „für Alle, die sich in <hi rendition="#g">gleicher Lage</hi> befinden, gleiche Gesetze bestehen,“ für Fürsten und Beamte besondere, für das Bürgerthum besondere, und für die „natürlichen Folgen natürlicher Unterschiede,“ für das Proletariat besondere Gesetze, ‒ läßt das Gesetz Allen eine „allgemeine Achtung“ angedeihen. Diese „allgemeine Achtung“ hat die Wirkung, sich zu einer persönlichen zu erweitern, indem sie, wie Hr. Ahrens sagt, „alle Bürger einander näher bringt,“ ‒ innerhalb der „natürlichen Klassenunterschiede“, Fürsten mit Ministern, Bürger mit Bürgern, Proletarier mit Proletariern. Das Prinzip selbst „bleibt bestehen.“ Die Gleichheit besteht, nicht „roh, materialistisch“, sondern platonisch, ideell, ‒ innerhalb der natürlichen Unterschiede, als gemeinschaftliches „Rechtssprüchwort.“ Angenehme Wirkung des Gleichheit-Begriffs!</p> <p>Nachdem Hr. Ahrens sodann noch im Sinn der <hi rendition="#g">politischen Moral</hi> für Abstellung der Civilorden gesprochen, dem Militärstand aber in dieser Beziehung Ausnahmgesetze vindicirt hat, ohne sich um den Ruf der Versammlung nach Schluß und um die Ermahnung des Präsidenten zur Kürze zu kümmern, erscheint Hr. Moriz Mohl auf der Tribüne.</p> <p>Hr. Mohl spricht für den Minoritätsantrag, welcher den Theil des Paragraphen, der von Aufhebung der Standesprivilegien handelt, auf Abschaffung des Adels, seiner Titel und Benennungen ausgedehnt wissen will.</p> <p>„Meine Herren, man mag die Sache betrachten wie man will, sie ist erstaunlich einfach. Das Bestehen eines Standes, dessen Mitglieder vermöge ihrer bloßen Geburt einer äußern Auszeichnung genießen, das Bestehen eines solchen Standes ist eine vollkommene Verneinung der staatsbürgerlichen Gleichheit. Eine solche Einrichtung, wenn sie auch gar nicht mißbraucht wird, ist ein Unrecht, eine Beleidigung gegen die Nation.“</p> <p>Hr. Mohl macht der Versammlung glauben, er stehe auf „prinzipiellem, rein theoretischem“ Standpunkt. In der That aber ist die Stellung, die er einnimmt, ein ganz gewöhnlicher rein bürgerlicher Standpunkt; seine ganze Polemik ist nichts, als der schwache Ausdruck des alten Klassenkampfs der Bourgeoisie gegen die „höhere“ Adelsrace.</p> <p>„Ich frage Sie, m. H., welche größere Ungleichheit vor dem Gesetze gibt es, als die Eintheilung des Volkes in zwei Kasten, in eine vornehme Kaste und eine geringe Kaste?“</p> <p>Diese zwei Kasten sind nach Hrn. Mohl Adel und „Bürgerstand,“ und Hr. Mohl hat daher durchaus kein Recht, hierfür den Namen des Volks zu vindiciren. Hr. Mohl weiß nichts von den Erfahrungen der Pariser Junischlacht, seine Polemik ist der beste Beweis davon. Seine ganze Rede ist eine Apologie der Bourgeoisie gegenüber dem „Adelsstand.“ Er erzählt von den Verdiensten des Bürgerthums um Handel, Schifffahrt, städtische Institutionen; er erinnert daran, daß Schiller, Göthe und alle „großen Sterne am geistigen Horizont“ aus dem Bürgerthum hervorgegangen seien; er greift die kriegerischen Vorzüge des Adels an, und fragt, ob die Bürger, Juden und Krämer nicht ebenso tapfer in dem französischen Kriege gekämpft hätten; er gesteht dem Adel zu, hin und wieder auf dem landwirthschaftlichen Feld mit den „ <hi rendition="#g">bürgerlichen Gutsbesitzern</hi> gewetteifert zu haben, und sein ganzes Resume ist, daß der „bürgerliche“ Theil der Nation dem Adel seine „ <hi rendition="#g">Ebenbürtigkeit</hi> “ durch die That bewiesen habe.</p> <p>Wenn Hr. Mohl konsequent wäre, hätte er nicht auf Abschaffung des Adels, sondern auf Erhebung der Bourgeoisie in den Adelsstand antragen müssen.</p> <p>Hierbei ändert es nichts, wenn Hr. Mohl zuletzt erklärt, daß nicht dieses oder jenes Vorrecht das „Wesentliche“ des Adels, sondern daß das <hi rendition="#g">Erbliche</hi> des Adels das eigentliche Privilegium, die wahre Ungleichheit vor dem Gesetz sei. Hat Hr. Mohl nie gehört, daß auch die „Verdienste“ seiner „ <hi rendition="#g">bürgerlichen Gutsbesitzer</hi> “ erblich sind? Hr. Mohl glaubt den Unsinn des Adels entdeckt zu haben, indem er triumphirend ausruft: „Welches größere Standes-Privilegium gibt es, als daß die <hi rendition="#g">Geburt</hi> zu einem höhern Stande berechtigt?“ Ah, Hr. Mohl, bei Ihren „bürgerlichen Gutsbesitzern“ ist es nicht die Geburt, welche zu besserer Erziehung, zur „Befähigung zu Staatsämtern,“ und den bürgerlichen Privilegien der Spekulation und des Wuchers berechtigen? Wunderbare Gedankenfülle des schwäbischen Bürgerfreundes! Friedrich Gentz erklärte einst den Adel für eine Eigenthumsfrage; er erklärte den Adel als Ausfluß des Eigenthums, „weil zwischen dem erblichen Besitz einer <hi rendition="#g">Würde</hi> und dem erblichen Besitz eines Grundstückes keine Spur rechtlichen Unterschiedes sei.