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Das Pfennig-Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 14. Leipzig, 8. April 1843.

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[Beginn Spaltensatz] wo ihnen das Blut ihrer Opfer preisgegeben werden
soll. Dieser Offizier, der mehren ähnlichen Affairen
beiwohnte und lange Zeit in Calabrien diente, nannte
dieses Land das große Schlachthaus für die Franzosen,
und sprach bei seiner Abberufung die Überzeugung aus,
daß Napoleon's Truppen, trotz alles Muthes, aller Thä-
tigkeit, aller Ausdauer, nicht im Stande wären, den
leicht bewaffneten, von einem großen Theile der Bevöl-
kerung unterstützten, von Kindheit auf an die Handha-
bung der Büchse gewöhnten eingeborenen Räubern des
Landes die Spitze zu bieten.

Diese Betrachtung bewog Murat, welcher Joseph
Bonaparte als König von Neapel folgte, ein neues
System anzunehmen, nach welchem die Truppen nur
dazu gebraucht wurden, die Einwohner selbst zur Aus-
rottung der Räuber zu zwingen. Die Ausführung die-
ses Systems wurde dem General Manhes, einem Manne
von Eisen, anvertraut. Dieser gab mit 10,000 Mann,
mit denen er die beiden Provinzen überzog, bald dem
neuen Systeme Nachdruck. Er ließ Jedermann, ohne
Unterschied des Alters und Geschlechts, welcher auf ei-
ner Wanderung durch das Land mit mehr als einer
Flasche Wein und mehr Brot, als man für einen
Tag hinreichend erachtete, ergriffen wurde, ohne Weite-
res erschießen, denn nachdem er den Räubern die Städte
und Dörfer unzugänglich gemacht hatte, glaubte er ge-
wonnenes Spiel zu haben, wenn er verhindern könnte,
daß den Räubern nicht durch Schmuggelei Lebensmittel
zuflössen; die Räuber mußten sich dann entweder erge-
ben, oder in den Einöden, in die er sie getrieben, vor
Hunger sterben.

Diese Ansicht machte den von Natur hartherzigen
Mann taub für jede Stimme der Barmherzigkeit. Wenn
ein ruhiger, rechtschaffener Mann einen Geächteten bei
sich verbarg, seine Flucht unterstützte, oder eine Corre-
spondenz mit ihm unterhielt, so wurde er, auch wenn
der Geächtete sein Vater, Sohn, Bruder oder Busen-
freund war, sogleich erschossen; wenn ein Calabrese auf
der Straße oder an irgend einem andern Orte mit ei-
ner Flinte auf der Schulter oder einem Messer in dem
Gürtel angetroffen wurde, und er konnte sich nicht ge-
nügend legitimiren, so machte eine Kugel seinem Leben
ein Ende; wenn ein gefangener und verurtheilter Räu-
ber aus der Kapelle entwischte, in die er vor seiner
Hinrichtung der Beichte wegen gelassen worden war, so
mußte der Geistliche für ihn bluten; wenn eine Stadt
oder Dorfschaft den Räubern den Durchzug gestattet
hatte, so wurde sie mit Feuer und Schwert heimgesucht,
ohne daß man untersuchte, ob sie im Stande gewesen
war, einer Bande hungriger Tiger Widerstand zu leisten.
Trotz aller dieser heroischen Maßregeln wurde die hun-
dertköpfige Hyder doch nicht getödtet. Das Banditen-
wesen dauerte in Calabrien fort bis zum Jahre 1815,
wo der König Ferdinand seinen Thron wieder bekam.
Seit jener Zeit sind in dem zu allen Zeiten hart heim-
gesuchten Lande Straßenräubereien begangen worden,
wie in besser regierten Ländern, aber von dem eigentlich
sogenannten Banditenwesen hat sich wenig oder nichts
spüren lassen. Die Abruzzen, in welche alle Raubsce-
nen versetzt werden, die uns in Theatern und Bereiter-
buden aufgetischt werden, haben sich seitdem noch we-
niger zu Schulden kommen lassen. Nur in Apulien,
in der Basilicata und den Theilen der Terra di Lavoro,
welche an den Kirchenstaat grenzen, sowie im Kirchen-
staate selbst ist das Banditenwesen noch nicht ausgestorben.



[Spaltenumbruch]
Die Javaner.
( Beschluß aus Nr. 13. )

Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den javanischen
Malaien zurück, die, wie schon gesagt, zu ihrem Ruhme
dergleichen Thaten nicht leicht verüben, doch ist die ma-
laiische Natur nicht gänzlich ausgerottet oder umgewan-
delt in ihnen; sie schläft nur, wacht aber bei gewaltigen
Gemüthsbewegungen gern auf und bricht dann durch die
mildern Schichten, welche die Vermischung mit nichtma-
laiischen Racen darüber gelegt hat, nicht selten verhee-
rend hervor.

Der Jslam und die Europäer haben vorzüglich auf
die Vornehmen verderblich gewirkt. Europäische Politik
hat die Höfe der Fürsten entsittlicht, die Fürsten des-
potisch, das Volk sklavisch gemacht.

Auf Java ist die Hochzeit die Grenze der Kindheit;
das Mädchen heirathet mit 13--14, der Jüngling mit
16 Jahren. Ein Zwanziger ohne Frau ist eine Selten-
heit, eine alte Jungfer ein Wunder. Ältern und Ver-
wandte schließen die Heirath wie einen Handel; der Bräu-
tigam sendet der Braut Geschenke an Schmuck, deren
Annahme oder Rückgabe entscheidet. Nun dürfen die
Verlobten bis zu ihrer Hochzeit das Haus nicht verlas-
sen, was gewöhnlich 40 Tage dauert. Jst dieser Haus-
arrest vorüber, so wird die Hochzeit gefeiert, welche darin
besteht, daß der Bräutigam vor dem Pangulu oder Prie-
ster an einem glücklichen Tage der Braut in Gegenwart
ihres Vaters in der Moschee das Ehepfand verspricht,
worauf der Priester die Verlobten segnet. Unter Musik
und dem Beifallsgeschrei der Jugendgespielen beider Theile
geht es nun in das Haus der Braut, wo nach verschie-
denen Ceremonien ein Gastmahl von dem trefflichen
Backwerke der Javaner das Fest endet.

Der junge Ehemann bleibt nun so lange im Hause
seiner Schwiegerältern, bis er sein eigenes hat, was bei
den geringen Bedürfnissen beider Theile, bei der Milde
des Klimas und der Leichtigkeit, sich den Unterhalt zu
verschaffen, gewöhnlich nach Verlauf einer sehr kurzen
Zeit geschieht. Betel ( Sirih ) aus einer Büchse kauen ist
das Symbol des ehelichen Zusammenlebens. Die Erzie-
hung der Kinder ist mühelos; man überläßt sie der lie-
ben Natur, welche dafür sorgt, sie zu Dem zu machen,
wozu sie die Ältern gemacht hat. Die Anzahl der Kin-
der in vornehmen Familien ist gewöhnlich sehr zahlreich,
Fürsten haben ihrer oft über 60, was für ihre Unter-
thanen kein geringes Übel ist, denn da sie sehr schlecht
erzogen sind, so sind sie sehr ungesittet und plagen ihre
Umgebung auf alle Weise. Die erste Frau -- die Ja-
vaner können als Moslems viele Weiber nehmen --
herrscht im Hause über die übrigen und oft auch über
den Mann. Wie in Europa werden mehr Mädchen als
Knaben geboren, sterben aber auch in größerer Anzahl
wegen der schweren Arbeiten, die dem weiblichen Ge-
schlechte zu Hause und im Felde obliegen.

Die Begräbnißplätze sind moslemisch, auf Höhen,
mit Grabsteinen und Jnschriften verziert, von Sambod-
schabäumen beschattet. Die Leichen werden von den Ver-
wandten beklagt, auf einer Bahre, in Tuch gewickelt,
mit Blumen geschmückt, in prächtiger Procession hin-
ausgetragen und nach einem Gebete des Priesters ein-
gescharrt.

