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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874.

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8. Lief. Nr. 4.Berlin, 22. August 1874.2. Jahrgang.
Social-politische Blätter
zur
Unterhaltung u Belehrung
für
die deutschen Arbeiter


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Bestellungen
nehmen alle Postanstalten an; in Berlin
wird bei den Zeitungsspediteuren und
dem Verleger, C. Jhring's Nfgr., Dres-
denerstraße 84, abonnirt.

[Spaltenumbruch]

Eigenthum der Lassalleaner.

[Spaltenumbruch]

Diese Blätter
erscheinen regelmäßig jeden Sonnabend
und kosten auf der Post bestellt pro Quar-
tal 10 Sgr.; ein Monatsheft durch Col-
portage bezogen 4 Sgr.

[Ende Spaltensatz]


[Beginn Spaltensatz]
Politisch und Social.

Die politische Freiheit -- ist sie möglich ohne die so-
ciale Freiheit? Nein! Denn der Staat ist nur der äußere,
formelle Ausdruck der Gesellschaft; so lange es thatsächlich
in dieser herrschende und beherrschte Klassen giebt, so
lange wird im Staate die politische Freiheit entweder eine
unvollkommene oder gar eine nur scheinbare sein.

Die sociale Freiheit -- ist sie möglich ohne die poli-
tische? Nein! Denn wenn es keine herrschenden und be-
herrschten Klassen in der Gesellschaft mehr giebt, wer sollte
da dem Volke die politische Freiheit entziehen? Die sociale
Freiheit hat die politische nothwendig in ihrem Gefolge.

Was wir erstreben, ist ein Gesellschaftszustand, in
welchem es keinerlei Vorrechte mehr giebt und in welchem
die geistige Ausbildung sich über das gesammte Volk er-
streckt; bei einem solchen Zustande ist die politische Freiheit
selbstverständlich, weil sich ein Staat mit einer irgendwie
im Gegensatz zum Volk stehenden Regierung gar nicht bil-
den kann.

Aber es entsteht die Frage -- wie verhält es sich
mit dem Streben nach Erweiterung der politischen Freiheit
jetzt, wo von socialer Freiheit noch keine Rede sein kann,
inmitten dieser heutigen Gesellschaft, die sich in zwei große
Klassen theilt; die herrschende Klasse der Besitzenden und
die beherrschte Klasse der Besitzlosen.

Es bedarf nur einiger Ueberlegung, um einzusehen,
daß die Beherrschung des Staates durch die Besitzenden
nur eine Folge des Umstandes ist, daß dieselben thatsäch-
lich in der Gesellschaft herrschen und daß umgekehrt ihre
herrschende Stellung in der Gesellschaft befestigt wird da-
durch, daß sie den Staat und seine Machtmittel in der
Hand haben.

[Spaltenumbruch]

Aus dieser Wechselwirkung ergiebt sich, daß die Partei
des Proletariats nach Freiheit nicht nur auf socialem, son-
dern auch auf politischem Gebiet zu streben hat -- denn
auf beiden Gebieten hat die besitzende Klasse ihre Herrschaft
errichtet, ja die Herrschaft da und dort ist eigentlich nur
ein und dieselbe Sache in doppelter Erscheinung.

Wenn wir hier von der besitzenden Klasse reden, so
meinen wir dieselbe in ihrer Gesammtheit: gleichviel ob ihr
Besitz in Grund und Boden, in Capital, in nutzbringenden
Geburtsrechten irgend welcher Art oder endlich darin be-
steht, daß man alle einträglichen Staatsämter für sich in
Beschlag nimmt. Diese verehrlichen Herrschaften fassen sich
je nach ihren besonderen Jnteressen gelegentlich gegenseitig
am Schopf -- dem besitzlosen Volke gegenüber aber sind
sie in der Regel alle einig.

Um die Wichtigkeit der politischen Rechte und der po-
litischen Freiheit für die socialen Bestrebungen zu erkennen,
braucht man nur einen Blick auf das unmittelbar prak-
tische Gebiet zu werfen. Wie hat der Einfluß der Arbeiter
dadurch zugenommen, daß an die Stelle des Dreiklassen-
wahlsystems in Deutschland theilweise das allgemeine
Stimmrecht getreten ist. Und wie viel mehr noch würde
dieser Einfluß zunehmen, wenn dieses allgemeine Stimm-
recht eine volle Wahrheit wäre, statt durch Entziehung der
Diäten, durch das Fehlen der zur Wahlagitation
erforderlichen politischen Freiheit durch Landräthe und Po-
lizei verkümmert zu sein? Wie würde der Socialismus
sich bei uns noch weit kräftiger entfalten, wenn wir volles
Vereins= und Versammlungsrecht, wenn wir in dieser Be-
ziehung festen Rechtsboden hätten, statt mehr oder minder
der Polizeiwillkür unterworfen zu sein? Wie ganz anders
kämen wir vorwärts, wenn wir eine freie Presse hätten?
Wie viel besser für die Entfaltung aller öffentlichen Be-
strebungen und somit auch der unsrigen, würde es sein,
[Ende Spaltensatz]

8. Lief. Nr. 4.Berlin, 22. August 1874.2. Jahrgang.
Social-politische Blätter
zur
Unterhaltung u Belehrung
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die deutschen Arbeiter


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nehmen alle Postanstalten an; in Berlin
wird bei den Zeitungsspediteuren und
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denerstraße 84, abonnirt.

