Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 119. Leipzig (Sachsen), 12. April 1855.[Beginn Spaltensatz]
Sie die Tage des Alters in Mitte eines so blühenden Das überwallende Wehmuthsgefühl ließ ihn nicht Am andern Morgen ließ sich der Graf G...., Noch einige male war der Oberst so glücklich, im Der alte Napoleon auf der Bühne. Jn der letzten Zeit ward ein Stück von Labrousse Der lebenslängliche Consul ist Kaiser geworden. Wie Ehrn Petrus Lambecius k. k. Bibliothekar in Wien ward. Der grundgelehrte Lambecius in Hamburg hatte seine [Beginn Spaltensatz]
Sie die Tage des Alters in Mitte eines so blühenden Das überwallende Wehmuthsgefühl ließ ihn nicht Am andern Morgen ließ sich der Graf G...., Noch einige male war der Oberst so glücklich, im Der alte Napoleon auf der Bühne. Jn der letzten Zeit ward ein Stück von Labrousse Der lebenslängliche Consul ist Kaiser geworden. Wie Ehrn Petrus Lambecius k. k. Bibliothekar in Wien ward. Der grundgelehrte Lambecius in Hamburg hatte seine <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0003" n="115"/><fw type="pageNum" place="top">115</fw><cb type="start"/> Sie die Tage des Alters in Mitte eines so blühenden<lb/> Kinderkreises in stiller Freude genießen können, wäh-<lb/> rend alle meine Hoffnungen — drei wackere Söhne —<lb/> begraben liegen und ich, ein welker, verdorrter Stamm,<lb/> einsam stehe!</p><lb/> <p>Das überwallende Wehmuthsgefühl ließ ihn nicht<lb/> ausreden, eine große Thräne rollte über seine narben-<lb/> durchfurchte Wange, und als schämte sich der ergraute<lb/> Krieger, die Tischgenossen zu Zeugen seines weichen<lb/> Gefühls zu machen, war er rasch aufgestanden und<lb/> näherte sich einer Fensterwölbung, um hier wieder<lb/> Fassung und Ruhe zu gewinnen. Als er sich nach<lb/> einigen Minuten umwendete, war die Tischgesellschaft<lb/> verschwunden und auch darin fand der Oberst jenen<lb/> Takt des Zartgefühls wieder, den er schon früher im<lb/> ganzen Wesen der Gesellschaft bewundert hatte. Der<lb/> Oberst fühlte sich durch die Erinnerungen, die er her-<lb/> aufbeschworen, durch das Bild eines so reinen Fami-<lb/> lienglücks, das er hier geschaut, sowie durch die man-<lb/> nichfachen geistigen Aufregungen der hier verlebten paar<lb/> Stunden so tief bewegt, daß er sich in die freie Na-<lb/> tur hinaus sehnte. Rasch entfernte er sich, wie er ge-<lb/> kommen, auf demselben Wege. Bald saß der Oberst<lb/> in einem Fiaker, der ihn in den reizenden Umgebun-<lb/> gen Wiens umherführte und erst bei einbrechender<lb/> Nacht zum Erzherzog Karl zurückbrachte.</p><lb/> <p>Am andern Morgen ließ sich der Graf G....,<lb/> der erste Adjutant Sr. kaiserlichen Hoheit des Erzher-<lb/> zogs Karl von Oestreich, bei dem Obersten, Grafen<lb/> D...., melden. Nach den Bewillkommnungshöflich-<lb/> keiten eröffnete der Graf dem Obersten, daß er im<lb/> Auftrage Sr. kaiserlichen Hoheit komme, welcher wün-<lb/> sche, daß der Herr Oberst auch noch für die Dauer<lb/> seines Aufenthalts in Wien ein gerngesehener Gast an<lb/> der Tafel sein möge, an die ihn gestern sicher die gar-<lb/> stige Laune des Znfalls geführt — wenn ihm anders<lb/> die hier getroffene Gesellschaft und die östreichische<lb/> Hausmannskost geuüge. Fast konnte der Oberst vor<lb/> Ueberraschung und Bestürzung kaum ein erklärendes<lb/> Wort finden, aber bald hatte sich den beiden Män-<lb/> nern das <hi rendition="#aq">Qui pro quo</hi> gelöst. Noch an demselben<lb/> Tage wurde der Oberst dem östreichischen Helden vor-<lb/> gestellt und fand unter der Generalissimusuniform heute<lb/> dasselbe edle, großmüthige Herz unverändert wieder,<lb/> das ihn gestern unter dem einfachen braunen Rocke so<lb/> wunderbar angezogen.