Neue Rheinische Zeitung. Nr. 206. Köln, 27. Januar 1849.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 206. Köln, Samstag den 27. Januar. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Urwahl-Erfahrungen. -- Interpellationen an H. H. Engels und Gräff. -- Wahlnotizen). Düsseldorf. (Vorfälle bei den Wahlen). Hersel, Velbert, Dahlen, Sieglar, Düren, Bensberg, Uerdingen, Trier, Wesel, Wetzlar. (Wahlen). Crefeld. (Vorfälle bei den Wahlen). Kreuznach. (Preßverfolgung. -- Die Wahlen). Wattenscheid, Bielefeld. (Wahlen). Berlin. (Wahlmanöver -- Das Salair der Maschinenbauer -- Börsengerüchte). Nordhausen, Greifswald, Stettin. (Wahlen). Löwenberg. (Verhaftungen. -- Die Wohnung eines Frankfurter Abgeordneten versiegelt). Waldenburg. (Wahlmanöver der Konstitutionellen). München. (Kammereröffnung). Gotha. (Stimmung gegen Preußen). Kremsier. (Interpellation wegen Galizien. -- Sieg der Linken). Ungarn. Pesth. (Gerücht über Kossuth. -- Winterquartier der Standrechtshorden. -- Proklamation). Preßburg. (Begnadigung mit Pulver und Blei). Agram. (Das Landesconsilium). Italien. Mailand. (Das Hauptquartier nach Cremona). Rom. (Brief des Pabstes an Zucchi. -- Hülfe von Spanien. -- Drohung Caninos. -- Antonelli. -- Revolutions-Tribunal). Spanien. Madrid. (Neue Insurgentencorps). Belgien. Lüttich. (Die Cholera). Französische Republik. Paris. (Der Beschluß über die Mai-Insurgenten -- Die Parteien und die Situation. -- Journalschau. -- Complotte. -- Volk und Bourgeoisie. -- Studentenkrawall. -- Bourgeoisrache. -- Cousin und Thiers. -- National-Versammlung). Großbritannien. London. (Verdikt über die Leichen von Tooting. -- Sir J. Franklin nicht gefunden). Amerika. New-York. (Das Eisenbahnnetz. -- Aus Hayti. -- Verbindung zwischen New-York und Montreal. -- Die Extra-Meilengelder der Abgeordneten. -- Der Herald. -- Der Kölnische Correspondent der "Schnellpost." -- Die Freibodenfrage. -- Fortschritt der Association. -- Hecker). Neueste Nachrichten. Elberfeld, Lennep. (Wahldetails). Overath. (Die erste Kammer). Lage bei Detmold. (Crawall). Deutschland. * Köln, 26. Januar. Mit schwerem Herzen, aber stets bereit, seinen Mitbürgern das Schatzkästlein seines Geistes zu öffnen, antwortet Ehren-Brüggemann auf unsern vorgestrigen Artikel durch "Urwahl-Erfahrungen". Herr Brüggemann bleibt dabei: Das gegenwärtige Wahlgesetz macht, so lange nicht etc. etc. ... vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich. Schönes Kompliment für das octroyirte Wahlgesetz! Um so schöner, als sein Verfasser Niemand anders ist, als der dankbarste Anbeter der im neuen Wahlgesetz vollendeten "rettenden That der Krone"! Die "rettende That der Krone" läuft also darauf hinaus, daß sie "vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich" gemacht, und Ehren-Brüggemann überzeugt hat, daß wir uns noch lange nicht "schmeicheln dürfen, die Revolution definitiv abgeschlossen zu haben"! Armer Brüggemann! Unglückliche Krone! Herr Brüggemann bemüht sich nun, Mittel aufzufinden, welche, vereint mit dem jetzigen Wahlgesetze, "vernünftige und maßgebende", d. h. nicht demokratische, nicht oppositionelle Wahlen, Wahlen im Sinne der rettenden That vom 5. Dezbr. möglich machen. Sehr einfach! Ein hoher Census nebst specieller Vertretung des großen Grundbesitzes würde gewiß alle Anforderungen des tiefen Denkers Brüggemann befriedigen. Aber nein! Die Krone hat einen Schein von allgemeinem Stimmrecht beibehalten, und Brüggemann hat Ordre, nie reaktionärer zu sein, als die Krone. Es muß auch solche Käuze geben, sagt Manteuffel, wenn man ihm von Brüggemann spricht. Deswegen halten "Wir die Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts für sehr werthvoll", denn "Uns ist es Ernst um die wahre Demokratie" -- so lange nämlich nicht "neue Octroyirungen werden nothwendig werden"!! Aber woran liegt es denn, daß die "Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts" zu demokratischen Wahlen geführt und ihren Verehrer Brüggemann so tief gekränkt hat? Die Wahlen waren diesmal entschiedene Parteiwahlen. Das beweist der Umstand, daß fast überall die erste Wahl zugleich die enge, entscheidende Wahl war. Die Urwähler stimmten in voller Kenntniß der Sache; es handelte sich für sie um Sturz oder um Aufrechthaltung des Ministeriums und seiner kontrerevolutionären Akte. Die ungeheuere Majorität des Landes -- das ist jetzt schon gewiß -- erklärt sich für den Sturz des Ministeriums, für Vernichtung seiner Akte. Herr Brüggemann will das Gegentheil, und er vertritt doch die "wahre Demokratie", die "wahre" Majorität. Wie hängt das zusammen? Die Sache hat, nach Ehren-Brüggemann, zwei Haken. Erstens: "Es fehlte überall an einer genügend allgemeinen Theilnahme." Die "erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes" ist bereits eingeschrumpft zu einem bloßen Mangel "an einer genügend allgemeinen Theilnahme". Erste "Urwahl-Erfahrung" und, um mit Hrn. Brüggemann zu reden: "von dieser Erfahrung wollen wir sogleich Urkunde nehmen". Wir haben auf diesen Punkt bereits geantwortet. Wir behaupten, daß dieser Mangel an Theilnahme, wo er existirte, aus der Sicherheit des Resultats hervorging, und auf das Resultat selbst keinen Einfluß gehabt hat. Wir behaupten ferner, daß er an manchen Orten aus dem Schamgefühl mancher Conservativen hervorging, die im November, sei es aus Ehrlichkeit, sei es aus Furcht vor einer neuen Revolution, Dankadressen an die Nationalversammlung schickten und jetzt nicht für die entgegengesetzte Politik stimmen mögen. Nicht jeder Heuler ist ein Lazzarone, der heute schreit: eviva la constituzione, und morgen für eine Schüssel Macaroni sein: eviva il Re e la santa fede in die Welt brüllt. Nicht jeder Bourgeois versteht so unverzüglich den Mantel nach dem Winde zu hängen, wie gewisse unerschütterliche Catonen des Rechtsbodens. Oder sagen Sie uns doch, Herr Brüggemann, warum konnten die Demokraten zuweilen "über Mittag [unleserliches Material]uitars holen", während Sie seufzend bekennen: "Wir haben in den letzten Wochen zu einer allgemeinen Theilnahme wiederholt aufgefordert, und wiederholt jeden Leser gebeten in seinem Kreise für eine möglichst allgemeine Betheiligung ... zu wirken ... Diese Anmahnungen sind ... wohl größtentheils umsonst gewesen!" Nun der zweite Haken: "Die gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen." Allerdings, hätten sämmtliche "Wahlgenossen" der heiligen Stadt Köln die erhabenen Eigenschaften Ehren-Brüggemann's gekannt, er wäre in allen 64 Bezirken zum Wahlmanne gewählt worden, während die "gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen" ihn jetzt in seinem eigenen Bezirke durchfallen ließ! Wenn unsere gegenwärtigen Wahlen einigermaßen entschieden ausgefallen sind, so liegt das gerade daran, daß diese Fremdheit existirte, oder daß, wo sie nicht existirte, man handelte, als ob man einander fremd sei. Man wählte nicht den "ehrenwerthen Charakter," den "angesehenen Mann," den "einflußreichen Kapitalisten," man wählte den Demokraten oder den Contrerevolutionär, den Oppositionsmann oder den Konservativen. Man hatte die Hauptsache im Auge und ließ sich nicht durch persönliche Rücksichten bestimmen. Und daher werden unsere Wahlen uns -- so oder so -- eine Entscheidung bringen. Aber das gerade kränkt unsern Brüggemann so tief. Und darum macht er Projekte, wie dieser Fremdheit abzuhelfen, wie die Urwähler des Bezirks persönlich mit einander bekannt zu machen, wie persönliche, patriarchalische Beziehungen in die Wahl hineinzubringen seien; darum schlägt er vor, die Wahlmänner zu permanenten Bezirksvertretern zu machen, damit bei ihrer Wahl nicht die einfache Rücksicht gelte: ob sie gut genug seien, einen Deputirten im Sinne des Bezirks zu ernennen, sondern damit hunderte andere Rücksichten ins Spiel kommen, die mit der Wahl gar nichts zu thun haben, z. B. ob sie gute Geschäftsmänner sind und zu Gemeindeverordneten u. s. w. passen, ob sie allerlei für die Wahl gleichgültige Kapazitäten und Kenntnisse besitzen etc. Die indirekte Wahl ist schon eine höchst verworrene und unnütze Operation. Aber für Ehren-Brüggemann, den Ritter von der wahren, der oktroyirten Demokratie, ist sie noch viel zu einfach. Er möchte sie so unklar machen, daß kein Mensch mehr daraus klug würde. Dann erst, wenn die Verwicklung, das Tohuwabohu auf den höchsten Grad gediehen, dann erst hofft unser oktroyirter Schlaukopf auf "vernünftige und maßgebende Wahlen!" Aber Alles das reicht noch nicht hin. Das Alles soll blos gelten "Zum Uebergang und für die Zwischenzeit." Das Ziel von dem Allen liegt anderswo. Man höre: "Eine Kluft liegt zwischen den verschiedenen Berufs- und Lebenskreisen unserer heutigen bürgerlichen Gesellschaft, die damit, daß das Wahlgesetz sie ignorirt, wahrlich noch nicht ausgefüllt ist! Könnte man einstweilen die -- unseres Erachtens sehr falsche und abergläubige -- politische Scheu vor gesetzlicher Anerkennung und Berücksichtigung dieser Unterschiede noch nicht überwinden, so müßte man mindestens -- obige Uebergangsmaßregeln ergreifen." Dazu erklärt Hr. Brüggemann: "Man solle den rettenden Ausweg nicht in dem alten ausgefahrenen Geleise des nackten Census suchen." Das heißt, gerade herausgesprochen, dasselbe, was die Galgenzeitung täglich predigt: Mit einer modernen Volksvertretung ist nicht zu regieren. Man schaffe das allgemeine Wahlrecht ab und wähle nach Ständen, man jage die konstitutionellen Kammern zum Teufel und berufe den alten ständischen Vereinigten Landtag, der allein noch kapabel ist, mit Gott für König und Vaterland zu marschiren! Diese Dinge predigt Hr. Brüggemann in der Kölnischen Zeitung 11 Monate nach der Februarrevolution, 10 Monate nach den März-"Ereignissen;" und diesen unverhüllten Feudalmist nennt er "wahre Demokratie" und "Befestigung des demokratischen Prinzips" durch "weitere ergänzende demokratische Organisationen auf dem gewerblichen und sozialen Gebiete!!!" In der That, wir machen Fortschritte! 