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Reichspost. Nr. 133, Wien, 14.06.1898.

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VIII., Strozzigasse 41.




Stadterpedition I., Wollzeile 15.
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nicht zurückgestellt. Unverschlossene
Reclamationen sind portofrei.




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des In- und Auslandes angenommen.




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Reichspost.
Unabhäugiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

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Einzelne Nummern 4 kr., per Pest
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Telephon 1828.




V. Jahrgang. Wien, Dienstag, den 14. Juni 1898. Nr. 133.



[Spaltenumbruch]
Nicht Handel, sondern Recht.

Das, was die Verhandlungen des Siebener-
comite's der beiderseitigen Quotendeputationen auf-
weisen, ist eigentlich nichts Ueberraschendes, wenn
man erwägt, daß die Regisseure, pardon Referenten,
Beer und Falk heißen, genauer gesagt, unver-
fälschte Unartenlose sind. An sich eine charakteri-
stische Thatsache, daß das katholische Oesterreich
ebenso wie das apostolische Ungarn sich keine
anderen Referenten aufzutreiben wußten, als je
einen Juden, wird sie gewissermaßen damit richtig
illustrirt, daß bei den mündlichen Verhandlungen
sofort das -- Handeln begann.

Die österreichische Quotendeputation hat im
Vorjahre die Bevölkerungsziffer als
Grundlage der Quote aufgestellt, eine Grundlage,
die, wenn man schon von der einzig gerechten
Grundlage der Parität im Zahlen, wie im
Beanspruchen abging, noch als billig angesehen
werden kann. Das Verhältniß 58:42, wie es
sich aus dieser Grundlage ergab, hätte zwar noch
immer eine mit der Rechte-Parität nicht im Ein-
klange stehende Mehrbelastung Oesterreichs ergeben,
aber diese Grundlage hätte für die Zukunft als
bleibende Grundlage weiteren Quotenstreit ver-
mieden und wäre so die Aussicht geboten worden,
der Berechtigung des Werthes von der Monarchie
auf Kündigung den Boden zu entziehen. Wie aber
nun die Berichte aus den beiden Subcomites be-
sagen, hat das österreichische den Vorschlag des unga-
rischen, von jener Grundlage abzugehen und auf der
Basis einer statistischen Steuerzusammenstellung
der österreichischen Regierung zu verhandeln, abge-
lehnt. Statt der Vertheidigung des Rechtes hat das
österreichische Subcomite sich auf "'s Handeln"
verlegt, statt der 42% findet man anf einmal
36·4% für Ungarn genug. Das löbliche Sub-
[Spaltenumbruch] comite, das übrigens nur das Herrenhaus vertritt,
von dem nur dem Abgeordnetenhause ange-
hören, wird sich aber täuschen, wenn es glaubt,
daß sein "Handeln" die Zustimmung der öster-
reichischen Völker finden könnte. Und doch müssen
schließlich diese den Ausgleich ratificiren, der
heute vertagte Reichsrath wird einmal
wieder zusammentreten, wenn nicht dieser so ein
anderer und keine österreichische Volksvertretung
wird je zu finden sein, die das Recht Oesterreichs
zum dritten Male an Ungarn preisgibt.




Der Reichsrath vertagt.

Die Würfel sind gefallen. Der Betrieb des
§ 14 dürfte nunmehr fabriksmäßig erfolgen. Der
Sprachenstreit ist jetzt wohl aus den Hallen
des Parlamentes verbannt, aber auch seine Bei-
legung durch den Sprachenausschuß vertagt. Auch
die Beantwortung der Grazer Interpellation ent-
fällt. Der Ministerpräsident Graf Thun hat
an die Präsidien der beiden Häuser des Reichsrathes
eine vom gestrigen Tage datirte Zuschrift
gerichtet, mittelst welcher im Grunde Allerhöchsten
Auftrages die Vertagung des Reichsrathes
ausgesprochen wird. Man erwartet, daß der Reichs-
rath in der Mitte des Monates September
wieder einberufen werden wird.




Englands Isolirung.

