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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 119. Leipzig (Sachsen), 12. April 1855.

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[Beginn Spaltensatz] bei dem durch Stolz, Geiz und Bequemlichkeitsliebe
verderbten Volke die schreckliche Gewohnheit aus, dem
Genesa, dem Gotte der Weisheit, die neugeborenen
Töchter zu opfern und nur die kräftigsten Maßregeln
verschiedener Regierungen vermochten es, der fürchter-
lichen Sitte einen Damm entgegenzusetzen. Die Furcht
vor den großen Kosten, welche häufig mit der Verhei-
rathung der Töchter verbunden waren, der Glaube,
daß von den Göttern die geopferten Mädchen den Ael-
tern als Sühne zurückgegeben würden, vermehrten die
Veranlassung zu dem empörenden Gebrauche und die
Oberpriester waren bemüht, ihn aufrechtzuerhalten,
da derselbe ihnen reichliche Geschenke einbrachte. Auch
in Privathäusern wurden nicht selten die neugeborenen
Mädchen getödtet, was durch das sogenannte Milch-
trinken geschah. Wenn nämlich eine Tochter zur Welt
gekommen war, so brachte man ein größeres Gefäß
mit warmer Milch in das Zimmer der Mutter, ergriff
dann das arme schuldlose Kind und tauchte es so
lange unter die Milch, bis das Leben erlosch, worauf
man die Leiche den Fluten des Ganges übergab. Soll-
ten die Braminen das Opfer übernehmen, so mußten
die Töchter in den Tempel gebracht werden, wo sie
unter seltsamen Ceremonien auf den Rücken gelegt und
endlich bei Hymnengesang und Paukenschlag mit Keu-
len erschlagen wurden. Noch viel unmenschlichere Be-
handlungen der Kinder kamen bei solchen Hindus vor,
welche sich von der treulosen Priesterschaft durch aber-
gläubische Furcht erschrecken und jeden Funken älterli-
cher Liebe ersticken ließen. Diese Fälle mögen nun
wol seltener vorgekommen sein; aber schon schlimm ge-
nug, wenn es nur einmal geschah, daß wahnwitzige
Aeltern ihre kleinen Kinder bis an den Hals in die
Erde gruben, um den Kopf dem Angriffe wilder
Thiere zu überlassen, während Einige ihre Kleinen mit
den Füßen an Baumästen aufhingen, Andere sie in
einen den Göttern geweihten Fluß warfen und sie so
zum Opfer brachten. Milder noch als diese herzzerrei-
ßenden Greuel erscheint der Gebrauch, daß die Hindus
ihre Kinder in einen Korb legen und sie auf einen
heiligen Fluß setzen, um sie dem Spiel der Wellen zu
überlassen. Bei diesem Verfahren scheint doch noch
ein Fünkchen menschlichen Gefühls durchzuschimmern.

Das furchtbare Verbrechen des Kindermords fand
vorzüglich in Benares Eingang, wo dem Genesa groß-
artige Tempel gebaut worden sind, welche im Ueber-
maße mit Gemälden und Bilderwerken geziert sind und
dem Götzen zu Ehren an den hohen Pfeilern große
Elefantenköpfe tragen. Genesa selbst wurde mit ge-
kreuzten Beinen sitzend dargestellt; man gab ihm vier
Arme und Hände und sein Haupt bestand aus einem
Elefantenkopfe mit mächtigem Rüssel.

Um Abschaffung des Kindermords haben sich selbst
die Muselmanen mit verdient gemacht. Die Hauptthä-
tigkeit hierin zeigten aber die Engländer, welche dem
Greuel durch besondere Verträge mit den Hinduhäupt-
lingen, freilich nur zum Theil, ein Ende zu machen
verstanden.

