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Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 36
[Beginn Spaltensatz] der Diebstahl nur zu oft aus Noth begangen werde und daß
man mit dieser Noth Mitleid haben müsse? Gieb also freiwillig
diese überflüssige Habe hin, da Du doch das Gelübde der Ar-
muth abgelegt hast.

-- Schweig, böswilliger Eremit, der Du unserm Bischofe
zu widersprechen wagst. Wir dürfen die Habe der Kirche
nicht anrühren, sagte eine der Alten, sonst sind wir verdammt in
Ewigkeit.

-- Ja, ja, setzten die beiden Andern hinzu, -- schweige, Du
Eremit.

-- Jhr armen Menschen, die Jhr absichtlich in Unwissenheit
und Verblendung gehalten werdet, sprach Siegfried zu ihnen,
liegt Euch viel an dem Leben Eures Bischofs?

-- Für ihn würden wir tausendfachen Tod erdulden! ant-
worteten die alten Frauen, -- ja, tausendfachen Tod.

-- O ihr frommen Frauen! rief Woldemar jubelnd aus.
Welch' herrlichen Theil des Paradieses werdet Jhr erhalten!
Auch gebe ich Euch schon jetzt Absolution für Eure Sünden und
meinen Segen dazu.

-- Jetzt höret mich, Jhr armen Schafe, die Jhr den Metzger
für den Hirten haltet, rief Siegfried; augenblicklich nehmt von
diese Dingen da, sonst henken wir vor Euern Augen Euern Bi-
schof an diesem Baume auf.

-- Hier ist ein Strick, fiel Wolfszahn eifrig ein und schlang
dem Bischof den Strick um den Hals.

-- Nehmet Alles, nehmet Alles, lieben Töchter, jammerte
der Bischof sich sträubend. Jch beschwöre Euch, ich, Euer Vater
in Christo, befehle Euch, alles dies sofort zu nehmen.

Eine der Alten gehorchte geschwind; die beiden andern blieben
auf den Knieen liegen und sagten:

-- Du willst uns nur prüfen, großer Bischof.

-- Die Heiden wollen mich ja aufknüpfen..

-- Ein so heiliger Mann wie Du fürchtet den Märtyrertod
nicht.

-- Nein, lieben Töchter, den fürchte ich nicht, aber ich fühle,
daß ich zum Heile der mir Anvertrauten noch unentbehrlich bin.
Nehmet also, nehmt, was man Euch bietet, sonst verdamme und
verfluche ich Euch.. Jhr werdet meinen Tod vor dem Herren
am Tage des jüngsten Gerichts verantworten müssen.

-- Heiliger Bischof, Du willst uns prüfen bis zu Ende;
Du selbst hast gesagt: es ist eine Todsünde diese Güter der Kirche
anzunehmen.. Sollen wir eine Todsünde begehen?

-- Nein, nein, setzte die dritte Alte hinzu, die sich mit aller
Kraft an die Brust schlug, Du willst, Du kannst uns eine Tod-
sünde nicht befehlen; Du suchst den Märtyrertod..

-- Und vom Himmel herab wirst Du uns segnen, heiliger
Woldemar, großer heiliger Märtyrer Woldemar!

-- Bischof, hörst Du diese armen Alten? Du erntest, was
Du gesäet hast.. Auf, Wölfe zieht am Strick! Hinauf mit
ihm an den Baum!

-- Der Eremit schritt nochmals ein, um den Prälaten zu
schützen, als einige Landstreicher auf den Wagen sich zufällig um-
sahen und riefen:

-- Dänische Krieger!

-- Es sind sieben bis acht; sie führen mehrere Geknebelte
mit sich, wahrscheinlich Leibeigene! Auf, Wölfe! Tod den Rittern!
Freiheit den Leibeigenen!

-- Tod den Rittern! Freiheit den Leibeigenen! riefen die
Landstreicher und eilten zu den Waffen.

-- Die Dänen werden mich wieder in die Burg des Ritters
führen, jammerte die kleine Gudrun, die an allen Gliedern zitterte.
Siegfried, schütze mich, erbarme Dich meiner!