Die am 10. Juni vom Staatssecretär Chamber-
lain im englischen Unterhause gehaltene Rede ist von
bemerkenswerther, allgemein-politischer Bedeutung. Wir
haben das Wesentliche derselben bereits im Sonntags-
blatte mitgetheilt. England weiß sich in seiner aus-
wärtigen Politik isolirt. Es hat keine Freunde, keine
Bundesgenossen. Es hat solche auch nicht gesucht, da
[Spaltenumbruch] es sich für sich selbst und allein stark genug fühlte.
Auch jetzt noch glaubte Chamberlain im Unterhause
dem Stolze der Engländer das Zugeständniß machen
zu sollen: "Ich glaube, wir sind die mächtigste Nation
der Welt", freilich vergaß er nicht hinzuzusetzen:
"nichts destoweniger sind wir nicht allmächtig." Trotz
dieses großen Machtbewußtseins fühlt aber jetzt England
seine internationale Isolirung sehr unangenehm; den
drei mächtige Gegner auf einmal kreuzen Englands Interessen
in Ostasien, in China: Deutschland, Rußland und
Frankreich, und Chamberlain constatirte lediglich als
nackte, brutale Thatsache: "Daß die Engländer, wo-
fern England seine alte Politik der Isolirung fortführt,
keine unsinnigen Forderungen an die Regierung stellen
dürfen, ohne Willens zu sein, die Folgen auf sich zu
nehmen." Was schlägt nun Chamberlain vor, um Eng-
land aus dieser Isolirung zu befreien? Er faßte am
Schlusse seine Ausführungen in dem Satze zusammen:
er rathe ebenso wenig zu Allianzen, als er sie zurück-
weise. Das klingt sehr reservirt, sehr unbestimmt, und
doch gibt Chamberlain offen zu erkennen, daß er in
einer Allianz das Heil Englands sehe, nur scheut sich
er, offen damit als Forderung herauszurücken. Allein
die ganze Rede war eine Motivirung für eine solche
Allianz. Man höre nur: "So lange China in seiner
gegenwärtigen Lage verbleibt und England ohne Ver-
bündete ist, werde es in Zukunft unmöglich sein,
die Unabhängigkeit Chinas gegen die Einsälle einer
großen militärischen Macht zu bewahren" und weiter:
"So lange wir allein stehen, ist es unmöglich zu sagen,
daß wir nicht eine Vereinigung dreier Mächte gegen
uns haben könnten." Wie also, fragt er, wäre es denn
etwas so Schlimmes ("eine Jingothat"), wenn auch
England einem Bunde beiträte, der einen ähnlichen
Zweck für China hätte, wie der Dreibund für Europa,
nämlich Erhaltung des Friedens, d. h. des Besitzstandes
und der Macht auch Englands in Ostasien? Was für
einen Bund denkt sich Chamberlain? Er erklärte, er
sei vollkommen bereit zu sagen, daß er bessere Be-
ziehungen zu Deutschland wünsche, und zwar aus dem
Grunde, weil Englands Interessen in China denen
Deutschlands näher stünden als den Interessen Ruß-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Der "Unbesiegbare" -- besiegbar.
Glossen zum neuen Katechismus für das deutsche Volk.

II.

Wenn wir uns nun dem Katechismus selbst zu-
wenden, welchen Guido List als den Inbegriff der
neuen deutschen Religion, als "Grundzug germanischer
Weltanschauung" hinstellt und in den Schulen als
"Nationalmoral" gelehrt wissen will -- so müssen
wir sofort bemerken, daß in demselben viele Sätze
vorkommen, die annehmbar sind, nur ist das An-
nehmbare nicht neu und nicht specifisch germanisch,
sondern einfach dem Naturgesetz entsprechend, das
Neue aber ist selten annehmbar. Dagegen fehlt
Vieles, was zu einer Religion und in einen Katechis-
mus unbedingt gehört, und es findet sich eine Menge
des Unklaren, Verschwommenen, Haltlosen, was in
einen Katechismus und in eine Religionslehre, welche
auch die Gebildeten befriedigen, ja die Religion mit
der Wissenschaft angeblich "versöhnen" soll, nicht ge-
hört. Folgen wir dem Katechismus selbst Schritt für
Schritt, ohne uns bei minder Wichtigem und bei all-
gemein acceptirten, selbstverständlichen Sätzen aufzu-
halten.

Die Existenz Gottes ist Guido List zweifel-
los. Aber was ist nach ihm Gott? "Gott ist der all-
mächtige, ewige Weltgeist, der Urquell des Lebens,
der Inbeg[riff] alles Guten, Edeln und Schönen u. s. w."
Wenn Gott der Weltgeist ist, steht er nicht über
der Welt, außer der Welt, sonst könnte er nicht ihr
Geist sein, ist er aber in der Welt und von der
Welt, gleichsam die Seele der Welt, so ist er nicht all-
mächtig, nicht ewig; denn die Welt ist beschränkt, ver-
änderlich -- geschaffen, wie der Verfasser gleich selbst
ausführt, indem er richtig sagt: "Gott ist das ewige
Urgesetz, der höchste Wille, der über allen waltet,
nichts kann ohne den Willen Gottes entstehen oder
vergehen" (also auch die Welt nicht, die erst durch
den Willen des schon vor ihr existirenden Gottes ent-
stand.) "Gott ist daher der Schöpfer des All und der
[Spaltenumbruch] Vater der Menschheit und darum nennen wir Gott
"Allvater." u. s. w.

So erfreulich also es ist, daß Guido List die
Existenz Gottes anerkennt, wenn er es auch im Un-
klaren läßt, ob er einen außer- und überweltlichen
Gott oder einen pantheistischen, monistischen Weltgott
(Weltseele, Weltgeist) annimmt, so schwach ist die
Ueberzeugung von der Existenz Gottes, die er
seinen Lesern vermittelt. Er basirt dieselbe nicht auf
Gottes beweise, er folgert sie nicht mit Bestimmt-
heit aus der Existenz der Welt, aus ihrer Veränder-
lichkeit, aus der Natur des Menschen u. s. w., sondern
lediglich aus dem Gottesbewußtsein. Er
sagt: "Unser inneres Bewußtsein, das, was wir unsere
Seele nennen (die Seele ist aber doch nicht gleichbe-
deutend mit Bewußtsein?), läßt uns das Dasein Gottes
ahnen und empfinden." Also bloß ahnen, bloß empfin-
den! Ebenso ist ihm die Schöpfung ringsum kein
Beweis für ihren Schöpfer, sondern bloß
die Vermittlerin der Gottes empfindung. Ein
schwaches Fundament der neuen Religion!