068 Köln, 26. Januar. Als wir gestern die Antwort des Herrn zweiten Kommandanten Engels abdruckten, versprachen wir neue Interpellationen. Sie erfolgen sogleich heute. Sie gehen entweder Hrn. Engels oder den kommissarischen Hrn. Oberbürgermeister Gräff an. In der hiesigen Dominikaner- (Artillerie-) Kaserne wohnen gegenwärtig höchstens 800-850 Menschen, Weiber und Kinder eingerechnet. Diese Kaserne, par ordre du Mufti, zu einem besondern Wahlbezirk konstituirt, hatte somit drei Wahlmänner zu wählen, wie auch in der offiziellen Eintheilung der Wahlbezirke angegeben war. So hieß es wenigstens in dem uns zugesandten Abklatsch und so druckten wir es mit ab. Trotzdem hat dieser Wahlbezirk, der vierzigste, nicht weniger als fünf Wahlmänner gewählt, und zwar die Herren: Hauptmann Lengsfeld, Feldwebel Wintersberg, Feldwebel Mörk, Sergeant Dörner und Hauptmann v. Falkenstein. Wie wir hören, ist dies folgendermaßen zugegangen: Der Wahlkommissar, ein Premier-Lieutenant, erklärte, die "Neue Rheinische Zeitung" habe zwar mitgetheilt, der vierzigste Bezirk habe nur drei Wahlmänner zu wählen, man wisse aber nicht, ob dies authentisch und vom Oberbürgermeister so festgesetzt sei und nach der Seelenzahl des vierzigsten Bezirks müßten fünf Wahlmänner gewählt werden. Darauf schritt er zur Wahl und brachte ruhig seine fünf Wahlmänner zu Stande. Das Mandat der beiden Letztgewählten, der Herren Dörner und Falkenstein, ist sonach ungültig, und jede Wahl eines Deputirten, bei der ihre beiden Stimmen den Ausschlag geben sollten, ist ebenfalls ungültig. Wir fragen nun Hrn. Oberst Engels und Hrn. kommissarischen Oberbürgermeister Gräff: "Haben Sie gegen obige Thatsachen etwas einzuwenden? Und wenn nicht, an wem liegt die Schuld, daß solche schreiende Wahlverfälschungen vorkommen konnten? Und was werden Sie thun, um einen so unverschämten Bruch des Wahlreglements und Wahlgesetzes wieder zu repariren?" Glauben die Herren etwa, die uns Demokraten aufoctroyirten Gesetze seien zwar verbindlich für uns, nicht aber für so eifrige Diener der gottbegnadeten Monarchie wie sie sind? Wir fordern die demokratischen Wahlmänner auf, die beiden ungesetzlich erwählten Wahlmänner nicht in ihrer Mitte zu dulden, falls die Behörden sich von den angeführten Beschuldigungen nicht rein waschen. Ferner: Hr. Engels wird gelesen haben, was wir in Nr. 204 über die Wahlen in der Blankenheimer Kaserne gesagt haben. Hr. Engels tritt mehrere Male in dieser Erzählung handelnd auf. Hr. Engels muß wissen, was an der Sache ist -- er soll sie theilweise arrangirt und nachher mit angesehen haben. Wir fragen ihn nun: Ist dieser Bericht wahr, ja oder nein? Und ist er entstellt, in welchen Angaben ist er entstellt? Wir ersuchen Hrn. Engels um gef. baldige Antwort. Die Wahlmänner können nicht lange warten. 068 Köln, 26. Febr. Mit der Berliner Post sind uns eine Menge Wahlnotizen zugegangen, aus denen wir hier die interessantesten kurz zusammenfassen. In Potsdam sind nicht blos 80, sondern 85 gegen 60 preußenvereinliche Wahlmänner durchgegangen. Aus Frankfurt a. d. O. lautet das Wahlresultat: 3/4 Demokraten, 1/4 Reaktionärs. Zu Cüstrin 27 "demokratisch-konstitutionelle" und 7 reaktionäre Wahlmänner. Luckau hat 7 "Steuerverweigerer" (laut Bericht in der Galgenzeitung) gewählt. Die Wahlmänner, welche sich Sangerhausen ausgesucht, sind durch und durch radikal. Und so fast überall in der ganzen Provinz Sachsen, mit Ausnahme von Halle. Die Nachrichten aus Schlesien: (Liegnitz, Oels, Bernstadt, Münsterberg, Waldenburg, Ohlau, Oberglogau, Hirschberg, Landshut, Trebnitz, Ratibor, Kosel u. s. w.) lauten insgesammt für die Demokratie höchst erfreulich. 15 Düsseldorf, 26. Jan.
Wie die gottbegnadete preußische Bureaukratie die aus allerhöchster Gnade oktroyirte Verfassung handhabt, mögen Sie aus folgendem Pröbchen ersehen. Heute Abend war eine Versammlung der demokratischen Wahlmänner des hiesigen Wahlbezirks, Abends 5 Uhr, im Hofe von Zweibrücken ausgeschrieben. Wohl an 300 Wahlmänner hatten sich eingefunden. Man war eben in einer lebhaften Debatte begriffen, als sich plötzlich die Thüren öffneten und ein sonderbarer Theilnehmer dieser ehrenwerthen Versammlung sich einstellte: Unser neuer Polizei-Inspektor, Exlieutenant etc., eifersüchtig auf den Ruhm des Kommunisten Drigalski und des großen Schellfisch-Vertilgers Spiegel und vor Begierde brennend, der Dritte in diesem lorbeerumkränzten Bunde zu werden, hatte es für seine Pflicht gehalten, diese anarchische und wühlende Versammlung in seine väterliche Obhut zu nehmen. Die tiefste Entrüstung ergriff die anwesenden Wahlmänner. Es wäre ohne die Ruhe des Vorsitzenden, Abgeordneten Euler, zum Konflikte gekommen. Auf die Frage desselben, wer er wäre, erwiderte der unberufene Gast: "Ich bin der königl. Polizei-Inspektor und hier erschienen in Folge eines Winkes von Oben. So gut wie Sie das Gesetz und Ihre Rechte in Anspruch nehmen, so gebietet mir meine Stellung, die Rechte der Regierung in Obacht zu nehmen." Nach diesen, wahrscheinlich auswendig gelernten Redensarten, denn Hr. v. Faldern scheint der Mann nicht zu sein, der sich viel mit Denken beschäftigt, glaubte der große Redner jeden Einwand gegen seine Anwesenheit niedergedonnert zu haben. Doch er irrte sich -- Düsseldorf ist nicht Wald und der beschränkte Unterthanenverstand längst mit sammt der Furcht vor den Helfershelfern der heiligen Polizei zu Grabe getragen. Der Vorsitzende fragte den neuen Demosthenes weiter, ob er die Verfassung vom 5. Dezember als rechtsgültig anerkenne? Das ist meine Pflicht, lautete die Antwort. Uebrigens bin ich der Mann nicht, der die Freiheit haßt. Hierauf wurden dem freiheitsliebenden Polizeimanne die das freie Associationsrecht betreffenden Paragraphen der octroyirten Verfassung vorgelesen, worauf sich derselbe verblüfft, sammt seinen Helfershelfern, einem Kommissar und Gensd'armen, verzog. Damit war die Versammlung indeß nicht zufriedengestellt. Einer an den Oberbürgermeister, Grafen v. Villiers (pur asng), und an den Regierungspräsidenten abgeschickten Deputation wurde ein ausweichender Bescheid. "Man wolle die Sache untersuchen, müsse den Angeklagten erst hören etc., worauf man beschloß, eine Anklage gegen den v. Faldern auf Verletzung der Verfassung dem Oberprokurator einzureichen. Uebrigens hatte die hohe Polizei sofort, ohne daß die geringste Ruhestörung vorgefallen, zum eigenen Schutze eine ansehnliche Militärmacht requirirt, die vor dem Lokale und in den benachbarten Straßen aufgestellt, und die Gelegenheit abwarteten, ihre gewöhnliche Bravour Kindern und Wehrlosen gegenüber zeigen zu können. Man provocirt uns, um uns wieder mit dem gesegneten Belagerungszustand begnaden zu können. Wie übrigens solche Taktlosigkeiten der Regierung der guten Sache nützen, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Darum -- es lebe der freiheitsliebende Polizeimann v. Faldern, der tüchtige Demokratenfabrikant. Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 206. Köln, Samstag den 27. Januar. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Urwahl-Erfahrungen. — Interpellationen an H. H. Engels und Gräff. — Wahlnotizen). Düsseldorf. (Vorfälle bei den Wahlen). Hersel, Velbert, Dahlen, Sieglar, Düren, Bensberg, Uerdingen, Trier, Wesel, Wetzlar. (Wahlen). Crefeld. (Vorfälle bei den Wahlen). Kreuznach. (Preßverfolgung. — Die Wahlen). Wattenscheid, Bielefeld. (Wahlen). Berlin. (Wahlmanöver — Das Salair der Maschinenbauer — Börsengerüchte). Nordhausen, Greifswald, Stettin. (Wahlen). Löwenberg. (Verhaftungen. — Die Wohnung eines Frankfurter Abgeordneten versiegelt). Waldenburg. (Wahlmanöver der Konstitutionellen). München. (Kammereröffnung). Gotha. (Stimmung gegen Preußen). Kremsier. (Interpellation wegen Galizien. — Sieg der Linken). Ungarn. Pesth. (Gerücht über Kossuth. — Winterquartier der Standrechtshorden. — Proklamation). Preßburg. (Begnadigung mit Pulver und Blei). Agram. (Das Landesconsilium). Italien. Mailand. (Das Hauptquartier nach Cremona). Rom. (Brief des Pabstes an Zucchi. — Hülfe von Spanien. — Drohung Caninos. — Antonelli. — Revolutions-Tribunal). Spanien. Madrid. (Neue Insurgentencorps). Belgien. Lüttich. (Die Cholera). Französische Republik. Paris. (Der Beschluß über die Mai-Insurgenten — Die Parteien und die Situation. — Journalschau. — Complotte. — Volk und Bourgeoisie. — Studentenkrawall. — Bourgeoisrache. — Cousin und Thiers. — National-Versammlung). Großbritannien. London. (Verdikt über die Leichen von Tooting. — Sir J. Franklin nicht gefunden). Amerika. New-York. (Das Eisenbahnnetz. — Aus Hayti. — Verbindung zwischen New-York und Montreal. — Die Extra-Meilengelder der Abgeordneten. — Der Herald. — Der Kölnische Correspondent der „Schnellpost.“ — Die Freibodenfrage. — Fortschritt der Association. — Hecker). Neueste Nachrichten. Elberfeld, Lennep. (Wahldetails). Overath. (Die erste Kammer). Lage bei Detmold. (Crawall). Deutschland. * Köln, 26. Januar. Mit schwerem Herzen, aber stets bereit, seinen Mitbürgern das Schatzkästlein seines Geistes zu öffnen, antwortet Ehren-Brüggemann auf unsern vorgestrigen Artikel durch „Urwahl-Erfahrungen“. Herr Brüggemann bleibt dabei: Das gegenwärtige Wahlgesetz macht, so lange nicht etc. etc. … vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich. Schönes Kompliment für das octroyirte Wahlgesetz! Um so schöner, als sein Verfasser Niemand anders ist, als der dankbarste Anbeter der im neuen Wahlgesetz vollendeten „rettenden That der Krone“! Die „rettende That der Krone“ läuft also darauf hinaus, daß sie „vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich“ gemacht, und Ehren-Brüggemann überzeugt hat, daß wir uns noch lange nicht „schmeicheln dürfen, die Revolution definitiv abgeschlossen zu haben“! Armer Brüggemann! Unglückliche Krone! Herr Brüggemann bemüht sich nun, Mittel aufzufinden, welche, vereint mit dem jetzigen Wahlgesetze, „vernünftige und maßgebende“, d. h. nicht demokratische, nicht oppositionelle Wahlen, Wahlen im Sinne der rettenden That vom 5. Dezbr. möglich machen. Sehr einfach! Ein hoher Census nebst specieller Vertretung des großen Grundbesitzes würde gewiß alle Anforderungen des tiefen Denkers Brüggemann befriedigen. Aber nein! Die Krone hat einen Schein von allgemeinem Stimmrecht beibehalten, und Brüggemann hat Ordre, nie reaktionärer zu sein, als die Krone. Es muß auch solche Käuze geben, sagt Manteuffel, wenn man ihm von Brüggemann spricht. Deswegen halten „Wir die Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts für sehr werthvoll“, denn „Uns ist es Ernst um die wahre Demokratie“ — so lange nämlich nicht „neue Octroyirungen werden nothwendig werden“!! Aber woran liegt es denn, daß die „Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts“ zu demokratischen Wahlen geführt und ihren Verehrer Brüggemann so tief gekränkt hat? Die Wahlen waren diesmal entschiedene Parteiwahlen. Das beweist der Umstand, daß fast überall die erste Wahl zugleich die enge, entscheidende Wahl war. Die Urwähler stimmten in voller Kenntniß der Sache; es handelte sich für sie um Sturz oder um Aufrechthaltung des Ministeriums und seiner kontrerevolutionären Akte. Die ungeheuere Majorität des Landes — das ist jetzt schon gewiß — erklärt sich für den Sturz des Ministeriums, für Vernichtung seiner Akte. Herr Brüggemann will das Gegentheil, und er vertritt doch die „wahre Demokratie“, die „wahre“ Majorität. Wie hängt das zusammen? Die Sache hat, nach Ehren-Brüggemann, zwei Haken. Erstens: „Es fehlte überall an einer genügend allgemeinen Theilnahme.“ Die „erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes“ ist bereits eingeschrumpft zu einem bloßen Mangel „an einer genügend allgemeinen Theilnahme“. Erste „Urwahl-Erfahrung“ und, um mit Hrn. Brüggemann zu reden: „von dieser Erfahrung wollen wir sogleich Urkunde nehmen“. Wir haben auf diesen Punkt bereits geantwortet. Wir behaupten, daß dieser Mangel an Theilnahme, wo er existirte, aus der Sicherheit des Resultats hervorging, und auf das Resultat selbst keinen Einfluß gehabt hat. Wir behaupten ferner, daß er an manchen Orten aus dem Schamgefühl mancher Conservativen hervorging, die im November, sei es aus Ehrlichkeit, sei es aus Furcht vor einer neuen Revolution, Dankadressen an die Nationalversammlung schickten und jetzt nicht für die entgegengesetzte Politik stimmen mögen. Nicht jeder Heuler ist ein Lazzarone, der heute schreit: eviva la constituzione, und morgen für eine Schüssel Macaroni sein: eviva il Rè e la santa fede in die Welt brüllt. Nicht jeder Bourgeois versteht so unverzüglich den Mantel nach dem Winde zu hängen, wie gewisse unerschütterliche Catonen des Rechtsbodens. Oder sagen Sie uns doch, Herr Brüggemann, warum konnten die Demokraten zuweilen „über Mittag [unleserliches Material]uitars holen“, während Sie seufzend bekennen: „Wir haben in den letzten Wochen zu einer allgemeinen Theilnahme wiederholt aufgefordert, und wiederholt jeden Leser gebeten in seinem Kreise für eine möglichst allgemeine Betheiligung … zu wirken … Diese Anmahnungen sind … wohl größtentheils umsonst gewesen!“ Nun der zweite Haken: „Die gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen.“ Allerdings, hätten sämmtliche „Wahlgenossen“ der heiligen Stadt Köln die erhabenen Eigenschaften Ehren-Brüggemann's gekannt, er wäre in allen 64 Bezirken zum Wahlmanne gewählt worden, während die „gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen“ ihn jetzt in seinem eigenen Bezirke durchfallen ließ! Wenn unsere gegenwärtigen Wahlen einigermaßen entschieden ausgefallen sind, so liegt das gerade daran, daß diese Fremdheit existirte, oder daß, wo sie nicht existirte, man handelte, als ob man einander fremd sei. Man wählte nicht den „ehrenwerthen Charakter,“ den „angesehenen Mann,“ den „einflußreichen Kapitalisten,“ man wählte den Demokraten oder den Contrerevolutionär, den Oppositionsmann oder den Konservativen. Man hatte die Hauptsache im Auge und ließ sich nicht durch persönliche Rücksichten bestimmen. Und daher werden unsere Wahlen uns — so oder so — eine Entscheidung bringen. Aber das gerade kränkt unsern Brüggemann so tief. Und darum macht er Projekte, wie dieser Fremdheit abzuhelfen, wie die Urwähler des Bezirks persönlich mit einander bekannt zu machen, wie persönliche, patriarchalische Beziehungen in die Wahl hineinzubringen seien; darum schlägt er vor, die Wahlmänner zu permanenten Bezirksvertretern zu machen, damit bei ihrer Wahl nicht die einfache Rücksicht gelte: ob sie gut genug seien, einen Deputirten im Sinne des Bezirks zu ernennen, sondern damit hunderte andere Rücksichten ins Spiel kommen, die mit der Wahl gar nichts zu thun haben, z. B. ob sie gute Geschäftsmänner sind und zu Gemeindeverordneten u. s. w. passen, ob sie allerlei für die Wahl gleichgültige Kapazitäten und Kenntnisse besitzen etc. Die indirekte Wahl ist schon eine höchst verworrene und unnütze Operation. Aber für Ehren-Brüggemann, den Ritter von der wahren, der oktroyirten Demokratie, ist sie noch viel zu einfach. Er möchte sie so unklar machen, daß kein Mensch mehr daraus klug würde. Dann erst, wenn die Verwicklung, das Tohuwabohu auf den höchsten Grad gediehen, dann erst hofft unser oktroyirter Schlaukopf auf „vernünftige und maßgebende Wahlen!“ Aber Alles das reicht noch nicht hin. Das Alles soll blos gelten „Zum Uebergang und für die Zwischenzeit.“ Das Ziel von dem Allen liegt anderswo. Man höre: „Eine Kluft liegt zwischen den verschiedenen Berufs- und Lebenskreisen unserer heutigen bürgerlichen Gesellschaft, die damit, daß das Wahlgesetz sie ignorirt, wahrlich noch nicht ausgefüllt ist! Könnte man einstweilen die — unseres Erachtens sehr falsche und abergläubige — politische Scheu vor gesetzlicher Anerkennung und Berücksichtigung dieser Unterschiede noch nicht überwinden, so müßte man mindestens — obige Uebergangsmaßregeln ergreifen.“ Dazu erklärt Hr. Brüggemann: „Man solle den rettenden Ausweg nicht in dem alten ausgefahrenen Geleise des nackten Census suchen.“ Das heißt, gerade herausgesprochen, dasselbe, was die Galgenzeitung täglich predigt: Mit einer modernen Volksvertretung ist nicht zu regieren. Man schaffe das allgemeine Wahlrecht ab und wähle nach Ständen, man jage die konstitutionellen Kammern zum Teufel und berufe den alten ständischen Vereinigten Landtag, der allein noch kapabel ist, mit Gott für König und Vaterland zu marschiren! Diese Dinge predigt Hr. Brüggemann in der Kölnischen Zeitung 11 Monate nach der Februarrevolution, 10 Monate nach den März-„Ereignissen;“ und diesen unverhüllten Feudalmist nennt er „wahre Demokratie“ und „Befestigung des demokratischen Prinzips“ durch „weitere ergänzende demokratische Organisationen auf dem gewerblichen und sozialen Gebiete!!!