“ Was will Hr. Mohl darauf antworten? Erbrecht um Erbrecht!</p> <p>Um den bürgerlichen Standpunkt in dieser Polemik vollständig zu wahren, erinnert Herr Mohl zum Schluß noch daran, daß der Adel überall in Ländern, wo er „keine Privilegien,“ aber seine Adelstitel noch besitze, das Grundeigenthum an sich gebracht habe, und durch den Vorrang seines Namens reiche Heirathen zu schließen befugt sei. „Sie wissen ja, m. H., daß die Töchter der Geldsäcke besonderes Vergnügen daran finden, sich Gräfinnen nennen zu lassen.“ In der That, ist nicht diese heillose Lust der Bourgeois-Töchter bereits zum Gegenstand offener Spekulation geworden? Hat nicht u. A. ein „Herr von altem Adel“ in den Berliner Zeitungen ein Heirathsgesuch annoncirt, worin er sich bereit erklärt, seinen alten Namen mit einer jungen Bürgerlichen zu theilen, falls ihm diese eine gewisse Geldsumme „baar“ zuführte? Retten wir also das Geld des Bürgerthums, indem wir das „von“ des Adels streichen!</p> <p>„Erst dann, m. H., wenn der Adel wie in Frankreich, Nord-Amerika, der Schweiz, Norwegen, wirklich aufgehoben ist, erst dann, wenn die Schranken fallen, die ihn vom Bürgerstand trennen, erst dann, wenn es nur noch <hi rendition="#g">Ein Volk, keine zwei verschiedene Racen</hi> mehr gibt, erst dann werden Sie die Freiheit wahrhaft und fest gegründet haben!“</p> <p>Einfache Lösung der socialen Probleme, welche nach dem Berichterstatter des volkswirthschaftlichen Ausschusses durch die Grundrechte in „vernünftiger Weise“ in Angriff genommen werden soll! Nach Aufhebung der Adelstitel wird es überall nur Ein Volk, keine zwei entgegengesetzten Kasten mehr geben, ‒ denn die Pariser Junirevolution kann nur die Erhebung einiger von <hi rendition="#g">ausländischem</hi> Adel gewonnenen Strolche gewesen sein. Nach Aufhebung des Adels ist die „Gleichheit“ wahrhaft und fest gewährleistet, ‒ nicht die „rohe, materialistische,“ sondern die platonische, bürgerliche, welche auf natürlichen, d. h. geschichtlichen und gesellschaftlichen Unterschieden fußt.</p> <p> <ref type="link">(Schluß folgt.)</ref> </p> </div> <div xml:id="ar083_002" type="jArticle"> <head><bibl><author>121</author></bibl> Köln, 21. Aug.</head> <p>Sonderbarer Weise hat man die hier erscheinenden „Freien Volksblätter“ unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Jedesmal am Tage des Erscheinens dieser Blätter ‒</p> <lg type="poem"> <l>In einem Thal bei armen Hirten</l><lb/> <l>Erschien mit jedem jungen Jahr,</l><lb/> <l>So oft die ersten Lerchen schwirrten,</l><lb/> <l>Ein Mädchen schön und wunderbar ‒</l><lb/> </lg> <p>mit jeder jungen Nummer, ja bevor sie noch ausgegeben, erscheinen in der Druckerei zwei bis vier bis an die Zähne bewaffnete Gensdarmen und kaufen sich das erste jungfräuliche Exemplar. ‒ Obgleich diesen Herren mehrmals bemerkt worden, daß es billiger und vortheilhafter sei, wenn sie sich auf die Blätter abonnirten, indem sie alsdann der Mühe überhoben wären, sich jede einzelne Nummer auf der Expedition zu holen, wollten sie doch den Vortheil nicht einsehen und bemerkten, daß sie dienstmäßig dazu kommandirt seien. ‒ Diese Maßregel datirt von einem in den „Fr. Volksblättern“ erschienenen Artikel: „Die Verhaftungen in Köln,“ auf Grund melchen Artikels gegen den Herausgeber, Hrn. Bernh. Dietz, eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet worden. Man sieht also, daß die von der hohen Polizei diesen Blättern zugewandte gesteigerte Aufmerksamkeit nicht ohne wohlwollende Absicht ist.</p> </div> <div xml:id="ar083_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 20. Aug.</head> <p>Unsere <hi rendition="#g">Aristokratie</hi> entfaltet hier seit einigen Tagen eine außerordentliche Thätigkeit, um den Sturz des Hrn. <hi rendition="#g">Hansemann</hi> herbeizuführen. Die Erhöhung der Grundsteuer, der Branntweinsteuer und Rübenzuckersteuer, deren Ausführung den völlige Ruin vieler Gutsbesitzer herbeiführen würde, haben Hrn. Hansemann den Zorn und Haß dieser Leute zugezogen. Man will, wenn er seinen Plänen oder seiner Stelle nicht freiwillig entsagt, ihn auf jede Weise zu beseitigen suchen. Einige Gutsbesitzer, welche heute einem Abgeordneten von der äußersten Linken ihren Besuch abstatteten um ihn für ihre Pläne zu gewinnen, wurden so zutraulich zu demselben, da er ihnen seine Mitwirkung versprach, daß sie ihm erzählten, wie sie Hrn. Han- <ref type="link_fsg">[Fortsetzung]</ref> </p> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="ar083_004" type="jArticle"> <head>Das Domfest von 1848.</head> <p> <ref type="link">(Fortsetzung.)