Neue Rheinische Zeitung. Nr. 181. Köln, 29. Dezember 1848. Beilage.Ehren der Wiener Freiheitsmärtyrer abgehaltenen französischen Todtenfeier hieselbst, vorbereitete großartige Bankett der Sozialdemokraten beider Nationen im großen Saale der associirten Köche, unsern des Bahnhofes nach Versailles, seinen erwünschtesten Ausgang. Das aus Franzosen und Deutschen (Albert Maurain, Journalist, Legier, französ. Arbeiter, Appuhn, Ewerbeck u. s. w.) bestehende Comite hatte an die Montagne, die demokratischen Blätter, die demokratischen Comite's fremder Nationen, die Klubs Montesquieu und Arbalete, die Arbeiterassoziationen u. s. w. Billete und Invitationen vertheilt. Den Saal schmückten die beiden Fahnen, und rings auf den Wänden die Namen: L. Blanc, Blanqui, Barbes, Robert Blnm, O'Brien, Messenhauser, Canssidiere, Albert, Raspail. Die Mehrzahl bestand aus Ouvriers beider Nationen, doch waren auch sehr viele sonstige Beschäftigungen vertreten. Es fanden sich auch an dreißig Bürgerinnen ein, z. B. Madame Adele Equiros, welche ihren Toast dem Comite vorher eingesandt hatte und der von B. Maurain unter großem Beifalle verlesen ward: "auf die Emancipation des gesamten menschlichen Geschlechtes." Equiros selbst, dieser wackere Freiheitsheld, muß seit Juni sich verborgen halten. B. Legier sprach:" auf ein demokratisch-soziales Deutschland" und B. Appuhn erwiderte: "auf ein demokratisch-soziales Frankreich." B. Ewerbeck:"auf intellektuelle, moralische, materielle Verbindung Frankreich's mit Deutschland;" B. Herve, Präsident des Revolutionsklub im Saal Montesquieu: "auf unsre germanischen Brüder;" B. Kowalski, polnischer Student, auf Einigung Deutschland's und Frankreich's mit Polen." B. Rufoni, (Sekretär des demokratisch-italienischen Comite's und Korrespondent Mazzini's, mit dem er in Mailand die jetzt in Florenz von Mazzini wieder projektirte "Italia del Popolo" geschrieben hatte) sprach einen Protest gegen die Invasion Frankreichs, im Bunde mit Neapel und Ollmütz, wodurch Meister Thiers den Pabst und die vierundvierzig Kardinäle wieder installiren will; B. Schmitz, deutscher Arbeiter, sprach über die Nothwendigkeit einer energischeren Propaganda als bisher; Kapp sprach einen Toast auf die Revolution; A. Mauvain auf die Amnestie der Junimänner, die (beiläufig bemerkt, an Zahl dreitausend dreihundert und nicht 10,000,) welche in den Schiffen systematisch krank gemacht werden, damit sie, begnadigt, nicht mehr "viel schaden" können, so daß die zu Galeeren verurtheilten zu beneiden sind. Die französischen Gedichtdeklamatoren und die Sängerchöre der deutschen Arbeiter trugen ungemein viel zur Verschönerung des Festes bei; man sammelte für die Junimänner, und ging, die Marseillaise singend, nach vierstündiger Sitzung auseinander. Aehnliche Bankette organisiren sich jetzt für jeden Sonntag auf den Barrieren. Gestern war im Valentino das Bankett sozialdemokratischer Frauen; es hatte mehr poetisch-religiöse Färbung; Simon Bernard sprach "auf Frankreich, den Weltheiland," Herve "auf St. Just, den Freiheitsmärtyrer des vorigen Jahrhunderts," mehrere Mädchen "auf Weihnachten und Christus," "auf die Religion" u. s. w. Im Wintergarten endlich fand ein Abendfest "der Gleichheit" statt, wo die deutschen Arbeiter-Sänger mit der deutschen Fahne mitwirkten und mit Hurrah empfangen wurden. -- Ein schätzbarer Vorschlag ward von Dr. med. Küntzli, einem Schweizer der viele Felddienste gethan, der Kammer gemacht. In Paris solle eine spezielle Sanitätsabtheilung im Ministerium des Innern errichtet werden. Ein pariser Centralrath, zwölf Mitglieder vom Minister (darunter sechs Aerzte, sechs Nichtärzte) zu ernennen; in jedem Departementshauptort einer von sechs, in dem Bezirkshauptort einer von drei Mitgliedern, die mit dem Centralrath unaufhörlich korrespondiren, über Spitäler und sonstige Heilanstalten die Aufsicht führen, den Gratisdienst bei den unbemittelten Patienten organisiren u. s. w. Die "Revolution Democratique" spendet das gebührende Lob, bemerkt aber, daß unfehlbar auch dieser Vorschlag in den Bleikammern der Kammerkommissionen a la Louis Philipp erwürgt und eingesargt werden würde, da "Frankreichs Republik ja mit vollen Segeln auf dem todten Meer der verstocktesten Königthümelei umherfährt." Die "Republik in Gefahr", ein Hymnus von Louis Festivau, wird unter ungeheurer Sensation bei jedem Bankett vom Verfasser gesungen und Alles stimmt in den Refrain: "Republikauer! Republikaner! rettet, rettet die Republik!"(republicains, republicains, sauvez la republique); Girardin wird darin als "Trichardin" d. h. Betrüger und Fälscher, dargestellt, die Goldverscharrer als Vaterlandsverräther, die Minister aus der Thiers-Barrotschen Klike als Judas Ischarioths, und an das Proletariat appelliert. Das Lied "Vaterland in Trauer" von Lemoyue elektrisirt die Zuhörer durch Strophen wie: "Einst zogen Frankreichs Söhne, die Söhne der ersten Republik, im Sturm herbei wenn das feindliche Europu auf germanischem Boden sich zum Kampfe stellte und alle wuthheulenden Könige von Gottes Gnaden mit ihren abgerichteten Gardeknechten losfuhren, ha, diese Könige schlug unsre erste Republik sämmtlich nieder, ha diese Könige brüllten und ächzten und winselten, und krochen zitternd auf den sonst so steifen Knieen und flehten um Gnade unsere erste Republik an." -- Und so ist es; der heilige Haß glüht in unlöschlichem Feuer; die Legitimistensippschaft und die Finanzbande werden dem Gerichte des Volkes nimmer entrinnen. "Die ketzigen Kavaliere von der schneeweißen bourbonischen Lilie, diese miserabeln Träbern des Orleanismus de anno 1720 und des Koblenzerthums de anno 1796, geistig und moralisch wurmstichige Verführer und Kartenschläger, windige Junker, die auf der Börse spielen um Abends bei den Operndamen den Matador zu spielen; diese literarischen Verhöhner des Arbeitsrechts werden sich nie zur Vernunft bekehren; St. Just hat ganz richtig prophezeit. In Orleans haben sie 1815 einen Musikdirektor vor's Gericht geschleppt und kassirt, weil er angeblich, während der von ihnen auf offenem Markt bewerkstelligten Prozession und Zertrümmerung Napoleonischer Brustbilder, ein nicht hinlänglich heiteres Musikstück hatte ausführen lassen. Demokraten von 1848! ihr wißt was der weiße Schrecken war, den sie über uns damals brachten; wenn wir noch einmal den rothen organisiren müssen, so sei er definitiv.... Uebrigens ist nichts einfacher als diese Alternative: entweder sie oder wir. Oder meint ihr, sie hätten von ihrer damaligen kanibalischen Wüstheit etwas verloren? Damals liefen sie, als Nationalgarden in Orleans, Sturm gegen Napoleon's Bildsäulen von Marmor und Gips, zerbrachen mit Bajonetstößen seine Porträts, warfen dies in ein Feuer auf den Markt, und die durch Polizeidiener gesammelte Asche in die Loire; der hohe Gerichtshof in scharlachenen Festgewändern und scharlachenen Mützen stand jubilirend dabei. Und dieses Gelichter, was damals: nieder mit dem Menschenwürger Bonaparte, schrie, schreit heute: hoch der Präsident Bonaparte. Wehe dem Demokraten, der das Gedächtniß verlöre. (Citoyen de Dijon.) Zum Schluß eine kleine Hanswurstiade: Alexander Weill kündigt sein neuestes Musenprodukt im "Corsaire" (dem bekannten Schandblatt, woran er mit arbeitet) an wie folgt: "Ehre den edeln Seelen, den Mannesherzen, den muthigen Gemüthern (man denke sich den p. p. Weill mit diesen 3 Qualitäten behaftet:) die Frankreich aus dem Abgrunde retten, worin es seit Februar durch eine Minorität gestürzt ist. ..." Unter diesen kühnen Vertheidigern unserer Unabhängigkeit ist A. Weill zu nennen, der, wie er selber eingesteht, einst im Jugendsturme seines unerfahrenen Lebens revolutionär gesinnt, dann aber bald erkannte, daß dies Wort: Revolution, nur deshalb so tönend sei, weil e[unleserliches Material] hohl. Weill hat am Tage des Sieges mit Fug die sogen. demokratische Sache verlassen und eingesehen, daß unter der Herrschaft der Minorität Frankreich zu Anarchie und Despotie gelange:". Die neue Broschüre des Herrn Weill räth dem Präsidenten, die Kammer -- zu entlassen; das ist des Pudels Kern, und der Herr Weill, dieser "aufrichtige Gegner des droit au travail", wie er sich selber zu nennen beliebt, hat jedenfalls wieder klingende, blanke Gründe dazu, sowie zu den Notizen, die er an Girardin's "La Presse" über Deutschland liefert, z. B. in der gestrigen Nummer: "Der Berliner Polizeipräsident publizirt ein Reskript, um eine Untersuchung gegen alle Justizbeamte einzuleiten, die aus Feigheit oder aus Vorsatz nicht pflichtgetreu gegen die Anarchie im Moment der Gefahr auftraten, und wovon sich, seit dem Verschwinden derselben, einige sehr muthvoll zeigen. Alle diese Beamte werden abgesetzt und als incapacites bezeichnet werden." In einer frühern Nummer wurden der deutschen Polizei weise Winke ertheilt. Gegenüber dieser Fäulniß ruft "Demokrate constituant" in Toulouse: "Laßt es nur wirbeln, dies elende Geschmeiß, wir zünden einst ein Feuer an, daß sie sammt der Brut ersticken, und wer überlebt, den stoßen wir mit Fußtritten dermaleinst durch die ganze Republik bis unter den Galgen; diese Girardin's, diese Cassagnac's, diese Delamare's (Besitzer der "Patrie"), diese Birmaitre's (vom "Corsaire") werden ein Ende mit Heulen und Zähneklappern nehmen, denn das nächste Mal, da treten wir auf wie 1793." Paris, 26. Dezbr. Der Moniteur ist heute nicht erschienen. Ebenso fehlen La Presse, L'Union, die alte Gazette, Assemblee Nationale und einige andere weltbeglückende obscure Blätter. Auch der Proudhon'sche Peuple macht heute -- wahrscheinlich aus ökonomischen Gründen einen Feiertag. -- Die englischen und italienischen Posten sind (bis Mittag) ausgeblieben. Wir befinden uns daher ohne Depeschen aus Rom und Turin. Ein undurchdringlicher und höchst ungesunder Nebel lagert über Paris und dem Seinethale, der alle telegraphische Verbindung unmöglich macht. -- Das Journal des Debats findet die heutige politische Lage Frankreichs genau wie vor dem Februar 1848 und es scheint, als ob Herr Bertin eine neue Explosion fürchte. -- Heute also legt Hr. Barrot sein großes politisches Programm unter Augen der Nationalversammlung. Ebenso vernehmen wir so eben (12 1/2 Uhr) daß das Ministerium wegen der Ernennung des Marschalls Bugeaud zum Oberbefehlshaber der Alpenarmee, so wie des dreifachen Kommandos des Generals Changarnier halber scharf interpellirt werden soll. -- Guizot's von uns schon früher angekündigtes Buch: La Democratie en France, ist so eben im Buchhandel erschienen. Wir werden wohl Gelegenheit finden, dasselbe zu lesen und kommen später darauf zurück. -- Die Kabinetsräthe folgen rasch aufeinander. In dem gestrigen erklärte der Präsident Bonaparte mit vieler Entschiedenheit, daß er auf einer allgemeinen Amnestie bestehe. Die Minister (natürlich mit ihrem Sarastro Thiers im Hintergrunde) widersetzten sich jedoch mit weniger Ausnahme einer allgemeinen Amnestie und es soll zu so heftigen Debatten gekommen sein, daß man heute früh von offenem Bruch im Kabinete sprach. Alle Welt ist darum doppelt auf die National-Versammlung gespannt, die in zwei Stunden nach viertägigen Feiren wieder zusammen tritt. -- Lucian, Napoleon Bonaparte, Bruder des obigen Republikaners und jüngst erst von Corsika in die Nationalversammlung gewählt, ist in Paris eingetroffen. -- Das Verbrüderungsbanket der deutschen und franz. Demokraten hat gestern stattgefunden. -- Nationalversammlung. Sitzung vom 26. Decbr. Anfang 2 Uhr. Präsident Marrast. Die Bänke und Galerien