“ In der That, wir machen Fortschritte! 068 Köln, 26. Januar. Als wir gestern die Antwort des Herrn zweiten Kommandanten Engels abdruckten, versprachen wir neue Interpellationen. Sie erfolgen sogleich heute. Sie gehen entweder Hrn. Engels oder den kommissarischen Hrn. Oberbürgermeister Gräff an. In der hiesigen Dominikaner- (Artillerie-) Kaserne wohnen gegenwärtig höchstens 800-850 Menschen, Weiber und Kinder eingerechnet. Diese Kaserne, par ordre du Mufti, zu einem besondern Wahlbezirk konstituirt, hatte somit drei Wahlmänner zu wählen, wie auch in der offiziellen Eintheilung der Wahlbezirke angegeben war. So hieß es wenigstens in dem uns zugesandten Abklatsch und so druckten wir es mit ab. Trotzdem hat dieser Wahlbezirk, der vierzigste, nicht weniger als fünf Wahlmänner gewählt, und zwar die Herren: Hauptmann Lengsfeld, Feldwebel Wintersberg, Feldwebel Mörk, Sergeant Dörner und Hauptmann v. Falkenstein. Wie wir hören, ist dies folgendermaßen zugegangen: Der Wahlkommissar, ein Premier-Lieutenant, erklärte, die „Neue Rheinische Zeitung“ habe zwar mitgetheilt, der vierzigste Bezirk habe nur drei Wahlmänner zu wählen, man wisse aber nicht, ob dies authentisch und vom Oberbürgermeister so festgesetzt sei und nach der Seelenzahl des vierzigsten Bezirks müßten fünf Wahlmänner gewählt werden. Darauf schritt er zur Wahl und brachte ruhig seine fünf Wahlmänner zu Stande. Das Mandat der beiden Letztgewählten, der Herren Dörner und Falkenstein, ist sonach ungültig, und jede Wahl eines Deputirten, bei der ihre beiden Stimmen den Ausschlag geben sollten, ist ebenfalls ungültig. Wir fragen nun Hrn. Oberst Engels und Hrn. kommissarischen Oberbürgermeister Gräff: „Haben Sie gegen obige Thatsachen etwas einzuwenden? Und wenn nicht, an wem liegt die Schuld, daß solche schreiende Wahlverfälschungen vorkommen konnten? Und was werden Sie thun, um einen so unverschämten Bruch des Wahlreglements und Wahlgesetzes wieder zu repariren?“ Glauben die Herren etwa, die uns Demokraten aufoctroyirten Gesetze seien zwar verbindlich für uns, nicht aber für so eifrige Diener der gottbegnadeten Monarchie wie sie sind? Wir fordern die demokratischen Wahlmänner auf, die beiden ungesetzlich erwählten Wahlmänner nicht in ihrer Mitte zu dulden, falls die Behörden sich von den angeführten Beschuldigungen nicht rein waschen. Ferner: Hr. Engels wird gelesen haben, was wir in Nr. 204 über die Wahlen in der Blankenheimer Kaserne gesagt haben. Hr. Engels tritt mehrere Male in dieser Erzählung handelnd auf. Hr. Engels muß wissen, was an der Sache ist — er soll sie theilweise arrangirt und nachher mit angesehen haben. Wir fragen ihn nun: Ist dieser Bericht wahr, ja oder nein? Und ist er entstellt, in welchen Angaben ist er entstellt? Wir ersuchen Hrn. Engels um gef. baldige Antwort. Die Wahlmänner können nicht lange warten. 068 Köln, 26. Febr. Mit der Berliner Post sind uns eine Menge Wahlnotizen zugegangen, aus denen wir hier die interessantesten kurz zusammenfassen. In Potsdam sind nicht blos 80, sondern 85 gegen 60 preußenvereinliche Wahlmänner durchgegangen. Aus Frankfurt a. d. O. lautet das Wahlresultat: 3/4 Demokraten, 1/4 Reaktionärs. Zu Cüstrin 27 „demokratisch-konstitutionelle“ und 7 reaktionäre Wahlmänner. Luckau hat 7 „Steuerverweigerer“ (laut Bericht in der Galgenzeitung) gewählt. Die Wahlmänner, welche sich Sangerhausen ausgesucht, sind durch und durch radikal. Und so fast überall in der ganzen Provinz Sachsen, mit Ausnahme von Halle. Die Nachrichten aus Schlesien: (Liegnitz, Oels, Bernstadt, Münsterberg, Waldenburg, Ohlau, Oberglogau, Hirschberg, Landshut, Trebnitz, Ratibor, Kosel u. s. w.) lauten insgesammt für die Demokratie höchst erfreulich. 15 Düsseldorf, 26. Jan.
Wie die gottbegnadete preußische Bureaukratie die aus allerhöchster Gnade oktroyirte Verfassung handhabt, mögen Sie aus folgendem Pröbchen ersehen. Heute Abend war eine Versammlung der demokratischen Wahlmänner des hiesigen Wahlbezirks, Abends 5 Uhr, im Hofe von Zweibrücken ausgeschrieben. Wohl an 300 Wahlmänner hatten sich eingefunden. Man war eben in einer lebhaften Debatte begriffen, als sich plötzlich die Thüren öffneten und ein sonderbarer Theilnehmer dieser ehrenwerthen Versammlung sich einstellte: Unser neuer Polizei-Inspektor, Exlieutenant etc., eifersüchtig auf den Ruhm des Kommunisten Drigalski und des großen Schellfisch-Vertilgers Spiegel und vor Begierde brennend, der Dritte in diesem lorbeerumkränzten Bunde zu werden, hatte es für seine Pflicht gehalten, diese anarchische und wühlende Versammlung in seine väterliche Obhut zu nehmen. Die tiefste Entrüstung ergriff die anwesenden Wahlmänner. Es wäre ohne die Ruhe des Vorsitzenden, Abgeordneten Euler, zum Konflikte gekommen. Auf die Frage desselben, wer er wäre, erwiderte der unberufene Gast: „Ich bin der königl. Polizei-Inspektor und hier erschienen in Folge eines Winkes von Oben. So gut wie Sie das Gesetz und Ihre Rechte in Anspruch nehmen, so gebietet mir meine Stellung, die Rechte der Regierung in Obacht zu nehmen.“ Nach diesen, wahrscheinlich auswendig gelernten Redensarten, denn Hr. v. Faldern scheint der Mann nicht zu sein, der sich viel mit Denken beschäftigt, glaubte der große Redner jeden Einwand gegen seine Anwesenheit niedergedonnert zu haben. Doch er irrte sich — Düsseldorf ist nicht Wald und der beschränkte Unterthanenverstand längst mit sammt der Furcht vor den Helfershelfern der heiligen Polizei zu Grabe getragen. Der Vorsitzende fragte den neuen Demosthenes weiter, ob er die Verfassung vom 5. Dezember als rechtsgültig anerkenne? Das ist meine Pflicht, lautete die Antwort. Uebrigens bin ich der Mann nicht, der die Freiheit haßt. Hierauf wurden dem freiheitsliebenden Polizeimanne die das freie Associationsrecht betreffenden Paragraphen der octroyirten Verfassung vorgelesen, worauf sich derselbe verblüfft, sammt seinen Helfershelfern, einem Kommissar und Gensd'armen, verzog. Damit war die Versammlung indeß nicht zufriedengestellt. Einer an den Oberbürgermeister, Grafen v. Villiers (pur asng), und an den Regierungspräsidenten abgeschickten Deputation wurde ein ausweichender Bescheid. „Man wolle die Sache untersuchen, müsse den Angeklagten erst hören etc., worauf man beschloß, eine Anklage gegen den v. Faldern auf Verletzung der Verfassung dem Oberprokurator einzureichen. Uebrigens hatte die hohe Polizei sofort, ohne daß die geringste Ruhestörung vorgefallen, zum eigenen Schutze eine ansehnliche Militärmacht requirirt, die vor dem Lokale und in den benachbarten Straßen aufgestellt, und die Gelegenheit abwarteten, ihre gewöhnliche Bravour Kindern und Wehrlosen gegenüber zeigen zu können. Man provocirt uns, um uns wieder mit dem gesegneten Belagerungszustand begnaden zu können. Wie übrigens solche Taktlosigkeiten der Regierung der guten Sache nützen, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Darum — es lebe der freiheitsliebende Polizeimann v. Faldern, der tüchtige Demokratenfabrikant. <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="1123"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 206. Köln, Samstag den 27. Januar.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland</hi>. Köln. (Urwahl-Erfahrungen. — Interpellationen an H. H. Engels und Gräff. — Wahlnotizen). Düsseldorf. (Vorfälle bei den Wahlen). Hersel, Velbert, Dahlen, Sieglar, Düren, Bensberg, Uerdingen, Trier, Wesel, Wetzlar. (Wahlen). Crefeld. (Vorfälle bei den Wahlen). Kreuznach. (Preßverfolgung. — Die Wahlen). Wattenscheid, Bielefeld. (Wahlen). Berlin. (Wahlmanöver — Das Salair der Maschinenbauer — Börsengerüchte). Nordhausen, Greifswald, Stettin. (Wahlen). Löwenberg. (Verhaftungen. — Die Wohnung eines Frankfurter Abgeordneten versiegelt). Waldenburg. (Wahlmanöver der Konstitutionellen). München. (Kammereröffnung). Gotha. (Stimmung gegen Preußen). Kremsier. (Interpellation wegen Galizien. — Sieg der Linken).</p> <p><hi rendition="#g">Ungarn</hi>. Pesth. (Gerücht über Kossuth. — Winterquartier der Standrechtshorden. — Proklamation). Preßburg. (Begnadigung mit Pulver und Blei). Agram. (Das Landesconsilium).</p> <p><hi rendition="#g">Italien</hi>. Mailand. (Das Hauptquartier nach Cremona). Rom. (Brief des Pabstes an Zucchi. — Hülfe von Spanien. — Drohung Caninos. — Antonelli. — Revolutions-Tribunal).</p> <p><hi rendition="#g">Spanien</hi>. Madrid. (Neue Insurgentencorps).</p> <p><hi rendition="#g">Belgien</hi>. Lüttich. (Die Cholera).</p> <p><hi rendition="#g">Französische Republik</hi>. Paris. (Der Beschluß über die Mai-Insurgenten — Die Parteien und die Situation. — Journalschau. — Complotte. — Volk und Bourgeoisie. — Studentenkrawall. — Bourgeoisrache. — Cousin und Thiers. — National-Versammlung).</p> <p><hi rendition="#g">Großbritannien</hi>. London. (Verdikt über die Leichen von Tooting. — Sir J. Franklin nicht gefunden).</p> <p><hi rendition="#g">Amerika</hi>. New-York. (Das Eisenbahnnetz. — Aus Hayti. — Verbindung zwischen New-York und Montreal. — Die Extra-Meilengelder der Abgeordneten. — Der Herald. — Der Kölnische Correspondent der „Schnellpost.“ — Die Freibodenfrage. — Fortschritt der Association. — Hecker).</p> <p><hi rendition="#g">Neueste Nachrichten</hi>. Elberfeld, Lennep. (Wahldetails). Overath. (Die erste Kammer). Lage bei Detmold. (Crawall).</p> </div> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar206_001" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 26. Januar.</head> <p>Mit schwerem Herzen, aber stets bereit, seinen Mitbürgern das Schatzkästlein seines Geistes zu öffnen, antwortet Ehren-Brüggemann auf unsern vorgestrigen Artikel durch „<hi rendition="#g">Urwahl-Erfahrungen</hi>“.</p> <p>Herr Brüggemann bleibt dabei: Das gegenwärtige Wahlgesetz macht, so lange nicht etc. etc. … <hi rendition="#g">vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich</hi>.</p> <p>Schönes Kompliment für das octroyirte Wahlgesetz! Um so schöner, als sein Verfasser Niemand anders ist, als der dankbarste Anbeter der im neuen Wahlgesetz vollendeten „rettenden That der Krone“!</p> <p>Die „rettende That der Krone“ läuft also darauf hinaus, daß sie „vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich“ gemacht, und Ehren-Brüggemann überzeugt hat, daß wir uns noch lange nicht „schmeicheln dürfen, die Revolution definitiv abgeschlossen zu haben“!</p> <p>Armer Brüggemann! Unglückliche Krone!</p> <p>Herr Brüggemann bemüht sich nun, Mittel aufzufinden, welche, vereint mit dem jetzigen Wahlgesetze, „vernünftige und maßgebende“, d. h. nicht demokratische, nicht oppositionelle Wahlen, Wahlen im Sinne der rettenden That vom 5. Dezbr. möglich machen.</p> <p>Sehr einfach! Ein hoher Census nebst specieller Vertretung des großen Grundbesitzes würde gewiß alle Anforderungen des tiefen Denkers Brüggemann befriedigen.</p> <p>Aber nein! Die Krone hat einen Schein von allgemeinem Stimmrecht beibehalten, und Brüggemann hat Ordre, nie reaktionärer zu sein, als die Krone. Es muß auch solche Käuze geben, sagt Manteuffel, wenn man ihm von Brüggemann spricht.</p> <p>Deswegen halten „Wir die Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts für sehr werthvoll“, denn „Uns ist es Ernst um die <hi rendition="#g">wahre</hi> Demokratie“ — so lange nämlich nicht „<hi rendition="#g">neue Octroyirungen</hi> werden nothwendig werden“!!</p> <p>Aber woran liegt es denn, daß die „Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts“ zu demokratischen Wahlen geführt und ihren Verehrer Brüggemann so tief gekränkt hat?</p> <p>Die Wahlen waren diesmal <hi rendition="#g">entschiedene Parteiwahlen</hi>. Das beweist der Umstand, daß fast überall die <hi rendition="#g">erste</hi> Wahl zugleich die enge, entscheidende Wahl war. Die Urwähler stimmten in voller Kenntniß der Sache; es handelte sich für sie um Sturz oder um Aufrechthaltung des Ministeriums und seiner kontrerevolutionären Akte. Die ungeheuere Majorität des Landes — das ist jetzt schon gewiß — erklärt sich für den Sturz des Ministeriums, für Vernichtung seiner Akte. Herr Brüggemann will das Gegentheil, und er vertritt doch die „<hi rendition="#g">wahre</hi> Demokratie“, die „<hi rendition="#g">wahre</hi>“ Majorität. Wie hängt das zusammen?</p> <p>Die Sache hat, nach Ehren-Brüggemann, zwei Haken. Erstens:</p> <p>„Es fehlte überall an einer <hi rendition="#g">genügend allgemeinen Theilnahme</hi>.“</p> <p>Die „erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes“ ist bereits eingeschrumpft zu einem bloßen Mangel „an einer genügend allgemeinen Theilnahme“. Erste „Urwahl-Erfahrung“ und, um mit Hrn. Brüggemann zu reden: „von dieser Erfahrung wollen wir sogleich Urkunde nehmen“.</p> <p>Wir haben auf diesen Punkt bereits geantwortet. Wir behaupten, daß dieser Mangel an Theilnahme, wo er existirte, aus der <hi rendition="#g">Sicherheit</hi> des Resultats hervorging, und auf das Resultat selbst keinen Einfluß gehabt hat. Wir behaupten ferner, daß er an manchen Orten aus dem Schamgefühl mancher Conservativen hervorging, die im November, sei es aus Ehrlichkeit, sei es aus Furcht vor einer neuen Revolution, Dankadressen an die Nationalversammlung schickten und jetzt nicht für die entgegengesetzte Politik stimmen mögen. Nicht jeder Heuler ist ein Lazzarone, der heute schreit: eviva la constituzione, und morgen für eine Schüssel Macaroni sein: eviva il Rè e la santa fede in die Welt brüllt. Nicht jeder Bourgeois versteht so unverzüglich den Mantel nach dem Winde zu hängen, wie gewisse unerschütterliche Catonen des Rechtsbodens.</p> <p>Oder sagen Sie uns doch, Herr Brüggemann, warum konnten die Demokraten zuweilen „über Mittag <gap reason="illegible"/>uitars holen“, während Sie seufzend bekennen: „Wir haben in den letzten Wochen zu einer allgemeinen Theilnahme <hi rendition="#g">wiederholt aufgefordert,</hi> und <hi rendition="#g">wiederholt</hi> jeden Leser <hi rendition="#g">gebeten</hi> in seinem Kreise für eine möglichst allgemeine Betheiligung … zu wirken … Diese Anmahnungen sind … <hi rendition="#g">wohl größtentheils umsonst gewesen</hi>!“</p> <p>Nun der zweite Haken: „<hi rendition="#g">Die gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen</hi>.“</p> <p>Allerdings, hätten sämmtliche „Wahlgenossen“ der heiligen Stadt Köln die erhabenen Eigenschaften Ehren-Brüggemann's gekannt, er wäre in allen 64 Bezirken zum Wahlmanne gewählt worden, während die „gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen“ ihn jetzt in seinem eigenen Bezirke durchfallen ließ!</p> <p>Wenn unsere gegenwärtigen Wahlen einigermaßen entschieden ausgefallen sind, so liegt das gerade daran, daß diese Fremdheit <hi rendition="#g">existirte,</hi> oder daß, wo sie nicht existirte, man handelte, als ob man einander fremd sei. Man wählte nicht den „ehrenwerthen Charakter,“ den „angesehenen Mann,“ den „einflußreichen Kapitalisten,“ man wählte den Demokraten oder den Contrerevolutionär, den Oppositionsmann oder den Konservativen. Man hatte die Hauptsache im Auge und ließ sich nicht durch persönliche Rücksichten bestimmen. Und daher werden unsere Wahlen uns — so oder so — eine Entscheidung bringen.</p> <p>Aber das gerade kränkt unsern Brüggemann so tief. Und darum macht er Projekte, wie dieser Fremdheit abzuhelfen, wie die Urwähler des Bezirks persönlich mit einander bekannt zu machen, wie persönliche, patriarchalische Beziehungen in die Wahl hineinzubringen seien; darum schlägt er vor, die Wahlmänner zu permanenten Bezirksvertretern zu machen, damit bei ihrer Wahl nicht die einfache Rücksicht gelte: ob sie gut genug seien, einen Deputirten im Sinne des Bezirks zu ernennen, sondern damit hunderte andere Rücksichten ins Spiel kommen, die mit der Wahl gar nichts zu thun haben, z. B. ob sie gute Geschäftsmänner sind und zu Gemeindeverordneten u. s. w. passen, ob sie allerlei für die Wahl gleichgültige Kapazitäten und Kenntnisse besitzen etc.</p> <p>Die indirekte Wahl ist schon eine höchst verworrene und unnütze Operation. Aber für Ehren-Brüggemann, den Ritter von der wahren, der oktroyirten Demokratie, ist sie noch viel zu einfach. Er möchte sie so unklar machen, daß kein Mensch mehr daraus klug würde. Dann erst, wenn die Verwicklung, das Tohuwabohu auf den höchsten Grad gediehen, dann erst hofft unser oktroyirter Schlaukopf auf „vernünftige und maßgebende Wahlen!“</p> <p>Aber Alles das reicht noch nicht hin. Das Alles soll blos gelten „Zum Uebergang und für die Zwischenzeit.“ Das Ziel von dem Allen liegt anderswo. Man höre:</p> <p>„Eine <hi rendition="#g">Kluft</hi> liegt zwischen den verschiedenen Berufs- und Lebenskreisen unserer heutigen bürgerlichen Gesellschaft, die damit, daß <hi rendition="#g">das Wahlgesetz sie ignorirt,</hi> wahrlich noch nicht ausgefüllt ist! Könnte man <hi rendition="#g">einstweilen</hi> die — unseres Erachtens sehr falsche und abergläubige — politische Scheu vor <hi rendition="#g">gesetzlicher Anerkennung und Berücksichtigung dieser Unterschiede</hi> noch nicht überwinden, so müßte man mindestens — obige Uebergangsmaßregeln ergreifen.“</p> <p>Dazu erklärt Hr. Brüggemann: „Man solle den rettenden Ausweg nicht in dem alten ausgefahrenen Geleise des <hi rendition="#g">nackten Census</hi> suchen.“</p> <p>Das heißt, gerade herausgesprochen, dasselbe, was die Galgenzeitung täglich predigt: Mit einer modernen Volksvertretung ist nicht zu regieren. Man schaffe das allgemeine Wahlrecht ab und wähle <hi rendition="#g">nach Ständen,</hi> man jage die konstitutionellen Kammern zum Teufel und berufe den alten ständischen Vereinigten Landtag, der allein noch kapabel ist, mit Gott für König und Vaterland zu marschiren!</p> <p>Diese Dinge predigt Hr. Brüggemann in der Kölnischen Zeitung 11 Monate nach der Februarrevolution, 10 Monate nach den März-„Ereignissen;“ und diesen unverhüllten Feudalmist nennt er „wahre Demokratie“ und „Befestigung des demokratischen Prinzips“ durch „weitere ergänzende demokratische Organisationen auf dem gewerblichen und sozialen Gebiete!!!“</p> <p>In der That, wir machen Fortschritte!</p> </div> <div xml:id="ar206_002" type="jArticle"> <head><bibl><author>068</author></bibl> Köln, 26. Januar.</head> <p>Als wir gestern die Antwort des Herrn zweiten Kommandanten <hi rendition="#g">Engels</hi> abdruckten, versprachen wir neue Interpellationen. Sie erfolgen sogleich heute. Sie gehen entweder Hrn. Engels oder den kommissarischen Hrn. Oberbürgermeister Gräff an.</p> <p>In der hiesigen Dominikaner- (Artillerie-) Kaserne wohnen gegenwärtig <hi rendition="#g">höchstens</hi> 800-850 Menschen, Weiber und Kinder eingerechnet. Diese Kaserne, par ordre du Mufti, zu einem besondern Wahlbezirk konstituirt, hatte somit <hi rendition="#g">drei</hi> Wahlmänner zu wählen, wie auch in der offiziellen Eintheilung der Wahlbezirke angegeben war. So hieß es wenigstens in dem uns zugesandten Abklatsch und so druckten wir es mit ab. Trotzdem hat dieser Wahlbezirk, der vierzigste, <hi rendition="#g">nicht weniger als fünf</hi> Wahlmänner gewählt, und zwar die Herren: Hauptmann Lengsfeld, Feldwebel Wintersberg, Feldwebel Mörk, Sergeant Dörner und Hauptmann v. Falkenstein.</p> <p>Wie wir hören, ist dies folgendermaßen zugegangen: Der Wahlkommissar, ein Premier-Lieutenant, erklärte, die „Neue Rheinische Zeitung“ habe zwar mitgetheilt, der vierzigste Bezirk habe nur <hi rendition="#g">drei</hi> Wahlmänner zu wählen, man wisse aber nicht, ob dies authentisch und vom Oberbürgermeister so festgesetzt sei und nach der Seelenzahl des vierzigsten Bezirks müßten fünf Wahlmänner gewählt werden. Darauf schritt er zur Wahl und brachte ruhig seine fünf Wahlmänner zu Stande.</p> <p>Das Mandat der beiden Letztgewählten, der Herren Dörner und Falkenstein, ist sonach <hi rendition="#g">ungültig,</hi> und <hi rendition="#g">jede Wahl eines Deputirten,</hi> bei der ihre beiden Stimmen den Ausschlag geben sollten, ist ebenfalls <hi rendition="#g">ungültig</hi>.</p> <p>Wir fragen nun Hrn. Oberst Engels und Hrn. kommissarischen Oberbürgermeister Gräff: „Haben Sie gegen obige Thatsachen etwas einzuwenden? Und wenn nicht, an wem liegt die Schuld, daß solche schreiende Wahlverfälschungen vorkommen konnten? Und was werden Sie thun, um einen so unverschämten Bruch des Wahlreglements und Wahlgesetzes wieder zu repariren?“</p> <p>Glauben die Herren etwa, die uns Demokraten aufoctroyirten Gesetze seien zwar verbindlich für uns, nicht aber für so eifrige Diener der gottbegnadeten Monarchie wie sie sind?</p> <p>Wir fordern die demokratischen Wahlmänner auf, die beiden ungesetzlich erwählten Wahlmänner nicht in ihrer Mitte zu dulden, falls die Behörden sich von den angeführten Beschuldigungen nicht rein waschen.</p> <p>Ferner: Hr. Engels wird gelesen haben, was wir in Nr. 204 über die Wahlen in der Blankenheimer Kaserne gesagt haben. Hr. Engels tritt mehrere Male in dieser Erzählung handelnd auf. Hr. Engels muß wissen, was an der Sache ist — er soll sie theilweise arrangirt und nachher mit angesehen haben. Wir fragen ihn nun: Ist dieser Bericht wahr, <hi rendition="#g">ja oder nein</hi>?</p> <p>Und ist er entstellt, in welchen Angaben ist er entstellt?</p> <p>Wir ersuchen Hrn. Engels um gef. baldige Antwort. Die Wahlmänner können nicht lange warten.</p> </div> <div xml:id="ar206_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>068</author></bibl> Köln, 26. Febr.</head> <p>Mit der Berliner Post sind uns eine Menge Wahlnotizen zugegangen, aus denen wir hier die interessantesten kurz zusammenfassen.</p> <p>In <hi rendition="#g">Potsdam</hi> sind nicht blos 80, sondern 85 gegen 60 preußenvereinliche Wahlmänner durchgegangen. Aus <hi rendition="#g">Frankfurt a. d. O.</hi> lautet das Wahlresultat: 3/4 Demokraten, 1/4 Reaktionärs. <hi rendition="#g">Zu Cüstrin</hi> 27 „demokratisch-konstitutionelle“ und 7 reaktionäre Wahlmänner.</p> <p><hi rendition="#g">Luckau</hi> hat 7 „Steuerverweigerer“ (laut Bericht in der Galgenzeitung) gewählt. Die Wahlmänner, welche sich <hi rendition="#g">Sangerhausen</hi> ausgesucht, sind durch und durch radikal. Und so fast überall in der ganzen Provinz Sachsen, mit Ausnahme von <hi rendition="#g">Halle</hi>.</p> <p>Die Nachrichten aus Schlesien: (Liegnitz, Oels, Bernstadt, Münsterberg, Waldenburg, Ohlau, Oberglogau, Hirschberg, Landshut, Trebnitz, Ratibor, Kosel u. s. w.) lauten insgesammt für die Demokratie höchst erfreulich.</p> </div> <div xml:id="ar206_004" type="jArticle"> <head><bibl><author>15</author></bibl> Düsseldorf, 26. Jan.</head> <p>Wie die gottbegnadete preußische Bureaukratie die aus allerhöchster Gnade oktroyirte Verfassung handhabt, mögen Sie aus folgendem Pröbchen ersehen.</p> <p>Heute Abend war eine Versammlung der demokratischen Wahlmänner des hiesigen Wahlbezirks, Abends 5 Uhr, im Hofe von Zweibrücken ausgeschrieben. Wohl an 300 Wahlmänner hatten sich eingefunden. Man war eben in einer lebhaften Debatte begriffen, als sich plötzlich die Thüren öffneten und ein sonderbarer Theilnehmer dieser ehrenwerthen Versammlung sich einstellte: Unser neuer Polizei-Inspektor, Exlieutenant etc., eifersüchtig auf den Ruhm des Kommunisten Drigalski und des großen Schellfisch-Vertilgers Spiegel und vor Begierde brennend, der Dritte in diesem lorbeerumkränzten Bunde zu werden, hatte es für seine Pflicht gehalten, diese anarchische und wühlende Versammlung in seine väterliche Obhut zu nehmen. Die tiefste Entrüstung ergriff die anwesenden Wahlmänner. Es wäre ohne die Ruhe des Vorsitzenden, Abgeordneten Euler, zum Konflikte gekommen. Auf die Frage desselben, wer er wäre, erwiderte der unberufene Gast: „Ich bin der königl. Polizei-Inspektor und hier erschienen in Folge eines Winkes von Oben. So gut wie Sie das Gesetz und Ihre Rechte in Anspruch nehmen, so gebietet mir meine Stellung, die Rechte der Regierung in Obacht zu nehmen.“ Nach diesen, wahrscheinlich auswendig gelernten Redensarten, denn Hr. v. Faldern scheint der Mann nicht zu sein, der sich viel mit Denken beschäftigt, glaubte der große Redner jeden Einwand gegen seine Anwesenheit niedergedonnert zu haben. Doch er irrte sich — Düsseldorf ist nicht Wald und der beschränkte Unterthanenverstand längst mit sammt der Furcht vor den Helfershelfern der heiligen Polizei zu Grabe getragen. Der Vorsitzende fragte den neuen Demosthenes weiter, ob er die Verfassung vom 5. Dezember als rechtsgültig anerkenne? Das ist meine Pflicht, lautete die Antwort. Uebrigens bin ich der Mann nicht, der die Freiheit haßt.</p> <p>Hierauf wurden dem freiheitsliebenden Polizeimanne die das freie Associationsrecht betreffenden Paragraphen der octroyirten Verfassung vorgelesen, worauf sich derselbe verblüfft, sammt seinen Helfershelfern, einem Kommissar und Gensd'armen, verzog. Damit war die Versammlung indeß nicht zufriedengestellt. Einer an den Oberbürgermeister, Grafen v. Villiers (pur asng), und an den Regierungspräsidenten abgeschickten Deputation wurde ein ausweichender Bescheid. „Man wolle die Sache untersuchen, müsse den Angeklagten erst hören etc., worauf man beschloß, eine Anklage gegen den v. Faldern auf Verletzung der Verfassung dem Oberprokurator einzureichen.</p> <p>Uebrigens hatte die hohe Polizei sofort, ohne daß die geringste Ruhestörung vorgefallen, zum eigenen Schutze eine ansehnliche Militärmacht requirirt, die vor dem Lokale und in den benachbarten Straßen aufgestellt, und die Gelegenheit abwarteten, ihre gewöhnliche Bravour Kindern und Wehrlosen gegenüber zeigen zu können.</p> <p>Man provocirt uns, um uns wieder mit dem gesegneten Belagerungszustand begnaden zu können. Wie übrigens solche Taktlosigkeiten der Regierung der guten Sache nützen, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen.</p> <p>Darum — es lebe der freiheitsliebende Polizeimann v. Faldern, der tüchtige Demokratenfabrikant.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1123/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 206. Köln, Samstag den 27. Januar. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Urwahl-Erfahrungen. — Interpellationen an H. H. Engels und Gräff. — Wahlnotizen). Düsseldorf. (Vorfälle bei den Wahlen). Hersel, Velbert, Dahlen, Sieglar, Düren, Bensberg, Uerdingen, Trier, Wesel, Wetzlar. (Wahlen). Crefeld. (Vorfälle bei den Wahlen). Kreuznach. (Preßverfolgung. — Die Wahlen). Wattenscheid, Bielefeld. (Wahlen). Berlin. (Wahlmanöver — Das Salair der Maschinenbauer — Börsengerüchte). Nordhausen, Greifswald, Stettin. (Wahlen). Löwenberg. (Verhaftungen. — Die Wohnung eines Frankfurter Abgeordneten versiegelt). Waldenburg. (Wahlmanöver der Konstitutionellen). München. (Kammereröffnung). Gotha. (Stimmung gegen Preußen). Kremsier. (Interpellation wegen Galizien. — Sieg der Linken).
Ungarn. Pesth. (Gerücht über Kossuth. — Winterquartier der Standrechtshorden. — Proklamation). Preßburg. (Begnadigung mit Pulver und Blei). Agram. (Das Landesconsilium).
Italien. Mailand. (Das Hauptquartier nach Cremona). Rom. (Brief des Pabstes an Zucchi. — Hülfe von Spanien. — Drohung Caninos. — Antonelli. — Revolutions-Tribunal).
Spanien. Madrid. (Neue Insurgentencorps).
Belgien. Lüttich. (Die Cholera).
Französische Republik. Paris. (Der Beschluß über die Mai-Insurgenten — Die Parteien und die Situation. — Journalschau. — Complotte. — Volk und Bourgeoisie. — Studentenkrawall. — Bourgeoisrache. — Cousin und Thiers. — National-Versammlung).
Großbritannien. London. (Verdikt über die Leichen von Tooting. — Sir J. Franklin nicht gefunden).
Amerika. New-York. (Das Eisenbahnnetz. — Aus Hayti. — Verbindung zwischen New-York und Montreal. — Die Extra-Meilengelder der Abgeordneten. — Der Herald. — Der Kölnische Correspondent der „Schnellpost.“ — Die Freibodenfrage. — Fortschritt der Association. — Hecker).
Neueste Nachrichten. Elberfeld, Lennep. (Wahldetails). Overath. (Die erste Kammer). Lage bei Detmold. (Crawall).
Deutschland. * Köln, 26. Januar. Mit schwerem Herzen, aber stets bereit, seinen Mitbürgern das Schatzkästlein seines Geistes zu öffnen, antwortet Ehren-Brüggemann auf unsern vorgestrigen Artikel durch „Urwahl-Erfahrungen“.
Herr Brüggemann bleibt dabei: Das gegenwärtige Wahlgesetz macht, so lange nicht etc. etc. … vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich.
Schönes Kompliment für das octroyirte Wahlgesetz! Um so schöner, als sein Verfasser Niemand anders ist, als der dankbarste Anbeter der im neuen Wahlgesetz vollendeten „rettenden That der Krone“!
Die „rettende That der Krone“ läuft also darauf hinaus, daß sie „vernünftige und maßgebende Wahlen unmöglich“ gemacht, und Ehren-Brüggemann überzeugt hat, daß wir uns noch lange nicht „schmeicheln dürfen, die Revolution definitiv abgeschlossen zu haben“!
Armer Brüggemann! Unglückliche Krone!
Herr Brüggemann bemüht sich nun, Mittel aufzufinden, welche, vereint mit dem jetzigen Wahlgesetze, „vernünftige und maßgebende“, d. h. nicht demokratische, nicht oppositionelle Wahlen, Wahlen im Sinne der rettenden That vom 5. Dezbr. möglich machen.
Sehr einfach! Ein hoher Census nebst specieller Vertretung des großen Grundbesitzes würde gewiß alle Anforderungen des tiefen Denkers Brüggemann befriedigen.
Aber nein! Die Krone hat einen Schein von allgemeinem Stimmrecht beibehalten, und Brüggemann hat Ordre, nie reaktionärer zu sein, als die Krone. Es muß auch solche Käuze geben, sagt Manteuffel, wenn man ihm von Brüggemann spricht.
Deswegen halten „Wir die Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts für sehr werthvoll“, denn „Uns ist es Ernst um die wahre Demokratie“ — so lange nämlich nicht „neue Octroyirungen werden nothwendig werden“!!
Aber woran liegt es denn, daß die „Errungenschaft des allgemeinen Stimmrechts“ zu demokratischen Wahlen geführt und ihren Verehrer Brüggemann so tief gekränkt hat?
Die Wahlen waren diesmal entschiedene Parteiwahlen. Das beweist der Umstand, daß fast überall die erste Wahl zugleich die enge, entscheidende Wahl war. Die Urwähler stimmten in voller Kenntniß der Sache; es handelte sich für sie um Sturz oder um Aufrechthaltung des Ministeriums und seiner kontrerevolutionären Akte. Die ungeheuere Majorität des Landes — das ist jetzt schon gewiß — erklärt sich für den Sturz des Ministeriums, für Vernichtung seiner Akte. Herr Brüggemann will das Gegentheil, und er vertritt doch die „wahre Demokratie“, die „wahre“ Majorität. Wie hängt das zusammen?
Die Sache hat, nach Ehren-Brüggemann, zwei Haken. Erstens:
„Es fehlte überall an einer genügend allgemeinen Theilnahme.“
Die „erschreckende Theilnahmlosigkeit des mittleren Bürgerstandes“ ist bereits eingeschrumpft zu einem bloßen Mangel „an einer genügend allgemeinen Theilnahme“. Erste „Urwahl-Erfahrung“ und, um mit Hrn. Brüggemann zu reden: „von dieser Erfahrung wollen wir sogleich Urkunde nehmen“.
Wir haben auf diesen Punkt bereits geantwortet. Wir behaupten, daß dieser Mangel an Theilnahme, wo er existirte, aus der Sicherheit des Resultats hervorging, und auf das Resultat selbst keinen Einfluß gehabt hat. Wir behaupten ferner, daß er an manchen Orten aus dem Schamgefühl mancher Conservativen hervorging, die im November, sei es aus Ehrlichkeit, sei es aus Furcht vor einer neuen Revolution, Dankadressen an die Nationalversammlung schickten und jetzt nicht für die entgegengesetzte Politik stimmen mögen. Nicht jeder Heuler ist ein Lazzarone, der heute schreit: eviva la constituzione, und morgen für eine Schüssel Macaroni sein: eviva il Rè e la santa fede in die Welt brüllt. Nicht jeder Bourgeois versteht so unverzüglich den Mantel nach dem Winde zu hängen, wie gewisse unerschütterliche Catonen des Rechtsbodens.
Oder sagen Sie uns doch, Herr Brüggemann, warum konnten die Demokraten zuweilen „über Mittag _ uitars holen“, während Sie seufzend bekennen: „Wir haben in den letzten Wochen zu einer allgemeinen Theilnahme wiederholt aufgefordert, und wiederholt jeden Leser gebeten in seinem Kreise für eine möglichst allgemeine Betheiligung … zu wirken … Diese Anmahnungen sind … wohl größtentheils umsonst gewesen!“
Nun der zweite Haken: „Die gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen.“
Allerdings, hätten sämmtliche „Wahlgenossen“ der heiligen Stadt Köln die erhabenen Eigenschaften Ehren-Brüggemann's gekannt, er wäre in allen 64 Bezirken zum Wahlmanne gewählt worden, während die „gegenseitige Fremdheit der Wahlgenossen“ ihn jetzt in seinem eigenen Bezirke durchfallen ließ!
Wenn unsere gegenwärtigen Wahlen einigermaßen entschieden ausgefallen sind, so liegt das gerade daran, daß diese Fremdheit existirte, oder daß, wo sie nicht existirte, man handelte, als ob man einander fremd sei. Man wählte nicht den „ehrenwerthen Charakter,“ den „angesehenen Mann,“ den „einflußreichen Kapitalisten,“ man wählte den Demokraten oder den Contrerevolutionär, den Oppositionsmann oder den Konservativen. Man hatte die Hauptsache im Auge und ließ sich nicht durch persönliche Rücksichten bestimmen. Und daher werden unsere Wahlen uns — so oder so — eine Entscheidung bringen.
Aber das gerade kränkt unsern Brüggemann so tief. Und darum macht er Projekte, wie dieser Fremdheit abzuhelfen, wie die Urwähler des Bezirks persönlich mit einander bekannt zu machen, wie persönliche, patriarchalische Beziehungen in die Wahl hineinzubringen seien; darum schlägt er vor, die Wahlmänner zu permanenten Bezirksvertretern zu machen, damit bei ihrer Wahl nicht die einfache Rücksicht gelte: ob sie gut genug seien, einen Deputirten im Sinne des Bezirks zu ernennen, sondern damit hunderte andere Rücksichten ins Spiel kommen, die mit der Wahl gar nichts zu thun haben, z. B. ob sie gute Geschäftsmänner sind und zu Gemeindeverordneten u. s. w. passen, ob sie allerlei für die Wahl gleichgültige Kapazitäten und Kenntnisse besitzen etc.