</p><lb/> <p>Noch einige male war der Oberst so glücklich, im<lb/> Kreise dieser Edeln unvergeßliche Stunden zu verleben,<lb/> und nach der Seinestadt zurückgekehrt, schärfte er es<lb/> seinen Kriegsgefährten ein, auf einer Reise nach Wien<lb/> sich ja an kein anderes Hotel zu wenden als zum<lb/> Erzherzog Karl.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#fr">Der alte Napoleon auf der Bühne.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">J</hi>n der letzten Zeit ward ein Stück von Labrousse<lb/> und Albert: „ <hi rendition="#aq">Le Consulat et l'Empire</hi> “ in Paris im<lb/><hi rendition="#aq">Théâtre impérial du Cirque</hi> 70 mal hintereinander<lb/> gegeben, bei stets gleich großem Gedränge der Schau-<lb/> lustigen, die sich ihre Plätze jedes mal erkämpften.<lb/> Das Stück ist weder Trauer=, noch Schau=, noch<lb/> Lustspiel, sondern eine Reihenfolge von 22 lebenden<lb/> Bildern aus den Jahren 1799—1806, stets mit Na-<lb/> poleon, dem Consul und Kaiser, im Vordergrunde.<lb/> Hier eins dieser Bilder:</p><lb/> <cb n="2"/> <p>Der lebenslängliche Consul ist Kaiser geworden.<lb/> Als solcher betritt er eines Morgens in seinen Mantel<lb/> gehüllt, den Hut tief in die Stirn gedrückt, den <hi rendition="#aq">Mar-<lb/> ché des Innocents</hi>, den Sitz der <hi rendition="#aq">Dames de la<lb/> Halle</hi>, der weltbekannten Verkäuferinnen von Fischen<lb/> und Gemüsen, von Obst und Blumen. Der Kaiser<lb/> beobachtet einen Knaben, wie er an den Obsthändle-<lb/> rinnen entlang geht, ein Körbchen Erdbeeren kaufen<lb/> will und so oft er nach dem Preise gefragt, vor dem<lb/> gefoderten zurückschreckt. Der Kaiser redet ihn an; er<lb/> soll ihm sagen, was er mit den Erdbeeren wolle. „Zur<lb/> Labung meiner kranken Mutter“, antwortet der Knabe.<lb/> Der Kaiser fragt weiter. Ein Körbchen Erdbeeren soll<lb/> zehn Francs kosten und der Knabe hat nur vier; seine<lb/> Mutter ist arm, sein Vater bei Marengo gefallen.<lb/> Der Kaiser nimmt ein Körbchen Erdbeeren und gibt<lb/> es dem Knaben. Dieser springt rasch damit fort. Der<lb/> Kaiser blickt ihm nach. Plötzlich steht der Knabe still,<lb/> dreht sich um, läuft auf den Kaiser zu und bringt<lb/> ihm den vergessenen Dank. Da bückt sich der Kaiser,<lb/> hebt den Knaben empor und küßt ihn. Der Knabe<lb/> umhalst den Kaiser; dann will er fort zu seiner Mut-<lb/> ter, die ihn erwarte. Der Kaiser hält ihn. Er wolle<lb/> noch etwas in den Korb legen, sagt er, für die arme<lb/> Frau, welche Marengo zur Witwe gemacht. Er schiebt<lb/> seine Börse unter die Erdbeeren. Mit flüchtigem<lb/> Danke enteilt der Knabe. Jetzt verlangt die Obsthänd-<lb/> lerin Bezahlung. Der Kaiser greift nach seiner Börse.<lb/> Er vergaß, daß er sie dem Knaben gegeben. Er durch-<lb/> sucht seine Taschen, findet nirgends Geld und ver-<lb/> spricht, binnen einer Stunde die schuldigen zehn Francs<lb/> zu schicken. Aber die <hi rendition="#aq">Dame de la Halle</hi> will davon<lb/> nichts hören, schilt den Kaiser, faßt ihn am Kragen<lb/> und schickt nach der Wache. Eine Patrouille kommt;<lb/> ihr Führer erkennt den Kaiser, hemmt den Schritt,<lb/> will die Honneurs machen, liest aber im Auge des<lb/> Kaisers den Befehl, ihn nicht zu verrathen. Die Obst-<lb/> händlerin fodert Verhaftung. Der Sergeant sucht sie<lb/> zu begütigen, die Freilassung des Kaisers zu vermit-<lb/> teln. Das erzürnt jene noch mehr. 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Sie die Tage des Alters in Mitte eines so blühenden
Kinderkreises in stiller Freude genießen können, wäh-
rend alle meine Hoffnungen — drei wackere Söhne —
begraben liegen und ich, ein welker, verdorrter Stamm,
einsam stehe!
