[N. N.]: Das Proletariat, der Vorkämpfer für Frauenrecht. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Ersten Sozialdemokratischen Frauentag von Clara Zetkin. 19. März 1911, S. 3–4.Frauenwahlrecht der Völker umwälzen. Aus dieser seiner Erkenntnis ist ihmgegen eine Welt von Feinden der hoffnungskühne Kampfeswille erwachsen und die opferbereite Siegeszuversicht. Das Proletariat kann nicht wähnen, daß des Weibes Los in der Gesellschaft dauernd die Unfreiheit sei, daß Verkommen, vergilbte Gesetzes- texte, Philisterweisheit, Geschlechts- und Klassenegoismus un- zerstörbare Dämme zu türmen vermöchten, hinter denen das altersgraue Unrecht für immer sicher wohne. Unbefangenen Blickes sieht es die Flut, die unwiderstehlich an diesen Dämmen rüttelt, und in ihrem ewigen Fluß erkennt es das Gesetz der nämlichen geschichtlichen Mächte, durch die es selbst als Träger der sozialen Revolution berufen wird. Die veränderte Pro- duktionsweise schafft mit gewandelten Existenzbedingungen den Frauenmassen eine neue soziale Lebensluft, in der das Weib als Persönlichkeit erwacht und wächst, in der es als Wehrlosigkeit und Schmach empfindet, was seine Mütter mit stiller Ergebung als selbstverständliches Geschick trugen. Es erneuert sich altes Be- geben. Erst die verlachten armseligen zwölf, dann die Hunderte, nun die Tausende, die ungezählten Tausende, die für die Frau Bürgerrecht fordern. Das erwachte Menschentum von Massen aber läßt sich nicht töten. Das kämpfende Proletariat grüßt der Frauen sicheren Zukunftssieg als eine Botschaft eigener Triumphe. Das Frauenwahlrecht rüstet ihm Mitkämpferinnen! Auf der Es ist der Geschichte ew'ges Muß, das das Proletariat zum [Ende Spaltensatz] Frauenwahlrecht der Völker umwälzen. Aus dieser seiner Erkenntnis ist ihmgegen eine Welt von Feinden der hoffnungskühne Kampfeswille erwachsen und die opferbereite Siegeszuversicht. Das Proletariat kann nicht wähnen, daß des Weibes Los in der Gesellschaft dauernd die Unfreiheit sei, daß Verkommen, vergilbte Gesetzes- texte, Philisterweisheit, Geschlechts- und Klassenegoismus un- zerstörbare Dämme zu türmen vermöchten, hinter denen das altersgraue Unrecht für immer sicher wohne. Unbefangenen Blickes sieht es die Flut, die unwiderstehlich an diesen Dämmen rüttelt, und in ihrem ewigen Fluß erkennt es das Gesetz der nämlichen geschichtlichen Mächte, durch die es selbst als Träger der sozialen Revolution berufen wird. Die veränderte Pro- duktionsweise schafft mit gewandelten Existenzbedingungen den Frauenmassen eine neue soziale Lebensluft, in der das Weib als Persönlichkeit erwacht und wächst, in der es als Wehrlosigkeit und Schmach empfindet, was seine Mütter mit stiller Ergebung als selbstverständliches Geschick trugen. Es erneuert sich altes Be- geben. Erst die verlachten armseligen zwölf, dann die Hunderte, nun die Tausende, die ungezählten Tausende, die für die Frau Bürgerrecht fordern. Das erwachte Menschentum von Massen aber läßt sich nicht töten. Das kämpfende Proletariat grüßt der Frauen sicheren Zukunftssieg als eine Botschaft eigener Triumphe. Das Frauenwahlrecht rüstet ihm Mitkämpferinnen! Auf der Es ist der Geschichte ew’ges Muß, das das Proletariat zum [Ende Spaltensatz] <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0002" n="4"/><fw place="top" type="header">Frauenwahlrecht</fw><lb/> der Völker umwälzen. Aus dieser seiner Erkenntnis ist ihm<lb/> gegen eine Welt von Feinden der hoffnungskühne Kampfeswille<lb/> erwachsen und die opferbereite Siegeszuversicht. Das Proletariat<lb/> kann nicht wähnen, daß des Weibes Los in der Gesellschaft<lb/> dauernd die Unfreiheit sei, daß Verkommen, vergilbte Gesetzes-<lb/> texte, Philisterweisheit, Geschlechts- und Klassenegoismus un-<lb/> zerstörbare Dämme zu türmen vermöchten, hinter denen das<lb/> altersgraue Unrecht für immer sicher wohne. Unbefangenen<lb/> Blickes sieht es die Flut, die unwiderstehlich an diesen