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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 99. Leipzig (Sachsen), 23. November 1854.

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[Beginn Spaltensatz] den versprochen und er empfand eine heiße Sehnsucht
nach ihr, dem einzigen Wesen, das auf Erden in Liebe
seiner gedachte. Jn immer steigender Fieberhitze raffte
er sich auf und wie geleitet von einem Engel gelangte
er von der steilen Höhe wohlbehalten hinab in die
Ebene. Dort in der Kühle eines Wäldchens milderte
sich seine Fieberhitze. Er bekam die volle Besinnung
wieder und stillte an einem Bache seinen brennenden
Durst. Die Sehnsucht nach Käthchen blieb aber in
seiner Seele gleich heiß und er beschloß, nach Loben-
hain zu gehen, das am Ausgange des Waldes lag,
in welchem er sich befand. Jn hohem Grade erschöpft
kam er dort an und sein Herz pochte ängstlich, als er
Käthchen's Wohnung erblickte. Diese hatte den Tag
über mit bebendem Herzen den Donner der nahen
Schlacht gehört, und zitternd für das Leben Albert's
allein, dachte sie wenig an Joseph. Um Mittag wa-
ren französische Marodeurs in das Dorf gekommen
und durch Plündern und Rauben ein Schrecken der
friedlichen Bewohner desselben geworden. Auch bei
Käthchen's Mutter hatten zwei dieser bösen Geister in
schonungslosester Weise aufgeräumt; keiner der dadurch
erlittenen Verluste vermochte jedoch den Schmerz zu
überwiegen, den Käthchen empfand, als eine geheime
Ahnung ihr sagte, daß Albert geblieben sei. Bitter-
lich weinend saß sie am kleinen Kammerfenster und der
Mond, der trübe durch die Scheiben sah, nährte den
Schmerz durch sein melancholisches Licht. Ein sanfter
Windeshauch regte die Blätter des dunkeln Flieder-
baums, der das Fenster beschattete und wie Engel-
flüstern um die Trauernde säuselte.

Jn diesem Augenblicke trat Albert, welcher sich
leise durch den Garten geschlichen hatte, mit seinem
blutigen Verbande, bleich und hohläugig, lauschend vor
das Kammerfenster, wo Käthchen saß. Sie schlug die
Augen auf, weil sie ein Rascheln im Grase vernom-
men zu haben glaubte, starrte hin auf die geisterhafte
Erscheinung und sank mit dem Ausrufe: "Jesus Ma-
ria!" zu Boden. Albert erblickte das Mädchen, hörte
den Schrei und sah es hinsinken. Er fühlte Fieber-
schauer durch alle Adern und seine Wunde brannte
heiß. Wankend und den Tod im Herzen spürend
schlich er zu seiner Lieblingseiche und sank zitternd nie-
der ins feuchte Gras. Der Verband seiner Wunde
hatte sich durch die Bewegung des Gehens nach und
nach verschoben und dickes Blut entquoll ihr immer
von neuem wieder. Albert war der gänzlichen Er-
schöpfung nahe und in seiner furchtbaren Qual hob er
betend die Hände zum Allbarmherzigen empor, mit
schwacher Stimme um Auflösung flehend. Als ob
himmlischer Balsam in die Wunde träufle, so linderte
sich plötzlich der Schmerz. Sein Auge ward hell und
er sah den Engel, wie er einst in jenem Kirchlein über
dem Taufbecken schwebte, selig lächelnd vor sich stehen.
Noch einen leisen Athemzug und -- er hatte ausge-
rungen.

Drinnen im Dorfe aber wälzte sich Käthchen in
den furchtbarsten Fieberphantasien auf ihrem Lager;
sie sprach viel im Schlafe und als das erste Morgen-
roth matt durch die trüben Scheiben schimmerte, schlug
sie verwundert die Augen auf und erzählte, sie habe
Alles im Traume gesehen. Dabei blieb sie nun auch
beständig und vergeblich bemühte sich ihre Mutter, ihr
das Traumgesicht auszureden. Nach wochenlangem
schweren Krankenlager hauchte das Mädchen endlich ih-
ren Geist aus, ihr letzter Seufzerruf war "Albert!"

Sie ward mit ihm zusammen in eine Gruft ge-
bettet und zwei Rosenstöcke, das Sinnbild ihrer un-
[Spaltenumbruch] befleckten Tugend, bezeichnen die Stelle, wo die Lie-
benden vereint dem Tage der Auferstehung entgegen-
schauen.



Anna von Bretagne.

