Neue Rheinische Zeitung. Nr. 130. Köln, 31. Oktober 1848.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 130. Köln, Dienstag den 31. Oktober. 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Preßvergehen). Wien. (Breslauer Nachrichten). Prag. (Jellachich an die slowanska lipa. - Zigeuner nach Olmütz). Olmütz. (Contrerevolutionärer Kongreß). Berlin. (Vereinbarer-Versammlung. - Demokratenkongreß. - Eindruck der Wiener Ereignisse. Königsberg. (Contrerevolutionärer Plan). Posen. (Entwerthung des Grundeigenthums). Ungarn. Von der untern Donau. (Kriegsnachrichten). Italien. Messina. (Die Bedingungen des Waffenstillstandes. - Die Diplomatie und die norditalienische Bewegung. - Drr reorganisirte sardinische Generalstab. - Truppenbewegungen). Belgien. Brüssel. (Die Matrizen des Leopoldordens). Franz. Republik. Paris. (Vermischtes. - Sitzungen der N.-V. - Bugeaud. - Der Graf von Neuilly). Großbritannien. London. (Die indische Post. - Die Times über die Pariser Nationalgarden. - O'Connor in Schottland. - Owen. - Oastler. Deutschland. 15 Köln, 30. Oktober. Bernhard Dietz, Buchdrucker und Herausgeber der "Freien Volksblätter", stand am 24. vor dem hiesigen Assisenhofe, angeklagt, durch einen in Nr. 38 der Volksblätter enthaltenen Aufsatz, betitelt: "Die Verhaftungen in Köln", den Oberprokurator Zweiffel mit Bezug auf seine Amtsverrichtungen durch Worte, welche dahin zielten, dessen Ehre und Zartgefühl zu verletzen, beleidigt, und in demselben Aufsatze die mit der Verhaftung des Dr. Gottschalk und des Lieutenant a. D. Anneke beauftragten Gensd'armen in Bezug auf ihre Amtsverrichtungen durch Worte beschimpft zu haben. - Nach Vernehmung des Angeklagten, welcher zugestand, den fraglichen, in seiner Zeitung erschienenen, Aufsatz verfaßt zu haben, dagegen jede Absicht einer Beleidigung des Oberprokurators Zweiffel in Abrede stellte, suchte der Staatsprokurator v. Ammon mit der unvermeidlichen und in Frankreich sprichtwörtlich gewordenen "sittlichen Entrüstung", die Anklage zu begründen, unter besonderer Bezugnahme auf die Stellung der Geschworenen in diesem Prozesse, und den Schutz, den das Amt der Prokurator gegenwärtig gegen die Angriffe der frechen Presse erfordere. Die Absicht, gerade die Person des Oberprokurators Zweiffel zu beleidigen, sei schon durch die Worte: "das ist die Volksvertretung zweiffelhafter Personen" außer Zweifel gestellt, finde aber auch noch außerdem ihre Unterstützung in dem nach mehreren Sätzen wiederkehrenden Refrain: "Glück auf Herr Oberprokurator!" Ja die Worte: "das sind die Leute, welche sich einen rothen Rock und eine Stelle im Ministerium verdienen wollen" enthielten geradezu einen Vorwurf von Schurkerei, und gegen einen Mann, der zur Zeit jener Verhaftung in Berlin seine Pflicht (?) als Deputirter erfüllt, nicht den geringsten Einfluß auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Genossen geübt und von dieser ganzen Prozedur damals nicht einmal Kenntniß gehabt habe. Gleichmäßig erwiesen sei die Beleidigung der Gensd'armen. Die Worte: "Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnapsbouteillen" enthielten offenbar eine Ehrenkränkung dieser Beamten, denen, gleich den Vertretern des öffentlichen Ministeriums besonderer Schutz durch die Gerichte gewährt werden müsse. Der Vertheidiger, Schneider II., rief zunächst den Geschwornen die Eingangsworte des öffentlichen Ministeriums wieder in's Gedächtniß, daß die Geschwornen, zumal in der jetzigen Zeit, wo Gesetz und Ordnung erschüttert seien, über den Parteien stehen müßten. Der angegriffene Aufsatz sei lediglich aus einer bestimmten Parteiansicht entsprungen, nur als solcher sei er in dieser Prozedur aufzufassen, und dadurch auch bei voller Würdigung der Zeitverhältnisse straflos. Die Berücksichtigung des Standpunktes des Verfassers, der politischen Verhältnisse der Gegenwart, und vor Allem der Zeit des Erscheinens des Aufsatzes dürfe der Angeklagte vorzüglich von Geschwornen erwarten. Das sei eben das Motiv der Zuweisung der politischen und Preßprozesse an die Geschwornen, daß man von diesen voraussetze, sie würden mehr als die Richter vom Fache den Zeitverhältnissen Rechnung tragen. Im untergebenen Falle sei nun aber eine Freisprechung schon lediglich durch die Erschütterung der alten Gesetzgebung, durch den wenigstens vor den Augen des Richters beiderseits gleichberechtigten Kampf der Parteien, motivirt. Der ganze Aufsatz enthalte nur einen heftigen Tadel der Umtriebe einer Partei, welche durch jedes Mittel dahin strebe, die Leiter der Gegenpartei unschädlich zu machen. Er enthalte speziell den Vorwurf, daß das öffentliche Ministerium willfährig die Hand zu solchem Treiben biete, und die durch die alte Gesetzgebung nicht geschützte persönliche Freiheit ohne Noth verletze. Faktisch sei es bis zu dieser Prozedur auch durch die Gerichte anerkannt worden, daß solche Angriffe der Presse wenigstens jetzt straflos seien. Denn wenn man nicht Mangel an Muth unterstellen wolle, so könne nur die Ansicht, daß alle, die Staatsverfassung und die öffentliche Ordnung betreffenden Strafgesetze in Frage gestellt gewesen, das passive Verhalten der Behörden bei den unzähligen maßlosen Angriffen erklären, welche die Presse gegen das Staatsoberhaupt, die Ministerien, die gesetzgebenden Kammern und die bisherigen Gesetze gerichtet habe. Harmlos erscheine der Aufsatz des Angeklagten im Vergleiche zu so vielen Erzeugnissen der vom öffentlichen Ministerium sogenannten frechen Presse, und etwas Gravirendes nur etwa darin zu finden, daß man es gewagt, sogar die Prokuratur anzugreifen. Doch auch selbst bei rücksichtsloser Anwendung der bisherigen Strafgesetzgebung, sei eine Beurtheilung des Angeklagten unmöglich, da, eine beleidigende Absicht zugegeben, Herr Zweiffel nicht als Oberprokurator beleidigt worden. Der ganze die Prokurator berührende Vorwurf sei nur gegen den Staatsprokurator Hecker gerichtet, wegen dessen Beleidigung aber keine Anklage erhoben, und sei somit nicht zu berücksichtigen, ebensowenig wie die Beleidigung des Herrn Zweiffel als Volksvertreter, da die Geschworenen nur dann ein Schuldig aussprechen könnten, wenn derselbe in Ausübung seines Amtes, oder wie die Anklage den betreffenden Gesetzartikel interpretire, mit Bezug auf sein Amt beleidigt worden. Nun sei aber, nach dem eigenen Geständnisse der Staatsbehörde, Herr Zweiffel, zur Zeit als die Verhaftungen vorgenommen worden, nicht in Köln, und der ganzen Prozedur fremd gewesen. Es habe derselbe also damals gar keine Amtsfunktionen ausgeübt, und somit unmöglich in Ausübung seines Amtes, oder mit Bezug auf seine Amtsfunktionen beleidigt werden können. Außerdem fehle noch ein anderes Haupterforderniß zur Begründung der Anklage einer Beleidigung, nämlich der Beweis der Absicht zu beleidigen. Der Artikel, in seinem Zusammenhange genommen, erscheine nur als eine in heftigen und vielleicht unpassenden Ausdrücken gefaßte Kritik unserer, die persönliche Freiheit nicht genugsam schützenden Gesetzgebung, und des Verfahrens einer ganzen Partei, welche zur Niederhaltung der Gegner im Wege der Verdächtigung Untersuchungen und Verhaftungen provozire. Ebenso unbegründet wie die Beschuldigung der Beleidigung Zweiffel's, sei die Anklage wegen Beleidigung der Gensd'armen. Abgesehen von den berührten allgemeinen Gründen sei hier jede Verurtheilung unmöglich, weil die Anklage nicht einmal bestimmte Personen, welche beleidigt worden sein sollen, nenne. Die Bezeichnung, "Gensd'armen, welche bei der Verhaftung etc. thätig gewesen," genüge nicht. Im Interesse der Vertheidigung sei es geboten, daß die Personen namentlich genannt würden. Denn nur bei namentlich genannten Personen sei ein allenfallsiger Gegenbeweis, daß z. B. Dienstpersonen gar nicht bei jenem Anlasse in Thätigkeit gewesen, daß diese bestimmten Personen notorisch dem Trunke ergeben seien, was, wenn auch exceptio veritatis bei der Anklage der Beileidigung unzulässig sein sollte, jedenfalls schon auf das Strafmaß Einfluß haben könne. In den Ausdrücken, "Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnappsbouteillen" seien, wie sie hier gebraucht worden, überhaupt gar keine einzelnen Personen bezeichnet, sondern nur die Gendarmerie im Allgemeinen. Gleichviel ob ein solcher der Gesammtheit der Gendarmerie gemachter Vorwurf unpassend oder unwürdig erscheine, eine Injurie sei darin nicht enthalten, denn zum Begriffe gehöre eine beleidigte Person. Völlig unhaltbar erscheine die Anklage aber dadurch, daß selbst, wenn eine Injurie in jenem Aufsatze enthalten sei, sowohl die Beleidigung Zweiffels als die der Gendarmen eine Privatbeleidigung sei, diese aber nicht der Cognition der Geschwornen unterliege. Werde der von dem öffentlichen Ministerium angerufene Art. 223 des Strafgesetzbuches richtig ausgelegt, so könne die den Geschwornen vorzulegende Frage nur dahin lauten, ob der Angeklagte schuldig sei, den Zweiffel und die Gensdarmen in der Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Amtspflichten beleidigt zu haben. Diese Frage müsse aber nothwendig verneint werden, da die angebliche Beleidigung erst durch das Zeitungsblatt, also später als die fraglichen Amtsverrichtungen geschehen sein sollte. Der Vertheidiger suchte nun in ausführlichem