übervoll. Auf allen Gesichtern brennt Neugierde auf das ministerielle Programm und die heftigen Debatten, die sich daran knüpfen dürften. Nach Vorlesung des Protokolls trägt Marrast das Schreiben eines Deputirten der Gironde vor, Namens Lübbert, der seine Demission gibt, weil er das Mandat der Nationalversammlung als beendet betrachtet. An der Tagesordnung steht zunächst die Diskussion über die Frage: ob und wann die Salzsteuer aufgehoben werden könne? Dieser Artikel, der in der Landwirthschaft eine Rolle spielt, bringt jährlich der Staatskasse die Kleinigkeit von 28 Millionen Franken, welche die Regierung anderweitig decken müßte, falls sie ihn verlöre. Arond erhält zuerst das Wort. Ihr wißt, sagt er zu den Bürgervertretern, daß ein Dekret der provisorischen Regierung vom 15. April die Salzsteuer radikal abschaffte. Goudchaur widerrief dasselbe am 28. August und Trouve Chauvel, Finanzminister, legte der Versammlung ein Dekret vor, das eine Art Uebergangsbrücke von der gänzlichen zur allmäligen Abschaffung schuf. Auf diese Weise wurde der Landwirth hinter das Licht gefuhrt. Der Redner entwickelt dieses Manöver ziemlich weitläufig und tragt unter allgemeiner Unaufmerksamkeit auf gänzliche Abschaffung der Steuer an. (Unterbrechung.) Hier besteigt der Conseilpräsident und Justizminister Odilon Barrot die Bühne, um das heißerwartete Programm vorzulesen. Odilon Barrot: (Stille) Bürger! Sie vernahmen dieser Tage eine Rede des Präsidenten der Republik. Der Gedanke dieser Rede ist der unsrige. Wir nehmen in Rücksicht auf das Land dieselbe Verpflichtung über uns. Sie erwarten von uns keine Erörterung der Lage der Republik. Wir sind noch zu kurze Zeit an der Staatsgewalt. Was wir Ihnen schulden, ist eine Auseinandersetzung unserer Grundsätze, die bei Bildung des Kabinets vorwaltete. Unser Ursprung ist verschieden, aber die Volkswahl vom 10. Decbr. gab ein Streben nach Einigkeit Aller kund. Es wäre unklug, einem solchen Streben zu widerstreben; dasselbe bezeichnet die Sehnsucht nach materieller und moralischer Ordnung. Man will Ordnung auf der Straße (place publique) und in der Staatsverwaltung. Die republikanische Regierungsform kann sich so lange nicht festsetzen, als die revolutionäre Periode nicht definitiv geschlossen. (Beifall zur Rechten.) Wir wollen daher selbst den Gedanken zur Unordnung entmuthigen. (Nous voulons decourager jusqu' a la pensee du desordre.) Das wird das letzte Mittel sein, die Bestrafung des Uebels selbst zu verhüten, welche immer beklagenswerth ist. Nach so vieler Agitation, welche die Gesellschaft bis in ihre Grundfeste erschutterten, fühlt Jeder das Bedürfniß, die nächste Zukunft zu sichern (assurer le lendemain). Diese Conformität der Ideen wird die Arbeit befruchten, Vertrauen und Kredit wieder hervorrufen. Schon sind günstige Zeichen vorhanden, Hoffnungen zeigen sich und man glaubt an deren Erfüllung. (Zweideutige Bewegung im Saale.) Wie der Privatverkehr, so hat auch der Staaatshaushalt bedeutend gelitten; die öffentlichen Hilfsquellen sind sehr angegriffen und erschöpft. Der Schatz hat Verbindlichkeiten eingehen müssen. Man muß sie lösen und alle Verbindlichkeiten erfüllen. Das Kabinet hat sich dieser wichtigen Mission hingegeben. Wir wollen keineswegs, daß der Staat seine Hand von den Wohlthaten zurück ziehe, die er begonnen. Die Staatsgesellschaft hatte nun einmal die üble Gewohnheit angenommen, sich auf ihre Regierung zu verlassen, daher die Sucht nach Staatsstellen, die Vermehrung der Aemter bis ins Unendliche und die Verdorbenheit der vorigen Staatsverwaltung. (Monarchie.) Die Republik darf diesen Mißbrauch nicht fortdulden. Die Regierung muß mit gutem Beispiel vorangehen. Was unsere Beziehungen zum Auslande betrifft, so legen uns die Verwickelungen, welche von allen Seiten ausbrechen, gewissen Rückhalt (reserve) auf, Sie begreifen dies. Wir sind entschlossen, das Wort Frankreichs nicht leichtsinnig zu geben, aber wir versichern Ihnen, daß die Nationalehre den ersten Platz in unsern Beschlüssen erhalten wird. (Beifall zur Rechten.) Wir werden kein Interesse Frankreichs vernachlässigen. Die Volkswahl vom 10. Decbr. hat eine immense moralische Macht in die Hände der Regierung gelegt. Wir werden davon Gebrauch machen. Wir rechnen auf Ihren Beistand, um unsere Pflicht zu erfüllen. (Beifall zur Rechten.) Einige Agitation im Saale. Ledru Rollin, nachdem sich die Bewegung gelegt, erscheint auf der Buhne und klagt die Minister an, daß sie in die Hände eines einzigen Mannes, des Generals Changarnier, den Befehl über 2 bis 3 malhunderttausend Mann Truppen gelegt hätten. (Der B[unleserliches Material]rg applaudirt.) Der Redner schließt mit der Erklärung, daß er durch diese Maaßregel die Freiheit und die Verfassung verletzt sähe. Leon de Maleville, Minister des Innern, erwidert ihm sarkastisch, daß ihn die heutigen Skrupeln des ehemaligen Provisorischen Regierungsgliedes freuten; daß es sie aber nicht immer gehabt hätte. Seiner Ansicht nach, müßten die Militärkräfte in starker Hand concentrirt werden. Allem Anscheine nach wird sich eine immense Mehrheit zu Gunsten des neuen Ministeriums aussprechen. Eine neue große Aufregung folgte der Rede des Ministers des Innern in Widerlegung Ledru Rollins. Charles Dain (vom Berge), eilt auf die Bühne, um Ledru Rollin's Protest gegen die Uebergewalt Changarnier's zu unterstützen. Allein das Haus leiht ihm keine Aufmerksamkeit, auf allen Bänken entspinnen sich Privatunterhaltungen. Marrast schellt und klopft mit dem Papiermesser auf den Büreautisch. Alles vergebens. Dain sehend, daß ihn die Versammlung durchaus nicht hören will, verläßt unter allgemeinem ironischen Beifall die Bühne. Zum Schluß! Zum Schluß! erschallt es von allen Bänken. Degoussee und Ducoux schlagen eine motivirte Tagesordnung vor, deren Text wir jedoch wegen des Geräusches nicht verstehen. Er lautet ungefähr folgendermaßen: "Die National-Versammlung erklärt sich durch die angehörten Erklärungen des Ministeriums, dem General Changarnier auf unbestimmte Zeit den Oberbefehl über Bürgerwehr, Mobilgarde und die erste Militärdivision anvertraut zu haben, zufriedengestellt und geht zur Tagesordnung über." Mehrere Stimmen rufen: Einfache Tagesordnung! Marrast: Der einfachen Tagesordnung gebührt der Vorrang, ich bringe sie zur Abstimmung. Es erhebbt sich fast die ganze Versammlung dafür. Mithin ist die einfache Tagesordnung angenommen und das Interesse der Sitzung erledigt. Starke Gruppen bilden sich um die Ministerbänke. Man gratulirt ihnen zu Ihrem Siege. Marrast verliest mehrere Kreditvorlagen für Polizeidienste etc. Die Sitzung wird um 5 Uhr weniger zehn Minuten aufgehoben. Italien. * Ein Livorneser Journal vom 19. Dec.bringt die (wenn sie wahr ist) äußerst wichtige, ihm angeblich so eben mit einem Dampfschiff zugekommene Nachricht, das römische Ministerium habe in Masse abgedankt. Bestätigt sich dieselbe, so kann sie nur die Vorläuferin der Republik zu Rom sein. Die römischen Zeitungen vom 16. lassen beide Ereignisse, die Abdankung des Ministeriums und die Ausrufung der Republik, vorempfinden. Der "Conte[unleserliches Material]poranev" sagt: Warum ist die römische Constituante noch nicht berufen? Es ist unmöglich, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge andauert. Ohne einen freisinnigen Papst oder eine Republik kann Rom nun und nimmer wahrhaft groß werden. Die provisorische Regierung und die Constituante können uns beide nur zur Republik führen. Die Situation läßt sich etwa so resumiren: Das römische Volk wolle die Unabhängigkeit und die Freiheit, und in wenig Tagen wird es das Pabstthum an der Spitze der Demokratie oder die Demokratie ohne das Pabstthum haben. Auch der Circolo Popolare hat einen Erlaß veröffentlicht, worin er als einziges Mittel gegen den augenblicklichen Zwischenzustand und die Anarchie, welche demselben unfehlbar entspringen müsse, die schleunigste Berufung einer aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangenen Constituante empfiehlt. Der geheime Ausschuß von Parma, Piacenza, Modena und Reggio hat an die Einwohner dieser Herzogthümer eine Proklamation erlassen, worin er sie einladet, sich bereit zu halten. Diese Proklamation, welche die nahe bevorstehende Erneuerung der Feindseligkeiten durch Karl Albert als gewiß hinstellt, schließt mit den Worten: Die Bevölkerung von Rom, von Neapel, von Toskana wird sich auf Oestreich stürzen; aber sobald der Kampf beginnen wird, ist es eure Sache, den Andern zu zeigen, wie man sein Vaterland liebt, wie man sich schlägt und wie man triumphirt. Die gestern als Gerücht von uns gegebene Nachricht von der Einnahme von Malghera durch die Oesterreicher hat sich als falsch erwiesen. Zu Genna fand am 19. eine imposante Demonstration zu Ehren des neuen Ministeriums und des zu Genna anwesenden Ministers Buffa statt. Ueber Reichkommissaire. Herr Simson, Tribunalsrath, Professor, Vicepräsident der deutschen Nationalversammlung und Reichskommissair, eine Aemterkumulation in einer Person, die den vielseitigen Talenten des Mannes entspricht, hat in Berlin vorzüglich eine Eigentschaft entwickelt, die überhaupt der zweiten Klasse der Reichskommissaire, nämlich den ohnmächtigen, eigenthümlich zu sein scheint: er ward beständig perplex. Herr Simson lud mit jener edlen Würde, die er in Gagern kennen lernte und seitdem nach Kräften kopirt, die verschiedenen Fraktionen der in Berlin forttagenden Nationalversammlung zu einer Besprechung ein. Die verschiedenen Fraktionen wählten durch Stimmzettel, eine jede drei Deputirte. Unter den Gewählten befanden sich auch Jakoby und Kosch. Der geistvolle Reichskommissair erklärte den Versammelten, er werde nunmehr vermitteln, und -- falls dies nicht gelänge, entscheiden. Nach diesen Worten entstand große Unruhe, und man fragte den bescheidenen Redner, wie dies zu verstehen sei. Herr Simson ward hier zum ersten Male perplex und sagte, er meine damit, er würde, falls die Vermittelung mißlinge, an die öffentliche Meinung in Deutschland appelliren, die doch hoffentlich auch noch eine Macht sei. Welch' schnelle Metamorphose! So wird der Sturm, der eben noch getost, Die Deputirten der verschiedenen Fraktionen erklärten darauf, sie seien nach einem solchen Eingange zu einem Beschlusse im Namen ihrer Fraktionen nicht bevollmächtigt. Nur Jakoby erklärte im Namen seiner Partei für jeden Fall zu der Antwort bevollmächtigt zu sein, daß sie weder Hrn. Simsons Vermittelung noch Entscheidung wolle. Uebrigens muß ich Dir erklären, sagte hierauf gelegentlich Simson an Jakoby gewendet, daß unsere politischen Ansichten einander diametral entgegengesetzt sind. Gottlob, Simson, antwortete Jakoby ruhig. Herr Simson ward hierauf zum zweiten Male perplex. Kosch fragte daranf Herrn Simson, ob er nicht über die Angelegenheit der Nationalversammlung schon mit dem Minister-Präsidenten, Graf Brandenburg, konferirt habe, und auf Simsons Bejahen, was denn dieser zu der aufgestellten Alternative, Vermitteln oder Entscheiden gesagt habe. Hier ward Herr Simson zum dritten Male perplex. Die Thätigkeit des Herrn Simson als Reichskommissair in Berlin scheint demnach ganz jenem Titelblatte einer juridischen Abhandlung zu gleichen, da er dereinst vor einem Decennium zum Jubiläum eines Tribunalsrath denselben mit einer Dedikation überraschte, während der Jubilar und die Welt auf die Broschüre selbst heute noch vergeblich warten. (R. K. Z.)Handelsnachrichten. [irrelevantes Material]
Ehren der Wiener Freiheitsmärtyrer abgehaltenen französischen Todtenfeier hieselbst, vorbereitete großartige Bankett der Sozialdemokraten beider Nationen im großen Saale der associirten Köche, unsern des Bahnhofes nach Versailles, seinen erwünschtesten Ausgang. Das aus Franzosen und Deutschen (Albert Maurain, Journalist, Legier, französ. Arbeiter, Appuhn, Ewerbeck u. s. w.) bestehende Comité hatte an die Montagne, die demokratischen Blätter, die demokratischen Comité's fremder Nationen, die Klubs Montesquieu und Arbalete, die Arbeiterassoziationen u. s. w. Billete und Invitationen vertheilt. Den Saal schmückten die beiden Fahnen, und rings auf den Wänden die Namen: L. Blanc, Blanqui, Barbes, Robert Blnm, O'Brien, Messenhauser, Canssidiere, Albert, Raspail. Die Mehrzahl bestand aus Ouvriers beider Nationen, doch waren auch sehr viele sonstige Beschäftigungen vertreten. Es fanden sich auch an dreißig Bürgerinnen ein, z. B. Madame Adele Equiros, welche ihren Toast dem Comité vorher eingesandt hatte und der von B. Maurain unter großem Beifalle verlesen ward: „auf die Emancipation des gesamten menschlichen Geschlechtes.“ Equiros selbst, dieser wackere Freiheitsheld, muß seit Juni sich verborgen halten. B. Legier sprach:„ auf ein demokratisch-soziales Deutschland“ und B. Appuhn erwiderte: „auf ein demokratisch-soziales Frankreich.“ B. Ewerbeck:„auf intellektuelle, moralische, materielle Verbindung Frankreich's mit Deutschland;“ B. Hervé, Präsident des Revolutionsklub im Saal Montesquieu: „auf unsre germanischen Brüder;“ B. Kowalski, polnischer Student, auf Einigung Deutschland's und Frankreich's mit Polen.“ B. Rufoni, (Sekretär des demokratisch-italienischen Comité's und Korrespondent Mazzini's, mit dem er in Mailand die jetzt in Florenz von Mazzini wieder projektirte „Italia del Popolo“ geschrieben hatte) sprach einen Protest gegen die Invasion Frankreichs, im Bunde mit Neapel und Ollmütz, wodurch Meister Thiers den Pabst und die vierundvierzig Kardinäle wieder installiren will; B. Schmitz, deutscher Arbeiter, sprach über die Nothwendigkeit einer energischeren Propaganda als bisher; Kapp sprach einen Toast auf die Revolution; A. Mauvain auf die Amnestie der Junimänner, die (beiläufig bemerkt, an Zahl dreitausend dreihundert und nicht 10,000,) welche in den Schiffen systematisch krank gemacht werden, damit sie, begnadigt, nicht mehr „viel schaden“ können, so daß die zu Galeeren verurtheilten zu beneiden sind. Die französischen Gedichtdeklamatoren und die Sängerchöre der deutschen Arbeiter trugen ungemein viel zur Verschönerung des Festes bei; man sammelte für die Junimänner, und ging, die Marseillaise singend, nach vierstündiger Sitzung auseinander. Aehnliche Bankette organisiren sich jetzt für jeden Sonntag auf den Barrieren. Gestern war im Valentino das Bankett sozialdemokratischer Frauen; es hatte mehr poetisch-religiöse Färbung; Simon Bernard sprach „auf Frankreich, den Weltheiland,“ Hervé „auf St. Just, den Freiheitsmärtyrer des vorigen Jahrhunderts,“ mehrere Mädchen „auf Weihnachten und Christus,“ „auf die Religion“ u. s. w. Im Wintergarten endlich fand ein Abendfest „der Gleichheit“ statt, wo die deutschen Arbeiter-Sänger mit der deutschen Fahne mitwirkten und mit Hurrah empfangen wurden. — Ein schätzbarer Vorschlag ward von Dr. med. Küntzli, einem Schweizer der viele Felddienste gethan, der Kammer gemacht. In Paris solle eine spezielle Sanitätsabtheilung im Ministerium des Innern errichtet werden. Ein pariser Centralrath, zwölf Mitglieder vom Minister (darunter sechs Aerzte, sechs Nichtärzte) zu ernennen; in jedem Departementshauptort einer von sechs, in dem Bezirkshauptort einer von drei Mitgliedern, die mit dem Centralrath unaufhörlich korrespondiren, über Spitäler und sonstige Heilanstalten die Aufsicht führen, den Gratisdienst bei den unbemittelten Patienten organisiren u. s. w. Die „Revolution Democratique“ spendet das gebührende Lob, bemerkt aber, daß unfehlbar auch dieser Vorschlag in den Bleikammern der Kammerkommissionen à la Louis Philipp erwürgt und eingesargt werden würde, da „Frankreichs Republik ja mit vollen Segeln auf dem todten Meer der verstocktesten Königthümelei umherfährt.“ Die „Republik in Gefahr“, ein Hymnus von Louis Festivau, wird unter ungeheurer Sensation bei jedem Bankett vom Verfasser gesungen und Alles stimmt in den Refrain: „Republikauer! Republikaner! rettet, rettet die Republik!“(républicains, républicains, sauvez la république); Girardin wird darin als „Trichardin“ d. h. Betrüger und Fälscher, dargestellt, die Goldverscharrer als Vaterlandsverräther, die Minister aus der Thiers-Barrotschen Klike als Judas Ischarioths, und an das Proletariat appelliert. Das Lied „Vaterland in Trauer“ von Lemoyue elektrisirt die Zuhörer durch Strophen wie: „Einst zogen Frankreichs Söhne, die Söhne der ersten Republik, im Sturm herbei wenn das feindliche Europu auf germanischem Boden sich zum Kampfe stellte und alle wuthheulenden Könige von Gottes Gnaden mit ihren abgerichteten Gardeknechten losfuhren, ha, diese Könige schlug unsre erste Republik sämmtlich nieder, ha diese Könige brüllten und ächzten und winselten, und krochen zitternd auf den sonst so steifen Knieen und flehten um Gnade unsere erste Republik an.“ — Und so ist es; der heilige Haß glüht in unlöschlichem Feuer; die Legitimistensippschaft und die Finanzbande werden dem Gerichte des Volkes nimmer entrinnen. „Die ketzigen Kavaliere von der schneeweißen bourbonischen Lilie, diese miserabeln Träbern des Orleanismus de anno 1720 und des Koblenzerthums de anno 1796, geistig und moralisch wurmstichige Verführer und Kartenschläger, windige Junker, die auf der Börse spielen um Abends bei den Operndamen den Matador zu spielen; diese literarischen Verhöhner des Arbeitsrechts werden sich nie zur Vernunft bekehren; St. Just hat ganz richtig prophezeit. In Orleans haben sie 1815 einen Musikdirektor vor's Gericht geschleppt und kassirt, weil er angeblich, während der von ihnen auf offenem Markt bewerkstelligten Prozession und Zertrümmerung Napoleonischer Brustbilder, ein nicht hinlänglich heiteres Musikstück hatte ausführen lassen. Demokraten von 1848! ihr wißt was der weiße Schrecken war, den sie über uns damals brachten; wenn wir noch einmal den rothen organisiren müssen, so sei er definitiv.… Uebrigens ist nichts einfacher als diese Alternative: entweder sie oder wir. Oder meint ihr, sie hätten von ihrer damaligen kanibalischen Wüstheit etwas verloren? Damals liefen sie, als Nationalgarden in Orleans, Sturm gegen Napoleon's Bildsäulen von Marmor und Gips, zerbrachen mit Bajonetstößen seine Porträts, warfen dies in ein Feuer auf den Markt, und die durch Polizeidiener gesammelte Asche in die Loire; der hohe Gerichtshof in scharlachenen Festgewändern und scharlachenen Mützen stand jubilirend dabei. Und dieses Gelichter, was damals: nieder mit dem Menschenwürger Bonaparte, schrie, schreit heute: hoch der Präsident Bonaparte. Wehe dem Demokraten, der das Gedächtniß verlöre. (Citoyen de Dijon.) Zum Schluß eine kleine Hanswurstiade: Alexander Weill kündigt sein neuestes Musenprodukt im „Corsaire“ (dem bekannten Schandblatt, woran er mit arbeitet) an wie folgt: „Ehre den edeln Seelen, den Mannesherzen, den muthigen Gemüthern (man denke sich den p. p. Weill mit diesen 3 Qualitäten behaftet:) die Frankreich aus dem Abgrunde retten, worin es seit Februar durch eine Minorität gestürzt ist. …“ Unter diesen kühnen Vertheidigern unserer Unabhängigkeit ist A. Weill zu nennen, der, wie er selber eingesteht, einst im Jugendsturme seines unerfahrenen Lebens revolutionär gesinnt, dann aber bald erkannte, daß dies Wort: Revolution, nur deshalb so tönend sei, weil e[unleserliches Material] hohl. Weill hat am Tage des Sieges mit Fug die sogen. demokratische Sache verlassen und eingesehen, daß unter der Herrschaft der Minorität Frankreich zu Anarchie und Despotie gelange:“. Die neue Broschüre des Herrn Weill räth dem Präsidenten, die Kammer — zu entlassen; das ist des Pudels Kern, und der Herr Weill, dieser „aufrichtige Gegner des droit au travail“, wie er sich selber zu nennen beliebt, hat jedenfalls wieder klingende, blanke Gründe dazu, sowie zu den Notizen, die er an Girardin's „La Presse“ über Deutschland liefert, z. B. in der gestrigen Nummer: „Der Berliner Polizeipräsident publizirt ein Reskript, um eine Untersuchung gegen alle Justizbeamte einzuleiten, die aus Feigheit oder aus Vorsatz nicht pflichtgetreu gegen die Anarchie im Moment der Gefahr auftraten, und wovon sich, seit dem Verschwinden derselben, einige sehr muthvoll zeigen. Alle diese Beamte werden abgesetzt und als incapacités bezeichnet werden.“ In einer frühern Nummer wurden der deutschen Polizei weise Winke ertheilt. Gegenüber dieser Fäulniß ruft „Demokrate constituant“ in Toulouse: „Laßt es nur wirbeln, dies elende Geschmeiß, wir zünden einst ein Feuer an, daß sie sammt der Brut ersticken, und wer überlebt, den stoßen wir mit Fußtritten dermaleinst durch die ganze Republik bis unter den Galgen; diese Girardin's, diese Cassagnac's, diese Delamare's (Besitzer der „Patrie“), diese Birmaitre's (vom „Corsaire“) werden ein Ende mit Heulen und Zähneklappern nehmen, denn das nächste Mal, da treten wir auf wie 1793.“ Paris, 26. Dezbr. Der Moniteur ist heute nicht erschienen. Ebenso fehlen La Presse, L'Union, die alte Gazette, Assemblée Nationale und einige andere weltbeglückende obscure Blätter. Auch der Proudhon'sche Peuple macht heute — wahrscheinlich aus ökonomischen Gründen einen Feiertag. — Die englischen und italienischen Posten sind (bis Mittag) ausgeblieben. Wir befinden uns daher ohne Depeschen aus Rom und Turin. Ein undurchdringlicher und höchst ungesunder Nebel lagert über Paris und dem Seinethale, der alle telegraphische Verbindung unmöglich macht. — Das Journal des Debats findet die heutige politische Lage Frankreichs genau wie vor dem Februar 1848 und es scheint, als ob Herr Bertin eine neue Explosion fürchte. — Heute also legt Hr. Barrot sein großes politisches Programm unter Augen der Nationalversammlung. Ebenso vernehmen wir so eben (12 1/2 Uhr) daß das Ministerium wegen der Ernennung des Marschalls Bugeaud zum Oberbefehlshaber der Alpenarmee, so wie des dreifachen Kommandos des Generals Changarnier halber scharf interpellirt werden soll. — Guizot's von uns schon früher angekündigtes Buch: La Democratie en France, ist so eben im Buchhandel erschienen. Wir werden wohl Gelegenheit finden, dasselbe zu lesen und kommen später darauf zurück. — Die Kabinetsräthe folgen rasch aufeinander. In dem gestrigen erklärte der Präsident Bonaparte mit vieler Entschiedenheit, daß er auf einer allgemeinen Amnestie bestehe. Die Minister (natürlich mit ihrem Sarastro Thiers im Hintergrunde) widersetzten sich jedoch mit weniger Ausnahme einer allgemeinen Amnestie und es soll zu so heftigen Debatten gekommen sein, daß man heute früh von offenem Bruch im Kabinete sprach. Alle Welt ist darum doppelt auf die National-Versammlung gespannt, die in zwei Stunden nach viertägigen Feiren wieder zusammen tritt. — Lucian, Napoleon Bonaparte, Bruder des obigen Republikaners und jüngst erst von Corsika in die Nationalversammlung gewählt, ist in Paris eingetroffen. — Das Verbrüderungsbanket der deutschen und franz. Demokraten hat gestern stattgefunden. — Nationalversammlung. Sitzung vom 26. Decbr. Anfang 2 Uhr. Präsident Marrast. Die Bänke und Galerien übervoll. Auf allen Gesichtern brennt Neugierde auf das ministerielle Programm und die heftigen Debatten, die sich daran knüpfen dürften. Nach Vorlesung des Protokolls trägt Marrast das Schreiben eines Deputirten der Gironde vor, Namens Lübbert, der seine Demission gibt, weil er das Mandat der Nationalversammlung als beendet betrachtet. An der Tagesordnung steht zunächst die Diskussion über die Frage: ob und wann die Salzsteuer aufgehoben werden könne? Dieser Artikel, der in der Landwirthschaft eine Rolle spielt, bringt jährlich der Staatskasse die Kleinigkeit von 28 Millionen Franken, welche die Regierung anderweitig decken müßte, falls sie ihn verlöre. Arond erhält zuerst das Wort. Ihr wißt, sagt er zu den Bürgervertretern, daß ein Dekret der provisorischen Regierung vom 15. April die Salzsteuer radikal abschaffte. Goudchaur widerrief dasselbe am 28. August und Trouvé Chauvel, Finanzminister, legte der Versammlung ein Dekret vor, das eine Art Uebergangsbrücke von der gänzlichen zur allmäligen Abschaffung schuf. Auf diese Weise wurde der Landwirth hinter das Licht gefuhrt. Der Redner entwickelt dieses Manöver ziemlich weitläufig und tragt unter allgemeiner Unaufmerksamkeit auf gänzliche Abschaffung der Steuer an. (Unterbrechung.) Hier besteigt der Conseilpräsident und Justizminister Odilon Barrot die Bühne, um das heißerwartete Programm vorzulesen. Odilon Barrot: (Stille) Bürger! Sie vernahmen dieser Tage eine Rede des Präsidenten der Republik. Der Gedanke dieser Rede ist der unsrige. Wir nehmen in Rücksicht auf das Land dieselbe Verpflichtung über uns. Sie erwarten von uns keine Erörterung der Lage der Republik. Wir sind noch zu kurze Zeit an der Staatsgewalt. Was wir Ihnen schulden, ist eine Auseinandersetzung unserer Grundsätze, die bei Bildung des Kabinets vorwaltete. Unser Ursprung ist verschieden, aber die Volkswahl vom 10. Decbr. gab ein Streben nach Einigkeit Aller kund. Es wäre unklug, einem solchen Streben zu widerstreben; dasselbe bezeichnet die Sehnsucht nach materieller und moralischer Ordnung. Man will Ordnung auf der Straße (place publique) und in der Staatsverwaltung. Die republikanische Regierungsform kann sich so lange nicht festsetzen, als die revolutionäre Periode nicht definitiv geschlossen. (Beifall zur Rechten.) Wir wollen daher selbst den Gedanken zur Unordnung entmuthigen. (Nous voulons decourager jusqu' à la pensée du desordre.) Das wird das letzte Mittel sein, die Bestrafung des Uebels selbst zu verhüten, welche immer beklagenswerth ist. Nach so vieler Agitation, welche die Gesellschaft bis in ihre Grundfeste erschutterten, fühlt Jeder das Bedürfniß, die nächste Zukunft zu sichern (assurer le lendemain). Diese Conformität der Ideen wird die Arbeit befruchten, Vertrauen und Kredit wieder hervorrufen. Schon sind günstige Zeichen vorhanden, Hoffnungen zeigen sich und man glaubt an deren Erfüllung. (Zweideutige Bewegung im Saale.) Wie der Privatverkehr, so hat auch der Staaatshaushalt bedeutend gelitten; die öffentlichen Hilfsquellen sind sehr angegriffen und erschöpft. Der Schatz hat Verbindlichkeiten eingehen müssen. Man muß sie lösen und alle Verbindlichkeiten erfüllen. Das Kabinet hat sich dieser wichtigen Mission hingegeben. Wir wollen keineswegs, daß der Staat seine Hand von den Wohlthaten zurück ziehe, die er begonnen. Die Staatsgesellschaft hatte nun einmal die üble Gewohnheit angenommen, sich auf ihre Regierung zu verlassen, daher die Sucht nach Staatsstellen, die Vermehrung der Aemter bis ins Unendliche und die Verdorbenheit der vorigen Staatsverwaltung. (Monarchie.) Die Republik darf diesen Mißbrauch nicht fortdulden. Die Regierung muß mit gutem Beispiel vorangehen. Was unsere Beziehungen zum Auslande betrifft, so legen uns die Verwickelungen, welche von allen Seiten ausbrechen, gewissen Rückhalt (reserve) auf, Sie begreifen dies. Wir sind entschlossen, das Wort Frankreichs nicht leichtsinnig zu geben, aber wir versichern Ihnen, daß die Nationalehre den ersten Platz in unsern Beschlüssen erhalten wird. (Beifall zur Rechten.) Wir werden kein Interesse Frankreichs vernachlässigen. Die Volkswahl vom 10. Decbr. hat eine immense moralische Macht in die Hände der Regierung gelegt. Wir werden davon Gebrauch machen. Wir rechnen auf Ihren Beistand, um unsere Pflicht zu erfüllen. (Beifall zur Rechten.) Einige Agitation im Saale. Ledru Rollin, nachdem sich die Bewegung gelegt, erscheint auf der Buhne und klagt die Minister an, daß sie in die Hände eines einzigen Mannes, des Generals Changarnier, den Befehl über 2 bis 3 malhunderttausend Mann Truppen gelegt hätten. (Der B[unleserliches Material]rg applaudirt.) Der Redner schließt mit der Erklärung, daß er durch diese Maaßregel die Freiheit und die Verfassung verletzt sähe. Leon de Maleville, Minister des Innern, erwidert ihm sarkastisch, daß ihn die heutigen Skrupeln des ehemaligen Provisorischen Regierungsgliedes freuten; daß es sie aber nicht immer gehabt hätte. Seiner Ansicht nach, müßten die Militärkräfte in starker Hand concentrirt werden. Allem Anscheine nach wird sich eine immense Mehrheit zu Gunsten des neuen Ministeriums aussprechen. Eine neue große Aufregung folgte der Rede des Ministers des Innern in Widerlegung Ledru Rollins. Charles Dain (vom Berge), eilt auf die Bühne, um Ledru Rollin's Protest gegen die Uebergewalt Changarnier's zu unterstützen. Allein das Haus leiht ihm keine Aufmerksamkeit, auf allen Bänken entspinnen sich Privatunterhaltungen. Marrast schellt und klopft mit dem Papiermesser auf den Büreautisch. Alles vergebens. Dain sehend, daß ihn die Versammlung durchaus nicht hören will, verläßt unter allgemeinem ironischen Beifall die Bühne. Zum Schluß! Zum Schluß! erschallt es von allen Bänken. Degoussée und Ducoux schlagen eine motivirte Tagesordnung vor, deren Text wir jedoch wegen des Geräusches nicht verstehen. Er lautet ungefähr folgendermaßen: „Die National-Versammlung erklärt sich durch die angehörten Erklärungen des Ministeriums, dem General Changarnier auf unbestimmte Zeit den Oberbefehl über Bürgerwehr, Mobilgarde und die erste Militärdivision anvertraut zu haben, zufriedengestellt und geht zur Tagesordnung über.“ Mehrere Stimmen rufen: Einfache Tagesordnung! Marrast: Der einfachen Tagesordnung gebührt der Vorrang, ich bringe sie zur Abstimmung. Es erhebbt sich fast die ganze Versammlung dafür. Mithin ist die einfache Tagesordnung angenommen und das Interesse der Sitzung erledigt. Starke Gruppen bilden sich um die Ministerbänke. Man gratulirt ihnen zu Ihrem Siege. Marrast verliest mehrere Kreditvorlagen für Polizeidienste etc. Die Sitzung wird um 5 Uhr weniger zehn Minuten aufgehoben. Italien. * Ein Livorneser Journal vom 19. Dec.bringt die (wenn sie wahr ist) äußerst wichtige, ihm angeblich so eben mit einem Dampfschiff zugekommene Nachricht, das römische Ministerium habe in Masse abgedankt. Bestätigt sich dieselbe, so kann sie nur die Vorläuferin der Republik zu Rom sein. Die römischen Zeitungen vom 16. lassen beide Ereignisse, die Abdankung des Ministeriums und die Ausrufung der Republik, vorempfinden. Der „Conte[unleserliches Material]poranev“ sagt: Warum ist die römische Constituante noch nicht berufen? Es ist unmöglich, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge andauert. Ohne einen freisinnigen Papst oder eine Republik kann Rom nun und nimmer wahrhaft groß werden. Die provisorische Regierung und die Constituante können uns beide nur zur Republik führen. Die Situation läßt sich etwa so resumiren: Das römische Volk wolle die Unabhängigkeit und die Freiheit, und in wenig Tagen wird es das Pabstthum an der Spitze der Demokratie oder die Demokratie ohne das Pabstthum haben. Auch der Circolo Popolare hat einen Erlaß veröffentlicht, worin er als einziges Mittel gegen den augenblicklichen Zwischenzustand und die Anarchie, welche demselben unfehlbar entspringen müsse, die schleunigste Berufung einer aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangenen Constituante empfiehlt. Der geheime Ausschuß von Parma, Piacenza, Modena und Reggio hat an die Einwohner dieser Herzogthümer eine Proklamation erlassen, worin er sie einladet, sich bereit zu halten. Diese Proklamation, welche die nahe bevorstehende Erneuerung der Feindseligkeiten durch Karl Albert als gewiß hinstellt, schließt mit den Worten: Die Bevölkerung von Rom, von Neapel, von Toskana wird sich auf Oestreich stürzen; aber sobald der Kampf beginnen wird, ist es eure Sache, den Andern zu zeigen, wie man sein Vaterland liebt, wie man sich schlägt und wie man triumphirt. Die gestern als Gerücht von uns gegebene Nachricht von der Einnahme von Malghera durch die Oesterreicher hat sich als falsch erwiesen. Zu Genna fand am 19. eine imposante Demonstration zu Ehren des neuen Ministeriums und des zu Genna anwesenden Ministers Buffa statt. Ueber Reichkommissaire. Herr Simson, Tribunalsrath, Professor, Vicepräsident der deutschen Nationalversammlung und Reichskommissair, eine Aemterkumulation in einer Person, die den vielseitigen Talenten des Mannes entspricht, hat in Berlin vorzüglich eine Eigentschaft entwickelt, die überhaupt der zweiten Klasse der Reichskommissaire, nämlich den ohnmächtigen, eigenthümlich zu sein scheint: er ward beständig perplex. Herr Simson lud mit jener edlen Würde, die er in Gagern kennen lernte und seitdem nach Kräften kopirt, die verschiedenen Fraktionen der in Berlin forttagenden Nationalversammlung zu einer Besprechung ein. Die verschiedenen Fraktionen wählten durch Stimmzettel, eine jede drei Deputirte. Unter den Gewählten befanden sich auch Jakoby und Kosch. Der geistvolle Reichskommissair erklärte den Versammelten, er werde nunmehr vermitteln, und — falls dies nicht gelänge, entscheiden. Nach diesen Worten entstand große Unruhe, und man fragte den bescheidenen Redner, wie dies zu verstehen sei. Herr Simson ward hier zum ersten Male perplex und sagte, er meine damit, er würde, falls die Vermittelung mißlinge, an die öffentliche Meinung in Deutschland appelliren, die doch hoffentlich auch noch eine Macht sei. Welch' schnelle Metamorphose! So wird der Sturm, der eben noch getost, Die Deputirten der verschiedenen Fraktionen erklärten darauf, sie seien nach einem solchen Eingange zu einem Beschlusse im Namen ihrer Fraktionen nicht bevollmächtigt. Nur Jakoby erklärte im Namen seiner Partei für jeden Fall zu der Antwort bevollmächtigt zu sein, daß sie weder Hrn. Simsons Vermittelung noch Entscheidung wolle. Uebrigens muß ich Dir erklären, sagte hierauf gelegentlich Simson an Jakoby gewendet, daß unsere politischen Ansichten einander diametral entgegengesetzt sind. Gottlob, Simson, antwortete Jakoby ruhig. Herr Simson ward hierauf zum zweiten Male perplex. Kosch fragte daranf Herrn Simson, ob er nicht über die Angelegenheit der Nationalversammlung schon mit dem Minister-Präsidenten, Graf Brandenburg, konferirt habe, und auf Simsons Bejahen, was denn dieser zu der aufgestellten Alternative, Vermitteln oder Entscheiden gesagt habe. Hier ward Herr Simson zum dritten Male perplex. Die Thätigkeit des Herrn Simson als Reichskommissair in Berlin scheint demnach ganz jenem Titelblatte einer juridischen Abhandlung zu gleichen, da er dereinst vor einem Decennium zum Jubiläum eines Tribunalsrath denselben mit einer Dedikation überraschte, während der Jubilar und die Welt auf die Broschüre selbst heute noch vergeblich warten. (R. K. Z.)Handelsnachrichten. [irrelevantes Material]
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="ar181b_009" type="jArticle"> <p><pb facs="#f0002" n="0978"/> Ehren der Wiener Freiheitsmärtyrer abgehaltenen französischen Todtenfeier hieselbst, vorbereitete großartige Bankett der Sozialdemokraten beider Nationen im großen Saale der associirten Köche, unsern des Bahnhofes nach Versailles, seinen erwünschtesten Ausgang. Das aus Franzosen und Deutschen (Albert Maurain, Journalist, Legier, französ. Arbeiter, Appuhn, Ewerbeck u. s. w.) bestehende Comité hatte an die Montagne, die demokratischen Blätter, die demokratischen Comité's fremder Nationen, die Klubs Montesquieu und Arbalete, die Arbeiterassoziationen u. s. w. Billete und Invitationen vertheilt. Den Saal schmückten die beiden Fahnen, und rings auf den Wänden die Namen: L. Blanc, Blanqui, Barbes, Robert Blnm, O'Brien, Messenhauser, Canssidiere, Albert, Raspail. Die Mehrzahl bestand aus Ouvriers beider Nationen, doch waren auch sehr viele sonstige Beschäftigungen vertreten. Es fanden sich auch an dreißig Bürgerinnen ein, z. B. Madame Adele Equiros, welche ihren Toast dem Comité vorher eingesandt hatte und der von B. Maurain unter großem Beifalle verlesen ward: „auf die Emancipation des gesamten menschlichen Geschlechtes.“ Equiros selbst, dieser wackere Freiheitsheld, muß seit Juni sich verborgen halten. B. Legier sprach:„ auf ein demokratisch-soziales Deutschland“ und B. Appuhn erwiderte: „auf ein demokratisch-soziales Frankreich.“ B. Ewerbeck:„auf intellektuelle, moralische, materielle Verbindung Frankreich's mit Deutschland;“ B. Hervé, Präsident des Revolutionsklub im Saal Montesquieu: „auf unsre germanischen Brüder;“ B. Kowalski, polnischer Student, auf Einigung Deutschland's und Frankreich's mit Polen.“</p> <p>B. Rufoni, (Sekretär des demokratisch-italienischen Comité's und Korrespondent Mazzini's, mit dem er in Mailand die jetzt in Florenz von Mazzini wieder projektirte „Italia del Popolo“ geschrieben hatte) sprach einen Protest gegen die Invasion Frankreichs, im Bunde mit Neapel und Ollmütz, wodurch Meister Thiers den Pabst und die vierundvierzig Kardinäle wieder installiren will; B. Schmitz, deutscher Arbeiter, sprach über die Nothwendigkeit einer energischeren Propaganda als bisher; Kapp sprach einen Toast auf die Revolution; A. Mauvain auf die Amnestie der Junimänner, die (beiläufig bemerkt, an Zahl dreitausend dreihundert und nicht 10,000,) welche in den Schiffen systematisch krank gemacht werden, damit sie, begnadigt, nicht mehr „viel schaden“ können, so daß die zu Galeeren verurtheilten zu beneiden sind. Die französischen Gedichtdeklamatoren und die Sängerchöre der deutschen Arbeiter trugen ungemein viel zur Verschönerung des Festes bei; man sammelte für die Junimänner, und ging, die Marseillaise singend, nach vierstündiger Sitzung auseinander. Aehnliche Bankette organisiren sich jetzt für jeden Sonntag auf den Barrieren. Gestern war im Valentino das Bankett sozialdemokratischer Frauen; es hatte mehr poetisch-religiöse Färbung; Simon Bernard sprach „auf Frankreich, den Weltheiland,“ Hervé „auf St. Just, den Freiheitsmärtyrer des vorigen Jahrhunderts,“ mehrere Mädchen „auf Weihnachten und Christus,“ „auf die Religion“ u. s. w. Im Wintergarten endlich fand ein Abendfest „der Gleichheit“ statt, wo die deutschen Arbeiter-Sänger mit der deutschen Fahne mitwirkten und mit Hurrah empfangen wurden. — Ein schätzbarer Vorschlag ward von Dr. med. Küntzli, einem Schweizer der viele Felddienste gethan, der Kammer gemacht. In Paris solle eine spezielle Sanitätsabtheilung im Ministerium des Innern errichtet werden. Ein pariser Centralrath, zwölf Mitglieder vom Minister (darunter sechs Aerzte, sechs Nichtärzte) zu ernennen; in jedem Departementshauptort einer von sechs, in dem Bezirkshauptort einer von drei Mitgliedern, die mit dem Centralrath unaufhörlich korrespondiren, über Spitäler und sonstige Heilanstalten die Aufsicht führen, den Gratisdienst bei den unbemittelten Patienten organisiren u. s. w.</p> <p>Die „Revolution Democratique“ spendet das gebührende Lob, bemerkt aber, daß unfehlbar auch dieser Vorschlag in den Bleikammern der Kammerkommissionen à la Louis Philipp erwürgt und eingesargt werden würde, da „Frankreichs Republik ja mit vollen Segeln auf dem todten Meer der verstocktesten Königthümelei umherfährt.“ Die „Republik in Gefahr“, ein Hymnus von Louis Festivau, wird unter ungeheurer Sensation bei jedem Bankett vom Verfasser gesungen und Alles stimmt in den Refrain: „Republikauer! Republikaner! rettet, rettet die Republik!“(républicains, républicains, sauvez la république); Girardin wird darin als „Trichardin“ d. h. Betrüger und Fälscher, dargestellt, die Goldverscharrer als Vaterlandsverräther, die Minister aus der Thiers-Barrotschen Klike als Judas Ischarioths, und an das Proletariat appelliert. Das Lied „Vaterland in Trauer“ von Lemoyue elektrisirt die Zuhörer durch Strophen wie: „Einst zogen Frankreichs Söhne, die Söhne der ersten Republik, im Sturm herbei wenn das feindliche Europu auf germanischem Boden sich zum Kampfe stellte und alle wuthheulenden Könige von Gottes Gnaden mit ihren abgerichteten Gardeknechten losfuhren, ha, diese Könige schlug unsre erste Republik sämmtlich nieder, ha diese Könige brüllten und ächzten und winselten, und krochen zitternd auf den sonst so steifen Knieen und flehten um Gnade unsere erste Republik an.“ —</p> <p>Und so ist es; der heilige Haß glüht in unlöschlichem Feuer; die Legitimistensippschaft und die Finanzbande werden dem Gerichte des Volkes nimmer entrinnen. „Die ketzigen Kavaliere von der schneeweißen bourbonischen Lilie, diese miserabeln Träbern des Orleanismus de anno 1720 und des Koblenzerthums de anno 1796, geistig und moralisch wurmstichige Verführer und Kartenschläger, windige Junker, die auf der Börse spielen um Abends bei den Operndamen den Matador zu spielen; diese literarischen Verhöhner des Arbeitsrechts werden sich nie zur Vernunft bekehren; St. Just hat ganz richtig prophezeit. In Orleans haben sie 1815 einen Musikdirektor vor's Gericht geschleppt und kassirt, weil er angeblich, während der von ihnen auf offenem Markt bewerkstelligten Prozession und Zertrümmerung Napoleonischer Brustbilder, ein <hi rendition="#g">nicht hinlänglich heiteres</hi> Musikstück hatte ausführen lassen. Demokraten von 1848! ihr wißt was der weiße Schrecken war, den sie über uns damals brachten; wenn wir noch einmal den <hi rendition="#g">rothen</hi> organisiren müssen, so sei er <hi rendition="#g">definitiv</hi>.… Uebrigens ist nichts einfacher als diese Alternative: entweder <hi rendition="#g">sie</hi> oder <hi rendition="#g">wir</hi>. Oder meint ihr, sie hätten von ihrer damaligen kanibalischen Wüstheit etwas verloren? Damals liefen sie, als Nationalgarden in Orleans, Sturm gegen Napoleon's Bildsäulen von Marmor und Gips, zerbrachen mit Bajonetstößen seine Porträts, warfen dies in ein Feuer auf den Markt, und die durch Polizeidiener gesammelte Asche in die Loire; der hohe Gerichtshof in scharlachenen Festgewändern und scharlachenen Mützen stand jubilirend dabei. Und dieses Gelichter, was damals: nieder mit dem Menschenwürger Bonaparte, schrie, schreit heute: hoch der Präsident Bonaparte. Wehe dem Demokraten, der das Gedächtniß verlöre. (Citoyen de Dijon.)</p> <p>Zum Schluß eine kleine Hanswurstiade: Alexander Weill kündigt sein neuestes Musenprodukt im „Corsaire“ (dem bekannten Schandblatt, woran er mit arbeitet) an wie folgt: „Ehre den edeln Seelen, den Mannesherzen, den muthigen Gemüthern (man denke sich den p. p. Weill mit diesen 3 Qualitäten behaftet:) die Frankreich aus dem Abgrunde retten, worin es seit Februar durch eine Minorität gestürzt ist. …“ Unter diesen kühnen Vertheidigern unserer Unabhängigkeit ist A. Weill zu nennen, der, wie er selber eingesteht, einst im Jugendsturme seines unerfahrenen Lebens revolutionär gesinnt, dann aber bald erkannte, daß dies Wort: Revolution, nur deshalb so tönend sei, weil e<gap reason="illegible"/> hohl. Weill hat am Tage des Sieges mit Fug die sogen. demokratische Sache verlassen und eingesehen, daß unter der Herrschaft der Minorität Frankreich zu Anarchie und Despotie gelange:“. Die neue Broschüre des Herrn Weill räth dem Präsidenten, die Kammer — zu entlassen; das ist des Pudels Kern, und der Herr Weill, dieser „aufrichtige Gegner des droit au travail“, wie er sich selber zu nennen beliebt, hat jedenfalls wieder klingende, blanke Gründe dazu, sowie zu den Notizen, die er an Girardin's „La Presse“ über Deutschland liefert, z. B. in der gestrigen Nummer: „Der Berliner Polizeipräsident publizirt ein Reskript, um eine Untersuchung gegen alle Justizbeamte einzuleiten, die aus Feigheit oder aus Vorsatz nicht pflichtgetreu gegen die Anarchie im Moment der Gefahr auftraten, und wovon sich, seit dem Verschwinden derselben, einige sehr muthvoll zeigen. Alle diese Beamte werden abgesetzt und als incapacités bezeichnet werden.“ In einer frühern Nummer wurden der deutschen Polizei weise Winke ertheilt. Gegenüber dieser Fäulniß ruft „Demokrate constituant“ in Toulouse: „Laßt es nur wirbeln, dies elende Geschmeiß, wir zünden <hi rendition="#g">einst ein Feuer an</hi>, daß sie sammt der Brut ersticken, und wer überlebt, den stoßen wir mit Fußtritten dermaleinst durch die ganze Republik bis unter den Galgen; diese Girardin's, diese Cassagnac's, diese Delamare's (Besitzer der „Patrie“), diese Birmaitre's (vom „Corsaire“) werden ein Ende mit Heulen und Zähneklappern nehmen, denn das nächste Mal, da treten wir auf wie 1793.“</p> </div> <div xml:id="ar181b_010" type="jArticle"> <head>Paris, 26. Dezbr.</head> <p>Der Moniteur ist heute nicht erschienen. Ebenso fehlen La Presse, L'Union, die alte Gazette, Assemblée Nationale und einige andere weltbeglückende obscure Blätter.</p> <p>Auch der Proudhon'sche Peuple macht heute — wahrscheinlich aus ökonomischen Gründen einen Feiertag.</p> <p>— Die englischen und italienischen Posten sind (bis Mittag) ausgeblieben. Wir befinden uns daher ohne Depeschen aus Rom und Turin. Ein undurchdringlicher und höchst ungesunder Nebel lagert über Paris und dem Seinethale, der alle telegraphische Verbindung unmöglich macht.</p> <p>— Das Journal des Debats findet die heutige politische Lage Frankreichs genau wie vor dem Februar 1848 und es scheint, als ob Herr Bertin eine neue Explosion fürchte.</p> <p>— Heute also legt Hr. Barrot sein großes politisches Programm unter Augen der Nationalversammlung. Ebenso vernehmen wir so eben (12 1/2 Uhr) daß das Ministerium wegen der Ernennung des Marschalls Bugeaud zum Oberbefehlshaber der Alpenarmee, so wie des dreifachen Kommandos des Generals Changarnier halber scharf interpellirt werden soll.</p> <p>— Guizot's von uns schon früher angekündigtes Buch: La Democratie en France, ist so eben im Buchhandel erschienen. Wir werden wohl Gelegenheit finden, dasselbe zu lesen und kommen später darauf zurück.</p> <p>— Die Kabinetsräthe folgen rasch aufeinander. In dem gestrigen erklärte der Präsident Bonaparte mit vieler Entschiedenheit, daß er auf einer allgemeinen Amnestie bestehe. Die Minister (natürlich mit ihrem Sarastro Thiers im Hintergrunde) widersetzten sich jedoch mit weniger Ausnahme einer allgemeinen Amnestie und es soll zu so heftigen Debatten gekommen sein, daß man heute früh von offenem Bruch im Kabinete sprach. Alle Welt ist darum doppelt auf die National-Versammlung gespannt, die in zwei Stunden nach viertägigen Feiren wieder zusammen tritt.</p> <p>— Lucian, Napoleon Bonaparte, Bruder des obigen Republikaners und jüngst erst von Corsika in die Nationalversammlung gewählt, ist in Paris eingetroffen.</p> <p>— Das Verbrüderungsbanket der deutschen und franz. Demokraten hat gestern stattgefunden.