Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.Zur Unterhaltung und Belehrung. 14 [Beginn Spaltensatz]
unterdrückt. Eben jetzt versucht man, den Negerhandel nachAsien von der afrikanischen Ostküste abzuschneiden. Und den Kuli- handel sollte das neunzehnte Jahrhundert nicht als eine Schmach empfinden? Social=politische Parteien. ( Fortsetzung. ) Zur Zeit der Revolutionen von 1848 war, wie wir gesehen Dabei wurden von den Stimmführern dieser Richtung weder Die ganze naturgesetzliche Volkswirthschaftsanschauung der Und doch tritt dieser neue Stand mit den gemeinsamen Die wirthschaftliche Gesetzgebung, welche in den Haupt- Zur Unterhaltung und Belehrung. 14 [Beginn Spaltensatz]
unterdrückt. Eben jetzt versucht man, den Negerhandel nachAsien von der afrikanischen Ostküste abzuschneiden. Und den Kuli- handel sollte das neunzehnte Jahrhundert nicht als eine Schmach empfinden? Social=politische Parteien. ( Fortsetzung. ) Zur Zeit der Revolutionen von 1848 war, wie wir gesehen Dabei wurden von den Stimmführern dieser Richtung weder Die ganze naturgesetzliche Volkswirthschaftsanschauung der Und doch tritt dieser neue Stand mit den gemeinsamen Die wirthschaftliche Gesetzgebung, welche in den Haupt- <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="14"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 14</fw><cb type="start"/> unterdrückt. Eben jetzt versucht man, den Negerhandel nach<lb/> Asien von der afrikanischen Ostküste abzuschneiden. 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Das „Recht auf Arbeit“, dessen An-<lb/> erkennung man damals in Paris von der provisorischen Re-<lb/> gierung decretiren ließ, war eine verhältnißmäßig höchst beschei-<lb/> dene Forderung, welche, abgesehen von ihrer Unklarheit, schon<lb/> deshalb keine Aussicht auf Verwirklichung hatte, weil man diese<lb/> in die Hände einer Regierung legte, in die einige Vertreter des<lb/> Arbeiterstandes nur zufällig und wie zum Schein gekommen<lb/> waren. Jn Deutschland war von einem Verständniß der Ar-<lb/> beiter für eine eigene Socialpolitik überhaupt noch gar nicht die<lb/> Rede, sondern hier vollendete das liberale Bürgerthum erst jetzt,<lb/> was es in Frankreich schon mit der großen Revolution vollstän-<lb/> diger errungen hatte. Jn England, mit seiner von Natur ener-<lb/> gischen, für ökonomische Verrichtungen wohl abgerichteten, aber<lb/> geistig weder geschulten, noch für idealere Bestrebungen empfäng-<lb/> lichen Arbeiterbevölkerung, hatte es zwar an vereinzelten An-<lb/> strengungen zur Verbesserung des Looses der unteren Klassen<lb/> schon längst nicht gesehlt, aber ein die ganze Polikik derselben in<lb/> ein höheres Ziel zusammenfassender Gedanke konnte sich natur-<lb/> gemäß nur langsam dort durchdrängen und beginnt erst in aller-<lb/> neuester Zeit zum Durchbruch zu kommen. Mit dem unerhört<lb/> blutigen und grausamen Racheakt, den im Juni 1848 die Bour-<lb/> geoisie in Frankreich an den Arbeitern verübte, die an der Natur-<lb/> nothwendigkeit des Freihandelssystems zu zweifeln gewagt hatten,<lb/> war der von ihnen selbst nur halb begriffene Versuch, sich zu<lb/> einer Partei mit selbstständigen Zielen zu constituiren, noch für<lb/> einige Zeit unterdrückt. Der Smithianismus feierte sogar ge-<lb/> rade in der Mitte dieses Jahrhunderts seine größten Triumphe;<lb/> was noch an wirthschaftlichen Schranken aus früherer Zeit in<lb/> der Gesetzgebung übrig war, wurde niedergerissen; das Eisen-<lb/> bahnwesen, zu dessen Ausbildung die Regierungen dem