Vortrage nachzuweisen, wie die Worte a l'occasion de l'exercice de ses fonctions nicht so gedeutet werden könnten, daß jede einem Beamten mit Bezug auf sein Amt oder die Ausübung seines Amtes durch Worte oder Geberden zugefügte Beleidigung unter die Art. 222 und ff. falle, daß aber das Gesetz vom 5. Juli 1819 schriftliche Beleidigungen, welche nach den Bestimmungen der Rh. Strafgesetzgebung nur als Injurien oder Verläumdungen gegen Privatpersonen zu strafen seien, auch nur dann in gleicher Weise wie die in dem Art. 222 und ff. erwähnten Beleidigungen mit Strafe bedrohe, wenn dieselben unter gleichen Umständen begangen. Die Fälle, wo schriftliche Beleidigungen unter gleichen Umständen begangen werden könnten, würden zwar äußerst selten sein und dadurch das Gesetz vom 5. Juli 1819 fast illusorisch werden; dies könne aber kein Grund sein, die von diesem Gesetze zur Grundlage gemachte Rhein. Strafgesetzgebung falsch zu interpretiren. Werde nicht schon durch das Gericht die Frage nur auf eine Beleidigung "bei Gelegenheit der Ausübung" etc. gestellt, in welchem Falle eine Anklage auf Beleidigung mit Bezug auf das Amt nicht mehr vorliege, so hätten die Geschwornen selbstständig zu prüfen, ob der französische Ausdruck a l'occasion auch auf Beleidungen mit Bezug auf das Amt anzuwenden sei, und im Verneinungsfalle das Nichtschuldig auszusprechen. Das öffentliche Ministerium suchte die von der Vertheidigung vorgebrachten Gründe zu widerlegen und hob dabei namentlich hervor, daß Hr. Oberprokurator Zweiffel, wenn er auch fortwährend in Berlin gewesen, dennoch im Amte habe beleidigt werden können, da der Oberprokurator eigentlich nie abwesend sei. Verreise der Oberprokurator, so trete dessen Stellvertreter mit allen Befugnissen des Amtes ein. Der Vertheidiger entgegnete, daß gerade aus den vom öffentlichen Ministerium zuletzt angeführten Gründen keine Amtsbeleidigung Zweiffels vorliege. Zweiffel habe gar keine auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Anneke bezügliche Handlung vorgenommen, ja, sei dieser Prozedur völlig fremd, wie das öffentliche Ministerium zugestehe, und während jener Zeit stets in Berlin gewesen. Der Staatsprokurator Hecker sei amtlich Oberprokurator gewesen, also eine Beleidigung Zweiffels wegen dessen Amtshandlungen nicht denkbar. Der Oberprokurator sei zwar unsterblich, wie in Monarchien der König, le roi est mort, vive le roi! Und so könne man denn nach der Theorie des öffentl. Ministeriums Jemanden, welcher gegenwärtig den König beleidige, wegen Beleidigung des verstorbenen Königs bestrafen und wenn Hr. Hecker beleidigt werde, dennoch ein Strafverfahren wegen Beleidigung des Hrn. Zweiffels, der abwesend oder todt sei, eingeleitet werden, was doch vernünftigerweise nicht angenommen werden könne. Nachdem die Debatten durch den Präsidenten geschlossen, wurde nach längerer Berathung des Hofes den Geschwornen die Frage nicht im Sinne der ursprünglichen Anklage: wegen Beleidigung mit Bezug auf die Amtsfunktionen, sondern nur auf Beleidigung Zweiffels und der etc. Gensd'armen bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Amtsfunktionen gestellt. Die Geschwornen sprachen mit absoluter Stimmenmehrheit das Schuldig aus. Dietz wurde zu fünfwöchentlichem Gefängniß und zur Stellung einer Kaution von 2000 Thlrn. verurtheilt. Nachmittags wurde der zweite Preßprozeß verhandelt gegen Brocker-Everarts, Drucker der "Arbeiterzeitung". In Nr. 13 dieser Blätter war nämlich der Artikel aus Nr. 38 der "Freien Volksblätter" abgedruckt. Die verantwortlichen Redakteure (J. Moll und Jansen) der "Arbeiterzeitung" sind flüchtig. Der Prokurator hielt sich daher an den Drucker, den sie derselben Verbrechen anklagten, wie B. Dietz. Der Assisenhof verurtheilte ihn zu einem Monat Gefängniß und Stellung einer Kaution von 4000 Thlrn. für die "Arbeiterzeitung." Diese Urtheile sind von unschätzbarem Werthe für die Rheinprovinz. Sie schlagen die Vorurtheile der preußischen Regierung gegen die Geschwornengerichte nieder und werden sie überzeugen, daß das Geschwornengericht, in seiner jetzigen rheinischen Organisation, unter den breitesten demokratischen Grundlagen der preußischen Monarchie eine Stelle einzunehmen verdient. Man vergleiche nur mit diesen Urtheilen die jüngst zu Berlin, über Preßvergehen von königlichen Richtern erlassenen Sentenzen! Der Richter läßt sich nicht nur durch juristische Spitzfindigkeiten bestimmen. Er wird z. B. nicht begreifen können, wie die Presse einen Abwesenden, der keine Amtsfunktion ausübte, bei Gelegenheit der Ausübung seiner Amtsfunktion beleidigen kann. Der Richter behandelt überdem in der gegenwärtigen Krise alle politischen Verbrechen um so ängstlicher, als er dem Volke gegenüber die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt von der Regierungsgewalt konstatiren muß. Der Geschworne dagegen ist von vornherein unabhängig vom Staate. Sein einziges Forum ist sein Gewissen, sein Bewußtsein. Ertheilt ein bestimmter Census das Privilegium Geschworner zu sein, gehören also die Geschwornen einer privilegirten Klasse an, so ist ihr Gewissen, ihr Bewußtsein eben das Bewußtsein und das Gewissen dieser Klasse. Der Geschworne kann und muß also mit gutem Gewissen, verurtheilen, wo der Richter mit gutem Gewissen freisprechen kann und muß. Hr. Hansemann hat daher mit vielem Scharfsinn die Meinung geltend gemacht, daß die Geschwornengerichte nur dann eine Garantie für die verfassungsmäßige Ordnung und Freiheit bieten, wenn der Census eine Garantie für die Geschwornengerichte bietet. Wien. Wiener Briefe und Zeitungen sind abermals ausgeblieben. Wir sind genöthigt, uns auf Mittheilungen aus Breslauer Zeitungen zu beschränken. Breslau, 26. Okt. Wir haben heut, wie die vorstehenden Meldungen zeigen, Briefe und Zeitungen aus Wien vom 23. und 24. empfangen. Dieselben enthalten jedoch nichts über den gestern gemeldeten Ausbruch des Kampfes und den Beginn des Bombardements von Wien, welche Thatsachen jedoch durch einen aus Presburg kommenden Reisenden, welchen zu sprechen wir Gelegenheit hatten, aufs Nachdrücklichste bestätigt worden. - Der Reisende hat gestern Morgen (am 25.) Preßburg verlassen, von wo die Eisenbahn bis Gänserndorf gänzlich zerstört ist, und langte des Abends in Angern an. Dort erfuhr er von Personen, welche sich aus Wien geflüchtet hatten, Folgendes: Auf die zweite Proklamation von Windischgrätz, die wir in unserer gestrigen Korrespondenz dem wesentlichsten Inhalte nach mitgetheilt haben, erklärten die Wiener: sie brauchten nicht 48 Minuten, um sich über die Nichtannahme zu entscheiden. Darauf begann der Angriff von Seiten des Militärs an der Taborlinie. Die Wiener machten fast gleichzeitig einen Ausfall. Es zeigte sich jedoch, daß die von ihnen auf der Aue genommene Stellung nicht haltbar war, da sie im Rücken umgangen werden konnten, weshalb General Bem den Befehl zum Rückzug gab. Wien, 25. Okt. Das Bombardement, welches gestern schon begonnen hatte, dauerte heute von allen Seiten her, mit geringen Unterbrechungen von 5-10 Minuten, den ganzen Tag fort und wurde von den Wienern lebhaft, aber ohne großen Erfolg erwidert, da diese einen ausgezeichneten Oberfeuerwerker, aber schlechte Kanoniere haben. Zum Glück haben sie ungeheure Munitionsvorräthe, daß sie mit ihren Schüssen nicht zu sparen brauchen. Das Feuer der Kaiserlichen scheint dagegen großen Schaden angerichtet zu haben. Dieselben eröffneten das Feuer zuerst vom Prater aus; zogen sich sodann nach der Grünau und setzten von dort aus das Feuer fort. Der Reichstag hat die Ungarn jetzt förmlich und ausdrücklich um Beistand ersucht, und man darf das Eintreffen, derselben heut (den 26.) mit Bestimmtheit erwarten. Ein Kanonenschuß von Seite der Ungarn gibt das Signal zu einem gleichzeitigen Angriff der Ungarn und der Wiener auf die Kaiserlichen. Auersperg wird den ersten Angriff der Ungarn auszuhalten haben und wird sich sodann auf Windischgrätz werfen, welchen die Wiener im Rücken angreifen werden. Die Wiener zählen 80,000 streitbare Männer; die Ungarn 70,000 Mann und Kossuth bringt noch 25,000 Mann. Die Ungarn haben viele vortreffliche Artillerie und 8-10,000 Mann reguläre Kavallerie; der Landsturm besteht zum großen Theil aus Kavallerie. - Die Kaiserlichen werden von Tag zu Tag mehr demoralisirt; nur die Böhmen und Mähren hängen treu an Windischgrätz. Die deutschen Regimenter lichten sich durch Desertion; doch treffen fortwährend Verstärkungen ein. - Die Raketenartillerie steht im Auerspergschen Lager. Ueber die Lage der Dinge in Ungarn vernehmen wir Folgendes: Das Centrum der ungarischen Armee unter General Moga steht bei Rittsee, 1/2 Stunde von Preßburg und zählt, wie gemeldet, 70,000 Mann; die Vorposten stehen bis Schwechat. - Kossuth, Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 130. Köln, Dienstag den 31. Oktober. 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Preßvergehen). Wien. (Breslauer Nachrichten). Prag. (Jellachich an die slowanska lipa. ‒ Zigeuner nach Olmütz). Olmütz. (Contrerevolutionärer Kongreß). Berlin. (Vereinbarer-Versammlung. ‒ Demokratenkongreß. ‒ Eindruck der Wiener Ereignisse. Königsberg. (Contrerevolutionärer Plan). Posen. (Entwerthung des Grundeigenthums). Ungarn. Von der untern Donau. (Kriegsnachrichten). Italien. Messina. (Die Bedingungen des Waffenstillstandes. ‒ Die Diplomatie und die norditalienische Bewegung. ‒ Drr reorganisirte sardinische Generalstab. ‒ Truppenbewegungen). Belgien. Brüssel. (Die Matrizen des Leopoldordens). Franz. Republik. Paris. (Vermischtes. ‒ Sitzungen der N.