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Politisch und Social.

Die politische Freiheit — ist sie möglich ohne die so-
ciale Freiheit? Nein! Denn der Staat ist nur der äußere,
formelle Ausdruck der Gesellschaft; so lange es thatsächlich
in dieser herrschende und beherrschte Klassen giebt, so
lange wird im Staate die politische Freiheit entweder eine
unvollkommene oder gar eine nur scheinbare sein.

Die sociale Freiheit — ist sie möglich ohne die poli-
tische? Nein! Denn wenn es keine herrschenden und be-
herrschten Klassen in der Gesellschaft mehr giebt, wer sollte
da dem Volke die politische Freiheit entziehen? Die sociale
Freiheit hat die politische nothwendig in ihrem Gefolge.

Was wir erstreben, ist ein Gesellschaftszustand, in
welchem es keinerlei Vorrechte mehr giebt und in welchem
die geistige Ausbildung sich über das gesammte Volk er-
streckt; bei einem solchen Zustande ist die politische Freiheit
selbstverständlich, weil sich ein Staat mit einer irgendwie
im Gegensatz zum Volk stehenden Regierung gar nicht bil-
den kann.

Aber es entsteht die Frage — wie verhält es sich
mit dem Streben nach Erweiterung der politischen Freiheit
jetzt, wo von socialer Freiheit noch keine Rede sein kann,
inmitten dieser heutigen Gesellschaft, die sich in zwei große
Klassen theilt; die herrschende Klasse der Besitzenden und
die beherrschte Klasse der Besitzlosen.

Es bedarf nur einiger Ueberlegung, um einzusehen,
daß die Beherrschung des Staates durch die Besitzenden
nur eine Folge des Umstandes ist, daß dieselben thatsäch-
lich in der Gesellschaft herrschen und daß umgekehrt ihre
herrschende Stellung in der Gesellschaft befestigt wird da-
durch, daß sie den Staat und seine Machtmittel in der
Hand haben.

[Spaltenumbruch]

Aus dieser Wechselwirkung ergiebt sich, daß die Partei
des Proletariats nach Freiheit nicht nur auf socialem, son-
dern auch auf politischem Gebiet zu streben hat — denn
auf beiden Gebieten hat die besitzende Klasse ihre Herrschaft
errichtet, ja die Herrschaft da und dort ist eigentlich nur
ein und dieselbe Sache in doppelter Erscheinung.

Wenn wir hier von der besitzenden Klasse reden, so
meinen wir dieselbe in ihrer Gesammtheit: gleichviel ob ihr
Besitz in Grund und Boden, in Capital, in nutzbringenden
Geburtsrechten irgend welcher Art oder endlich darin be-
steht, daß man alle einträglichen Staatsämter für sich in
Beschlag nimmt. Diese verehrlichen Herrschaften fassen sich
je nach ihren besonderen Jnteressen gelegentlich gegenseitig
am Schopf — dem besitzlosen Volke gegenüber aber sind
sie in der Regel alle einig.