Groß-<lb/> kapital opferwillige Unterstützung liehen, die Entwickelung des<lb/> Bankwesens, Handelsverträge erleichterten die Durchführung des<lb/> Jndustriesystems; die Theorie desselben hatte sich der Wissenschaft<lb/> und öffentlichen Meinung vollständig bemächtigt; Presse und<lb/> Vereine wirkten in diesem Sinne, und 1850 schrieb F. Bastiat<lb/> in seinen „ <hi rendition="#aq">Harmonies économiques</hi> “ unter allgemeinem Bei-<lb/> fall eine berühmt gewordene Apologie des Smithianismus, welche<lb/> gar keinen Zweifel darüber ließ, daß auf diesem Wege allein<lb/> der höchste Nationalreichthum und der sociale Friede zu finden<lb/> sei, ja sich der Menschheit naturgesetzlich aufdränge. </p><lb/> <p>Dabei wurden von den Stimmführern dieser Richtung weder<lb/> die Stimmungen und Bewegungen der arbeitenden Klassen nach<lb/> ihrer Bedeutung für die Zukunft gewürdigt, noch die socialen<lb/> Theorien in ihrem berechtigten und gesunden Jnhalte anerkannt.<lb/> Daß zwei deutsche Gelehrte, Bruno Hildebrandt und Lorenz<lb/> Stein, mit kritischem Scharfblick das Verständniß für den So-<lb/> cialismus schon am Ende der vierziger Jahre zu eröffnen suchten,<lb/> war vorläufig vergeblich. Die herrschende Schule der „ Volks-<lb/> wirthe “ sah in ihm nichts als Verirrungen einzelner Schwärmer,<lb/> welche mit verbrecherischer Thorheit Attentate gegen den National-<lb/> reichthum planten. Vom Saint=Simonismus sahen sie nichts<lb/> als die Uebertreibungen Bazard's, der mit der Aufhebung<lb/> des Erbrechts ihre Eigenthumsordnung zerstören wollte, und die<lb/> Albernheiten Enfantins, des „ <hi rendition="#aq">adorable Satan</hi> “, der mit seinem<lb/> doppeltgeschlechtlichen Hohenpriesterthum die Köpfe ihrer Frauen<lb/> zu verdrehen drohte; Louis Blanc schien ihnen durch das Miß-<lb/> glücken der Nationalwerkstätten genügend widerlegt; daß Charles<lb/> Fourier einen zwar etwas eigenthümlichen, aber doch großartigen<lb/><cb n="2"/> ersten Versuch gemacht hatte, die Fähigkeiten der Menschen für<lb/> die friedliche wirthschaftliche Association, die als höhere Stufe<lb/> der Volkswirthschaft an Stelle des Concurrenzkampfes treten<lb/> könnte, zu untersuchen, übersahen sie, weil weder sein Projekt,<lb/> die Erde mit Phalansteren zu bedecken, noch seine Prophezeiung,<lb/> daß das Meerwasser bald Limonade werden würde, glaubhaft er-<lb/> schienen; Robert Owen's glückliches Experiment, welches bewies,<lb/> daß die Sorge für das geistige und leibliche Wohl der Arbeiter<lb/> und eine rationelle Verkürzung der Arbeitszeit für Arbeitgeber<lb/> und =Nehmer gleichmäßig vortheilhaft sei, schien ihnen weniger<lb/> merkwürdig, als der spätere Mißerfolg seiner communistischen<lb/> Colonie New=Harmony; und Cabet's, Weitling's und anderer<lb/> Phantasten Pläne gaben ihnen willkommenen Anlaß, alle socialen<lb/> Reformversuche als aussichtslos und lächerlich hinzustellen. Man<lb/> gab sich gar keine Mühe, Socialreformer und Socialphantasten,<lb/> Gesundes und Ungesundes im Socialismus von einander zu<lb/> scheiden, das Berechtigte in der Kritik, welche die Socialisten an<lb/> der bestehenden Volkswirthschaft vornahmen, zu würdigen, sondern<lb/> alle dergleichen nicht convenirende Ansichten wurden unter der<lb/> Rubrik „Socialismus und Communismus“ zusammengefaßt, und<lb/> die Volkswirthe sprachen darüber ihr <hi rendition="#aq">anathema sit</hi>. Ja, es giebt<lb/> im gegenwärtigen Augenblick angesichts der täglich anschwellenden<lb/> socialen Bewegung in Deutschland noch Stimmführer politischer<lb/> Parteien, welche, an jenem Standpunkte festhaltend, das Ganze<lb/> einer vorübergehenden, künstlichen Agitation zuschreiben und mit<lb/> der preußischen „Fortschrittspartei“ triumphirend ausrufen: „Der<lb/> materielle Verkehr, fast auf allen Gebieten von hemmenden<lb/> Schranken befreit, pulsirt in einer Kraft und Lebendigkeit, welche<lb/> die Sicherheit gewährt, daß gewiße beunruhigende Erscheinungen<lb/> des Augenblicks bald werden überwunden werden.