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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 125. Köln, 25. Oktober 1848.

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Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No. 125. Köln, Mittwoch den 25. Oktober. 1848.
Uebersicht.

Deutschland. Wien. (Konstitutionelle Kugeln. - Die Frankfurter Deputation. - Anblick der Stadt. - Die Camarilla. - Der steiermärkische Landsturm. - Messenhauser. - Reichstagssitzung vom 18. - Die Presse. - Kossuths Erklärung. - Der Reichstag. - Die Situation. - Frauenadresse. - Vermischtes). Aus dem Reiche. (Die Klubs). Berlin. (Arbeiterentlassung. - Die Stimmung in Berlin). München. (Die Bierrevolution). Rastatt. (Struve. - Blind). Schleswig. (Sitzung der Landesversammlung. - Verfügung über die dänischen Schiffe).

Italien. (Wachsen der Bewegung in Piemont. - Fall des toskanischen Ministeriums. - Fall von Dioppo. - Die Piemontesen nach Mailand. - Kriegerischer Zustand Norditaliens). Rom. (Neuigkeiteiten) Messina. (Bewaffnung. - Adressen der Städte. - Neapel).

Belgien. Lüttich. (Pauperismus).

Franz. Republik. Paris. (Wüthen der Bourgeoisblätter gegen die deutsche Demokratie. - Die Bankettagitation. - Vermischtes. - Die Reform über Plane der royalistischen Ligue. - Frau Prudault.

Großbritannien. London. (Der "Economist" über die Eisenbahnen).

Dänemark. Kopenhagen. ("Fädrelandet" über den Waffenstillstand).

Donaufürstenthümer. Galaz. (Die russische Südarmee).

Persien. (Mohammed Schah).

Ungarn. Pesth. (Verschiedenes. - Raizische Insurrektion).

Spanien. Madrid. (Die Insurgenten. - General Chacon).

Deutschland.
61 Wien, 18. Okt.

Schuselka's konstitutioneller Thron hat soeben (7 Uhr Morgens), zur Feier des bedeutungsvollen Tages, aus dem Kroatenlager etwa zwei Dutzend Kanonenschüsse in die Marrer Linie auf die geliebten Unterthanen losknallen lassen. Man glaubte, die Schlacht nehme ihren Anfang, es sollen jedoch zwei konstitutionelle Friedensengel aus dem konstitutionellen Reichstage mit einer weißen Fahne herbeigesprungen sein und das Feuer erstickt haben. Ich fürchte diese konstitutionellen Friedensengel ungeheuer, sie können kein Blut sehen und werden sogar die Kanonenkugeln vereinbaren, damit Jellachich hübsch entschlüpfe. - Vielleicht haben wir von Messenhauser Besseres zu erwarten. - Die Frankfurter Deputation läßt sich heute durch Maueranschlag offiziell vermelden; sie soll angekommen sein, um über die Republik den Notarialakt aufzunehmen. Glückliches Wien, wie unglücklich würdest du sein ohne die Frankfurter Negotiants!

Die Stadt ist kaum mehr wieder zu erkennen. Ueberall bewaffnete Schaaren, alle Straßen voll Messenhauser'scher Plakate, Ordonanzen hin und her, fortwährende Thätigkeit im Reichstage. Volksgruppen, interessante Rührigkeit in der Stellung, Barrikaden, Werbungsstellen, fast kein Gefähr, die Paläste der Fürsten und Geldsäcke in Spitäler umgewandelt (natürlich aus Pfiffigkeit, um sie vor der Volksrache zu bewahren), auf dem Stephansthurme ein fortwährendes Observatorium, die Universität eine ungeheure Kaserne, die interessanteste, die es je gegeben, die Basteien mit Kanonen bepflanzt, im Belvedere und Parke Schwarzenberg's das Hauptquartier mit einem Lager von mehr als 15,000 Mann bereit, nicht blos hinter den Barrikaden zu fechten, sondern hinaus in's Feld zu ziehen, vor den Linien überall die energischsten Vertheidigungsmaßregeln und Bollwerke, und dennoch im Grunde - Nichts. Ich habe gestern vier Stunden darauf verwendet, alle Punkte zu besichtigen. Wir hätten schon gesiegt, hätten wir niemals konstitutionelle Friedensengel gehabt, die selbst, nach gegen die geliebten Unterthanen gelieferten Schlachten, noch an das konstitutionelle Paternoster glauben und den Rosenkranz für den heutigen politischen Boden der Völker halten. Wir werden siegen, denn auch die Provinzen zeigen sich. - Die Kamarilla hat sich ganz in die Arme der böhmischen Zigeuner geworfen und Stadion zur bessern Aufhetzung nach Prag geschickt. Sie ist so verrückt, diesen Menschen an die Spitze eines Ministeriums der österreichischen Gesammtstaaten stellen zu wollen. Die Zigeuner hetzen, wie Hyänen in der Slowanska lipa. - Der steiermärkische Landsturm steht auf dem Simmering, aber die Südbahn ist mit dem Telegraphen bis Gloggnitz zerstört worden. - Es heißt, ein preußisches und ein Reichsarmeekorps sollen in Oesterreich einrücken, während Türken und Russen gleichzeitig üller Ungarn herfallen würden. - Italien, heißt es, soll sich erheben. Wo mag in 4 Wochen Schuselka's und der Kamiralla Gesammtmonarchie sein? Wahrscheinlich im russischen Lager. - Messenhauser's Auftreten hat die kampflustichen Schaaren ganz eingenommen; vielleicht kann der Reichstag noch seine Schlafmütze sein, denn er, wie der Gemeinderath, zittern schon vor ihm. Sie werden beide noch die Cholera bekommen. - Berlin's demokratische Bürgerwehr hat an die Legion und Garde geschrieben, sie würde nicht dulden, daß preußische Soldaten zur Unterdrückung Wien's verwendet würden. Die Berliner Studenten könnten wohl schon hier sein, doch die Berliner Konditoreien werden sie wohl aufhalten.

12 1/2 Uhr. Reichstagssitzung. - Die galizischen Bauern unterhalten sich in zwei Gruppen lebhaft in polnischer Sprache; hierauf läßt die Versammlung sich von dem bocksbärtigen Kamarillagrafen Gleispach ein unausstehliches Protokoll verlesen. Solche Dinge machen der österreichischen Büreaukratenstube überhaupt das größte, weil stille, Vergnügen. Pillersdorf und Gleispach möchten sie zu nichts Anderem verwenden. - Die Galerien sind ziemlich leer. Zwei Abgeordnete zeigen ihre Desertion an. Darauf erscheint der große Genius.

Schuselka als Berichterstatter des Ausschusses: Der Ausschuß kann nicht umhin, spricht er, sich über die Stellung der ungarischen Armee dem Reichstag gegenüber auszusprechen, weil seit einigen Tagen in der Bevölkerung deßhalb viel Spannung ist. Wir erhielten in dieser Nacht durch einen Mann, der aus dem ungarischen Lager kam, die Nachricht, daß die ungarische Armee, welche schon die österreichische Gränze überschritten hatte, einem Befehle des Repräsentantenhauses zufolge, wieder den Rückmarsch angetreten habe. (Zittern in der Versammlung.) Ob eine Drohung Rußland's, oder welche Motive diesem Verhalten unterliegen, darüber ist dem Ausschusse nichts bekannt geworden. (Das ungarische Repräsentantenhaus, dessen Deputation man vor 4 Wochen mit Hohn abwieß und auch jetzt wiederum mit Kälte empfangen hatte, hat den Befehl des Rückzugs gewiß nur in gerechter Entrüstung über die österreichischen Reichstags-Verräther ergehen lassen. Es sieht aus, als sollte das Wiener Volk auf eine beispiellose Weise verrathen und von wilder Soldateska niedergemetzelt werden; alle meine Befürchtungen scheinen in Erfüllung gehen zu wollen.)

Verschiedene Landgemeinden haben etwa 700 fl. zur Unterstützung des bewaffneten Volks geschickt Da ein Abgeordneter von Auerspergs Truppen, fährt Schuselka fort, gröblich insultirt und 5 Studenten standrechtlich erschossen worden sind, so haben wir eine energische Zuschrift an ihn gerichtet, worauf Auersperg in einer Antwort die gemachten Beschuldigungen als lügenhaft bezeichnet, obgleich manche für die versuchte Verführung des Militärs ein standrechtliches Urtheil verdient hatten; auch solche Erfindungen gehörten, schreibt Auersperg, zu den Mitteln einer gewissen Partei. Durch diese Antwort ist die Mißhandlung des Abgeordneten durch einen Offizier aber nicht entkräftet worden, sie liegt als Thatsache vor.

Hierauf verliest Hr. Schuselka, Oestreichs konstitutioneller Gesammtgenius, eine ziemlich unangenehme Zuschrift der Bürgerschaft von Eger und zeigt an, daß die zuletzt an den Kaiser gesendete Deputation zurückgekehrt sei. Der Abgeordnete Fischer hat über seine Mission einen schriftlichen Bericht eingereicht (verliest ihn); es geht daraus hervor, daß der Kaiser, nach den gehörigen Umständen die Deputation am 15. um 7 Uhr Abends in Olmütz empfangen, einen Wisch aus der Tasche gezogen, ihn abgelesen und sich sodann wieder entfernt hat. Lobkowitz, die Kaiserin und Franz Karl waren zugegen. Der Kaiser freut sich, daß der Reichstag der Anarchie steuern will und verspricht helfen zu wollen.

Nun liest Schuselka seine zwei neuesten chefs d'oeuvre, nämlich das gestern beantragte: "Erbarm' dich unser" an die Völker Oestreichs und ein neues "Vater unser" nebst Rosenkranz an Ferdinand vor.

Dilewski fragt, wie es sich mit der Mißhandlung des Abgeordneten verhalte.

Ziemialkowski: Ich bin am 13. auf einer Reise hierher von dem Bataillon Baumgarten gefangen genommen worden; man hat mich dabei auf eine brutale Weise behandelt, ungeachtet ich mich auf meine Qualität berufen habe; ich wurde gefangen gesetzt und ein Stabsoffizier sagte, im Reichstage säßen die Mörder Latours, die man zu finden wissen werde. Ich entkam nur durch eine List, indem ich angab, im slavischen Interesse zu wirken.