Der Erschaffung der Welt ist ein eigenes,
das zweite Hauptstück des Katechismus gewidmet. Da
kommt im Wesentlichen die Kant-Laplace'sche Theorie
zum Vorschein und, wie wir wieder anerkennen, in-
mitten der Darstellung der Satz: "Da wollte
Gott,
daß die Welt werde, und er hauchte seinen be-
lebenden Odem in die Wolke (den ewigen Urstoff!)
List nimmt also einen Gott an, der wollte, daß die
Welt werde -- und da wurde die Welt, und er
nimmt neben Gott einen ewigen Urstoff an. Der-
selbe gehört aber doch auch zur Welt? Er mußte also
durch Gottes Willen werden, war also nach Gott, ist
somit nicht ewig! Also welche Widersprüche, um an
der alten Wahrheit vorbeizukommen, daß Gott die
Welt aus nichts erschaffen hat. Zum mindesten hat
er doch den Urstoff aus Nichts erschaffen, aus dem
sich die Welt nach Gottes Bestimmung auf Grund der
ihr von Gott verliehenen und bestimmten Kräfte und
Gesetze entwickelt hat! -- "Als Pflanzen und Thiere
die Erde belebt hatten, erschuf Gott zuletzt die
Menschen." Erfreulicherweise hat die Religion List's
[Spaltenumbruch] mit dem Darwinismus nichts gemein, er nimmt richtig
eine selbständige Schöpfung des Menschen von Gott,
nicht eine Entwickelung des Menschen aus dem Thier-
reich heraus an.

Auch ganz richtig ist das Ziel und der
Zweck des Menschen
dahin bestimmt: "Gott
hat die Menschen erschaffen, damit sie ihn erkennen,
ehren und lieben, ihm dienen und glückselig werden."
Der Dienst Gottes wird aber nicht etwa dahin definirt,
daß wir seinen Willen erfüllen, wie er uns durch das
Naturgesetz und die Gebote Gottes verkündet wird,
sondern ganz allgemein umschrieben wie folgt: "Wir
dienen Gott, wenn wir ein rechtschaffenes Leben führen,
Tugenden üben und gewissenhaft unsere Pflichten
erfüllen." Das ist sehr -- sehr allgemein, fragt sich
eben nur, was verschiedene Leute unter "Rechtschaffen-
heit", "Tugend" und "Pflicht" verstehen. Richtig ver-
verstanden, kann der Satz richtig sein.

Nun folgen einige Sätze über Volk und
Volksthum,
die wir passiren lassen, da sie kaum
etwas Neues und der Kritik kaum eine Handhabe
bieten. Nur der Satz: "Warum hat Gott die ver-
schiedenen Völker entstehen lassen? Antwort:
Damit das Leben erhalten bleibe", ist doch
etwas seltsam, denn die Menschheit könnte
gewiß auch leben, ohne daß sie in verschiedene
Völker zerfiele, wie es ja vor der Sprachenverwirrung
der Fall war. Jedenfalls ist die Idee der Menschheit
als einer einigen, einzigen, großen Gottesfamilie im
Begriff der Schöpfung und vor Allem in dem der Er-
lösung festbegründet, aber auch mit der völkischen Gliede-
rung der Menschheit wohl vereinbart. Alles Volksthum
in Ehren, aber alle Völker sind Gottes, des Schöpfers,
und alle Menschen einander Brüder, alle Völker sich
geschwisterlich verwandte Vereinigungen. Uebertrieben
pointirt ist der Satz: "Die Sprache und die Schrift
sind die höchsten Güter der Menschheit.
(Es gibt doch wohl mindestens ebenso hohe Güter, z. B.
der Geist und der Verstand, die Religion und die
Tugend, der Friede und die Bildung u. s. w.)

Die Frage: "Wie sollen wir leben?"
leitet zur eigentlichen Moral über, während das Bis-


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 10 Seiten stark. [Abbildung]
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Reichspoſt.
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vierteljährig .... 4 fl. 60 kr.
monatlich .... 1 fl. 55 kr.

Für Deutſchland:
vierteljährig .... 5 fl. 50 kr.
oder 9 Mark.

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Telephon 1828.




V. Jahrgang. Wien, Dienſtag, den 14. Juni 1898. Nr. 133.



[Spaltenumbruch]
Nicht Handel, ſondern Recht.

Das, was die Verhandlungen des Siebener-
comite’s der beiderſeitigen Quotendeputationen auf-
weiſen, iſt eigentlich nichts Ueberraſchendes, wenn
man erwägt, daß die Regiſſeure, pardon Referenten,
Beer und Falk heißen, genauer geſagt, unver-
fälſchte Unartenloſe ſind. An ſich eine charakteri-
ſtiſche Thatſache, daß das katholiſche Oeſterreich
ebenſo wie das apoſtoliſche Ungarn ſich keine
anderen Referenten aufzutreiben wußten, als je
einen Juden, wird ſie gewiſſermaßen damit richtig
illuſtrirt, daß bei den mündlichen Verhandlungen
ſofort das — Handeln begann.