Die indirekte Wahl ist schon eine höchst verworrene und unnütze Operation. Aber für Ehren-Brüggemann, den Ritter von der wahren, der oktroyirten Demokratie, ist sie noch viel zu einfach. Er möchte sie so unklar machen, daß kein Mensch mehr daraus klug würde. Dann erst, wenn die Verwicklung, das Tohuwabohu auf den höchsten Grad gediehen, dann erst hofft unser oktroyirter Schlaukopf auf „vernünftige und maßgebende Wahlen!“
Aber Alles das reicht noch nicht hin. Das Alles soll blos gelten „Zum Uebergang und für die Zwischenzeit.“ Das Ziel von dem Allen liegt anderswo. Man höre:
„Eine Kluft liegt zwischen den verschiedenen Berufs- und Lebenskreisen unserer heutigen bürgerlichen Gesellschaft, die damit, daß das Wahlgesetz sie ignorirt, wahrlich noch nicht ausgefüllt ist! Könnte man einstweilen die — unseres Erachtens sehr falsche und abergläubige — politische Scheu vor gesetzlicher Anerkennung und Berücksichtigung dieser Unterschiede noch nicht überwinden, so müßte man mindestens — obige Uebergangsmaßregeln ergreifen.“
Dazu erklärt Hr. Brüggemann: „Man solle den rettenden Ausweg nicht in dem alten ausgefahrenen Geleise des nackten Census suchen.“
Das heißt, gerade herausgesprochen, dasselbe, was die Galgenzeitung täglich predigt: Mit einer modernen Volksvertretung ist nicht zu regieren. Man schaffe das allgemeine Wahlrecht ab und wähle nach Ständen, man jage die konstitutionellen Kammern zum Teufel und berufe den alten ständischen Vereinigten Landtag, der allein noch kapabel ist, mit Gott für König und Vaterland zu marschiren!
Diese Dinge predigt Hr. Brüggemann in der Kölnischen Zeitung 11 Monate nach der Februarrevolution, 10 Monate nach den März-„Ereignissen;“ und diesen unverhüllten Feudalmist nennt er „wahre Demokratie“ und „Befestigung des demokratischen Prinzips“ durch „weitere ergänzende demokratische Organisationen auf dem gewerblichen und sozialen Gebiete!!!“
In der That, wir machen Fortschritte!
068 Köln, 26. Januar. Als wir gestern die Antwort des Herrn zweiten Kommandanten Engels abdruckten, versprachen wir neue Interpellationen. Sie erfolgen sogleich heute. Sie gehen entweder Hrn. Engels oder den kommissarischen Hrn. Oberbürgermeister Gräff an.
In der hiesigen Dominikaner- (Artillerie-) Kaserne wohnen gegenwärtig höchstens 800-850 Menschen, Weiber und Kinder eingerechnet. Diese Kaserne, par ordre du Mufti, zu einem besondern Wahlbezirk konstituirt, hatte somit drei Wahlmänner zu wählen, wie auch in der offiziellen Eintheilung der Wahlbezirke angegeben war. So hieß es wenigstens in dem uns zugesandten Abklatsch und so druckten wir es mit ab. Trotzdem hat dieser Wahlbezirk, der vierzigste, nicht weniger als fünf Wahlmänner gewählt, und zwar die Herren: Hauptmann Lengsfeld, Feldwebel Wintersberg, Feldwebel Mörk, Sergeant Dörner und Hauptmann v. Falkenstein.
Wie wir hören, ist dies folgendermaßen zugegangen: Der Wahlkommissar, ein Premier-Lieutenant, erklärte, die „Neue Rheinische Zeitung“ habe zwar mitgetheilt, der vierzigste Bezirk habe nur drei Wahlmänner zu wählen, man wisse aber nicht, ob dies authentisch und vom Oberbürgermeister so festgesetzt sei und nach der Seelenzahl des vierzigsten Bezirks müßten fünf Wahlmänner gewählt werden. Darauf schritt er zur Wahl und brachte ruhig seine fünf Wahlmänner zu Stande.
Das Mandat der beiden Letztgewählten, der Herren Dörner und Falkenstein, ist sonach ungültig, und jede Wahl eines Deputirten, bei der ihre beiden Stimmen den Ausschlag geben sollten, ist ebenfalls ungültig.
Wir fragen nun Hrn. Oberst Engels und Hrn. kommissarischen Oberbürgermeister Gräff: „Haben Sie gegen obige Thatsachen etwas einzuwenden? Und wenn nicht, an wem liegt die Schuld, daß solche schreiende Wahlverfälschungen vorkommen konnten? Und was werden Sie thun, um einen so unverschämten Bruch des Wahlreglements und Wahlgesetzes wieder zu repariren?“
Glauben die Herren etwa, die uns Demokraten aufoctroyirten Gesetze seien zwar verbindlich für uns, nicht aber für so eifrige Diener der gottbegnadeten Monarchie wie sie sind?
Wir fordern die demokratischen Wahlmänner auf, die beiden ungesetzlich erwählten Wahlmänner nicht in ihrer Mitte zu dulden, falls die Behörden sich von den angeführten Beschuldigungen nicht rein waschen.
Ferner: Hr. Engels wird gelesen haben, was wir in Nr. 204 über die Wahlen in der Blankenheimer Kaserne gesagt haben. Hr. Engels tritt mehrere Male in dieser Erzählung handelnd auf. Hr. Engels muß wissen, was an der Sache ist — er soll sie theilweise arrangirt und nachher mit angesehen haben. Wir fragen ihn nun: Ist dieser Bericht wahr, ja oder nein?
Und ist er entstellt, in welchen Angaben ist er entstellt?
Wir ersuchen Hrn. Engels um gef. baldige Antwort. Die Wahlmänner können nicht lange warten.
068 Köln, 26. Febr. Mit der Berliner Post sind uns eine Menge Wahlnotizen zugegangen, aus denen wir hier die interessantesten kurz zusammenfassen.
In Potsdam sind nicht blos 80, sondern 85 gegen 60 preußenvereinliche Wahlmänner durchgegangen. Aus Frankfurt a. d. O. lautet das Wahlresultat: 3/4 Demokraten, 1/4 Reaktionärs. Zu Cüstrin 27 „demokratisch-konstitutionelle“ und 7 reaktionäre Wahlmänner.
Luckau hat 7 „Steuerverweigerer“ (laut Bericht in der Galgenzeitung) gewählt. Die Wahlmänner, welche sich Sangerhausen ausgesucht, sind durch und durch radikal. Und so fast überall in der ganzen Provinz Sachsen, mit Ausnahme von Halle.
Die Nachrichten aus Schlesien: (Liegnitz, Oels, Bernstadt, Münsterberg, Waldenburg, Ohlau, Oberglogau, Hirschberg, Landshut, Trebnitz, Ratibor, Kosel u. s. w.) lauten insgesammt für die Demokratie höchst erfreulich.
15 Düsseldorf, 26. Jan. Wie die gottbegnadete preußische Bureaukratie die aus allerhöchster Gnade oktroyirte Verfassung handhabt, mögen Sie aus folgendem Pröbchen ersehen.
Heute Abend war eine Versammlung der demokratischen Wahlmänner des hiesigen Wahlbezirks, Abends 5 Uhr, im Hofe von Zweibrücken ausgeschrieben. Wohl an 300 Wahlmänner hatten sich eingefunden. Man war eben in einer lebhaften Debatte begriffen, als sich plötzlich die Thüren öffneten und ein sonderbarer Theilnehmer dieser ehrenwerthen Versammlung sich einstellte: Unser neuer Polizei-Inspektor, Exlieutenant etc., eifersüchtig auf den Ruhm des Kommunisten Drigalski und des großen Schellfisch-Vertilgers Spiegel und vor Begierde brennend, der Dritte in diesem lorbeerumkränzten Bunde zu werden, hatte es für seine Pflicht gehalten, diese anarchische und wühlende Versammlung in seine väterliche Obhut zu nehmen. Die tiefste Entrüstung ergriff die anwesenden Wahlmänner. Es wäre ohne die Ruhe des Vorsitzenden, Abgeordneten Euler, zum Konflikte gekommen. Auf die Frage desselben, wer er wäre, erwiderte der unberufene Gast: „Ich bin der königl. Polizei-Inspektor und hier erschienen in Folge eines Winkes von Oben. So gut wie Sie das Gesetz und Ihre Rechte in Anspruch nehmen, so gebietet mir meine Stellung, die Rechte der Regierung in Obacht zu nehmen.“ Nach diesen, wahrscheinlich auswendig gelernten Redensarten, denn Hr. v. Faldern scheint der Mann nicht zu sein, der sich viel mit Denken beschäftigt, glaubte der große Redner jeden Einwand gegen seine Anwesenheit niedergedonnert zu haben. Doch er irrte sich — Düsseldorf ist nicht Wald und der beschränkte Unterthanenverstand längst mit sammt der Furcht vor den Helfershelfern der heiligen Polizei zu Grabe getragen. Der Vorsitzende fragte den neuen Demosthenes weiter, ob er die Verfassung vom 5. Dezember als rechtsgültig anerkenne? Das ist meine Pflicht, lautete die Antwort. Uebrigens bin ich der Mann nicht, der die Freiheit haßt.
Hierauf wurden dem freiheitsliebenden Polizeimanne die das freie Associationsrecht betreffenden Paragraphen der octroyirten Verfassung vorgelesen, worauf sich derselbe verblüfft, sammt seinen Helfershelfern, einem Kommissar und Gensd'armen, verzog. Damit war die Versammlung indeß nicht zufriedengestellt. Einer an den Oberbürgermeister, Grafen v. Villiers (pur asng), und an den Regierungspräsidenten abgeschickten Deputation wurde ein ausweichender Bescheid. „Man wolle die Sache untersuchen, müsse den Angeklagten erst hören etc., worauf man beschloß, eine Anklage gegen den v. Faldern auf Verletzung der Verfassung dem Oberprokurator einzureichen.
Uebrigens hatte die hohe Polizei sofort, ohne daß die geringste Ruhestörung vorgefallen, zum eigenen Schutze eine ansehnliche Militärmacht requirirt, die vor dem Lokale und in den benachbarten Straßen aufgestellt, und die Gelegenheit abwarteten, ihre gewöhnliche Bravour Kindern und Wehrlosen gegenüber zeigen zu können.
Man provocirt uns, um uns wieder mit dem gesegneten Belagerungszustand begnaden zu können. Wie übrigens solche Taktlosigkeiten der Regierung der guten Sache nützen, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen.
Darum — es lebe der freiheitsliebende Polizeimann v. Faldern, der tüchtige Demokratenfabrikant.
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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