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Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 85
[Beginn Spaltensatz]

-- Glaubst Du, daß er den Antrag ausschlagen würde,
wenn man nach seiner Verurtheilung zu ihm sagte: Du sollst
begnadigt werden, wenn Du sofort Jemanden ermordest, und
nach der That sind überdies zwanzig Goldgulden Dein? Welcher
Räuber würde das ausschlagen?

-- Kanut, dieser verteufelte Siegfried, hat mit seiner Schaar
neun meiner tapfersten Leute getödtet; sie haben das Schloß des
Bischofs geplündert und in Brand gesteckt, das ich auf meine
Kosten wieder aufbauen muß, wie mir der Ewige mit seinem
eigenen Munde verkündigt hat, und so wahr der große St.
Martin im Paradiese ist, dieser Landstreicher entgeht der ihm
gebührenden Strafe nicht.

-- Wer sagt Dir das?

-- Du willst ihn begnadigen, damit..

-- Aber, siehst Du denn nicht ein, Olaf, wenn der Land-
streicher den Mord vollbracht hat, zählen wir ihm nicht zwanzig
Goldpfennige vor=, sondern hundert Hiebe mit einer Eisenstange
hinten auf und lassen ihn dann viertheilen?.. Das giebt
etwas zu lachen für Dich.

-- Hi! hi! hi! Dieser Esel wird glauben, zwanzig Gold-
gulden zu empfangen, und erhält hundert Hiebe.

-- Die entschlossenen Leute sind selten. Wenn der Land-
streicher die Sache zu einem guten Ende führt, werden nach acht
Tagen meine vier Brüder todt sein, und ihr Tod sichert das Ge-
lingen meiner Pläne. Es ist also so gut Dein Jnteresse wie das
meinige, ihn zu gebrauchen.

-- Aber der Bischof, der hierher kommt, um sich an der
Hinrichtung des Landstreichers zu weiden und unsere Pläne nicht
kennt, wird in die Begnadigung dieses Siegfried nicht willigen.

-- Er wird sich über die Flucht des Landstreichers trösten,
wenn er die Nonne braten und den Eremiten hinrichten sieht,
den er nicht weniger haßt als den Siegfried.

-- Und wenn der Landstreicher den Mord verspricht und ihn
nicht vollbringt?

-- Und das Gold, das er dafür zu erhalten glaubt?

-- Richtig. Aber wie ist seine Flucht zu begünstigen?

-- Kannst Du Dein Maal in zwei Stunden versammeln?

-- Ja.

-- Das Gericht heute und die Hinrichtung morgen; da-
zwischen liegt für uns die Nacht; während der Bischof schläft,
lässest Du den Landstreicher aus dem Kerker heraus und bringst
ihn zu Sparre. Das Uebrige ist meine Sache, und.. dann
sagen wir dem Bischofe: der Landstreicher ist entflohen.

-- Hi! hi!

-- Worüber lachst Du?

-- Darüber, wie der Kerl sich wundern wird, wenn er statt
des Geldes Hiebe bekommt.

-- Du siehst, Deine Rache verliert nichts dabei, unsere
Pläne aber werden gesichert, denn wenn ich nicht bald einen
vierten Mann fände, der so entschlossen ist, wie dieser Siegfried,
so bliebe ein Bruder am Leben, und ein Bruder kann so gut
wie vier auf das Reich meines Vaters Anspruch machen. Sind
wir also über die Flucht des Landstreichers einig?

-- Ja, und nach zwei Stunden wird das Gericht ver-
sammelt sein.

-- Lebe wohl, Ritter Olaf, bald bist Du Einer der Reich-
sten und Mächtigsten unter den dänischen Herren durch die
Freundschaft Kanuts, des Königs von ganz Dänemark.