Die öſterreichiſche Quotendeputation hat im
Vorjahre die Bevölkerungsziffer als
Grundlage der Quote aufgeſtellt, eine Grundlage,
die, wenn man ſchon von der einzig gerechten
Grundlage der Parität im Zahlen, wie im
Beanſpruchen abging, noch als billig angeſehen
werden kann. Das Verhältniß 58:42, wie es
ſich aus dieſer Grundlage ergab, hätte zwar noch
immer eine mit der Rechte-Parität nicht im Ein-
klange ſtehende Mehrbelaſtung Oeſterreichs ergeben,
aber dieſe Grundlage hätte für die Zukunft als
bleibende Grundlage weiteren Quotenſtreit ver-
mieden und wäre ſo die Ausſicht geboten worden,
der Berechtigung des Werthes von der Monarchie
auf Kündigung den Boden zu entziehen. Wie aber
nun die Berichte aus den beiden Subcomités be-
ſagen, hat das öſterreichiſche den Vorſchlag des unga-
riſchen, von jener Grundlage abzugehen und auf der
Baſis einer ſtatiſtiſchen Steuerzuſammenſtellung
der öſterreichiſchen Regierung zu verhandeln, abge-
lehnt. Statt der Vertheidigung des Rechtes hat das
öſterreichiſche Subcomité ſich auf „’s Handeln“
verlegt, ſtatt der 42% findet man anf einmal
36·4% für Ungarn genug. Das löbliche Sub-
[Spaltenumbruch] comité, das übrigens nur das Herrenhaus vertritt,
von dem nur dem Abgeordnetenhauſe ange-
hören, wird ſich aber täuſchen, wenn es glaubt,
daß ſein „Handeln“ die Zuſtimmung der öſter-
reichiſchen Völker finden könnte. Und doch müſſen
ſchließlich dieſe den Ausgleich ratificiren, der
heute vertagte Reichsrath wird einmal
wieder zuſammentreten, wenn nicht dieſer ſo ein
anderer und keine öſterreichiſche Volksvertretung
wird je zu finden ſein, die das Recht Oeſterreichs
zum dritten Male an Ungarn preisgibt.




Der Reichsrath vertagt.

Die Würfel ſind gefallen. Der Betrieb des
§ 14 dürfte nunmehr fabriksmäßig erfolgen. Der
Sprachenſtreit iſt jetzt wohl aus den Hallen
des Parlamentes verbannt, aber auch ſeine Bei-
legung durch den Sprachenausſchuß vertagt. Auch
die Beantwortung der Grazer Interpellation ent-
fällt. Der Miniſterpräſident Graf Thun hat
an die Präſidien der beiden Häuſer des Reichsrathes
eine vom geſtrigen Tage datirte Zuſchrift
gerichtet, mittelſt welcher im Grunde Allerhöchſten
Auftrages die Vertagung des Reichsrathes
ausgeſprochen wird. Man erwartet, daß der Reichs-
rath in der Mitte des Monates September
wieder einberufen werden wird.




Englands Iſolirung.

Die am 10. Juni vom Staatsſecretär Chamber-
lain im engliſchen Unterhauſe gehaltene Rede iſt von
bemerkenswerther, allgemein-politiſcher Bedeutung. Wir
haben das Weſentliche derſelben bereits im Sonntags-
blatte mitgetheilt. England weiß ſich in ſeiner aus-
wärtigen Politik iſolirt. Es hat keine Freunde, keine
Bundesgenoſſen. Es hat ſolche auch nicht geſucht, da
[Spaltenumbruch] es ſich für ſich ſelbſt und allein ſtark genug fühlte.
Auch jetzt noch glaubte Chamberlain im Unterhauſe
dem Stolze der Engländer das Zugeſtändniß machen
zu ſollen: „Ich glaube, wir ſind die mächtigſte Nation
der Welt“, freilich vergaß er nicht hinzuzuſetzen:
„nichts deſtoweniger ſind wir nicht allmächtig.“ Trotz
dieſes großen Machtbewußtſeins fühlt aber jetzt England
ſeine internationale Iſolirung ſehr unangenehm; den
drei mächtige Gegner auf einmal kreuzen Englands Intereſſen
in Oſtaſien, in China: Deutſchland, Rußland und
Frankreich, und Chamberlain conſtatirte lediglich als
nackte, brutale Thatſache: „Daß die Engländer, wo-
fern England ſeine alte Politik der Iſolirung fortführt,
keine unſinnigen Forderungen an die Regierung ſtellen
dürfen, ohne Willens zu ſein, die Folgen auf ſich zu
nehmen.“ Was ſchlägt nun Chamberlain vor, um Eng-
land aus dieſer Iſolirung zu befreien? Er faßte am
Schluſſe ſeine Ausführungen in dem Satze zuſammen:
er rathe ebenſo wenig zu Allianzen, als er ſie zurück-
weiſe. Das klingt ſehr reſervirt, ſehr unbeſtimmt, und
doch gibt Chamberlain offen zu erkennen, daß er in
einer Allianz das Heil Englands ſehe, nur ſcheut ſich
er, offen damit als Forderung herauszurücken. Allein
die ganze Rede war eine Motivirung für eine ſolche
Allianz. Man höre nur: „So lange China in ſeiner
gegenwärtigen Lage verbleibt und England ohne Ver-
bündete iſt, werde es in Zukunft unmöglich ſein,
die Unabhängigkeit Chinas gegen die Einſälle einer
großen militäriſchen Macht zu bewahren“ und weiter:
„So lange wir allein ſtehen, iſt es unmöglich zu ſagen,
daß wir nicht eine Vereinigung dreier Mächte gegen
uns haben könnten.“ Wie alſo, fragt er, wäre es denn
etwas ſo Schlimmes („eine Jingothat“), wenn auch
England einem Bunde beiträte, der einen ähnlichen
Zweck für China hätte, wie der Dreibund für Europa,
nämlich Erhaltung des Friedens, d. h. des Beſitzſtandes
und der Macht auch Englands in Oſtaſien? Was für
einen Bund denkt ſich Chamberlain? Er erklärte, er
ſei vollkommen bereit zu ſagen, daß er beſſere Be-
ziehungen zu Deutſchland wünſche, und zwar aus dem
Grunde, weil Englands Intereſſen in China denen
Deutſchlands näher ſtünden als den Intereſſen Ruß-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Der „Unbeſiegbare“ — beſiegbar.
Gloſſen zum neuen Katechismus für das deutſche Volk.

II.

