Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 5. Prag, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] Thales fließt. Die herabgeglittenen Eismassen hemm-
ten den Lauf des Baches dergestalt, daß das Wasser
ins Thal zurücktrat und endlich einen See bildete,
der 7200 Fuß lang, 630 breit und 180 Fuß tief
war. Nur durch die angestrengteste Thätigkeit gelang
es endlich dem Wasser, nachdem es die fürchterlich-
sten Verwüstungen angerichtet hatte, einen Abfluß
zu verschaffen.

Bergstürzeoder Bergfälle ( in der Schweiz
Bergschlipfen, im Salzburgischen Blacken ge-
nannt ) ereignen sich dann, wenn durch den geschmol-
zenen Schnee und durch anhaltenden Regen das
Erdreich auf den Bergen so sehr erweicht wird, daß
es die Bindungskraft, womit Steine und Felsblöcke
zusammengehalten werden, verliert, die dann, wenn
noch allenfalls Stürme dazukommen, auseinander-
bersten und in die Thäler hinabstürzen.

Ein solcher Sturz vom Ruffi=Berge herab, war
es auch, der das Dorf Goldau ( Kanton Schwyz )
am 2. September 1806 dergestalt verschüttete, daß
es mit einem Hügel von Steinen, einige hundert
Fuß hoch, bedeckt war.

Augenzeugen, die sich damals gerade in der
Nähe befanden, erzählen, daß es geschienen, als ob
der Ruffi=Berg, der zur Linken des Dorfes liegt,
plötzlich sich zu bewegen anfinge, worauf ein Schauer
von Steinen mit der Schnelligkeit des Blitzes her-
abfuhr, so daß sie nur in der eiligsten Flucht ihre
Rettung fanden.

Die herabgerollten Steinmassen bedeckten in Zeit
weniger Minuten das fruchtbare Goldauer = Thal
bis zum Rigi auf eine Stunde Breite und Länge;
die herrlichsten Landstrecken waren in Wüsteneien
verwandelt, die Dörfer Goldau, Bueßingen,
Röthen
und Lowerz waren mit vier bis fünf
hundert Menschen unter den Felsentrümmern begra-
ben und der nördliche Theil des Lowerzer Sees war
ganz mit Steinmassen ausgefüllt. Am Ruffi=Berge
waren ganze Waldungen entwurzelt und mit herab-
geschleudert worden.

Den darauf folgenden Winter, nachdem dieses
Unglück sich ereignet hatte, stürzte neuerlich eine
Menge Steinblöcke und Bäume von der Steinber-
gerflur ins Thal hinab. Die Wirkung dieses Stur-
zes auf dem Lowerzer See war äußerst merkwürdig.
Das Wasser stieg nämlich, gleich als wie von einem
Sturme aufgeregt zu einer Höhe von 60 bis 70 Fuß
in der Richtung nach dem Dorfe Seven hin, das
auf der andern Seite des Sees gelegen ist. Mehrere
Tage lang blieb eine kleine Jnsel, die sich in dem
See befindet, so hoch mit Wasser bedeckt, daß man
nur die Wipfel der Bäume sehen konnte. Auf der
andern Jnsel, Namens Schevannes stieg das
Wasser bis zu den Glocken der Kapelle empor. Die
außerordentliche Bewegung des Sees währte eine
volle Stunde.

Die Kapelle zu Olten, nahe an Seven, wurde
von den Fluthen fortgerissen und bis nach Stei-
nen,
eine halbe Meile weit fortgetrieben.

Das Dorf Lowerz war ganz unter Bergtrüm-
mern begraben, so daß nur die Kirchthurmspitze
noch hervorragte und andeutete, wo das Dorf ge-
standen.     S.



Stimmen des Auslandes über Böhmen.

Hr. Dr. de Carro bringt uns in seinem " Al-
manach de Carlsbad
" für das Jahr 1834 einen
[Spaltenumbruch] neuen merkwürdigen Beweis der Jrrthümer, welche
selbst unter den gelehrtesten Franzosen in Bezug auf
Böhmen und die Slawen noch immer herrschen. Der
gelehrte Archäologe ( Alterthumsforscher ) Edgar
Quinet
sagt nämlich im Eingange eines Aufsatzes
über die " Königinhofer Handschrift " Fol-
gendes:

"Noch herrscht ein Geheimniß über diesem sla-
wischen Geschlechte. Seine Geschichte gleicht seinen
Volksliedern, es ist immer ein Ritter auf einem sich
bäumenden Rosse, der auf unbekanntem Wege dahin
sprengt, weder Spuren auf dem Sande, noch einen
Schatten hinter sich läßt, und verschwindet, sobald
man ihn betrachtet. Nach den germanischen Ein-
wanderungen ritt dieses Volk von Sarmaten oder Sky-
then auch im Galopp in die Geschichte ein, um zur
rechten Zeit zum großen Rendesvous ( Stelldichein )
des Mittelalters zu kommen. Beweglich, wie der
aufgeschwemmte Boden, auf welchem es sich regte,
weis man nicht, wohin es gegangen, und wo man
es wieder finden soll. *)

Als der germanische Stamm Europa vor den
Einfällen der Sarazenen, von Seiten Spaniens ge-
rettet hatte, schlug das slawische Volk seinerseits den
letzten Anfall aus dem Osten unter den Söhnen des
Dschingis=Chan muthig ab. Diese beiden
Stämme an einander gefügt, wie der zweiköpfige
Adler, zerschnitten, jeder nach seiner Weise, das
Morgenland, das sie angriff. Nach diesem Kampfe,
welcher dem Volke seine Einheit gegeben hatte, lösten
sich seine Stämme auf; einer derselben setzte sich
wahrhaft abentheuerlich nächst dem Herzen Deutsch-
lands fest. Dies ist Böhmen, welchem insbesondere
die Gesänge angehören, von welchen wir eben zu
sprechen im Begriff; verirrt in ihrem Laufe, mit ihren
Zauberinnen, Schwarzkünstlern und Gauklern, ihren
Städten der Todten, ihrer lebhaften und hellklin-
genden Sprache, ihrem zweideutigen Ursprung, das
Glück in der Fremde suchend; vergnügt mit dem
Himmel von Prag, mit den Fluthen der Elbe, ist
diese kleine Nation selbst in der Geschichte eine muth-
willige Zigeunerin ( Bohemienne ) **) in Mitten
des ernsten Kreises deutscher Völkerschaften, die sie
umgeben.

Noch interessanter und bedeutender wird diese
französische Stelle, indem sie unserem gelehrten Pa-
lacky
Anlaß gab, sie in folgenden Noten nicht allein
zu widerlegen, sondern zugleich über diesen wichtigen
Gegenstand einige eben so neue als lichtvolle An-
sichten auszusprechen.

[Ende Spaltensatz]
*) Hr. Edgar Quinet bietet uns ein deutliches Beispiel
von der Möglichkeit dar, angenehm und geistreich über
das zu schreiben, was man nicht, oder wenigstens
schlecht weiß; denn, ganz mit ihm einverstanden, daß
das slawische Alterthum noch mit tiefem Dunkel umhüllt
ist, sind wir doch weit entfernt, seine Erklärungsart an-
nehmen zu wollen, welche auf offenbaren Jrrthümern
beruht. Er stellt sich die alten Slawen als irrende Ritter
vor, die auf scheuen Rossen die Welt durchziehen, wäh-
rend im Gegentheile die Geschichte sie uns zeichnet, wie
sie fast immer zu Fuße kämpfen, und nur durch die Ge-
walt vertrieben, ihre Wohnplätze verlassen. Erst, nachdem
sie im Osten verdrängt wurden, erschienen sie im Westen
und Süden als Eroberer, aber, weit entfernt von einem
herumschweifenden, und beimathlosen Leben, blieben sie
fest in dem erworbenen Lande, bearbeiteten es, und erbau-
ten überall Städte, Dörfer und Schlösser.
**) Wenn wir in Böhmen Hrn. Quinet von unsern
Zauberinnen, Schwarzkünstlern und Gauklern,
und endlich von unserm zweideutigen Ursprung

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] Thales fließt. Die herabgeglittenen Eismassen hemm-
ten den Lauf des Baches dergestalt, daß das Wasser
ins Thal zurücktrat und endlich einen See bildete,
der 7200 Fuß lang, 630 breit und 180 Fuß tief
war. Nur durch die angestrengteste Thätigkeit gelang
es endlich dem Wasser, nachdem es die fürchterlich-
sten Verwüstungen angerichtet hatte, einen Abfluß
zu verschaffen.