Anna von Bretagne, geboren am 26. Februar 1476,
war die Tochter Franz II., Herzogs von Bretagne.
Früh schon entwickelte die junge Fürstentochter die vor-
züglichsten Eigenschaften des Körpers und Geistes. Jm
Alter von 14 Jahren ward sie nach ihres Vaters Tode
Herzogin von Bretagne. Von dieser Zeit an zeigte sie
eine ihren Jahren weit vorschreitende Klugheit und
Umsicht. Viele große Herren strebten nach ihrer Hand.
Der Herzog von Orleans, nachmals Ludwig XII.,
kämpfte glorreich für die Fürstin und würde ohne
Zweifel den Sieg über seine Nebenbuhler davongetra-
gen haben, wenn er nicht von ihnen in der Schlacht
bei St.=Aubin zum Gefangenen gemacht worden wäre.
Um dem Verderben ihres Landes zu steuern, heirathete
Anna durch Procuration den Erzherzog von Östreich,
Maximilian, den nachmaligen Kaiser.

Frankreich mochte nicht leiden, daß Maximilian,
der schon Burgund besaß, auch noch Beherrscher von
Bretagne werden sollte. Karl VIII., König von Frank-
reich, Bräutigam der Tochter Maximilian's, beschloß,
diese ihm zurückzuschicken und dessen Gemahlin ihm zu
entreißen. Die Unternehmung war schwer; Dunois
unterzog sich derselben, der Herzog von Orleans zog
nach Bretagne und wirkte so geschickt durch Schlach-
ten und Unterhandlungen, daß am 6. December 1491
die Hochzeit der Herzogin mit Karl VIII. zu Langeais
begangen ward.

Bald nachher reiste der König nach Jtalien und
während seiner Abwesenheit regierte Anna das Reich
musterhaft, und als er starb, überließ sie sich dem
tiefsten Schmerze und zog sich in ihr Herzogthum Bre-
tagne zurück. Ludwig XII., ihr früherer Anbeter, ließ
sich von Ludwig's VIII. Tochter, Johanna, die man
ihm aufgezwungen hatte, scheiden und vermählte sich
am 8. Januar 1499 mit Anna von Bretagne. Er
überließ ihr alle Einkünfte ihres Herzogthums Bre-
tagne, welche sie zur Unterstützung der Armen, zur
Belohnung der Verdienste um den Staat und dazu
anwendete, daß sie ihre und ihres Gemahls Diener-
schaft mit Gutthaten überhäufte. Sie brachte zuerst
Frauen an den Hof und führte bei demselben eine
Menge Fräulein unter dem Titel "Ehrenfräulein der
Königin" ein.

Ludwig XII. ermangelte nie, der Königin von den
fremden Gesandten aufwarten zu lassen, und ihr ge-
währte es ungemeines Vergnügen, sich in der Unter-
haltung mit ihnen von den Sitten und Gebräuchen
fremder Nationen zu unterrichten. Sie wendete zuvor
Fleiß darauf, von ihrem Hofcavalier de Grignols einige
Wörter jener Sprache zu erlernen, die sie hernach im
Gespräch mit ihnen sehr anmuthig anbrachte.

Ludwig zeigte bei dem Tode der Königin einen
Schmerz, der ihn, solange er lebte, nicht verließ.
Politische Ursachen veranlaßten ihn in der Folge, sich
wieder zu vermählen; aber nie vergaß er sa chere
Bretonne
und wollte auch neben ihr begraben sein.

Sie starb auf dem Schlosse von Blois, nur 37
Jahre alt, am 21. Januar 1513.

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[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] den versprochen und er empfand eine heiße Sehnsucht
nach ihr, dem einzigen Wesen, das auf Erden in Liebe
seiner gedachte. Jn immer steigender Fieberhitze raffte
er sich auf und wie geleitet von einem Engel gelangte
er von der steilen Höhe wohlbehalten hinab in die
Ebene. Dort in der Kühle eines Wäldchens milderte
sich seine Fieberhitze. Er bekam die volle Besinnung
wieder und stillte an einem Bache seinen brennenden
Durst. Die Sehnsucht nach Käthchen blieb aber in
seiner Seele gleich heiß und er beschloß, nach Loben-
hain zu gehen, das am Ausgange des Waldes lag,
in welchem er sich befand. Jn hohem Grade erschöpft
kam er dort an und sein Herz pochte ängstlich, als er
Käthchen's Wohnung erblickte. Diese hatte den Tag
über mit bebendem Herzen den Donner der nahen
Schlacht gehört, und zitternd für das Leben Albert's
allein, dachte sie wenig an Joseph. Um Mittag wa-
ren französische Marodeurs in das Dorf gekommen
und durch Plündern und Rauben ein Schrecken der
friedlichen Bewohner desselben geworden. Auch bei
Käthchen's Mutter hatten zwei dieser bösen Geister in
schonungslosester Weise aufgeräumt; keiner der dadurch
erlittenen Verluste vermochte jedoch den Schmerz zu
überwiegen, den Käthchen empfand, als eine geheime
Ahnung ihr sagte, daß Albert geblieben sei. Bitter-
lich weinend saß sie am kleinen Kammerfenster und der
Mond, der trübe durch die Scheiben sah, nährte den
Schmerz durch sein melancholisches Licht. Ein sanfter
Windeshauch regte die Blätter des dunkeln Flieder-
baums, der das Fenster beschattete und wie Engel-
flüstern um die Trauernde säuselte.