Potocki will die Berathung über Schuselkas Primaner-Aufsätze, mit denen ich Sie morgen beglücken werde, dadurch aufhalten, daß er einen ausführlichen Bericht von der zum Kaiser gesendeten Deputation selbst verlangt und mittheilt, daß auch der Kaiser eine Proklamation an die Völker Oestreichs erlassen würde, man also warten müsse. Darüber entspinnt sich eine langweilige Debatte, die mit der Nichtannahme von Potockis Antrag endet und wobei der Schriftführer Wiser mit klappernden Zähnen betheuert, er sei nicht im Namen des Reichstags in Olmütz beim Kaiser gewesen, sondern er habe dahin nur eine Depesche des Ministeriums als Postillon befördert. Er habe von einer Proklamation etwas gehört, sie sollte sehr aufregend ausfallen. Ich verlasse die Sitzung.

Die Presse ist fast noch feiger, als die Kammer; am allerfeigsten und erbärmlichsten benehmen sich aber die demokratischen Judenvereine; man hört gar nichts mehr von ihnen. Der Radikale enthält jetzt nur Hegelsche Philosophie mit der Unterschrift: Jellinek. Nur ein Blatt "die Nationalzeitung" wagt es, dem Reichstag den Text zu lesen; vielleicht ist es jetzt übrigens kein Wagniß mehr. Sie sagt z. B.:

O! armes, armes Wien, o! unglückliches Oestreich!

Wenn die Generäle Auersperg und Jelachich mit nichtssagenden Erklärungen besiegt, und die k. k. hohe Reitschule in eine uneinnehmbare Festung umgewandelt werden könnte, so hätte der permanente Sicherheitsausschuß gegen den excellenten Kroatenhäuptling (?) längst die Offensive ergriffen, und eine Schlacht gewagt. Der permanente Ausschuß begnügt sich aber damit, die Straßenecken zu verbarikadiren und in Gemeinschaft mit seinem Adjutanten Messenhauser, dieselben mit einem Heer von Plakaten zu besetzen. Der Reichstag, welcher mit Zeugstiefeln und Glacehandschuhen schon seit mehr als 8 Tagen auf legalem Boden spazieren geht, Deputationen nach Selowitz und Olmütz absendet, Rebellen als Exzellenzen beehrt, wird, um nicht das Mißfallen des allerhöchsten Hofes zu erregen, uns auf ganz legalem Wege, einem äußerst tragischen Schicksale zuführen, dem er zuletzt selbst nicht entgehen wird.

Sie tadelt mit Geist und Energie auch die der ungarischen Depation bewiesene Indifferenz und zieht eine Parallele zwischen dem ungarischen Repräsentantenhause und dem östreichischen Reichstage, die ganz zum Vortheil des ersten ausfällt und sehr richtig ist. So heißt es daselbst: Ungarn ist wohl im eigenen Interesse gebunden, Oestreich zu Hülfe zu eilen, da die Unterjochung Wiens die Besiegung Ungarns nach sich ziehen müßte. Beim weiteren Hinausschieben der ungarischen Unterstützung jedoch wird die Bevölkerung Wiens immer ängstlicher, die Freiheitskämpfer müssen im angestrengten, ungewohnten Wachtdienste bei Tag und Nacht auch in physischer Hinsicht erliegen, der Enthusiasmus wird kühler, die Frechheit der Feinde am Ende von Tag zu Tag stärker. Gewiß ist es, daß unser jetziger Zustand nicht so bleiben und nur von ungarischer Seite her abgeholfen werden kann; warum wurde also gezögert, die Ungarn unverzüglich aufzufordern? Bis dat, qui cito dat, (doppelt gibt, wer schnell gibt).

Hätte man energisch gehandelt und sich nicht wieder dem leidigen Diplomatisiren überlassen, unsere Lage wäre schon anders, der Sieg schon vollständig.

Unsere Volksvertreter sind von denen der ungarischen Nation an Energie und Thatkraft weit überholt worden.

Als Ferdinand, König von Ungarn, von der Kamarillaburg Schönbrunn inkonstitutionelle Manifeste erließ, erhob sich das ungarische Repräsentantenhaus einstimmig und erklärte sie in feierlicher Sitzung für null und nichtig.

Ferdinand, Kaiser von Oestreich erläßt ein gleiches Manifest vom Pfaffennest Herzogenburg an erbländische Provinzen.

Keine Stimme im Reichstage erhebt sich und schleudert den Bann gegen ein solches Gebären. Die Proklamation gewinnt auch noch durch ihr Erscheinen in der Wienerzeitung für Unbefangene einen offiziellen Charakter, da dieselbe nirgends desavouirt wird.

Ungarn protestirte gegen das Leibhusarenregiment Adam Recsei. Wird dasselbe bei uns gegen ein Leibtrabantenministerium Stadion geschehen?

Der ungarische Reichstag erklärt die seinem Ministerium ungehorsamen Generale und Festungskommandanten für Hochverräther und ihre Köpfe für vogelfrei.

Der östreichische Reichstag nennt rebellische Feldmarschallieutenante Excellenz und läßt sich mit ihnen in weitwendige Korrespondenzen ein.

Ungarn weigerte sich entschieden, abtrünnige Truppen zu besolden, Oestreich votirt einen weitern Kredit der Nationalbank, um bei Approvisionirung und Verproviantirung volksfeindlicher Heere, im Haushalte in keine Stockung zu gerathen.

Der ungarische Reichstag schuf Armeen, der östreichische zaudert und schreckt zurück, den bereitgehaltenen Landsturm zu entbieten.

61 Wien, 19. Octbr.

Die stärksten Ausdrücke sind zu gelinde, um die Verräther gehörig zu bezeichnen, welche im Reichstage sitzen. Hören Sie, was Kossuth am 14. im Repräsentantenhause gesprochen:

Kossuth: "Ich selbst habe es beantragt, daß man Jellachich bis Wien verfolgen müsse. Dadurch habe ich aber keineswegs strategische Anstalten treffen wollen und wirklich, da die strategischen Operationen von vornhinein zu bestimmen, nicht die Aufgabe des Hauses ist, so muß ich demungeachtet fragen, ob die Wiener Ereignisse Ursache darbieten, daß das Haus nach der Hand strategische Operationen beschließe? - Ich meinerseits zolle den größten Dank der Stimmung Wiens, aber es thut mir leid, daß uns von dort auf diplomatischem Wege gar kein Beschluß zugekommen ist, was jedenfalls auf Wankelmuth schließen läßt. Und weil die ungarische Armee diplomatisch nicht hingerufen wurde, so würde man vielleicht späterhin unsern Einmarsch für eine feindliche Invasion erklären. Und da wir gar keine diplomatische Aufforderung erhielten, wie könnten wir uns vor der Welt rechtfertigen? Der Wiener Reichstag hat uns nicht einmal noch geantwortet. In solchen aufgereizten Zeiten gibt es Augenblicke, wo nur der Erfolg das Gute oder Schlechte der Handlungen bestimmt. Wäre ich Anführer gewesen, so hätte ich, ohne einen Augenblick zu säumen, den Feind gleich ohne Anfrage auch auf östreichischem Gebiete verfolgt. Wäre es schlecht ausgefallen, so hätte ich freilich meinen Kopf eingebüßt, wäre es aber gelungen, so hätte ich einen großen Dienst dem Vaterlande erwiesen. Weit entfernt von mir, als wenn ich dadurch jemand kritisiren wollte. Wir haben, statt augenblicklich den Feind zu verfolgen, den diplomatischen Weg eingeschlagen und er hat zu nichts geführt. Das Haus muß sich also äußern, ob Jellachich noch weiter verfolgt werde, oder es muß dem Wiener Reichstage erklären, daß wir bereit waren und sind, unsern Brüdern in Oestreich zu helfen. Da aber der Wiener Reichstag uns gar nicht geantwortet, unsere Armee nicht aufgefordert und sich nicht einmal geäußert hat, ob er den Jellachich als Feind betrachtet oder nicht, so müssen wir unsere Armee zurückziehen. In diesem Sinne hat der Ausschuß gestern Nachts an den Befehlshaber der ungarischen Armee geschrieben und ihn beauftragt, sich bloß auf die Vertheidigung unseres eigenen Vaterlandes zu beschränken. - Der Wiener Reichstag hat diese Angelegenheit an den Gemeindeausschuß und dieser wieder an den permanenten Ausschuß des Reichstags gewiesen. Dieser aber antwortete, daß er nicht Zeit habe, darauf zu antworten."

In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde die 4te Adresse an Se. Majestät und die Proklamation an die Völker Oestreichs fortberathen. Schon am Morgen hatte diese feige Verrätherschaar durch die vielen hundsföttischen Desertionen seiner Mitglieder, schon die Beschlußfähigkeit verloren und am Abend mit genauer Noth 194 Anwesende aufzuweisen.

Schneider zeigt an, daß die Bielitzer Nationalgarden (Schlesien) auf ihrem Wege nach Wien in Preran vom Militär angehalten, entwaffnet und eingesteckt worden seien. Schuselka machte eine ähnliche Meldung aus Krems, wo man einen Wiener Nationalgarden gefangen und mit dem Standrechte bedroht, ihn aber jetzt zurückgebracht habe.

Hierauf wurde die Adresse an den Kaiser angenommen; bei Berathung der Proklamation kam die ganze Feigheit und Käuflichkeit des Reichstags an's Tageslicht und verrieth sich vorzüglich in den Reden Schuselka's, Dilewski's, Potocki's, Sidon's, Umlauft's, Goldmark's, Borrosch's u. s. w. Nach dem Antrag Umlauft's wurde die Redaktion an eine Kommission gewiesen und wir haben den Brei heute also noch einmal zu verdauen. - Wir befinden uns im größten Momente und haben keinen einzigen Mann, der diesen Moment zu ergreifen weiß. Kossuth ist und will leider nur ein Ungar sein. Hier nichts als feige, intriguante, demokratische Bourgevis, die ihre Gesinnung und ihr Maul nach jedem Lüft-

Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No. 125. Köln, Mittwoch den 25. Oktober. 1848.
Uebersicht.

Deutschland. Wien. (Konstitutionelle Kugeln. ‒ Die Frankfurter Deputation. ‒ Anblick der Stadt. ‒ Die Camarilla. ‒ Der steiermärkische Landsturm. ‒ Messenhauser. ‒ Reichstagssitzung vom 18. ‒ Die Presse. ‒ Kossuths Erklärung. ‒ Der Reichstag. ‒ Die Situation. ‒ Frauenadresse. ‒ Vermischtes). Aus dem Reiche. (Die Klubs). Berlin. (Arbeiterentlassung. ‒ Die Stimmung in Berlin). München. (Die Bierrevolution). Rastatt. (Struve. ‒ Blind). Schleswig. (Sitzung der Landesversammlung. ‒ Verfügung über die dänischen Schiffe).