-V. ‒ Bugeaud. ‒ Der Graf von Neuilly). Großbritannien. London. (Die indische Post. ‒ Die Times über die Pariser Nationalgarden. ‒ O'Connor in Schottland. ‒ Owen. ‒ Oastler. Deutschland. 15 Köln, 30. Oktober. Bernhard Dietz, Buchdrucker und Herausgeber der „Freien Volksblätter“, stand am 24. vor dem hiesigen Assisenhofe, angeklagt, durch einen in Nr. 38 der Volksblätter enthaltenen Aufsatz, betitelt: „Die Verhaftungen in Köln“, den Oberprokurator Zweiffel mit Bezug auf seine Amtsverrichtungen durch Worte, welche dahin zielten, dessen Ehre und Zartgefühl zu verletzen, beleidigt, und in demselben Aufsatze die mit der Verhaftung des Dr. Gottschalk und des Lieutenant a. D. Anneke beauftragten Gensd'armen in Bezug auf ihre Amtsverrichtungen durch Worte beschimpft zu haben. ‒ Nach Vernehmung des Angeklagten, welcher zugestand, den fraglichen, in seiner Zeitung erschienenen, Aufsatz verfaßt zu haben, dagegen jede Absicht einer Beleidigung des Oberprokurators Zweiffel in Abrede stellte, suchte der Staatsprokurator v. Ammon mit der unvermeidlichen und in Frankreich sprichtwörtlich gewordenen „sittlichen Entrüstung“, die Anklage zu begründen, unter besonderer Bezugnahme auf die Stellung der Geschworenen in diesem Prozesse, und den Schutz, den das Amt der Prokurator gegenwärtig gegen die Angriffe der frechen Presse erfordere. Die Absicht, gerade die Person des Oberprokurators Zweiffel zu beleidigen, sei schon durch die Worte: „das ist die Volksvertretung zweiffelhafter Personen“ außer Zweifel gestellt, finde aber auch noch außerdem ihre Unterstützung in dem nach mehreren Sätzen wiederkehrenden Refrain: „Glück auf Herr Oberprokurator!“ Ja die Worte: „das sind die Leute, welche sich einen rothen Rock und eine Stelle im Ministerium verdienen wollen“ enthielten geradezu einen Vorwurf von Schurkerei, und gegen einen Mann, der zur Zeit jener Verhaftung in Berlin seine Pflicht (?) als Deputirter erfüllt, nicht den geringsten Einfluß auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Genossen geübt und von dieser ganzen Prozedur damals nicht einmal Kenntniß gehabt habe. Gleichmäßig erwiesen sei die Beleidigung der Gensd'armen. Die Worte: „Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnapsbouteillen“ enthielten offenbar eine Ehrenkränkung dieser Beamten, denen, gleich den Vertretern des öffentlichen Ministeriums besonderer Schutz durch die Gerichte gewährt werden müsse. Der Vertheidiger, Schneider II., rief zunächst den Geschwornen die Eingangsworte des öffentlichen Ministeriums wieder in's Gedächtniß, daß die Geschwornen, zumal in der jetzigen Zeit, wo Gesetz und Ordnung erschüttert seien, über den Parteien stehen müßten. Der angegriffene Aufsatz sei lediglich aus einer bestimmten Parteiansicht entsprungen, nur als solcher sei er in dieser Prozedur aufzufassen, und dadurch auch bei voller Würdigung der Zeitverhältnisse straflos. Die Berücksichtigung des Standpunktes des Verfassers, der politischen Verhältnisse der Gegenwart, und vor Allem der Zeit des Erscheinens des Aufsatzes dürfe der Angeklagte vorzüglich von Geschwornen erwarten. Das sei eben das Motiv der Zuweisung der politischen und Preßprozesse an die Geschwornen, daß man von diesen voraussetze, sie würden mehr als die Richter vom Fache den Zeitverhältnissen Rechnung tragen. Im untergebenen Falle sei nun aber eine Freisprechung schon lediglich durch die Erschütterung der alten Gesetzgebung, durch den wenigstens vor den Augen des Richters beiderseits gleichberechtigten Kampf der Parteien, motivirt. Der ganze Aufsatz enthalte nur einen heftigen Tadel der Umtriebe einer Partei, welche durch jedes Mittel dahin strebe, die Leiter der Gegenpartei unschädlich zu machen. Er enthalte speziell den Vorwurf, daß das öffentliche Ministerium willfährig die Hand zu solchem Treiben biete, und die durch die alte Gesetzgebung nicht geschützte persönliche Freiheit ohne Noth verletze. Faktisch sei es bis zu dieser Prozedur auch durch die Gerichte anerkannt worden, daß solche Angriffe der Presse wenigstens jetzt straflos seien. Denn wenn man nicht Mangel an Muth unterstellen wolle, so könne nur die Ansicht, daß alle, die Staatsverfassung und die öffentliche Ordnung betreffenden Strafgesetze in Frage gestellt gewesen, das passive Verhalten der Behörden bei den unzähligen maßlosen Angriffen erklären, welche die Presse gegen das Staatsoberhaupt, die Ministerien, die gesetzgebenden Kammern und die bisherigen Gesetze gerichtet habe. Harmlos erscheine der Aufsatz des Angeklagten im Vergleiche zu so vielen Erzeugnissen der vom öffentlichen Ministerium sogenannten frechen Presse, und etwas Gravirendes nur etwa darin zu finden, daß man es gewagt, sogar die Prokuratur anzugreifen. Doch auch selbst bei rücksichtsloser Anwendung der bisherigen Strafgesetzgebung, sei eine Beurtheilung des Angeklagten unmöglich, da, eine beleidigende Absicht zugegeben, Herr Zweiffel nicht als Oberprokurator beleidigt worden. Der ganze die Prokurator berührende Vorwurf sei nur gegen den Staatsprokurator Hecker gerichtet, wegen dessen Beleidigung aber keine Anklage erhoben, und sei somit nicht zu berücksichtigen, ebensowenig wie die Beleidigung des Herrn Zweiffel als Volksvertreter, da die Geschworenen nur dann ein Schuldig aussprechen könnten, wenn derselbe in Ausübung seines Amtes, oder wie die Anklage den betreffenden Gesetzartikel interpretire, mit Bezug auf sein Amt beleidigt worden. Nun sei aber, nach dem eigenen Geständnisse der Staatsbehörde, Herr Zweiffel, zur Zeit als die Verhaftungen vorgenommen worden, nicht in Köln, und der ganzen Prozedur fremd gewesen. Es habe derselbe also damals gar keine Amtsfunktionen ausgeübt, und somit unmöglich in Ausübung seines Amtes, oder mit Bezug auf seine Amtsfunktionen beleidigt werden können. Außerdem fehle noch ein anderes Haupterforderniß zur Begründung der Anklage einer Beleidigung, nämlich der Beweis der Absicht zu beleidigen. Der Artikel, in seinem Zusammenhange genommen, erscheine nur als eine in heftigen und vielleicht unpassenden Ausdrücken gefaßte Kritik unserer, die persönliche Freiheit nicht genugsam schützenden Gesetzgebung, und des Verfahrens einer ganzen Partei, welche zur Niederhaltung der Gegner im Wege der Verdächtigung Untersuchungen und Verhaftungen provozire. Ebenso unbegründet wie die Beschuldigung der Beleidigung Zweiffel's, sei die Anklage wegen Beleidigung der Gensd'armen. Abgesehen von den berührten allgemeinen Gründen sei hier jede Verurtheilung unmöglich, weil die Anklage nicht einmal bestimmte Personen, welche beleidigt worden sein sollen, nenne. Die Bezeichnung, „Gensd'armen, welche bei der Verhaftung etc. thätig gewesen,“ genüge nicht. Im Interesse der Vertheidigung sei es geboten, daß die Personen namentlich genannt würden. Denn nur bei namentlich genannten Personen sei ein allenfallsiger Gegenbeweis, daß z. B. Dienstpersonen gar nicht bei jenem Anlasse in Thätigkeit gewesen, daß diese bestimmten Personen notorisch dem Trunke ergeben seien, was, wenn auch exceptio veritatis bei der Anklage der Beileidigung unzulässig sein sollte, jedenfalls schon auf das Strafmaß Einfluß haben könne. In den Ausdrücken, „Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnappsbouteillen“ seien, wie sie hier gebraucht worden, überhaupt gar keine einzelnen Personen bezeichnet, sondern nur die Gendarmerie im Allgemeinen. Gleichviel ob ein solcher der Gesammtheit der Gendarmerie gemachter Vorwurf unpassend oder unwürdig erscheine, eine Injurie sei darin nicht enthalten, denn zum Begriffe gehöre eine beleidigte Person. Völlig unhaltbar erscheine die Anklage aber dadurch, daß selbst, wenn eine Injurie in jenem Aufsatze enthalten sei, sowohl die Beleidigung Zweiffels als die der Gendarmen eine Privatbeleidigung sei, diese aber nicht der Cognition der Geschwornen unterliege. Werde der von dem öffentlichen Ministerium angerufene Art. 223 des Strafgesetzbuches richtig ausgelegt, so könne die den Geschwornen vorzulegende Frage nur dahin lauten, ob der Angeklagte schuldig sei, den Zweiffel und die Gensdarmen in der Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Amtspflichten beleidigt zu haben. Diese Frage müsse aber nothwendig verneint werden, da die angebliche Beleidigung erst durch das Zeitungsblatt, also später als die fraglichen Amtsverrichtungen geschehen sein sollte. Der Vertheidiger suchte nun in ausführlichem Vortrage nachzuweisen, wie die Worte à l'occasion de l'exercice de ses fonctions nicht so gedeutet werden könnten, daß jede einem Beamten mit Bezug auf sein Amt oder die Ausübung seines Amtes durch Worte oder Geberden zugefügte Beleidigung unter die Art. 222 und ff. falle, daß aber das Gesetz vom 5. Juli 1819 schriftliche Beleidigungen, welche nach den Bestimmungen der Rh. Strafgesetzgebung nur als Injurien oder Verläumdungen gegen Privatpersonen zu strafen seien, auch nur dann in gleicher Weise wie die in dem Art. 222 und ff. erwähnten