Bergstürzeoder Bergfälle ( in der Schweiz
Bergschlipfen, im Salzburgischen Blacken ge-
nannt ) ereignen sich dann, wenn durch den geschmol-
zenen Schnee und durch anhaltenden Regen das
Erdreich auf den Bergen so sehr erweicht wird, daß
es die Bindungskraft, womit Steine und Felsblöcke
zusammengehalten werden, verliert, die dann, wenn
noch allenfalls Stürme dazukommen, auseinander-
bersten und in die Thäler hinabstürzen.

Ein solcher Sturz vom Ruffi=Berge herab, war
es auch, der das Dorf Goldau ( Kanton Schwyz )
am 2. September 1806 dergestalt verschüttete, daß
es mit einem Hügel von Steinen, einige hundert
Fuß hoch, bedeckt war.

Augenzeugen, die sich damals gerade in der
Nähe befanden, erzählen, daß es geschienen, als ob
der Ruffi=Berg, der zur Linken des Dorfes liegt,
plötzlich sich zu bewegen anfinge, worauf ein Schauer
von Steinen mit der Schnelligkeit des Blitzes her-
abfuhr, so daß sie nur in der eiligsten Flucht ihre
Rettung fanden.

Die herabgerollten Steinmassen bedeckten in Zeit
weniger Minuten das fruchtbare Goldauer = Thal
bis zum Rigi auf eine Stunde Breite und Länge;
die herrlichsten Landstrecken waren in Wüsteneien
verwandelt, die Dörfer Goldau, Bueßingen,
Röthen
und Lowerz waren mit vier bis fünf
hundert Menschen unter den Felsentrümmern begra-
ben und der nördliche Theil des Lowerzer Sees war
ganz mit Steinmassen ausgefüllt. Am Ruffi=Berge
waren ganze Waldungen entwurzelt und mit herab-
geschleudert worden.

Den darauf folgenden Winter, nachdem dieses
Unglück sich ereignet hatte, stürzte neuerlich eine
Menge Steinblöcke und Bäume von der Steinber-
gerflur ins Thal hinab. Die Wirkung dieses Stur-
zes auf dem Lowerzer See war äußerst merkwürdig.
Das Wasser stieg nämlich, gleich als wie von einem
Sturme aufgeregt zu einer Höhe von 60 bis 70 Fuß
in der Richtung nach dem Dorfe Seven hin, das
auf der andern Seite des Sees gelegen ist. Mehrere
Tage lang blieb eine kleine Jnsel, die sich in dem
See befindet, so hoch mit Wasser bedeckt, daß man
nur die Wipfel der Bäume sehen konnte. Auf der
andern Jnsel, Namens Schevannes stieg das
Wasser bis zu den Glocken der Kapelle empor. Die
außerordentliche Bewegung des Sees währte eine
volle Stunde.

Die Kapelle zu Olten, nahe an Seven, wurde
von den Fluthen fortgerissen und bis nach Stei-
nen,
eine halbe Meile weit fortgetrieben.

Das Dorf Lowerz war ganz unter Bergtrüm-
mern begraben, so daß nur die Kirchthurmspitze
noch hervorragte und andeutete, wo das Dorf ge-
standen.     S.



Stimmen des Auslandes über Böhmen.

Hr. Dr. de Carro bringt uns in seinem „ Al-
manach de Carlsbad
“ für das Jahr 1834 einen
[Spaltenumbruch] neuen merkwürdigen Beweis der Jrrthümer, welche
selbst unter den gelehrtesten Franzosen in Bezug auf
Böhmen und die Slawen noch immer herrschen. Der
gelehrte Archäologe ( Alterthumsforscher ) Edgar
Quinet
sagt nämlich im Eingange eines Aufsatzes
über die „ Königinhofer Handschrift “ Fol-
gendes:

„Noch herrscht ein Geheimniß über diesem sla-
wischen Geschlechte. Seine Geschichte gleicht seinen
Volksliedern, es ist immer ein Ritter auf einem sich
bäumenden Rosse, der auf unbekanntem Wege dahin
sprengt, weder Spuren auf dem Sande, noch einen
Schatten hinter sich läßt, und verschwindet, sobald
man ihn betrachtet. Nach den germanischen Ein-
wanderungen ritt dieses Volk von Sarmaten oder Sky-
then auch im Galopp in die Geschichte ein, um zur
rechten Zeit zum großen Rendesvous ( Stelldichein )
des Mittelalters zu kommen. Beweglich, wie der
aufgeschwemmte Boden, auf welchem es sich regte,
weis man nicht, wohin es gegangen, und wo man
es wieder finden soll. *)