Der Javaner liebt ganz besonders dramatische Unter-
haltung. Alle Tänze sind mimisch. Von Tänzerinnen
gibt es verschiedene Classen. Die vornehmsten tanzen,
prächtig und üppig gekleidet, mit langer fliegender Schärpe
und kostbarem Schmuck; unter ihnen sind die auserlesen-
sten Schönheiten des Landes. Auf sie folgen die Ba-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] wo ihnen das Blut ihrer Opfer preisgegeben werden
soll. Dieser Offizier, der mehren ähnlichen Affairen
beiwohnte und lange Zeit in Calabrien diente, nannte
dieses Land das große Schlachthaus für die Franzosen,
und sprach bei seiner Abberufung die Überzeugung aus,
daß Napoleon's Truppen, trotz alles Muthes, aller Thä-
tigkeit, aller Ausdauer, nicht im Stande wären, den
leicht bewaffneten, von einem großen Theile der Bevöl-
kerung unterstützten, von Kindheit auf an die Handha-
bung der Büchse gewöhnten eingeborenen Räubern des
Landes die Spitze zu bieten.

Diese Betrachtung bewog Murat, welcher Joseph
Bonaparte als König von Neapel folgte, ein neues
System anzunehmen, nach welchem die Truppen nur
dazu gebraucht wurden, die Einwohner selbst zur Aus-
rottung der Räuber zu zwingen. Die Ausführung die-
ses Systems wurde dem General Manhes, einem Manne
von Eisen, anvertraut. Dieser gab mit 10,000 Mann,
mit denen er die beiden Provinzen überzog, bald dem
neuen Systeme Nachdruck. Er ließ Jedermann, ohne
Unterschied des Alters und Geschlechts, welcher auf ei-
ner Wanderung durch das Land mit mehr als einer
Flasche Wein und mehr Brot, als man für einen
Tag hinreichend erachtete, ergriffen wurde, ohne Weite-
res erschießen, denn nachdem er den Räubern die Städte
und Dörfer unzugänglich gemacht hatte, glaubte er ge-
wonnenes Spiel zu haben, wenn er verhindern könnte,
daß den Räubern nicht durch Schmuggelei Lebensmittel
zuflössen; die Räuber mußten sich dann entweder erge-
ben, oder in den Einöden, in die er sie getrieben, vor
Hunger sterben.

Diese Ansicht machte den von Natur hartherzigen
Mann taub für jede Stimme der Barmherzigkeit. Wenn
ein ruhiger, rechtschaffener Mann einen Geächteten bei
sich verbarg, seine Flucht unterstützte, oder eine Corre-
spondenz mit ihm unterhielt, so wurde er, auch wenn
der Geächtete sein Vater, Sohn, Bruder oder Busen-
freund war, sogleich erschossen; wenn ein Calabrese auf
der Straße oder an irgend einem andern Orte mit ei-
ner Flinte auf der Schulter oder einem Messer in dem
Gürtel angetroffen wurde, und er konnte sich nicht ge-
nügend legitimiren, so machte eine Kugel seinem Leben
ein Ende; wenn ein gefangener und verurtheilter Räu-
ber aus der Kapelle entwischte, in die er vor seiner
Hinrichtung der Beichte wegen gelassen worden war, so
mußte der Geistliche für ihn bluten; wenn eine Stadt
oder Dorfschaft den Räubern den Durchzug gestattet
hatte, so wurde sie mit Feuer und Schwert heimgesucht,
ohne daß man untersuchte, ob sie im Stande gewesen
war, einer Bande hungriger Tiger Widerstand zu leisten.
Trotz aller dieser heroischen Maßregeln wurde die hun-
dertköpfige Hyder doch nicht getödtet. Das Banditen-
wesen dauerte in Calabrien fort bis zum Jahre 1815,
wo der König Ferdinand seinen Thron wieder bekam.
Seit jener Zeit sind in dem zu allen Zeiten hart heim-
gesuchten Lande Straßenräubereien begangen worden,
wie in besser regierten Ländern, aber von dem eigentlich
sogenannten Banditenwesen hat sich wenig oder nichts
spüren lassen. Die Abruzzen, in welche alle Raubsce-
nen versetzt werden, die uns in Theatern und Bereiter-
buden aufgetischt werden, haben sich seitdem noch we-
niger zu Schulden kommen lassen. Nur in Apulien,
in der Basilicata und den Theilen der Terra di Lavoro,
welche an den Kirchenstaat grenzen, sowie im Kirchen-
staate selbst ist das Banditenwesen noch nicht ausgestorben.



