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Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 57
[Beginn Spaltensatz]

Olaf und einige seiner Leute richteten sich auf und blickten
knieend nach dem Himmel hinauf, um das wunderbare Schauspiel
zu sehen, von dem der Bischof gesprochen hatte; aber statt der
Erzengel mit Flügeln von Azur und Silber sahen sie zufällig
zwei dichtbehaarte Landstreicher, mit dem Bogen in dem Munde,
die gleich Schlangen auf einem großen Baumaste hinkrochen, um
eine Stelle zu erreichen, von wo sie als gute Schützen sicher auf
Olaf und dessen Schaar zielen konnten.

-- Verrath! rief der Ritter, indem er aufsprang und seine
Leute auf die Wipfel der Bäume aufmerksam machte. Verrath!
Landstreicher sind da oben auf den Bäumen versteckt!

-- Wunder! Doppeltes Wunder! rief der Bischof aus. Die
Engel der Vernichtung haben diese Teufel unter der Gestalt von
Landstreichern in die Höhe gehoben, um sie in die tiefste Hölle
hinabzustürzen. Aber die Teufel werden sich im Fallen an diesen
Zweigen angeklammert haben. Wunder! Wunder! Auf, meine
lieben Söhne, vernichtet die Philister!

Kaum hatte der Bischof diese Worte zu Ende gebracht und
sich unter einen der Wagen gerettet, als eine Wolke von Pfeilen
von den Bäumen hinab auf die Leute Olafs flog. Die kecken
Burschen zögerten nicht länger mit dem Kampfe, als sie sich ent-
deckt sahen, und jeder ihrer Pfeile machte eine Wunde.

-- Dir, Ritter Olaf, rief von einem Baume hinunter Sieg-
fried, der beste Schütze unter allen, sendet dies ein Wolf, ein
Angelsachse!

Leider prallte der Pfeil Siegfrieds an dem eisernen Helme
des Ritters ab. Die Landstreicher, welche bis dahin im Dickicht
versteckt gewesen waren, drangen mit lautem Geschrei heraus,
griffen die Schaaren Olafs unerschrocken an, und es entstand ein
wüthendes Handgemenge.

Wer blieb Sieger im Kampfe? Die Wölfe oder die Dänen?

Fast alle Wölfe wurden nach einem erbitterten Gemetzel er-
schlagen. Einige entgingen dem Tode, andere, die zu schwer
verwundet waren, als daß sie hätten fliehen können, blieben ge-
fangen in den Händen Olafs. Unter den letztern war Siegfried.

Und Falke? Und die kleine Gudrun? Und die Nonne?

Auch sie geriethen in Gefangenschaft, ja und alle wurden
in die Burg des dänischen Ritters geführt, während der Bischof
triumphirend mit seinen goldenen und silbernen Gefäßen nach
Schleswig zurückkehrte, begleitet von einer Menge Frommer, die
überall ausriefen:

-- Ruhm unserm heiligen Bischof! Ruhm Woldemar! Er
hat den Ewigen von Angesicht zu Angesicht gesehen.



Die Burg des Ritters Olaf, die mitten in einem sumpfigen
Moore lag, war auf einem Erdaufwurf erbaut, so daß sie den
unermeßlichen Wald weithin überschaute. Zwischen diesem Walde
und der Burg breiteten sich die moorigen Wiesen aus. Die
Herrenwohnung, für den Ritter und seine Leute bestimmt, war
nach dänischer Art gebaut: statt der Mauern ruheten sorgsam
behauene und untereinander verbundene Balken auf breiten Back-
steinunterlagen. Um dieses Holzwerk dauerhafter zu machen,
stiegen hier und da gemauerte Pfeiler bis an das Dach empor,
das aus Sparren bestand, deren Zwischenräume mit Stroh,
Schilf, Moos und Baumrinde fest ausgestopft waren -- ein
Dach, eben so leicht wie für den Regen undurchdringlich. Dies
Gebäude, das ein langes Viereck mit einer großen hölzernen
Vorhalle bildete, stützte sich auf jeder Seite auf andere Gebäude
von Holz, die mit Stroh gedeckt waren und als Küchen, Wasch-
haus, Spinnerei, Arbeitslocale für Schneider, Schuhmacher
dienten. Auch befanden sich da Ställe, die Brauerei und ge-
[Spaltenumbruch] waltige Scheunen mit den Vorräthen für die Pferde und das
andere Vieh.