Italien. (Wachsen der Bewegung in Piemont. ‒ Fall des toskanischen Ministeriums. ‒ Fall von Dioppo. ‒ Die Piemontesen nach Mailand. ‒ Kriegerischer Zustand Norditaliens). Rom. (Neuigkeiteiten) Messina. (Bewaffnung. ‒ Adressen der Städte. ‒ Neapel).

Belgien. Lüttich. (Pauperismus).

Franz. Republik. Paris. (Wüthen der Bourgeoisblätter gegen die deutsche Demokratie. ‒ Die Bankettagitation. ‒ Vermischtes. ‒ Die Reform über Plane der royalistischen Ligue. ‒ Frau Prudault.

Großbritannien. London. (Der „Economist“ über die Eisenbahnen).

Dänemark. Kopenhagen. („Fädrelandet“ über den Waffenstillstand).

Donaufürstenthümer. Galaz. (Die russische Südarmee).

Persien. (Mohammed Schah).

Ungarn. Pesth. (Verschiedenes. ‒ Raizische Insurrektion).

Spanien. Madrid. (Die Insurgenten. ‒ General Chacon).

Deutschland.
61 Wien, 18. Okt.

Schuselka's konstitutioneller Thron hat soeben (7 Uhr Morgens), zur Feier des bedeutungsvollen Tages, aus dem Kroatenlager etwa zwei Dutzend Kanonenschüsse in die Marrer Linie auf die geliebten Unterthanen losknallen lassen. Man glaubte, die Schlacht nehme ihren Anfang, es sollen jedoch zwei konstitutionelle Friedensengel aus dem konstitutionellen Reichstage mit einer weißen Fahne herbeigesprungen sein und das Feuer erstickt haben. Ich fürchte diese konstitutionellen Friedensengel ungeheuer, sie können kein Blut sehen und werden sogar die Kanonenkugeln vereinbaren, damit Jellachich hübsch entschlüpfe. ‒ Vielleicht haben wir von Messenhauser Besseres zu erwarten. ‒ Die Frankfurter Deputation läßt sich heute durch Maueranschlag offiziell vermelden; sie soll angekommen sein, um über die Republik den Notarialakt aufzunehmen. Glückliches Wien, wie unglücklich würdest du sein ohne die Frankfurter Negotiants!

Die Stadt ist kaum mehr wieder zu erkennen. Ueberall bewaffnete Schaaren, alle Straßen voll Messenhauser'scher Plakate, Ordonanzen hin und her, fortwährende Thätigkeit im Reichstage. Volksgruppen, interessante Rührigkeit in der Stellung, Barrikaden, Werbungsstellen, fast kein Gefähr, die Paläste der Fürsten und Geldsäcke in Spitäler umgewandelt (natürlich aus Pfiffigkeit, um sie vor der Volksrache zu bewahren), auf dem Stephansthurme ein fortwährendes Observatorium, die Universität eine ungeheure Kaserne, die interessanteste, die es je gegeben, die Basteien mit Kanonen bepflanzt, im Belvedere und Parke Schwarzenberg's das Hauptquartier mit einem Lager von mehr als 15,000 Mann bereit, nicht blos hinter den Barrikaden zu fechten, sondern hinaus in's Feld zu ziehen, vor den Linien überall die energischsten Vertheidigungsmaßregeln und Bollwerke, und dennoch im Grunde ‒ Nichts. Ich habe gestern vier Stunden darauf verwendet, alle Punkte zu besichtigen. Wir hätten schon gesiegt, hätten wir niemals konstitutionelle Friedensengel gehabt, die selbst, nach gegen die geliebten Unterthanen gelieferten Schlachten, noch an das konstitutionelle Paternoster glauben und den Rosenkranz für den heutigen politischen Boden der Völker halten. Wir werden siegen, denn auch die Provinzen zeigen sich. ‒ Die Kamarilla hat sich ganz in die Arme der böhmischen Zigeuner geworfen und Stadion zur bessern Aufhetzung nach Prag geschickt. Sie ist so verrückt, diesen Menschen an die Spitze eines Ministeriums der österreichischen Gesammtstaaten stellen zu wollen. Die Zigeuner hetzen, wie Hyänen in der Slowanska lipa. ‒ Der steiermärkische Landsturm steht auf dem Simmering, aber die Südbahn ist mit dem Telegraphen bis Gloggnitz zerstört worden. ‒ Es heißt, ein preußisches und ein Reichsarmeekorps sollen in Oesterreich einrücken, während Türken und Russen gleichzeitig üller Ungarn herfallen würden. ‒ Italien, heißt es, soll sich erheben. Wo mag in 4 Wochen Schuselka's und der Kamiralla Gesammtmonarchie sein? Wahrscheinlich im russischen Lager. ‒ Messenhauser's Auftreten hat die kampflustichen Schaaren ganz eingenommen; vielleicht kann der Reichstag noch seine Schlafmütze sein, denn er, wie der Gemeinderath, zittern schon vor ihm. Sie werden beide noch die Cholera bekommen. ‒ Berlin's demokratische Bürgerwehr hat an die Legion und Garde geschrieben, sie würde nicht dulden, daß preußische Soldaten zur Unterdrückung Wien's verwendet würden. Die Berliner Studenten könnten wohl schon hier sein, doch die Berliner Konditoreien werden sie wohl aufhalten.

12 1/2 Uhr. Reichstagssitzung. ‒ Die galizischen Bauern unterhalten sich in zwei Gruppen lebhaft in polnischer Sprache; hierauf läßt die Versammlung sich von dem bocksbärtigen Kamarillagrafen Gleispach ein unausstehliches Protokoll verlesen. Solche Dinge machen der österreichischen Büreaukratenstube überhaupt das größte, weil stille, Vergnügen. Pillersdorf und Gleispach möchten sie zu nichts Anderem verwenden. ‒ Die Galerien sind ziemlich leer. Zwei Abgeordnete zeigen ihre Desertion an. Darauf erscheint der große Genius.

Schuselka als Berichterstatter des Ausschusses: Der Ausschuß kann nicht umhin, spricht er, sich über die Stellung der ungarischen Armee dem Reichstag gegenüber auszusprechen, weil seit einigen Tagen in der Bevölkerung deßhalb viel Spannung ist. Wir erhielten in dieser Nacht durch einen Mann, der aus dem ungarischen Lager kam, die Nachricht, daß die ungarische Armee, welche schon die österreichische Gränze überschritten hatte, einem Befehle des Repräsentantenhauses zufolge, wieder den Rückmarsch angetreten habe. (Zittern in der Versammlung.) Ob eine Drohung Rußland's, oder welche Motive diesem Verhalten unterliegen, darüber ist dem Ausschusse nichts bekannt geworden. (Das ungarische Repräsentantenhaus, dessen Deputation man vor 4 Wochen mit Hohn abwieß und auch jetzt wiederum mit Kälte empfangen hatte, hat den Befehl des Rückzugs gewiß nur in gerechter Entrüstung über die österreichischen Reichstags-Verräther ergehen lassen. Es sieht aus, als sollte das Wiener Volk auf eine beispiellose Weise verrathen und von wilder Soldateska niedergemetzelt werden; alle meine Befürchtungen scheinen in Erfüllung gehen zu wollen.)

Verschiedene Landgemeinden haben etwa 700 fl. zur Unterstützung des bewaffneten Volks geschickt Da ein Abgeordneter von Auerspergs Truppen, fährt Schuselka fort, gröblich insultirt und 5 Studenten standrechtlich erschossen worden sind, so haben wir eine energische Zuschrift an ihn gerichtet, worauf Auersperg in einer Antwort die gemachten Beschuldigungen als lügenhaft bezeichnet, obgleich manche für die versuchte Verführung des Militärs ein standrechtliches Urtheil verdient hatten; auch solche Erfindungen gehörten, schreibt Auersperg, zu den Mitteln einer gewissen Partei. Durch diese Antwort ist die Mißhandlung des Abgeordneten durch einen Offizier aber nicht entkräftet worden, sie liegt als Thatsache vor.

Hierauf verliest Hr. Schuselka, Oestreichs konstitutioneller Gesammtgenius, eine ziemlich unangenehme Zuschrift der Bürgerschaft von Eger und zeigt an, daß die zuletzt an den Kaiser gesendete Deputation zurückgekehrt sei. Der Abgeordnete Fischer hat über seine Mission einen schriftlichen Bericht eingereicht (verliest ihn); es geht daraus hervor, daß der Kaiser, nach den gehörigen Umständen die Deputation am 15. um 7 Uhr Abends in Olmütz empfangen, einen Wisch aus der Tasche gezogen, ihn abgelesen und sich sodann wieder entfernt hat. Lobkowitz, die Kaiserin und Franz Karl waren zugegen. Der Kaiser freut sich, daß der Reichstag der Anarchie steuern will und verspricht helfen zu wollen.

Nun liest Schuselka seine zwei neuesten chefs d'oeuvre, nämlich das gestern beantragte: „Erbarm' dich unser“ an die Völker Oestreichs und ein neues „Vater unser“ nebst Rosenkranz an Ferdinand vor.

Dilewski fragt, wie es sich mit der Mißhandlung des Abgeordneten verhalte.

Ziemialkowski: Ich bin am 13. auf einer Reise hierher von dem Bataillon Baumgarten gefangen genommen worden; man hat mich dabei auf eine brutale Weise behandelt, ungeachtet ich mich auf meine Qualität berufen habe; ich wurde gefangen gesetzt und ein Stabsoffizier sagte, im Reichstage säßen die Mörder Latours, die man zu finden wissen werde. Ich entkam nur durch eine List, indem ich angab, im slavischen Interesse zu wirken.

Potocki will die Berathung über Schuselkas Primaner-Aufsätze, mit denen ich Sie morgen beglücken werde, dadurch aufhalten, daß er einen ausführlichen Bericht von der zum Kaiser gesendeten Deputation selbst verlangt und mittheilt, daß auch der Kaiser eine Proklamation an die Völker Oestreichs erlassen würde, man also warten müsse. Darüber entspinnt sich eine langweilige Debatte, die mit der Nichtannahme von Potockis Antrag endet und wobei der Schriftführer Wiser mit klappernden Zähnen betheuert, er sei nicht im Namen des Reichstags in Olmütz beim Kaiser gewesen, sondern er habe dahin nur eine Depesche des Ministeriums als Postillon befördert. Er habe von einer Proklamation etwas gehört, sie sollte sehr aufregend ausfallen. Ich verlasse die Sitzung.