“</p><lb/> <p>Die ganze naturgesetzliche Volkswirthschaftsanschauung der<lb/> Manchesterphilosophie thut sich in diesem Satze eines Wahlpro-<lb/> grammes kund. Mit beneidenswerther Gemüthsruhe richtet sie<lb/> ihren Blick auf den „Nationalreichthum“, der ja wachsen muß,<lb/> weil alle Kräfte dazu entfesselt sind. Die ganze sociale Bewe-<lb/> gung, und insbesondere der brennendste Punkt in derselben, die<lb/> Arbeiterfrage, ist ihr eine „Erscheinung des Augenblicks“, die<lb/> unter dem kräftigen Tritt des „materiellen Verkehrs“ bald ver-<lb/> nichtet sein wird. Das heißt also entweder annehmen, daß die<lb/> Lohnarbeiter die Versuche zur Verbesserung ihrer Lage der Macht<lb/> der Kapitalisten gegenüber werden aufgeben müssen, oder leugnen,<lb/> und wenn nicht leugnen, so doch übersehen, daß sich durch die<lb/> moderne Volkswirthschaft wirklich ein neuer Stand in der Ge-<lb/> sellschaft gebildet hat, derjenigen der „freien“ Lohnarbeiter, der<lb/> nach einer gesicherten Stellung in ihr ringt und diese auch er-<lb/> reichen muß, wenn er nicht eine fortdauernde Drohung und<lb/> schließlich ein Zerstörer der socialen Ordnung werden soll.</p><lb/> <p>Und doch tritt dieser neue Stand mit den gemeinsamen<lb/> Merkmalen eines solchen so deutlich und unzweifelhaft uns ent-<lb/> gegen! Es ist nicht blos, wie manche Optimisten auch heute<lb/> noch glauben und glauben machen möchten, eine Erfindung der<lb/> Socialisten, sondern in der That das Element, in welchem sich<lb/> die Theorien derselben zu Parteibildungen verkörpern konnten<lb/> und verkörpert haben, und dessen Lage den Parteigegensatz zu<lb/> den Besitzenden nothwendig mit sich bringen mußte. Vergegen-<lb/> wärtigen wir uns in aller Kürze diese Erscheinung.</p><lb/> <p>Die wirthschaftliche Gesetzgebung, welche in den Haupt-<lb/> staaten des Continents, in England schon früher, allmählich ins<lb/> Leben trat, hob sowohl in der Jndustrie, wie in der Landwirth-<lb/> schaft die alten Bande, Ueber= und Unterordnungen, welche Ar-<lb/> beitsherren und Arbeiter miteinander verknüpften und eine Menge<lb/> von rechtlichen Abstufungen zwischen Großbesitzer und besitzlosem<lb/> Arbeiter herstellten, auf, es gab wirthschaftlich nur noch Unter-<lb/> nehmer und freie Arbeiter. Jn die erstere Klasse rückten die<lb/> Besitzer von größeren beweglichen und unbeweglichen Kapitalien<lb/> ein, und einzelne glückliche Emporkömmlinge aus dem Arbeiter-<lb/> stande gesellten sich zu ihnen; in die zweite kamen die bisher an<lb/> die Scholle Gefesselten, die Gesellen und Lehrlinge der Jndustrie,<lb/> zum guten Theil auch die kleineren Besitzer resp. Handwerker,<lb/> die sich im Concurrenzkampfe nicht selbstständig halten konnten.<lb/> Jn England hatte sogar die systemathische Vertreibung kleiner<lb/> Landbauern aus ihren Stellen durch die Großgrundbesitzer ein<lb/> der aufblühenden Jndustrie sehr willkommenes Proletariat ge-<lb/> liefert. Die großen industriellen Erfindungen, welche meist in<lb/> England im vorigen Jahrhundert erprobt wurden, schufen die<lb/> Fabrikindustrie, diese ließ Fabrikorte entstehen, und hier bei<lb/> mächtig zunehmender Produktion und frühem Verdienst, erwuchs<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0014]