Jn diesem Augenblicke trat Albert, welcher sich
leise durch den Garten geschlichen hatte, mit seinem
blutigen Verbande, bleich und hohläugig, lauschend vor
das Kammerfenster, wo Käthchen saß. Sie schlug die
Augen auf, weil sie ein Rascheln im Grase vernom-
men zu haben glaubte, starrte hin auf die geisterhafte
Erscheinung und sank mit dem Ausrufe: „Jesus Ma-
ria!“ zu Boden. Albert erblickte das Mädchen, hörte
den Schrei und sah es hinsinken. Er fühlte Fieber-
schauer durch alle Adern und seine Wunde brannte
heiß. Wankend und den Tod im Herzen spürend
schlich er zu seiner Lieblingseiche und sank zitternd nie-
der ins feuchte Gras. Der Verband seiner Wunde
hatte sich durch die Bewegung des Gehens nach und
nach verschoben und dickes Blut entquoll ihr immer
von neuem wieder. Albert war der gänzlichen Er-
schöpfung nahe und in seiner furchtbaren Qual hob er
betend die Hände zum Allbarmherzigen empor, mit
schwacher Stimme um Auflösung flehend. Als ob
himmlischer Balsam in die Wunde träufle, so linderte
sich plötzlich der Schmerz. Sein Auge ward hell und
er sah den Engel, wie er einst in jenem Kirchlein über
dem Taufbecken schwebte, selig lächelnd vor sich stehen.
Noch einen leisen Athemzug und — er hatte ausge-
rungen.

Drinnen im Dorfe aber wälzte sich Käthchen in
den furchtbarsten Fieberphantasien auf ihrem Lager;
sie sprach viel im Schlafe und als das erste Morgen-
roth matt durch die trüben Scheiben schimmerte, schlug
sie verwundert die Augen auf und erzählte, sie habe
Alles im Traume gesehen. Dabei blieb sie nun auch
beständig und vergeblich bemühte sich ihre Mutter, ihr
das Traumgesicht auszureden. Nach wochenlangem
schweren Krankenlager hauchte das Mädchen endlich ih-
ren Geist aus, ihr letzter Seufzerruf war „Albert!“

Sie ward mit ihm zusammen in eine Gruft ge-
bettet und zwei Rosenstöcke, das Sinnbild ihrer un-
[Spaltenumbruch] befleckten Tugend, bezeichnen die Stelle, wo die Lie-
benden vereint dem Tage der Auferstehung entgegen-
schauen.



Anna von Bretagne.

Anna von Bretagne, geboren am 26. Februar 1476,
war die Tochter Franz II., Herzogs von Bretagne.
Früh schon entwickelte die junge Fürstentochter die vor-
züglichsten Eigenschaften des Körpers und Geistes. Jm
Alter von 14 Jahren ward sie nach ihres Vaters Tode
Herzogin von Bretagne. Von dieser Zeit an zeigte sie
eine ihren Jahren weit vorschreitende Klugheit und
Umsicht. Viele große Herren strebten nach ihrer Hand.
Der Herzog von Orléans, nachmals Ludwig XII.,
kämpfte glorreich für die Fürstin und würde ohne
Zweifel den Sieg über seine Nebenbuhler davongetra-
gen haben, wenn er nicht von ihnen in der Schlacht
bei St.=Aubin zum Gefangenen gemacht worden wäre.
Um dem Verderben ihres Landes zu steuern, heirathete
Anna durch Procuration den Erzherzog von Östreich,
Maximilian, den nachmaligen Kaiser.