Wenn wir uns nun dem Katechismus ſelbſt zu-
wenden, welchen Guido Liſt als den Inbegriff der
neuen deutſchen Religion, als „Grundzug germaniſcher
Weltanſchauung“ hinſtellt und in den Schulen als
„Nationalmoral“ gelehrt wiſſen will — ſo müſſen
wir ſofort bemerken, daß in demſelben viele Sätze
vorkommen, die annehmbar ſind, nur iſt das An-
nehmbare nicht neu und nicht ſpecifiſch germaniſch,
ſondern einfach dem Naturgeſetz entſprechend, das
Neue aber iſt ſelten annehmbar. Dagegen fehlt
Vieles, was zu einer Religion und in einen Katechis-
mus unbedingt gehört, und es findet ſich eine Menge
des Unklaren, Verſchwommenen, Haltloſen, was in
einen Katechismus und in eine Religionslehre, welche
auch die Gebildeten befriedigen, ja die Religion mit
der Wiſſenſchaft angeblich „verſöhnen“ ſoll, nicht ge-
hört. Folgen wir dem Katechismus ſelbſt Schritt für
Schritt, ohne uns bei minder Wichtigem und bei all-
gemein acceptirten, ſelbſtverſtändlichen Sätzen aufzu-
halten.

Die Exiſtenz Gottes iſt Guido Liſt zweifel-
los. Aber was iſt nach ihm Gott? „Gott iſt der all-
mächtige, ewige Weltgeiſt, der Urquell des Lebens,
der Inbeg[riff] alles Guten, Edeln und Schönen u. ſ. w.“
Wenn Gott der Weltgeiſt iſt, ſteht er nicht über
der Welt, außer der Welt, ſonſt könnte er nicht ihr
Geiſt ſein, iſt er aber in der Welt und von der
Welt, gleichſam die Seele der Welt, ſo iſt er nicht all-
mächtig, nicht ewig; denn die Welt iſt beſchränkt, ver-
änderlich — geſchaffen, wie der Verfaſſer gleich ſelbſt
ausführt, indem er richtig ſagt: „Gott iſt das ewige
Urgeſetz, der höchſte Wille, der über allen waltet,
nichts kann ohne den Willen Gottes entſtehen oder
vergehen“ (alſo auch die Welt nicht, die erſt durch
den Willen des ſchon vor ihr exiſtirenden Gottes ent-
ſtand.) „Gott iſt daher der Schöpfer des All und der
[Spaltenumbruch] Vater der Menſchheit und darum nennen wir Gott
„Allvater.“ u. ſ. w.

So erfreulich alſo es iſt, daß Guido Liſt die
Exiſtenz Gottes anerkennt, wenn er es auch im Un-
klaren läßt, ob er einen außer- und überweltlichen
Gott oder einen pantheiſtiſchen, moniſtiſchen Weltgott
(Weltſeele, Weltgeiſt) annimmt, ſo ſchwach iſt die
Ueberzeugung von der Exiſtenz Gottes, die er
ſeinen Leſern vermittelt. Er baſirt dieſelbe nicht auf
Gottes beweiſe, er folgert ſie nicht mit Beſtimmt-
heit aus der Exiſtenz der Welt, aus ihrer Veränder-
lichkeit, aus der Natur des Menſchen u. ſ. w., ſondern
lediglich aus dem Gottesbewußtſein. Er
ſagt: „Unſer inneres Bewußtſein, das, was wir unſere
Seele nennen (die Seele iſt aber doch nicht gleichbe-
deutend mit Bewußtſein?), läßt uns das Daſein Gottes
ahnen und empfinden.“ Alſo bloß ahnen, bloß empfin-
den! Ebenſo iſt ihm die Schöpfung ringsum kein
Beweis für ihren Schöpfer, ſondern bloß
die Vermittlerin der Gottes empfindung. Ein
ſchwaches Fundament der neuen Religion!

Der Erſchaffung der Welt iſt ein eigenes,
das zweite Hauptſtück des Katechismus gewidmet. Da
kommt im Weſentlichen die Kant-Laplace’ſche Theorie
zum Vorſchein und, wie wir wieder anerkennen, in-
mitten der Darſtellung der Satz: „Da wollte
Gott,
daß die Welt werde, und er hauchte ſeinen be-
lebenden Odem in die Wolke (den ewigen Urſtoff!)
Liſt nimmt alſo einen Gott an, der wollte, daß die
Welt werde — und da wurde die Welt, und er
nimmt neben Gott einen ewigen Urſtoff an. Der-
ſelbe gehört aber doch auch zur Welt? Er mußte alſo
durch Gottes Willen werden, war alſo nach Gott, iſt
ſomit nicht ewig! Alſo welche Widerſprüche, um an
der alten Wahrheit vorbeizukommen, daß Gott die
Welt aus nichts erſchaffen hat. Zum mindeſten hat
er doch den Urſtoff aus Nichts erſchaffen, aus dem
ſich die Welt nach Gottes Beſtimmung auf Grund der
ihr von Gott verliehenen und beſtimmten Kräfte und
Geſetze entwickelt hat! — „Als Pflanzen und Thiere
die Erde belebt hatten, erſchuf Gott zuletzt die
Menſchen.“ Erfreulicherweiſe hat die Religion Liſt’s
[Spaltenumbruch] mit dem Darwinismus nichts gemein, er nimmt richtig
eine ſelbſtändige Schöpfung des Menſchen von Gott,
nicht eine Entwickelung des Menſchen aus dem Thier-
reich heraus an.