Zur Unterhaltung und Belehrung. 14
unterdrückt. Eben jetzt versucht man, den Negerhandel nach
Asien von der afrikanischen Ostküste abzuschneiden. Und den Kuli-
handel sollte das neunzehnte Jahrhundert nicht als eine Schmach
empfinden?
Social=politische Parteien.
( Fortsetzung. )
Zur Zeit der Revolutionen von 1848 war, wie wir gesehen
haben, der seit Ende des vorigen Jahrhunderts zur Herrschaft
gekommenen liberalen Socialpolitik, wenn man eine Wirthschafts-
politik, die sich um ihre Wirkungen um die Geschichte nicht küm-
merte, so nennen will, bereits die Wirthschaftspolitik der Besitz-
losen in Form des socialdemokratischen Gedankens entgegentreten.
Jndessen kann man wohl nicht sagen, daß in den damaligen Be-
wegungen dieser Gedanke als ein für die Arbeiterklasse eigentlich
leitender aufgetreten wäre; selbst im Mutterlande desselben, Frank-
reich, geschah dies nicht. Das „Recht auf Arbeit“, dessen An-
erkennung man damals in Paris von der provisorischen Re-
gierung decretiren ließ, war eine verhältnißmäßig höchst beschei-
dene Forderung, welche, abgesehen von ihrer Unklarheit, schon
deshalb keine Aussicht auf Verwirklichung hatte, weil man diese
in die Hände einer Regierung legte, in die einige Vertreter des
Arbeiterstandes nur zufällig und wie zum Schein gekommen
waren. Jn Deutschland war von einem Verständniß der Ar-
beiter für eine eigene Socialpolitik überhaupt noch gar nicht die
Rede, sondern hier vollendete das liberale Bürgerthum erst jetzt,
was es in Frankreich schon mit der großen Revolution vollstän-
diger errungen hatte. Jn England, mit seiner von Natur ener-
gischen, für ökonomische Verrichtungen wohl abgerichteten, aber
geistig weder geschulten, noch für idealere Bestrebungen empfäng-
lichen Arbeiterbevölkerung, hatte es zwar an vereinzelten An-
strengungen zur Verbesserung des Looses der unteren Klassen
schon längst nicht gesehlt, aber ein die ganze Polikik derselben in
ein höheres Ziel zusammenfassender Gedanke konnte sich natur-
gemäß nur langsam dort durchdrängen und beginnt erst in aller-
neuester Zeit zum Durchbruch zu kommen. Mit dem unerhört
blutigen und grausamen Racheakt, den im Juni 1848 die Bour-
geoisie in Frankreich an den Arbeitern verübte, die an der Natur-
nothwendigkeit des Freihandelssystems zu zweifeln gewagt hatten,
war der von ihnen selbst nur halb begriffene Versuch, sich zu
einer Partei mit selbstständigen Zielen zu constituiren, noch für
einige Zeit unterdrückt. Der Smithianismus feierte sogar ge-
rade in der Mitte dieses Jahrhunderts seine größten Triumphe;
was noch an wirthschaftlichen Schranken aus früherer Zeit in
der Gesetzgebung übrig war, wurde niedergerissen; das Eisen-
bahnwesen, zu dessen Ausbildung die Regierungen dem Groß-
kapital opferwillige Unterstützung liehen, die Entwickelung des
Bankwesens, Handelsverträge erleichterten die Durchführung des
Jndustriesystems; die Theorie desselben hatte sich der Wissenschaft
und öffentlichen Meinung vollständig bemächtigt; Presse und
Vereine wirkten in diesem Sinne, und 1850 schrieb F. Bastiat
in seinen „ Harmonies économiques “ unter allgemeinem Bei-
fall eine berühmt gewordene Apologie des Smithianismus, welche
gar keinen Zweifel darüber ließ, daß auf diesem Wege allein
der höchste Nationalreichthum und der sociale Friede zu finden
sei, ja sich der Menschheit naturgesetzlich aufdränge.