</ref> </p> <p>Ich muß gestehen, ich war erschöpft vom Anhören so vieler köstlichen Toaste. Ich hatte meinen Platz verlassen und war hart an die Erhöhung des Saales getreten um recht in der nächsten Nähe in dem Anblick der größten Männer unseres Jahrhunderts schwelgen zu können. Gott weiß es, wie lange ich durch den ausgezeichnet schönen Bart eines liebenswürdigen Fürsten, durch das gesunde Aussehen Jupiters oder durch die sprechende Aehnlichkeit des Herrn von Soiron festgebannt und gefeit worden wäre, wenn nicht plötzlich ein ziemlich wohlbeleibter Mann meine Schulter berührt und mich im reinsten westphälischen Dialekt darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich ihm durch meine Stellung die Aussicht nach einer höchst einladenden Torte versperre, die bei dem allgemeinen Redeenthusiasmus bisher unberücksichtigt geblieben war. Der würdige Dombaudeputirte, der von Hamm, Soest, von Dortmund oder von irgend einer anderen sabbathstillen Stadt der rothen Erde nach Cöln gekommen war, um sich einmal recht am Wein, am Gebet und am Patriotismus zu letzen, schien mir fest entschlossen zu sein, den hohen Eintrittspreis des Festmahles gewissenhaft herausfressen zu wollen. Der ehrenwerthe Mann kümmerte sich wenig um den Erzherzog-Reichsverweser, um Herrn von Gagern und den päbstlichen Runtins ‒ er ließ der Weltgeschichte ihren Lauf und beschäftigte sich mehr mit den praktischen Interessen des Hungers und des Durstes.</p> <p>„Wollten Sie mir nicht die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte mich der gute Westphale mit dem Ausdruck der höchsten Freundlichkeit. Ich merkte die leidenschaftlichen Gelüste des alten Knaben, denn während er mich anredete sah er nicht auf mich, sondern immer nach der Stelle hin, wo die herzerfreuende Torte stand. „Mit dem größten Vergnügen!“ erwiederte ich ihm und stemmte meine Faust in die Seite, so daß der Westphale, wie man durch das Bingerloch nach dem Rheingau, oder durch den Rolandsbogen nach dem Siebengebirge blickt, so durch meinen gekrümmten Arm hindurch nach dem Gegenstand aller seiner Wünsche schauen konnte. Der Westphale schien zu glauben, daß ich seine tieferen Absichten nicht verstanden hätte; er sah mich daher mit seinen großen, blauen Augen ziemlich stier an, als wollte er mich fragen, ob ich denn nicht die Sprüche Salomonis kenne, wo da geschrieben steht, daß man dem Ochsen der da drischt das Maul nicht verbinden soll? ‒ Ich blieb aber unerbittlich. „ Lieber Herr, wollten Sie mir nicht gefälligst die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte da der Sohn der rothen Erde zum zweiten Male und ein Gemisch von Wollust und Melancholie spielte um seinen sehr großen Mund. Die Leiden des armen Mannes rührten mich. „Mit dem größten Vergnügen!“ rief ich abermals ‒ „Sie scheinen nicht gut sehen zu können ‒ wollen Sie sich meiner Lorgnette bedienen?“ Während mein rechter Arm seine frühere gekrümmte Position beibehielt, reichte ich ihm mit der linken Hand die Lorgnette über den Tisch hinüber. Der Westphale stutzte. Sie müssen entweder ein sehr dummer oder ein höchst impertinenter Mensch sein ‒ schien der unglückliche Sehnsüchtige zu denken. Da ermannte er sich und sprach zum dritten Male mit einer so bittenden, wehmüthigen Stimme, daß es einen Stein hätte erweichen können: „Sehr verehrter Herr, hätten Sie nicht die große Gewogenheit mir die Aussicht nach jener Torte gefälligst zu gewähren? Ich habe ein 1 Thaler 20 Silbergroschen für mein Billet bezahlt ‒ Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld! ‒ es verlangt mich nach jener Torte ‒‒“ Das Antlitz des Armen überflog eine sichtbare Bangigkeit. Er sah wie von der andern Seite noch ein zweiter Aspirant auf die reizende Torte lossteuerte; ein Mann, der sich etwas verschämt, wie es Liebende sind, rechts und links umschaute, um sich davon zu überzeugen, daß ihn auch Niemand in dem allgemeinen Wirrwarr bemerke. Es war die höchste Zeit, den Raub zu vollbringen. Den Westphalen stach es wie mit tausend Nadeln, er rückte hin und her und immer flehentlicher und immer bittender leuchteten seine unschuldigen Augen.</p> <p>Da konnte ich nicht länger widerstehen; ich wandte mich seitwärts und schon hatte ich die Hand nach der Heißersehnten ausgestreckt, da kam mir plötzlich der gewandtere Nebenbuhler des armen Westphalen zuvor, ich erkannte in meinem Gegner meinen frühern Nachbar, den preußischen Deputirten, den Ritter von der Teltower Rübe und ich wäre fast vor Lachen gestorben, als ich ihn mit einer wahrhaft teuflischen Geschwindigkeit sammt der eroberten Torte verschwinden sah.