Auch ganz richtig iſt das Ziel und der
Zweck des Menſchen
dahin beſtimmt: „Gott
hat die Menſchen erſchaffen, damit ſie ihn erkennen,
ehren und lieben, ihm dienen und glückſelig werden.“
Der Dienſt Gottes wird aber nicht etwa dahin definirt,
daß wir ſeinen Willen erfüllen, wie er uns durch das
Naturgeſetz und die Gebote Gottes verkündet wird,
ſondern ganz allgemein umſchrieben wie folgt: „Wir
dienen Gott, wenn wir ein rechtſchaffenes Leben führen,
Tugenden üben und gewiſſenhaft unſere Pflichten
erfüllen.“ Das iſt ſehr — ſehr allgemein, fragt ſich
eben nur, was verſchiedene Leute unter „Rechtſchaffen-
heit“, „Tugend“ und „Pflicht“ verſtehen. Richtig ver-
verſtanden, kann der Satz richtig ſein.

Nun folgen einige Sätze über Volk und
Volksthum,
die wir paſſiren laſſen, da ſie kaum
etwas Neues und der Kritik kaum eine Handhabe
bieten. Nur der Satz: „Warum hat Gott die ver-
ſchiedenen Völker entſtehen laſſen? Antwort:
Damit das Leben erhalten bleibe“, iſt doch
etwas ſeltſam, denn die Menſchheit könnte
gewiß auch leben, ohne daß ſie in verſchiedene
Völker zerfiele, wie es ja vor der Sprachenverwirrung
der Fall war. Jedenfalls iſt die Idee der Menſchheit
als einer einigen, einzigen, großen Gottesfamilie im
Begriff der Schöpfung und vor Allem in dem der Er-
löſung feſtbegründet, aber auch mit der völkiſchen Gliede-
rung der Menſchheit wohl vereinbart. Alles Volksthum
in Ehren, aber alle Völker ſind Gottes, des Schöpfers,
und alle Menſchen einander Brüder, alle Völker ſich
geſchwiſterlich verwandte Vereinigungen. Uebertrieben
pointirt iſt der Satz: „Die Sprache und die Schrift
ſind die höchſten Güter der Menſchheit.
(Es gibt doch wohl mindeſtens ebenſo hohe Güter, z. B.
der Geiſt und der Verſtand, die Religion und die
Tugend, der Friede und die Bildung u. ſ. w.)

Die Frage: „Wie ſollen wir leben?“
leitet zur eigentlichen Moral über, während das Bis-