Das überwallende Wehmuthsgefühl ließ ihn nicht
ausreden, eine große Thräne rollte über seine narben-
durchfurchte Wange, und als schämte sich der ergraute
Krieger, die Tischgenossen zu Zeugen seines weichen
Gefühls zu machen, war er rasch aufgestanden und
näherte sich einer Fensterwölbung, um hier wieder
Fassung und Ruhe zu gewinnen. Als er sich nach
einigen Minuten umwendete, war die Tischgesellschaft
verschwunden und auch darin fand der Oberst jenen
Takt des Zartgefühls wieder, den er schon früher im
ganzen Wesen der Gesellschaft bewundert hatte. Der
Oberst fühlte sich durch die Erinnerungen, die er her-
aufbeschworen, durch das Bild eines so reinen Fami-
lienglücks, das er hier geschaut, sowie durch die man-
nichfachen geistigen Aufregungen der hier verlebten paar
Stunden so tief bewegt, daß er sich in die freie Na-
tur hinaus sehnte. Rasch entfernte er sich, wie er ge-
kommen, auf demselben Wege. Bald saß der Oberst
in einem Fiaker, der ihn in den reizenden Umgebun-
gen Wiens umherführte und erst bei einbrechender
Nacht zum Erzherzog Karl zurückbrachte.
Am andern Morgen ließ sich der Graf G....,
der erste Adjutant Sr. kaiserlichen Hoheit des Erzher-
zogs Karl von Oestreich, bei dem Obersten, Grafen
D...., melden. Nach den Bewillkommnungshöflich-
keiten eröffnete der Graf dem Obersten, daß er im
Auftrage Sr. kaiserlichen Hoheit komme, welcher wün-
sche, daß der Herr Oberst auch noch für die Dauer
seines Aufenthalts in Wien ein gerngesehener Gast an
der Tafel sein möge, an die ihn gestern sicher die gar-
stige Laune des Znfalls geführt — wenn ihm anders
die hier getroffene Gesellschaft und die östreichische
Hausmannskost geuüge. Fast konnte der Oberst vor
Ueberraschung und Bestürzung kaum ein erklärendes
Wort finden, aber bald hatte sich den beiden Män-
nern das Qui pro quo gelöst. Noch an demselben
Tage wurde der Oberst dem östreichischen Helden vor-
gestellt und fand unter der Generalissimusuniform heute
dasselbe edle, großmüthige Herz unverändert wieder,
das ihn gestern unter dem einfachen braunen Rocke so
wunderbar angezogen.
Noch einige male war der Oberst so glücklich, im
Kreise dieser Edeln unvergeßliche Stunden zu verleben,
und nach der Seinestadt zurückgekehrt, schärfte er es
seinen Kriegsgefährten ein, auf einer Reise nach Wien
sich ja an kein anderes Hotel zu wenden als zum
Erzherzog Karl.
Der alte Napoleon auf der Bühne.
Jn der letzten Zeit ward ein Stück von Labrousse
und Albert: „ Le Consulat et l'Empire “ in Paris im
Théâtre impérial du Cirque 70 mal hintereinander
gegeben, bei stets gleich großem Gedränge der Schau-
lustigen, die sich ihre Plätze jedes mal erkämpften.
Das Stück ist weder Trauer=, noch Schau=, noch
Lustspiel, sondern eine Reihenfolge von 22 lebenden
Bildern aus den Jahren 1799—1806, stets mit Na-
poleon, dem Consul und Kaiser, im Vordergrunde.