Dabei wurden von den Stimmführern dieser Richtung weder
die Stimmungen und Bewegungen der arbeitenden Klassen nach
ihrer Bedeutung für die Zukunft gewürdigt, noch die socialen
Theorien in ihrem berechtigten und gesunden Jnhalte anerkannt.
Daß zwei deutsche Gelehrte, Bruno Hildebrandt und Lorenz
Stein, mit kritischem Scharfblick das Verständniß für den So-
cialismus schon am Ende der vierziger Jahre zu eröffnen suchten,
war vorläufig vergeblich. Die herrschende Schule der „ Volks-
wirthe “ sah in ihm nichts als Verirrungen einzelner Schwärmer,
welche mit verbrecherischer Thorheit Attentate gegen den National-
reichthum planten. Vom Saint=Simonismus sahen sie nichts
als die Uebertreibungen Bazard's, der mit der Aufhebung
des Erbrechts ihre Eigenthumsordnung zerstören wollte, und die
Albernheiten Enfantins, des „ adorable Satan “, der mit seinem
doppeltgeschlechtlichen Hohenpriesterthum die Köpfe ihrer Frauen
zu verdrehen drohte; Louis Blanc schien ihnen durch das Miß-
glücken der Nationalwerkstätten genügend widerlegt; daß Charles
Fourier einen zwar etwas eigenthümlichen, aber doch großartigen
ersten Versuch gemacht hatte, die Fähigkeiten der Menschen für
die friedliche wirthschaftliche Association, die als höhere Stufe
der Volkswirthschaft an Stelle des Concurrenzkampfes treten
könnte, zu untersuchen, übersahen sie, weil weder sein Projekt,
die Erde mit Phalansteren zu bedecken, noch seine Prophezeiung,
daß das Meerwasser bald Limonade werden würde, glaubhaft er-
schienen; Robert Owen's glückliches Experiment, welches bewies,
daß die Sorge für das geistige und leibliche Wohl der Arbeiter
und eine rationelle Verkürzung der Arbeitszeit für Arbeitgeber
und =Nehmer gleichmäßig vortheilhaft sei, schien ihnen weniger
merkwürdig, als der spätere Mißerfolg seiner communistischen
Colonie New=Harmony; und Cabet's, Weitling's und anderer
Phantasten Pläne gaben ihnen willkommenen Anlaß, alle socialen
Reformversuche als aussichtslos und lächerlich hinzustellen. Man
gab sich gar keine Mühe, Socialreformer und Socialphantasten,
Gesundes und Ungesundes im Socialismus von einander zu
scheiden, das Berechtigte in der Kritik, welche die Socialisten an
der bestehenden Volkswirthschaft vornahmen, zu würdigen, sondern
alle dergleichen nicht convenirende Ansichten wurden unter der
Rubrik „Socialismus und Communismus“ zusammengefaßt, und
die Volkswirthe sprachen darüber ihr anathema sit. Ja, es giebt
im gegenwärtigen Augenblick angesichts der täglich anschwellenden
socialen Bewegung in Deutschland noch Stimmführer politischer
Parteien, welche, an jenem Standpunkte festhaltend, das Ganze
einer vorübergehenden, künstlichen Agitation zuschreiben und mit
der preußischen „Fortschrittspartei“ triumphirend ausrufen: „Der
materielle Verkehr, fast auf allen Gebieten von hemmenden
Schranken befreit, pulsirt in einer Kraft und Lebendigkeit, welche
die Sicherheit gewährt, daß gewiße beunruhigende Erscheinungen
des Augenblicks bald werden überwunden werden.“