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[[1]/0001] Preis 4 kr. Redaction, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadterpedition I., Wollzeile 15. Zeitungsbureau Weis. Unfrankirte Briefe werden nicht an- genommen; Mannſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Reclamationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl. I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach- mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage Reichspoſt. Unabhäugiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Preis 4 kr. Geſugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ...... 16 fl. vierteljährig ...... 4 fl. monatlich .... 1 fl. 35 kr. Einzelne Nummern 4 kr., per Peſt 5 kr. 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Die öſterreichiſche Quotendeputation hat im Vorjahre die Bevölkerungsziffer als Grundlage der Quote aufgeſtellt, eine Grundlage, die, wenn man ſchon von der einzig gerechten Grundlage der Parität im Zahlen, wie im Beanſpruchen abging, noch als billig angeſehen werden kann. Das Verhältniß 58:42, wie es ſich aus dieſer Grundlage ergab, hätte zwar noch immer eine mit der Rechte-Parität nicht im Ein- klange ſtehende Mehrbelaſtung Oeſterreichs ergeben, aber dieſe Grundlage hätte für die Zukunft als bleibende Grundlage weiteren Quotenſtreit ver- mieden und wäre ſo die Ausſicht geboten worden, der Berechtigung des Werthes von der Monarchie auf Kündigung den Boden zu entziehen. Wie aber nun die Berichte aus den beiden Subcomités be- ſagen, hat das öſterreichiſche den Vorſchlag des unga- riſchen, von jener Grundlage abzugehen und auf der Baſis einer ſtatiſtiſchen Steuerzuſammenſtellung der öſterreichiſchen Regierung zu verhandeln, abge- lehnt. Statt der Vertheidigung des Rechtes hat das öſterreichiſche Subcomité ſich auf „’s Handeln“ verlegt, ſtatt der 42% findet man anf einmal 36·4% für Ungarn genug. Das löbliche Sub- comité, das übrigens nur das Herrenhaus vertritt, von dem nur [FORMEL] dem Abgeordnetenhauſe ange- hören, wird ſich aber täuſchen, wenn es glaubt, daß ſein „Handeln“ die Zuſtimmung der öſter- reichiſchen Völker finden könnte. Und doch müſſen ſchließlich dieſe den Ausgleich ratificiren, der heute vertagte Reichsrath wird einmal wieder zuſammentreten, wenn nicht dieſer ſo ein anderer und keine öſterreichiſche Volksvertretung wird je zu finden ſein, die das Recht Oeſterreichs zum dritten Male an Ungarn preisgibt. Der Reichsrath vertagt. Die Würfel ſind gefallen. Der Betrieb des § 14 dürfte nunmehr fabriksmäßig erfolgen. Der Sprachenſtreit iſt jetzt wohl aus den Hallen des Parlamentes verbannt, aber auch ſeine Bei- legung durch den Sprachenausſchuß vertagt. Auch die Beantwortung der Grazer Interpellation ent- fällt. Der Miniſterpräſident Graf Thun hat an die Präſidien der beiden Häuſer des Reichsrathes eine vom geſtrigen Tage datirte Zuſchrift gerichtet, mittelſt welcher im Grunde Allerhöchſten Auftrages die Vertagung des Reichsrathes ausgeſprochen wird. Man erwartet, daß der Reichs- rath in der Mitte des Monates September wieder einberufen werden wird. Englands Iſolirung. Die am 10. Juni vom Staatsſecretär Chamber- lain im engliſchen Unterhauſe gehaltene Rede iſt von bemerkenswerther, allgemein-politiſcher Bedeutung. Wir haben das Weſentliche derſelben bereits im Sonntags- blatte mitgetheilt. England weiß ſich in ſeiner aus- wärtigen Politik iſolirt. Es hat keine Freunde, keine Bundesgenoſſen. Es hat ſolche auch nicht geſucht, da es ſich für ſich ſelbſt und allein ſtark genug fühlte. Auch jetzt noch glaubte Chamberlain im Unterhauſe dem Stolze der Engländer das Zugeſtändniß machen zu ſollen: „Ich glaube, wir ſind die mächtigſte Nation der Welt“, freilich vergaß er nicht hinzuzuſetzen: „nichts deſtoweniger ſind wir nicht allmächtig.“ Trotz dieſes großen Machtbewußtſeins fühlt aber jetzt England ſeine internationale Iſolirung ſehr unangenehm; den drei mächtige Gegner auf einmal kreuzen Englands Intereſſen in Oſtaſien, in China: Deutſchland, Rußland und Frankreich, und Chamberlain conſtatirte lediglich als nackte, brutale Thatſache: „Daß die Engländer, wo- fern England ſeine alte Politik der Iſolirung fortführt, keine unſinnigen Forderungen an die Regierung ſtellen dürfen, ohne Willens zu ſein, die Folgen auf ſich zu nehmen.“ Was ſchlägt nun Chamberlain vor, um Eng- land aus dieſer Iſolirung zu befreien? Er faßte am Schluſſe ſeine Ausführungen in dem Satze zuſammen: er rathe ebenſo wenig zu Allianzen, als er ſie zurück- weiſe. Das klingt ſehr reſervirt, ſehr unbeſtimmt, und doch gibt Chamberlain offen zu erkennen, daß er in einer Allianz das Heil Englands ſehe, nur ſcheut ſich er, offen damit als Forderung herauszurücken. Allein die ganze Rede war eine Motivirung für eine ſolche Allianz. Man höre nur: „So lange China in ſeiner gegenwärtigen Lage verbleibt und England ohne Ver- bündete iſt, werde es in Zukunft unmöglich ſein, die Unabhängigkeit Chinas gegen die Einſälle einer großen militäriſchen Macht zu bewahren“ und weiter: „So lange wir allein ſtehen, iſt es unmöglich zu ſagen, daß wir nicht eine Vereinigung dreier Mächte gegen uns haben könnten.