[Spaltenumbruch]
Die Javaner.
( Beschluß aus Nr. 13. )

Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den javanischen
Malaien zurück, die, wie schon gesagt, zu ihrem Ruhme
dergleichen Thaten nicht leicht verüben, doch ist die ma-
laiische Natur nicht gänzlich ausgerottet oder umgewan-
delt in ihnen; sie schläft nur, wacht aber bei gewaltigen
Gemüthsbewegungen gern auf und bricht dann durch die
mildern Schichten, welche die Vermischung mit nichtma-
laiischen Racen darüber gelegt hat, nicht selten verhee-
rend hervor.

Der Jslam und die Europäer haben vorzüglich auf
die Vornehmen verderblich gewirkt. Europäische Politik
hat die Höfe der Fürsten entsittlicht, die Fürsten des-
potisch, das Volk sklavisch gemacht.

Auf Java ist die Hochzeit die Grenze der Kindheit;
das Mädchen heirathet mit 13—14, der Jüngling mit
16 Jahren. Ein Zwanziger ohne Frau ist eine Selten-
heit, eine alte Jungfer ein Wunder. Ältern und Ver-
wandte schließen die Heirath wie einen Handel; der Bräu-
tigam sendet der Braut Geschenke an Schmuck, deren
Annahme oder Rückgabe entscheidet. Nun dürfen die
Verlobten bis zu ihrer Hochzeit das Haus nicht verlas-
sen, was gewöhnlich 40 Tage dauert. Jst dieser Haus-
arrest vorüber, so wird die Hochzeit gefeiert, welche darin
besteht, daß der Bräutigam vor dem Pangulu oder Prie-
ster an einem glücklichen Tage der Braut in Gegenwart
ihres Vaters in der Moschee das Ehepfand verspricht,
worauf der Priester die Verlobten segnet. Unter Musik
und dem Beifallsgeschrei der Jugendgespielen beider Theile
geht es nun in das Haus der Braut, wo nach verschie-
denen Ceremonien ein Gastmahl von dem trefflichen
Backwerke der Javaner das Fest endet.

Der junge Ehemann bleibt nun so lange im Hause
seiner Schwiegerältern, bis er sein eigenes hat, was bei
den geringen Bedürfnissen beider Theile, bei der Milde
des Klimas und der Leichtigkeit, sich den Unterhalt zu
verschaffen, gewöhnlich nach Verlauf einer sehr kurzen
Zeit geschieht. Betel ( Sirih ) aus einer Büchse kauen ist
das Symbol des ehelichen Zusammenlebens. Die Erzie-
hung der Kinder ist mühelos; man überläßt sie der lie-
ben Natur, welche dafür sorgt, sie zu Dem zu machen,
wozu sie die Ältern gemacht hat. Die Anzahl der Kin-
der in vornehmen Familien ist gewöhnlich sehr zahlreich,
Fürsten haben ihrer oft über 60, was für ihre Unter-
thanen kein geringes Übel ist, denn da sie sehr schlecht
erzogen sind, so sind sie sehr ungesittet und plagen ihre
Umgebung auf alle Weise. Die erste Frau — die Ja-
vaner können als Moslems viele Weiber nehmen —
herrscht im Hause über die übrigen und oft auch über
den Mann. Wie in Europa werden mehr Mädchen als
Knaben geboren, sterben aber auch in größerer Anzahl
wegen der schweren Arbeiten, die dem weiblichen Ge-
schlechte zu Hause und im Felde obliegen.

Die Begräbnißplätze sind moslemisch, auf Höhen,
mit Grabsteinen und Jnschriften verziert, von Sambod-
schabäumen beschattet. Die Leichen werden von den Ver-
wandten beklagt, auf einer Bahre, in Tuch gewickelt,
mit Blumen geschmückt, in prächtiger Procession hin-
ausgetragen und nach einem Gebete des Priesters ein-
gescharrt.

