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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 100. Leipzig (Sachsen), 30. November 1854.

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Das Pfennig=Magazin
für
Belehrung und Unterhaltung.


Nr. 100. ] Dritte Folge. Zweiter Jahrgang. [ 30. November 1854.


Johann Kaspar Lavater.
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]

Johann Kaspar Lavater, geboren zu Zürich am
15. November 1741, zählt mit gutem Rechte zu den
merkwürdigsten Männern des 18. Jahrhunderts. Weit
über den Bereich des geistlichen Amtes hinaus, das
er in seiner Vaterstadt allmälig in verschiedenen Ab-
stufungen mit dem größten Eifer sich angelegen sein
ließ, war er mittels eines lebhaften Briefwechsels der
Berather und Seelsorger vieler frommer Familien in
allen Gegenden Deutschlands. Seine früh geübte
Beobachtungsgabe und seine Menschenkenntniß hatten
ihn in den Stand gesetzt, sich von allen Personen,
mit denen er in Berührung kam, nach einigem Um-
gange bald ein treffendes Bild ihrer Natur und ihres
Charakters abzunehmen, und da dieses Bild in seinem
Alles zur Anschauung gestaltenden Gemüthe leicht mit
der Vorstellung ihrer Gesichtszüge zusammenschmolz, so
überzeugte er sich allmälig von einer allgemeinen Ueber-
einstimmung des äußern Menschen mit dem innern.
So kam er auf den Gedanken, die Linien des Men-
schenprofils für zuverlässige Merkmale des Charakters
[Spaltenumbruch] zu erklären und die Physiognomik, die bisher nur eine
Zusammenstellung bescheidener, auf ähnliche Fälle ge-
gründeter Vermuthungen gewesen war, zur Wissen-
schaft zu erheben. Jn späterer Zeit fanden Lavater's
Schriften weniger Anklang und seine redseligen Mit-
theilungen hörten auf anziehend zu sein, als die Welt
von einem allgemeinern Jnteresse beschäftigt wurde.
Auch ihn erfüllte die Französische Revolution anfangs
mit republikanischer Freude, aber seit der Epoche des
Königsmordes mit einem religiösen Abscheu. Dabei
hörte er nicht auf, für Recht und Ordnung zu spre-
chen. Sein sittlicher Charakter war durchaus redlich
und edel; nur das Übermaß des Beifalls machte ihn
zuweilen klein. Bei der Einnahme Zürichs durch
Massena am 26. September 1799 ward er, auf der
Straße beschäftigt, Verwundeten beizustehen, selbst von
einem französischen Soldaten durch die Seite geschossen
und starb nach einem langen schmerzvollen Kranken-
lager am 2. Januar 1801.

[Ende Spaltensatz]

Das Pfennig=Magazin
für
Belehrung und Unterhaltung.


Nr. 100. ] Dritte Folge. Zweiter Jahrgang. [ 30. November 1854.


Johann Kaspar Lavater.
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]