Um die Wichtigkeit der politischen Rechte und der po-
litischen Freiheit für die socialen Bestrebungen zu erkennen,
braucht man nur einen Blick auf das unmittelbar prak-
tische Gebiet zu werfen. Wie hat der Einfluß der Arbeiter
dadurch zugenommen, daß an die Stelle des Dreiklassen-
wahlsystems in Deutschland theilweise das allgemeine
Stimmrecht getreten ist. Und wie viel mehr noch würde
dieser Einfluß zunehmen, wenn dieses allgemeine Stimm-
recht eine volle Wahrheit wäre, statt durch Entziehung der
Diäten, durch das Fehlen der zur Wahlagitation
erforderlichen politischen Freiheit durch Landräthe und Po-
lizei verkümmert zu sein? Wie würde der Socialismus
sich bei uns noch weit kräftiger entfalten, wenn wir volles
Vereins= und Versammlungsrecht, wenn wir in dieser Be-
ziehung festen Rechtsboden hätten, statt mehr oder minder
der Polizeiwillkür unterworfen zu sein? Wie ganz anders
kämen wir vorwärts, wenn wir eine freie Presse hätten?
Wie viel besser für die Entfaltung aller öffentlichen Be-
strebungen und somit auch der unsrigen, würde es sein,
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[[105]/0001] 8. Lief. Nr. 4.Berlin, 22. August 1874.2. Jahrgang. Social-politische Blätter zur Unterhaltung u Belehrung für die deutschen Arbeiter Bestellungen nehmen alle Postanstalten an; in Berlin wird bei den Zeitungsspediteuren und dem Verleger, C. Jhring's Nfgr., Dres- denerstraße 84, abonnirt. Eigenthum der Lassalleaner. Diese Blätter erscheinen regelmäßig jeden Sonnabend und kosten auf der Post bestellt pro Quar- tal 10 Sgr.; ein Monatsheft durch Col- portage bezogen 4 Sgr. Politisch und Social. Die politische Freiheit — ist sie möglich ohne die so- ciale Freiheit? Nein! Denn der Staat ist nur der äußere, formelle Ausdruck der Gesellschaft; so lange es thatsächlich in dieser herrschende und beherrschte Klassen giebt, so lange wird im Staate die politische Freiheit entweder eine unvollkommene oder gar eine nur scheinbare sein. Die sociale Freiheit — ist sie möglich ohne die poli- tische? Nein! Denn wenn es keine herrschenden und be- herrschten Klassen in der Gesellschaft mehr giebt, wer sollte da dem Volke die politische Freiheit entziehen? Die sociale Freiheit hat die politische nothwendig in ihrem Gefolge. Was wir erstreben, ist ein Gesellschaftszustand, in welchem es keinerlei Vorrechte mehr giebt und in welchem die geistige Ausbildung sich über das gesammte Volk er- streckt; bei einem solchen Zustande ist die politische Freiheit selbstverständlich, weil sich ein Staat mit einer irgendwie im Gegensatz zum Volk stehenden Regierung gar nicht bil- den kann. Aber es entsteht die Frage — wie verhält es sich mit dem Streben nach Erweiterung der politischen Freiheit jetzt, wo von socialer Freiheit noch keine Rede sein kann, inmitten dieser heutigen Gesellschaft, die sich in zwei große Klassen theilt; die herrschende Klasse der Besitzenden und die beherrschte Klasse der Besitzlosen. Es bedarf nur einiger Ueberlegung, um einzusehen, daß die Beherrschung des Staates durch die Besitzenden nur eine Folge des Umstandes ist, daß dieselben thatsäch- lich in der Gesellschaft herrschen und daß umgekehrt ihre herrschende Stellung in der Gesellschaft befestigt wird da- durch, daß sie den Staat und seine Machtmittel in der Hand haben. Aus dieser Wechselwirkung ergiebt sich, daß die Partei des Proletariats nach Freiheit nicht nur auf socialem, son- dern auch auf politischem Gebiet zu streben hat — denn auf beiden Gebieten hat die besitzende Klasse ihre Herrschaft errichtet, ja die Herrschaft da und dort ist eigentlich nur ein und dieselbe Sache in doppelter Erscheinung. Wenn wir hier von der besitzenden Klasse reden, so meinen wir dieselbe in ihrer Gesammtheit: gleichviel ob ihr Besitz in Grund und Boden, in Capital, in nutzbringenden Geburtsrechten irgend welcher Art oder endlich darin be- steht, daß man alle einträglichen Staatsämter für sich in Beschlag nimmt. Diese verehrlichen Herrschaften fassen sich je nach ihren besonderen Jnteressen gelegentlich gegenseitig am Schopf — dem besitzlosen Volke gegenüber aber sind sie in der Regel alle einig. Um die Wichtigkeit der politischen Rechte und der po- litischen Freiheit für die socialen Bestrebungen zu erkennen, braucht man nur einen Blick auf das unmittelbar prak- tische Gebiet zu werfen. Wie hat der Einfluß der Arbeiter dadurch zugenommen, daß an die Stelle des Dreiklassen- wahlsystems in Deutschland theilweise das allgemeine Stimmrecht getreten ist. Und wie viel mehr noch würde dieser Einfluß zunehmen, wenn dieses allgemeine Stimm- recht eine volle Wahrheit wäre, statt durch Entziehung der Diäten, durch das Fehlen der zur Wahlagitation erforderlichen politischen Freiheit durch Landräthe und Po- lizei verkümmert zu sein? Wie würde der Socialismus sich bei uns noch weit kräftiger entfalten, wenn wir volles Vereins= und Versammlungsrecht, wenn wir in dieser Be- ziehung festen Rechtsboden hätten, statt mehr oder minder der Polizeiwillkür unterworfen zu sein? Wie ganz anders kämen wir vorwärts, wenn wir eine freie Presse hätten? Wie viel besser für die Entfaltung aller öffentlichen Be- strebungen und somit auch der unsrigen, würde es sein,

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874, S. [105]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0804_1874/1>, abgerufen am 21.11.2024.