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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 89. Leipzig (Sachsen), 7. September 1854.

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[Beginn Spaltensatz] thums der damaligen Zeit -- in Obhut und Pflege
hatte. Auch unerkannt wird Ulysses von dem gut-
müthigen Hirten gastfrei aufgenommen. Er erzählt ihm
Mancherlei von dem greisen Laertes, von der treuen
Penelope und von dem Jünglinge Telemachos, sowie
von den Freiern, die er einzeln ihm namhaft macht
und nach ihren Eigenthümlichkeiten schildert; auch von
der Dienerschaft im Hause des Königs erzählt er, wer
von denselben mit den Freiern es halte und sich der
Abwesenheit des Königs freute, und wer noch treu an
Ulysses hinge und seiner Heimkehr, wenn auch hoff-
nungslos, harre.

Am zweiten Morgen, als sie wieder plaudernd bei-
sammensaßen vor der Hütte des Hirten, sahen sie plötz-
lich einen schönen Jüngling auf sich zukommen, welchen
die Hunde nicht verkündet hatten, indem sie ihn feind-
lich anbellten, sondern den dieselben freudig umsprangen,
mit den Schwänzen wedelnd und ihm die Hände leckend.
Freudig sprang Eumäos auf, küßte dem Jünglinge
Hände und Haupt und schloß ihn in seine Arme, in-
dem er vor Schluchzen und Weinen keine Worte fand.
Der Jüngling war Telemachos, welcher auf die War-
nung des treuen Hirten, die ihn zur rechten Zeit ge-
troffen, an einer ungewöhnlichen Stelle von den Seinen
sich hatte ans Land setzen lassen, um die Pläne der Freier
gegen ihn zu vereiteln. Als Ulysses aus den Reden
und dem Benehmen des Hirten errieth, daß der Jüng-
ling sein heißgeliebter einziger Sohn sei, da wollte ihm
das Herz vor Freuden hoch aufjauchzen; aber er hielt
sich zurück und seiner angenommenen Gestalt getreu, be-
grüßte er den Königssohn als ein demüthiger Bettler.
Dieser aber verstand das Alter zu ehren und hieß ihn
freundlich sich wieder hinsetzen, wo er gesessen, und ließ
sich selbst von Eumäos einen Platz neben dem Fremd-
ling am Tische bereiten. Er ließ sich von Eumäos be-
richten, wie es während seiner Abwesenheit in Jthaka
zugegangen und bedauerte gegen den Fremden, dessen
Schicksale ihm Eumäos kurz mittheilte, daß er nicht
Macht genug habe, in seinem eigenen Hause ihn auf-
zunehmen. Dafür befahl er dem treuen Eumäos, für
den unglücklichen Fremden aufs beste in seinem Namen
zu sorgen. Nachdem sie zusammen den Jmbiß genom-
men, befahl Telemachos dem Eumäos in den Palast zu
gehen und seiner Mutter seine glückliche Heimkehr zu
melden, auch dem bekümmerten Großvater Laertes Nach-
richt zukommen zu lassen, aber Alles dies heimlich, da-
mit die bösen Freier es nicht vorschnell erführen.

Eumäos machte sich alsbald auf den Weg. Ulys-
ses aber schlich sich aus der Hütte, langte aus dem
unscheinbaren Ränzel, welches er mitgebracht hatte, ein
kostbares Gewand hervor, wusch sein Angesicht und
glättete sein Haar, und sich aufrichtend in seiner gan-
zen Größe und Heldengestalt trat er wieder hinein, an-
gethan als Held und König, vor seinen Sohn Tele-
machos. Dieser erkannte zwar den Gast, verwunderte
sich aber über die mit ihm vorgegangene Veränderung
und fragte ihn, wer er wäre. Da schloß ihn Ulysses
zärtlich in seine Arme, reichliche Thränen stürzten ihm
aus den Augen und er nannte ihm seinen Namen,
sagte ihm, daß er sein Vater sei. Mit zweifelndem
Staunen blickte ihn Telemachos an; aber Ulysses sagte
ihm mit eilenden Worten so Vieles, was aber nur er
allein und sein Vater wissen konnte, daß jener sich
bald überzeugte, daß der langersehnte, so oft heiß von
ihm beweinte, hochberühmte und geliebte Vater nach
zwanzigjähriger Abwesenheit leibhaftig vor seinen ver-
wunderten Augen stehe. Da fiel auch er weinend ihm
um den Hals und heiße Thränen des Jammers um
[Spaltenumbruch] das harte Geschick des Geliebten mischten sich mit seli-
gen Thränen der Freude über das endliche unverhoffte
Wiedersehen.