</p> <p>Der arme Westphale sank aber wie eine geknickte Blume zusammen; er röchelte in seine Serviette hinein und: „Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld!“ schien er noch ein Mal zu seufzen, da machte ich mich aus dem Staube, denn ich fürchtete den gerechten Zorn des Mannes, ich glaube, er hätte mich getödtet mit Messer und mit Gabel und mich <hi rendition="#g">selbst</hi> gefressen statt der verhängnisvollsten aller Torten.</p> <p>Meine Aufmerksamkeit wurde nach der andern Seite des Saales gelenkt, wo sich ein eigenthümliches Getöse erhob, das mein musikalisches Gefühl auf's empfindlichste verletzte und mich eben so sehr an die Menagerie eines van Aaken als an jenes Grunzen und Brummen erinnerte, welches man Nachts um die zwölfte Stunde wohl aus den Bierhäusern deutscher Hochschulen schallen hört.</p> <p>Ich sah mich erstaunt und unwillig um und bemerkte zu meinem nicht geringen Leidwesen einen ehrenwerthen Vice-Präsidenten, der sich mit Händen und Füßen und mit einem nicht zu verachtenden Bierbaß nochmals Gehör zu verschaffen suchte, um sehr wahrscheinlich auf's Neue zu erklären, daß er ein einfacher Mann sei und nur ein einfaches Wort zu reden habe, recht aus dem Herzen, von allgemeiner Brüderlichkeit, durch sämmtliche Gaue des deutschen Vaterlandes, bis an die äußersten Gränzen. Der bekannte Redner winkte in derselben Weise mit den Händen wie es die Droschkenkutscher bei schlechtem Wetter thun, wenn sie die Vorübergehenden zum Besteigen des Wagens einladen.</p> <p>Aber ach, die hohe Versammlung wollte sich nicht zum zweiten Male verleiten lassen. Vergebens trampelte, winkte und schrie Sancho ‒ mit wahrhaft deutscher Unhöflichkeit blieb man auf seinen Sitzen oder eilte an dem guten Manne vorüber, so daß Sancho zuletzt auf die Ehre des Wortes verzichtete und seinem Herrn und Meister das Feld überließ. Herr von Gagern machte indeß keine Anstalt zu einem abermaligen Vortrag, nein, er sammelte nur einige Deputirte um sich und stieg wie Zeus umgeben von seinen Olym- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0419/0001]
Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 83. Köln, Mittwoch 23. August 1848. Deutschland. 19 Köln, 21. Aug. (Die Verhandlungen über die deutschen Grundrechte.) „La libertad, Sancho, es uno de los mas preciosos donos, que a los hombres dieron los Ciclos“, erklärte schon der edle Ritter Don Quixote seinem Schildknappen. „Die Freiheit ist eines der kostbarsten Himmelsgüter der Sterblichen.“ Es kömmt bloß auf die verschiedene Bedeutung an, welche man mit dem Begriff der Freiheit verbinden will.
Die Begriffsfähigkeit der kostbaren Güter, welche die Frankfurter Nationalversammlung dem deutschen Volke in den Grundrechten gewährleistet, ist um so unbeschränkter, als die Grundrechte nach dem Geständniß des Berichterstatters Beseler bekanntlich „ohne Prinzipien und ohne Feststellung dessen, was dazu gehört“ entworfen wurden. In dem allgemeinen deutschen Staatsbürgerrecht war es die Einheit und Freiheit, deren Deklaration die Versammlung beschäftigte, ‒ die Freiheit, welche von Hrn. Jakob Grimm als Wirkung der Luft, die Einheit, die von dem Redakteur der begriffenen Welt „als politischer Begriff“ erklärt wurde. Wir folgen ihr diesmal in den Debatten über §. 6 des Entwurfs zu einem neuen Begriff, dem precioso dono der „Gleichheit“, welches den unsterblichen Deutschen gewährleistet werden soll. „Einheit, Freiheit, Gleichheit,“ ‒ kein Don Quixote würde zweifeln, daß mit diesen dreifaltigen Himmelsgütern der Himmel selbst sich auf Deutschland niedergelassen.
Der Antrag des Ausschusses in §. 6. der Grundrechte verlangt Gleichheit vor dem Gesetz, Aufhebung der Standesprivilegien, Zugänglichkeit der öffentlichen Aemter für „Alle dazu Befähigten“, und allgemeine Wehrpflicht. Fünf Minoritätsgutachten und zahllose Anträge, welche meist auf Abschaffung des Adels, Aufhebung der Orden und Titel und allgemeines Waffenrecht gerichtet sind, bekunden hinlänglich die Ernsthaftigkeit, mit welcher die Versammlung diese Verhandlung aufzufassen gedenkt.
Herr Ahrens von Salzgitter hat die Ehre, diese wichtige Discussion zu eröffnen, und wünscht vorzuschlagen, daß die Phrase der „Gleichheit vor dem Gesetz“ am liebsten ohne alle Discussion angenommen werden möge. Er begründet diesen patriotischen Antrag mit der Berufung, daß der belgische Congreß im Jahre 1831 dies „politische Axiom“ ebenfalls ohne Discussion in die Constitution aufgenommen habe, eine Thatsache, welche allerdings zur Genüge die Harmlosigkeit der Phrase beweist. Gleichwohl findet es Hr. Ahrens nöthig, sich noch weiter über die Ungefährlichkeit des Satzes, der bloß ein „ Rechtssprüchwort“ enthalte, auszulassen.