Die ganze naturgesetzliche Volkswirthschaftsanschauung der
Manchesterphilosophie thut sich in diesem Satze eines Wahlpro-
grammes kund. Mit beneidenswerther Gemüthsruhe richtet sie
ihren Blick auf den „Nationalreichthum“, der ja wachsen muß,
weil alle Kräfte dazu entfesselt sind. Die ganze sociale Bewe-
gung, und insbesondere der brennendste Punkt in derselben, die
Arbeiterfrage, ist ihr eine „Erscheinung des Augenblicks“, die
unter dem kräftigen Tritt des „materiellen Verkehrs“ bald ver-
nichtet sein wird. Das heißt also entweder annehmen, daß die
Lohnarbeiter die Versuche zur Verbesserung ihrer Lage der Macht
der Kapitalisten gegenüber werden aufgeben müssen, oder leugnen,
und wenn nicht leugnen, so doch übersehen, daß sich durch die
moderne Volkswirthschaft wirklich ein neuer Stand in der Ge-
sellschaft gebildet hat, derjenigen der „freien“ Lohnarbeiter, der
nach einer gesicherten Stellung in ihr ringt und diese auch er-
reichen muß, wenn er nicht eine fortdauernde Drohung und
schließlich ein Zerstörer der socialen Ordnung werden soll.
Und doch tritt dieser neue Stand mit den gemeinsamen
Merkmalen eines solchen so deutlich und unzweifelhaft uns ent-
gegen! Es ist nicht blos, wie manche Optimisten auch heute
noch glauben und glauben machen möchten, eine Erfindung der
Socialisten, sondern in der That das Element, in welchem sich
die Theorien derselben zu Parteibildungen verkörpern konnten
und verkörpert haben, und dessen Lage den Parteigegensatz zu
den Besitzenden nothwendig mit sich bringen mußte. Vergegen-
wärtigen wir uns in aller Kürze diese Erscheinung.
Die wirthschaftliche Gesetzgebung, welche in den Haupt-
staaten des Continents, in England schon früher, allmählich ins
Leben trat, hob sowohl in der Jndustrie, wie in der Landwirth-
schaft die alten Bande, Ueber= und Unterordnungen, welche Ar-
beitsherren und Arbeiter miteinander verknüpften und eine Menge
von rechtlichen Abstufungen zwischen Großbesitzer und besitzlosem
Arbeiter herstellten, auf, es gab wirthschaftlich nur noch Unter-
nehmer und freie Arbeiter. Jn die erstere Klasse rückten die
Besitzer von größeren beweglichen und unbeweglichen Kapitalien
ein, und einzelne glückliche Emporkömmlinge aus dem Arbeiter-
stande gesellten sich zu ihnen; in die zweite kamen die bisher an
die Scholle Gefesselten, die Gesellen und Lehrlinge der Jndustrie,
zum guten Theil auch die kleineren Besitzer resp. Handwerker,
die sich im Concurrenzkampfe nicht selbstständig halten konnten.
Jn England hatte sogar die systemathische Vertreibung kleiner
Landbauern aus ihren Stellen durch die Großgrundbesitzer ein
der aufblühenden Jndustrie sehr willkommenes Proletariat ge-
liefert. Die großen industriellen Erfindungen, welche meist in
England im vorigen Jahrhundert erprobt wurden, schufen die
Fabrikindustrie, diese ließ Fabrikorte entstehen, und hier bei
mächtig zunehmender Produktion und frühem Verdienst, erwuchs
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