Sie hatten viel, viel miteinander zu reden. Der
kluge Ulysses gab dem Jünglinge Rathschläge, wie
sie Alles ordnen wollten, damit die Freier besiegt und
die rechtmäßige Herrschaft in Palast und Königthum
wiederhergestellt würde. Da sahen sie von Ferne den
Eumäos zurückkehren und Ulysses eilte wieder die
Gestalt des hülflosen Bettlers anzunehmen. Denn wie
treu und brav sich der alte Diener auch bewiesen, wie
sehr Ulysses auch auf ihn rechnete für die Stunde
der Gefahr, so fürchtete er doch, die unwillkürliche
Freude des Alten könnte ihn vor der Zeit seinen Fein-
den verrathen.



Eppelin und sein Roß.
( Beschluß. )

Die arme Hedwig ergab sich denn in ihr trauriges
Schicksal. Sie legte mit ihren drei Söhnen dunkle
Kleider an und erschien häufig im Thale, um den ein-
samen Mauern von Gailenreuth zu entfliehen, zwischen
denen es ihr so unheimlich, so bange wurde. Kam sie
nun zu den wenigen Leuten, die im Thale wohnten,
so trauerten diese mit ihr, denn sie war so sanft, so
mild, daß man oft nicht glauben konnte, sie sei des
wilden Eppelin Gattin. Diesen mochten darum die
Leute nur deshalb die Freiheit wünschen, damit seiner
Frau der Friede des Herzens wiederkehre.

Der liebste Ort, den sich Hedwig zu ihrer stillen
Trauer ausgesucht hatte, war im Thale an der Wiesent-
brücke, wo der bewaldete Berg sich abdachte und eine
kleine Mühle von dem silberhellen Wasser getrieben
wurde. Hier saß die Trauernde alle Tage bis zum
Sonnenuntergang im Schatten des Gebüsches und seufzte
und weinte, während ihre Kinder, die von ihrem Schmerze
noch keinen Begriff hatten, lustig umhersprangen.

Hüpft nur umher, sprach sie oft für sich, wenn sie
mit Mutterliebe die Lust der Knaben schaute, seid mun-
ter, wie die Lämmlein! Jhr Kinder habt ja noch kein
dauernd Mitgefühl für den Schmerz Anderer und eure
Thränen verrinnen so bald! Ach, wüßtet ihr, was eure
Mutter leidet und wo euer Vater schmachtet! Viel-
leicht -- vielleicht ist es mit ihm schon vorüber, vielleicht
schlug ihm schon die furchtbare Stunde!

Einst saß die Burgfrau auch an ihrem Lieblingsorte
und dachte an Eppelin und sein Schicksal, da rauschte
es im Gebüsch, als suche ein scheues Wild die Flucht.
Ein Mann war es, welcher sich durch das Dickicht
Bahn brach. Sein Gesicht sah verstört und bleich, seine
Brust keuchte nach Athem, sein ungeordnetes Kleid war
blutig. Er stürzte mit Hast der Mühle zu, donnerte
an den Laden und rief: "Müllerin, mach' auf!"