Jn dem Herrengebäude befand sich die Frauenwohnung für
Ortrun, die fünfte Gemahlin des Ritters -- die zweite und
dritte lebten noch. -- Sie verbrachte ihre Tage traurig, kam
selten heraus und blieb unter ihren Dienerinnen, die näheten
oder webten. An diese Weiberwohnung, zu welcher nur dem
Ritter der Zutritt freistand, stieß eine von Holz gebaute Kapelle.
Unter den Augen seiner Frau wählte er sich da nach dem Trinken
seine zahlreichen Beischläferinnen aus, während seine Kriegs-
mannen je nach ihren Launen, die immer Befriedigung fanden,
mit den Leibeigenen draußen sich begnügten. Die Gesammtheit
dieser Gebäude, wie ein Garten und eine von Bäumen umgebene
Reitbahn, in welcher die kriegerischen Uebungen abgehalten wurden,
war von einem Wall und breiten, mit moorigem Schlamme ge-
füllten Graben umgeben. Es gab nur einen einzigen Eingang
zu dem befestigten Raume. Auf dieser Seite führte ein Damm
bis an den Graben durch das Moor, und es lag eine fliegende
Brücke am Tage über diesem Graben, jeden Abend aber wurde
dieselbe zur Sicherheit, denn der Ritter war mißtrauisch, von dem
Wächter zurückgezogen. Der Graben war so tief mit Torf-
schlamm angefüllt, daß jeder darin versunken wäre, welcher ver-
sucht hätte, hindurchzuwaten. Nicht weit von der Reitbahn und
in ziemlicher Entfernung von den Gebäuden, aber innerhalb des
befestigten Raumes, befand sich, von Backsteinen erbaut, ein
Verließ, eine Art tiefer Grube, in welche die Gefangenen ein-
geschlossen wurden. Siegfried, der Eremit, die schöne Nonne,
die kleine Gudrun und mehrere Landstreicher waren seit einem
Monat in diesem Gefängnisse der Burg eingeschlossen.

War die Lage der Burg nicht gut gewählt? Die Be-
festigungen sicherten sie vor einem Handstreiche. Wollte der
Ritter jagen, so hatte er den Wald so nahe, daß man in der
Burg in den ersten Nächten des Herbstes die brünstigen Hirsche
schreien hören konnte. Es fanden sich Rebhühner in Menge, und
nicht weit davon dienten ungeheure Sümpfe als Aufenthalt der
Reiher. Wollte der Ritter fischen, so fand er in Teichen Hechte,
Karpfen, Barsche und andere Fische genug.

Ach, Ritter Olaf, wie angenehm ist es für Dich, so die
Güter zu genießen, die Dein König mit Hülfe des Schwerdtes
Deines Vaters erobert hat! Jhr, Du und Deines Gleichen, die
Herren dieses durch den Schweiß der Leibeigenen befruchteten
Bodens, lebt in Müssiggang und Trägheit. Trinken, essen, jagen,
spielen, liebeln und jede Woche einmal beichten und communiciren,
darin besteht Dein Lebenslauf, der Lebenslauf der Ritter. Ach,
Ritter Olaf, wie wohl thut es, diese Burg zu bewohnen, welche
von Leibeigenen erbaut worden, die man ihren Feldern, ihrem
Hause, ihren Familien zum Frohndienst entzogen hatte, und die
unter der Zuchtruthe Deiner Bewaffneten auf dem Rücken Holz
aus dem Walde, Steine von den Ziegelbrennereien, Sand aus
den Flüssen herbeischaffen mußten, worauf sie, wenn sie von
Schweiß troffen, vor Hunger fast umkamen und von Anstrengung
ganz erschöpft waren, einige Hände voll Bohnen zur Nahrung
erhielten und auf der feuchten Erde, kaum von einigen Baum-
zweigen geschützt, fchlafen mußten, während früh mit dem Grauen
des Morgens die Langschläfer durch bissige Hunde geweckt wurden.
Ja, diese scharfzahnigen, von den Rittern abgerichteten Hüter
begleiteten die Leibeigenen zur Arbeit, trieben sie zu schnellerem
Laufe an, wenn sie unter schweren Lasten gebeugt, sich hin-
schleppten, und wenn der Elende in seiner Verzweiflung zu ent-
fliehen versuchte, brachten ihn diese klugen Hunde alsbald zu der
Menschenheerde zurück, wie der Fleischerhund einen störrigen
Stier oder Widder zum Stalle treibt.

Die Frauen und Töchter dieser Leibeigenen mußten in der
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 57
[Beginn Spaltensatz]

Olaf und einige seiner Leute richteten sich auf und blickten
knieend nach dem Himmel hinauf, um das wunderbare Schauspiel
zu sehen, von dem der Bischof gesprochen hatte; aber statt der
Erzengel mit Flügeln von Azur und Silber sahen sie zufällig
zwei dichtbehaarte Landstreicher, mit dem Bogen in dem Munde,
die gleich Schlangen auf einem großen Baumaste hinkrochen, um
eine Stelle zu erreichen, von wo sie als gute Schützen sicher auf
Olaf und dessen Schaar zielen konnten.

— Verrath! rief der Ritter, indem er aufsprang und seine
Leute auf die Wipfel der Bäume aufmerksam machte. Verrath!
Landstreicher sind da oben auf den Bäumen versteckt!

— Wunder! Doppeltes Wunder! rief der Bischof aus. Die
Engel der Vernichtung haben diese Teufel unter der Gestalt von
Landstreichern in die Höhe gehoben, um sie in die tiefste Hölle
hinabzustürzen. Aber die Teufel werden sich im Fallen an diesen
Zweigen angeklammert haben. Wunder! Wunder! Auf, meine
lieben Söhne, vernichtet die Philister!

Kaum hatte der Bischof diese Worte zu Ende gebracht und
sich unter einen der Wagen gerettet, als eine Wolke von Pfeilen
von den Bäumen hinab auf die Leute Olafs flog. Die kecken
Burschen zögerten nicht länger mit dem Kampfe, als sie sich ent-
deckt sahen, und jeder ihrer Pfeile machte eine Wunde.

— Dir, Ritter Olaf, rief von einem Baume hinunter Sieg-
fried, der beste Schütze unter allen, sendet dies ein Wolf, ein
Angelsachse!

Leider prallte der Pfeil Siegfrieds an dem eisernen Helme
des Ritters ab. Die Landstreicher, welche bis dahin im Dickicht
versteckt gewesen waren, drangen mit lautem Geschrei heraus,
griffen die Schaaren Olafs unerschrocken an, und es entstand ein
wüthendes Handgemenge.

Wer blieb Sieger im Kampfe? Die Wölfe oder die Dänen?

Fast alle Wölfe wurden nach einem erbitterten Gemetzel er-
schlagen. Einige entgingen dem Tode, andere, die zu schwer
verwundet waren, als daß sie hätten fliehen können, blieben ge-
fangen in den Händen Olafs. Unter den letztern war Siegfried.

Und Falke? Und die kleine Gudrun? Und die Nonne?

Auch sie geriethen in Gefangenschaft, ja und alle wurden
in die Burg des dänischen Ritters geführt, während der Bischof
triumphirend mit seinen goldenen und silbernen Gefäßen nach
Schleswig zurückkehrte, begleitet von einer Menge Frommer, die
überall ausriefen:

— Ruhm unserm heiligen Bischof! Ruhm Woldemar! Er
hat den Ewigen von Angesicht zu Angesicht gesehen.



Die Burg des Ritters Olaf, die mitten in einem sumpfigen
Moore lag, war auf einem Erdaufwurf erbaut, so daß sie den
unermeßlichen Wald weithin überschaute. Zwischen diesem Walde
und der Burg breiteten sich die moorigen Wiesen aus. Die
Herrenwohnung, für den Ritter und seine Leute bestimmt, war
nach dänischer Art gebaut: statt der Mauern ruheten sorgsam
behauene und untereinander verbundene Balken auf breiten Back-
steinunterlagen. Um dieses Holzwerk dauerhafter zu machen,
stiegen hier und da gemauerte Pfeiler bis an das Dach empor,
das aus Sparren bestand, deren Zwischenräume mit Stroh,
Schilf, Moos und Baumrinde fest ausgestopft waren — ein
Dach, eben so leicht wie für den Regen undurchdringlich. Dies
Gebäude, das ein langes Viereck mit einer großen hölzernen
Vorhalle bildete, stützte sich auf jeder Seite auf andere Gebäude
von Holz, die mit Stroh gedeckt waren und als Küchen, Wasch-
haus, Spinnerei, Arbeitslocale für Schneider, Schuhmacher
dienten. Auch befanden sich da Ställe, die Brauerei und ge-
[Spaltenumbruch] waltige Scheunen mit den Vorräthen für die Pferde und das
andere Vieh.

Jn dem Herrengebäude befand sich die Frauenwohnung für
Ortrun, die fünfte Gemahlin des Ritters — die zweite und
dritte lebten noch. — Sie verbrachte ihre Tage traurig, kam
selten heraus und blieb unter ihren Dienerinnen, die näheten
oder webten. An diese Weiberwohnung, zu welcher nur dem
Ritter der Zutritt freistand, stieß eine von Holz gebaute Kapelle.
Unter den Augen seiner Frau wählte er sich da nach dem Trinken
seine zahlreichen Beischläferinnen aus, während seine Kriegs-
mannen je nach ihren Launen, die immer Befriedigung fanden,
mit den Leibeigenen draußen sich begnügten. Die Gesammtheit
dieser Gebäude, wie ein Garten und eine von Bäumen umgebene
Reitbahn, in welcher die kriegerischen Uebungen abgehalten wurden,
war von einem Wall und breiten, mit moorigem Schlamme ge-
füllten Graben umgeben. Es gab nur einen einzigen Eingang
zu dem befestigten Raume. Auf dieser Seite führte ein Damm
bis an den Graben durch das Moor, und es lag eine fliegende
Brücke am Tage über diesem Graben, jeden Abend aber wurde
dieselbe zur Sicherheit, denn der Ritter war mißtrauisch, von dem
Wächter zurückgezogen. Der Graben war so tief mit Torf-
schlamm angefüllt, daß jeder darin versunken wäre, welcher ver-
sucht hätte, hindurchzuwaten. Nicht weit von der Reitbahn und
in ziemlicher Entfernung von den Gebäuden, aber innerhalb des
befestigten Raumes, befand sich, von Backsteinen erbaut, ein
Verließ, eine Art tiefer Grube, in welche die Gefangenen ein-
geschlossen wurden. Siegfried, der Eremit, die schöne Nonne,
die kleine Gudrun und mehrere Landstreicher waren seit einem
Monat in diesem Gefängnisse der Burg eingeschlossen.

War die Lage der Burg nicht gut gewählt? Die Be-
festigungen sicherten sie vor einem Handstreiche. Wollte der
Ritter jagen, so hatte er den Wald so nahe, daß man in der
Burg in den ersten Nächten des Herbstes die brünstigen Hirsche
schreien hören konnte. Es fanden sich Rebhühner in Menge, und
nicht weit davon dienten ungeheure Sümpfe als Aufenthalt der
Reiher. Wollte der Ritter fischen, so fand er in Teichen Hechte,
Karpfen, Barsche und andere Fische genug.

Ach, Ritter Olaf, wie angenehm ist es für Dich, so die
Güter zu genießen, die Dein König mit Hülfe des Schwerdtes
Deines Vaters erobert hat! Jhr, Du und Deines Gleichen, die
Herren dieses durch den Schweiß der Leibeigenen befruchteten
Bodens, lebt in Müssiggang und Trägheit. Trinken, essen, jagen,
spielen, liebeln und jede Woche einmal beichten und communiciren,
darin besteht Dein Lebenslauf, der Lebenslauf der Ritter. Ach,
Ritter Olaf, wie wohl thut es, diese Burg zu bewohnen, welche
von Leibeigenen erbaut worden, die man ihren Feldern, ihrem
Hause, ihren Familien zum Frohndienst entzogen hatte, und die
unter der Zuchtruthe Deiner Bewaffneten auf dem Rücken Holz
aus dem Walde, Steine von den Ziegelbrennereien, Sand aus
den Flüssen herbeischaffen mußten, worauf sie, wenn sie von
Schweiß troffen, vor Hunger fast umkamen und von Anstrengung
ganz erschöpft waren, einige Hände voll Bohnen zur Nahrung
erhielten und auf der feuchten Erde, kaum von einigen Baum-
zweigen geschützt, fchlafen mußten, während früh mit dem Grauen
des Morgens die Langschläfer durch bissige Hunde geweckt wurden.
Ja, diese scharfzahnigen, von den Rittern abgerichteten Hüter
begleiteten die Leibeigenen zur Arbeit, trieben sie zu schnellerem
Laufe an, wenn sie unter schweren Lasten gebeugt, sich hin-
schleppten, und wenn der Elende in seiner Verzweiflung zu ent-
fliehen versuchte, brachten ihn diese klugen Hunde alsbald zu der
Menschenheerde zurück, wie der Fleischerhund einen störrigen
Stier oder Widder zum Stalle treibt.

Die Frauen und Töchter dieser Leibeigenen mußten in der
[Ende Spaltensatz]

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Die Herrenwohnung, für den Ritter und seine Leute bestimmt, war nach dänischer Art gebaut: statt der Mauern ruheten sorgsam behauene und untereinander verbundene Balken auf breiten Back- steinunterlagen. Um dieses Holzwerk dauerhafter zu machen, stiegen hier und da gemauerte Pfeiler bis an das Dach empor, das aus Sparren bestand, deren Zwischenräume mit Stroh, Schilf, Moos und Baumrinde fest ausgestopft waren — ein Dach, eben so leicht wie für den Regen undurchdringlich. Dies Gebäude, das ein langes Viereck mit einer großen hölzernen Vorhalle bildete, stützte sich auf jeder Seite auf andere Gebäude von Holz, die mit Stroh gedeckt waren und als Küchen, Wasch- haus, Spinnerei, Arbeitslocale für Schneider, Schuhmacher dienten. Auch befanden sich da Ställe, die Brauerei und ge- waltige Scheunen mit den Vorräthen für die Pferde und das andere Vieh. Jn dem Herrengebäude befand sich die Frauenwohnung für Ortrun, die fünfte Gemahlin des Ritters — die zweite und dritte lebten noch. — Sie verbrachte ihre Tage traurig, kam selten heraus und blieb unter ihren Dienerinnen, die näheten oder webten. An diese Weiberwohnung, zu welcher nur dem Ritter der Zutritt freistand, stieß eine von Holz gebaute Kapelle. Unter den Augen seiner Frau wählte er sich da nach dem Trinken seine zahlreichen Beischläferinnen aus, während seine Kriegs- mannen je nach ihren Launen, die immer Befriedigung fanden, mit den Leibeigenen draußen sich begnügten. Die Gesammtheit dieser Gebäude, wie ein Garten und eine von Bäumen umgebene Reitbahn, in welcher die kriegerischen Uebungen abgehalten wurden, war von einem Wall und breiten, mit moorigem Schlamme ge- füllten Graben umgeben. Es gab nur einen einzigen Eingang zu dem befestigten Raume. Auf dieser Seite führte ein Damm bis an den Graben durch das Moor, und es lag eine fliegende Brücke am Tage über diesem Graben, jeden Abend aber wurde dieselbe zur Sicherheit, denn der Ritter war mißtrauisch, von dem Wächter zurückgezogen. Der Graben war so tief mit Torf- schlamm angefüllt, daß jeder darin versunken wäre, welcher ver- sucht hätte, hindurchzuwaten. Nicht weit von der Reitbahn und in ziemlicher Entfernung von den Gebäuden, aber innerhalb des befestigten Raumes, befand sich, von Backsteinen erbaut, ein Verließ, eine Art tiefer Grube, in welche die Gefangenen ein- geschlossen wurden. Siegfried, der Eremit, die schöne Nonne, die kleine Gudrun und mehrere Landstreicher waren seit einem Monat in diesem Gefängnisse der Burg eingeschlossen. War die Lage der Burg nicht gut gewählt? Die Be- festigungen sicherten sie vor einem Handstreiche. Wollte der Ritter jagen, so hatte er den Wald so nahe, daß man in der Burg in den ersten Nächten des Herbstes die brünstigen Hirsche schreien hören konnte. Es fanden sich Rebhühner in Menge, und nicht weit davon dienten ungeheure Sümpfe als Aufenthalt der Reiher. Wollte der Ritter fischen, so fand er in Teichen Hechte, Karpfen, Barsche und andere Fische genug. Ach, Ritter Olaf, wie angenehm ist es für Dich, so die Güter zu genießen, die Dein König mit Hülfe des Schwerdtes Deines Vaters erobert hat! Jhr, Du und Deines Gleichen, die Herren dieses durch den Schweiß der Leibeigenen befruchteten Bodens, lebt in Müssiggang und Trägheit. Trinken, essen, jagen, spielen, liebeln und jede Woche einmal beichten und communiciren, darin besteht Dein Lebenslauf, der Lebenslauf der Ritter. Ach, Ritter Olaf, wie wohl thut es, diese Burg zu bewohnen, welche von Leibeigenen erbaut worden, die man ihren Feldern, ihrem Hause, ihren Familien zum Frohndienst entzogen hatte, und die unter der Zuchtruthe Deiner Bewaffneten auf dem Rücken Holz aus dem Walde, Steine von den Ziegelbrennereien, Sand aus den Flüssen herbeischaffen mußten, worauf sie, wenn sie von Schweiß troffen, vor Hunger fast umkamen und von Anstrengung ganz erschöpft waren, einige Hände voll Bohnen zur Nahrung erhielten und auf der feuchten Erde, kaum von einigen Baum- zweigen geschützt, fchlafen mußten, während früh mit dem Grauen des Morgens die Langschläfer durch bissige Hunde geweckt wurden. Ja, diese scharfzahnigen, von den Rittern abgerichteten Hüter begleiteten die Leibeigenen zur Arbeit, trieben sie zu schnellerem Laufe an, wenn sie unter schweren Lasten gebeugt, sich hin- schleppten, und wenn der Elende in seiner Verzweiflung zu ent- fliehen versuchte, brachten ihn diese klugen Hunde alsbald zu der Menschenheerde zurück, wie der Fleischerhund einen störrigen Stier oder Widder zum Stalle treibt. Die Frauen und Töchter dieser Leibeigenen mußten in der

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social03_1873/9>, abgerufen am 21.11.2024.