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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 207
[Beginn Spaltensatz] deshalb, und völlig abgesehen von sonstigen Verhältnissen, zu
höheren, kräftigeren, inhaltsvolleren Regungen und Thaten fähig,
als eine andere Nation, die sich dieses herrlichen Vorzuges noch
nicht zu erfreuen hatte. Jch hüte mich, Mylord, zu behaupten,
jeder Jkarier sei gerade so tief gebildet und talentreich in Musik
wie sein Mitbürger, und bitte mich nicht in dieser Weise mißzu-
verstehen. Aber ich darf dreist behaupten, ein Jeglicher bei uns
ist durch Musik auf einen Bildungsgrad gehoben, den er ohne
Musik nicht erreicht hätte. Talentunterschiedenheiten kommen
stets vor; allein durch allgemeine Bildung und Erziehungsgleich-
heit ist eine sehr große Verallgemeinerung des musikalischen Ge-
hörs und Talents bei uns zu Wege gebracht.

Jch unterbrach hier den Professor mit dem Bemerken, es
werde auch wohl keinem verständigen Menschen beikommen,
solcherartige Mißverständnisse auszuhecken und auszusprengen.

Ein Abriß der Ackerbaulehre, Geschichte, Jndustrie und
Mechanik ist auch in den Kreis der ersten Erziehung aufgenom-
men. Dinaros machte mir bemerklich, daß die Mädchen völlig
so gut lernen wie die Knaben, und es sich lediglich um einiger-
maßen gescheidtes Anordnen, und so zu sagen Zurechtmachen der
zu lehrenden Gegenstände handle, um die weiblichen Zöglinge
sofort in manchen Punkten den männlichen Zöglingen den Rang
ablaufen zu sehen; während freilich in andern umgekehrt die
Knaben Vorsprung haben.

Jch sage Jhnen, Lord, es kommt darauf an, wie man die
Menschen anpackt; begießen Sie eine junge Pflanze im Garten
mit Branntwein oder geschmolzenem Wachs, so zweifle ich an
deren Gedeihen. Gerade so mit dem Kinde. Und das Kind,
wohl gemerkt, das ist die künftige Nation; Respekt vor ihm!
Verhunzt die Erziehung die Kinder, so geht die Nation bergab.
-- Jch erinnere Sie an den Jhnen wahrscheinlich höchst auffal-
lenden Umstand, daß unsere Frauen und Jungfrauen in Natur-
kunde, Kunst, Poesie, Jndustrie, Medizin, sich ganz tüchtige Kennt-
nisse erworben und Lehrerinnen für alle jene Fächer werden.
Meine Schwester z. B. ist wohl bewandert in Kunst und in
Literatur.

Mit siebzehn Jahren für die Mädchen, mit achtzehn für die
Jünglinge, hebt eine abermalige Erziehung an: die professionelle
speciell sich auf ein Fach beziehende, sowohl in theoretischer als
in praktischer Hinsicht. Zugleich Unterricht in Literatur, Ge-
schichte, Anatomie, Gesundheits= und Krankheitskunde, bis zwan-
zig und einunndzwanzig Jahre, nach den Arbeitsstunden des
Vormittags. Auch bei einundzwanzig Jahren hört die Erziehung
nicht auf; alsdann kommt ein Unterricht die "Geschichte des
Menschen" betreffend. Alle Jkarier sind hierzu berufen und sind
hierzu verpflichtet. Was später nachfolgt, ist zwar nicht mehr
vorgeschrieben, doch schließen sich nur wenige, sehr wenige Per-
sonen von stetem Weiterlernen und Fortbilden aus. Wie jener
Philosoph der Vorzeit sagte: "ich will lernen, während ich altere,"
so sprechen und handeln wir.

Unterrichtsmethode.

Unser Grundsatz ist: dem Kinde möglichst viel, möglichst
schnell und möglichst wirksam zu lehren.

Daher entwickeln wir unablässig sein Denken und Fühlen.
Wir machen oft das Lernen zum Spiel und das Spiel zum
Lernen. Mit größter Achtsamkeit wird seitens der Eltern wie
der Lehrer vermieden, dem Zögling leeren Wortschwall zu geben;
es wird die Sache, der Gegenstand, worauf das Wort sich be-
zieht, dem Kinde, welches zum ersten Male dasselbe vernimmt,
vorgewiesen, wenn dieses nur irgend thunlich. Da allgemeine
Bildung vorhanden ist, braucht man nicht zu zittern, ein thörich-
ter Vater, eine unwissende, abergläubische Mama, eine verzogene
[Spaltenumbruch] Schwester, ein entarteter Bruder, ein albernes Dienstmädchen
werde dem Kinde falsches Zeug iu den Kopf setzen.