Der Regen fällt, der Wind pfeift, das Meer grollt in der
Ferne und bricht sich an den Deichen des Dithmarsenlandes.
Es ist Nacht; das Vieh ist in den Gehegen eingeschlossen, die
[Spaltenumbruch] wegen der herumschweifenden Wölfe gemacht sind; ein großes
Feuer flammt auf dem Heerde eines Bauernhauses; der alte Jens
setzt sich auf seinen Lehnstuhl neben dem Feuer. An ihn schmiegt
sich sein großer Hund. Er strickt an einem Fischnetze. Sein
Sohn Jensen glüht eine Pflugschar aus, dessen Kinder sitzen da-
neben, Kord arbeitet an einem neuen Geschirr. Gerd schärft
auf einem Steine die Spitze seiner Pfeile.. Der Sturm wird
wohl bis zum Morgen und länger dauern, denn die Sonne ist
ganz roth untergegangen hinter den schwarzen Wolken, welche die
Halligen wie Nebel umhüllen. Wenn die Sonne so untergeht
und der Wind aus Westen weht, hält der Sturm zwei, drei,
bisweilen vier oder fünf Tage an. Am nächsten Morgen wird
demnach Gerd auf die Mövenjagd gehen, die das besondere Ver-
gnügen dieses Jungen ist.

Das Meer grollt in der Ferne wie Donner, der Wind stürmt,
als wolle er das Haus umstürzen und der Regen fällt durch den
Schornstein herein. Grolle nur Sturm, blase du Meereswind,
falle du Regen. Wie angenehm ist es, den Orkan brüllen zu
hören, wenn man mit seiner Familie um ein flammendes Feuer
im Hause sitzt!

Und die jungen Burschen und ihre Schwester flüstern von
Dingen, die sie abwechselnd zum Aufschreien und zum Lachen
treiben, denn man könnte bei dem Sturm wohl sagen, daß sich
alle Feen und Kobolde nach Dithmarsen geflüchtet haben.

Der Knabe Kord beginnt kopfschüttelnd also:

-- Ein verirrter Reisender, der diese Nacht am Seestrande
verbrächte, würde die Hämmer der Kobolde stärker schlagen hören,
als ihm lieb wäre..

-- Ja, die Hämmer, die im Takt fallen, während die
Hämmerer des Teufels ihr Lied singen.

-- Wie gefährlich sind doch diese Zwerge, die kaum zwei
Fuß groß! Jch sehe sie ordentlich vor mir mit ihren alten Ge-
sichtern, ihren Katzenklauen, ihren Bockfüßen und blitzenden Augen.
Man schandert, wenn man nur daran denkt.

-- Sieh Dich vor, Schwester, es steckt hier Einer unter
der Bank.

-- Es ist sehr unvorsichtig, Bruder Gerd, so zu spötteln.
Die Kobolde sind rachsüchtig.. ich zittere schon, und beinahe
hätte ich die Schüssel fallen lassen.

-- Wenn mir einmal eine Gesellschaft solcher Männchen in
den Weg käme, würde ich mir zwei oder drei Paar haschen, mit
den Beinen zusammenbinden und sie dann in Sumpf oder Teich
tragen.

-- Du fürchtest Dich aber auch vor gar nichts, Gerd.

-- Kinder, welcher Sturm, welche Nacht!

-- Eine gute Nacht für die kleinen Kobolde, Mutter; sie
lieben den Sturm und das Dunkel; schlimm aber ist sie für die
niedlichen kleinen Elfen, welche nur liebliche Mainächte gern
haben..

-- Jch fürchte mich gewiß sehr vor den kleinen schwarzen
Kobolden mit ihren Klauen, aber noch mehr würde ich mich fürch-
ten, wenn ich einmal an einer einsamen Quelle eine zwei Fuß
hohe Elfe träfe, die ihr blondes Haar kämmt, auf das sie so eitel
sind, wenn sie sich im klaren Wasser betrachten.

-- Vor diesen hübschen kleinen Elfen fürchtest Du Dich,
Bruder Kord? Jch habe mir im Gegentheil oft Mühe gegeben,
einmal eine zu sehen. Sie sollen sich an der Quelle im dichtesten
Eichenwalde versammeln. Dreimal bin ich dahin gegangen und
dreimal habe ich -- nichts gesehen.

