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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, [Nr. 1]. Berlin, 4. Juli 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 146
[Beginn Spaltensatz]
Die Verkürzung der Arbeitszeit,

die Herabsetzung der regelmäßigen täglichen Arbeitsstunden
überall -- dies zu bewirken, ist eine Hauptaufgabe der
Arbeiterbewegung.

Man muß sich klar machen, daß die Verkürzung der
Arbeitszeit ein Punkt von höchster social=politischer Be-
deutung ist.

Die herrschende Schule der Oekonomie in allen ihren
hervorragenden wissenschaftlichen Vertretern ist in der Er-
kenntniß des Lohngesetzes, welches in der heutigen Ge-
sellschaft herrscht, vollständig einig und der Widerspruch
einiger unwissenden Zeitungszwerge kann hieran natürlich
nichts ändern. Dieses Lohngesetz aber, welches Lassalle als
ein ehernes bezeichnet hat, besagt: daß der Arbeitslohn
durchschnittlich und auf die Länge den Arbeitern uicht mehr
einbringt, als gewohnheitsmäßig bei einem Volke zur
Fristung des Lebens und zur Fortpflanzung der Arbeiter-
klasse durchaus erforderlich ist.

Entwickeln wir auf Grundlage dieses Gesetzes die hohe
Bedeutung, welche die Verkürzung der regelmäßigen Ar-
beitszeit für die socialistische Bewegung hat.

Die heutige Gesetzgebung ist nichts weiter als die
staatliche Anerkennung und Regelung der jetzigen Pro-
duktionsweise. Diese aber vollzieht sich in der Art, daß
die Klasse der Kapitalbesitzenden den "Ertrag" der Arbeit,
die Erzeugnisse der Produktion an sich zieht, während die
andere Klasse, diejenigen, die nur Arbeitskraft, nicht Kapital
haben, mit einem kargen Geldlohn abgefunden werden, der
nur einem Theil jener Erzeugnisse entspricht. Wenn man
dabei festhält, daß aller Werth nur durch Arbeit entsteht,
so erkennt man leicht, daß der Arbeiterklasse, dem arbei-
tenden Volke, bei dieser Produktionsweise nur ein Theil
dessen, was es durch seine Arbeit hervorbringt, zufällt.

Aus diesem ungerechten Produktionszustande nun ist
nur durch ein Radicalmittel herauszukommen: dadurch
nämlich, daß die Arbeiter vermittelst der staatlichen Gesetz-
gebung den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeitskraft
aufheben, um an die Stelle der in diesem Gegensatz sich
vollziehenden Produktion eine gemeinsame, gesellschaftliche
Produktion zu setzen, in welcher Kapital und Arbeitskraft
vereinigt sind. Hierauf steuern wir Socialisten zu.

Um dies durchzusetzen, um die Gesetzgebung dem be-
rechtigten Willen der Arbeiterklasse, d. h. des gesammten
arbeitenden Volkes dienstbar zu machen, um, mit einem
Worte, statt der bisherigen Gesetzgebung zu Gunsten des
Kapitals, also einer bevorzugten Klasse, eine Gesetzgebung
zu Gunsten der Arbeit, also der Gesammtheit derer, die
arbeiten wollen, durchzusetzen, ist nöthig, daß die Ar-
beiterklasse in Staat und Gesellschaft bereits eine gewisse
Geltung erreicht habe. Nur dann kann sie sich die Gesetz-
gebung vollständig und endgültig unterwerfen.

Es ist also Alles von Wichtigkeit, was diese Macht
und Geltung fördert -- es ist etwas von um so größerer
Wichtigkeit, jemehr es diese Macht und Geltung fördert.

Gerade die Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit
aber hat diese Wirkung in hohem Grade.

[Spaltenumbruch]

Zuvörderst ist klar, daß, wenn der durchschnittliche
Arbeitslohn nur den gewohnheitsmäßig erforderlichen Le-
bensunterhalt gewährt, derselbe nicht in Folge der Ver-
kürzung der Arbeitszeit verringert werden kann. Die
Arbeiter haben also den Vortheil, daß sie bei gleichem
Lohn weniger zu arbeiten brauchen, daß sie ihre Gesund-
heit mehr schonen und ihres Lebens froher werden können.