[Spaltenumbruch]

-- Die Dänen Dich uns wieder abnehmen? Nicht Einer
von ihnen wird am Leben bleiben!

-- Siegfried, keine Unklugheit, fiel der Eremit ein. Diese
Reiter können die Vortruppen einer zahlreichen Schaar sein.
Schicke Du auch ihnen Einige entgegen und behalte die Haupt-
mannschaft hier, verschanzt hinter den Wagen.

-- Mönch, Du hast Recht. Bist Du auch schon im Kriege
gewesen?

-- Ein wenig, hier und da, bei Gelegeuheit, zur Vertheidi-
gung der Schwachen gegen die Starken.

-- Dämsche Krieger! rief auch der Bischof aus, der trium-
phirend die Hände faltete -- Freunde! Verbündete! Jch bin
gerettet. Zu mir, theure Brüder in Christo! Zu mir, meine
Gottes=Söhne, befreit mich aus den Händen der Philister!

Siegfried aber zog plötzlich den Strick an, der noch am
Halse des heiligen Mannes hing, so daß derselbe schweigen
mußte.

-- Bischof, kein unnützes Schreien, sagte der Eremit, --
und Du, Siegfried, Reine Gewaltthat, ich bitte Dich darum. Nimm
dem Manne den Strick vom Halse.

-- Meinetwegen, aber nur, um ihm die Hände zu binden,
und wenn er mir die Ohren noch einmal belästigt, schlage ich ihn
nieder.

-- Die Dänischen Reiter machen Halt bei den Anblicke
der Wagen, rief ein Landstreicher. Sie scheinen zu berath-
schlagen.

-- Wir werden nicht lange Rath halten. Dieser Dänen sind
sieben zu Pferd; sechs Mann mögen mir folgen, und so wahr ich
Siegfried heiße, es soll sogleich sieben Dänische Eroberer weniger
geben.

-- Hier sind wir Sechs. Vorwärts!

Unter diesen sechs Landstreichern war auch der Jäger. Als
die Nonne sah, wie er seine Streitaxt prüfte, stieg sie von dem
Wagen herab, streifte mit funkelndem Blick die Aermel ihres
seidenen Gewandes auf, daß ihre schönen weißen Arme bis an
die Achseln sichtbar wurden, und rief:

-- Ein Schwerdt! Ein Schwert!

-- Was willst Du damit thun, schöne Nonne?

-- Jch kämpfe neben meinem Wolf.. wie unsere Mütter
in alter Zeit.

-- Vorwärts also! Wenn Deine schönen Arme so stark im
Kampfe sind wie in der Liebe, dann wehe den Dänen.

Die Nonne nahm ein Schwerdt wie die Heldinnen in frühe-
rer Zeit und eilte am Arme ihres Jägers dem Feinde entgegen.
Als sie an dem Bischofe vorüber kam, sagte sie zu ihm:

-- Zwölf Jahre lang zwangst Du mich, dem Leben zu flu-
chen; vielleicht sterbe ich.. ich verzeihe Dir.

-- Du verzeihest mir, Schamlose, während Du im Staube
mich um Vergebung für Deine schweren Sünden anflehen solltest?

Woldemar sprach noch, als die Frau mit dem Jäger schon
fern war.

-- Warte auf mich, Gudrun; sind die Dänen getödtet, so
komme ich wieder zu Dir, sagte Siegfried zu dem Mädchen, das
ihn mit beiden Händen zurückhielt und mit den großen, blauen,
thränengefüllten Augen ansah. -- Zittre nicht so, armes Kind.

-- Siegfried flüsterte sie und drückte den Arm des Land-
streichers noch stärker -- ich habe nicht Vater, nicht Mutter; Du
hast mich befreit von dem Ritter und dem Bischof; Du hast ein
gutes Herz und bist mitleidig mit den Armen; Du behandelst
mich wie ein Bruder; ich habe Dich zum erstenmale gesehen und
doch ist es mir, als kennte ich Dich schon lange, lange..