-- Ein Glück für Dich, daß Du nichts gesehen hast, Gerd.

-- Mein Leben gäbe ich darum, wenn ich einmal einer Elfe
begegnete.

-- Gerd, sprich doch in solcher Sturmnacht keine so läster-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 85
[Beginn Spaltensatz]

— Glaubst Du, daß er den Antrag ausschlagen würde,
wenn man nach seiner Verurtheilung zu ihm sagte: Du sollst
begnadigt werden, wenn Du sofort Jemanden ermordest, und
nach der That sind überdies zwanzig Goldgulden Dein? Welcher
Räuber würde das ausschlagen?

— Kanut, dieser verteufelte Siegfried, hat mit seiner Schaar
neun meiner tapfersten Leute getödtet; sie haben das Schloß des
Bischofs geplündert und in Brand gesteckt, das ich auf meine
Kosten wieder aufbauen muß, wie mir der Ewige mit seinem
eigenen Munde verkündigt hat, und so wahr der große St.
Martin im Paradiese ist, dieser Landstreicher entgeht der ihm
gebührenden Strafe nicht.

— Wer sagt Dir das?

— Du willst ihn begnadigen, damit..

— Aber, siehst Du denn nicht ein, Olaf, wenn der Land-
streicher den Mord vollbracht hat, zählen wir ihm nicht zwanzig
Goldpfennige vor=, sondern hundert Hiebe mit einer Eisenstange
hinten auf und lassen ihn dann viertheilen?.. Das giebt
etwas zu lachen für Dich.

— Hi! hi! hi! Dieser Esel wird glauben, zwanzig Gold-
gulden zu empfangen, und erhält hundert Hiebe.

— Die entschlossenen Leute sind selten. Wenn der Land-
streicher die Sache zu einem guten Ende führt, werden nach acht
Tagen meine vier Brüder todt sein, und ihr Tod sichert das Ge-
lingen meiner Pläne. Es ist also so gut Dein Jnteresse wie das
meinige, ihn zu gebrauchen.

— Aber der Bischof, der hierher kommt, um sich an der
Hinrichtung des Landstreichers zu weiden und unsere Pläne nicht
kennt, wird in die Begnadigung dieses Siegfried nicht willigen.

— Er wird sich über die Flucht des Landstreichers trösten,
wenn er die Nonne braten und den Eremiten hinrichten sieht,
den er nicht weniger haßt als den Siegfried.

— Und wenn der Landstreicher den Mord verspricht und ihn
nicht vollbringt?

— Und das Gold, das er dafür zu erhalten glaubt?

— Richtig. Aber wie ist seine Flucht zu begünstigen?

— Kannst Du Dein Maal in zwei Stunden versammeln?

— Ja.

— Das Gericht heute und die Hinrichtung morgen; da-
zwischen liegt für uns die Nacht; während der Bischof schläft,
lässest Du den Landstreicher aus dem Kerker heraus und bringst
ihn zu Sparre. Das Uebrige ist meine Sache, und.. dann
sagen wir dem Bischofe: der Landstreicher ist entflohen.

— Hi! hi!

— Worüber lachst Du?

— Darüber, wie der Kerl sich wundern wird, wenn er statt
des Geldes Hiebe bekommt.

— Du siehst, Deine Rache verliert nichts dabei, unsere
Pläne aber werden gesichert, denn wenn ich nicht bald einen
vierten Mann fände, der so entschlossen ist, wie dieser Siegfried,
so bliebe ein Bruder am Leben, und ein Bruder kann so gut
wie vier auf das Reich meines Vaters Anspruch machen. Sind
wir also über die Flucht des Landstreichers einig?

— Ja, und nach zwei Stunden wird das Gericht ver-
sammelt sein.

— Lebe wohl, Ritter Olaf, bald bist Du Einer der Reich-
sten und Mächtigsten unter den dänischen Herren durch die
Freundschaft Kanuts, des Königs von ganz Dänemark.



Der Regen fällt, der Wind pfeift, das Meer grollt in der
Ferne und bricht sich an den Deichen des Dithmarsenlandes.
Es ist Nacht; das Vieh ist in den Gehegen eingeschlossen, die
[Spaltenumbruch] wegen der herumschweifenden Wölfe gemacht sind; ein großes
Feuer flammt auf dem Heerde eines Bauernhauses; der alte Jens
setzt sich auf seinen Lehnstuhl neben dem Feuer. An ihn schmiegt
sich sein großer Hund. Er strickt an einem Fischnetze. Sein
Sohn Jensen glüht eine Pflugschar aus, dessen Kinder sitzen da-
neben, Kord arbeitet an einem neuen Geschirr. Gerd schärft
auf einem Steine die Spitze seiner Pfeile.. Der Sturm wird
wohl bis zum Morgen und länger dauern, denn die Sonne ist
ganz roth untergegangen hinter den schwarzen Wolken, welche die
Halligen wie Nebel umhüllen. Wenn die Sonne so untergeht
und der Wind aus Westen weht, hält der Sturm zwei, drei,
bisweilen vier oder fünf Tage an. Am nächsten Morgen wird
demnach Gerd auf die Mövenjagd gehen, die das besondere Ver-
gnügen dieses Jungen ist.

Das Meer grollt in der Ferne wie Donner, der Wind stürmt,
als wolle er das Haus umstürzen und der Regen fällt durch den
Schornstein herein. Grolle nur Sturm, blase du Meereswind,
falle du Regen. Wie angenehm ist es, den Orkan brüllen zu
hören, wenn man mit seiner Familie um ein flammendes Feuer
im Hause sitzt!

Und die jungen Burschen und ihre Schwester flüstern von
Dingen, die sie abwechselnd zum Aufschreien und zum Lachen
treiben, denn man könnte bei dem Sturm wohl sagen, daß sich
alle Feen und Kobolde nach Dithmarsen geflüchtet haben.

Der Knabe Kord beginnt kopfschüttelnd also:

— Ein verirrter Reisender, der diese Nacht am Seestrande
verbrächte, würde die Hämmer der Kobolde stärker schlagen hören,
als ihm lieb wäre..

— Ja, die Hämmer, die im Takt fallen, während die
Hämmerer des Teufels ihr Lied singen.

— Wie gefährlich sind doch diese Zwerge, die kaum zwei
Fuß groß! Jch sehe sie ordentlich vor mir mit ihren alten Ge-
sichtern, ihren Katzenklauen, ihren Bockfüßen und blitzenden Augen.
Man schandert, wenn man nur daran denkt.

— Sieh Dich vor, Schwester, es steckt hier Einer unter
der Bank.

— Es ist sehr unvorsichtig, Bruder Gerd, so zu spötteln.
Die Kobolde sind rachsüchtig.. ich zittere schon, und beinahe
hätte ich die Schüssel fallen lassen.

— Wenn mir einmal eine Gesellschaft solcher Männchen in
den Weg käme, würde ich mir zwei oder drei Paar haschen, mit
den Beinen zusammenbinden und sie dann in Sumpf oder Teich
tragen.

— Du fürchtest Dich aber auch vor gar nichts, Gerd.

— Kinder, welcher Sturm, welche Nacht!

— Eine gute Nacht für die kleinen Kobolde, Mutter; sie
lieben den Sturm und das Dunkel; schlimm aber ist sie für die
niedlichen kleinen Elfen, welche nur liebliche Mainächte gern
haben..

— Jch fürchte mich gewiß sehr vor den kleinen schwarzen
Kobolden mit ihren Klauen, aber noch mehr würde ich mich fürch-
ten, wenn ich einmal an einer einsamen Quelle eine zwei Fuß
hohe Elfe träfe, die ihr blondes Haar kämmt, auf das sie so eitel
sind, wenn sie sich im klaren Wasser betrachten.

— Vor diesen hübschen kleinen Elfen fürchtest Du Dich,
Bruder Kord? Jch habe mir im Gegentheil oft Mühe gegeben,
einmal eine zu sehen. Sie sollen sich an der Quelle im dichtesten
Eichenwalde versammeln. Dreimal bin ich dahin gegangen und
dreimal habe ich — nichts gesehen.