„M. H.“, spricht er mit sehr starker Stimme, „ es handelt sich hier allein um die bürgerliche Gleichheit, nicht um eine rohe materialistisch-communistische Gleichheit, welche die Folgen natürlicher Unterschiede in Bezug auf Arbeit und Vermögenserwerb vertilgen will!“
Wäre Hr. Ahrens nicht Professor der Krause'schen Philosophie in Brüssel, so würde man glauben, er habe eine sehr mangelhafte Erziehung genossen. In der That benimmt sich der ehrenwerthe Abgeordnete wie jener Domherr am ästhetischen Theetisch, der bei den süßflötenden Gesprächen über platonische Liebe den Mund weit zu der Warnung öffnet: „Die Liebe sei nicht zu roh, sonst schadet sie der Gesundheit!“ Die Versammlung verhandelt über die platonische Rechtsgleichheit, welche sich „auf die natürlichen Klassenunterschiede“ gründet, ‒ und der Domherr der krauseanischen Moral verwahrt dieselbe gegen die „rohe materialistische Gleichheitsliebe,“ welche die Gesundheit der Klassenunterschiede, die Basis des bürgerlich-juristischen Gleichheitplatonismus gefährdet! ‒
Der brüsseler Professor hat sich indeß einmal die Aufgabe gesetzt, die Harmlosigkeit eines „politischen Axioms“, welches auch in der belgischen Musterkonstitution Aufnahme gefunden hat, gegen Mißdeutungen zu verwahren. Nachdem er den Verdacht des Communismus siegreich von dem Ausschußantrag abgewendet hat, richtet er sich mit gleichem Erfolg gegen den Vorwurf eines politischen Radicalismus in diesem Gesetz. Eine „gewichtige Stimme“, der ehrenwerthe Professor Dahlmann, hat nämlich bei einer früheren Gelegenheit wissenschaftliche Bedenken gegen den Ausdruck: #x201E;Gleichheit vor dem Gesetz“ geäußert. Herr Dahlmann sagte: „Ich weiß, wenn dieser Grundsatz gelten soll, nichts zu machen mit unsern Fürsten, mit unsern verantwortlichen Ministern, am Ende auch nichts zu machen, fürchte ich, mit einer Ständeversammlung, vielleicht nicht einmal mit der Nationalversammlung. Denn wenn wir Fürsten haben, wollen wir Männer haben, die nicht gleich sind vor dem Gesetz, … und wir dürfen keine Minister haben, denn sie sind ungleich vor dem Gesetz, weil sie nur auf bestimmte Weise in Anklagezustand versetzt werden können.“
Herr Ahrens lächelt mit Recht über diese Sprünge deutschen Professorenthums. Die Ausstellungen des Herrn Dahlmann würden nur dann gerechtfertigt sein, wenn die „Gleichheit vor dem Gesetz“ mehr als ein bloßes „Rechtssprüchwort“ werden und alle Ausnahmegesetze ausschließen solle. Herr Ahrens giebt dagegen die wahre Begriffserklärung:
„Der Satz, daß Alle gleich seien vor dem Gesetz, will nicht bedeuten, daß eine allgemein gleiche, Alles nivellirende Gesetzgebung stattfinden soll, sondern nur, daß für alle Personen und Sachen, welche sich in gleicher Lage befinden, gleiche Gesetze bestehen … Wir wollen an dem Satz festhalten, weil darin ein Rechtssprüchwort gegeben ist, welches sich Jedem leicht einprägt (als Gedächtnißübung); wir wollen ihn festhalten, weil die allgemeine Achtung, welche das Gesetz hiermit Allen angedeihen läßt, sich zu einer allgemeinen persönlichen Achtung erweitert.“
Womit übrigens Herr Ahrens nicht sagen will, daß die Ausnahmgesetze für Fürsten und Minister den Anspruch auf „persönliche Achtung“ ausschließen.
Indem „für Alle, die sich in gleicher Lage befinden, gleiche Gesetze bestehen,“ für Fürsten und Beamte besondere, für das Bürgerthum besondere, und für die „natürlichen Folgen natürlicher Unterschiede,“ für das Proletariat besondere Gesetze, ‒ läßt das Gesetz Allen eine „allgemeine Achtung“ angedeihen. Diese „allgemeine Achtung“ hat die Wirkung, sich zu einer persönlichen zu erweitern, indem sie, wie Hr. Ahrens sagt, „alle Bürger einander näher bringt,“ ‒ innerhalb der „natürlichen Klassenunterschiede“, Fürsten mit Ministern, Bürger mit Bürgern, Proletarier mit Proletariern. Das Prinzip selbst „bleibt bestehen.“ Die Gleichheit besteht, nicht „roh, materialistisch“, sondern platonisch, ideell, ‒ innerhalb der natürlichen Unterschiede, als gemeinschaftliches „Rechtssprüchwort.“ Angenehme Wirkung des Gleichheit-Begriffs!
Nachdem Hr. Ahrens sodann noch im Sinn der politischen Moral für Abstellung der Civilorden gesprochen, dem Militärstand aber in dieser Beziehung Ausnahmgesetze vindicirt hat, ohne sich um den Ruf der Versammlung nach Schluß und um die Ermahnung des Präsidenten zur Kürze zu kümmern, erscheint Hr. Moriz Mohl auf der Tribüne.