Die Presse ist fast noch feiger, als die Kammer; am allerfeigsten und erbärmlichsten benehmen sich aber die demokratischen Judenvereine; man hört gar nichts mehr von ihnen. Der Radikale enthält jetzt nur Hegelsche Philosophie mit der Unterschrift: Jellinek. Nur ein Blatt „die Nationalzeitung“ wagt es, dem Reichstag den Text zu lesen; vielleicht ist es jetzt übrigens kein Wagniß mehr. Sie sagt z. B.:

O! armes, armes Wien, o! unglückliches Oestreich!

Wenn die Generäle Auersperg und Jelachich mit nichtssagenden Erklärungen besiegt, und die k. k. hohe Reitschule in eine uneinnehmbare Festung umgewandelt werden könnte, so hätte der permanente Sicherheitsausschuß gegen den excellenten Kroatenhäuptling (?) längst die Offensive ergriffen, und eine Schlacht gewagt. Der permanente Ausschuß begnügt sich aber damit, die Straßenecken zu verbarikadiren und in Gemeinschaft mit seinem Adjutanten Messenhauser, dieselben mit einem Heer von Plakaten zu besetzen. Der Reichstag, welcher mit Zeugstiefeln und Glacehandschuhen schon seit mehr als 8 Tagen auf legalem Boden spazieren geht, Deputationen nach Selowitz und Olmütz absendet, Rebellen als Exzellenzen beehrt, wird, um nicht das Mißfallen des allerhöchsten Hofes zu erregen, uns auf ganz legalem Wege, einem äußerst tragischen Schicksale zuführen, dem er zuletzt selbst nicht entgehen wird.

Sie tadelt mit Geist und Energie auch die der ungarischen Depation bewiesene Indifferenz und zieht eine Parallele zwischen dem ungarischen Repräsentantenhause und dem östreichischen Reichstage, die ganz zum Vortheil des ersten ausfällt und sehr richtig ist. So heißt es daselbst: Ungarn ist wohl im eigenen Interesse gebunden, Oestreich zu Hülfe zu eilen, da die Unterjochung Wiens die Besiegung Ungarns nach sich ziehen müßte. Beim weiteren Hinausschieben der ungarischen Unterstützung jedoch wird die Bevölkerung Wiens immer ängstlicher, die Freiheitskämpfer müssen im angestrengten, ungewohnten Wachtdienste bei Tag und Nacht auch in physischer Hinsicht erliegen, der Enthusiasmus wird kühler, die Frechheit der Feinde am Ende von Tag zu Tag stärker. Gewiß ist es, daß unser jetziger Zustand nicht so bleiben und nur von ungarischer Seite her abgeholfen werden kann; warum wurde also gezögert, die Ungarn unverzüglich aufzufordern? Bis dat, qui cito dat, (doppelt gibt, wer schnell gibt).

Hätte man energisch gehandelt und sich nicht wieder dem leidigen Diplomatisiren überlassen, unsere Lage wäre schon anders, der Sieg schon vollständig.

Unsere Volksvertreter sind von denen der ungarischen Nation an Energie und Thatkraft weit überholt worden.

Als Ferdinand, König von Ungarn, von der Kamarillaburg Schönbrunn inkonstitutionelle Manifeste erließ, erhob sich das ungarische Repräsentantenhaus einstimmig und erklärte sie in feierlicher Sitzung für null und nichtig.

Ferdinand, Kaiser von Oestreich erläßt ein gleiches Manifest vom Pfaffennest Herzogenburg an erbländische Provinzen.

Keine Stimme im Reichstage erhebt sich und schleudert den Bann gegen ein solches Gebären. Die Proklamation gewinnt auch noch durch ihr Erscheinen in der Wienerzeitung für Unbefangene einen offiziellen Charakter, da dieselbe nirgends desavouirt wird.

Ungarn protestirte gegen das Leibhusarenregiment Adam Recsei. Wird dasselbe bei uns gegen ein Leibtrabantenministerium Stadion geschehen?

Der ungarische Reichstag erklärt die seinem Ministerium ungehorsamen Generale und Festungskommandanten für Hochverräther und ihre Köpfe für vogelfrei.

Der östreichische Reichstag nennt rebellische Feldmarschallieutenante Excellenz und läßt sich mit ihnen in weitwendige Korrespondenzen ein.

Ungarn weigerte sich entschieden, abtrünnige Truppen zu besolden, Oestreich votirt einen weitern Kredit der Nationalbank, um bei Approvisionirung und Verproviantirung volksfeindlicher Heere, im Haushalte in keine Stockung zu gerathen.

Der ungarische Reichstag schuf Armeen, der östreichische zaudert und schreckt zurück, den bereitgehaltenen Landsturm zu entbieten.

61 Wien, 19. Octbr.

Die stärksten Ausdrücke sind zu gelinde, um die Verräther gehörig zu bezeichnen, welche im Reichstage sitzen. Hören Sie, was Kossuth am 14. im Repräsentantenhause gesprochen:

Kossuth: „Ich selbst habe es beantragt, daß man Jellachich bis Wien verfolgen müsse. Dadurch habe ich aber keineswegs strategische Anstalten treffen wollen und wirklich, da die strategischen Operationen von vornhinein zu bestimmen, nicht die Aufgabe des Hauses ist, so muß ich demungeachtet fragen, ob die Wiener Ereignisse Ursache darbieten, daß das Haus nach der Hand strategische Operationen beschließe? ‒ Ich meinerseits zolle den größten Dank der Stimmung Wiens, aber es thut mir leid, daß uns von dort auf diplomatischem Wege gar kein Beschluß zugekommen ist, was jedenfalls auf Wankelmuth schließen läßt. Und weil die ungarische Armee diplomatisch nicht hingerufen wurde, so würde man vielleicht späterhin unsern Einmarsch für eine feindliche Invasion erklären. Und da wir gar keine diplomatische Aufforderung erhielten, wie könnten wir uns vor der Welt rechtfertigen? Der Wiener Reichstag hat uns nicht einmal noch geantwortet. In solchen aufgereizten Zeiten gibt es Augenblicke, wo nur der Erfolg das Gute oder Schlechte der Handlungen bestimmt. Wäre ich Anführer gewesen, so hätte ich, ohne einen Augenblick zu säumen, den Feind gleich ohne Anfrage auch auf östreichischem Gebiete verfolgt. Wäre es schlecht ausgefallen, so hätte ich freilich meinen Kopf eingebüßt, wäre es aber gelungen, so hätte ich einen großen Dienst dem Vaterlande erwiesen. Weit entfernt von mir, als wenn ich dadurch jemand kritisiren wollte. Wir haben, statt augenblicklich den Feind zu verfolgen, den diplomatischen Weg eingeschlagen und er hat zu nichts geführt. Das Haus muß sich also äußern, ob Jellachich noch weiter verfolgt werde, oder es muß dem Wiener Reichstage erklären, daß wir bereit waren und sind, unsern Brüdern in Oestreich zu helfen. Da aber der Wiener Reichstag uns gar nicht geantwortet, unsere Armee nicht aufgefordert und sich nicht einmal geäußert hat, ob er den Jellachich als Feind betrachtet oder nicht, so müssen wir unsere Armee zurückziehen. In diesem Sinne hat der Ausschuß gestern Nachts an den Befehlshaber der ungarischen Armee geschrieben und ihn beauftragt, sich bloß auf die Vertheidigung unseres eigenen Vaterlandes zu beschränken. ‒ Der Wiener Reichstag hat diese Angelegenheit an den Gemeindeausschuß und dieser wieder an den permanenten Ausschuß des Reichstags gewiesen. Dieser aber antwortete, daß er nicht Zeit habe, darauf zu antworten.“

In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde die 4te Adresse an Se. Majestät und die Proklamation an die Völker Oestreichs fortberathen. Schon am Morgen hatte diese feige Verrätherschaar durch die vielen hundsföttischen Desertionen seiner Mitglieder, schon die Beschlußfähigkeit verloren und am Abend mit genauer Noth 194 Anwesende aufzuweisen.

Schneider zeigt an, daß die Bielitzer Nationalgarden (Schlesien) auf ihrem Wege nach Wien in Preran vom Militär angehalten, entwaffnet und eingesteckt worden seien. Schuselka machte eine ähnliche Meldung aus Krems, wo man einen Wiener Nationalgarden gefangen und mit dem Standrechte bedroht, ihn aber jetzt zurückgebracht habe.

Hierauf wurde die Adresse an den Kaiser angenommen; bei Berathung der Proklamation kam die ganze Feigheit und Käuflichkeit des Reichstags an's Tageslicht und verrieth sich vorzüglich in den Reden Schuselka's, Dilewski's, Potocki's, Sidon's, Umlauft's, Goldmark's, Borrosch's u. s. w. Nach dem Antrag Umlauft's wurde die Redaktion an eine Kommission gewiesen und wir haben den Brei heute also noch einmal zu verdauen. ‒ Wir befinden uns im größten Momente und haben keinen einzigen Mann, der diesen Moment zu ergreifen weiß. Kossuth ist und will leider nur ein Ungar sein. Hier nichts als feige, intriguante, demokratische Bourgevis, die ihre Gesinnung und ihr Maul nach jedem Lüft-