Allein dieser Vortheil, so schätzenswerth er auch ist,
erscheint doch klein im Vergleich zu einem zweiten Vortheil,
der sich ergiebt.

Das eherne Lohngesetz selbst kann in der heutigen auf
der Lohnarbeit beruhenden Gesellschaft nicht abgeschafft
werden; so lange die Lohnarbeit bleibt, bleibt auch das
Lohngesetz. Allein dieses Gesetz besagt: daß im durch-
schnittlichen Lohn das gewohnheitsmäßig durchaus
Erforderliche gegeben wird. Hieraus folgt, daß der Lohn
steigen muß, wenn die gewohnheitsmäßigen Lebens-
bedürfnisse der Arbeiterklasse sich steigern.

Nun giebt es aber nichts, was mehr die Bedürfnisse
im Menschen hervorruft, ja das Aufkommen von Bedürf-
nissen und deren Befridigung unabweisbar macht, als wenn
der Mensch viel freie Zeit hat. Bei einem Menschen, der
täglich 16 Stunden arbeiten muß, können keine Bedürfnisse
aufkommen, außer denjenigen des nothwendigen Essens,
Trinkens, Schlafens u. dgl. Bei einem Menschen aber,
der nur 8 Stunden im Tag zu arbeiten hat, müssen sich
in der freien arbeitslosen Zeit nothwendig neue Bedürfnisse
einstellen. Ein solcher will lesen, will spaziren gehen und
dabei etwas verzehren, will hier und da ein Concert hören,
will, wenn er verheirathet ist, mit seinem Familienkreis
traulich und gemüthlich zusammen sein, daher vor Allem
erträglich wohnen und auch zuweilen seiner Familie ein
Vergnügen machen, kurz ein menschenwürdiges Dasein
führen, was alles mit Ausgaben verknüpft ist. Daher all-
gemeine und hartnäckige Forderung höheren Lohns, welcher
Forderung auf die Länge -- eben weil sie allgemein und
hartnäckig auftritt -- nicht zu widerstehen ist. Aus dem-
selben Grunde also. aus welchem der Lohn fallen muß,
wenn die regelmäßige Sonntagsarbeit aufkommt und da-
durch den Arbeitern der einzige Tag genommen ist, an
welchem sie heutzutage ihre Extrabedürfnisse befriedigen;
aus demselben Grunde muß der Lohn steigen, wenn die
Arbeiter täglich Bedürfnisse haben, welche die des noth-
wendigen Essens und Trinkens, Schlafens und Gekleidet-
seins übersteigen. Bei Aufkommen der regelmäßigen Sonn-
tagsarbeit fällt das Bedürfnißmaß, die regelmäßige Lebens-
stellung oder "Lebenshaltung" der Arbeiter, bei Verkürzung
der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit erhöhen sich seine
Bedürfnisse. Nach dem herrschenden Lohngesetz selbst muß
also der Lohn steigen, wenn die Arbeitszeit verringert wird.

Was besagt aber eine allgemeine wirkliche Lohnsteige-
rung? Nichts anderes: als daß der Arbeiterklasse von den
Erzeugnissen der Produktion ein größerer Antheil als bis-
her zufällt.

Wenn aber dies der Fall ist, so ist damit zugleich ge-
sagt, daß die andere Klasse, welche bei der Vertheilung der
Produktionserzeugnisse in Betracht kommt, ihren Theil um
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Zur Unterhaltung und Belehrung. 146
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Die Verkürzung der Arbeitszeit,

die Herabsetzung der regelmäßigen täglichen Arbeitsstunden
überall — dies zu bewirken, ist eine Hauptaufgabe der
Arbeiterbewegung.

Man muß sich klar machen, daß die Verkürzung der
Arbeitszeit ein Punkt von höchster social=politischer Be-
deutung ist.