Hr. Mohl spricht für den Minoritätsantrag, welcher den Theil des Paragraphen, der von Aufhebung der Standesprivilegien handelt, auf Abschaffung des Adels, seiner Titel und Benennungen ausgedehnt wissen will.
„Meine Herren, man mag die Sache betrachten wie man will, sie ist erstaunlich einfach. Das Bestehen eines Standes, dessen Mitglieder vermöge ihrer bloßen Geburt einer äußern Auszeichnung genießen, das Bestehen eines solchen Standes ist eine vollkommene Verneinung der staatsbürgerlichen Gleichheit. Eine solche Einrichtung, wenn sie auch gar nicht mißbraucht wird, ist ein Unrecht, eine Beleidigung gegen die Nation.“
Hr. Mohl macht der Versammlung glauben, er stehe auf „prinzipiellem, rein theoretischem“ Standpunkt. In der That aber ist die Stellung, die er einnimmt, ein ganz gewöhnlicher rein bürgerlicher Standpunkt; seine ganze Polemik ist nichts, als der schwache Ausdruck des alten Klassenkampfs der Bourgeoisie gegen die „höhere“ Adelsrace.
„Ich frage Sie, m. H., welche größere Ungleichheit vor dem Gesetze gibt es, als die Eintheilung des Volkes in zwei Kasten, in eine vornehme Kaste und eine geringe Kaste?“
Diese zwei Kasten sind nach Hrn. Mohl Adel und „Bürgerstand,“ und Hr. Mohl hat daher durchaus kein Recht, hierfür den Namen des Volks zu vindiciren. Hr. Mohl weiß nichts von den Erfahrungen der Pariser Junischlacht, seine Polemik ist der beste Beweis davon. Seine ganze Rede ist eine Apologie der Bourgeoisie gegenüber dem „Adelsstand.“ Er erzählt von den Verdiensten des Bürgerthums um Handel, Schifffahrt, städtische Institutionen; er erinnert daran, daß Schiller, Göthe und alle „großen Sterne am geistigen Horizont“ aus dem Bürgerthum hervorgegangen seien; er greift die kriegerischen Vorzüge des Adels an, und fragt, ob die Bürger, Juden und Krämer nicht ebenso tapfer in dem französischen Kriege gekämpft hätten; er gesteht dem Adel zu, hin und wieder auf dem landwirthschaftlichen Feld mit den „ bürgerlichen Gutsbesitzern gewetteifert zu haben, und sein ganzes Resume ist, daß der „bürgerliche“ Theil der Nation dem Adel seine „ Ebenbürtigkeit “ durch die That bewiesen habe.
Wenn Hr. Mohl konsequent wäre, hätte er nicht auf Abschaffung des Adels, sondern auf Erhebung der Bourgeoisie in den Adelsstand antragen müssen.
Hierbei ändert es nichts, wenn Hr. Mohl zuletzt erklärt, daß nicht dieses oder jenes Vorrecht das „Wesentliche“ des Adels, sondern daß das Erbliche des Adels das eigentliche Privilegium, die wahre Ungleichheit vor dem Gesetz sei. Hat Hr. Mohl nie gehört, daß auch die „Verdienste“ seiner „ bürgerlichen Gutsbesitzer “ erblich sind? Hr. Mohl glaubt den Unsinn des Adels entdeckt zu haben, indem er triumphirend ausruft: „Welches größere Standes-Privilegium gibt es, als daß die Geburt zu einem höhern Stande berechtigt?“ Ah, Hr. Mohl, bei Ihren „bürgerlichen Gutsbesitzern“ ist es nicht die Geburt, welche zu besserer Erziehung, zur „Befähigung zu Staatsämtern,“ und den bürgerlichen Privilegien der Spekulation und des Wuchers berechtigen? Wunderbare Gedankenfülle des schwäbischen Bürgerfreundes! Friedrich Gentz erklärte einst den Adel für eine Eigenthumsfrage; er erklärte den Adel als Ausfluß des Eigenthums, „weil zwischen dem erblichen Besitz einer Würde und dem erblichen Besitz eines Grundstückes keine Spur rechtlichen Unterschiedes sei.“ Was will Hr. Mohl darauf antworten? Erbrecht um Erbrecht!
Um den bürgerlichen Standpunkt in dieser Polemik vollständig zu wahren, erinnert Herr Mohl zum Schluß noch daran, daß der Adel überall in Ländern, wo er „keine Privilegien,“ aber seine Adelstitel noch besitze, das Grundeigenthum an sich gebracht habe, und durch den Vorrang seines Namens reiche Heirathen zu schließen befugt sei. „Sie wissen ja, m. H., daß die Töchter der Geldsäcke besonderes Vergnügen daran finden, sich Gräfinnen nennen zu lassen.“ In der That, ist nicht diese heillose Lust der Bourgeois-Töchter bereits zum Gegenstand offener Spekulation geworden? Hat nicht u. A. ein „Herr von altem Adel“ in den Berliner Zeitungen ein Heirathsgesuch annoncirt, worin er sich bereit erklärt, seinen alten Namen mit einer jungen Bürgerlichen zu theilen, falls ihm diese eine gewisse Geldsumme „baar“ zuführte? Retten wir also das Geld des Bürgerthums, indem wir das „von“ des Adels streichen!