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        <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart>
        <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart>
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          <docDate>No. 125. Köln, Mittwoch den 25. Oktober. 1848.</docDate>
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        <head>Uebersicht.</head>
        <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Wien. (Konstitutionelle Kugeln. &#x2012; Die Frankfurter Deputation. &#x2012; Anblick der Stadt. &#x2012; Die Camarilla. &#x2012; Der steiermärkische Landsturm. &#x2012; Messenhauser. &#x2012; Reichstagssitzung vom 18. &#x2012; Die Presse. &#x2012; Kossuths Erklärung. &#x2012; Der Reichstag. &#x2012; Die Situation. &#x2012; Frauenadresse. &#x2012; Vermischtes). Aus dem Reiche. (Die Klubs). Berlin. (Arbeiterentlassung. &#x2012; Die Stimmung in Berlin). München. (Die Bierrevolution). Rastatt. (Struve. &#x2012; Blind). Schleswig. (Sitzung der Landesversammlung. &#x2012; Verfügung über die dänischen Schiffe).</p>
        <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> (Wachsen der Bewegung in Piemont. &#x2012; Fall des toskanischen Ministeriums. &#x2012; Fall von Dioppo. &#x2012; Die Piemontesen nach Mailand. &#x2012; Kriegerischer Zustand Norditaliens). Rom. (Neuigkeiteiten) Messina. (Bewaffnung. &#x2012; Adressen der Städte. &#x2012; Neapel).</p>
        <p><hi rendition="#g">Belgien.</hi> Lüttich. (Pauperismus).</p>
        <p><hi rendition="#g">Franz. Republik.</hi> Paris. (Wüthen der Bourgeoisblätter gegen die deutsche Demokratie. &#x2012; Die Bankettagitation. &#x2012; Vermischtes. &#x2012; Die Reform über Plane der royalistischen Ligue. &#x2012; Frau Prudault.</p>
        <p><hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> London. (Der &#x201E;Economist&#x201C; über die Eisenbahnen).</p>
        <p><hi rendition="#g">Dänemark.</hi> Kopenhagen. (&#x201E;Fädrelandet&#x201C; über den Waffenstillstand).</p>
        <p><hi rendition="#g">Donaufürstenthümer.</hi> Galaz. (Die russische Südarmee).</p>
        <p><hi rendition="#g">Persien.</hi> (Mohammed Schah).</p>
        <p><hi rendition="#g">Ungarn.</hi> Pesth. (Verschiedenes. &#x2012; Raizische Insurrektion).</p>
        <p><hi rendition="#g">Spanien.</hi> Madrid. (Die Insurgenten. &#x2012; General Chacon).</p>
      </div>
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        <head>Deutschland.</head>
        <div xml:id="ar125_001" type="jArticle">
          <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 18. Okt.</head>
          <p>Schuselka's konstitutioneller Thron hat soeben (7 Uhr Morgens), zur Feier des bedeutungsvollen Tages, aus dem Kroatenlager etwa zwei Dutzend Kanonenschüsse in die Marrer Linie auf die geliebten Unterthanen losknallen lassen. Man glaubte, die Schlacht nehme ihren Anfang, es sollen jedoch zwei konstitutionelle Friedensengel aus dem konstitutionellen Reichstage mit einer weißen Fahne herbeigesprungen sein und das Feuer erstickt haben. Ich fürchte diese konstitutionellen Friedensengel ungeheuer, sie können kein Blut sehen und werden sogar die Kanonenkugeln vereinbaren, damit Jellachich hübsch entschlüpfe. &#x2012; Vielleicht haben wir von Messenhauser Besseres zu erwarten. &#x2012; Die Frankfurter Deputation läßt sich heute durch Maueranschlag <hi rendition="#g">offiziell</hi> vermelden; sie soll angekommen sein, um über die Republik den Notarialakt aufzunehmen. Glückliches Wien, wie unglücklich würdest du sein ohne die Frankfurter Negotiants!</p>
          <p>Die Stadt ist kaum mehr wieder zu erkennen. Ueberall bewaffnete Schaaren, alle Straßen voll Messenhauser'scher Plakate, Ordonanzen hin und her, fortwährende Thätigkeit im Reichstage. Volksgruppen, interessante Rührigkeit in der Stellung, Barrikaden, Werbungsstellen, fast kein Gefähr, die Paläste der Fürsten und Geldsäcke in Spitäler umgewandelt (natürlich aus Pfiffigkeit, um sie vor der Volksrache zu bewahren), auf dem Stephansthurme ein fortwährendes Observatorium, die Universität eine ungeheure Kaserne, die interessanteste, die es je gegeben, die Basteien mit Kanonen bepflanzt, im Belvedere und Parke Schwarzenberg's das Hauptquartier mit einem Lager von mehr als 15,000 Mann bereit, nicht blos hinter den Barrikaden zu fechten, sondern hinaus in's Feld zu ziehen, vor den Linien überall die energischsten Vertheidigungsmaßregeln und Bollwerke, und dennoch im Grunde &#x2012; Nichts. Ich habe gestern vier Stunden darauf verwendet, alle Punkte zu besichtigen. Wir hätten schon gesiegt, hätten wir niemals konstitutionelle Friedensengel gehabt, die selbst, nach gegen die geliebten Unterthanen gelieferten Schlachten, noch an das konstitutionelle Paternoster glauben und den Rosenkranz für den heutigen politischen Boden der Völker halten. Wir werden siegen, denn auch die Provinzen zeigen sich. &#x2012; Die Kamarilla hat sich ganz in die Arme der böhmischen Zigeuner geworfen und Stadion zur bessern Aufhetzung nach Prag geschickt. Sie ist so verrückt, diesen Menschen an die Spitze eines Ministeriums der österreichischen Gesammtstaaten stellen zu wollen. Die Zigeuner hetzen, wie Hyänen in der Slowanska lipa. &#x2012; Der steiermärkische Landsturm steht auf dem Simmering, aber die Südbahn ist mit dem Telegraphen bis Gloggnitz zerstört worden. &#x2012; Es heißt, ein preußisches und ein Reichsarmeekorps sollen in Oesterreich einrücken, während Türken und Russen gleichzeitig üller Ungarn herfallen würden. &#x2012; Italien, heißt es, soll sich erheben. Wo mag in 4 Wochen Schuselka's und der Kamiralla Gesammtmonarchie sein? Wahrscheinlich im russischen Lager. &#x2012; Messenhauser's Auftreten hat die kampflustichen Schaaren ganz eingenommen; vielleicht kann der Reichstag noch seine Schlafmütze sein, denn er, wie der Gemeinderath, zittern schon vor ihm. Sie werden beide noch die Cholera bekommen. &#x2012; Berlin's demokratische Bürgerwehr hat an die Legion und Garde geschrieben, sie würde nicht dulden, daß preußische Soldaten zur Unterdrückung Wien's verwendet würden. Die Berliner Studenten könnten wohl schon hier sein, doch die Berliner Konditoreien werden sie wohl aufhalten.</p>
          <p>12 1/2 Uhr. Reichstagssitzung. &#x2012; Die galizischen Bauern unterhalten sich in zwei Gruppen lebhaft in polnischer Sprache; hierauf läßt die Versammlung sich von dem bocksbärtigen Kamarillagrafen Gleispach ein unausstehliches Protokoll verlesen. Solche Dinge machen der österreichischen Büreaukratenstube überhaupt das größte, weil stille, Vergnügen. Pillersdorf und Gleispach möchten sie zu nichts Anderem verwenden. &#x2012; Die Galerien sind ziemlich leer. Zwei Abgeordnete zeigen ihre Desertion an. Darauf erscheint der große Genius.</p>
          <p><hi rendition="#g">Schuselka</hi> als Berichterstatter des Ausschusses: Der Ausschuß kann nicht umhin, spricht er, sich über die Stellung der ungarischen Armee dem Reichstag gegenüber auszusprechen, weil seit einigen Tagen in der Bevölkerung deßhalb viel Spannung ist. Wir erhielten in dieser Nacht durch einen Mann, der aus dem ungarischen Lager kam, die Nachricht, daß die ungarische Armee, welche schon die österreichische Gränze überschritten hatte, einem Befehle des Repräsentantenhauses zufolge, wieder den Rückmarsch angetreten habe. (Zittern in der Versammlung.) Ob eine Drohung Rußland's, oder welche Motive diesem Verhalten unterliegen, darüber ist dem Ausschusse nichts bekannt geworden. (Das ungarische Repräsentantenhaus, dessen Deputation man vor 4 Wochen mit Hohn abwieß und auch jetzt wiederum mit Kälte empfangen hatte, hat den Befehl des Rückzugs gewiß nur in gerechter Entrüstung über die österreichischen Reichstags-Verräther ergehen lassen. Es sieht aus, als sollte das Wiener Volk auf eine beispiellose Weise verrathen und von wilder Soldateska niedergemetzelt werden; alle meine Befürchtungen scheinen in Erfüllung gehen zu wollen.)</p>
          <p>Verschiedene Landgemeinden haben etwa 700 fl. zur Unterstützung des bewaffneten Volks geschickt Da ein Abgeordneter von Auerspergs Truppen, fährt Schuselka fort, gröblich insultirt und 5 Studenten standrechtlich erschossen worden sind, so haben wir eine energische Zuschrift an ihn gerichtet, worauf Auersperg in einer Antwort die gemachten Beschuldigungen als lügenhaft bezeichnet, obgleich manche für die versuchte Verführung des Militärs ein standrechtliches Urtheil verdient hatten; auch solche Erfindungen gehörten, schreibt Auersperg, zu den Mitteln einer gewissen Partei. Durch diese Antwort ist die Mißhandlung des Abgeordneten durch einen Offizier aber nicht entkräftet worden, sie liegt als Thatsache vor.</p>
          <p>Hierauf verliest Hr. Schuselka, Oestreichs konstitutioneller Gesammtgenius, eine ziemlich unangenehme Zuschrift der Bürgerschaft von Eger und zeigt an, daß die zuletzt an den Kaiser gesendete Deputation zurückgekehrt sei. Der Abgeordnete Fischer hat über seine Mission einen schriftlichen Bericht eingereicht (verliest ihn); es geht daraus hervor, daß der Kaiser, nach den gehörigen Umständen die Deputation am 15. um 7 Uhr Abends in Olmütz empfangen, einen Wisch aus der Tasche gezogen, ihn abgelesen und sich sodann wieder entfernt hat. Lobkowitz, die Kaiserin und Franz Karl waren zugegen. Der Kaiser freut sich, daß der Reichstag der Anarchie steuern will und verspricht helfen zu wollen.</p>