Beleidigungen mit Strafe bedrohe, wenn dieselben unter gleichen Umständen begangen. Die Fälle, wo schriftliche Beleidigungen unter gleichen Umständen begangen werden könnten, würden zwar äußerst selten sein und dadurch das Gesetz vom 5. Juli 1819 fast illusorisch werden; dies könne aber kein Grund sein, die von diesem Gesetze zur Grundlage gemachte Rhein. Strafgesetzgebung falsch zu interpretiren. Werde nicht schon durch das Gericht die Frage nur auf eine Beleidigung „bei Gelegenheit der Ausübung“ etc. gestellt, in welchem Falle eine Anklage auf Beleidigung mit Bezug auf das Amt nicht mehr vorliege, so hätten die Geschwornen selbstständig zu prüfen, ob der französische Ausdruck à l'occasion auch auf Beleidungen mit Bezug auf das Amt anzuwenden sei, und im Verneinungsfalle das Nichtschuldig auszusprechen. Das öffentliche Ministerium suchte die von der Vertheidigung vorgebrachten Gründe zu widerlegen und hob dabei namentlich hervor, daß Hr. Oberprokurator Zweiffel, wenn er auch fortwährend in Berlin gewesen, dennoch im Amte habe beleidigt werden können, da der Oberprokurator eigentlich nie abwesend sei. Verreise der Oberprokurator, so trete dessen Stellvertreter mit allen Befugnissen des Amtes ein. Der Vertheidiger entgegnete, daß gerade aus den vom öffentlichen Ministerium zuletzt angeführten Gründen keine Amtsbeleidigung Zweiffels vorliege. Zweiffel habe gar keine auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Anneke bezügliche Handlung vorgenommen, ja, sei dieser Prozedur völlig fremd, wie das öffentliche Ministerium zugestehe, und während jener Zeit stets in Berlin gewesen. Der Staatsprokurator Hecker sei amtlich Oberprokurator gewesen, also eine Beleidigung Zweiffels wegen dessen Amtshandlungen nicht denkbar. Der Oberprokurator sei zwar unsterblich, wie in Monarchien der König, le roi est mort, vive le roi! Und so könne man denn nach der Theorie des öffentl. Ministeriums Jemanden, welcher gegenwärtig den König beleidige, wegen Beleidigung des verstorbenen Königs bestrafen und wenn Hr. Hecker beleidigt werde, dennoch ein Strafverfahren wegen Beleidigung des Hrn. Zweiffels, der abwesend oder todt sei, eingeleitet werden, was doch vernünftigerweise nicht angenommen werden könne. Nachdem die Debatten durch den Präsidenten geschlossen, wurde nach längerer Berathung des Hofes den Geschwornen die Frage nicht im Sinne der ursprünglichen Anklage: wegen Beleidigung mit Bezug auf die Amtsfunktionen, sondern nur auf Beleidigung Zweiffels und der etc. Gensd'armen bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Amtsfunktionen gestellt. Die Geschwornen sprachen mit absoluter Stimmenmehrheit das Schuldig aus. Dietz wurde zu fünfwöchentlichem Gefängniß und zur Stellung einer Kaution von 2000 Thlrn. verurtheilt. Nachmittags wurde der zweite Preßprozeß verhandelt gegen Brocker-Everarts, Drucker der „Arbeiterzeitung“. In Nr. 13 dieser Blätter war nämlich der Artikel aus Nr. 38 der „Freien Volksblätter“ abgedruckt. Die verantwortlichen Redakteure (J. Moll und Jansen) der „Arbeiterzeitung“ sind flüchtig. Der Prokurator hielt sich daher an den Drucker, den sie derselben Verbrechen anklagten, wie B. Dietz. Der Assisenhof verurtheilte ihn zu einem Monat Gefängniß und Stellung einer Kaution von 4000 Thlrn. für die „Arbeiterzeitung.“ Diese Urtheile sind von unschätzbarem Werthe für die Rheinprovinz. Sie schlagen die Vorurtheile der preußischen Regierung gegen die Geschwornengerichte nieder und werden sie überzeugen, daß das Geschwornengericht, in seiner jetzigen rheinischen Organisation, unter den breitesten demokratischen Grundlagen der preußischen Monarchie eine Stelle einzunehmen verdient. Man vergleiche nur mit diesen Urtheilen die jüngst zu Berlin, über Preßvergehen von königlichen Richtern erlassenen Sentenzen! Der Richter läßt sich nicht nur durch juristische Spitzfindigkeiten bestimmen. Er wird z. B. nicht begreifen können, wie die Presse einen Abwesenden, der keine Amtsfunktion ausübte, bei Gelegenheit der Ausübung seiner Amtsfunktion beleidigen kann. Der Richter behandelt überdem in der gegenwärtigen Krise alle politischen Verbrechen um so ängstlicher, als er dem Volke gegenüber die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt von der Regierungsgewalt konstatiren muß. Der Geschworne dagegen ist von vornherein unabhängig vom Staate. Sein einziges Forum ist sein Gewissen, sein Bewußtsein. Ertheilt ein bestimmter Census das Privilegium Geschworner zu sein, gehören also die Geschwornen einer privilegirten Klasse an, so ist ihr Gewissen, ihr Bewußtsein eben das Bewußtsein und das Gewissen dieser Klasse. Der Geschworne kann und muß also mit gutem Gewissen, verurtheilen, wo der Richter mit gutem Gewissen freisprechen kann und muß. Hr. Hansemann hat daher mit vielem Scharfsinn die Meinung geltend gemacht, daß die Geschwornengerichte nur dann eine Garantie für die verfassungsmäßige Ordnung und Freiheit bieten, wenn der Census eine Garantie für die Geschwornengerichte bietet. Wien. Wiener Briefe und Zeitungen sind abermals ausgeblieben. Wir sind genöthigt, uns auf Mittheilungen aus Breslauer Zeitungen zu beschränken. Breslau, 26. Okt. Wir haben heut, wie die vorstehenden Meldungen zeigen, Briefe und Zeitungen aus Wien vom 23. und 24. empfangen. Dieselben enthalten jedoch nichts über den gestern gemeldeten Ausbruch des Kampfes und den Beginn des Bombardements von Wien, welche Thatsachen jedoch durch einen aus Presburg kommenden Reisenden, welchen zu sprechen wir Gelegenheit hatten, aufs Nachdrücklichste bestätigt worden. ‒ Der Reisende hat gestern Morgen (am 25.) Preßburg verlassen, von wo die Eisenbahn bis Gänserndorf gänzlich zerstört ist, und langte des Abends in Angern an. Dort erfuhr er von Personen, welche sich aus Wien geflüchtet hatten, Folgendes: Auf die zweite Proklamation von Windischgrätz, die wir in unserer gestrigen Korrespondenz dem wesentlichsten Inhalte nach mitgetheilt haben, erklärten die Wiener: sie brauchten nicht 48 Minuten, um sich über die Nichtannahme zu entscheiden. Darauf begann der Angriff von Seiten des Militärs an der Taborlinie. Die Wiener machten fast gleichzeitig einen Ausfall. Es zeigte sich jedoch, daß die von ihnen auf der Aue genommene Stellung nicht haltbar war, da sie im Rücken umgangen werden konnten, weshalb General Bem den Befehl zum Rückzug gab. Wien, 25. Okt. Das Bombardement, welches gestern schon begonnen hatte, dauerte heute von allen Seiten her, mit geringen Unterbrechungen von 5-10 Minuten, den ganzen Tag fort und wurde von den Wienern lebhaft, aber ohne großen Erfolg erwidert, da diese einen ausgezeichneten Oberfeuerwerker, aber schlechte Kanoniere haben. Zum Glück haben sie ungeheure Munitionsvorräthe, daß sie mit ihren Schüssen nicht zu sparen brauchen. Das Feuer der Kaiserlichen scheint dagegen großen Schaden angerichtet zu haben. Dieselben eröffneten das Feuer zuerst vom Prater aus; zogen sich sodann nach der Grünau und setzten von dort aus das Feuer fort. Der Reichstag hat die Ungarn jetzt förmlich und ausdrücklich um Beistand ersucht, und man darf das Eintreffen, derselben heut (den 26.) mit Bestimmtheit erwarten. Ein Kanonenschuß von Seite der Ungarn gibt das Signal zu einem gleichzeitigen Angriff der Ungarn und der Wiener auf die Kaiserlichen. Auersperg wird den ersten Angriff der Ungarn auszuhalten haben und wird sich sodann auf Windischgrätz werfen, welchen die Wiener im Rücken angreifen werden. Die Wiener zählen 80,000 streitbare Männer; die Ungarn 70,000 Mann und Kossuth bringt noch 25,000 Mann. Die Ungarn haben viele vortreffliche Artillerie und 8-10,000 Mann reguläre Kavallerie; der Landsturm besteht zum großen Theil aus Kavallerie. ‒ Die Kaiserlichen werden von Tag zu Tag mehr demoralisirt; nur die Böhmen und Mähren hängen treu an Windischgrätz. Die deutschen Regimenter lichten sich durch Desertion; doch treffen fortwährend Verstärkungen ein. ‒ Die Raketenartillerie steht im Auerspergschen Lager. Ueber die Lage der Dinge in Ungarn vernehmen wir Folgendes: Das Centrum der ungarischen Armee unter General Moga steht bei Rittsee, 1/2 Stunde von Preßburg und zählt, wie gemeldet, 70,000 Mann; die Vorposten stehen bis Schwechat. ‒ Kossuth, <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0657"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 130. Köln, Dienstag den 31. Oktober. 1848.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Köln. (Preßvergehen). Wien. (Breslauer Nachrichten). Prag. (Jellachich an die slowanska lipa. ‒ Zigeuner nach Olmütz). Olmütz. (Contrerevolutionärer Kongreß). Berlin. (Vereinbarer-Versammlung. ‒ Demokratenkongreß. ‒ Eindruck der Wiener Ereignisse. Königsberg. (Contrerevolutionärer Plan). Posen. (Entwerthung des Grundeigenthums).</p> <p><hi rendition="#g">Ungarn.</hi> Von der untern Donau. (Kriegsnachrichten).</p> <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> Messina. (Die Bedingungen des Waffenstillstandes. ‒ Die Diplomatie und die norditalienische Bewegung. ‒ Drr reorganisirte sardinische Generalstab. ‒ Truppenbewegungen).</p> <p><hi rendition="#g">Belgien.</hi> Brüssel. (Die Matrizen des Leopoldordens).</p> <p><hi rendition="#g">Franz. Republik.</hi> Paris. (Vermischtes. ‒ Sitzungen der N.-V. ‒ Bugeaud. ‒ Der Graf von Neuilly).