Johann Kaspar Lavater, geboren zu Zürich am
15. November 1741, zählt mit gutem Rechte zu den
merkwürdigsten Männern des 18. Jahrhunderts. Weit
über den Bereich des geistlichen Amtes hinaus, das
er in seiner Vaterstadt allmälig in verschiedenen Ab-
stufungen mit dem größten Eifer sich angelegen sein
ließ, war er mittels eines lebhaften Briefwechsels der
Berather und Seelsorger vieler frommer Familien in
allen Gegenden Deutschlands. Seine früh geübte
Beobachtungsgabe und seine Menschenkenntniß hatten
ihn in den Stand gesetzt, sich von allen Personen,
mit denen er in Berührung kam, nach einigem Um-
gange bald ein treffendes Bild ihrer Natur und ihres
Charakters abzunehmen, und da dieses Bild in seinem
Alles zur Anschauung gestaltenden Gemüthe leicht mit
der Vorstellung ihrer Gesichtszüge zusammenschmolz, so
überzeugte er sich allmälig von einer allgemeinen Ueber-
einstimmung des äußern Menschen mit dem innern.
So kam er auf den Gedanken, die Linien des Men-
schenprofils für zuverlässige Merkmale des Charakters
[Spaltenumbruch] zu erklären und die Physiognomik, die bisher nur eine
Zusammenstellung bescheidener, auf ähnliche Fälle ge-
gründeter Vermuthungen gewesen war, zur Wissen-
schaft zu erheben. Jn späterer Zeit fanden Lavater's
Schriften weniger Anklang und seine redseligen Mit-
theilungen hörten auf anziehend zu sein, als die Welt
von einem allgemeinern Jnteresse beschäftigt wurde.
Auch ihn erfüllte die Französische Revolution anfangs
mit republikanischer Freude, aber seit der Epoche des
Königsmordes mit einem religiösen Abscheu. Dabei
hörte er nicht auf, für Recht und Ordnung zu spre-
chen. Sein sittlicher Charakter war durchaus redlich
und edel; nur das Übermaß des Beifalls machte ihn
zuweilen klein. Bei der Einnahme Zürichs durch
Masséna am 26. September 1799 ward er, auf der
Straße beschäftigt, Verwundeten beizustehen, selbst von
einem französischen Soldaten durch die Seite geschossen
und starb nach einem langen schmerzvollen Kranken-
lager am 2. Januar 1801.

[Ende Spaltensatz]

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[[377]/0001] Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Nr. 100. ] Dritte Folge. Zweiter Jahrgang. [ 30. November 1854. Johann Kaspar Lavater. [Abbildung] Johann Kaspar Lavater, geboren zu Zürich am 15. November 1741, zählt mit gutem Rechte zu den merkwürdigsten Männern des 18. Jahrhunderts. Weit über den Bereich des geistlichen Amtes hinaus, das er in seiner Vaterstadt allmälig in verschiedenen Ab- stufungen mit dem größten Eifer sich angelegen sein ließ, war er mittels eines lebhaften Briefwechsels der Berather und Seelsorger vieler frommer Familien in allen Gegenden Deutschlands. Seine früh geübte Beobachtungsgabe und seine Menschenkenntniß hatten ihn in den Stand gesetzt, sich von allen Personen, mit denen er in Berührung kam, nach einigem Um- gange bald ein treffendes Bild ihrer Natur und ihres Charakters abzunehmen, und da dieses Bild in seinem Alles zur Anschauung gestaltenden Gemüthe leicht mit der Vorstellung ihrer Gesichtszüge zusammenschmolz, so überzeugte er sich allmälig von einer allgemeinen Ueber- einstimmung des äußern Menschen mit dem innern. So kam er auf den Gedanken, die Linien des Men- schenprofils für zuverlässige Merkmale des Charakters zu erklären und die Physiognomik, die bisher nur eine Zusammenstellung bescheidener, auf ähnliche Fälle ge- gründeter Vermuthungen gewesen war, zur Wissen- schaft zu erheben. Jn späterer Zeit fanden Lavater's Schriften weniger Anklang und seine redseligen Mit- theilungen hörten auf anziehend zu sein, als die Welt von einem allgemeinern Jnteresse beschäftigt wurde. Auch ihn erfüllte die Französische Revolution anfangs mit republikanischer Freude, aber seit der Epoche des Königsmordes mit einem religiösen Abscheu. Dabei hörte er nicht auf, für Recht und Ordnung zu spre- chen. Sein sittlicher Charakter war durchaus redlich und edel; nur das Übermaß des Beifalls machte ihn zuweilen klein. Bei der Einnahme Zürichs durch Masséna am 26. September 1799 ward er, auf der Straße beschäftigt, Verwundeten beizustehen, selbst von einem französischen Soldaten durch die Seite geschossen und starb nach einem langen schmerzvollen Kranken- lager am 2. Januar 1801.

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 100. Leipzig (Sachsen), 30. November 1854, S. [377]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig100_1854/1>, abgerufen am 21.11.2024.