          <p>Nun liest Schuselka seine zwei neuesten chefs d'oeuvre, nämlich das gestern beantragte: &#x201E;Erbarm' dich unser&#x201C; an die Völker Oestreichs und ein neues &#x201E;Vater unser&#x201C; nebst Rosenkranz an Ferdinand vor.</p>
          <p><hi rendition="#g">Dilewski</hi> fragt, wie es sich mit der Mißhandlung des Abgeordneten verhalte.</p>
          <p><hi rendition="#g">Ziemialkowski:</hi> Ich bin am 13. auf einer Reise hierher von dem Bataillon Baumgarten gefangen genommen worden; man hat mich dabei auf eine brutale Weise behandelt, ungeachtet ich mich auf meine Qualität berufen habe; ich wurde gefangen gesetzt und ein Stabsoffizier sagte, im Reichstage säßen die Mörder Latours, die man zu finden wissen werde. Ich entkam nur durch eine List, indem ich angab, im slavischen Interesse zu wirken.</p>
          <p><hi rendition="#g">Potocki</hi> will die Berathung über Schuselkas Primaner-Aufsätze, mit denen ich Sie morgen beglücken werde, dadurch aufhalten, daß er einen ausführlichen Bericht von der zum Kaiser gesendeten Deputation selbst verlangt und mittheilt, daß auch der Kaiser eine Proklamation an die Völker Oestreichs erlassen würde, man also warten müsse. Darüber entspinnt sich eine langweilige Debatte, die mit der Nichtannahme von Potockis Antrag endet und wobei der Schriftführer Wiser mit klappernden Zähnen betheuert, er sei nicht im Namen des Reichstags in Olmütz beim Kaiser gewesen, sondern er habe dahin nur eine Depesche des Ministeriums als Postillon befördert. Er habe von einer Proklamation etwas gehört, sie sollte sehr aufregend ausfallen. Ich verlasse die Sitzung.</p>
          <p>Die Presse ist fast noch feiger, als die Kammer; am allerfeigsten und erbärmlichsten benehmen sich aber die demokratischen Judenvereine; man hört gar nichts mehr von ihnen. Der <hi rendition="#g">Radikale</hi> enthält jetzt nur Hegelsche Philosophie mit der Unterschrift: Jellinek. Nur ein Blatt &#x201E;die Nationalzeitung&#x201C; wagt es, dem Reichstag den Text zu lesen; vielleicht ist es jetzt übrigens kein Wagniß mehr. Sie sagt z. B.:</p>
          <p>O! armes, armes Wien, o! unglückliches Oestreich!</p>
          <p>Wenn die Generäle Auersperg und Jelachich mit nichtssagenden Erklärungen besiegt, und die k. k. hohe Reitschule in eine uneinnehmbare Festung umgewandelt werden könnte, so hätte der permanente Sicherheitsausschuß gegen den excellenten Kroatenhäuptling (?) längst die Offensive ergriffen, und eine Schlacht gewagt. Der permanente Ausschuß begnügt sich aber damit, die Straßenecken zu verbarikadiren und in Gemeinschaft mit seinem Adjutanten Messenhauser, dieselben mit einem Heer von Plakaten zu besetzen. Der Reichstag, welcher mit Zeugstiefeln und Glacehandschuhen schon seit mehr als 8 Tagen auf legalem Boden spazieren geht, Deputationen nach Selowitz und Olmütz absendet, Rebellen als Exzellenzen beehrt, wird, um nicht das Mißfallen des allerhöchsten Hofes zu erregen, uns auf ganz legalem Wege, einem äußerst tragischen Schicksale zuführen, dem er zuletzt selbst nicht entgehen wird.</p>
          <p>Sie tadelt mit Geist und Energie auch die der ungarischen Depation bewiesene Indifferenz und zieht eine Parallele zwischen dem ungarischen Repräsentantenhause und dem östreichischen Reichstage, die ganz zum Vortheil des ersten ausfällt und sehr richtig ist. So heißt es daselbst: Ungarn ist wohl im eigenen Interesse gebunden, Oestreich zu Hülfe zu eilen, da die Unterjochung Wiens die Besiegung Ungarns nach sich ziehen müßte. Beim weiteren Hinausschieben der ungarischen Unterstützung jedoch wird die Bevölkerung Wiens immer ängstlicher, die Freiheitskämpfer müssen im angestrengten, ungewohnten Wachtdienste bei Tag und Nacht auch in physischer Hinsicht erliegen, der Enthusiasmus wird kühler, die Frechheit der Feinde am Ende von Tag zu Tag stärker. Gewiß ist es, daß unser jetziger Zustand nicht so bleiben und nur von ungarischer Seite her abgeholfen werden kann; warum wurde also gezögert, die Ungarn unverzüglich aufzufordern? Bis dat, qui cito dat, (doppelt gibt, wer schnell gibt).</p>
          <p>Hätte man energisch gehandelt und sich nicht wieder dem leidigen Diplomatisiren überlassen, unsere Lage wäre schon anders, der Sieg schon vollständig.</p>
          <p>Unsere Volksvertreter sind von denen der ungarischen Nation an Energie und Thatkraft weit überholt worden.</p>
          <p>Als Ferdinand, König von Ungarn, von der Kamarillaburg Schönbrunn inkonstitutionelle Manifeste erließ, erhob sich das ungarische Repräsentantenhaus einstimmig und erklärte sie in feierlicher Sitzung für null und nichtig.</p>
          <p>Ferdinand, Kaiser von Oestreich erläßt ein gleiches Manifest vom Pfaffennest Herzogenburg an erbländische Provinzen.</p>
          <p>Keine Stimme im Reichstage erhebt sich und schleudert den Bann gegen ein solches Gebären. Die Proklamation gewinnt auch noch durch ihr Erscheinen in der Wienerzeitung für Unbefangene einen offiziellen Charakter, da dieselbe nirgends desavouirt wird.</p>
          <p>Ungarn protestirte gegen das Leibhusarenregiment Adam Recsei. Wird dasselbe bei uns gegen ein Leibtrabantenministerium Stadion geschehen?</p>
          <p>Der ungarische Reichstag erklärt die seinem Ministerium ungehorsamen Generale und Festungskommandanten für Hochverräther und ihre Köpfe für vogelfrei.</p>
          <p>Der östreichische Reichstag nennt rebellische Feldmarschallieutenante Excellenz und läßt sich mit ihnen in weitwendige Korrespondenzen ein.</p>
          <p>Ungarn weigerte sich entschieden, abtrünnige Truppen zu besolden, Oestreich votirt einen weitern Kredit der Nationalbank, um bei Approvisionirung und Verproviantirung volksfeindlicher Heere, im Haushalte in keine Stockung zu gerathen.</p>
          <p>Der ungarische Reichstag schuf Armeen, der östreichische zaudert und schreckt zurück, den bereitgehaltenen Landsturm zu entbieten.</p>
        </div>
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          <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 19. Octbr.</head>
          <p>Die stärksten Ausdrücke sind zu gelinde, um die Verräther gehörig zu bezeichnen, welche im Reichstage sitzen. Hören Sie, was Kossuth am 14. im Repräsentantenhause gesprochen:</p>
          <p><hi rendition="#g">Kossuth:</hi> &#x201E;Ich selbst habe es beantragt, daß man Jellachich bis Wien verfolgen müsse. Dadurch habe ich aber keineswegs strategische Anstalten treffen wollen und wirklich, da die strategischen Operationen von vornhinein zu bestimmen, nicht die Aufgabe des Hauses ist, so muß ich demungeachtet fragen, ob die Wiener Ereignisse Ursache darbieten, daß das Haus nach der Hand strategische Operationen beschließe? &#x2012; Ich meinerseits zolle den größten Dank der Stimmung Wiens, aber es thut mir leid, daß uns von dort auf diplomatischem Wege gar kein Beschluß zugekommen ist, was jedenfalls auf Wankelmuth schließen läßt. Und weil die ungarische Armee diplomatisch nicht hingerufen wurde, so würde man vielleicht späterhin unsern Einmarsch für eine feindliche Invasion erklären. Und da wir gar keine diplomatische Aufforderung erhielten, wie könnten wir uns vor der Welt rechtfertigen? Der Wiener Reichstag hat uns nicht einmal noch geantwortet. In solchen aufgereizten Zeiten gibt es Augenblicke, wo nur der Erfolg das Gute oder Schlechte der Handlungen bestimmt. Wäre ich Anführer gewesen, so hätte ich, ohne einen Augenblick zu säumen, den Feind gleich ohne Anfrage auch auf östreichischem Gebiete verfolgt. Wäre es schlecht ausgefallen, so hätte ich freilich meinen Kopf eingebüßt, wäre es aber gelungen, so hätte ich einen großen Dienst dem Vaterlande erwiesen. Weit entfernt von mir, als wenn ich dadurch jemand kritisiren wollte. Wir haben, statt augenblicklich den Feind zu verfolgen, den diplomatischen Weg eingeschlagen und er hat zu nichts geführt. Das Haus muß sich also äußern, ob Jellachich noch weiter verfolgt werde, oder es muß dem Wiener Reichstage erklären, daß wir bereit waren und sind, unsern Brüdern in Oestreich zu helfen. Da aber der Wiener Reichstag uns gar nicht geantwortet, unsere Armee nicht aufgefordert und sich nicht einmal geäußert hat, ob er den Jellachich als Feind betrachtet oder nicht, so müssen wir unsere Armee zurückziehen. In diesem Sinne hat der Ausschuß gestern Nachts an den Befehlshaber der ungarischen Armee geschrieben und ihn beauftragt, sich bloß auf die Vertheidigung unseres eigenen Vaterlandes zu beschränken. &#x2012; Der Wiener Reichstag hat diese Angelegenheit an den Gemeindeausschuß und dieser wieder an den permanenten Ausschuß des Reichstags gewiesen. Dieser aber antwortete, daß er nicht Zeit habe, darauf zu antworten.&#x201C;</p>
          <p>In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde die 4te Adresse an Se. Majestät und die Proklamation an die Völker Oestreichs fortberathen. Schon am Morgen hatte diese feige Verrätherschaar durch die vielen hundsföttischen Desertionen seiner Mitglieder, schon die Beschlußfähigkeit verloren und am Abend mit genauer Noth 194 Anwesende aufzuweisen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Schneider</hi> zeigt an, daß die Bielitzer Nationalgarden (Schlesien) auf ihrem Wege nach Wien in Preran vom Militär angehalten, entwaffnet und eingesteckt worden seien. Schuselka machte eine ähnliche Meldung aus Krems, wo man einen Wiener Nationalgarden gefangen und mit dem Standrechte bedroht, ihn aber jetzt zurückgebracht habe.</p>