“ Wie alſo, fragt er, wäre es denn etwas ſo Schlimmes („eine Jingothat“), wenn auch England einem Bunde beiträte, der einen ähnlichen Zweck für China hätte, wie der Dreibund für Europa, nämlich Erhaltung des Friedens, d. h. des Beſitzſtandes und der Macht auch Englands in Oſtaſien? Was für einen Bund denkt ſich Chamberlain? Er erklärte, er ſei vollkommen bereit zu ſagen, daß er beſſere Be- ziehungen zu Deutſchland wünſche, und zwar aus dem Grunde, weil Englands Intereſſen in China denen Deutſchlands näher ſtünden als den Intereſſen Ruß- Feuilleton. Der „Unbeſiegbare“ — beſiegbar. Gloſſen zum neuen Katechismus für das deutſche Volk. II. Wenn wir uns nun dem Katechismus ſelbſt zu- wenden, welchen Guido Liſt als den Inbegriff der neuen deutſchen Religion, als „Grundzug germaniſcher Weltanſchauung“ hinſtellt und in den Schulen als „Nationalmoral“ gelehrt wiſſen will — ſo müſſen wir ſofort bemerken, daß in demſelben viele Sätze vorkommen, die annehmbar ſind, nur iſt das An- nehmbare nicht neu und nicht ſpecifiſch germaniſch, ſondern einfach dem Naturgeſetz entſprechend, das Neue aber iſt ſelten annehmbar. Dagegen fehlt Vieles, was zu einer Religion und in einen Katechis- mus unbedingt gehört, und es findet ſich eine Menge des Unklaren, Verſchwommenen, Haltloſen, was in einen Katechismus und in eine Religionslehre, welche auch die Gebildeten befriedigen, ja die Religion mit der Wiſſenſchaft angeblich „verſöhnen“ ſoll, nicht ge- hört. Folgen wir dem Katechismus ſelbſt Schritt für Schritt, ohne uns bei minder Wichtigem und bei all- gemein acceptirten, ſelbſtverſtändlichen Sätzen aufzu- halten. Die Exiſtenz Gottes iſt Guido Liſt zweifel- los. Aber was iſt nach ihm Gott? „Gott iſt der all- mächtige, ewige Weltgeiſt, der Urquell des Lebens, der Inbegriff alles Guten, Edeln und Schönen u. ſ. w.“ Wenn Gott der Weltgeiſt iſt, ſteht er nicht über der Welt, außer der Welt, ſonſt könnte er nicht ihr Geiſt ſein, iſt er aber in der Welt und von der Welt, gleichſam die Seele der Welt, ſo iſt er nicht all- mächtig, nicht ewig; denn die Welt iſt beſchränkt, ver- änderlich — geſchaffen, wie der Verfaſſer gleich ſelbſt ausführt, indem er richtig ſagt: „Gott iſt das ewige Urgeſetz, der höchſte Wille, der über allen waltet, nichts kann ohne den Willen Gottes entſtehen oder vergehen“ (alſo auch die Welt nicht, die erſt durch den Willen des ſchon vor ihr exiſtirenden Gottes ent- ſtand.) „Gott iſt daher der Schöpfer des All und der Vater der Menſchheit und darum nennen wir Gott „Allvater.“ u. ſ. w. So erfreulich alſo es iſt, daß Guido Liſt die Exiſtenz Gottes anerkennt, wenn er es auch im Un- klaren läßt, ob er einen außer- und überweltlichen Gott oder einen pantheiſtiſchen, moniſtiſchen Weltgott (Weltſeele, Weltgeiſt) annimmt, ſo ſchwach iſt die Ueberzeugung von der Exiſtenz Gottes, die er ſeinen Leſern vermittelt. Er baſirt dieſelbe nicht auf Gottes beweiſe, er folgert ſie nicht mit Beſtimmt- heit aus der Exiſtenz der Welt, aus ihrer Veränder- lichkeit, aus der Natur des Menſchen u. ſ. w., ſondern lediglich aus dem Gottesbewußtſein. Er ſagt: „Unſer inneres Bewußtſein, das, was wir unſere Seele nennen (die Seele iſt aber doch nicht gleichbe- deutend mit Bewußtſein?), läßt uns das Daſein Gottes ahnen und empfinden.“ Alſo bloß ahnen, bloß empfin- den! Ebenſo iſt ihm die Schöpfung ringsum kein Beweis für ihren Schöpfer, ſondern bloß die Vermittlerin der Gottes empfindung. Ein ſchwaches Fundament der neuen Religion! Der Erſchaffung der Welt iſt ein eigenes, das zweite Hauptſtück des Katechismus gewidmet. Da kommt im Weſentlichen die Kant-Laplace’ſche Theorie zum Vorſchein und, wie wir wieder anerkennen, in- mitten der Darſtellung der Satz: „Da wollte Gott, daß die Welt werde, und er hauchte ſeinen be- lebenden Odem in die Wolke (den ewigen Urſtoff!) Liſt nimmt alſo einen Gott an, der wollte, daß die Welt werde — und da wurde die Welt, und er nimmt neben Gott einen ewigen Urſtoff an. Der- ſelbe gehört aber doch auch zur Welt? Er mußte alſo durch Gottes Willen werden, war alſo nach Gott, iſt ſomit nicht ewig! Alſo welche Widerſprüche, um an der alten Wahrheit vorbeizukommen, daß Gott die Welt aus nichts erſchaffen hat. Zum mindeſten hat er doch den Urſtoff aus Nichts erſchaffen, aus dem ſich die Welt nach Gottes Beſtimmung auf Grund der ihr von Gott verliehenen und beſtimmten Kräfte und Geſetze entwickelt hat! — „Als Pflanzen und Thiere die Erde belebt hatten, erſchuf Gott zuletzt die Menſchen.“ Erfreulicherweiſe hat die Religion Liſt’s mit dem Darwinismus nichts gemein, er nimmt richtig eine ſelbſtändige Schöpfung des Menſchen von Gott, nicht eine Entwickelung des Menſchen aus dem Thier- reich heraus an. Auch ganz richtig iſt das Ziel und der Zweck des Menſchen dahin beſtimmt: „Gott hat die Menſchen erſchaffen, damit ſie ihn erkennen, ehren und lieben, ihm dienen und glückſelig werden.“ Der Dienſt Gottes wird aber nicht etwa dahin definirt, daß wir ſeinen Willen erfüllen, wie er uns durch das Naturgeſetz und die Gebote Gottes verkündet wird, ſondern ganz allgemein umſchrieben wie folgt: „Wir dienen Gott, wenn wir ein rechtſchaffenes Leben führen, Tugenden üben und gewiſſenhaft unſere Pflichten erfüllen.“ Das iſt ſehr — ſehr allgemein, fragt ſich eben nur, was verſchiedene Leute unter „Rechtſchaffen- heit“, „Tugend“ und „Pflicht“ verſtehen. Richtig ver- verſtanden, kann der Satz richtig ſein. Nun folgen einige Sätze über Volk und Volksthum, die wir paſſiren laſſen, da ſie kaum etwas Neues und der Kritik kaum eine Handhabe bieten. Nur der Satz: „Warum hat Gott die ver- ſchiedenen Völker entſtehen laſſen? Antwort: Damit das Leben erhalten bleibe“, iſt doch etwas ſeltſam, denn die Menſchheit könnte gewiß auch leben, ohne daß ſie in verſchiedene Völker zerfiele, wie es ja vor der Sprachenverwirrung der Fall war. Jedenfalls iſt die Idee der Menſchheit als einer einigen, einzigen, großen Gottesfamilie im Begriff der Schöpfung und vor Allem in dem der Er- löſung feſtbegründet, aber auch mit der völkiſchen Gliede- rung der Menſchheit wohl vereinbart. Alles Volksthum in Ehren, aber alle Völker ſind Gottes, des Schöpfers, und alle Menſchen einander Brüder, alle Völker ſich geſchwiſterlich verwandte Vereinigungen. Uebertrieben pointirt iſt der Satz: „Die Sprache und die Schrift ſind die höchſten Güter der Menſchheit. (Es gibt doch wohl mindeſtens ebenſo hohe Güter, z. B. der Geiſt und der Verſtand, die Religion und die Tugend, der Friede und die Bildung u. ſ. w.) Die Frage: „Wie ſollen wir leben?“ leitet zur eigentlichen Moral über, während das Bis- [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 133, Wien, 14.06.1898, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost133_1898/1>, abgerufen am 21.11.2024.