Als der germanische Stamm Europa vor den
Einfällen der Sarazenen, von Seiten Spaniens ge-
rettet hatte, schlug das slawische Volk seinerseits den
letzten Anfall aus dem Osten unter den Söhnen des
Dschingis=Chan muthig ab. Diese beiden
Stämme an einander gefügt, wie der zweiköpfige
Adler, zerschnitten, jeder nach seiner Weise, das
Morgenland, das sie angriff. Nach diesem Kampfe,
welcher dem Volke seine Einheit gegeben hatte, lösten
sich seine Stämme auf; einer derselben setzte sich
wahrhaft abentheuerlich nächst dem Herzen Deutsch-
lands fest. Dies ist Böhmen, welchem insbesondere
die Gesänge angehören, von welchen wir eben zu
sprechen im Begriff; verirrt in ihrem Laufe, mit ihren
Zauberinnen, Schwarzkünstlern und Gauklern, ihren
Städten der Todten, ihrer lebhaften und hellklin-
genden Sprache, ihrem zweideutigen Ursprung, das
Glück in der Fremde suchend; vergnügt mit dem
Himmel von Prag, mit den Fluthen der Elbe, ist
diese kleine Nation selbst in der Geschichte eine muth-
willige Zigeunerin ( Bohemienne ) **) in Mitten
des ernsten Kreises deutscher Völkerschaften, die sie
umgeben.

Noch interessanter und bedeutender wird diese
französische Stelle, indem sie unserem gelehrten Pa-
lacky
Anlaß gab, sie in folgenden Noten nicht allein
zu widerlegen, sondern zugleich über diesen wichtigen
Gegenstand einige eben so neue als lichtvolle An-
sichten auszusprechen.