          <p>Hierauf wurde die Adresse an den Kaiser angenommen; bei Berathung der Proklamation kam die ganze Feigheit und Käuflichkeit des Reichstags an's Tageslicht und verrieth sich vorzüglich in den Reden Schuselka's, Dilewski's, Potocki's, Sidon's, Umlauft's, Goldmark's, Borrosch's u. s. w. Nach dem Antrag Umlauft's wurde die Redaktion an eine Kommission gewiesen und wir haben den Brei heute also noch einmal zu verdauen. &#x2012; Wir befinden uns im größten Momente und haben keinen einzigen Mann, der diesen Moment zu ergreifen weiß. Kossuth ist und will leider nur ein Ungar sein. Hier nichts als feige, intriguante, demokratische Bourgevis, die ihre Gesinnung und ihr Maul nach jedem Lüft-
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[0629/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 125. Köln, Mittwoch den 25. Oktober. 1848. Uebersicht. Deutschland. Wien. (Konstitutionelle Kugeln. ‒ Die Frankfurter Deputation. ‒ Anblick der Stadt. ‒ Die Camarilla. ‒ Der steiermärkische Landsturm. ‒ Messenhauser. ‒ Reichstagssitzung vom 18. ‒ Die Presse. ‒ Kossuths Erklärung. ‒ Der Reichstag. ‒ Die Situation. ‒ Frauenadresse. ‒ Vermischtes). Aus dem Reiche. (Die Klubs). Berlin. (Arbeiterentlassung. ‒ Die Stimmung in Berlin). München. (Die Bierrevolution). Rastatt. (Struve. ‒ Blind). Schleswig. (Sitzung der Landesversammlung. ‒ Verfügung über die dänischen Schiffe). Italien. (Wachsen der Bewegung in Piemont. ‒ Fall des toskanischen Ministeriums. ‒ Fall von Dioppo. ‒ Die Piemontesen nach Mailand. ‒ Kriegerischer Zustand Norditaliens). Rom. (Neuigkeiteiten) Messina. (Bewaffnung. ‒ Adressen der Städte. ‒ Neapel). Belgien. Lüttich. (Pauperismus). Franz. Republik. Paris. (Wüthen der Bourgeoisblätter gegen die deutsche Demokratie. ‒ Die Bankettagitation. ‒ Vermischtes. ‒ Die Reform über Plane der royalistischen Ligue. ‒ Frau Prudault. Großbritannien. London. (Der „Economist“ über die Eisenbahnen). Dänemark. Kopenhagen. („Fädrelandet“ über den Waffenstillstand). Donaufürstenthümer. Galaz. (Die russische Südarmee). Persien. (Mohammed Schah). Ungarn. Pesth. (Verschiedenes. ‒ Raizische Insurrektion). Spanien. Madrid. (Die Insurgenten. ‒ General Chacon). Deutschland. 61 Wien, 18. Okt. Schuselka's konstitutioneller Thron hat soeben (7 Uhr Morgens), zur Feier des bedeutungsvollen Tages, aus dem Kroatenlager etwa zwei Dutzend Kanonenschüsse in die Marrer Linie auf die geliebten Unterthanen losknallen lassen. Man glaubte, die Schlacht nehme ihren Anfang, es sollen jedoch zwei konstitutionelle Friedensengel aus dem konstitutionellen Reichstage mit einer weißen Fahne herbeigesprungen sein und das Feuer erstickt haben. Ich fürchte diese konstitutionellen Friedensengel ungeheuer, sie können kein Blut sehen und werden sogar die Kanonenkugeln vereinbaren, damit Jellachich hübsch entschlüpfe. ‒ Vielleicht haben wir von Messenhauser Besseres zu erwarten. ‒ Die Frankfurter Deputation läßt sich heute durch Maueranschlag offiziell vermelden; sie soll angekommen sein, um über die Republik den Notarialakt aufzunehmen. Glückliches Wien, wie unglücklich würdest du sein ohne die Frankfurter Negotiants! Die Stadt ist kaum mehr wieder zu erkennen. Ueberall bewaffnete Schaaren, alle Straßen voll Messenhauser'scher Plakate, Ordonanzen hin und her, fortwährende Thätigkeit im Reichstage. Volksgruppen, interessante Rührigkeit in der Stellung, Barrikaden, Werbungsstellen, fast kein Gefähr, die Paläste der Fürsten und Geldsäcke in Spitäler umgewandelt (natürlich aus Pfiffigkeit, um sie vor der Volksrache zu bewahren), auf dem Stephansthurme ein fortwährendes Observatorium, die Universität eine ungeheure Kaserne, die interessanteste, die es je gegeben, die Basteien mit Kanonen bepflanzt, im Belvedere und Parke Schwarzenberg's das Hauptquartier mit einem Lager von mehr als 15,000 Mann bereit, nicht blos hinter den Barrikaden zu fechten, sondern hinaus in's Feld zu ziehen, vor den Linien überall die energischsten Vertheidigungsmaßregeln und Bollwerke, und dennoch im Grunde ‒ Nichts. Ich habe gestern vier Stunden darauf verwendet, alle Punkte zu besichtigen. Wir hätten schon gesiegt, hätten wir niemals konstitutionelle Friedensengel gehabt, die selbst, nach gegen die geliebten Unterthanen gelieferten Schlachten, noch an das konstitutionelle Paternoster glauben und den Rosenkranz für den heutigen politischen Boden der Völker halten. Wir werden siegen, denn auch die Provinzen zeigen sich. ‒ Die Kamarilla hat sich ganz in die Arme der böhmischen Zigeuner geworfen und Stadion zur bessern Aufhetzung nach Prag geschickt. Sie ist so verrückt, diesen Menschen an die Spitze eines Ministeriums der österreichischen Gesammtstaaten stellen zu wollen. Die Zigeuner hetzen, wie Hyänen in der Slowanska lipa. ‒ Der steiermärkische Landsturm steht auf dem Simmering, aber die Südbahn ist mit dem Telegraphen bis Gloggnitz zerstört worden. ‒ Es heißt, ein preußisches und ein Reichsarmeekorps sollen in Oesterreich einrücken, während Türken und Russen gleichzeitig üller Ungarn herfallen würden. ‒ Italien, heißt es, soll sich erheben. Wo mag in 4 Wochen Schuselka's und der Kamiralla Gesammtmonarchie sein? Wahrscheinlich im russischen Lager. ‒ Messenhauser's Auftreten hat die kampflustichen Schaaren ganz eingenommen; vielleicht kann der Reichstag noch seine Schlafmütze sein, denn er, wie der Gemeinderath, zittern schon vor ihm. Sie werden beide noch die Cholera bekommen. ‒ Berlin's demokratische Bürgerwehr hat an die Legion und Garde geschrieben, sie würde nicht dulden, daß preußische Soldaten zur Unterdrückung Wien's verwendet würden. Die Berliner Studenten könnten wohl schon hier sein, doch die Berliner Konditoreien werden sie wohl aufhalten. 12 1/2 Uhr. Reichstagssitzung. ‒ Die galizischen Bauern unterhalten sich in zwei Gruppen lebhaft in polnischer Sprache; hierauf läßt die Versammlung sich von dem bocksbärtigen Kamarillagrafen Gleispach ein unausstehliches Protokoll verlesen. Solche Dinge machen der österreichischen Büreaukratenstube überhaupt das größte, weil stille, Vergnügen. Pillersdorf und Gleispach möchten sie zu nichts Anderem verwenden. ‒ Die Galerien sind ziemlich leer. Zwei Abgeordnete zeigen ihre Desertion an. Darauf erscheint der große Genius. Schuselka als Berichterstatter des Ausschusses: Der Ausschuß kann nicht umhin, spricht er, sich über die Stellung der ungarischen Armee dem Reichstag gegenüber auszusprechen, weil seit einigen Tagen in der Bevölkerung deßhalb viel Spannung ist. Wir erhielten in dieser Nacht durch einen Mann, der aus dem ungarischen Lager kam, die Nachricht, daß die ungarische Armee, welche schon die österreichische Gränze überschritten hatte, einem Befehle des Repräsentantenhauses zufolge, wieder den Rückmarsch angetreten habe. (Zittern in der Versammlung.) Ob eine Drohung Rußland's, oder welche Motive diesem Verhalten unterliegen, darüber ist dem Ausschusse nichts bekannt geworden. (Das ungarische Repräsentantenhaus, dessen Deputation man vor 4 Wochen mit Hohn abwieß und auch jetzt wiederum mit Kälte empfangen hatte, hat den Befehl des Rückzugs gewiß nur in gerechter Entrüstung über die österreichischen Reichstags-Verräther ergehen lassen. Es sieht aus, als sollte das Wiener Volk auf eine beispiellose Weise verrathen und von wilder Soldateska niedergemetzelt werden; alle meine Befürchtungen scheinen in Erfüllung gehen zu wollen.) Verschiedene Landgemeinden haben etwa 700 fl. zur Unterstützung des bewaffneten Volks geschickt Da ein Abgeordneter von Auerspergs Truppen, fährt Schuselka fort, gröblich insultirt und 5 Studenten standrechtlich erschossen worden sind, so haben wir eine energische Zuschrift an ihn gerichtet, worauf Auersperg in einer Antwort die gemachten Beschuldigungen als lügenhaft bezeichnet, obgleich manche für die versuchte Verführung des Militärs ein standrechtliches Urtheil verdient hatten; auch solche Erfindungen gehörten, schreibt Auersperg, zu den Mitteln einer gewissen Partei. Durch diese Antwort ist die Mißhandlung des Abgeordneten durch einen Offizier aber nicht entkräftet worden, sie liegt als Thatsache vor. Hierauf verliest Hr. Schuselka, Oestreichs konstitutioneller Gesammtgenius, eine ziemlich unangenehme Zuschrift der Bürgerschaft von Eger und zeigt an, daß die zuletzt an den Kaiser gesendete Deputation zurückgekehrt sei. Der Abgeordnete Fischer hat über seine Mission einen schriftlichen Bericht eingereicht (verliest ihn); es geht daraus hervor, daß der Kaiser, nach den gehörigen Umständen die Deputation am 15. um 7 Uhr Abends in Olmütz empfangen, einen Wisch aus der Tasche gezogen, ihn abgelesen und sich sodann wieder entfernt hat. Lobkowitz, die Kaiserin und Franz Karl waren zugegen. Der Kaiser freut sich, daß der Reichstag der Anarchie steuern will und verspricht helfen zu wollen. Nun liest Schuselka seine zwei neuesten chefs d'oeuvre, nämlich das gestern beantragte: „Erbarm' dich unser“ an die Völker Oestreichs und ein neues „Vater unser“ nebst Rosenkranz an Ferdinand vor. Dilewski fragt, wie es sich mit der Mißhandlung des Abgeordneten verhalte. Ziemialkowski: Ich