Die Müllerin öffnete und auf ihre Frage: "Was
gibt es?" antwortete der eilige Mann: "Schaff' mir
ein Stück Brot, ein Maß Wein; gib auch ein Hemd
oder ein Stück Linnen, um Wunden zu verbinden!
Erbarme dich, Müllerin, zögere nicht, jeder Augenblick
Verzug bringt den Tod!"

Die Müllersfrau ging, das Verlangte zu holen,
während Hedwig durchs Gebüsch den Mann betrachtete,
denn sie hörte aus seinem Munde bekannte Töne und
glaubte in seinem Gesichte liebe Züge zu erkennen.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] thums der damaligen Zeit — in Obhut und Pflege
hatte. Auch unerkannt wird Ulysses von dem gut-
müthigen Hirten gastfrei aufgenommen. Er erzählt ihm
Mancherlei von dem greisen Laertes, von der treuen
Penelope und von dem Jünglinge Telemachos, sowie
von den Freiern, die er einzeln ihm namhaft macht
und nach ihren Eigenthümlichkeiten schildert; auch von
der Dienerschaft im Hause des Königs erzählt er, wer
von denselben mit den Freiern es halte und sich der
Abwesenheit des Königs freute, und wer noch treu an
Ulysses hinge und seiner Heimkehr, wenn auch hoff-
nungslos, harre.

Am zweiten Morgen, als sie wieder plaudernd bei-
sammensaßen vor der Hütte des Hirten, sahen sie plötz-
lich einen schönen Jüngling auf sich zukommen, welchen
die Hunde nicht verkündet hatten, indem sie ihn feind-
lich anbellten, sondern den dieselben freudig umsprangen,
mit den Schwänzen wedelnd und ihm die Hände leckend.
Freudig sprang Eumäos auf, küßte dem Jünglinge
Hände und Haupt und schloß ihn in seine Arme, in-
dem er vor Schluchzen und Weinen keine Worte fand.
Der Jüngling war Telemachos, welcher auf die War-
nung des treuen Hirten, die ihn zur rechten Zeit ge-
troffen, an einer ungewöhnlichen Stelle von den Seinen
sich hatte ans Land setzen lassen, um die Pläne der Freier
gegen ihn zu vereiteln. Als Ulysses aus den Reden
und dem Benehmen des Hirten errieth, daß der Jüng-
ling sein heißgeliebter einziger Sohn sei, da wollte ihm
das Herz vor Freuden hoch aufjauchzen; aber er hielt
sich zurück und seiner angenommenen Gestalt getreu, be-
grüßte er den Königssohn als ein demüthiger Bettler.
Dieser aber verstand das Alter zu ehren und hieß ihn
freundlich sich wieder hinsetzen, wo er gesessen, und ließ
sich selbst von Eumäos einen Platz neben dem Fremd-
ling am Tische bereiten. Er ließ sich von Eumäos be-
richten, wie es während seiner Abwesenheit in Jthaka
zugegangen und bedauerte gegen den Fremden, dessen
Schicksale ihm Eumäos kurz mittheilte, daß er nicht
Macht genug habe, in seinem eigenen Hause ihn auf-
zunehmen. Dafür befahl er dem treuen Eumäos, für
den unglücklichen Fremden aufs beste in seinem Namen
zu sorgen. Nachdem sie zusammen den Jmbiß genom-
men, befahl Telemachos dem Eumäos in den Palast zu
gehen und seiner Mutter seine glückliche Heimkehr zu
melden, auch dem bekümmerten Großvater Laertes Nach-
richt zukommen zu lassen, aber Alles dies heimlich, da-
mit die bösen Freier es nicht vorschnell erführen.