[Ende Spaltensatz]
*) Hr. Edgar Quinet bietet uns ein deutliches Beispiel
von der Möglichkeit dar, angenehm und geistreich über
das zu schreiben, was man nicht, oder wenigstens
schlecht weiß; denn, ganz mit ihm einverstanden, daß
das slawische Alterthum noch mit tiefem Dunkel umhüllt
ist, sind wir doch weit entfernt, seine Erklärungsart an-
nehmen zu wollen, welche auf offenbaren Jrrthümern
beruht. Er stellt sich die alten Slawen als irrende Ritter
vor, die auf scheuen Rossen die Welt durchziehen, wäh-
rend im Gegentheile die Geschichte sie uns zeichnet, wie
sie fast immer zu Fuße kämpfen, und nur durch die Ge-
walt vertrieben, ihre Wohnplätze verlassen. Erst, nachdem
sie im Osten verdrängt wurden, erschienen sie im Westen
und Süden als Eroberer, aber, weit entfernt von einem
herumschweifenden, und beimathlosen Leben, blieben sie
fest in dem erworbenen Lande, bearbeiteten es, und erbau-
ten überall Städte, Dörfer und Schlösser.
**) Wenn wir in Böhmen Hrn. Quinet von unsern
Zauberinnen, Schwarzkünstlern und Gauklern,
und endlich von unserm zweideutigen Ursprung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0002" n="34"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Panorama des Universums.</hi></fw><cb type="start"/>
Thales fließt. Die herabgeglittenen Eismassen hemm-<lb/>
ten den Lauf des Baches dergestalt, daß das Wasser<lb/>
ins Thal zurücktrat und endlich einen See bildete,<lb/>
der 7200 Fuß lang, 630 breit und 180 Fuß tief<lb/>
war. Nur durch die angestrengteste Thätigkeit gelang<lb/>
es endlich dem Wasser, nachdem es die fürchterlich-<lb/>
sten Verwüstungen angerichtet hatte, einen Abfluß<lb/>
zu verschaffen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Bergstürze</hi>oder <hi rendition="#g">Bergfälle</hi> ( in der Schweiz<lb/><hi rendition="#g">Bergschlipfen,</hi> im Salzburgischen <hi rendition="#g">Blacken</hi> ge-<lb/>
nannt ) ereignen sich dann, wenn durch den geschmol-<lb/>
zenen Schnee und durch anhaltenden Regen das<lb/>
Erdreich auf den Bergen so sehr erweicht wird, daß<lb/>
es die Bindungskraft, womit Steine und Felsblöcke<lb/>
zusammengehalten werden, verliert, die dann, wenn<lb/>
noch allenfalls Stürme dazukommen, auseinander-<lb/>
bersten und in die Thäler hinabstürzen.</p><lb/>
        <p>Ein solcher Sturz vom Ruffi=Berge herab, war<lb/>
es auch, der das Dorf Goldau ( Kanton Schwyz )<lb/>
am 2. September 1806 dergestalt verschüttete, daß<lb/>
es mit einem Hügel von Steinen, einige hundert<lb/>
Fuß hoch, bedeckt war.</p><lb/>
        <p>Augenzeugen, die sich damals gerade in der<lb/>
Nähe befanden, erzählen, daß es geschienen, als ob<lb/>
der Ruffi=Berg, der zur Linken des Dorfes liegt,<lb/>
plötzlich sich zu bewegen anfinge, worauf ein Schauer<lb/>
von Steinen mit der Schnelligkeit des Blitzes her-<lb/>
abfuhr, so daß sie nur in der eiligsten Flucht ihre<lb/>
Rettung fanden.</p><lb/>
        <p>Die herabgerollten Steinmassen bedeckten in Zeit<lb/>
weniger Minuten das fruchtbare Goldauer = Thal<lb/>
bis zum Rigi auf eine Stunde Breite und Länge;<lb/>
die herrlichsten Landstrecken waren in Wüsteneien<lb/>
verwandelt, die Dörfer <hi rendition="#g">Goldau, Bueßingen,<lb/>
Röthen</hi> und <hi rendition="#g">Lowerz</hi> waren mit vier bis fünf<lb/>
hundert Menschen unter den Felsentrümmern begra-<lb/>
ben und der nördliche Theil des Lowerzer Sees war<lb/>
ganz mit Steinmassen ausgefüllt. Am Ruffi=Berge<lb/>
waren ganze Waldungen entwurzelt und mit herab-<lb/>
geschleudert worden.</p><lb/>
        <p>Den darauf folgenden Winter, nachdem dieses<lb/>
Unglück sich ereignet hatte, stürzte neuerlich eine<lb/>
Menge Steinblöcke und Bäume von der Steinber-<lb/>
gerflur ins Thal hinab. Die Wirkung dieses Stur-<lb/>
zes auf dem Lowerzer See war äußerst merkwürdig.<lb/>
Das Wasser stieg nämlich, gleich als wie von einem<lb/>
Sturme aufgeregt zu einer Höhe von 60 bis 70 Fuß<lb/>
in der Richtung nach dem Dorfe <hi rendition="#g">Seven</hi> hin, das<lb/>
auf der andern Seite des Sees gelegen ist. Mehrere<lb/>