Der Erziehungsrath, diese erhabene Behörde unserer Repu-
plik, hatte nach langen Arbeiten endlich die Weise ausfindig ge-
macht, dem Kinde das Lesen auf die passendste Art zu lehren.
Glauben Sie, Lord, das war keine Kleinigkeit. Seit lange aber
ist Methode in allgemeiner Anwendung und jede Jkarierin be-
dient sich ihrer, wenn sie ihre Kinder unterrichtet.

Viel zur Erleichterung trägt natürlich unsere neue Sprache
bei, in der weder doppellautendes noch doppelsinniges vorkommt.
Was einst so manche Thräne und Züchtigung erforderte, das
Lesenlernen, wird heute ein erfreuendes Entfalten des jungen
Wesens, gleich angenehm für Lehrling und Lehrerin.

Die Republik hat ein besonderes Lesebuch für diese kindlichen
Anfänger bestimmt: "Kinderfreund" genannt; in ihm, er ( über-
reichte es mir mit dem Gesuch, es zu Hause durchzublättern )
finden Sie, glaube ich, das Meisterwerk in dieser Kunst. Wir
besaßen schon seit geraumer Zeit ein recht gutes. Der Erzie-
hungsausschuß war indessen noch nicht zufrieden. Er schrieb
abermals, wie zur Anfertigung des früheren, einen Konkurs aus;
und so entstand das jetzige, mit Bildern aller Art geziert. Die
Republik hat den Verfasser mit einer Bildsänle beehrt.

In der Schule wird ebenfalls dieses Buch beautzt; der Un-
terricht geschieht dort anfänglich von Lehrerinnen, die an Freund-
lichkeit und Gerechtigkeit nichts den Müttern im Behandeln der
Kinder nachgeben.

Unsere Kinder lesen übrigens nicht so vielfältige Bücher, als
dies in anderen Nationen der Fall sein soll. Wir sind über-
zeugt, ein paar recht tüchtige, zweckdienliche Kinderschriften sind
tausendmal einem ganzen Haufen von Büchern, in denen Gutes
mit Nichtgutem vermischt ist, vorzuziehen. Uebrigens sind für
die verschiedenen Kindes= und Jugendalter, verschiedene Bücher
vorräthig, und Sie dürfen ja nicht glauben, wir scheerten, so zu
sagen, alle Schäfchen über einen und denselben Kamm. Solche
Tollheit fällt uns nicht ein.

Das Schreibenlernen geschieht bei der Mutter, welche, wie
Sie wissen, bei uns im Stande ist, eine Lehrerin, ein liebendes
Weib, und eine Wirthschafterin zu sein, ohne daß eine dieser
ihrer edlen Eigenschaften mit den andern in Widerstreit kommt.
Die Mutter und der Lehrer in der Schule bedeuten dem Kinde,
warum z. B. die Feder so, und nicht anders, anzufassen sei, und
von Zeit zu Zeit wird das Kind examinirt, warum etwas so,
und nicht anders. Wißbegier und Neugier treiben das Kind oft
zu Fragen, und es wird immer die passende Antwort ertheilt.
Es kommt hierdurch ein hoher Grad von Klarheit, Bündigkeit,
Schärfe in die kindliche Se le; der Zögling schämt sich nicht
mehr, etwas nicht zu wissen, was ihm noch nicht erklärt ward,
oder wohin ihn seine Urtheilskräfte noch nicht zu tragen ver-
mochten; er antwortet frisch drauf los: "dies da weiß ich nicht,"
und genießt dadurch den Vortheil, alles Gelüge aus Eitelkeit zu
meiden.

Die Schule lehrt Rechnen und Meßkunde in den Anfangs-
gründen nicht blos vermittelst der Schulbücher, sondern eben so
sehr im Anschauen der Werkstätten, Produkte, Naturumgebungen,
wo die Kinder selbsthändig und selbstäugig -- um mich so aus-
zudrücken -- mit Leichtheit und Sicherheit das erlernen, was oft
Erwachsene, unter einem verrückten Lehrsystem, nicht erlernen
wollen oder können. Jch sage Jhnen, Mylord, wenn eine viele
Millionen Einwohner umfassende, machtvolle, reiche Republik
sich einmal in den Kopf gesetzt hat: "die Hauptlinien alles
Wissenswürdigen sollen, müssen und können so dargestellt wer-
den, daß jeder Einzelne, beiderlei Geschlechts, ohne überhohe Mühe
sie in sich aufnehme," -- alsdann vermag kein Hinderniß diesem
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 207
[Beginn Spaltensatz] deshalb, und völlig abgesehen von sonstigen Verhältnissen, zu
höheren, kräftigeren, inhaltsvolleren Regungen und Thaten fähig,
als eine andere Nation, die sich dieses herrlichen Vorzuges noch
nicht zu erfreuen hatte. Jch hüte mich, Mylord, zu behaupten,
jeder Jkarier sei gerade so tief gebildet und talentreich in Musik
wie sein Mitbürger, und bitte mich nicht in dieser Weise mißzu-
verstehen. Aber ich darf dreist behaupten, ein Jeglicher bei uns
ist durch Musik auf einen Bildungsgrad gehoben, den er ohne
Musik nicht erreicht hätte. Talentunterschiedenheiten kommen
stets vor; allein durch allgemeine Bildung und Erziehungsgleich-
heit ist eine sehr große Verallgemeinerung des musikalischen Ge-
hörs und Talents bei uns zu Wege gebracht.