Eumäos machte sich alsbald auf den Weg. Ulys-
ses aber schlich sich aus der Hütte, langte aus dem
unscheinbaren Ränzel, welches er mitgebracht hatte, ein
kostbares Gewand hervor, wusch sein Angesicht und
glättete sein Haar, und sich aufrichtend in seiner gan-
zen Größe und Heldengestalt trat er wieder hinein, an-
gethan als Held und König, vor seinen Sohn Tele-
machos. Dieser erkannte zwar den Gast, verwunderte
sich aber über die mit ihm vorgegangene Veränderung
und fragte ihn, wer er wäre. Da schloß ihn Ulysses
zärtlich in seine Arme, reichliche Thränen stürzten ihm
aus den Augen und er nannte ihm seinen Namen,
sagte ihm, daß er sein Vater sei. Mit zweifelndem
Staunen blickte ihn Telemachos an; aber Ulysses sagte
ihm mit eilenden Worten so Vieles, was aber nur er
allein und sein Vater wissen konnte, daß jener sich
bald überzeugte, daß der langersehnte, so oft heiß von
ihm beweinte, hochberühmte und geliebte Vater nach
zwanzigjähriger Abwesenheit leibhaftig vor seinen ver-
wunderten Augen stehe. Da fiel auch er weinend ihm
um den Hals und heiße Thränen des Jammers um
[Spaltenumbruch] das harte Geschick des Geliebten mischten sich mit seli-
gen Thränen der Freude über das endliche unverhoffte
Wiedersehen.

Sie hatten viel, viel miteinander zu reden. Der
kluge Ulysses gab dem Jünglinge Rathschläge, wie
sie Alles ordnen wollten, damit die Freier besiegt und
die rechtmäßige Herrschaft in Palast und Königthum
wiederhergestellt würde. Da sahen sie von Ferne den
Eumäos zurückkehren und Ulysses eilte wieder die
Gestalt des hülflosen Bettlers anzunehmen. Denn wie
treu und brav sich der alte Diener auch bewiesen, wie
sehr Ulysses auch auf ihn rechnete für die Stunde
der Gefahr, so fürchtete er doch, die unwillkürliche
Freude des Alten könnte ihn vor der Zeit seinen Fein-
den verrathen.



Eppelin und sein Roß.
( Beschluß. )

Die arme Hedwig ergab sich denn in ihr trauriges
Schicksal. Sie legte mit ihren drei Söhnen dunkle
Kleider an und erschien häufig im Thale, um den ein-
samen Mauern von Gailenreuth zu entfliehen, zwischen
denen es ihr so unheimlich, so bange wurde. Kam sie
nun zu den wenigen Leuten, die im Thale wohnten,
so trauerten diese mit ihr, denn sie war so sanft, so
mild, daß man oft nicht glauben konnte, sie sei des
wilden Eppelin Gattin. Diesen mochten darum die
Leute nur deshalb die Freiheit wünschen, damit seiner
Frau der Friede des Herzens wiederkehre.

Der liebste Ort, den sich Hedwig zu ihrer stillen
Trauer ausgesucht hatte, war im Thale an der Wiesent-
brücke, wo der bewaldete Berg sich abdachte und eine
kleine Mühle von dem silberhellen Wasser getrieben
wurde. Hier saß die Trauernde alle Tage bis zum
Sonnenuntergang im Schatten des Gebüsches und seufzte
und weinte, während ihre Kinder, die von ihrem Schmerze
noch keinen Begriff hatten, lustig umhersprangen.

Hüpft nur umher, sprach sie oft für sich, wenn sie
mit Mutterliebe die Lust der Knaben schaute, seid mun-
ter, wie die Lämmlein! Jhr Kinder habt ja noch kein
dauernd Mitgefühl für den Schmerz Anderer und eure
Thränen verrinnen so bald! Ach, wüßtet ihr, was eure
Mutter leidet und wo euer Vater schmachtet! Viel-
leicht — vielleicht ist es mit ihm schon vorüber, vielleicht
schlug ihm schon die furchtbare Stunde!