</p> <p><hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> London. (Die indische Post. ‒ Die Times über die Pariser Nationalgarden. ‒ O'Connor in Schottland. ‒ Owen. ‒ Oastler.</p> </div> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar130_001" type="jArticle"> <head><bibl><author>15</author></bibl> Köln, 30. Oktober.</head> <p>Bernhard Dietz, Buchdrucker und Herausgeber der „Freien Volksblätter“, stand am 24. vor dem hiesigen Assisenhofe, angeklagt, durch einen in Nr. 38 der Volksblätter enthaltenen Aufsatz, betitelt: „Die Verhaftungen in Köln“, den Oberprokurator Zweiffel mit Bezug auf seine Amtsverrichtungen durch Worte, welche dahin zielten, dessen Ehre und Zartgefühl zu verletzen, beleidigt, und in demselben Aufsatze die mit der Verhaftung des Dr. Gottschalk und des Lieutenant a. D. Anneke beauftragten Gensd'armen in Bezug auf ihre Amtsverrichtungen durch Worte beschimpft zu haben. ‒ Nach Vernehmung des Angeklagten, welcher zugestand, den fraglichen, in seiner Zeitung erschienenen, Aufsatz verfaßt zu haben, dagegen jede Absicht einer Beleidigung des Oberprokurators Zweiffel in Abrede stellte, suchte der Staatsprokurator v. Ammon mit der unvermeidlichen und in Frankreich sprichtwörtlich gewordenen „sittlichen Entrüstung“, die Anklage zu begründen, unter besonderer Bezugnahme auf die Stellung der Geschworenen in diesem Prozesse, und den Schutz, den das Amt der Prokurator gegenwärtig gegen die Angriffe der frechen Presse erfordere. Die Absicht, gerade die Person des Oberprokurators Zweiffel zu beleidigen, sei schon durch die Worte: „das ist die Volksvertretung zweiffelhafter Personen“ außer Zweifel gestellt, finde aber auch noch außerdem ihre Unterstützung in dem nach mehreren Sätzen wiederkehrenden Refrain: „Glück auf Herr Oberprokurator!“ Ja die Worte: „das sind die Leute, welche sich einen rothen Rock und eine Stelle im Ministerium verdienen wollen“ enthielten geradezu einen Vorwurf von Schurkerei, und gegen einen Mann, der zur Zeit jener Verhaftung in Berlin seine Pflicht (?) als Deputirter erfüllt, nicht den geringsten Einfluß auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Genossen geübt und von dieser ganzen Prozedur damals nicht einmal Kenntniß gehabt habe. Gleichmäßig erwiesen sei die Beleidigung der Gensd'armen. Die Worte: „Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnapsbouteillen“ enthielten offenbar eine Ehrenkränkung dieser Beamten, denen, gleich den Vertretern des öffentlichen Ministeriums besonderer Schutz durch die Gerichte gewährt werden müsse.</p> <p><hi rendition="#g">Der Vertheidiger, Schneider II.,</hi> rief zunächst den Geschwornen die Eingangsworte des öffentlichen Ministeriums wieder in's Gedächtniß, daß die Geschwornen, zumal in der jetzigen Zeit, wo <hi rendition="#g">Gesetz</hi> und Ordnung erschüttert seien, über den Parteien stehen müßten. Der angegriffene Aufsatz sei lediglich aus einer bestimmten Parteiansicht entsprungen, nur als solcher sei er in dieser Prozedur aufzufassen, und dadurch auch bei voller Würdigung der Zeitverhältnisse straflos. Die Berücksichtigung des Standpunktes des Verfassers, der politischen Verhältnisse der Gegenwart, und vor Allem der Zeit des Erscheinens des Aufsatzes dürfe der Angeklagte vorzüglich von Geschwornen erwarten. Das sei eben das Motiv der Zuweisung der politischen und Preßprozesse an die Geschwornen, daß man von diesen voraussetze, sie würden mehr als die Richter vom Fache den Zeitverhältnissen Rechnung tragen. Im untergebenen Falle sei nun aber eine Freisprechung schon lediglich durch die Erschütterung der alten Gesetzgebung, durch den wenigstens vor den Augen des Richters beiderseits gleichberechtigten Kampf der Parteien, motivirt. Der ganze Aufsatz enthalte nur einen heftigen Tadel der Umtriebe einer Partei, welche durch jedes Mittel dahin strebe, die Leiter der Gegenpartei unschädlich zu machen. Er enthalte speziell den Vorwurf, daß das öffentliche Ministerium willfährig die Hand zu solchem Treiben biete, und die durch die alte Gesetzgebung nicht geschützte persönliche Freiheit ohne Noth verletze. Faktisch sei es bis zu dieser Prozedur auch durch die Gerichte anerkannt worden, daß solche Angriffe der Presse wenigstens jetzt straflos seien. Denn wenn man nicht Mangel an Muth unterstellen wolle, so könne nur die Ansicht, daß alle, die Staatsverfassung und die öffentliche Ordnung betreffenden Strafgesetze in Frage gestellt gewesen, das passive Verhalten der Behörden bei den unzähligen maßlosen Angriffen erklären, welche die Presse gegen das Staatsoberhaupt, die Ministerien, die gesetzgebenden Kammern und die bisherigen Gesetze gerichtet habe. Harmlos erscheine der Aufsatz des Angeklagten im Vergleiche zu so vielen Erzeugnissen der vom öffentlichen Ministerium sogenannten frechen Presse, und etwas Gravirendes nur etwa darin zu finden, daß man es gewagt, <hi rendition="#g">sogar die Prokuratur</hi> anzugreifen.</p> <p>Doch auch selbst bei rücksichtsloser Anwendung der bisherigen Strafgesetzgebung, sei eine Beurtheilung des Angeklagten unmöglich, da, eine beleidigende Absicht zugegeben, Herr Zweiffel nicht als Oberprokurator beleidigt worden.</p> <p>Der ganze die Prokurator berührende Vorwurf sei nur gegen den Staatsprokurator Hecker gerichtet, wegen dessen Beleidigung aber keine Anklage erhoben, und sei somit nicht zu berücksichtigen, ebensowenig wie die Beleidigung des Herrn Zweiffel als Volksvertreter, da die Geschworenen nur dann ein Schuldig aussprechen könnten, wenn derselbe in Ausübung seines Amtes, oder wie die Anklage den betreffenden Gesetzartikel interpretire, mit Bezug auf sein Amt beleidigt worden. Nun sei aber, nach dem eigenen Geständnisse der Staatsbehörde, Herr Zweiffel, zur Zeit als die Verhaftungen vorgenommen worden, nicht in Köln, und der ganzen Prozedur fremd gewesen. Es habe derselbe also damals gar keine Amtsfunktionen ausgeübt, und somit unmöglich in Ausübung seines Amtes, oder mit Bezug auf seine Amtsfunktionen beleidigt werden können.</p> <p>Außerdem fehle noch ein anderes Haupterforderniß zur Begründung der Anklage einer Beleidigung, nämlich der Beweis der Absicht zu beleidigen. Der Artikel, in seinem Zusammenhange genommen, erscheine nur als eine in heftigen und vielleicht unpassenden Ausdrücken gefaßte Kritik unserer, die persönliche Freiheit nicht genugsam schützenden Gesetzgebung, und des Verfahrens einer ganzen Partei, welche zur Niederhaltung der Gegner im Wege der Verdächtigung Untersuchungen und Verhaftungen provozire. Ebenso unbegründet wie die Beschuldigung der Beleidigung Zweiffel's, sei die Anklage wegen Beleidigung der Gensd'armen. Abgesehen von den berührten allgemeinen Gründen sei hier jede Verurtheilung unmöglich, weil die Anklage nicht einmal bestimmte Personen, welche beleidigt worden sein sollen, nenne. Die Bezeichnung, „Gensd'armen, welche bei der Verhaftung etc. thätig gewesen,“ genüge nicht. Im Interesse der Vertheidigung sei es geboten, daß die Personen namentlich genannt würden.</p> <p>Denn nur bei namentlich genannten Personen sei ein allenfallsiger Gegenbeweis, daß z. B. Dienstpersonen gar nicht bei jenem Anlasse in Thätigkeit gewesen, daß diese bestimmten Personen notorisch dem Trunke ergeben seien, was, wenn auch exceptio veritatis bei der Anklage der Beileidigung unzulässig sein sollte, jedenfalls schon auf das Strafmaß Einfluß haben könne. In den Ausdrücken, „Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnappsbouteillen“ seien, wie sie hier gebraucht worden, überhaupt gar keine einzelnen Personen bezeichnet, sondern nur die Gendarmerie im Allgemeinen. Gleichviel ob ein solcher der Gesammtheit der Gendarmerie gemachter Vorwurf unpassend oder unwürdig erscheine, eine Injurie sei darin nicht enthalten, denn zum Begriffe gehöre eine beleidigte Person. Völlig unhaltbar erscheine die Anklage aber dadurch, daß selbst, wenn eine Injurie in jenem Aufsatze enthalten sei, sowohl die Beleidigung Zweiffels als die der Gendarmen eine Privatbeleidigung sei, diese aber nicht der Cognition der Geschwornen unterliege. Werde der von dem öffentlichen Ministerium angerufene Art. 223 des Strafgesetzbuches richtig ausgelegt, so könne die den Geschwornen vorzulegende Frage nur dahin lauten, ob der Angeklagte schuldig sei, den Zweiffel und die Gensdarmen <hi rendition="#g">in der Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Amtspflichten</hi> beleidigt zu haben. Diese Frage müsse aber nothwendig verneint werden, da die angebliche Beleidigung erst durch das Zeitungsblatt, also später als die fraglichen Amtsverrichtungen geschehen sein sollte.