Die herrschende Schule der Oekonomie in allen ihren
hervorragenden wissenschaftlichen Vertretern ist in der Er-
kenntniß des Lohngesetzes, welches in der heutigen Ge-
sellschaft herrscht, vollständig einig und der Widerspruch
einiger unwissenden Zeitungszwerge kann hieran natürlich
nichts ändern. Dieses Lohngesetz aber, welches Lassalle als
ein ehernes bezeichnet hat, besagt: daß der Arbeitslohn
durchschnittlich und auf die Länge den Arbeitern uicht mehr
einbringt, als gewohnheitsmäßig bei einem Volke zur
Fristung des Lebens und zur Fortpflanzung der Arbeiter-
klasse durchaus erforderlich ist.

Entwickeln wir auf Grundlage dieses Gesetzes die hohe
Bedeutung, welche die Verkürzung der regelmäßigen Ar-
beitszeit für die socialistische Bewegung hat.

Die heutige Gesetzgebung ist nichts weiter als die
staatliche Anerkennung und Regelung der jetzigen Pro-
duktionsweise. Diese aber vollzieht sich in der Art, daß
die Klasse der Kapitalbesitzenden den „Ertrag“ der Arbeit,
die Erzeugnisse der Produktion an sich zieht, während die
andere Klasse, diejenigen, die nur Arbeitskraft, nicht Kapital
haben, mit einem kargen Geldlohn abgefunden werden, der
nur einem Theil jener Erzeugnisse entspricht. Wenn man
dabei festhält, daß aller Werth nur durch Arbeit entsteht,
so erkennt man leicht, daß der Arbeiterklasse, dem arbei-
tenden Volke, bei dieser Produktionsweise nur ein Theil
dessen, was es durch seine Arbeit hervorbringt, zufällt.

Aus diesem ungerechten Produktionszustande nun ist
nur durch ein Radicalmittel herauszukommen: dadurch
nämlich, daß die Arbeiter vermittelst der staatlichen Gesetz-
gebung den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeitskraft
aufheben, um an die Stelle der in diesem Gegensatz sich
vollziehenden Produktion eine gemeinsame, gesellschaftliche
Produktion zu setzen, in welcher Kapital und Arbeitskraft
vereinigt sind. Hierauf steuern wir Socialisten zu.

Um dies durchzusetzen, um die Gesetzgebung dem be-
rechtigten Willen der Arbeiterklasse, d. h. des gesammten
arbeitenden Volkes dienstbar zu machen, um, mit einem
Worte, statt der bisherigen Gesetzgebung zu Gunsten des
Kapitals, also einer bevorzugten Klasse, eine Gesetzgebung
zu Gunsten der Arbeit, also der Gesammtheit derer, die
arbeiten wollen, durchzusetzen, ist nöthig, daß die Ar-
beiterklasse in Staat und Gesellschaft bereits eine gewisse
Geltung erreicht habe. Nur dann kann sie sich die Gesetz-
gebung vollständig und endgültig unterwerfen.

Es ist also Alles von Wichtigkeit, was diese Macht
und Geltung fördert — es ist etwas von um so größerer
Wichtigkeit, jemehr es diese Macht und Geltung fördert.

Gerade die Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit
aber hat diese Wirkung in hohem Grade.

[Spaltenumbruch]

Zuvörderst ist klar, daß, wenn der durchschnittliche
Arbeitslohn nur den gewohnheitsmäßig erforderlichen Le-
bensunterhalt gewährt, derselbe nicht in Folge der Ver-
kürzung der Arbeitszeit verringert werden kann. Die
Arbeiter haben also den Vortheil, daß sie bei gleichem
Lohn weniger zu arbeiten brauchen, daß sie ihre Gesund-
heit mehr schonen und ihres Lebens froher werden können.

Allein dieser Vortheil, so schätzenswerth er auch ist,
erscheint doch klein im Vergleich zu einem zweiten Vortheil,
der sich ergiebt.

Das eherne Lohngesetz selbst kann in der heutigen auf
der Lohnarbeit beruhenden Gesellschaft nicht abgeschafft
werden; so lange die Lohnarbeit bleibt, bleibt auch das
Lohngesetz. Allein dieses Gesetz besagt: daß im durch-
schnittlichen Lohn das gewohnheitsmäßig durchaus
Erforderliche gegeben wird. Hieraus folgt, daß der Lohn
steigen muß, wenn die gewohnheitsmäßigen Lebens-
bedürfnisse der Arbeiterklasse sich steigern.