Einst saß die Burgfrau auch an ihrem Lieblingsorte
und dachte an Eppelin und sein Schicksal, da rauschte
es im Gebüsch, als suche ein scheues Wild die Flucht.
Ein Mann war es, welcher sich durch das Dickicht
Bahn brach. Sein Gesicht sah verstört und bleich, seine
Brust keuchte nach Athem, sein ungeordnetes Kleid war
blutig. Er stürzte mit Hast der Mühle zu, donnerte
an den Laden und rief: „Müllerin, mach' auf!“

Die Müllerin öffnete und auf ihre Frage: „Was
gibt es?“ antwortete der eilige Mann: „Schaff' mir
ein Stück Brot, ein Maß Wein; gib auch ein Hemd
oder ein Stück Linnen, um Wunden zu verbinden!
Erbarme dich, Müllerin, zögere nicht, jeder Augenblick
Verzug bringt den Tod!“

Die Müllersfrau ging, das Verlangte zu holen,
während Hedwig durchs Gebüsch den Mann betrachtete,
denn sie hörte aus seinem Munde bekannte Töne und
glaubte in seinem Gesichte liebe Züge zu erkennen.
[Ende Spaltensatz]

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Sie legte mit ihren drei Söhnen dunkle Kleider an und erschien häufig im Thale, um den ein- samen Mauern von Gailenreuth zu entfliehen, zwischen denen es ihr so unheimlich, so bange wurde. Kam sie nun zu den wenigen Leuten, die im Thale wohnten, so trauerten diese mit ihr, denn sie war so sanft, so mild, daß man oft nicht glauben konnte, sie sei des wilden Eppelin Gattin. Diesen mochten darum die Leute nur deshalb die Freiheit wünschen, damit seiner Frau der Friede des Herzens wiederkehre. Der liebste Ort, den sich Hedwig zu ihrer stillen Trauer ausgesucht hatte, war im Thale an der Wiesent- brücke, wo der bewaldete Berg sich abdachte und eine kleine Mühle von dem silberhellen Wasser getrieben wurde. Hier saß die Trauernde alle Tage bis zum Sonnenuntergang im Schatten des Gebüsches und seufzte und weinte, während ihre Kinder, die von ihrem Schmerze noch keinen Begriff hatten, lustig umhersprangen. Hüpft nur umher, sprach sie oft für sich, wenn sie mit Mutterliebe die Lust der Knaben schaute, seid mun- ter, wie die Lämmlein! Jhr Kinder habt ja noch kein dauernd Mitgefühl für den Schmerz Anderer und eure Thränen verrinnen so bald! Ach, wüßtet ihr, was eure Mutter leidet und wo euer Vater schmachtet! Viel- leicht — vielleicht ist es mit ihm schon vorüber, vielleicht schlug ihm schon die furchtbare Stunde! Einst saß die Burgfrau auch an ihrem Lieblingsorte und dachte an Eppelin und sein Schicksal, da rauschte es im Gebüsch, als suche ein scheues Wild die Flucht. Ein Mann war es, welcher sich durch das Dickicht Bahn brach. Sein Gesicht sah verstört und bleich, seine Brust keuchte nach Athem, sein ungeordnetes Kleid war blutig. Er stürzte mit Hast der Mühle zu, donnerte an den Laden und rief: „Müllerin, mach' auf!“ Die Müllerin öffnete und auf ihre Frage: „Was gibt es?“ antwortete der eilige Mann: „Schaff' mir ein Stück Brot, ein Maß Wein; gib auch ein Hemd oder ein Stück Linnen, um Wunden zu verbinden! Erbarme dich, Müllerin, zögere nicht, jeder Augenblick Verzug bringt den Tod!“ Die Müllersfrau ging, das Verlangte zu holen, während Hedwig durchs Gebüsch den Mann betrachtete, denn sie hörte aus seinem Munde bekannte Töne und glaubte in seinem Gesichte liebe Züge zu erkennen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 89. Leipzig (Sachsen), 7. September 1854, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig089_1854/2>, abgerufen am 01.06.2024.