„Erst dann, m. H., wenn der Adel wie in Frankreich, Nord-Amerika, der Schweiz, Norwegen, wirklich aufgehoben ist, erst dann, wenn die Schranken fallen, die ihn vom Bürgerstand trennen, erst dann, wenn es nur noch Ein Volk, keine zwei verschiedene Racen mehr gibt, erst dann werden Sie die Freiheit wahrhaft und fest gegründet haben!“
Einfache Lösung der socialen Probleme, welche nach dem Berichterstatter des volkswirthschaftlichen Ausschusses durch die Grundrechte in „vernünftiger Weise“ in Angriff genommen werden soll! Nach Aufhebung der Adelstitel wird es überall nur Ein Volk, keine zwei entgegengesetzten Kasten mehr geben, ‒ denn die Pariser Junirevolution kann nur die Erhebung einiger von ausländischem Adel gewonnenen Strolche gewesen sein. Nach Aufhebung des Adels ist die „Gleichheit“ wahrhaft und fest gewährleistet, ‒ nicht die „rohe, materialistische,“ sondern die platonische, bürgerliche, welche auf natürlichen, d. h. geschichtlichen und gesellschaftlichen Unterschieden fußt.
(Schluß folgt.)
121 Köln, 21. Aug. Sonderbarer Weise hat man die hier erscheinenden „Freien Volksblätter“ unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Jedesmal am Tage des Erscheinens dieser Blätter ‒
In einem Thal bei armen Hirten
Erschien mit jedem jungen Jahr,
So oft die ersten Lerchen schwirrten,
Ein Mädchen schön und wunderbar ‒
mit jeder jungen Nummer, ja bevor sie noch ausgegeben, erscheinen in der Druckerei zwei bis vier bis an die Zähne bewaffnete Gensdarmen und kaufen sich das erste jungfräuliche Exemplar. ‒ Obgleich diesen Herren mehrmals bemerkt worden, daß es billiger und vortheilhafter sei, wenn sie sich auf die Blätter abonnirten, indem sie alsdann der Mühe überhoben wären, sich jede einzelne Nummer auf der Expedition zu holen, wollten sie doch den Vortheil nicht einsehen und bemerkten, daß sie dienstmäßig dazu kommandirt seien. ‒ Diese Maßregel datirt von einem in den „Fr. Volksblättern“ erschienenen Artikel: „Die Verhaftungen in Köln,“ auf Grund melchen Artikels gegen den Herausgeber, Hrn. Bernh. Dietz, eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet worden. Man sieht also, daß die von der hohen Polizei diesen Blättern zugewandte gesteigerte Aufmerksamkeit nicht ohne wohlwollende Absicht ist.
103 Berlin, 20. Aug. Unsere Aristokratie entfaltet hier seit einigen Tagen eine außerordentliche Thätigkeit, um den Sturz des Hrn. Hansemann herbeizuführen. Die Erhöhung der Grundsteuer, der Branntweinsteuer und Rübenzuckersteuer, deren Ausführung den völlige Ruin vieler Gutsbesitzer herbeiführen würde, haben Hrn. Hansemann den Zorn und Haß dieser Leute zugezogen. Man will, wenn er seinen Plänen oder seiner Stelle nicht freiwillig entsagt, ihn auf jede Weise zu beseitigen suchen. Einige Gutsbesitzer, welche heute einem Abgeordneten von der äußersten Linken ihren Besuch abstatteten um ihn für ihre Pläne zu gewinnen, wurden so zutraulich zu demselben, da er ihnen seine Mitwirkung versprach, daß sie ihm erzählten, wie sie Hrn. Han- [Fortsetzung]
Das Domfest von 1848. (Fortsetzung.)
Ich muß gestehen, ich war erschöpft vom Anhören so vieler köstlichen Toaste. Ich hatte meinen Platz verlassen und war hart an die Erhöhung des Saales getreten um recht in der nächsten Nähe in dem Anblick der größten Männer unseres Jahrhunderts schwelgen zu können. Gott weiß es, wie lange ich durch den ausgezeichnet schönen Bart eines liebenswürdigen Fürsten, durch das gesunde Aussehen Jupiters oder durch die sprechende Aehnlichkeit des Herrn von Soiron festgebannt und gefeit worden wäre, wenn nicht plötzlich ein ziemlich wohlbeleibter Mann meine Schulter berührt und mich im reinsten westphälischen Dialekt darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich ihm durch meine Stellung die Aussicht nach einer höchst einladenden Torte versperre, die bei dem allgemeinen Redeenthusiasmus bisher unberücksichtigt geblieben war. Der würdige Dombaudeputirte, der von Hamm, Soest, von Dortmund oder von irgend einer anderen sabbathstillen Stadt der rothen Erde nach Cöln gekommen war, um sich einmal recht am Wein, am Gebet und am Patriotismus zu letzen, schien mir fest entschlossen zu sein, den hohen Eintrittspreis des Festmahles gewissenhaft herausfressen zu wollen. Der ehrenwerthe Mann kümmerte sich wenig um den Erzherzog-Reichsverweser, um Herrn von Gagern und den päbstlichen Runtins ‒ er ließ der Weltgeschichte ihren Lauf und beschäftigte sich mehr mit den praktischen Interessen des Hungers und des Durstes.