</p> <p>Der Vertheidiger suchte nun in ausführlichem Vortrage nachzuweisen, wie die Worte à l'occasion de l'exercice de ses fonctions nicht so gedeutet werden könnten, daß jede einem Beamten mit Bezug auf sein Amt oder die Ausübung seines Amtes durch Worte oder Geberden zugefügte Beleidigung unter die Art. 222 und ff. falle, daß aber das Gesetz vom 5. Juli 1819 schriftliche Beleidigungen, welche nach den Bestimmungen der Rh. Strafgesetzgebung nur als Injurien oder Verläumdungen gegen Privatpersonen zu strafen seien, auch nur dann in gleicher Weise wie die in dem Art. 222 und ff. erwähnten Beleidigungen mit Strafe bedrohe, wenn dieselben unter <hi rendition="#g">gleichen Umständen</hi> begangen. Die Fälle, wo schriftliche Beleidigungen unter gleichen Umständen begangen werden könnten, würden zwar äußerst selten sein und dadurch das Gesetz vom 5. Juli 1819 fast illusorisch werden; dies könne aber kein Grund sein, die von diesem Gesetze zur Grundlage gemachte Rhein. Strafgesetzgebung falsch zu interpretiren. Werde nicht schon durch das Gericht die Frage nur auf eine Beleidigung „bei <hi rendition="#g">Gelegenheit</hi> der Ausübung“ etc. gestellt, in welchem Falle eine Anklage auf Beleidigung mit Bezug auf das Amt nicht mehr vorliege, so hätten die Geschwornen selbstständig zu prüfen, ob der französische Ausdruck à l'occasion auch auf Beleidungen mit Bezug auf das Amt anzuwenden sei, und im Verneinungsfalle das Nichtschuldig auszusprechen.</p> <p>Das öffentliche Ministerium suchte die von der Vertheidigung vorgebrachten Gründe zu widerlegen und hob dabei namentlich hervor, daß Hr. Oberprokurator Zweiffel, wenn er auch fortwährend in Berlin gewesen, dennoch im Amte habe beleidigt werden können, da der Oberprokurator eigentlich nie abwesend sei. Verreise der Oberprokurator, so trete dessen Stellvertreter mit allen Befugnissen des Amtes ein. Der Vertheidiger entgegnete, daß gerade aus den vom öffentlichen Ministerium zuletzt angeführten Gründen keine Amtsbeleidigung Zweiffels vorliege. Zweiffel habe gar keine auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Anneke bezügliche Handlung vorgenommen, ja, sei dieser Prozedur völlig fremd, wie das öffentliche Ministerium zugestehe, und während jener Zeit stets in Berlin gewesen. Der Staatsprokurator Hecker sei amtlich Oberprokurator gewesen, also eine Beleidigung Zweiffels wegen dessen Amtshandlungen nicht denkbar. Der Oberprokurator sei zwar unsterblich, wie in Monarchien der König, le roi est mort, vive le roi! Und so könne man denn nach der Theorie des öffentl. Ministeriums Jemanden, welcher gegenwärtig den König beleidige, wegen Beleidigung des verstorbenen Königs bestrafen und wenn Hr. Hecker beleidigt werde, dennoch ein Strafverfahren wegen Beleidigung des Hrn. Zweiffels, der abwesend oder todt sei, eingeleitet werden, was doch vernünftigerweise nicht angenommen werden könne.</p> <p>Nachdem die Debatten durch den Präsidenten geschlossen, wurde nach längerer Berathung des Hofes den Geschwornen die Frage nicht im Sinne der ursprünglichen Anklage:</p> <p>wegen Beleidigung <hi rendition="#g">mit Bezug auf die Amtsfunktionen,</hi> sondern nur auf Beleidigung Zweiffels und der etc. Gensd'armen bei <hi rendition="#g">Gelegenheit</hi> der Ausübung ihrer Amtsfunktionen gestellt.</p> <p>Die Geschwornen sprachen mit absoluter Stimmenmehrheit das Schuldig aus. Dietz wurde zu fünfwöchentlichem Gefängniß und zur Stellung einer Kaution von 2000 Thlrn. verurtheilt.</p> <p>Nachmittags wurde der zweite Preßprozeß verhandelt gegen Brocker-Everarts, <hi rendition="#g">Drucker</hi> der „Arbeiterzeitung“. In Nr. 13 dieser Blätter war nämlich der Artikel aus Nr. 38 der „Freien Volksblätter“ abgedruckt. Die verantwortlichen Redakteure (J. Moll und Jansen) der „Arbeiterzeitung“ sind flüchtig. Der Prokurator hielt sich daher an den Drucker, den sie derselben Verbrechen anklagten, wie B. Dietz. Der Assisenhof verurtheilte ihn zu einem Monat Gefängniß und Stellung einer Kaution von 4000 Thlrn. für die „Arbeiterzeitung.“</p> <p>Diese Urtheile sind von unschätzbarem Werthe für die Rheinprovinz. Sie schlagen die Vorurtheile der preußischen Regierung gegen die Geschwornengerichte nieder und werden sie überzeugen, daß das Geschwornengericht, in seiner jetzigen rheinischen Organisation, unter den breitesten demokratischen Grundlagen der preußischen Monarchie eine Stelle einzunehmen verdient. Man vergleiche nur mit diesen Urtheilen die jüngst zu Berlin, über Preßvergehen von königlichen Richtern erlassenen Sentenzen! Der Richter läßt sich nicht nur durch juristische Spitzfindigkeiten bestimmen. Er wird z. B. nicht begreifen können, wie die Presse einen <hi rendition="#g">Abwesenden,</hi> der keine Amtsfunktion ausübte, <hi rendition="#g">bei Gelegenheit der Ausübung</hi> seiner Amtsfunktion beleidigen kann. Der Richter behandelt überdem in der gegenwärtigen Krise alle politischen Verbrechen um so ängstlicher, als er dem Volke gegenüber die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt von der Regierungsgewalt konstatiren muß. Der Geschworne dagegen ist von vornherein unabhängig vom Staate. Sein einziges Forum ist sein <hi rendition="#g">Gewissen,</hi> sein <hi rendition="#g">Bewußtsein.</hi> Ertheilt ein bestimmter Census das Privilegium Geschworner zu sein, gehören also die Geschwornen einer privilegirten Klasse an, so ist ihr Gewissen, ihr Bewußtsein eben das Bewußtsein und das Gewissen dieser Klasse. Der Geschworne kann und muß also mit gutem Gewissen, <hi rendition="#g">verurtheilen,</hi> wo der Richter mit gutem Gewissen <hi rendition="#g">freisprechen</hi> kann und muß. Hr. Hansemann hat daher mit vielem Scharfsinn die Meinung geltend gemacht, daß die Geschwornengerichte nur dann eine Garantie für die verfassungsmäßige Ordnung und Freiheit bieten, wenn der <hi rendition="#g">Census</hi> eine Garantie für die Geschwornengerichte bietet.</p> </div> <div xml:id="ar130_002" type="jArticle"> <head>Wien.</head> <p>Wiener Briefe und Zeitungen sind abermals ausgeblieben. Wir sind genöthigt, uns auf Mittheilungen aus Breslauer Zeitungen zu beschränken.</p> </div> <div xml:id="ar130_003" type="jArticle"> <head>Breslau, 26. Okt.</head> <p>Wir haben heut, wie die vorstehenden Meldungen zeigen, Briefe und Zeitungen aus Wien vom 23. und 24. empfangen. Dieselben enthalten jedoch nichts über den gestern gemeldeten Ausbruch des Kampfes und den Beginn des Bombardements von Wien, welche Thatsachen jedoch durch einen aus Presburg kommenden Reisenden, welchen zu sprechen wir Gelegenheit hatten, aufs Nachdrücklichste bestätigt worden. ‒ Der Reisende hat gestern Morgen (am 25.) Preßburg verlassen, von wo die Eisenbahn bis Gänserndorf gänzlich zerstört ist, und langte des Abends in Angern an. Dort erfuhr er von Personen, welche sich aus Wien geflüchtet hatten, Folgendes: Auf die zweite Proklamation von Windischgrätz, die wir in unserer gestrigen Korrespondenz dem wesentlichsten Inhalte nach mitgetheilt haben, erklärten die Wiener: sie brauchten nicht 48 Minuten, um sich über die Nichtannahme zu entscheiden. Darauf begann der Angriff von Seiten des Militärs an der Taborlinie. Die Wiener machten fast gleichzeitig einen Ausfall. Es zeigte sich jedoch, daß die von ihnen auf der Aue genommene Stellung nicht haltbar war, da sie im Rücken umgangen werden konnten, weshalb General Bem den Befehl zum Rückzug gab.</p> </div> <div xml:id="ar130_004" type="jArticle"> <head>Wien, 25. Okt.</head> <p>Das Bombardement, welches gestern schon begonnen hatte, dauerte heute von allen Seiten her, mit geringen Unterbrechungen von 5-10 Minuten, den ganzen Tag fort und wurde von den Wienern lebhaft, aber ohne großen Erfolg erwidert, da diese einen ausgezeichneten Oberfeuerwerker, aber schlechte Kanoniere haben. Zum Glück haben sie ungeheure Munitionsvorräthe, daß sie mit ihren Schüssen nicht zu sparen brauchen. Das Feuer der Kaiserlichen scheint dagegen großen Schaden angerichtet zu haben. Dieselben eröffneten das Feuer zuerst vom Prater aus; zogen sich sodann nach der Grünau und setzten von dort aus das Feuer fort. <hi rendition="#g">Der Reichstag hat die Ungarn jetzt förmlich und ausdrücklich um Beistand ersucht, und man darf das Eintreffen, derselben heut (den 26.) mit Bestimmtheit erwarten. Ein Kanonenschuß von Seite der Ungarn gibt das Signal zu einem gleichzeitigen Angriff der Ungarn und der Wiener auf die Kaiserlichen.</hi> Auersperg wird den ersten Angriff der Ungarn auszuhalten haben und wird sich sodann auf Windischgrätz werfen, welchen die Wiener im Rücken angreifen werden. Die Wiener zählen 80,000 streitbare Männer; die Ungarn 70,000 Mann und Kossuth bringt noch 25,000 Mann. Die Ungarn haben viele vortreffliche Artillerie und 8-10,000 Mann reguläre Kavallerie; der Landsturm besteht zum großen Theil aus Kavallerie. ‒ Die Kaiserlichen werden von Tag zu Tag mehr demoralisirt; nur die Böhmen und Mähren hängen treu an Windischgrätz. Die deutschen Regimenter lichten sich durch Desertion; doch treffen fortwährend Verstärkungen ein. ‒ Die Raketenartillerie steht im Auerspergschen Lager. Ueber die Lage der Dinge in Ungarn vernehmen wir Folgendes:</p> <p>Das Centrum der ungarischen Armee unter General Moga steht bei Rittsee, 1/2 Stunde von Preßburg und zählt, wie gemeldet, 70,000 Mann; die Vorposten stehen bis Schwechat. ‒ Kossuth, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0657/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 130. Köln, Dienstag den 31. Oktober. 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Preßvergehen). Wien. (Breslauer Nachrichten). Prag. (Jellachich an die slowanska lipa. ‒ Zigeuner nach Olmütz). Olmütz. (Contrerevolutionärer Kongreß). Berlin. (Vereinbarer-Versammlung. ‒ Demokratenkongreß. ‒ Eindruck der Wiener Ereignisse. Königsberg. (Contrerevolutionärer Plan). Posen. (Entwerthung des Grundeigenthums).