Obgleich die Hindus mit ungemeiner Zähigkeit an
ihrem Gottesdienste hingen, so drang doch das Chri-
stenthum nach und nach mit seiner versöhnenden Lehre
auch bis nach Hindostan. Ein Hindustamm auf Ma-
labar betrachtet schon den Apostel Thomas, welcher bei
Madras den Märtyrertod gefunden haben soll, als ih-
ren Bekehrer, weshalb sie sich Thomaschristen nennen.
Bei verschiedenen andern Stämmen machten zuerst die
Portugiesen Bekehrungsversuche, welche durch Jnqui-
sition und Härte freilich nur selten zu erwünschten Er-
[Spaltenumbruch] folgen führten. Um 1620 sandten die Dänen prote-
stantische Missionare nach der Küste Koromandel; Fried-
rich IV. von Dänemark hatte Francke in Halle um die-
selben gebeten, worauf dieser auch sofort zwei von ihm
gebildete Heidenbekehrer abgehen ließ. Später sandte
man noch mehre Missionare von Kopenhagen aus ab
und bald vereinigten sich auch verschiedene Engländer
zu gleichen Zwecken, errichteten Missionsgesellschaften,
gründeten Unterrichtsanstalten und setzten in ihren indi-
schen Besitzungen einen Bischof ein. Soviel man sich
aber auch mit verkehrten und richtigen Maßregeln ab-
gemüht hat, die Hindus zu Christen zu machen, so ist
der Erfolg bisher doch immer nur ein verhältnißmäßig
geringer gewesen, da die Hindostaner sich mit Stolz
einer alten, hohen Bildung rühmen und starr an den
von den Vorältern ererbten Sitten und Gebräuchen
hängen, übrigens aber auch die Christen sich durch ihre
Härte und Sittenlosigkeit den Hindus nicht gerade sehr
empfohlen, sondern in ihnen mehr Abneigung und
Haß erweckt haben.

Ein Beweis von der geringen Erfolglosigkeit so
verschiedener Bemühungen, dem Kindermorde unter den
Hindustämmen ein Ende zu machen, liefert ein im
Jahre 1853 von dem Residenten in Peschawar, Ma-
jor Edwards, nach Europa gesendeter Bericht, welcher
mittheilt: Wenn bisher eine Mutter in der Kaste der
Bedas entbunden wurde, so berichtete die Amme der
außerhalb des Burdah harrenden Familie, ob das Kind
ein Knabe oder Mädchen. War es ein Sohn, so wur-
den den Aeltern lebhafte Glückwünsche gebracht, war
es aber ein Töchterchen, so kehrte die arme Mutter
ihr Gesicht gegen die Wand, denn sie wußte, was ih-
rem Kinde bevorstand. Manchmal tödtet die Amme
und zwar auf Befehl der Matronen des Hauses das
Kind sogleich, indem sie ihm mit der Hand den Mund
zuhält; gewöhnlicher aber setzt man es der Kälte oder
Hitze aus und läßt es verschmachten oder erfrieren.
Auch Das kommt vor, daß man dem Kinde den Mund
mit einem dicken Teige verklebt und es in einem Topfe
vergräbt, oder daß man ihm die Nabelschnur in den
Mund steckt, oder auch, daß die Amme sich die Brust-
warze mit Opium bestreicht, wodurch der Säugling
sich vergiftet und dergleichen. Manche Bedis wenden
noch die raffinirte Brutalität an, daß sie der Leiche
des Kindes ein Stück "Gur" zwischen die Lippen und
einen Strang Baumwolle in die Händchen stecken und
dazu singen: "Jß dein Gur und spinne deinen Fa-
den, aber geh' fort und schicke statt deiner einen
Knaben."

Fast zu gleicher Zeit, Anfang 1854, wurde wei-
ter berichtet: Jn Amritsir, der heiligen Stadt der
Sikh in der Nähe von Lahore, fand Anfang Novem-
ber 1553 eine dreitägige Versammlung von Notabeln
des Landes unter Vorsitz des britischen Obercommissars
statt, um zu berathen, wie dem Kindermorde Einhalt
geschehen könne. Jm Fünfstromlande herrscht der häß-
liche Gebrauch, neugeborene Mädchen durch Erstickung
mit der Hand oder durch im Geruch der Heiligkeit
stehenden Kuhmist sowie durch Aussetzen und Leben-
digbegraben zu tödten. Die Sikh=Häuptlinge waren
bereit, zur Abstellung des schrecklichen Gebrauchs hülf-
reiche Hand zu leisten.

Wie weit die Bemühungen erfolgreich gewesen sind,
darüber fehlen noch genaue Nachrichten.



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] bei dem durch Stolz, Geiz und Bequemlichkeitsliebe
verderbten Volke die schreckliche Gewohnheit aus, dem
Genesa, dem Gotte der Weisheit, die neugeborenen
Töchter zu opfern und nur die kräftigsten Maßregeln
verschiedener Regierungen vermochten es, der fürchter-
lichen Sitte einen Damm entgegenzusetzen. Die Furcht
vor den großen Kosten, welche häufig mit der Verhei-
rathung der Töchter verbunden waren, der Glaube,
daß von den Göttern die geopferten Mädchen den Ael-
tern als Sühne zurückgegeben würden, vermehrten die
Veranlassung zu dem empörenden Gebrauche und die
Oberpriester waren bemüht, ihn aufrechtzuerhalten,
da derselbe ihnen reichliche Geschenke einbrachte. Auch
in Privathäusern wurden nicht selten die neugeborenen
Mädchen getödtet, was durch das sogenannte Milch-
trinken geschah. Wenn nämlich eine Tochter zur Welt
gekommen war, so brachte man ein größeres Gefäß
mit warmer Milch in das Zimmer der Mutter, ergriff
dann das arme schuldlose Kind und tauchte es so
lange unter die Milch, bis das Leben erlosch, worauf
man die Leiche den Fluten des Ganges übergab. Soll-
ten die Braminen das Opfer übernehmen, so mußten
die Töchter in den Tempel gebracht werden, wo sie
unter seltsamen Ceremonien auf den Rücken gelegt und
endlich bei Hymnengesang und Paukenschlag mit Keu-
len erschlagen wurden. Noch viel unmenschlichere Be-
handlungen der Kinder kamen bei solchen Hindus vor,
welche sich von der treulosen Priesterschaft durch aber-
gläubische Furcht erschrecken und jeden Funken älterli-
cher Liebe ersticken ließen. Diese Fälle mögen nun
wol seltener vorgekommen sein; aber schon schlimm ge-
nug, wenn es nur einmal geschah, daß wahnwitzige
Aeltern ihre kleinen Kinder bis an den Hals in die
Erde gruben, um den Kopf dem Angriffe wilder
Thiere zu überlassen, während Einige ihre Kleinen mit
den Füßen an Baumästen aufhingen, Andere sie in
einen den Göttern geweihten Fluß warfen und sie so
zum Opfer brachten. Milder noch als diese herzzerrei-
ßenden Greuel erscheint der Gebrauch, daß die Hindus
ihre Kinder in einen Korb legen und sie auf einen
heiligen Fluß setzen, um sie dem Spiel der Wellen zu
überlassen. Bei diesem Verfahren scheint doch noch
ein Fünkchen menschlichen Gefühls durchzuschimmern.

Das furchtbare Verbrechen des Kindermords fand
vorzüglich in Benares Eingang, wo dem Genesa groß-
artige Tempel gebaut worden sind, welche im Ueber-
maße mit Gemälden und Bilderwerken geziert sind und
dem Götzen zu Ehren an den hohen Pfeilern große
Elefantenköpfe tragen. Genesa selbst wurde mit ge-
kreuzten Beinen sitzend dargestellt; man gab ihm vier
Arme und Hände und sein Haupt bestand aus einem
Elefantenkopfe mit mächtigem Rüssel.

Um Abschaffung des Kindermords haben sich selbst
die Muselmanen mit verdient gemacht. Die Hauptthä-
tigkeit hierin zeigten aber die Engländer, welche dem
Greuel durch besondere Verträge mit den Hinduhäupt-
lingen, freilich nur zum Theil, ein Ende zu machen
verstanden.