Dämmen<lb/> rüttelt, und in ihrem ewigen Fluß erkennt es das Gesetz der<lb/> nämlichen geschichtlichen Mächte, durch die es selbst als Träger<lb/> der sozialen Revolution berufen wird. Die veränderte Pro-<lb/> duktionsweise schafft mit gewandelten Existenzbedingungen den<lb/> Frauenmassen eine neue soziale Lebensluft, in der das Weib als<lb/> Persönlichkeit erwacht und wächst, in der es als Wehrlosigkeit und<lb/> Schmach empfindet, was seine Mütter mit stiller Ergebung als<lb/> selbstverständliches Geschick trugen. Es erneuert sich altes Be-<lb/> geben. Erst die verlachten armseligen zwölf, dann die Hunderte,<lb/> nun die Tausende, die ungezählten Tausende, die für die Frau<lb/> Bürgerrecht fordern. Das erwachte Menschentum von Massen<lb/> aber läßt sich nicht töten. Das kämpfende Proletariat grüßt der<lb/> Frauen sicheren Zukunftssieg als eine Botschaft eigener Triumphe.</p><lb/> <p>Das Frauenwahlrecht rüstet ihm Mitkämpferinnen! Auf der<lb/> Wanderung des Proletariats durch die brennende Wüste der<lb/> bürgerlichen Ordnung zu den sonnigen Gefilden des Sozialis-<lb/> mus ersteht in dem Verhältnis von Mann und Weib auf höherer<lb/> Stufe die alte Lebens- und Kampfesgemeinschaft der Geschlechter,<lb/> von der die Wander- und Kriegszüge der Germanen sagenhaft<lb/> zu uns reden. Wie der einzelne Proletarier im Daseinskampf<lb/> auf die Tätigkeit und Tüchtigkeit seiner Lebensgenossin ange-<lb/> wiesen ist, also wird seine ganze Klasse ohne Unterschied des<lb/> Geschlechts durch eine Gegenwartsnot und ein Zukunftsziel zu<lb/> einer Kampfesgenossenschaft wider das Kapital und seine Ord-<lb/> nung zusammengeschweißt. Der allzeit wache Klasseninstinkt der<lb/> Besitzenden läßt sich nicht täuschen: er wertet jedes Ringen des<lb/> Proletariats um einen Bissen Brot und einen Hauch Freiheit<lb/> als ein Vorspiel der großen Schlacht am Birkenbaum um volle<lb/> Erhebung und Befreiung. Es häufen sich die Gefahren, es steigen<lb/> die Opfer der proletarischen Klassenkämpfe. Jn ihrer Gluthitze<lb/> verflüchtigt sich der letzte Rest des Vorurteils gegen das „schwächere“<lb/> Geschlecht, das der Proletarier als Erbteil einstiger geistiger Knech-<lb/> tung durch bürgerliche Auffassung bewahrt haben könnte. Er ruft<lb/> die wehrtüchtige Vollbürgerin als Waffengefährtin an seine Seite.<lb/> Das Wahlrecht besagt politische Macht, bedeutet Erziehung zum<lb/> richtigen Gebrauch der politischen Macht, und zur Eroberung der<lb/> politischen Macht stehen die proletarischen Sturmkolonnen im ge-<lb/> schichtlichen Blachfeld. Die geschulte, gleichgerüstete Proletarierin<lb/> aber stößt nicht allein zu ihnen. Sie führt die Kinder in ihr<lb/> Lager, die künftigen Soldaten der sozialen Revolution. Ohne<lb/> die Frauen kann das Proletariat nicht die bürgerliche Gesell-<lb/> schaft überwinden, ohne sie kann es nicht die sozialistische Ord-<lb/> nung aufrichten.</p><lb/> <p>Es ist der Geschichte ew’ges Muß, das das Proletariat zum<lb/> berufenen Vorkämpfer für Frauenrechte erhebt. An dem kraft-<lb/> strotzenden Stamme seines Klasseninteresses erblühen die höchsten<lb/> Menschheitsideale. Die Arbeiterklasse ist die Testamentsvoll-<lb/> streckerin des sterbenden Liberalismus. Sie verwirklicht die von<lb/> ihm proklamierten Menschenrechte, indem sie zum Männerwahl-<lb/> recht das Frauenwahlrecht fügt und die Demokratie der Regie-<lb/> rung: die Republik. Die bürgerliche Republik aber wandelt<lb/> sie zur freien Zukunftsgesellschaft durch die soziale Revolution.<lb/> Jhrem Lichte ist der Frauen Antlitz zugewandt.</p><lb/> </div> <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="7"/> <cb/> <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="72"/><lb/> <cb type="end"/> </body> </text> </TEI> [4/0002]
Frauenwahlrecht
der Völker umwälzen. Aus dieser seiner Erkenntnis ist ihm
gegen eine Welt von Feinden der hoffnungskühne Kampfeswille
erwachsen und die opferbereite Siegeszuversicht. Das Proletariat