Tage lang blieb eine kleine Jnsel, die sich in dem<lb/>
See befindet, so hoch mit Wasser bedeckt, daß man<lb/>
nur die Wipfel der Bäume sehen konnte. Auf der<lb/>
andern Jnsel, Namens <hi rendition="#g">Schevannes</hi> stieg das<lb/>
Wasser bis zu den Glocken der Kapelle empor. Die<lb/>
außerordentliche Bewegung des Sees währte eine<lb/>
volle Stunde.</p><lb/>
        <p>Die Kapelle zu <hi rendition="#g">Olten,</hi> nahe an <hi rendition="#g">Seven,</hi> wurde<lb/>
von den Fluthen fortgerissen und bis nach <hi rendition="#g">Stei-<lb/>
nen,</hi> eine halbe Meile weit fortgetrieben.</p><lb/>
        <p>Das Dorf <hi rendition="#g">Lowerz</hi> war ganz unter Bergtrüm-<lb/>
mern begraben, so daß nur die Kirchthurmspitze<lb/>
noch hervorragte und andeutete, wo das Dorf ge-<lb/>
standen.  <space dim="horizontal"/>  S.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Stimmen des Auslandes über Böhmen.</hi> </head><lb/>
        <p>Hr. Dr. de <hi rendition="#g">Carro</hi> bringt uns in seinem &#x201E; <hi rendition="#aq">Al-<lb/>
manach de Carlsbad</hi> &#x201C; für das Jahr 1834 einen<lb/><cb n="2"/>
neuen merkwürdigen Beweis der Jrrthümer, welche<lb/>
selbst unter den gelehrtesten Franzosen in Bezug auf<lb/>
Böhmen und die Slawen noch immer herrschen. Der<lb/>
gelehrte Archäologe ( Alterthumsforscher ) <hi rendition="#g">Edgar<lb/>
Quinet</hi> sagt nämlich im Eingange eines Aufsatzes<lb/>
über die &#x201E; <hi rendition="#g">Königinhofer Handschrift</hi> &#x201C; Fol-<lb/>
gendes:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Noch herrscht ein Geheimniß über diesem sla-<lb/>
wischen Geschlechte. Seine Geschichte gleicht seinen<lb/>
Volksliedern, es ist immer ein Ritter auf einem sich<lb/>
bäumenden Rosse, der auf unbekanntem Wege dahin<lb/>
sprengt, weder Spuren auf dem Sande, noch einen<lb/>
Schatten hinter sich läßt, und verschwindet, sobald<lb/>
man ihn betrachtet. Nach den germanischen Ein-<lb/>
wanderungen ritt dieses Volk von Sarmaten oder Sky-<lb/>
then auch im Galopp in die Geschichte ein, um zur<lb/>
rechten Zeit zum großen Rendesvous ( Stelldichein )<lb/>
des Mittelalters zu kommen. Beweglich, wie der<lb/>
aufgeschwemmte Boden, auf welchem es sich regte,<lb/>
weis man nicht, wohin es gegangen, und wo man<lb/>
es wieder finden soll. <note place="foot" n="*)">Hr. <hi rendition="#g">Edgar Quinet</hi> bietet uns ein deutliches Beispiel<lb/>
von der Möglichkeit dar, angenehm und geistreich über<lb/>
das zu schreiben, was man <hi rendition="#g">nicht,</hi> oder wenigstens<lb/><hi rendition="#g">schlecht</hi> weiß; denn, ganz mit ihm einverstanden, daß<lb/>
das slawische Alterthum noch mit tiefem Dunkel umhüllt<lb/>
ist, sind wir doch weit entfernt, seine Erklärungsart an-<lb/>
nehmen zu wollen, welche auf offenbaren Jrrthümern<lb/>
beruht. Er stellt sich die alten Slawen als irrende Ritter<lb/>
vor, die auf scheuen Rossen die Welt durchziehen, wäh-<lb/>
rend im Gegentheile die Geschichte sie uns zeichnet, wie<lb/>
sie fast immer zu Fuße kämpfen, und nur durch die Ge-<lb/>
walt vertrieben, ihre Wohnplätze verlassen. Erst, nachdem<lb/>
sie im Osten verdrängt wurden, erschienen sie im Westen<lb/>
und Süden als Eroberer, aber, weit entfernt von einem<lb/>
herumschweifenden, und beimathlosen Leben, blieben sie<lb/>
fest in dem erworbenen Lande, bearbeiteten es, und erbau-<lb/>
ten überall Städte, Dörfer und Schlösser.</note> </p><lb/>
        <p>Als der germanische Stamm Europa vor den<lb/>
Einfällen der Sarazenen, von Seiten Spaniens ge-<lb/>
rettet hatte, schlug das slawische Volk seinerseits den<lb/>
letzten Anfall aus dem Osten unter den Söhnen des<lb/><hi rendition="#g">Dschingis=Chan</hi> muthig ab. Diese beiden<lb/>
Stämme an einander gefügt, wie der zweiköpfige<lb/>
Adler, zerschnitten, jeder nach seiner Weise, das<lb/>
Morgenland, das sie angriff. Nach diesem Kampfe,<lb/>
welcher dem Volke seine Einheit gegeben hatte, lösten<lb/>
sich seine Stämme auf; einer derselben setzte sich<lb/>
wahrhaft abentheuerlich nächst dem Herzen Deutsch-<lb/>