— Ein Glück für Dich, daß Du nichts gesehen hast, Gerd.

— Mein Leben gäbe ich darum, wenn ich einmal einer Elfe
begegnete.

— Gerd, sprich doch in solcher Sturmnacht keine so läster-
[Ende Spaltensatz]

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Der Sturm wird wohl bis zum Morgen und länger dauern, denn die Sonne ist ganz roth untergegangen hinter den schwarzen Wolken, welche die Halligen wie Nebel umhüllen. Wenn die Sonne so untergeht und der Wind aus Westen weht, hält der Sturm zwei, drei, bisweilen vier oder fünf Tage an. Am nächsten Morgen wird demnach Gerd auf die Mövenjagd gehen, die das besondere Ver- gnügen dieses Jungen ist. Das Meer grollt in der Ferne wie Donner, der Wind stürmt, als wolle er das Haus umstürzen und der Regen fällt durch den Schornstein herein. Grolle nur Sturm, blase du Meereswind, falle du Regen. Wie angenehm ist es, den Orkan brüllen zu hören, wenn man mit seiner Familie um ein flammendes Feuer im Hause sitzt! Und die jungen Burschen und ihre Schwester flüstern von Dingen, die sie abwechselnd zum Aufschreien und zum Lachen treiben, denn man könnte bei dem Sturm wohl sagen, daß sich alle Feen und Kobolde nach Dithmarsen geflüchtet haben. Der Knabe Kord beginnt kopfschüttelnd also: — Ein verirrter Reisender, der diese Nacht am Seestrande verbrächte, würde die Hämmer der Kobolde stärker schlagen hören, als ihm lieb wäre.. — Ja, die Hämmer, die im Takt fallen, während die Hämmerer des Teufels ihr Lied singen. — Wie gefährlich sind doch diese Zwerge, die kaum zwei Fuß groß! Jch sehe sie ordentlich vor mir mit ihren alten Ge- sichtern, ihren Katzenklauen, ihren Bockfüßen und blitzenden Augen. Man schandert, wenn man nur daran denkt. — Sieh Dich vor, Schwester, es steckt hier Einer unter der Bank. — Es ist sehr unvorsichtig, Bruder Gerd, so zu spötteln. Die Kobolde sind rachsüchtig.. ich zittere schon, und beinahe hätte ich die Schüssel fallen lassen. — Wenn mir einmal eine Gesellschaft solcher Männchen in den Weg käme, würde ich mir zwei oder drei Paar haschen, mit den Beinen zusammenbinden und sie dann in Sumpf oder Teich tragen. — Du fürchtest Dich aber auch vor gar nichts, Gerd. — Kinder, welcher Sturm, welche Nacht! — Eine gute Nacht für die kleinen Kobolde, Mutter; sie lieben den Sturm und das Dunkel; schlimm aber ist sie für die niedlichen kleinen Elfen, welche nur liebliche Mainächte gern haben.. — Jch fürchte mich gewiß sehr vor den kleinen schwarzen Kobolden mit ihren Klauen, aber noch mehr würde ich mich fürch- ten, wenn ich einmal an einer einsamen Quelle eine zwei Fuß hohe Elfe träfe, die ihr blondes Haar kämmt, auf das sie so eitel sind, wenn sie sich im klaren Wasser betrachten. — Vor diesen hübschen kleinen Elfen fürchtest Du Dich, Bruder Kord? Jch habe mir im Gegentheil oft Mühe gegeben, einmal eine zu sehen. Sie sollen sich an der Quelle im dichtesten Eichenwalde versammeln. Dreimal bin ich dahin gegangen und dreimal habe ich — nichts gesehen. — Ein Glück für Dich, daß Du nichts gesehen hast, Gerd. — Mein Leben gäbe ich darum, wenn ich einmal einer Elfe begegnete. — Gerd, sprich doch in solcher Sturmnacht keine so läster-

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/13>, abgerufen am 01.06.2024.