kann nicht wähnen, daß des Weibes Los in der Gesellschaft
dauernd die Unfreiheit sei, daß Verkommen, vergilbte Gesetzes-
texte, Philisterweisheit, Geschlechts- und Klassenegoismus un-
zerstörbare Dämme zu türmen vermöchten, hinter denen das
altersgraue Unrecht für immer sicher wohne. Unbefangenen
Blickes sieht es die Flut, die unwiderstehlich an diesen Dämmen
rüttelt, und in ihrem ewigen Fluß erkennt es das Gesetz der
nämlichen geschichtlichen Mächte, durch die es selbst als Träger
der sozialen Revolution berufen wird. Die veränderte Pro-
duktionsweise schafft mit gewandelten Existenzbedingungen den
Frauenmassen eine neue soziale Lebensluft, in der das Weib als
Persönlichkeit erwacht und wächst, in der es als Wehrlosigkeit und
Schmach empfindet, was seine Mütter mit stiller Ergebung als
selbstverständliches Geschick trugen. Es erneuert sich altes Be-
geben. Erst die verlachten armseligen zwölf, dann die Hunderte,
nun die Tausende, die ungezählten Tausende, die für die Frau
Bürgerrecht fordern. Das erwachte Menschentum von Massen
aber läßt sich nicht töten. Das kämpfende Proletariat grüßt der
Frauen sicheren Zukunftssieg als eine Botschaft eigener Triumphe.
Das Frauenwahlrecht rüstet ihm Mitkämpferinnen! Auf der
Wanderung des Proletariats durch die brennende Wüste der
bürgerlichen Ordnung zu den sonnigen Gefilden des Sozialis-
mus ersteht in dem Verhältnis von Mann und Weib auf höherer
Stufe die alte Lebens- und Kampfesgemeinschaft der Geschlechter,
von der die Wander- und Kriegszüge der Germanen sagenhaft
zu uns reden. Wie der einzelne Proletarier im Daseinskampf
auf die Tätigkeit und Tüchtigkeit seiner Lebensgenossin ange-
wiesen ist, also wird seine ganze Klasse ohne Unterschied des
Geschlechts durch eine Gegenwartsnot und ein Zukunftsziel zu
einer Kampfesgenossenschaft wider das Kapital und seine Ord-
nung zusammengeschweißt. Der allzeit wache Klasseninstinkt der
Besitzenden läßt sich nicht täuschen: er wertet jedes Ringen des
Proletariats um einen Bissen Brot und einen Hauch Freiheit
als ein Vorspiel der großen Schlacht am Birkenbaum um volle
Erhebung und Befreiung. Es häufen sich die Gefahren, es steigen
die Opfer der proletarischen Klassenkämpfe. Jn ihrer Gluthitze
verflüchtigt sich der letzte Rest des Vorurteils gegen das „schwächere“
Geschlecht, das der Proletarier als Erbteil einstiger geistiger Knech-
tung durch bürgerliche Auffassung bewahrt haben könnte. Er ruft
die wehrtüchtige Vollbürgerin als Waffengefährtin an seine Seite.
Das Wahlrecht besagt politische Macht, bedeutet Erziehung zum
richtigen Gebrauch der politischen Macht, und zur Eroberung der
politischen Macht stehen die proletarischen Sturmkolonnen im ge-
schichtlichen Blachfeld. Die geschulte, gleichgerüstete Proletarierin
aber stößt nicht allein zu ihnen. Sie führt die Kinder in ihr
Lager, die künftigen Soldaten der sozialen Revolution. Ohne
die Frauen kann das Proletariat nicht die bürgerliche Gesell-
schaft überwinden, ohne sie kann es nicht die sozialistische Ord-
nung aufrichten.
Es ist der Geschichte ew’ges Muß, das das Proletariat zum
berufenen Vorkämpfer für Frauenrechte erhebt. An dem kraft-
strotzenden Stamme seines Klasseninteresses erblühen die höchsten
Menschheitsideale. Die Arbeiterklasse ist die Testamentsvoll-
streckerin des sterbenden Liberalismus. Sie verwirklicht die von
ihm proklamierten Menschenrechte, indem sie zum Männerwahl-
recht das Frauenwahlrecht fügt und die Demokratie der Regie-
rung: die Republik. Die bürgerliche Republik aber wandelt
sie zur freien Zukunftsgesellschaft durch die soziale Revolution.
Jhrem Lichte ist der Frauen Antlitz zugewandt.
_______
________________________________________________________________________
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2018-09-28T08:27:36Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-09-28T08:27:36Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |