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Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 9. Prag, 1834.

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Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz]
Die St. Jwanskirche in Moskau.

Die zweite Hauptstadt des russischen Kaiserthums,
durch Alterthum und historische Merkwürdigkeiten
noch wichtiger als St. Petersburg, zeichnete sich
vorzüglich durch die Menge ihrer Kirchen aus, und
wurde von den Dichtern die "Stadt mit den gold-
nen Kuppeln" genannt. Der furchtbare Brand von
1812 verzehrte die ungeheure Häusermasse, nur der
Mittelpunkt derselben, der uralte Kreml mit seinen
zahlreichen Pallästen und Kirchen trotzte der allge-
meinen Verheerung, und schwamm, gleichsam eine
geschützte Jnsel in dem weiten Feuermeere. Diese
alte und alterthümlich gebaute Festung, welche gleich-
sam den innersten Kern von Moskau ausmacht, den
die übrigen Stadttheile gleich einer Schale umgeben,
bildet ein unregelmäßiges Viereck, und ist durch fünf
große Thore und zwei Brücken mit der Stadt ver-
bunden. Nebst dem alten Pallast der Czaaren, der
Wohnung der Patriarchen, dem Senatgebäude, dem
Zeughaus und zwei Klöstern enthält der Kreml, dessen
ältere Gebäude insgesammt sich durch eine sonder-
bare, an den Geschmack des Morgenlandes grenzende
Bauart auszeichnen, 32 Kirchen, deren jede 5 Thürme
hat, mit dreifachen Kreuzen versehen. Jhre Kuppeln
sind entweder mit vergoldetem und versilbertem Blech,
oder mit Ziegeln gedeckt, die in bunten Farben ange-
strichen und schuppenartig aufgelegt sind. Unter die
wichtigsten dieser Gottestempel gehört die Kirche St.
Jwan des Großen ( Welikoi ) , welche das vorlie-
gende Blatt darstellt, mit dem höchsten Thurm Mos-
kau 's,
welcher die weite Fläche der Umgebung be-
herrschend, eine eben so ausgebreitete als mannigfal-
tige und angenehme Aussicht darbeut. Tief unten
fließt mit größern und kleinern Fahrzeugen bedeckt,
die Moskwa, deren Krümmungen das Auge auf bei-
den Seiten weit verfolgen kann, während die beiden
nahegelegenen Brücken mit einem bunten und regsa-
men Gemisch von Wagen und Fußgängern bedeckt
sind, und die ungeheure Stadt, aus ihrer Asche er-
standen mit ihrer Häusermenge sich weithin ausdehnt.

Unter die Merkwürdigkeiten dieser Kirche gehö-
ren ihre 25 Glocken, deren größte 114,000 Pfund
wiegt. Jhr Schall ist in der ganzen Stadt zu hören,
und vereint die Gewalt des Rollens eines fernen
Donners mit einem höchst klangreichen Tone.

Nächst derselben erblickt man in einem runden,
wenig über den Boden hervorragenden Mauerkreise --
wahrscheinlich der Ueberrest eines alten Glockenthurms
-- eine noch merkwürdigere Glocke, vielleicht die
größte der Welt, von 480,000 Pfund Schwere, die
nach der Behauptung einiger Geschichtschreiber im
16ten Jahrhunderte, nach andern unter der Kaiserin
Anna gegossen wurde. Während einer Feuersbrunst
im Jahre 1737 stürzte sie herab, und schlug durch
die Gewalt ihres Falles so tief in die Erde ein, daß
man, um selbe zu betrachten, durch eine Fallthüre
auf einer doppelten Leiter in die Tiefe steigen muß.
Andere wollen behaupten, sie sey an diesem Orte
gegossen und nicht von demselben erhoben worden,
weil sie in der Abkühlung einen Sprung bekommen,
der sie unbrauchbar gemacht. Da es aber nicht wahr-
scheinlich ist, daß man eine Glocke von so ungeheurer
Größe in einem unterirdischen Gewölbe gießen werde,
dürfte es wohl eher anzunehmen seyn, daß der Thurm,
in dem sie gehangen, abgebrannt, die Glocke im Her-
abstürzen durch ihr großes Gewicht die Gewölbe der
Gründe eingeschlagen, und selbst dabei gesprungen sey.

[Spaltenumbruch]

Diese Glocke ist ein wahrer Berg von weißem
glänzenden Metall, und man versichert, daß ihre
Glockenspeise mit vielem Gold und Silber versetzt
sey, indem während ihres Gusses der Adel und das
Volk herzugeströmt sey, um Gefäße aus edlen Me-
tallen oder Münzen hinein zu werfen. Reisende woll-
ten kleine Stückchen davon ablösen, um selbe chemisch
zu untersuchen, aber die Russen haben eine so große
Verehrung vor dieser Glocke, daß sie auch nicht die
kleinste Verletzung derselben gestatten wollen. An
hohen Festtagen wallen die russischen Bauern zu die-
ser Glocke wie zu einem Heiligthum, und nähern sich
ihr mit allen Zeichen der tiefsten Verehrung. Jhre
Kante ruht zwei Fuß tief in der Erde, doch ist ihr
Umfang am Boden ungefähr 66 Fuß, ihre Höhe
20 F. und ihre größte Dicke 23 Zoll.



Antwerpen.

Diese Stadt hat vor einiger Zeit durch ihre
Belagerung die Aufmerksamkeit der Welt auf sich
gezogen; aber sie ist auch in anderer Hinsicht interes-
sant. Jn allen Gegenden jenes flachen Landes wett-
eifert der Fleiß der Einwohner mit der Güte des
Bodens; nirgends aber erscheint jener siegreicher als
hier, wo im Ganzen die Natur weit weniger gethan
hat. Ununterbrochene Ernten, und oft zwei in einem
Jahre, werden durch vortreffliche Düngerverwaltung
und durch unermüdete Arbeit, in dem durch Kunst
unkenntlich gewordenen Sand=Boden erhalten. Frei-
lich war zum Ausüben dieser Kunst jene größere Be-
völkerung nöthig, die einst der Welthandel hieher
brachte, und dieser wurde zuerst durch die nordische
Hansa, *) anfänglich nach Brügge, und dann nach
Antwerpen gebracht, deren Fürsten mit einander
wetteiferten, um dem Bunde die größten Privilegien
zu verstatten. Aber der Geist der Einwohner trug
wenigstens eben so viel dazu bei. Sie wußten bald
ihren Handel von jener ausländischen Abhängigkeit
zu befreien, und seitdem übermächtige Umstände dessen
ausgebreitete Blüthe zernichteten, verwandten sie desto
mehr Sorgfalt auf ihre innere Jndustrie und auf
diesen herrlichen Feldbau. Mehrere Züge ihrer Sitten
und ihres Charakters sind diesem letztern besonders
zuträglich. Dahin gehört hauptsächlich der allgemeine
Geschmack zum Landleben. Alle Reichen dieser Stadt,
selbst die thätigsten Kaufleute, bringen nämlich bei-
nahe acht Monate des Jahrs mit ihren Familien auf
ihren Landsitzen zu, wozu freilich auch das oft unge-
sunde Klima der Stadt das seinige beiträgt. Der
Vorsteher des Handelshauses kömmt entweder täglich
oder wenigstens an den zwei Haupt = Post = und Ge-
schäftstagen in die Stadt, geht auf die Börse, besorgt
seine wichtigsten Geschäfte, und kehrt alsdann zu
seiner Familie aufs Land zurück. Außer den ältern
adeligen Familien des Landes haben viele reiche
Kaufmanns = Familien vor kürzerer oder längerer Zeit
den Adel erkauft, und sind ganz Güterbesitzer gewor-
den. Die Landhäuser sind zum Theil mit prächtigen
Gärten, entweder im französischen oder englischen
Geschmacke, versehen, und enthalten oft mehr Bequem-
lichkeiten und Gegenstände der Pracht, als die [unleserliches Material - 10 Zeichen fehlen]Woh-
nungen in der Stadt. Vortreffliche Treibhäuser ver-
schaffen dem Besitzer die Früchte eines südlichern Kli-
mas, als Pfirsiche, Aprikosen, Melonen, Ananas u.
[Ende Spaltensatz]

*) Ein Bund der Kaufleute im 13ten Jahrhundert, zum
Schutz ihrer Handelsverhältnisse.
Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz]
Die St. Jwanskirche in Moskau.

Die zweite Hauptstadt des russischen Kaiserthums,
durch Alterthum und historische Merkwürdigkeiten
noch wichtiger als St. Petersburg, zeichnete sich
vorzüglich durch die Menge ihrer Kirchen aus, und
wurde von den Dichtern die „Stadt mit den gold-
nen Kuppeln“ genannt. Der furchtbare Brand von
1812 verzehrte die ungeheure Häusermasse, nur der
Mittelpunkt derselben, der uralte Kreml mit seinen
zahlreichen Pallästen und Kirchen trotzte der allge-
meinen Verheerung, und schwamm, gleichsam eine
geschützte Jnsel in dem weiten Feuermeere. Diese
alte und alterthümlich gebaute Festung, welche gleich-
sam den innersten Kern von Moskau ausmacht, den
die übrigen Stadttheile gleich einer Schale umgeben,
bildet ein unregelmäßiges Viereck, und ist durch fünf
große Thore und zwei Brücken mit der Stadt ver-
bunden. Nebst dem alten Pallast der Czaaren, der
Wohnung der Patriarchen, dem Senatgebäude, dem
Zeughaus und zwei Klöstern enthält der Kreml, dessen
ältere Gebäude insgesammt sich durch eine sonder-
bare, an den Geschmack des Morgenlandes grenzende
Bauart auszeichnen, 32 Kirchen, deren jede 5 Thürme
hat, mit dreifachen Kreuzen versehen. Jhre Kuppeln
sind entweder mit vergoldetem und versilbertem Blech,
oder mit Ziegeln gedeckt, die in bunten Farben ange-
strichen und schuppenartig aufgelegt sind. Unter die
wichtigsten dieser Gottestempel gehört die Kirche St.
Jwan des Großen ( Welikoi ) , welche das vorlie-
gende Blatt darstellt, mit dem höchsten Thurm Mos-
kau 's,
welcher die weite Fläche der Umgebung be-
herrschend, eine eben so ausgebreitete als mannigfal-
tige und angenehme Aussicht darbeut. Tief unten
fließt mit größern und kleinern Fahrzeugen bedeckt,
die Moskwa, deren Krümmungen das Auge auf bei-
den Seiten weit verfolgen kann, während die beiden
nahegelegenen Brücken mit einem bunten und regsa-
men Gemisch von Wagen und Fußgängern bedeckt
sind, und die ungeheure Stadt, aus ihrer Asche er-
standen mit ihrer Häusermenge sich weithin ausdehnt.

Unter die Merkwürdigkeiten dieser Kirche gehö-
ren ihre 25 Glocken, deren größte 114,000 Pfund
wiegt. Jhr Schall ist in der ganzen Stadt zu hören,
und vereint die Gewalt des Rollens eines fernen
Donners mit einem höchst klangreichen Tone.

Nächst derselben erblickt man in einem runden,
wenig über den Boden hervorragenden Mauerkreise —
wahrscheinlich der Ueberrest eines alten Glockenthurms
— eine noch merkwürdigere Glocke, vielleicht die
größte der Welt, von 480,000 Pfund Schwere, die
nach der Behauptung einiger Geschichtschreiber im
16ten Jahrhunderte, nach andern unter der Kaiserin
Anna gegossen wurde. Während einer Feuersbrunst
im Jahre 1737 stürzte sie herab, und schlug durch
die Gewalt ihres Falles so tief in die Erde ein, daß
man, um selbe zu betrachten, durch eine Fallthüre
auf einer doppelten Leiter in die Tiefe steigen muß.
Andere wollen behaupten, sie sey an diesem Orte
gegossen und nicht von demselben erhoben worden,
weil sie in der Abkühlung einen Sprung bekommen,
der sie unbrauchbar gemacht. Da es aber nicht wahr-
scheinlich ist, daß man eine Glocke von so ungeheurer
Größe in einem unterirdischen Gewölbe gießen werde,
dürfte es wohl eher anzunehmen seyn, daß der Thurm,
in dem sie gehangen, abgebrannt, die Glocke im Her-
abstürzen durch ihr großes Gewicht die Gewölbe der
Gründe eingeschlagen, und selbst dabei gesprungen sey.

[Spaltenumbruch]

Diese Glocke ist ein wahrer Berg von weißem
glänzenden Metall, und man versichert, daß ihre
Glockenspeise mit vielem Gold und Silber versetzt
sey, indem während ihres Gusses der Adel und das
Volk herzugeströmt sey, um Gefäße aus edlen Me-
tallen oder Münzen hinein zu werfen. Reisende woll-
ten kleine Stückchen davon ablösen, um selbe chemisch
zu untersuchen, aber die Russen haben eine so große
Verehrung vor dieser Glocke, daß sie auch nicht die
kleinste Verletzung derselben gestatten wollen. An
hohen Festtagen wallen die russischen Bauern zu die-
ser Glocke wie zu einem Heiligthum, und nähern sich
ihr mit allen Zeichen der tiefsten Verehrung. Jhre
Kante ruht zwei Fuß tief in der Erde, doch ist ihr
Umfang am Boden ungefähr 66 Fuß, ihre Höhe
20 F. und ihre größte Dicke 23 Zoll.



Antwerpen.

Diese Stadt hat vor einiger Zeit durch ihre
Belagerung die Aufmerksamkeit der Welt auf sich
gezogen; aber sie ist auch in anderer Hinsicht interes-
sant. Jn allen Gegenden jenes flachen Landes wett-
eifert der Fleiß der Einwohner mit der Güte des
Bodens; nirgends aber erscheint jener siegreicher als
hier, wo im Ganzen die Natur weit weniger gethan
hat. Ununterbrochene Ernten, und oft zwei in einem
Jahre, werden durch vortreffliche Düngerverwaltung
und durch unermüdete Arbeit, in dem durch Kunst
unkenntlich gewordenen Sand=Boden erhalten. Frei-
lich war zum Ausüben dieser Kunst jene größere Be-
völkerung nöthig, die einst der Welthandel hieher
brachte, und dieser wurde zuerst durch die nordische
Hansa, *) anfänglich nach Brügge, und dann nach
Antwerpen gebracht, deren Fürsten mit einander
wetteiferten, um dem Bunde die größten Privilegien
zu verstatten. Aber der Geist der Einwohner trug
wenigstens eben so viel dazu bei. Sie wußten bald
ihren Handel von jener ausländischen Abhängigkeit
zu befreien, und seitdem übermächtige Umstände dessen
ausgebreitete Blüthe zernichteten, verwandten sie desto
mehr Sorgfalt auf ihre innere Jndustrie und auf
diesen herrlichen Feldbau. Mehrere Züge ihrer Sitten
und ihres Charakters sind diesem letztern besonders
zuträglich. Dahin gehört hauptsächlich der allgemeine
Geschmack zum Landleben. Alle Reichen dieser Stadt,
selbst die thätigsten Kaufleute, bringen nämlich bei-
nahe acht Monate des Jahrs mit ihren Familien auf
ihren Landsitzen zu, wozu freilich auch das oft unge-
sunde Klima der Stadt das seinige beiträgt. Der
Vorsteher des Handelshauses kömmt entweder täglich
oder wenigstens an den zwei Haupt = Post = und Ge-
schäftstagen in die Stadt, geht auf die Börse, besorgt
seine wichtigsten Geschäfte, und kehrt alsdann zu
seiner Familie aufs Land zurück. Außer den ältern
adeligen Familien des Landes haben viele reiche
Kaufmanns = Familien vor kürzerer oder längerer Zeit
den Adel erkauft, und sind ganz Güterbesitzer gewor-
den. Die Landhäuser sind zum Theil mit prächtigen
Gärten, entweder im französischen oder englischen
Geschmacke, versehen, und enthalten oft mehr Bequem-
lichkeiten und Gegenstände der Pracht, als die [unleserliches Material – 10 Zeichen fehlen]Woh-
nungen in der Stadt. Vortreffliche Treibhäuser ver-
schaffen dem Besitzer die Früchte eines südlichern Kli-
mas, als Pfirsiche, Aprikosen, Melonen, Ananas u.
[Ende Spaltensatz]

*) Ein Bund der Kaufleute im 13ten Jahrhundert, zum
Schutz ihrer Handelsverhältnisse.
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Sie wußten bald ihren Handel von jener ausländischen Abhängigkeit zu befreien, und seitdem übermächtige Umstände dessen ausgebreitete Blüthe zernichteten, verwandten sie desto mehr Sorgfalt auf ihre innere Jndustrie und auf diesen herrlichen Feldbau. Mehrere Züge ihrer Sitten und ihres Charakters sind diesem letztern besonders zuträglich. Dahin gehört hauptsächlich der allgemeine Geschmack zum Landleben. Alle Reichen dieser Stadt, selbst die thätigsten Kaufleute, bringen nämlich bei- nahe acht Monate des Jahrs mit ihren Familien auf ihren Landsitzen zu, wozu freilich auch das oft unge- sunde Klima der Stadt das seinige beiträgt. Der Vorsteher des Handelshauses kömmt entweder täglich oder wenigstens an den zwei Haupt = Post = und Ge- schäftstagen in die Stadt, geht auf die Börse, besorgt seine wichtigsten Geschäfte, und kehrt alsdann zu seiner Familie aufs Land zurück. Außer den ältern adeligen Familien des Landes haben viele reiche Kaufmanns = Familien vor kürzerer oder längerer Zeit den Adel erkauft, und sind ganz Güterbesitzer gewor- den. Die Landhäuser sind zum Theil mit prächtigen Gärten, entweder im französischen oder englischen Geschmacke, versehen, und enthalten oft mehr Bequem- lichkeiten und Gegenstände der Pracht, als die __________Woh- nungen in der Stadt. Vortreffliche Treibhäuser ver- schaffen dem Besitzer die Früchte eines südlichern Kli- mas, als Pfirsiche, Aprikosen, Melonen, Ananas u. *) Ein Bund der Kaufleute im 13ten Jahrhundert, zum Schutz ihrer Handelsverhältnisse.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 9. Prag, 1834, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama09_1834/2>, abgerufen am 14.06.2024.