Obgleich die Hindus mit ungemeiner Zähigkeit an
ihrem Gottesdienste hingen, so drang doch das Chri-
stenthum nach und nach mit seiner versöhnenden Lehre
auch bis nach Hindostan. Ein Hindustamm auf Ma-
labar betrachtet schon den Apostel Thomas, welcher bei
Madras den Märtyrertod gefunden haben soll, als ih-
ren Bekehrer, weshalb sie sich Thomaschristen nennen.
Bei verschiedenen andern Stämmen machten zuerst die
Portugiesen Bekehrungsversuche, welche durch Jnqui-
sition und Härte freilich nur selten zu erwünschten Er-
[Spaltenumbruch] folgen führten. Um 1620 sandten die Dänen prote-
stantische Missionare nach der Küste Koromandel; Fried-
rich IV. von Dänemark hatte Francke in Halle um die-
selben gebeten, worauf dieser auch sofort zwei von ihm
gebildete Heidenbekehrer abgehen ließ. Später sandte
man noch mehre Missionare von Kopenhagen aus ab
und bald vereinigten sich auch verschiedene Engländer
zu gleichen Zwecken, errichteten Missionsgesellschaften,
gründeten Unterrichtsanstalten und setzten in ihren indi-
schen Besitzungen einen Bischof ein. Soviel man sich
aber auch mit verkehrten und richtigen Maßregeln ab-
gemüht hat, die Hindus zu Christen zu machen, so ist
der Erfolg bisher doch immer nur ein verhältnißmäßig
geringer gewesen, da die Hindostaner sich mit Stolz
einer alten, hohen Bildung rühmen und starr an den
von den Vorältern ererbten Sitten und Gebräuchen
hängen, übrigens aber auch die Christen sich durch ihre
Härte und Sittenlosigkeit den Hindus nicht gerade sehr
empfohlen, sondern in ihnen mehr Abneigung und
Haß erweckt haben.

Ein Beweis von der geringen Erfolglosigkeit so
verschiedener Bemühungen, dem Kindermorde unter den
Hindustämmen ein Ende zu machen, liefert ein im
Jahre 1853 von dem Residenten in Peschawar, Ma-
jor Edwards, nach Europa gesendeter Bericht, welcher
mittheilt: Wenn bisher eine Mutter in der Kaste der
Bedas entbunden wurde, so berichtete die Amme der
außerhalb des Burdah harrenden Familie, ob das Kind
ein Knabe oder Mädchen. War es ein Sohn, so wur-
den den Aeltern lebhafte Glückwünsche gebracht, war
es aber ein Töchterchen, so kehrte die arme Mutter
ihr Gesicht gegen die Wand, denn sie wußte, was ih-
rem Kinde bevorstand. Manchmal tödtet die Amme
und zwar auf Befehl der Matronen des Hauses das
Kind sogleich, indem sie ihm mit der Hand den Mund
zuhält; gewöhnlicher aber setzt man es der Kälte oder
Hitze aus und läßt es verschmachten oder erfrieren.
Auch Das kommt vor, daß man dem Kinde den Mund
mit einem dicken Teige verklebt und es in einem Topfe
vergräbt, oder daß man ihm die Nabelschnur in den
Mund steckt, oder auch, daß die Amme sich die Brust-
warze mit Opium bestreicht, wodurch der Säugling
sich vergiftet und dergleichen. Manche Bedis wenden
noch die raffinirte Brutalität an, daß sie der Leiche
des Kindes ein Stück „Gur“ zwischen die Lippen und
einen Strang Baumwolle in die Händchen stecken und
dazu singen: „Jß dein Gur und spinne deinen Fa-
den, aber geh' fort und schicke statt deiner einen
Knaben.“

Fast zu gleicher Zeit, Anfang 1854, wurde wei-
ter berichtet: Jn Amritsir, der heiligen Stadt der
Sikh in der Nähe von Lahore, fand Anfang Novem-
ber 1553 eine dreitägige Versammlung von Notabeln
des Landes unter Vorsitz des britischen Obercommissars
statt, um zu berathen, wie dem Kindermorde Einhalt
geschehen könne. Jm Fünfstromlande herrscht der häß-
liche Gebrauch, neugeborene Mädchen durch Erstickung
mit der Hand oder durch im Geruch der Heiligkeit
stehenden Kuhmist sowie durch Aussetzen und Leben-
digbegraben zu tödten. Die Sikh=Häuptlinge waren
bereit, zur Abstellung des schrecklichen Gebrauchs hülf-
reiche Hand zu leisten.