Frankreich mochte nicht leiden, daß Maximilian,
der schon Burgund besaß, auch noch Beherrscher von
Bretagne werden sollte. Karl VIII., König von Frank-
reich, Bräutigam der Tochter Maximilian's, beschloß,
diese ihm zurückzuschicken und dessen Gemahlin ihm zu
entreißen. Die Unternehmung war schwer; Dunois
unterzog sich derselben, der Herzog von Orléans zog
nach Bretagne und wirkte so geschickt durch Schlach-
ten und Unterhandlungen, daß am 6. December 1491
die Hochzeit der Herzogin mit Karl VIII. zu Langeais
begangen ward.

Bald nachher reiste der König nach Jtalien und
während seiner Abwesenheit regierte Anna das Reich
musterhaft, und als er starb, überließ sie sich dem
tiefsten Schmerze und zog sich in ihr Herzogthum Bre-
tagne zurück. Ludwig XII., ihr früherer Anbeter, ließ
sich von Ludwig's VIII. Tochter, Johanna, die man
ihm aufgezwungen hatte, scheiden und vermählte sich
am 8. Januar 1499 mit Anna von Bretagne. Er
überließ ihr alle Einkünfte ihres Herzogthums Bre-
tagne, welche sie zur Unterstützung der Armen, zur
Belohnung der Verdienste um den Staat und dazu
anwendete, daß sie ihre und ihres Gemahls Diener-
schaft mit Gutthaten überhäufte. Sie brachte zuerst
Frauen an den Hof und führte bei demselben eine
Menge Fräulein unter dem Titel „Ehrenfräulein der
Königin“ ein.

Ludwig XII. ermangelte nie, der Königin von den
fremden Gesandten aufwarten zu lassen, und ihr ge-
währte es ungemeines Vergnügen, sich in der Unter-
haltung mit ihnen von den Sitten und Gebräuchen
fremder Nationen zu unterrichten. Sie wendete zuvor
Fleiß darauf, von ihrem Hofcavalier de Grignols einige
Wörter jener Sprache zu erlernen, die sie hernach im
Gespräch mit ihnen sehr anmuthig anbrachte.

Ludwig zeigte bei dem Tode der Königin einen
Schmerz, der ihn, solange er lebte, nicht verließ.
Politische Ursachen veranlaßten ihn in der Folge, sich
wieder zu vermählen; aber nie vergaß er sa chêre
Bretonne
und wollte auch neben ihr begraben sein.

Sie starb auf dem Schlosse von Blois, nur 37
Jahre alt, am 21. Januar 1513.

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Die Unternehmung war schwer; Dunois unterzog sich derselben, der Herzog von Orléans zog nach Bretagne und wirkte so geschickt durch Schlach- ten und Unterhandlungen, daß am 6. December 1491 die Hochzeit der Herzogin mit Karl VIII. zu Langeais begangen ward. Bald nachher reiste der König nach Jtalien und während seiner Abwesenheit regierte Anna das Reich musterhaft, und als er starb, überließ sie sich dem tiefsten Schmerze und zog sich in ihr Herzogthum Bre- tagne zurück. Ludwig XII., ihr früherer Anbeter, ließ sich von Ludwig's VIII. Tochter, Johanna, die man ihm aufgezwungen hatte, scheiden und vermählte sich am 8. Januar 1499 mit Anna von Bretagne. Er überließ ihr alle Einkünfte ihres Herzogthums Bre- tagne, welche sie zur Unterstützung der Armen, zur Belohnung der Verdienste um den Staat und dazu anwendete, daß sie ihre und ihres Gemahls Diener- schaft mit Gutthaten überhäufte. Sie brachte zuerst Frauen an den Hof und führte bei demselben eine Menge Fräulein unter dem Titel „Ehrenfräulein der Königin“ ein. Ludwig XII. ermangelte nie, der Königin von den fremden Gesandten aufwarten zu lassen, und ihr ge- währte es ungemeines Vergnügen, sich in der Unter- haltung mit ihnen von den Sitten und Gebräuchen fremder Nationen zu unterrichten. Sie wendete zuvor Fleiß darauf, von ihrem Hofcavalier de Grignols einige Wörter jener Sprache zu erlernen, die sie hernach im Gespräch mit ihnen sehr anmuthig anbrachte. Ludwig zeigte bei dem Tode der Königin einen Schmerz, der ihn, solange er lebte, nicht verließ. Politische Ursachen veranlaßten ihn in der Folge, sich wieder zu vermählen; aber nie vergaß er sa chêre Bretonne und wollte auch neben ihr begraben sein. Sie starb auf dem Schlosse von Blois, nur 37 Jahre alt, am 21. Januar 1513. Das umstehende Bild ist aus einem auf Perga-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig099_1854
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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 99. Leipzig (Sachsen), 23. November 1854, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig099_1854/3>, abgerufen am 14.06.2024.