„Wollten Sie mir nicht die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte mich der gute Westphale mit dem Ausdruck der höchsten Freundlichkeit. Ich merkte die leidenschaftlichen Gelüste des alten Knaben, denn während er mich anredete sah er nicht auf mich, sondern immer nach der Stelle hin, wo die herzerfreuende Torte stand. „Mit dem größten Vergnügen!“ erwiederte ich ihm und stemmte meine Faust in die Seite, so daß der Westphale, wie man durch das Bingerloch nach dem Rheingau, oder durch den Rolandsbogen nach dem Siebengebirge blickt, so durch meinen gekrümmten Arm hindurch nach dem Gegenstand aller seiner Wünsche schauen konnte. Der Westphale schien zu glauben, daß ich seine tieferen Absichten nicht verstanden hätte; er sah mich daher mit seinen großen, blauen Augen ziemlich stier an, als wollte er mich fragen, ob ich denn nicht die Sprüche Salomonis kenne, wo da geschrieben steht, daß man dem Ochsen der da drischt das Maul nicht verbinden soll? ‒ Ich blieb aber unerbittlich. „ Lieber Herr, wollten Sie mir nicht gefälligst die Aussicht nach jener Torte gewähren?“ fragte da der Sohn der rothen Erde zum zweiten Male und ein Gemisch von Wollust und Melancholie spielte um seinen sehr großen Mund. Die Leiden des armen Mannes rührten mich. „Mit dem größten Vergnügen!“ rief ich abermals ‒ „Sie scheinen nicht gut sehen zu können ‒ wollen Sie sich meiner Lorgnette bedienen?“ Während mein rechter Arm seine frühere gekrümmte Position beibehielt, reichte ich ihm mit der linken Hand die Lorgnette über den Tisch hinüber. Der Westphale stutzte. Sie müssen entweder ein sehr dummer oder ein höchst impertinenter Mensch sein ‒ schien der unglückliche Sehnsüchtige zu denken. Da ermannte er sich und sprach zum dritten Male mit einer so bittenden, wehmüthigen Stimme, daß es einen Stein hätte erweichen können: „Sehr verehrter Herr, hätten Sie nicht die große Gewogenheit mir die Aussicht nach jener Torte gefälligst zu gewähren? Ich habe ein 1 Thaler 20 Silbergroschen für mein Billet bezahlt ‒ Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld! ‒ es verlangt mich nach jener Torte ‒‒“ Das Antlitz des Armen überflog eine sichtbare Bangigkeit. Er sah wie von der andern Seite noch ein zweiter Aspirant auf die reizende Torte lossteuerte; ein Mann, der sich etwas verschämt, wie es Liebende sind, rechts und links umschaute, um sich davon zu überzeugen, daß ihn auch Niemand in dem allgemeinen Wirrwarr bemerke. Es war die höchste Zeit, den Raub zu vollbringen. Den Westphalen stach es wie mit tausend Nadeln, er rückte hin und her und immer flehentlicher und immer bittender leuchteten seine unschuldigen Augen.
Da konnte ich nicht länger widerstehen; ich wandte mich seitwärts und schon hatte ich die Hand nach der Heißersehnten ausgestreckt, da kam mir plötzlich der gewandtere Nebenbuhler des armen Westphalen zuvor, ich erkannte in meinem Gegner meinen frühern Nachbar, den preußischen Deputirten, den Ritter von der Teltower Rübe und ich wäre fast vor Lachen gestorben, als ich ihn mit einer wahrhaft teuflischen Geschwindigkeit sammt der eroberten Torte verschwinden sah.
Der arme Westphale sank aber wie eine geknickte Blume zusammen; er röchelte in seine Serviette hinein und: „Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld!“ schien er noch ein Mal zu seufzen, da machte ich mich aus dem Staube, denn ich fürchtete den gerechten Zorn des Mannes, ich glaube, er hätte mich getödtet mit Messer und mit Gabel und mich selbst gefressen statt der verhängnisvollsten aller Torten.
Meine Aufmerksamkeit wurde nach der andern Seite des Saales gelenkt, wo sich ein eigenthümliches Getöse erhob, das mein musikalisches Gefühl auf's empfindlichste verletzte und mich eben so sehr an die Menagerie eines van Aaken als an jenes Grunzen und Brummen erinnerte, welches man Nachts um die zwölfte Stunde wohl aus den Bierhäusern deutscher Hochschulen schallen hört.
Ich sah mich erstaunt und unwillig um und bemerkte zu meinem nicht geringen Leidwesen einen ehrenwerthen Vice-Präsidenten, der sich mit Händen und Füßen und mit einem nicht zu verachtenden Bierbaß nochmals Gehör zu verschaffen suchte, um sehr wahrscheinlich auf's Neue zu erklären, daß er ein einfacher Mann sei und nur ein einfaches Wort zu reden habe, recht aus dem Herzen, von allgemeiner Brüderlichkeit, durch sämmtliche Gaue des deutschen Vaterlandes, bis an die äußersten Gränzen. Der bekannte Redner winkte in derselben Weise mit den Händen wie es die Droschkenkutscher bei schlechtem Wetter thun, wenn sie die Vorübergehenden zum Besteigen des Wagens einladen.
Aber ach, die hohe Versammlung wollte sich nicht zum zweiten Male verleiten lassen. Vergebens trampelte, winkte und schrie Sancho ‒ mit wahrhaft deutscher Unhöflichkeit blieb man auf seinen Sitzen oder eilte an dem guten Manne vorüber, so daß Sancho zuletzt auf die Ehre des Wortes verzichtete und seinem Herrn und Meister das Feld überließ. Herr von Gagern machte indeß keine Anstalt zu einem abermaligen Vortrag, nein, er sammelte nur einige Deputirte um sich und stieg wie Zeus umgeben von seinen Olym-
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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