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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 22. Leipzig (Sachsen), 3. Juni 1843.

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[Beginn Spaltensatz] cher, abgerissener, mit seinem ganzen Charakter minder
zusammenhängender. Eine Frau, die edel denkt, han-
delt auch edel, eben weil sie das Edle fühlt, das sie
denkt; ein Mann kann unendlich erhaben denken und
doch gemein handeln, weil es nicht nothwendig ist, daß
er das Erhabene, was er denkt, durch das Gefühl
wahrnimmt, wovon Alles abhängt.

Lange noch hätte sich Martha ihren Gedanken hingege-
ben, denn es ist zu angenehm, auf ihrem Strome da-
hin zu schwimmen, wenn nicht Handri alsbald ihre
ganze Sorgfalt in Anspruch genommen hätte. Er hatte
sich erst gezwungen, zu schlafen, wie die Übrigen, wenig-
stens dem Scheine nach, aber der Schmerz an seinen
Füßen preßte ihm einen Seufzer nach dem andern ab,
bis sie so laut wurden, daß sie nicht mehr unbemerkt
bleiben konnten. Martha untersuchte seine Füße und
fand die Knöchel sehr angeschwollen und entzündet. Sie
sann hin und her, wie dem armen Jungen zu helfen
sei. Da besann sie sich, beim Eingange in den Wald Huf-
lattich ( tussilago ) gesehen zu haben, der ihr als ein gu-
tes Mittel gegen alle äußern Entzündungen bekannt war.
Sie entschloß sich, um die Leiden Handri's zu mildern, die
Blätter herbeizuholen, obgleich die Stelle, wo sie wuch-
sen, eine gute Viertelstunde entfernt war. Sie verfehlte
aber in der Dunkelheit den rechten Weg und konnte
die Stelle nicht finden. Das Schießen hatte längst auf-
gehört und das gab ihr den Muth, aus dem Walde
herauszutreten, um längs dem Rande desselben die
rechte Stelle aufzufinden. Sie kam so glücklich an den
Hohlweg, in welchem sie am Tage in den Wald ge-
kommen war, und befand sich keine zwanzig Schritte
mehr von der gesuchten Stelle entfernt. Sie wollte
eben wieder in den Wald einlenken, als plötzlich mehre
russische Reiter heranflogen und sie anhielten. Sie
schienen die Frau schon längst bemerkt zu haben und
sie für einen Spion zu halten, da sie von der Seite
der Franzosen herkam. Sie nahmen sie zwischen ihre
Pferde und führten sie, wie sehr sie sich auch sträubte,
mit Gewalt mit sich fort.

Schon hörte man in dem nächsten Dorfe die Hähne
krähen, die von ihren erwürgten Mitbrüdern noch übrig
waren, denn die raubgierigen Hände der Soldaten schie-
nen dem ganzen Hühnervolke den Untergang geschworen
zu haben; schon schwirrten die Lerchen, ihr Morgenlied
singend, in der Luft, wie im tiefsten Frieden, ohne an
den Kanonendonner zu denken, der sie bald wieder
stumm machen sollte, und Martha saß noch immer wei-
nend und klagend im russischen Lager, von den sie be-
wachenden Soldaten mit einer Miene betrachtet, in der
sich Mitleid und Verachtung zu bekämpfen schienen. Sie
war noch immer ein hübsches Weib, obgleich sie bereits
die Grenze überschritten hatte, welche die Frauen gewöhn-
lich nicht überschreiten dürfen, ohne aufzuhören schön
zu sein. Da sie wendischer Abkunft war, so konnte sie
sich den Soldaten so weit verständlich machen, als es
nöthig war. Einer von ihnen wurde endlich von wah-
rem Mitleid ergriffen und eilte zum Obersten Dolgo-
rucki, um ihr Verhör zu beschleunigen. Dieser wollte
eben sein Corps visitiren und ließ die Frau augenblick-
lich vor sich bringen. Martha trat mit Zittern und
Zagen vor den Offizier, der sehr erstaunt war, sie in sei-
nem Lager zu erblicken.

Weib, sagte er unwillig, wie konntet Jhr von Eu-
ren armen fünf Kindern weggehen, um Euch zur Spio-
nerie gebrauchen zu lassen?

Ach, gnädiger Herr, erwiederte Martha, welche in
dem Obersten den Offizier erkannte, der Tags vorher
[Spaltenumbruch] solche Güte gegen sie gezeigt hatte, glaubt nicht, daß ich
auf unrechten Wegen war.

Wo ist Euer Kind, das sich gestern so muthig be-
wies und nicht zagte, mir zu öffnen, als Alles um ihn
her den Kopf verloren hatte?

Dieses Kind, gnädiger Herr, ist Schuld, daß ich
hier bin. Mein armer Handri war mir abhanden ge-
kommen, als sich Alles aus dem Dorfe flüchtete, in
welchem wir bisher Zuflucht gefunden. Jch glaubte ihn
von Bekannten mit fortgerissen und suchte mit den übri-
gen Kindern den nahen Wald zu erreichen, hoffend,
daß ich Handri im Walde finden würde, aber ich hatte
mich getäuscht. Es ward Abend und Handri war nir-
gend zu finden. Die übrigen vier Kinder klagten und
weinten eins immer lauter als das andere um den Ver-
lorenen, sie riefen seinen Namen nach allen vier Him-
melsgegenden, aber Alles war umsonst. So brach die
Nacht ein und der Hunger bewirkte, was ich nicht be-
wirken konnte. Die Klagen um Handri wurden still.
Da erblickten wir ihn auf einmal hinter einem nahen
Strauche, mühsam heranhinkend. Er war, als er über
das Schlachtfeld lief, gefallen und hatte sich die Füße
verstaucht, welche sehr angeschwollen waren. Jch wollte
ein heilsames Kraut aufsuchen, um seinen Schmerz zu
lindern, aber verirrte mich in der Dunkelheit und
wurde von einigen Reitern aufgegriffen, die mich hierher
brachten.

Jhr seid gerechtfertigt, sagte der Oberst und befahl
seinem Adjutanten, dafür Sorge zu tragen, daß die
Frau ungehindert und ungefährdet zu ihren Kindern ge-
bracht würde.

Man war zu sehr daran gewöhnt, daß der Oberst
nie vergäße, Untersuchung zu halten, ob seine kleinsten
Befehle vollzogen worden seien, und wagte daher nicht,
einen entgegengesetzten Willen zu haben, sondern setzte
die Frau auf ein kleines russisches Pferd, befestigte sie
auf dem Sattel so gut als es ging, und ehe eine Vier-
telstunde vergangen war, jagten zwei Reiter mit ihr da-
von, als gälte es, die wichtigste Eroberung zu machen.
Als Martha wieder zu ihren Kindern kam, waren diese
eben aufgewacht und trippelten auf ihrem Lagerplatze
herum, um sich nach Marthen umzusehen. Handri aber
schlief noch wie todt und erwachte erst eine ganze Stunde
nach der Ankunft Marthen's. Er war endlich trotz sei-
nes Schmerzes eingeschlafen und der Schlaf hatte bessere
Dienste gethan, als die Huflattichblätter schwerlich für
sich allein gethan hätten.

( Fortsetzung folgt in Nr. 23. )



Pelzhändler im Westen der Vereinigten
Staaten.

Man rechnet, daß zwischen den Grenzen der Vereinig-
ten Staaten und dem großen Oceane an 9000 Män-
ner, Amerikaner, Engländer, französische Canadier und
Russen mit Jagd und Handel auf eigene Rechnung
oder im Dienste der großen Compagnie beschäftigt sind,
von welchen jedes Jahr ein Drittheil umkommt und
durch Rekruten ersetzt wird. Von Denjenigen, welche
längere Zeit mit Glück alle Gefahren und Strapatzen
ihres traurigen Berufs überwinden, kehren höchst Wenige
in die civilisirten Gegenden zurück; denn theils fühlen
sie sich dazu unfähig durch langes Waldleben, theils wol-
len sie es ohne ein Vermögen nicht unternehmen, dessen
Bildung den Meisten nicht gelingt, weil Lüderlichkeit
und Spielwuth bei gelegentlichen Zusammenkünften ihrem
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] cher, abgerissener, mit seinem ganzen Charakter minder
zusammenhängender. Eine Frau, die edel denkt, han-
delt auch edel, eben weil sie das Edle fühlt, das sie
denkt; ein Mann kann unendlich erhaben denken und
doch gemein handeln, weil es nicht nothwendig ist, daß
er das Erhabene, was er denkt, durch das Gefühl
wahrnimmt, wovon Alles abhängt.

Lange noch hätte sich Martha ihren Gedanken hingege-
ben, denn es ist zu angenehm, auf ihrem Strome da-
hin zu schwimmen, wenn nicht Handri alsbald ihre
ganze Sorgfalt in Anspruch genommen hätte. Er hatte
sich erst gezwungen, zu schlafen, wie die Übrigen, wenig-
stens dem Scheine nach, aber der Schmerz an seinen
Füßen preßte ihm einen Seufzer nach dem andern ab,
bis sie so laut wurden, daß sie nicht mehr unbemerkt
bleiben konnten. Martha untersuchte seine Füße und
fand die Knöchel sehr angeschwollen und entzündet. Sie
sann hin und her, wie dem armen Jungen zu helfen
sei. Da besann sie sich, beim Eingange in den Wald Huf-
lattich ( tussilago ) gesehen zu haben, der ihr als ein gu-
tes Mittel gegen alle äußern Entzündungen bekannt war.
Sie entschloß sich, um die Leiden Handri's zu mildern, die
Blätter herbeizuholen, obgleich die Stelle, wo sie wuch-
sen, eine gute Viertelstunde entfernt war. Sie verfehlte
aber in der Dunkelheit den rechten Weg und konnte
die Stelle nicht finden. Das Schießen hatte längst auf-
gehört und das gab ihr den Muth, aus dem Walde
herauszutreten, um längs dem Rande desselben die
rechte Stelle aufzufinden. Sie kam so glücklich an den
Hohlweg, in welchem sie am Tage in den Wald ge-
kommen war, und befand sich keine zwanzig Schritte
mehr von der gesuchten Stelle entfernt. Sie wollte
eben wieder in den Wald einlenken, als plötzlich mehre
russische Reiter heranflogen und sie anhielten. Sie
schienen die Frau schon längst bemerkt zu haben und
sie für einen Spion zu halten, da sie von der Seite
der Franzosen herkam. Sie nahmen sie zwischen ihre
Pferde und führten sie, wie sehr sie sich auch sträubte,
mit Gewalt mit sich fort.

Schon hörte man in dem nächsten Dorfe die Hähne
krähen, die von ihren erwürgten Mitbrüdern noch übrig
waren, denn die raubgierigen Hände der Soldaten schie-
nen dem ganzen Hühnervolke den Untergang geschworen
zu haben; schon schwirrten die Lerchen, ihr Morgenlied
singend, in der Luft, wie im tiefsten Frieden, ohne an
den Kanonendonner zu denken, der sie bald wieder
stumm machen sollte, und Martha saß noch immer wei-
nend und klagend im russischen Lager, von den sie be-
wachenden Soldaten mit einer Miene betrachtet, in der
sich Mitleid und Verachtung zu bekämpfen schienen. Sie
war noch immer ein hübsches Weib, obgleich sie bereits
die Grenze überschritten hatte, welche die Frauen gewöhn-
lich nicht überschreiten dürfen, ohne aufzuhören schön
zu sein. Da sie wendischer Abkunft war, so konnte sie
sich den Soldaten so weit verständlich machen, als es
nöthig war. Einer von ihnen wurde endlich von wah-
rem Mitleid ergriffen und eilte zum Obersten Dolgo-
rucki, um ihr Verhör zu beschleunigen. Dieser wollte
eben sein Corps visitiren und ließ die Frau augenblick-
lich vor sich bringen. Martha trat mit Zittern und
Zagen vor den Offizier, der sehr erstaunt war, sie in sei-
nem Lager zu erblicken.

Weib, sagte er unwillig, wie konntet Jhr von Eu-
ren armen fünf Kindern weggehen, um Euch zur Spio-
nerie gebrauchen zu lassen?

Ach, gnädiger Herr, erwiederte Martha, welche in
dem Obersten den Offizier erkannte, der Tags vorher
[Spaltenumbruch] solche Güte gegen sie gezeigt hatte, glaubt nicht, daß ich
auf unrechten Wegen war.

Wo ist Euer Kind, das sich gestern so muthig be-
wies und nicht zagte, mir zu öffnen, als Alles um ihn
her den Kopf verloren hatte?

Dieses Kind, gnädiger Herr, ist Schuld, daß ich
hier bin. Mein armer Handri war mir abhanden ge-
kommen, als sich Alles aus dem Dorfe flüchtete, in
welchem wir bisher Zuflucht gefunden. Jch glaubte ihn
von Bekannten mit fortgerissen und suchte mit den übri-
gen Kindern den nahen Wald zu erreichen, hoffend,
daß ich Handri im Walde finden würde, aber ich hatte
mich getäuscht. Es ward Abend und Handri war nir-
gend zu finden. Die übrigen vier Kinder klagten und
weinten eins immer lauter als das andere um den Ver-
lorenen, sie riefen seinen Namen nach allen vier Him-
melsgegenden, aber Alles war umsonst. So brach die
Nacht ein und der Hunger bewirkte, was ich nicht be-
wirken konnte. Die Klagen um Handri wurden still.
Da erblickten wir ihn auf einmal hinter einem nahen
Strauche, mühsam heranhinkend. Er war, als er über
das Schlachtfeld lief, gefallen und hatte sich die Füße
verstaucht, welche sehr angeschwollen waren. Jch wollte
ein heilsames Kraut aufsuchen, um seinen Schmerz zu
lindern, aber verirrte mich in der Dunkelheit und
wurde von einigen Reitern aufgegriffen, die mich hierher
brachten.