Nun giebt es aber nichts, was mehr die Bedürfnisse
im Menschen hervorruft, ja das Aufkommen von Bedürf-
nissen und deren Befridigung unabweisbar macht, als wenn
der Mensch viel freie Zeit hat. Bei einem Menschen, der
täglich 16 Stunden arbeiten muß, können keine Bedürfnisse
aufkommen, außer denjenigen des nothwendigen Essens,
Trinkens, Schlafens u. dgl. Bei einem Menschen aber,
der nur 8 Stunden im Tag zu arbeiten hat, müssen sich
in der freien arbeitslosen Zeit nothwendig neue Bedürfnisse
einstellen. Ein solcher will lesen, will spaziren gehen und
dabei etwas verzehren, will hier und da ein Concert hören,
will, wenn er verheirathet ist, mit seinem Familienkreis
traulich und gemüthlich zusammen sein, daher vor Allem
erträglich wohnen und auch zuweilen seiner Familie ein
Vergnügen machen, kurz ein menschenwürdiges Dasein
führen, was alles mit Ausgaben verknüpft ist. Daher all-
gemeine und hartnäckige Forderung höheren Lohns, welcher
Forderung auf die Länge — eben weil sie allgemein und
hartnäckig auftritt — nicht zu widerstehen ist. Aus dem-
selben Grunde also. aus welchem der Lohn fallen muß,
wenn die regelmäßige Sonntagsarbeit aufkommt und da-
durch den Arbeitern der einzige Tag genommen ist, an
welchem sie heutzutage ihre Extrabedürfnisse befriedigen;
aus demselben Grunde muß der Lohn steigen, wenn die
Arbeiter täglich Bedürfnisse haben, welche die des noth-
wendigen Essens und Trinkens, Schlafens und Gekleidet-
seins übersteigen. Bei Aufkommen der regelmäßigen Sonn-
tagsarbeit fällt das Bedürfnißmaß, die regelmäßige Lebens-
stellung oder „Lebenshaltung“ der Arbeiter, bei Verkürzung
der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit erhöhen sich seine
Bedürfnisse. Nach dem herrschenden Lohngesetz selbst muß
also der Lohn steigen, wenn die Arbeitszeit verringert wird.

Was besagt aber eine allgemeine wirkliche Lohnsteige-
rung? Nichts anderes: als daß der Arbeiterklasse von den
Erzeugnissen der Produktion ein größerer Antheil als bis-
her zufällt.

Wenn aber dies der Fall ist, so ist damit zugleich ge-
sagt, daß die andere Klasse, welche bei der Vertheilung der
Produktionserzeugnisse in Betracht kommt, ihren Theil um
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[146/0002] Zur Unterhaltung und Belehrung. 146 Die Verkürzung der Arbeitszeit, die Herabsetzung der regelmäßigen täglichen Arbeitsstunden überall — dies zu bewirken, ist eine Hauptaufgabe der Arbeiterbewegung. Man muß sich klar machen, daß die Verkürzung der Arbeitszeit ein Punkt von höchster social=politischer Be- deutung ist. Die herrschende Schule der Oekonomie in allen ihren hervorragenden wissenschaftlichen Vertretern ist in der Er- kenntniß des Lohngesetzes, welches in der heutigen Ge- sellschaft herrscht, vollständig einig und der Widerspruch einiger unwissenden Zeitungszwerge kann hieran natürlich nichts ändern. Dieses Lohngesetz aber, welches Lassalle als ein ehernes bezeichnet hat, besagt: daß der Arbeitslohn durchschnittlich und auf die Länge den Arbeitern uicht mehr einbringt, als gewohnheitsmäßig bei einem Volke zur Fristung des Lebens und zur Fortpflanzung der Arbeiter- klasse durchaus erforderlich ist. 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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, [Nr. 1]. Berlin, 4. Juli 1874, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0701_1874/2>, abgerufen am 14.06.2024.