lands fest. Dies ist Böhmen, welchem insbesondere<lb/>
die Gesänge angehören, von welchen wir eben zu<lb/>
sprechen im Begriff; verirrt in ihrem Laufe, mit ihren<lb/>
Zauberinnen, Schwarzkünstlern und Gauklern, ihren<lb/>
Städten der Todten, ihrer lebhaften und hellklin-<lb/>
genden Sprache, ihrem zweideutigen Ursprung, das<lb/>
Glück in der Fremde suchend; vergnügt mit dem<lb/>
Himmel von <hi rendition="#g">Prag,</hi> mit den Fluthen der Elbe, ist<lb/>
diese kleine Nation selbst in der Geschichte eine muth-<lb/>
willige <hi rendition="#g">Zigeunerin</hi> ( <hi rendition="#aq">Bohemienne</hi> ) <note xml:id="FN01" next="#FN02" place="foot" n="**)">Wenn wir in Böhmen Hrn. <hi rendition="#g">Quinet</hi> von unsern<lb/><hi rendition="#g">Zauberinnen, Schwarzkünstlern</hi> und <hi rendition="#g">Gauklern,</hi><lb/>
und endlich von <hi rendition="#g">unserm zweideutigen Ursprung</hi></note> in Mitten<lb/>
des ernsten Kreises deutscher Völkerschaften, die sie<lb/>
umgeben.</p><lb/>
        <p>Noch interessanter und bedeutender wird diese<lb/>
französische Stelle, indem sie unserem gelehrten <hi rendition="#g">Pa-<lb/>
lacky</hi> Anlaß gab, sie in folgenden Noten nicht allein<lb/>
zu widerlegen, sondern zugleich über diesen wichtigen<lb/>
Gegenstand einige eben so neue als lichtvolle An-<lb/>
sichten auszusprechen.</p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0002] Panorama des Universums. Thales fließt. Die herabgeglittenen Eismassen hemm- ten den Lauf des Baches dergestalt, daß das Wasser ins Thal zurücktrat und endlich einen See bildete, der 7200 Fuß lang, 630 breit und 180 Fuß tief war. Nur durch die angestrengteste Thätigkeit gelang es endlich dem Wasser, nachdem es die fürchterlich- sten Verwüstungen angerichtet hatte, einen Abfluß zu verschaffen. Bergstürzeoder Bergfälle ( in der Schweiz Bergschlipfen, im Salzburgischen Blacken ge- nannt ) ereignen sich dann, wenn durch den geschmol- zenen Schnee und durch anhaltenden Regen das Erdreich auf den Bergen so sehr erweicht wird, daß es die Bindungskraft, womit Steine und Felsblöcke zusammengehalten werden, verliert, die dann, wenn noch allenfalls Stürme dazukommen, auseinander- bersten und in die Thäler hinabstürzen. Ein solcher Sturz vom Ruffi=Berge herab, war es auch, der das Dorf Goldau ( Kanton Schwyz ) am 2. September 1806 dergestalt verschüttete, daß es mit einem Hügel von Steinen, einige hundert Fuß hoch, bedeckt war. Augenzeugen, die sich damals gerade in der Nähe befanden, erzählen, daß es geschienen, als ob der Ruffi=Berg, der zur Linken des Dorfes liegt, plötzlich sich zu bewegen anfinge, worauf ein Schauer von Steinen mit der Schnelligkeit des Blitzes her- abfuhr, so daß sie nur in der eiligsten Flucht ihre Rettung fanden. Die herabgerollten Steinmassen bedeckten in Zeit weniger Minuten das fruchtbare Goldauer = Thal bis zum Rigi auf eine Stunde Breite und Länge; die herrlichsten Landstrecken waren in Wüsteneien verwandelt, die Dörfer Goldau, Bueßingen, Röthen und Lowerz waren mit vier bis fünf hundert Menschen unter den Felsentrümmern begra- ben und der nördliche Theil des Lowerzer Sees war ganz mit Steinmassen ausgefüllt. Am Ruffi=Berge waren ganze Waldungen entwurzelt und mit herab- geschleudert worden. Den darauf folgenden Winter, nachdem dieses Unglück sich ereignet hatte, stürzte neuerlich eine Menge Steinblöcke und Bäume von der Steinber- gerflur ins Thal hinab. Die Wirkung dieses Stur- zes auf dem Lowerzer See war äußerst merkwürdig. Das Wasser stieg nämlich, gleich als wie von einem Sturme aufgeregt zu einer Höhe von 60 bis 70 Fuß in der Richtung nach dem Dorfe Seven hin, das auf der andern Seite des Sees gelegen ist. Mehrere Tage lang blieb eine kleine Jnsel, die sich in dem See befindet, so hoch mit Wasser bedeckt, daß man nur die Wipfel der Bäume sehen konnte. Auf der andern Jnsel, Namens Schevannes stieg das Wasser bis zu den Glocken der Kapelle empor. Die außerordentliche Bewegung des Sees währte eine volle Stunde. Die Kapelle zu Olten, nahe an Seven, wurde von den Fluthen fortgerissen und bis nach Stei- nen, eine halbe Meile weit fortgetrieben. Das Dorf Lowerz war ganz unter Bergtrüm- mern begraben, so daß nur die Kirchthurmspitze noch hervorragte und andeutete, wo das Dorf ge- standen. S. Stimmen des Auslandes über Böhmen. Hr. Dr. de Carro bringt uns in seinem „ Al- manach de Carlsbad “ für das Jahr 1834 einen neuen merkwürdigen Beweis der Jrrthümer, welche selbst unter den gelehrtesten Franzosen in Bezug auf Böhmen und die Slawen noch immer herrschen. Der gelehrte Archäologe ( Alterthumsforscher ) Edgar Quinet sagt nämlich im Eingange eines Aufsatzes über die „ Königinhofer Handschrift “ Fol- gendes: „Noch herrscht ein Geheimniß über diesem sla- wischen Geschlechte. Seine Geschichte gleicht seinen Volksliedern, es ist immer ein Ritter auf einem sich bäumenden Rosse, der auf unbekanntem Wege dahin sprengt, weder Spuren auf dem Sande, noch einen Schatten hinter sich läßt, und verschwindet, sobald man ihn betrachtet. Nach den germanischen Ein- wanderungen ritt dieses Volk von Sarmaten oder Sky- then auch im Galopp in die Geschichte ein, um zur rechten Zeit zum großen Rendesvous ( Stelldichein ) des Mittelalters zu kommen. Beweglich, wie der aufgeschwemmte Boden, auf welchem es sich regte, weis man nicht, wohin es gegangen, und wo man es wieder finden soll. *) Als der germanische Stamm Europa vor den Einfällen der Sarazenen, von Seiten Spaniens ge- rettet hatte, schlug das slawische Volk seinerseits den letzten Anfall aus dem Osten unter den Söhnen des Dschingis=Chan muthig ab. Diese beiden Stämme an einander gefügt, wie der zweiköpfige Adler, zerschnitten, jeder nach seiner Weise, das Morgenland, das sie angriff. Nach diesem Kampfe, welcher dem Volke seine Einheit gegeben hatte, lösten sich seine Stämme auf; einer derselben setzte sich wahrhaft abentheuerlich nächst dem Herzen Deutsch- lands fest. Dies ist Böhmen, welchem insbesondere die Gesänge angehören, von welchen wir eben zu sprechen im Begriff; verirrt in ihrem Laufe, mit ihren Zauberinnen, Schwarzkünstlern und Gauklern, ihren Städten der Todten, ihrer lebhaften und hellklin- genden Sprache, ihrem zweideutigen Ursprung, das Glück in der Fremde suchend; vergnügt mit dem Himmel von Prag, mit den Fluthen der Elbe, ist diese kleine Nation selbst in der Geschichte eine muth- willige Zigeunerin ( Bohemienne ) **) in Mitten des ernsten Kreises deutscher Völkerschaften, die sie umgeben. Noch interessanter und bedeutender wird diese französische Stelle, indem sie unserem gelehrten Pa- lacky Anlaß gab, sie in folgenden Noten nicht allein zu widerlegen, sondern zugleich über diesen wichtigen Gegenstand einige eben so neue als lichtvolle An- sichten auszusprechen. *) Hr. Edgar Quinet bietet uns ein deutliches Beispiel von der Möglichkeit dar, angenehm und geistreich über das zu schreiben, was man nicht, oder wenigstens schlecht weiß; denn, ganz mit ihm einverstanden, daß das slawische Alterthum noch mit tiefem Dunkel umhüllt ist, sind wir doch weit entfernt, seine Erklärungsart an- nehmen zu wollen, welche auf offenbaren Jrrthümern beruht. Er stellt sich die alten Slawen als irrende Ritter vor, die auf scheuen Rossen die Welt durchziehen, wäh- rend im Gegentheile die Geschichte sie uns zeichnet, wie sie fast immer zu Fuße kämpfen, und nur durch die Ge- walt vertrieben, ihre Wohnplätze verlassen. Erst, nachdem sie im Osten verdrängt wurden, erschienen sie im Westen und Süden als Eroberer, aber, weit entfernt von einem herumschweifenden, und beimathlosen Leben, blieben sie fest in dem erworbenen Lande, bearbeiteten es, und erbau- ten überall Städte, Dörfer und Schlösser. **) Wenn wir in Böhmen Hrn. Quinet von unsern Zauberinnen, Schwarzkünstlern und Gauklern, und endlich von unserm zweideutigen Ursprung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama05_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama05_1835/2
Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 5. Prag, 1835, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama05_1835/2>, abgerufen am 21.11.2024.