Jhr seid gerechtfertigt, sagte der Oberst und befahl
seinem Adjutanten, dafür Sorge zu tragen, daß die
Frau ungehindert und ungefährdet zu ihren Kindern ge-
bracht würde.

Man war zu sehr daran gewöhnt, daß der Oberst
nie vergäße, Untersuchung zu halten, ob seine kleinsten
Befehle vollzogen worden seien, und wagte daher nicht,
einen entgegengesetzten Willen zu haben, sondern setzte
die Frau auf ein kleines russisches Pferd, befestigte sie
auf dem Sattel so gut als es ging, und ehe eine Vier-
telstunde vergangen war, jagten zwei Reiter mit ihr da-
von, als gälte es, die wichtigste Eroberung zu machen.
Als Martha wieder zu ihren Kindern kam, waren diese
eben aufgewacht und trippelten auf ihrem Lagerplatze
herum, um sich nach Marthen umzusehen. Handri aber
schlief noch wie todt und erwachte erst eine ganze Stunde
nach der Ankunft Marthen's. Er war endlich trotz sei-
nes Schmerzes eingeschlafen und der Schlaf hatte bessere
Dienste gethan, als die Huflattichblätter schwerlich für
sich allein gethan hätten.

( Fortsetzung folgt in Nr. 23. )



Pelzhändler im Westen der Vereinigten
Staaten.

Man rechnet, daß zwischen den Grenzen der Vereinig-
ten Staaten und dem großen Oceane an 9000 Män-
ner, Amerikaner, Engländer, französische Canadier und
Russen mit Jagd und Handel auf eigene Rechnung
oder im Dienste der großen Compagnie beschäftigt sind,
von welchen jedes Jahr ein Drittheil umkommt und
durch Rekruten ersetzt wird. Von Denjenigen, welche
längere Zeit mit Glück alle Gefahren und Strapatzen
ihres traurigen Berufs überwinden, kehren höchst Wenige
in die civilisirten Gegenden zurück; denn theils fühlen
sie sich dazu unfähig durch langes Waldleben, theils wol-
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Jhr seid gerechtfertigt, sagte der Oberst und befahl seinem Adjutanten, dafür Sorge zu tragen, daß die Frau ungehindert und ungefährdet zu ihren Kindern ge- bracht würde. Man war zu sehr daran gewöhnt, daß der Oberst nie vergäße, Untersuchung zu halten, ob seine kleinsten Befehle vollzogen worden seien, und wagte daher nicht, einen entgegengesetzten Willen zu haben, sondern setzte die Frau auf ein kleines russisches Pferd, befestigte sie auf dem Sattel so gut als es ging, und ehe eine Vier- telstunde vergangen war, jagten zwei Reiter mit ihr da- von, als gälte es, die wichtigste Eroberung zu machen. Als Martha wieder zu ihren Kindern kam, waren diese eben aufgewacht und trippelten auf ihrem Lagerplatze herum, um sich nach Marthen umzusehen. Handri aber schlief noch wie todt und erwachte erst eine ganze Stunde nach der Ankunft Marthen's. Er war endlich trotz sei- nes Schmerzes eingeschlafen und der Schlaf hatte bessere Dienste gethan, als die Huflattichblätter schwerlich für sich allein gethan hätten. ( Fortsetzung folgt in Nr. 23. ) Pelzhändler im Westen der Vereinigten Staaten. Man rechnet, daß zwischen den Grenzen der Vereinig- ten Staaten und dem großen Oceane an 9000 Män- ner, Amerikaner, Engländer, französische Canadier und Russen mit Jagd und Handel auf eigene Rechnung oder im Dienste der großen Compagnie beschäftigt sind, von welchen jedes Jahr ein Drittheil umkommt und durch Rekruten ersetzt wird. Von Denjenigen, welche längere Zeit mit Glück alle Gefahren und Strapatzen ihres traurigen Berufs überwinden, kehren höchst Wenige in die civilisirten Gegenden zurück; denn theils fühlen sie sich dazu unfähig durch langes Waldleben, theils wol- len sie es ohne ein Vermögen nicht unternehmen, dessen Bildung den Meisten nicht gelingt, weil Lüderlichkeit und Spielwuth bei gelegentlichen Zusammenkünften ihrem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 22. Leipzig (Sachsen), 3. Juni 1843, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig022_1843/3>, abgerufen am 18.06.2024.