Hier eins dieser Bilder:
Der lebenslängliche Consul ist Kaiser geworden.
Als solcher betritt er eines Morgens in seinen Mantel
gehüllt, den Hut tief in die Stirn gedrückt, den Mar-
ché des Innocents, den Sitz der Dames de la
Halle, der weltbekannten Verkäuferinnen von Fischen
und Gemüsen, von Obst und Blumen. Der Kaiser
beobachtet einen Knaben, wie er an den Obsthändle-
rinnen entlang geht, ein Körbchen Erdbeeren kaufen
will und so oft er nach dem Preise gefragt, vor dem
gefoderten zurückschreckt. Der Kaiser redet ihn an; er
soll ihm sagen, was er mit den Erdbeeren wolle. „Zur
Labung meiner kranken Mutter“, antwortet der Knabe.
Der Kaiser fragt weiter. Ein Körbchen Erdbeeren soll
zehn Francs kosten und der Knabe hat nur vier; seine
Mutter ist arm, sein Vater bei Marengo gefallen.
Der Kaiser nimmt ein Körbchen Erdbeeren und gibt
es dem Knaben. Dieser springt rasch damit fort. Der
Kaiser blickt ihm nach. Plötzlich steht der Knabe still,
dreht sich um, läuft auf den Kaiser zu und bringt
ihm den vergessenen Dank. Da bückt sich der Kaiser,
hebt den Knaben empor und küßt ihn. Der Knabe
umhalst den Kaiser; dann will er fort zu seiner Mut-
ter, die ihn erwarte. Der Kaiser hält ihn. Er wolle
noch etwas in den Korb legen, sagt er, für die arme
Frau, welche Marengo zur Witwe gemacht. Er schiebt
seine Börse unter die Erdbeeren. Mit flüchtigem
Danke enteilt der Knabe. Jetzt verlangt die Obsthänd-
lerin Bezahlung. Der Kaiser greift nach seiner Börse.
Er vergaß, daß er sie dem Knaben gegeben. Er durch-
sucht seine Taschen, findet nirgends Geld und ver-
spricht, binnen einer Stunde die schuldigen zehn Francs
zu schicken. Aber die Dame de la Halle will davon
nichts hören, schilt den Kaiser, faßt ihn am Kragen
und schickt nach der Wache. Eine Patrouille kommt;
ihr Führer erkennt den Kaiser, hemmt den Schritt,
will die Honneurs machen, liest aber im Auge des
Kaisers den Befehl, ihn nicht zu verrathen. Die Obst-
händlerin fodert Verhaftung. Der Sergeant sucht sie
zu begütigen, die Freilassung des Kaisers zu vermit-
teln. Das erzürnt jene noch mehr. Sie droht dem
Sergeanten und dieser ist im Begriff, seine Pflicht zu
thun, als ein Mann, der aus der Entfernung zuge-
schaut, auf einen Wink des Kaisers sich naht und der
Obsthändlerin ein Zehnfrankenstück behändigt. Der
Mann ist Duroc. Die Dame de la Halle sieht Beide
verwundert an. Den Mantel zurückschlagend, sagt der
Kaiser: „ C'est l'habit de l'Empereur “ und entfernt
sich. Jubelnd stürzt die Menge, außer sich die Obst-
händlerin ihm nach und in das schallende: „ Vive l' Em-
pereur!“ stimmt das gesammte Theaterpublicum ein.
Wie Ehrn Petrus Lambecius k. k. Bibliothekar
in Wien ward.
Der grundgelehrte Lambecius in Hamburg hatte seine
„ Origines Hamburgenses “ geschrieben und war im
Begriff, ein Prachtexemplar dem Rathe hinzutragen,
als seine Frau, mit der er stets in Unfrieden lebte,
dahinter kam. Da sie gehört hatte, daß in dem Buche
Geschichten beschrieben ständen, sie aber die lateinische
Sprache nicht verstand und meinte, ihr Mann hätte
seine leidige Ehestandsgeschichte darin erzählt und wolle
sie beim Rathe verkleinern, resolvirte sie sich schnell und
schrieb, als Professorenfrau des Schreibens nicht un-
kundig, auf die Kehrseite des Titelblatts: „Van all de
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Peter Fankhauser:
Transformation von TUSTEP nach TEI P5.
Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.
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