Wie weit die Bemühungen erfolgreich gewesen sind,
darüber fehlen noch genaue Nachrichten.



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Diese Fälle mögen nun wol seltener vorgekommen sein; aber schon schlimm ge- nug, wenn es nur einmal geschah, daß wahnwitzige Aeltern ihre kleinen Kinder bis an den Hals in die Erde gruben, um den Kopf dem Angriffe wilder Thiere zu überlassen, während Einige ihre Kleinen mit den Füßen an Baumästen aufhingen, Andere sie in einen den Göttern geweihten Fluß warfen und sie so zum Opfer brachten. Milder noch als diese herzzerrei- ßenden Greuel erscheint der Gebrauch, daß die Hindus ihre Kinder in einen Korb legen und sie auf einen heiligen Fluß setzen, um sie dem Spiel der Wellen zu überlassen. Bei diesem Verfahren scheint doch noch ein Fünkchen menschlichen Gefühls durchzuschimmern. Das furchtbare Verbrechen des Kindermords fand vorzüglich in Benares Eingang, wo dem Genesa groß- artige Tempel gebaut worden sind, welche im Ueber- maße mit Gemälden und Bilderwerken geziert sind und dem Götzen zu Ehren an den hohen Pfeilern große Elefantenköpfe tragen. 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War es ein Sohn, so wur- den den Aeltern lebhafte Glückwünsche gebracht, war es aber ein Töchterchen, so kehrte die arme Mutter ihr Gesicht gegen die Wand, denn sie wußte, was ih- rem Kinde bevorstand. Manchmal tödtet die Amme und zwar auf Befehl der Matronen des Hauses das Kind sogleich, indem sie ihm mit der Hand den Mund zuhält; gewöhnlicher aber setzt man es der Kälte oder Hitze aus und läßt es verschmachten oder erfrieren. Auch Das kommt vor, daß man dem Kinde den Mund mit einem dicken Teige verklebt und es in einem Topfe vergräbt, oder daß man ihm die Nabelschnur in den Mund steckt, oder auch, daß die Amme sich die Brust- warze mit Opium bestreicht, wodurch der Säugling sich vergiftet und dergleichen. Manche Bedis wenden noch die raffinirte Brutalität an, daß sie der Leiche des Kindes ein Stück „Gur“ zwischen die Lippen und einen Strang Baumwolle in die Händchen stecken und dazu singen: „Jß dein Gur und spinne deinen Fa- den, aber geh' fort und schicke statt deiner einen Knaben.“ Fast zu gleicher Zeit, Anfang 1854, wurde wei- ter berichtet: Jn Amritsir, der heiligen Stadt der Sikh in der Nähe von Lahore, fand Anfang Novem- ber 1553 eine dreitägige Versammlung von Notabeln des Landes unter Vorsitz des britischen Obercommissars statt, um zu berathen, wie dem Kindermorde Einhalt geschehen könne. Jm Fünfstromlande herrscht der häß- liche Gebrauch, neugeborene Mädchen durch Erstickung mit der Hand oder durch im Geruch der Heiligkeit stehenden Kuhmist sowie durch Aussetzen und Leben- digbegraben zu tödten. Die Sikh=Häuptlinge waren bereit, zur Abstellung des schrecklichen Gebrauchs hülf- reiche Hand zu leisten. 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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 119. Leipzig (Sachsen), 12. April 1855, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig119_1855/6>, abgerufen am 11.06.2024.