</p> <p>— <hi rendition="#g">Nationalversammlung</hi>. Sitzung vom 26. Decbr. Anfang 2 Uhr. Präsident Marrast.</p> <p>Die Bänke und Galerien übervoll. Auf allen Gesichtern brennt Neugierde auf das ministerielle Programm und die heftigen Debatten, die sich daran knüpfen dürften.</p> <p>Nach Vorlesung des Protokolls trägt Marrast das Schreiben eines Deputirten der Gironde vor, Namens Lübbert, der seine Demission gibt, weil er das Mandat der Nationalversammlung als beendet betrachtet.</p> <p>An der Tagesordnung steht zunächst die Diskussion über die Frage: ob und wann die Salzsteuer aufgehoben werden könne? Dieser Artikel, der in der Landwirthschaft eine Rolle spielt, bringt jährlich der Staatskasse die Kleinigkeit von 28 Millionen Franken, welche die Regierung anderweitig decken müßte, falls sie ihn verlöre.</p> <p><hi rendition="#g">Arond</hi> erhält zuerst das Wort. Ihr wißt, sagt er zu den Bürgervertretern, daß ein Dekret der provisorischen Regierung vom 15. April die Salzsteuer radikal abschaffte. Goudchaur widerrief dasselbe am 28. August und Trouvé Chauvel, Finanzminister, legte der Versammlung ein Dekret vor, das eine Art Uebergangsbrücke von der gänzlichen zur allmäligen Abschaffung schuf. Auf diese Weise wurde der Landwirth hinter das Licht gefuhrt. Der Redner entwickelt dieses Manöver ziemlich weitläufig und tragt unter allgemeiner Unaufmerksamkeit auf gänzliche Abschaffung der Steuer an. (Unterbrechung.)</p> <p>Hier besteigt der Conseilpräsident und Justizminister Odilon Barrot die Bühne, um das heißerwartete Programm vorzulesen.</p> <p><hi rendition="#g">Odilon Barrot:</hi> (Stille) Bürger! Sie vernahmen dieser Tage eine Rede des Präsidenten der Republik. Der Gedanke dieser Rede ist der unsrige. Wir nehmen in Rücksicht auf das Land dieselbe Verpflichtung über uns. Sie erwarten von uns keine Erörterung der Lage der Republik. Wir sind noch zu kurze Zeit an der Staatsgewalt. Was wir Ihnen schulden, ist eine Auseinandersetzung unserer Grundsätze, die bei Bildung des Kabinets vorwaltete. Unser Ursprung ist verschieden, aber die Volkswahl vom 10. Decbr. gab ein Streben nach Einigkeit Aller kund. Es wäre unklug, einem solchen Streben zu widerstreben; dasselbe bezeichnet die Sehnsucht nach materieller und moralischer Ordnung. Man will Ordnung auf der Straße (place publique) und in der Staatsverwaltung. Die republikanische Regierungsform kann sich so lange nicht festsetzen, als die revolutionäre Periode nicht definitiv geschlossen. (Beifall zur Rechten.) Wir wollen daher selbst den Gedanken zur Unordnung entmuthigen. (Nous voulons decourager jusqu' à la pensée du desordre.) Das wird das letzte Mittel sein, die Bestrafung des Uebels selbst zu verhüten, welche immer beklagenswerth ist. Nach so vieler Agitation, welche die Gesellschaft bis in ihre Grundfeste erschutterten, fühlt Jeder das Bedürfniß, die nächste Zukunft zu sichern (assurer le lendemain). Diese Conformität der Ideen wird die Arbeit befruchten, Vertrauen und Kredit wieder hervorrufen. Schon sind günstige Zeichen vorhanden, Hoffnungen zeigen sich und man glaubt an deren Erfüllung. (Zweideutige Bewegung im Saale.) Wie der Privatverkehr, so hat auch der Staaatshaushalt bedeutend gelitten; die öffentlichen Hilfsquellen sind sehr angegriffen und erschöpft. Der Schatz hat Verbindlichkeiten eingehen müssen. Man muß sie lösen und alle Verbindlichkeiten erfüllen. Das Kabinet hat sich dieser wichtigen Mission hingegeben. Wir wollen keineswegs, daß der Staat seine Hand von den Wohlthaten zurück ziehe, die er begonnen. Die Staatsgesellschaft hatte nun einmal die üble Gewohnheit angenommen, sich auf ihre Regierung zu verlassen, daher die Sucht nach Staatsstellen, die Vermehrung der Aemter bis ins Unendliche und die Verdorbenheit der vorigen Staatsverwaltung. (Monarchie.) Die Republik darf diesen Mißbrauch nicht fortdulden. Die Regierung muß mit gutem Beispiel vorangehen.</p> <p>Was unsere Beziehungen zum Auslande betrifft, so legen uns die Verwickelungen, welche von allen Seiten ausbrechen, gewissen Rückhalt (reserve) auf, Sie begreifen dies. Wir sind entschlossen, das Wort Frankreichs nicht leichtsinnig zu geben, aber wir versichern Ihnen, daß die Nationalehre den ersten Platz in unsern Beschlüssen erhalten wird. (Beifall zur Rechten.) Wir werden kein Interesse Frankreichs vernachlässigen. Die Volkswahl vom 10. Decbr. hat eine immense moralische Macht in die Hände der Regierung gelegt. Wir werden davon Gebrauch machen. Wir rechnen auf Ihren Beistand, um unsere Pflicht zu erfüllen. (Beifall zur Rechten.)</p> <p>Einige Agitation im Saale.</p> <p><hi rendition="#g">Ledru Rollin,</hi> nachdem sich die Bewegung gelegt, erscheint auf der Buhne und klagt die Minister an, daß sie in die Hände eines einzigen Mannes, des Generals Changarnier, den Befehl über 2 bis 3 malhunderttausend Mann Truppen gelegt hätten.</p> <p>(Der B<gap reason="illegible"/>rg applaudirt.) Der Redner schließt mit der Erklärung, daß er durch diese Maaßregel die Freiheit und die Verfassung verletzt sähe.</p> <p><hi rendition="#g">Leon de Maleville,</hi> Minister des Innern, erwidert ihm sarkastisch, daß ihn die heutigen Skrupeln des ehemaligen Provisorischen Regierungsgliedes freuten; daß es sie aber nicht immer gehabt hätte. Seiner Ansicht nach, müßten die Militärkräfte in starker Hand concentrirt werden.</p> <p>Allem Anscheine nach wird sich eine immense Mehrheit zu Gunsten des neuen Ministeriums aussprechen.</p> <p>Eine neue große Aufregung folgte der Rede des Ministers des Innern in Widerlegung Ledru Rollins.</p> <p><hi rendition="#g">Charles Dain</hi> (vom Berge), eilt auf die Bühne, um Ledru Rollin's Protest gegen die Uebergewalt Changarnier's zu unterstützen.</p> <p>Allein das Haus leiht ihm keine Aufmerksamkeit, auf allen Bänken entspinnen sich Privatunterhaltungen. Marrast schellt und klopft mit dem Papiermesser auf den Büreautisch. Alles vergebens. Dain sehend, daß ihn die Versammlung durchaus nicht hören will, verläßt unter allgemeinem ironischen Beifall die Bühne.</p> <p>Zum Schluß! 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Man gratulirt ihnen zu Ihrem Siege.</p> <p><hi rendition="#g">Marrast</hi> verliest mehrere Kreditvorlagen für Polizeidienste etc.</p> <p>Die Sitzung wird um 5 Uhr weniger zehn Minuten aufgehoben.</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Italien.</head> <div xml:id="ar181b_011" type="jArticle"> <head> <bibl> <author>*</author> </bibl> </head> <p>Ein Livorneser Journal vom 19. Dec.bringt die (wenn sie wahr ist) äußerst wichtige, ihm angeblich so eben mit einem Dampfschiff zugekommene Nachricht, das römische Ministerium habe in Masse abgedankt. Bestätigt sich dieselbe, so kann sie nur die Vorläuferin der Republik zu Rom sein. Die römischen Zeitungen vom 16. lassen beide Ereignisse, die Abdankung des Ministeriums und die Ausrufung der Republik, vorempfinden. Der „Conte<gap reason="illegible"/>poranev“ sagt: Warum ist die römische Constituante noch nicht berufen? Es ist unmöglich, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge andauert. Ohne einen freisinnigen Papst oder eine Republik kann Rom nun und nimmer wahrhaft groß werden. Die provisorische Regierung und die Constituante können uns beide nur zur Republik führen. Die Situation läßt sich etwa so resumiren: Das römische Volk wolle die Unabhängigkeit und die Freiheit, und in wenig Tagen wird es das Pabstthum an der Spitze der Demokratie oder die Demokratie ohne das Pabstthum haben.</p> <p>Auch der Circolo Popolare hat einen Erlaß veröffentlicht, worin er als einziges Mittel gegen den augenblicklichen Zwischenzustand und die Anarchie, welche demselben unfehlbar entspringen müsse, die schleunigste Berufung einer aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangenen Constituante empfiehlt.</p> <p>Der geheime Ausschuß von Parma, Piacenza, Modena und Reggio hat an die Einwohner dieser Herzogthümer eine Proklamation erlassen, worin er sie einladet, <hi rendition="#g">sich bereit zu halten</hi>. Diese Proklamation, welche die nahe bevorstehende Erneuerung der Feindseligkeiten durch Karl Albert als gewiß hinstellt, schließt mit den Worten: Die Bevölkerung von Rom, von Neapel, von Toskana wird sich auf Oestreich stürzen; aber sobald der Kampf beginnen wird, ist es eure Sache, den Andern zu zeigen, wie man sein Vaterland liebt, wie man sich schlägt und wie man triumphirt.</p> <p>Die gestern als Gerücht von uns gegebene Nachricht von der Einnahme von Malghera durch die Oesterreicher hat sich als falsch erwiesen.</p> <p>Zu Genna fand am 19. eine imposante Demonstration zu Ehren des neuen Ministeriums und des zu Genna anwesenden Ministers Buffa statt.</p> </div> <div xml:id="ar181b_012" type="jArticle"> <head>Ueber Reichkommissaire.</head> <p>Herr Simson, Tribunalsrath, Professor, Vicepräsident der deutschen Nationalversammlung und Reichskommissair, eine Aemterkumulation in einer Person, die den vielseitigen Talenten des Mannes entspricht, hat in Berlin vorzüglich eine Eigentschaft entwickelt, die überhaupt der zweiten Klasse der Reichskommissaire, nämlich den ohnmächtigen, eigenthümlich zu sein scheint: er ward beständig perplex.</p> <p>Herr Simson lud mit jener edlen Würde, die er in Gagern kennen lernte und seitdem nach Kräften kopirt, die verschiedenen Fraktionen der in Berlin forttagenden Nationalversammlung zu einer Besprechung ein. Die verschiedenen Fraktionen wählten durch Stimmzettel, eine jede drei Deputirte. Unter den Gewählten befanden sich auch Jakoby und Kosch.</p> <p>Der geistvolle Reichskommissair erklärte den Versammelten, er werde nunmehr vermitteln, und — falls dies nicht gelänge, entscheiden. Nach diesen Worten entstand große Unruhe, und man fragte den bescheidenen Redner, wie dies zu verstehen sei.</p> <p>Herr Simson ward hier zum ersten Male perplex und sagte, er meine damit, er würde, falls die Vermittelung mißlinge, an die öffentliche Meinung in Deutschland appelliren, die doch hoffentlich auch noch eine Macht sei. Welch' schnelle Metamorphose!</p> <p rendition="#et">So wird der Sturm, der eben noch getost,<lb/> Zum sanften Zephyr, der um Blumen säuselt.</p> <p>Die Deputirten der verschiedenen Fraktionen erklärten darauf, sie seien nach einem solchen Eingange zu einem Beschlusse im Namen ihrer Fraktionen nicht bevollmächtigt. Nur Jakoby erklärte im Namen seiner Partei für jeden Fall zu der Antwort bevollmächtigt zu sein, daß sie weder Hrn. Simsons Vermittelung noch Entscheidung wolle.</p> <p>Uebrigens muß ich Dir erklären, sagte hierauf gelegentlich Simson an Jakoby gewendet, daß unsere politischen Ansichten einander diametral entgegengesetzt sind.</p> <p>Gottlob, Simson, antwortete Jakoby ruhig.</p> <p>Herr Simson ward hierauf zum zweiten Male perplex.</p> <p>Kosch fragte daranf Herrn Simson, ob er nicht über die Angelegenheit der Nationalversammlung schon mit dem Minister-Präsidenten, Graf Brandenburg, konferirt habe, und auf Simsons Bejahen, was denn dieser zu der aufgestellten Alternative, Vermitteln oder Entscheiden gesagt habe.</p> <p>Hier ward Herr Simson zum dritten Male perplex.</p> <p>Die Thätigkeit des Herrn Simson als Reichskommissair in Berlin scheint demnach ganz jenem Titelblatte einer juridischen Abhandlung zu gleichen, da er dereinst vor einem Decennium zum Jubiläum eines Tribunalsrath denselben mit einer Dedikation überraschte, während der Jubilar und die Welt auf die Broschüre selbst heute noch vergeblich warten.</p> <bibl>(R. K. Z.)</bibl> </div> </div> <div n="1"> <head>Handelsnachrichten.</head> <gap reason="insignificant"/> </div> </body> </text> </TEI> [0978/0002]