Ungarn. Von der untern Donau. (Kriegsnachrichten).
Italien. Messina. (Die Bedingungen des Waffenstillstandes. ‒ Die Diplomatie und die norditalienische Bewegung. ‒ Drr reorganisirte sardinische Generalstab. ‒ Truppenbewegungen).
Belgien. Brüssel. (Die Matrizen des Leopoldordens).
Franz. Republik. Paris. (Vermischtes. ‒ Sitzungen der N.-V. ‒ Bugeaud. ‒ Der Graf von Neuilly).
Großbritannien. London. (Die indische Post. ‒ Die Times über die Pariser Nationalgarden. ‒ O'Connor in Schottland. ‒ Owen. ‒ Oastler.
Deutschland. 15 Köln, 30. Oktober. Bernhard Dietz, Buchdrucker und Herausgeber der „Freien Volksblätter“, stand am 24. vor dem hiesigen Assisenhofe, angeklagt, durch einen in Nr. 38 der Volksblätter enthaltenen Aufsatz, betitelt: „Die Verhaftungen in Köln“, den Oberprokurator Zweiffel mit Bezug auf seine Amtsverrichtungen durch Worte, welche dahin zielten, dessen Ehre und Zartgefühl zu verletzen, beleidigt, und in demselben Aufsatze die mit der Verhaftung des Dr. Gottschalk und des Lieutenant a. D. Anneke beauftragten Gensd'armen in Bezug auf ihre Amtsverrichtungen durch Worte beschimpft zu haben. ‒ Nach Vernehmung des Angeklagten, welcher zugestand, den fraglichen, in seiner Zeitung erschienenen, Aufsatz verfaßt zu haben, dagegen jede Absicht einer Beleidigung des Oberprokurators Zweiffel in Abrede stellte, suchte der Staatsprokurator v. Ammon mit der unvermeidlichen und in Frankreich sprichtwörtlich gewordenen „sittlichen Entrüstung“, die Anklage zu begründen, unter besonderer Bezugnahme auf die Stellung der Geschworenen in diesem Prozesse, und den Schutz, den das Amt der Prokurator gegenwärtig gegen die Angriffe der frechen Presse erfordere. Die Absicht, gerade die Person des Oberprokurators Zweiffel zu beleidigen, sei schon durch die Worte: „das ist die Volksvertretung zweiffelhafter Personen“ außer Zweifel gestellt, finde aber auch noch außerdem ihre Unterstützung in dem nach mehreren Sätzen wiederkehrenden Refrain: „Glück auf Herr Oberprokurator!“ Ja die Worte: „das sind die Leute, welche sich einen rothen Rock und eine Stelle im Ministerium verdienen wollen“ enthielten geradezu einen Vorwurf von Schurkerei, und gegen einen Mann, der zur Zeit jener Verhaftung in Berlin seine Pflicht (?) als Deputirter erfüllt, nicht den geringsten Einfluß auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Genossen geübt und von dieser ganzen Prozedur damals nicht einmal Kenntniß gehabt habe. Gleichmäßig erwiesen sei die Beleidigung der Gensd'armen. Die Worte: „Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnapsbouteillen“ enthielten offenbar eine Ehrenkränkung dieser Beamten, denen, gleich den Vertretern des öffentlichen Ministeriums besonderer Schutz durch die Gerichte gewährt werden müsse.
Der Vertheidiger, Schneider II., rief zunächst den Geschwornen die Eingangsworte des öffentlichen Ministeriums wieder in's Gedächtniß, daß die Geschwornen, zumal in der jetzigen Zeit, wo Gesetz und Ordnung erschüttert seien, über den Parteien stehen müßten. Der angegriffene Aufsatz sei lediglich aus einer bestimmten Parteiansicht entsprungen, nur als solcher sei er in dieser Prozedur aufzufassen, und dadurch auch bei voller Würdigung der Zeitverhältnisse straflos. Die Berücksichtigung des Standpunktes des Verfassers, der politischen Verhältnisse der Gegenwart, und vor Allem der Zeit des Erscheinens des Aufsatzes dürfe der Angeklagte vorzüglich von Geschwornen erwarten. Das sei eben das Motiv der Zuweisung der politischen und Preßprozesse an die Geschwornen, daß man von diesen voraussetze, sie würden mehr als die Richter vom Fache den Zeitverhältnissen Rechnung tragen. Im untergebenen Falle sei nun aber eine Freisprechung schon lediglich durch die Erschütterung der alten Gesetzgebung, durch den wenigstens vor den Augen des Richters beiderseits gleichberechtigten Kampf der Parteien, motivirt. Der ganze Aufsatz enthalte nur einen heftigen Tadel der Umtriebe einer Partei, welche durch jedes Mittel dahin strebe, die Leiter der Gegenpartei unschädlich zu machen. Er enthalte speziell den Vorwurf, daß das öffentliche Ministerium willfährig die Hand zu solchem Treiben biete, und die durch die alte Gesetzgebung nicht geschützte persönliche Freiheit ohne Noth verletze. Faktisch sei es bis zu dieser Prozedur auch durch die Gerichte anerkannt worden, daß solche Angriffe der Presse wenigstens jetzt straflos seien. Denn wenn man nicht Mangel an Muth unterstellen wolle, so könne nur die Ansicht, daß alle, die Staatsverfassung und die öffentliche Ordnung betreffenden Strafgesetze in Frage gestellt gewesen, das passive Verhalten der Behörden bei den unzähligen maßlosen Angriffen erklären, welche die Presse gegen das Staatsoberhaupt, die Ministerien, die gesetzgebenden Kammern und die bisherigen Gesetze gerichtet habe. Harmlos erscheine der Aufsatz des Angeklagten im Vergleiche zu so vielen Erzeugnissen der vom öffentlichen Ministerium sogenannten frechen Presse, und etwas Gravirendes nur etwa darin zu finden, daß man es gewagt, sogar die Prokuratur anzugreifen.
Doch auch selbst bei rücksichtsloser Anwendung der bisherigen Strafgesetzgebung, sei eine Beurtheilung des Angeklagten unmöglich, da, eine beleidigende Absicht zugegeben, Herr Zweiffel nicht als Oberprokurator beleidigt worden.
Der ganze die Prokurator berührende Vorwurf sei nur gegen den Staatsprokurator Hecker gerichtet, wegen dessen Beleidigung aber keine Anklage erhoben, und sei somit nicht zu berücksichtigen, ebensowenig wie die Beleidigung des Herrn Zweiffel als Volksvertreter, da die Geschworenen nur dann ein Schuldig aussprechen könnten, wenn derselbe in Ausübung seines Amtes, oder wie die Anklage den betreffenden Gesetzartikel interpretire, mit Bezug auf sein Amt beleidigt worden. Nun sei aber, nach dem eigenen Geständnisse der Staatsbehörde, Herr Zweiffel, zur Zeit als die Verhaftungen vorgenommen worden, nicht in Köln, und der ganzen Prozedur fremd gewesen. Es habe derselbe also damals gar keine Amtsfunktionen ausgeübt, und somit unmöglich in Ausübung seines Amtes, oder mit Bezug auf seine Amtsfunktionen beleidigt werden können.
Außerdem fehle noch ein anderes Haupterforderniß zur Begründung der Anklage einer Beleidigung, nämlich der Beweis der Absicht zu beleidigen. Der Artikel, in seinem Zusammenhange genommen, erscheine nur als eine in heftigen und vielleicht unpassenden Ausdrücken gefaßte Kritik unserer, die persönliche Freiheit nicht genugsam schützenden Gesetzgebung, und des Verfahrens einer ganzen Partei, welche zur Niederhaltung der Gegner im Wege der Verdächtigung Untersuchungen und Verhaftungen provozire. Ebenso unbegründet wie die Beschuldigung der Beleidigung Zweiffel's, sei die Anklage wegen Beleidigung der Gensd'armen. Abgesehen von den berührten allgemeinen Gründen sei hier jede Verurtheilung unmöglich, weil die Anklage nicht einmal bestimmte Personen, welche beleidigt worden sein sollen, nenne. Die Bezeichnung, „Gensd'armen, welche bei der Verhaftung etc. thätig gewesen,“ genüge nicht. Im Interesse der Vertheidigung sei es geboten, daß die Personen namentlich genannt würden.
Denn nur bei namentlich genannten Personen sei ein allenfallsiger Gegenbeweis, daß z. B. Dienstpersonen gar nicht bei jenem Anlasse in Thätigkeit gewesen, daß diese bestimmten Personen notorisch dem Trunke ergeben seien, was, wenn auch exceptio veritatis bei der Anklage der Beileidigung unzulässig sein sollte, jedenfalls schon auf das Strafmaß Einfluß haben könne. In den Ausdrücken, „Dämonen der rohen Gewalt, personifizirte Schnappsbouteillen“ seien, wie sie hier gebraucht worden, überhaupt gar keine einzelnen Personen bezeichnet, sondern nur die Gendarmerie im Allgemeinen. Gleichviel ob ein solcher der Gesammtheit der Gendarmerie gemachter Vorwurf unpassend oder unwürdig erscheine, eine Injurie sei darin nicht enthalten, denn zum Begriffe gehöre eine beleidigte Person. Völlig unhaltbar erscheine die Anklage aber dadurch, daß selbst, wenn eine Injurie in jenem Aufsatze enthalten sei, sowohl die Beleidigung Zweiffels als die der Gendarmen eine Privatbeleidigung sei, diese aber nicht der Cognition der Geschwornen unterliege. Werde der von dem öffentlichen Ministerium angerufene Art. 223 des Strafgesetzbuches richtig ausgelegt, so könne die den Geschwornen vorzulegende Frage nur dahin lauten, ob der Angeklagte schuldig sei, den Zweiffel und die Gensdarmen in der Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Amtspflichten beleidigt zu haben. Diese Frage müsse aber nothwendig verneint werden, da die angebliche Beleidigung erst durch das Zeitungsblatt, also später als die fraglichen Amtsverrichtungen geschehen sein sollte.