Dann küßte sie die Hände Siegfrieds und setzte leiser, mit
bebenden Lippen hinzu:

[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 36
[Beginn Spaltensatz] der Diebstahl nur zu oft aus Noth begangen werde und daß
man mit dieser Noth Mitleid haben müsse? Gieb also freiwillig
diese überflüssige Habe hin, da Du doch das Gelübde der Ar-
muth abgelegt hast.

— Schweig, böswilliger Eremit, der Du unserm Bischofe
zu widersprechen wagst. Wir dürfen die Habe der Kirche
nicht anrühren, sagte eine der Alten, sonst sind wir verdammt in
Ewigkeit.

— Ja, ja, setzten die beiden Andern hinzu, — schweige, Du
Eremit.

— Jhr armen Menschen, die Jhr absichtlich in Unwissenheit
und Verblendung gehalten werdet, sprach Siegfried zu ihnen,
liegt Euch viel an dem Leben Eures Bischofs?

— Für ihn würden wir tausendfachen Tod erdulden! ant-
worteten die alten Frauen, — ja, tausendfachen Tod.

— O ihr frommen Frauen! rief Woldemar jubelnd aus.
Welch' herrlichen Theil des Paradieses werdet Jhr erhalten!
Auch gebe ich Euch schon jetzt Absolution für Eure Sünden und
meinen Segen dazu.

— Jetzt höret mich, Jhr armen Schafe, die Jhr den Metzger
für den Hirten haltet, rief Siegfried; augenblicklich nehmt von
diese Dingen da, sonst henken wir vor Euern Augen Euern Bi-
schof an diesem Baume auf.

— Hier ist ein Strick, fiel Wolfszahn eifrig ein und schlang
dem Bischof den Strick um den Hals.

— Nehmet Alles, nehmet Alles, lieben Töchter, jammerte
der Bischof sich sträubend. Jch beschwöre Euch, ich, Euer Vater
in Christo, befehle Euch, alles dies sofort zu nehmen.

Eine der Alten gehorchte geschwind; die beiden andern blieben
auf den Knieen liegen und sagten:

— Du willst uns nur prüfen, großer Bischof.

— Die Heiden wollen mich ja aufknüpfen..

— Ein so heiliger Mann wie Du fürchtet den Märtyrertod
nicht.

— Nein, lieben Töchter, den fürchte ich nicht, aber ich fühle,
daß ich zum Heile der mir Anvertrauten noch unentbehrlich bin.
Nehmet also, nehmt, was man Euch bietet, sonst verdamme und
verfluche ich Euch.. Jhr werdet meinen Tod vor dem Herren
am Tage des jüngsten Gerichts verantworten müssen.

— Heiliger Bischof, Du willst uns prüfen bis zu Ende;
Du selbst hast gesagt: es ist eine Todsünde diese Güter der Kirche
anzunehmen.. Sollen wir eine Todsünde begehen?

— Nein, nein, setzte die dritte Alte hinzu, die sich mit aller
Kraft an die Brust schlug, Du willst, Du kannst uns eine Tod-
sünde nicht befehlen; Du suchst den Märtyrertod..

— Und vom Himmel herab wirst Du uns segnen, heiliger
Woldemar, großer heiliger Märtyrer Woldemar!

— Bischof, hörst Du diese armen Alten? Du erntest, was
Du gesäet hast.. Auf, Wölfe zieht am Strick! Hinauf mit
ihm an den Baum!

— Der Eremit schritt nochmals ein, um den Prälaten zu
schützen, als einige Landstreicher auf den Wagen sich zufällig um-
sahen und riefen:

— Dänische Krieger!

— Es sind sieben bis acht; sie führen mehrere Geknebelte
mit sich, wahrscheinlich Leibeigene! Auf, Wölfe! Tod den Rittern!
Freiheit den Leibeigenen!

— Tod den Rittern! Freiheit den Leibeigenen! riefen die
Landstreicher und eilten zu den Waffen.

— Die Dänen werden mich wieder in die Burg des Ritters
führen, jammerte die kleine Gudrun, die an allen Gliedern zitterte.
Siegfried, schütze mich, erbarme Dich meiner!

[Spaltenumbruch]

— Die Dänen Dich uns wieder abnehmen? Nicht Einer
von ihnen wird am Leben bleiben!

— Siegfried, keine Unklugheit, fiel der Eremit ein. Diese
Reiter können die Vortruppen einer zahlreichen Schaar sein.
Schicke Du auch ihnen Einige entgegen und behalte die Haupt-
mannschaft hier, verschanzt hinter den Wagen.

— Mönch, Du hast Recht. Bist Du auch schon im Kriege
gewesen?

— Ein wenig, hier und da, bei Gelegeuheit, zur Vertheidi-
gung der Schwachen gegen die Starken.

— Dämsche Krieger! rief auch der Bischof aus, der trium-
phirend die Hände faltete — Freunde! Verbündete! Jch bin
gerettet. Zu mir, theure Brüder in Christo! Zu mir, meine
Gottes=Söhne, befreit mich aus den Händen der Philister!

Siegfried aber zog plötzlich den Strick an, der noch am
Halse des heiligen Mannes hing, so daß derselbe schweigen
mußte.

— Bischof, kein unnützes Schreien, sagte der Eremit, —
und Du, Siegfried, Reine Gewaltthat, ich bitte Dich darum. Nimm
dem Manne den Strick vom Halse.

— Meinetwegen, aber nur, um ihm die Hände zu binden,
und wenn er mir die Ohren noch einmal belästigt, schlage ich ihn
nieder.

— Die Dänischen Reiter machen Halt bei den Anblicke
der Wagen, rief ein Landstreicher. Sie scheinen zu berath-
schlagen.

— Wir werden nicht lange Rath halten. Dieser Dänen sind
sieben zu Pferd; sechs Mann mögen mir folgen, und so wahr ich
Siegfried heiße, es soll sogleich sieben Dänische Eroberer weniger
geben.

— Hier sind wir Sechs. Vorwärts!

Unter diesen sechs Landstreichern war auch der Jäger. Als
die Nonne sah, wie er seine Streitaxt prüfte, stieg sie von dem
Wagen herab, streifte mit funkelndem Blick die Aermel ihres
seidenen Gewandes auf, daß ihre schönen weißen Arme bis an
die Achseln sichtbar wurden, und rief:

— Ein Schwerdt! Ein Schwert!

— Was willst Du damit thun, schöne Nonne?

— Jch kämpfe neben meinem Wolf.. wie unsere Mütter
in alter Zeit.

— Vorwärts also! Wenn Deine schönen Arme so stark im
Kampfe sind wie in der Liebe, dann wehe den Dänen.

Die Nonne nahm ein Schwerdt wie die Heldinnen in frühe-
rer Zeit und eilte am Arme ihres Jägers dem Feinde entgegen.
Als sie an dem Bischofe vorüber kam, sagte sie zu ihm:

— Zwölf Jahre lang zwangst Du mich, dem Leben zu flu-
chen; vielleicht sterbe ich.. ich verzeihe Dir.

— Du verzeihest mir, Schamlose, während Du im Staube
mich um Vergebung für Deine schweren Sünden anflehen solltest?

Woldemar sprach noch, als die Frau mit dem Jäger schon
fern war.

— Warte auf mich, Gudrun; sind die Dänen getödtet, so
komme ich wieder zu Dir, sagte Siegfried zu dem Mädchen, das
ihn mit beiden Händen zurückhielt und mit den großen, blauen,
thränengefüllten Augen ansah. — Zittre nicht so, armes Kind.

— Siegfried flüsterte sie und drückte den Arm des Land-
streichers noch stärker — ich habe nicht Vater, nicht Mutter; Du
hast mich befreit von dem Ritter und dem Bischof; Du hast ein
gutes Herz und bist mitleidig mit den Armen; Du behandelst
mich wie ein Bruder; ich habe Dich zum erstenmale gesehen und
doch ist es mir, als kennte ich Dich schon lange, lange..

Dann küßte sie die Hände Siegfrieds und setzte leiser, mit
bebenden Lippen hinzu:

[Ende Spaltensatz]
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Auf, Wölfe! Tod den Rittern! Freiheit den Leibeigenen! — Tod den Rittern! Freiheit den Leibeigenen! riefen die Landstreicher und eilten zu den Waffen. — Die Dänen werden mich wieder in die Burg des Ritters führen, jammerte die kleine Gudrun, die an allen Gliedern zitterte. Siegfried, schütze mich, erbarme Dich meiner! — Die Dänen Dich uns wieder abnehmen? Nicht Einer von ihnen wird am Leben bleiben! — Siegfried, keine Unklugheit, fiel der Eremit ein. Diese Reiter können die Vortruppen einer zahlreichen Schaar sein. Schicke Du auch ihnen Einige entgegen und behalte die Haupt- mannschaft hier, verschanzt hinter den Wagen. — Mönch, Du hast Recht. Bist Du auch schon im Kriege gewesen? — Ein wenig, hier und da, bei Gelegeuheit, zur Vertheidi- gung der Schwachen gegen die Starken. — Dämsche Krieger! rief auch der Bischof aus, der trium- phirend die Hände faltete — Freunde! Verbündete! Jch bin gerettet. Zu mir, theure Brüder in Christo! Zu mir, meine Gottes=Söhne, befreit mich aus den Händen der Philister! Siegfried aber zog plötzlich den Strick an, der noch am Halse des heiligen Mannes hing, so daß derselbe schweigen mußte. — Bischof, kein unnützes Schreien, sagte der Eremit, — und Du, Siegfried, Reine Gewaltthat, ich bitte Dich darum. Nimm dem Manne den Strick vom Halse. — Meinetwegen, aber nur, um ihm die Hände zu binden, und wenn er mir die Ohren noch einmal belästigt, schlage ich ihn nieder. — Die Dänischen Reiter machen Halt bei den Anblicke der Wagen, rief ein Landstreicher. Sie scheinen zu berath- schlagen. — Wir werden nicht lange Rath halten. Dieser Dänen sind sieben zu Pferd; sechs Mann mögen mir folgen, und so wahr ich Siegfried heiße, es soll sogleich sieben Dänische Eroberer weniger geben. — Hier sind wir Sechs. Vorwärts! Unter diesen sechs Landstreichern war auch der Jäger. Als die Nonne sah, wie er seine Streitaxt prüfte, stieg sie von dem Wagen herab, streifte mit funkelndem Blick die Aermel ihres seidenen Gewandes auf, daß ihre schönen weißen Arme bis an die Achseln sichtbar wurden, und rief: — Ein Schwerdt! Ein Schwert! — Was willst Du damit thun, schöne Nonne? — Jch kämpfe neben meinem Wolf.. wie unsere Mütter in alter Zeit. — Vorwärts also! Wenn Deine schönen Arme so stark im Kampfe sind wie in der Liebe, dann wehe den Dänen. Die Nonne nahm ein Schwerdt wie die Heldinnen in frühe- rer Zeit und eilte am Arme ihres Jägers dem Feinde entgegen. Als sie an dem Bischofe vorüber kam, sagte sie zu ihm: — Zwölf Jahre lang zwangst Du mich, dem Leben zu flu- chen; vielleicht sterbe ich.. ich verzeihe Dir. — Du verzeihest mir, Schamlose, während Du im Staube mich um Vergebung für Deine schweren Sünden anflehen solltest? Woldemar sprach noch, als die Frau mit dem Jäger schon fern war. — Warte auf mich, Gudrun; sind die Dänen getödtet, so komme ich wieder zu Dir, sagte Siegfried zu dem Mädchen, das ihn mit beiden Händen zurückhielt und mit den großen, blauen, thränengefüllten Augen ansah. — Zittre nicht so, armes Kind. — Siegfried flüsterte sie und drückte den Arm des Land- streichers noch stärker — ich habe nicht Vater, nicht Mutter; Du hast mich befreit von dem Ritter und dem Bischof; Du hast ein gutes Herz und bist mitleidig mit den Armen; Du behandelst mich wie ein Bruder; ich habe Dich zum erstenmale gesehen und doch ist es mir, als kennte ich Dich schon lange, lange.. Dann küßte sie die Hände Siegfrieds und setzte leiser, mit bebenden Lippen hinzu:

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/12>, abgerufen am 01.06.2024.