Der Javaner liebt ganz besonders dramatische Unter-
haltung. Alle Tänze sind mimisch. Von Tänzerinnen
gibt es verschiedene Classen. Die vornehmsten tanzen,
prächtig und üppig gekleidet, mit langer fliegender Schärpe
und kostbarem Schmuck; unter ihnen sind die auserlesen-
sten Schönheiten des Landes. Auf sie folgen die Ba-
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Er ließ Jedermann, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, welcher auf ei- ner Wanderung durch das Land mit mehr als einer Flasche Wein und mehr Brot, als man für einen Tag hinreichend erachtete, ergriffen wurde, ohne Weite- res erschießen, denn nachdem er den Räubern die Städte und Dörfer unzugänglich gemacht hatte, glaubte er ge- wonnenes Spiel zu haben, wenn er verhindern könnte, daß den Räubern nicht durch Schmuggelei Lebensmittel zuflössen; die Räuber mußten sich dann entweder erge- ben, oder in den Einöden, in die er sie getrieben, vor Hunger sterben. Diese Ansicht machte den von Natur hartherzigen Mann taub für jede Stimme der Barmherzigkeit. 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( Beschluß aus Nr. 13. ) Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den javanischen Malaien zurück, die, wie schon gesagt, zu ihrem Ruhme dergleichen Thaten nicht leicht verüben, doch ist die ma- laiische Natur nicht gänzlich ausgerottet oder umgewan- delt in ihnen; sie schläft nur, wacht aber bei gewaltigen Gemüthsbewegungen gern auf und bricht dann durch die mildern Schichten, welche die Vermischung mit nichtma- laiischen Racen darüber gelegt hat, nicht selten verhee- rend hervor. Der Jslam und die Europäer haben vorzüglich auf die Vornehmen verderblich gewirkt. Europäische Politik hat die Höfe der Fürsten entsittlicht, die Fürsten des- potisch, das Volk sklavisch gemacht. Auf Java ist die Hochzeit die Grenze der Kindheit; das Mädchen heirathet mit 13—14, der Jüngling mit 16 Jahren. Ein Zwanziger ohne Frau ist eine Selten- heit, eine alte Jungfer ein Wunder. 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Der junge Ehemann bleibt nun so lange im Hause seiner Schwiegerältern, bis er sein eigenes hat, was bei den geringen Bedürfnissen beider Theile, bei der Milde des Klimas und der Leichtigkeit, sich den Unterhalt zu verschaffen, gewöhnlich nach Verlauf einer sehr kurzen Zeit geschieht. Betel ( Sirih ) aus einer Büchse kauen ist das Symbol des ehelichen Zusammenlebens. Die Erzie- hung der Kinder ist mühelos; man überläßt sie der lie- ben Natur, welche dafür sorgt, sie zu Dem zu machen, wozu sie die Ältern gemacht hat. Die Anzahl der Kin- der in vornehmen Familien ist gewöhnlich sehr zahlreich, Fürsten haben ihrer oft über 60, was für ihre Unter- thanen kein geringes Übel ist, denn da sie sehr schlecht erzogen sind, so sind sie sehr ungesittet und plagen ihre Umgebung auf alle Weise. Die erste Frau — die Ja- vaner können als Moslems viele Weiber nehmen — herrscht im Hause über die übrigen und oft auch über den Mann. Wie in Europa werden mehr Mädchen als Knaben geboren, sterben aber auch in größerer Anzahl wegen der schweren Arbeiten, die dem weiblichen Ge- schlechte zu Hause und im Felde obliegen. Die Begräbnißplätze sind moslemisch, auf Höhen, mit Grabsteinen und Jnschriften verziert, von Sambod- schabäumen beschattet. Die Leichen werden von den Ver- wandten beklagt, auf einer Bahre, in Tuch gewickelt, mit Blumen geschmückt, in prächtiger Procession hin- ausgetragen und nach einem Gebete des Priesters ein- gescharrt. Der Javaner liebt ganz besonders dramatische Unter- haltung. Alle Tänze sind mimisch. Von Tänzerinnen gibt es verschiedene Classen. Die vornehmsten tanzen, prächtig und üppig gekleidet, mit langer fliegender Schärpe und kostbarem Schmuck; unter ihnen sind die auserlesen- sten Schönheiten des Landes. Auf sie folgen die Ba-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig014_1843
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Zitationshilfe: Das Pfennig-Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 14. Leipzig, 8. April 1843, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig014_1843/6>, abgerufen am 13.11.2024.