Der Vertheidiger suchte nun in ausführlichem Vortrage nachzuweisen, wie die Worte à l'occasion de l'exercice de ses fonctions nicht so gedeutet werden könnten, daß jede einem Beamten mit Bezug auf sein Amt oder die Ausübung seines Amtes durch Worte oder Geberden zugefügte Beleidigung unter die Art. 222 und ff. falle, daß aber das Gesetz vom 5. Juli 1819 schriftliche Beleidigungen, welche nach den Bestimmungen der Rh. Strafgesetzgebung nur als Injurien oder Verläumdungen gegen Privatpersonen zu strafen seien, auch nur dann in gleicher Weise wie die in dem Art. 222 und ff. erwähnten Beleidigungen mit Strafe bedrohe, wenn dieselben unter gleichen Umständen begangen. Die Fälle, wo schriftliche Beleidigungen unter gleichen Umständen begangen werden könnten, würden zwar äußerst selten sein und dadurch das Gesetz vom 5. Juli 1819 fast illusorisch werden; dies könne aber kein Grund sein, die von diesem Gesetze zur Grundlage gemachte Rhein. Strafgesetzgebung falsch zu interpretiren. Werde nicht schon durch das Gericht die Frage nur auf eine Beleidigung „bei Gelegenheit der Ausübung“ etc. gestellt, in welchem Falle eine Anklage auf Beleidigung mit Bezug auf das Amt nicht mehr vorliege, so hätten die Geschwornen selbstständig zu prüfen, ob der französische Ausdruck à l'occasion auch auf Beleidungen mit Bezug auf das Amt anzuwenden sei, und im Verneinungsfalle das Nichtschuldig auszusprechen.
Das öffentliche Ministerium suchte die von der Vertheidigung vorgebrachten Gründe zu widerlegen und hob dabei namentlich hervor, daß Hr. Oberprokurator Zweiffel, wenn er auch fortwährend in Berlin gewesen, dennoch im Amte habe beleidigt werden können, da der Oberprokurator eigentlich nie abwesend sei. Verreise der Oberprokurator, so trete dessen Stellvertreter mit allen Befugnissen des Amtes ein. Der Vertheidiger entgegnete, daß gerade aus den vom öffentlichen Ministerium zuletzt angeführten Gründen keine Amtsbeleidigung Zweiffels vorliege. Zweiffel habe gar keine auf die Untersuchung gegen Gottschalk und Anneke bezügliche Handlung vorgenommen, ja, sei dieser Prozedur völlig fremd, wie das öffentliche Ministerium zugestehe, und während jener Zeit stets in Berlin gewesen. Der Staatsprokurator Hecker sei amtlich Oberprokurator gewesen, also eine Beleidigung Zweiffels wegen dessen Amtshandlungen nicht denkbar. Der Oberprokurator sei zwar unsterblich, wie in Monarchien der König, le roi est mort, vive le roi! Und so könne man denn nach der Theorie des öffentl. Ministeriums Jemanden, welcher gegenwärtig den König beleidige, wegen Beleidigung des verstorbenen Königs bestrafen und wenn Hr. Hecker beleidigt werde, dennoch ein Strafverfahren wegen Beleidigung des Hrn. Zweiffels, der abwesend oder todt sei, eingeleitet werden, was doch vernünftigerweise nicht angenommen werden könne.
Nachdem die Debatten durch den Präsidenten geschlossen, wurde nach längerer Berathung des Hofes den Geschwornen die Frage nicht im Sinne der ursprünglichen Anklage:
wegen Beleidigung mit Bezug auf die Amtsfunktionen, sondern nur auf Beleidigung Zweiffels und der etc. Gensd'armen bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Amtsfunktionen gestellt.
Die Geschwornen sprachen mit absoluter Stimmenmehrheit das Schuldig aus. Dietz wurde zu fünfwöchentlichem Gefängniß und zur Stellung einer Kaution von 2000 Thlrn. verurtheilt.
Nachmittags wurde der zweite Preßprozeß verhandelt gegen Brocker-Everarts, Drucker der „Arbeiterzeitung“. In Nr. 13 dieser Blätter war nämlich der Artikel aus Nr. 38 der „Freien Volksblätter“ abgedruckt. Die verantwortlichen Redakteure (J. Moll und Jansen) der „Arbeiterzeitung“ sind flüchtig. Der Prokurator hielt sich daher an den Drucker, den sie derselben Verbrechen anklagten, wie B. Dietz. Der Assisenhof verurtheilte ihn zu einem Monat Gefängniß und Stellung einer Kaution von 4000 Thlrn. für die „Arbeiterzeitung.“
Diese Urtheile sind von unschätzbarem Werthe für die Rheinprovinz. Sie schlagen die Vorurtheile der preußischen Regierung gegen die Geschwornengerichte nieder und werden sie überzeugen, daß das Geschwornengericht, in seiner jetzigen rheinischen Organisation, unter den breitesten demokratischen Grundlagen der preußischen Monarchie eine Stelle einzunehmen verdient. Man vergleiche nur mit diesen Urtheilen die jüngst zu Berlin, über Preßvergehen von königlichen Richtern erlassenen Sentenzen! Der Richter läßt sich nicht nur durch juristische Spitzfindigkeiten bestimmen. Er wird z. B. nicht begreifen können, wie die Presse einen Abwesenden, der keine Amtsfunktion ausübte, bei Gelegenheit der Ausübung seiner Amtsfunktion beleidigen kann. Der Richter behandelt überdem in der gegenwärtigen Krise alle politischen Verbrechen um so ängstlicher, als er dem Volke gegenüber die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt von der Regierungsgewalt konstatiren muß. Der Geschworne dagegen ist von vornherein unabhängig vom Staate. Sein einziges Forum ist sein Gewissen, sein Bewußtsein. Ertheilt ein bestimmter Census das Privilegium Geschworner zu sein, gehören also die Geschwornen einer privilegirten Klasse an, so ist ihr Gewissen, ihr Bewußtsein eben das Bewußtsein und das Gewissen dieser Klasse. Der Geschworne kann und muß also mit gutem Gewissen, verurtheilen, wo der Richter mit gutem Gewissen freisprechen kann und muß. Hr. Hansemann hat daher mit vielem Scharfsinn die Meinung geltend gemacht, daß die Geschwornengerichte nur dann eine Garantie für die verfassungsmäßige Ordnung und Freiheit bieten, wenn der Census eine Garantie für die Geschwornengerichte bietet.
Wien. Wiener Briefe und Zeitungen sind abermals ausgeblieben. Wir sind genöthigt, uns auf Mittheilungen aus Breslauer Zeitungen zu beschränken.
Breslau, 26. Okt. Wir haben heut, wie die vorstehenden Meldungen zeigen, Briefe und Zeitungen aus Wien vom 23. und 24. empfangen. Dieselben enthalten jedoch nichts über den gestern gemeldeten Ausbruch des Kampfes und den Beginn des Bombardements von Wien, welche Thatsachen jedoch durch einen aus Presburg kommenden Reisenden, welchen zu sprechen wir Gelegenheit hatten, aufs Nachdrücklichste bestätigt worden. ‒ Der Reisende hat gestern Morgen (am 25.) Preßburg verlassen, von wo die Eisenbahn bis Gänserndorf gänzlich zerstört ist, und langte des Abends in Angern an. Dort erfuhr er von Personen, welche sich aus Wien geflüchtet hatten, Folgendes: Auf die zweite Proklamation von Windischgrätz, die wir in unserer gestrigen Korrespondenz dem wesentlichsten Inhalte nach mitgetheilt haben, erklärten die Wiener: sie brauchten nicht 48 Minuten, um sich über die Nichtannahme zu entscheiden. Darauf begann der Angriff von Seiten des Militärs an der Taborlinie. Die Wiener machten fast gleichzeitig einen Ausfall. Es zeigte sich jedoch, daß die von ihnen auf der Aue genommene Stellung nicht haltbar war, da sie im Rücken umgangen werden konnten, weshalb General Bem den Befehl zum Rückzug gab.
Wien, 25. Okt. Das Bombardement, welches gestern schon begonnen hatte, dauerte heute von allen Seiten her, mit geringen Unterbrechungen von 5-10 Minuten, den ganzen Tag fort und wurde von den Wienern lebhaft, aber ohne großen Erfolg erwidert, da diese einen ausgezeichneten Oberfeuerwerker, aber schlechte Kanoniere haben. Zum Glück haben sie ungeheure Munitionsvorräthe, daß sie mit ihren Schüssen nicht zu sparen brauchen. Das Feuer der Kaiserlichen scheint dagegen großen Schaden angerichtet zu haben. Dieselben eröffneten das Feuer zuerst vom Prater aus; zogen sich sodann nach der Grünau und setzten von dort aus das Feuer fort. Der Reichstag hat die Ungarn jetzt förmlich und ausdrücklich um Beistand ersucht, und man darf das Eintreffen, derselben heut (den 26.) mit Bestimmtheit erwarten. Ein Kanonenschuß von Seite der Ungarn gibt das Signal zu einem gleichzeitigen Angriff der Ungarn und der Wiener auf die Kaiserlichen. Auersperg wird den ersten Angriff der Ungarn auszuhalten haben und wird sich sodann auf Windischgrätz werfen, welchen die Wiener im Rücken angreifen werden. Die Wiener zählen 80,000 streitbare Männer; die Ungarn 70,000 Mann und Kossuth bringt noch 25,000 Mann. Die Ungarn haben viele vortreffliche Artillerie und 8-10,000 Mann reguläre Kavallerie; der Landsturm besteht zum großen Theil aus Kavallerie. ‒ Die Kaiserlichen werden von Tag zu Tag mehr demoralisirt; nur die Böhmen und Mähren hängen treu an Windischgrätz. Die deutschen Regimenter lichten sich durch Desertion; doch treffen fortwährend Verstärkungen ein. ‒ Die Raketenartillerie steht im Auerspergschen Lager. Ueber die Lage der Dinge in Ungarn vernehmen wir Folgendes:
Das Centrum der ungarischen Armee unter General Moga steht bei Rittsee, 1/2 Stunde von Preßburg und zählt, wie gemeldet, 70,000 Mann; die Vorposten stehen bis Schwechat. ‒ Kossuth,
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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