Ehren der Wiener Freiheitsmärtyrer abgehaltenen französischen Todtenfeier hieselbst, vorbereitete großartige Bankett der Sozialdemokraten beider Nationen im großen Saale der associirten Köche, unsern des Bahnhofes nach Versailles, seinen erwünschtesten Ausgang. Das aus Franzosen und Deutschen (Albert Maurain, Journalist, Legier, französ. Arbeiter, Appuhn, Ewerbeck u. s. w.) bestehende Comité hatte an die Montagne, die demokratischen Blätter, die demokratischen Comité's fremder Nationen, die Klubs Montesquieu und Arbalete, die Arbeiterassoziationen u. s. w. Billete und Invitationen vertheilt. Den Saal schmückten die beiden Fahnen, und rings auf den Wänden die Namen: L. Blanc, Blanqui, Barbes, Robert Blnm, O'Brien, Messenhauser, Canssidiere, Albert, Raspail. Die Mehrzahl bestand aus Ouvriers beider Nationen, doch waren auch sehr viele sonstige Beschäftigungen vertreten. Es fanden sich auch an dreißig Bürgerinnen ein, z. B. Madame Adele Equiros, welche ihren Toast dem Comité vorher eingesandt hatte und der von B. Maurain unter großem Beifalle verlesen ward: „auf die Emancipation des gesamten menschlichen Geschlechtes.“ Equiros selbst, dieser wackere Freiheitsheld, muß seit Juni sich verborgen halten. B. Legier sprach:„ auf ein demokratisch-soziales Deutschland“ und B. Appuhn erwiderte: „auf ein demokratisch-soziales Frankreich.“ B. Ewerbeck:„auf intellektuelle, moralische, materielle Verbindung Frankreich's mit Deutschland;“ B. Hervé, Präsident des Revolutionsklub im Saal Montesquieu: „auf unsre germanischen Brüder;“ B. Kowalski, polnischer Student, auf Einigung Deutschland's und Frankreich's mit Polen.“
B. Rufoni, (Sekretär des demokratisch-italienischen Comité's und Korrespondent Mazzini's, mit dem er in Mailand die jetzt in Florenz von Mazzini wieder projektirte „Italia del Popolo“ geschrieben hatte) sprach einen Protest gegen die Invasion Frankreichs, im Bunde mit Neapel und Ollmütz, wodurch Meister Thiers den Pabst und die vierundvierzig Kardinäle wieder installiren will; B. Schmitz, deutscher Arbeiter, sprach über die Nothwendigkeit einer energischeren Propaganda als bisher; Kapp sprach einen Toast auf die Revolution; A. Mauvain auf die Amnestie der Junimänner, die (beiläufig bemerkt, an Zahl dreitausend dreihundert und nicht 10,000,) welche in den Schiffen systematisch krank gemacht werden, damit sie, begnadigt, nicht mehr „viel schaden“ können, so daß die zu Galeeren verurtheilten zu beneiden sind. Die französischen Gedichtdeklamatoren und die Sängerchöre der deutschen Arbeiter trugen ungemein viel zur Verschönerung des Festes bei; man sammelte für die Junimänner, und ging, die Marseillaise singend, nach vierstündiger Sitzung auseinander. Aehnliche Bankette organisiren sich jetzt für jeden Sonntag auf den Barrieren. Gestern war im Valentino das Bankett sozialdemokratischer Frauen; es hatte mehr poetisch-religiöse Färbung; Simon Bernard sprach „auf Frankreich, den Weltheiland,“ Hervé „auf St. Just, den Freiheitsmärtyrer des vorigen Jahrhunderts,“ mehrere Mädchen „auf Weihnachten und Christus,“ „auf die Religion“ u. s. w. Im Wintergarten endlich fand ein Abendfest „der Gleichheit“ statt, wo die deutschen Arbeiter-Sänger mit der deutschen Fahne mitwirkten und mit Hurrah empfangen wurden. — Ein schätzbarer Vorschlag ward von Dr. med. Küntzli, einem Schweizer der viele Felddienste gethan, der Kammer gemacht. In Paris solle eine spezielle Sanitätsabtheilung im Ministerium des Innern errichtet werden. Ein pariser Centralrath, zwölf Mitglieder vom Minister (darunter sechs Aerzte, sechs Nichtärzte) zu ernennen; in jedem Departementshauptort einer von sechs, in dem Bezirkshauptort einer von drei Mitgliedern, die mit dem Centralrath unaufhörlich korrespondiren, über Spitäler und sonstige Heilanstalten die Aufsicht führen, den Gratisdienst bei den unbemittelten Patienten organisiren u. s. w.
Die „Revolution Democratique“ spendet das gebührende Lob, bemerkt aber, daß unfehlbar auch dieser Vorschlag in den Bleikammern der Kammerkommissionen à la Louis Philipp erwürgt und eingesargt werden würde, da „Frankreichs Republik ja mit vollen Segeln auf dem todten Meer der verstocktesten Königthümelei umherfährt.“ Die „Republik in Gefahr“, ein Hymnus von Louis Festivau, wird unter ungeheurer Sensation bei jedem Bankett vom Verfasser gesungen und Alles stimmt in den Refrain: „Republikauer! Republikaner! rettet, rettet die Republik!“(républicains, républicains, sauvez la république); Girardin wird darin als „Trichardin“ d. h. Betrüger und Fälscher, dargestellt, die Goldverscharrer als Vaterlandsverräther, die Minister aus der Thiers-Barrotschen Klike als Judas Ischarioths, und an das Proletariat appelliert. Das Lied „Vaterland in Trauer“ von Lemoyue elektrisirt die Zuhörer durch Strophen wie: „Einst zogen Frankreichs Söhne, die Söhne der ersten Republik, im Sturm herbei wenn das feindliche Europu auf germanischem Boden sich zum Kampfe stellte und alle wuthheulenden Könige von Gottes Gnaden mit ihren abgerichteten Gardeknechten losfuhren, ha, diese Könige schlug unsre erste Republik sämmtlich nieder, ha diese Könige brüllten und ächzten und winselten, und krochen zitternd auf den sonst so steifen Knieen und flehten um Gnade unsere erste Republik an.“ —
Und so ist es; der heilige Haß glüht in unlöschlichem Feuer; die Legitimistensippschaft und die Finanzbande werden dem Gerichte des Volkes nimmer entrinnen. „Die ketzigen Kavaliere von der schneeweißen bourbonischen Lilie, diese miserabeln Träbern des Orleanismus de anno 1720 und des Koblenzerthums de anno 1796, geistig und moralisch wurmstichige Verführer und Kartenschläger, windige Junker, die auf der Börse spielen um Abends bei den Operndamen den Matador zu spielen; diese literarischen Verhöhner des Arbeitsrechts werden sich nie zur Vernunft bekehren; St. Just hat ganz richtig prophezeit. In Orleans haben sie 1815 einen Musikdirektor vor's Gericht geschleppt und kassirt, weil er angeblich, während der von ihnen auf offenem Markt bewerkstelligten Prozession und Zertrümmerung Napoleonischer Brustbilder, ein nicht hinlänglich heiteres Musikstück hatte ausführen lassen. Demokraten von 1848! ihr wißt was der weiße Schrecken war, den sie über uns damals brachten; wenn wir noch einmal den rothen organisiren müssen, so sei er definitiv.… Uebrigens ist nichts einfacher als diese Alternative: entweder sie oder wir. Oder meint ihr, sie hätten von ihrer damaligen kanibalischen Wüstheit etwas verloren? Damals liefen sie, als Nationalgarden in Orleans, Sturm gegen Napoleon's Bildsäulen von Marmor und Gips, zerbrachen mit Bajonetstößen seine Porträts, warfen dies in ein Feuer auf den Markt, und die durch Polizeidiener gesammelte Asche in die Loire; der hohe Gerichtshof in scharlachenen Festgewändern und scharlachenen Mützen stand jubilirend dabei. Und dieses Gelichter, was damals: nieder mit dem Menschenwürger Bonaparte, schrie, schreit heute: hoch der Präsident Bonaparte. Wehe dem Demokraten, der das Gedächtniß verlöre. (Citoyen de Dijon.)
Zum Schluß eine kleine Hanswurstiade: Alexander Weill kündigt sein neuestes Musenprodukt im „Corsaire“ (dem bekannten Schandblatt, woran er mit arbeitet) an wie folgt: „Ehre den edeln Seelen, den Mannesherzen, den muthigen Gemüthern (man denke sich den p. p. Weill mit diesen 3 Qualitäten behaftet:) die Frankreich aus dem Abgrunde retten, worin es seit Februar durch eine Minorität gestürzt ist. …“ Unter diesen kühnen Vertheidigern unserer Unabhängigkeit ist A. Weill zu nennen, der, wie er selber eingesteht, einst im Jugendsturme seines unerfahrenen Lebens revolutionär gesinnt, dann aber bald erkannte, daß dies Wort: Revolution, nur deshalb so tönend sei, weil e_ hohl. Weill hat am Tage des Sieges mit Fug die sogen. demokratische Sache verlassen und eingesehen, daß unter der Herrschaft der Minorität Frankreich zu Anarchie und Despotie gelange:“. Die neue Broschüre des Herrn Weill räth dem Präsidenten, die Kammer — zu entlassen; das ist des Pudels Kern, und der Herr Weill, dieser „aufrichtige Gegner des droit au travail“, wie er sich selber zu nennen beliebt, hat jedenfalls wieder klingende, blanke Gründe dazu, sowie zu den Notizen, die er an Girardin's „La Presse“ über Deutschland liefert, z. B. in der gestrigen Nummer: „Der Berliner Polizeipräsident publizirt ein Reskript, um eine Untersuchung gegen alle Justizbeamte einzuleiten, die aus Feigheit oder aus Vorsatz nicht pflichtgetreu gegen die Anarchie im Moment der Gefahr auftraten, und wovon sich, seit dem Verschwinden derselben, einige sehr muthvoll zeigen. Alle diese Beamte werden abgesetzt und als incapacités bezeichnet werden.“ In einer frühern Nummer wurden der deutschen Polizei weise Winke ertheilt. Gegenüber dieser Fäulniß ruft „Demokrate constituant“ in Toulouse: „Laßt es nur wirbeln, dies elende Geschmeiß, wir zünden einst ein Feuer an, daß sie sammt der Brut ersticken, und wer überlebt, den stoßen wir mit Fußtritten dermaleinst durch die ganze Republik bis unter den Galgen; diese Girardin's, diese Cassagnac's, diese Delamare's (Besitzer der „Patrie“), diese Birmaitre's (vom „Corsaire“) werden ein Ende mit Heulen und Zähneklappern nehmen, denn das nächste Mal, da treten wir auf wie 1793.“
Paris, 26. Dezbr. Der Moniteur ist heute nicht erschienen. Ebenso fehlen La Presse, L'Union, die alte Gazette, Assemblée Nationale und einige andere weltbeglückende obscure Blätter.
Auch der Proudhon'sche Peuple macht heute — wahrscheinlich aus ökonomischen Gründen einen Feiertag.
— Die englischen und italienischen Posten sind (bis Mittag) ausgeblieben. Wir befinden uns daher ohne Depeschen aus Rom und Turin. Ein undurchdringlicher und höchst ungesunder Nebel lagert über Paris und dem Seinethale, der alle telegraphische Verbindung unmöglich macht.
— Das Journal des Debats findet die heutige politische Lage Frankreichs genau wie vor dem Februar 1848 und es scheint, als ob Herr Bertin eine neue Explosion fürchte.
— Heute also legt Hr. Barrot sein großes politisches Programm unter Augen der Nationalversammlung. Ebenso vernehmen wir so eben (12 1/2 Uhr) daß das Ministerium wegen der Ernennung des Marschalls Bugeaud zum Oberbefehlshaber der Alpenarmee, so wie des dreifachen Kommandos des Generals Changarnier halber scharf interpellirt werden soll.
— Guizot's von uns schon früher angekündigtes Buch: La Democratie en France, ist so eben im Buchhandel erschienen. Wir werden wohl Gelegenheit finden, dasselbe zu lesen und kommen später darauf zurück.
— Die Kabinetsräthe folgen rasch aufeinander. In dem gestrigen erklärte der Präsident Bonaparte mit vieler Entschiedenheit, daß er auf einer allgemeinen Amnestie bestehe. Die Minister (natürlich mit ihrem Sarastro Thiers im Hintergrunde) widersetzten sich jedoch mit weniger Ausnahme einer allgemeinen Amnestie und es soll zu so heftigen Debatten gekommen sein, daß man heute früh von offenem Bruch im Kabinete sprach. Alle Welt ist darum doppelt auf die National-Versammlung gespannt, die in zwei Stunden nach viertägigen Feiren wieder zusammen tritt.
— Lucian, Napoleon Bonaparte, Bruder des obigen Republikaners und jüngst erst von Corsika in die Nationalversammlung gewählt, ist in Paris eingetroffen.
— Das Verbrüderungsbanket der deutschen und franz. Demokraten hat gestern stattgefunden.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 26. Decbr. Anfang 2 Uhr. Präsident Marrast.