bin am 13. auf einer Reise hierher von dem Bataillon Baumgarten gefangen genommen worden; man hat mich dabei auf eine brutale Weise behandelt, ungeachtet ich mich auf meine Qualität berufen habe; ich wurde gefangen gesetzt und ein Stabsoffizier sagte, im Reichstage säßen die Mörder Latours, die man zu finden wissen werde. Ich entkam nur durch eine List, indem ich angab, im slavischen Interesse zu wirken. Potocki will die Berathung über Schuselkas Primaner-Aufsätze, mit denen ich Sie morgen beglücken werde, dadurch aufhalten, daß er einen ausführlichen Bericht von der zum Kaiser gesendeten Deputation selbst verlangt und mittheilt, daß auch der Kaiser eine Proklamation an die Völker Oestreichs erlassen würde, man also warten müsse. Darüber entspinnt sich eine langweilige Debatte, die mit der Nichtannahme von Potockis Antrag endet und wobei der Schriftführer Wiser mit klappernden Zähnen betheuert, er sei nicht im Namen des Reichstags in Olmütz beim Kaiser gewesen, sondern er habe dahin nur eine Depesche des Ministeriums als Postillon befördert. Er habe von einer Proklamation etwas gehört, sie sollte sehr aufregend ausfallen. Ich verlasse die Sitzung. Die Presse ist fast noch feiger, als die Kammer; am allerfeigsten und erbärmlichsten benehmen sich aber die demokratischen Judenvereine; man hört gar nichts mehr von ihnen. Der Radikale enthält jetzt nur Hegelsche Philosophie mit der Unterschrift: Jellinek. Nur ein Blatt „die Nationalzeitung“ wagt es, dem Reichstag den Text zu lesen; vielleicht ist es jetzt übrigens kein Wagniß mehr. Sie sagt z. B.: O! armes, armes Wien, o! unglückliches Oestreich! Wenn die Generäle Auersperg und Jelachich mit nichtssagenden Erklärungen besiegt, und die k. k. hohe Reitschule in eine uneinnehmbare Festung umgewandelt werden könnte, so hätte der permanente Sicherheitsausschuß gegen den excellenten Kroatenhäuptling (?) längst die Offensive ergriffen, und eine Schlacht gewagt. Der permanente Ausschuß begnügt sich aber damit, die Straßenecken zu verbarikadiren und in Gemeinschaft mit seinem Adjutanten Messenhauser, dieselben mit einem Heer von Plakaten zu besetzen. Der Reichstag, welcher mit Zeugstiefeln und Glacehandschuhen schon seit mehr als 8 Tagen auf legalem Boden spazieren geht, Deputationen nach Selowitz und Olmütz absendet, Rebellen als Exzellenzen beehrt, wird, um nicht das Mißfallen des allerhöchsten Hofes zu erregen, uns auf ganz legalem Wege, einem äußerst tragischen Schicksale zuführen, dem er zuletzt selbst nicht entgehen wird. Sie tadelt mit Geist und Energie auch die der ungarischen Depation bewiesene Indifferenz und zieht eine Parallele zwischen dem ungarischen Repräsentantenhause und dem östreichischen Reichstage, die ganz zum Vortheil des ersten ausfällt und sehr richtig ist. So heißt es daselbst: Ungarn ist wohl im eigenen Interesse gebunden, Oestreich zu Hülfe zu eilen, da die Unterjochung Wiens die Besiegung Ungarns nach sich ziehen müßte. Beim weiteren Hinausschieben der ungarischen Unterstützung jedoch wird die Bevölkerung Wiens immer ängstlicher, die Freiheitskämpfer müssen im angestrengten, ungewohnten Wachtdienste bei Tag und Nacht auch in physischer Hinsicht erliegen, der Enthusiasmus wird kühler, die Frechheit der Feinde am Ende von Tag zu Tag stärker. Gewiß ist es, daß unser jetziger Zustand nicht so bleiben und nur von ungarischer Seite her abgeholfen werden kann; warum wurde also gezögert, die Ungarn unverzüglich aufzufordern? Bis dat, qui cito dat, (doppelt gibt, wer schnell gibt). Hätte man energisch gehandelt und sich nicht wieder dem leidigen Diplomatisiren überlassen, unsere Lage wäre schon anders, der Sieg schon vollständig. Unsere Volksvertreter sind von denen der ungarischen Nation an Energie und Thatkraft weit überholt worden. Als Ferdinand, König von Ungarn, von der Kamarillaburg Schönbrunn inkonstitutionelle Manifeste erließ, erhob sich das ungarische Repräsentantenhaus einstimmig und erklärte sie in feierlicher Sitzung für null und nichtig. Ferdinand, Kaiser von Oestreich erläßt ein gleiches Manifest vom Pfaffennest Herzogenburg an erbländische Provinzen. Keine Stimme im Reichstage erhebt sich und schleudert den Bann gegen ein solches Gebären. Die Proklamation gewinnt auch noch durch ihr Erscheinen in der Wienerzeitung für Unbefangene einen offiziellen Charakter, da dieselbe nirgends desavouirt wird. Ungarn protestirte gegen das Leibhusarenregiment Adam Recsei. Wird dasselbe bei uns gegen ein Leibtrabantenministerium Stadion geschehen? Der ungarische Reichstag erklärt die seinem Ministerium ungehorsamen Generale und Festungskommandanten für Hochverräther und ihre Köpfe für vogelfrei. Der östreichische Reichstag nennt rebellische Feldmarschallieutenante Excellenz und läßt sich mit ihnen in weitwendige Korrespondenzen ein. Ungarn weigerte sich entschieden, abtrünnige Truppen zu besolden, Oestreich votirt einen weitern Kredit der Nationalbank, um bei Approvisionirung und Verproviantirung volksfeindlicher Heere, im Haushalte in keine Stockung zu gerathen. Der ungarische Reichstag schuf Armeen, der östreichische zaudert und schreckt zurück, den bereitgehaltenen Landsturm zu entbieten. 61 Wien, 19. Octbr. Die stärksten Ausdrücke sind zu gelinde, um die Verräther gehörig zu bezeichnen, welche im Reichstage sitzen. Hören Sie, was Kossuth am 14. im Repräsentantenhause gesprochen: Kossuth: „Ich selbst habe es beantragt, daß man Jellachich bis Wien verfolgen müsse. Dadurch habe ich aber keineswegs strategische Anstalten treffen wollen und wirklich, da die strategischen Operationen von vornhinein zu bestimmen, nicht die Aufgabe des Hauses ist, so muß ich demungeachtet fragen, ob die Wiener Ereignisse Ursache darbieten, daß das Haus nach der Hand strategische Operationen beschließe? ‒ Ich meinerseits zolle den größten Dank der Stimmung Wiens, aber es thut mir leid, daß uns von dort auf diplomatischem Wege gar kein Beschluß zugekommen ist, was jedenfalls auf Wankelmuth schließen läßt. Und weil die ungarische Armee diplomatisch nicht hingerufen wurde, so würde man vielleicht späterhin unsern Einmarsch für eine feindliche Invasion erklären. Und da wir gar keine diplomatische Aufforderung erhielten, wie könnten wir uns vor der Welt rechtfertigen? Der Wiener Reichstag hat uns nicht einmal noch geantwortet. In solchen aufgereizten Zeiten gibt es Augenblicke, wo nur der Erfolg das Gute oder Schlechte der Handlungen bestimmt. Wäre ich Anführer gewesen, so hätte ich, ohne einen Augenblick zu säumen, den Feind gleich ohne Anfrage auch auf östreichischem Gebiete verfolgt. Wäre es schlecht ausgefallen, so hätte ich freilich meinen Kopf eingebüßt, wäre es aber gelungen, so hätte ich einen großen Dienst dem Vaterlande erwiesen. Weit entfernt von mir, als wenn ich dadurch jemand kritisiren wollte. Wir haben, statt augenblicklich den Feind zu verfolgen, den diplomatischen Weg eingeschlagen und er hat zu nichts geführt. Das Haus muß sich also äußern, ob Jellachich noch weiter verfolgt werde, oder es muß dem Wiener Reichstage erklären, daß wir bereit waren und sind, unsern Brüdern in Oestreich zu helfen. Da aber der Wiener Reichstag uns gar nicht geantwortet, unsere Armee nicht aufgefordert und sich nicht einmal geäußert hat, ob er den Jellachich als Feind betrachtet oder nicht, so müssen wir unsere Armee zurückziehen. In diesem Sinne hat der Ausschuß gestern Nachts an den Befehlshaber der ungarischen Armee geschrieben und ihn beauftragt, sich bloß auf die Vertheidigung unseres eigenen Vaterlandes zu beschränken. ‒ Der Wiener Reichstag hat diese Angelegenheit an den Gemeindeausschuß und dieser wieder an den permanenten Ausschuß des Reichstags gewiesen. Dieser aber antwortete, daß er nicht Zeit habe, darauf zu antworten.“ In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde die 4te Adresse an Se. Majestät und die Proklamation an die Völker Oestreichs fortberathen. Schon am Morgen hatte diese feige Verrätherschaar durch die vielen hundsföttischen Desertionen seiner Mitglieder, schon die Beschlußfähigkeit verloren und am Abend mit genauer Noth 194 Anwesende aufzuweisen. Schneider zeigt an, daß die Bielitzer Nationalgarden (Schlesien) auf ihrem Wege nach Wien in Preran vom Militär angehalten, entwaffnet und eingesteckt worden seien. Schuselka machte eine ähnliche Meldung aus Krems, wo man einen Wiener Nationalgarden gefangen und mit dem Standrechte bedroht, ihn aber jetzt zurückgebracht habe. Hierauf wurde die Adresse an den Kaiser angenommen; bei Berathung der Proklamation kam die ganze Feigheit und Käuflichkeit des Reichstags an's Tageslicht und verrieth sich vorzüglich in den Reden Schuselka's, Dilewski's, Potocki's, Sidon's, Umlauft's, Goldmark's, Borrosch's u. s. w. Nach dem Antrag Umlauft's wurde die Redaktion an eine Kommission gewiesen und wir haben den Brei heute also noch einmal zu verdauen. ‒ Wir befinden uns im größten Momente und haben keinen einzigen Mann, der diesen Moment zu ergreifen weiß. Kossuth ist und will leider nur ein Ungar sein. Hier nichts als feige, intriguante, demokratische Bourgevis, die ihre Gesinnung und ihr Maul nach jedem Lüft-

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 125. Köln, 25. Oktober 1848, S. 0629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz125_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.