Die Bänke und Galerien übervoll. Auf allen Gesichtern brennt Neugierde auf das ministerielle Programm und die heftigen Debatten, die sich daran knüpfen dürften.
Nach Vorlesung des Protokolls trägt Marrast das Schreiben eines Deputirten der Gironde vor, Namens Lübbert, der seine Demission gibt, weil er das Mandat der Nationalversammlung als beendet betrachtet.
An der Tagesordnung steht zunächst die Diskussion über die Frage: ob und wann die Salzsteuer aufgehoben werden könne? Dieser Artikel, der in der Landwirthschaft eine Rolle spielt, bringt jährlich der Staatskasse die Kleinigkeit von 28 Millionen Franken, welche die Regierung anderweitig decken müßte, falls sie ihn verlöre.
Arond erhält zuerst das Wort. Ihr wißt, sagt er zu den Bürgervertretern, daß ein Dekret der provisorischen Regierung vom 15. April die Salzsteuer radikal abschaffte. Goudchaur widerrief dasselbe am 28. August und Trouvé Chauvel, Finanzminister, legte der Versammlung ein Dekret vor, das eine Art Uebergangsbrücke von der gänzlichen zur allmäligen Abschaffung schuf. Auf diese Weise wurde der Landwirth hinter das Licht gefuhrt. Der Redner entwickelt dieses Manöver ziemlich weitläufig und tragt unter allgemeiner Unaufmerksamkeit auf gänzliche Abschaffung der Steuer an. (Unterbrechung.)
Hier besteigt der Conseilpräsident und Justizminister Odilon Barrot die Bühne, um das heißerwartete Programm vorzulesen.
Odilon Barrot: (Stille) Bürger! Sie vernahmen dieser Tage eine Rede des Präsidenten der Republik. Der Gedanke dieser Rede ist der unsrige. Wir nehmen in Rücksicht auf das Land dieselbe Verpflichtung über uns. Sie erwarten von uns keine Erörterung der Lage der Republik. Wir sind noch zu kurze Zeit an der Staatsgewalt. Was wir Ihnen schulden, ist eine Auseinandersetzung unserer Grundsätze, die bei Bildung des Kabinets vorwaltete. Unser Ursprung ist verschieden, aber die Volkswahl vom 10. Decbr. gab ein Streben nach Einigkeit Aller kund. Es wäre unklug, einem solchen Streben zu widerstreben; dasselbe bezeichnet die Sehnsucht nach materieller und moralischer Ordnung. Man will Ordnung auf der Straße (place publique) und in der Staatsverwaltung. Die republikanische Regierungsform kann sich so lange nicht festsetzen, als die revolutionäre Periode nicht definitiv geschlossen. (Beifall zur Rechten.) Wir wollen daher selbst den Gedanken zur Unordnung entmuthigen. (Nous voulons decourager jusqu' à la pensée du desordre.) Das wird das letzte Mittel sein, die Bestrafung des Uebels selbst zu verhüten, welche immer beklagenswerth ist. Nach so vieler Agitation, welche die Gesellschaft bis in ihre Grundfeste erschutterten, fühlt Jeder das Bedürfniß, die nächste Zukunft zu sichern (assurer le lendemain). Diese Conformität der Ideen wird die Arbeit befruchten, Vertrauen und Kredit wieder hervorrufen. Schon sind günstige Zeichen vorhanden, Hoffnungen zeigen sich und man glaubt an deren Erfüllung. (Zweideutige Bewegung im Saale.) Wie der Privatverkehr, so hat auch der Staaatshaushalt bedeutend gelitten; die öffentlichen Hilfsquellen sind sehr angegriffen und erschöpft. Der Schatz hat Verbindlichkeiten eingehen müssen. Man muß sie lösen und alle Verbindlichkeiten erfüllen. Das Kabinet hat sich dieser wichtigen Mission hingegeben. Wir wollen keineswegs, daß der Staat seine Hand von den Wohlthaten zurück ziehe, die er begonnen. Die Staatsgesellschaft hatte nun einmal die üble Gewohnheit angenommen, sich auf ihre Regierung zu verlassen, daher die Sucht nach Staatsstellen, die Vermehrung der Aemter bis ins Unendliche und die Verdorbenheit der vorigen Staatsverwaltung. (Monarchie.) Die Republik darf diesen Mißbrauch nicht fortdulden. Die Regierung muß mit gutem Beispiel vorangehen.
Was unsere Beziehungen zum Auslande betrifft, so legen uns die Verwickelungen, welche von allen Seiten ausbrechen, gewissen Rückhalt (reserve) auf, Sie begreifen dies. Wir sind entschlossen, das Wort Frankreichs nicht leichtsinnig zu geben, aber wir versichern Ihnen, daß die Nationalehre den ersten Platz in unsern Beschlüssen erhalten wird. (Beifall zur Rechten.) Wir werden kein Interesse Frankreichs vernachlässigen. Die Volkswahl vom 10. Decbr. hat eine immense moralische Macht in die Hände der Regierung gelegt. Wir werden davon Gebrauch machen. Wir rechnen auf Ihren Beistand, um unsere Pflicht zu erfüllen. (Beifall zur Rechten.)
Einige Agitation im Saale.
Ledru Rollin, nachdem sich die Bewegung gelegt, erscheint auf der Buhne und klagt die Minister an, daß sie in die Hände eines einzigen Mannes, des Generals Changarnier, den Befehl über 2 bis 3 malhunderttausend Mann Truppen gelegt hätten.
(Der B_ rg applaudirt.) Der Redner schließt mit der Erklärung, daß er durch diese Maaßregel die Freiheit und die Verfassung verletzt sähe.
Leon de Maleville, Minister des Innern, erwidert ihm sarkastisch, daß ihn die heutigen Skrupeln des ehemaligen Provisorischen Regierungsgliedes freuten; daß es sie aber nicht immer gehabt hätte. Seiner Ansicht nach, müßten die Militärkräfte in starker Hand concentrirt werden.
Allem Anscheine nach wird sich eine immense Mehrheit zu Gunsten des neuen Ministeriums aussprechen.
Eine neue große Aufregung folgte der Rede des Ministers des Innern in Widerlegung Ledru Rollins.
Charles Dain (vom Berge), eilt auf die Bühne, um Ledru Rollin's Protest gegen die Uebergewalt Changarnier's zu unterstützen.
Allein das Haus leiht ihm keine Aufmerksamkeit, auf allen Bänken entspinnen sich Privatunterhaltungen. Marrast schellt und klopft mit dem Papiermesser auf den Büreautisch. Alles vergebens. Dain sehend, daß ihn die Versammlung durchaus nicht hören will, verläßt unter allgemeinem ironischen Beifall die Bühne.
Zum Schluß! Zum Schluß! erschallt es von allen Bänken.
Degoussée und Ducoux schlagen eine motivirte Tagesordnung vor, deren Text wir jedoch wegen des Geräusches nicht verstehen. Er lautet ungefähr folgendermaßen:
„Die National-Versammlung erklärt sich durch die angehörten Erklärungen des Ministeriums, dem General Changarnier auf unbestimmte Zeit den Oberbefehl über Bürgerwehr, Mobilgarde und die erste Militärdivision anvertraut zu haben, zufriedengestellt und geht zur Tagesordnung über.“
Mehrere Stimmen rufen: Einfache Tagesordnung!
Marrast: Der einfachen Tagesordnung gebührt der Vorrang, ich bringe sie zur Abstimmung.
Es erhebbt sich fast die ganze Versammlung dafür. Mithin ist die einfache Tagesordnung angenommen und das Interesse der Sitzung erledigt.
Starke Gruppen bilden sich um die Ministerbänke. Man gratulirt ihnen zu Ihrem Siege.
Marrast verliest mehrere Kreditvorlagen für Polizeidienste etc.
Die Sitzung wird um 5 Uhr weniger zehn Minuten aufgehoben.
Italien. * Ein Livorneser Journal vom 19. Dec.bringt die (wenn sie wahr ist) äußerst wichtige, ihm angeblich so eben mit einem Dampfschiff zugekommene Nachricht, das römische Ministerium habe in Masse abgedankt. Bestätigt sich dieselbe, so kann sie nur die Vorläuferin der Republik zu Rom sein. Die römischen Zeitungen vom 16. lassen beide Ereignisse, die Abdankung des Ministeriums und die Ausrufung der Republik, vorempfinden. Der „Conte_ poranev“ sagt: Warum ist die römische Constituante noch nicht berufen? Es ist unmöglich, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge andauert. Ohne einen freisinnigen Papst oder eine Republik kann Rom nun und nimmer wahrhaft groß werden. Die provisorische Regierung und die Constituante können uns beide nur zur Republik führen. Die Situation läßt sich etwa so resumiren: Das römische Volk wolle die Unabhängigkeit und die Freiheit, und in wenig Tagen wird es das Pabstthum an der Spitze der Demokratie oder die Demokratie ohne das Pabstthum haben.
Auch der Circolo Popolare hat einen Erlaß veröffentlicht, worin er als einziges Mittel gegen den augenblicklichen Zwischenzustand und die Anarchie, welche demselben unfehlbar entspringen müsse, die schleunigste Berufung einer aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangenen Constituante empfiehlt.
Der geheime Ausschuß von Parma, Piacenza, Modena und Reggio hat an die Einwohner dieser Herzogthümer eine Proklamation erlassen, worin er sie einladet, sich bereit zu halten. Diese Proklamation, welche die nahe bevorstehende Erneuerung der Feindseligkeiten durch Karl Albert als gewiß hinstellt, schließt mit den Worten: Die Bevölkerung von Rom, von Neapel, von Toskana wird sich auf Oestreich stürzen; aber sobald der Kampf beginnen wird, ist es eure Sache, den Andern zu zeigen, wie man sein Vaterland liebt, wie man sich schlägt und wie man triumphirt.
Die gestern als Gerücht von uns gegebene Nachricht von der Einnahme von Malghera durch die Oesterreicher hat sich als falsch erwiesen.
Zu Genna fand am 19. eine imposante Demonstration zu Ehren des neuen Ministeriums und des zu Genna anwesenden Ministers Buffa statt.
Ueber Reichkommissaire. Herr Simson, Tribunalsrath, Professor, Vicepräsident der deutschen Nationalversammlung und Reichskommissair, eine Aemterkumulation in einer Person, die den vielseitigen Talenten des Mannes entspricht, hat in Berlin vorzüglich eine Eigentschaft entwickelt, die überhaupt der zweiten Klasse der Reichskommissaire, nämlich den ohnmächtigen, eigenthümlich zu sein scheint: er ward beständig perplex.
Herr Simson lud mit jener edlen Würde, die er in Gagern kennen lernte und seitdem nach Kräften kopirt, die verschiedenen Fraktionen der in Berlin forttagenden Nationalversammlung zu einer Besprechung ein. Die verschiedenen Fraktionen wählten durch Stimmzettel, eine jede drei Deputirte. Unter den Gewählten befanden sich auch Jakoby und Kosch.
Der geistvolle Reichskommissair erklärte den Versammelten, er werde nunmehr vermitteln, und — falls dies nicht gelänge, entscheiden. Nach diesen Worten entstand große Unruhe, und man fragte den bescheidenen Redner, wie dies zu verstehen sei.
Herr Simson ward hier zum ersten Male perplex und sagte, er meine damit, er würde, falls die Vermittelung mißlinge, an die öffentliche Meinung in Deutschland appelliren, die doch hoffentlich auch noch eine Macht sei. Welch' schnelle Metamorphose!
So wird der Sturm, der eben noch getost,
Zum sanften Zephyr, der um Blumen säuselt.
Die Deputirten der verschiedenen Fraktionen erklärten darauf, sie seien nach einem solchen Eingange zu einem Beschlusse im Namen ihrer Fraktionen nicht bevollmächtigt. Nur Jakoby erklärte im Namen seiner Partei für jeden Fall zu der Antwort bevollmächtigt zu sein, daß sie weder Hrn. Simsons Vermittelung noch Entscheidung wolle.
Uebrigens muß ich Dir erklären, sagte hierauf gelegentlich Simson an Jakoby gewendet, daß unsere politischen Ansichten einander diametral entgegengesetzt sind.
Gottlob, Simson, antwortete Jakoby ruhig.
Herr Simson ward hierauf zum zweiten Male perplex.
Kosch fragte daranf Herrn Simson, ob er nicht über die Angelegenheit der Nationalversammlung schon mit dem Minister-Präsidenten, Graf Brandenburg, konferirt habe, und auf Simsons Bejahen, was denn dieser zu der aufgestellten Alternative, Vermitteln oder Entscheiden gesagt habe.
Hier ward Herr Simson zum dritten Male perplex.
Die Thätigkeit des Herrn Simson als Reichskommissair in Berlin scheint demnach ganz jenem Titelblatte einer juridischen Abhandlung zu gleichen, da er dereinst vor einem Decennium zum Jubiläum eines Tribunalsrath denselben mit einer Dedikation überraschte, während der Jubilar und die Welt auf die Broschüre selbst heute noch vergeblich warten.
(R. K. Z.) Handelsnachrichten. _
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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