Jch unterbrach hier den Professor mit dem Bemerken, es
werde auch wohl keinem verständigen Menschen beikommen,
solcherartige Mißverständnisse auszuhecken und auszusprengen.

Ein Abriß der Ackerbaulehre, Geschichte, Jndustrie und
Mechanik ist auch in den Kreis der ersten Erziehung aufgenom-
men. Dinaros machte mir bemerklich, daß die Mädchen völlig
so gut lernen wie die Knaben, und es sich lediglich um einiger-
maßen gescheidtes Anordnen, und so zu sagen Zurechtmachen der
zu lehrenden Gegenstände handle, um die weiblichen Zöglinge
sofort in manchen Punkten den männlichen Zöglingen den Rang
ablaufen zu sehen; während freilich in andern umgekehrt die
Knaben Vorsprung haben.

Jch sage Jhnen, Lord, es kommt darauf an, wie man die
Menschen anpackt; begießen Sie eine junge Pflanze im Garten
mit Branntwein oder geschmolzenem Wachs, so zweifle ich an
deren Gedeihen. Gerade so mit dem Kinde. Und das Kind,
wohl gemerkt, das ist die künftige Nation; Respekt vor ihm!
Verhunzt die Erziehung die Kinder, so geht die Nation bergab.
— Jch erinnere Sie an den Jhnen wahrscheinlich höchst auffal-
lenden Umstand, daß unsere Frauen und Jungfrauen in Natur-
kunde, Kunst, Poesie, Jndustrie, Medizin, sich ganz tüchtige Kennt-
nisse erworben und Lehrerinnen für alle jene Fächer werden.
Meine Schwester z. B. ist wohl bewandert in Kunst und in
Literatur.

Mit siebzehn Jahren für die Mädchen, mit achtzehn für die
Jünglinge, hebt eine abermalige Erziehung an: die professionelle
speciell sich auf ein Fach beziehende, sowohl in theoretischer als
in praktischer Hinsicht. Zugleich Unterricht in Literatur, Ge-
schichte, Anatomie, Gesundheits= und Krankheitskunde, bis zwan-
zig und einunndzwanzig Jahre, nach den Arbeitsstunden des
Vormittags. Auch bei einundzwanzig Jahren hört die Erziehung
nicht auf; alsdann kommt ein Unterricht die „Geschichte des
Menschen“ betreffend. Alle Jkarier sind hierzu berufen und sind
hierzu verpflichtet. Was später nachfolgt, ist zwar nicht mehr
vorgeschrieben, doch schließen sich nur wenige, sehr wenige Per-
sonen von stetem Weiterlernen und Fortbilden aus. Wie jener
Philosoph der Vorzeit sagte: „ich will lernen, während ich altere,“
so sprechen und handeln wir.

Unterrichtsmethode.

Unser Grundsatz ist: dem Kinde möglichst viel, möglichst
schnell und möglichst wirksam zu lehren.

Daher entwickeln wir unablässig sein Denken und Fühlen.
Wir machen oft das Lernen zum Spiel und das Spiel zum
Lernen. Mit größter Achtsamkeit wird seitens der Eltern wie
der Lehrer vermieden, dem Zögling leeren Wortschwall zu geben;
es wird die Sache, der Gegenstand, worauf das Wort sich be-
zieht, dem Kinde, welches zum ersten Male dasselbe vernimmt,
vorgewiesen, wenn dieses nur irgend thunlich. Da allgemeine
Bildung vorhanden ist, braucht man nicht zu zittern, ein thörich-
ter Vater, eine unwissende, abergläubische Mama, eine verzogene
[Spaltenumbruch] Schwester, ein entarteter Bruder, ein albernes Dienstmädchen
werde dem Kinde falsches Zeug iu den Kopf setzen.

Der Erziehungsrath, diese erhabene Behörde unserer Repu-
plik, hatte nach langen Arbeiten endlich die Weise ausfindig ge-
macht, dem Kinde das Lesen auf die passendste Art zu lehren.
Glauben Sie, Lord, das war keine Kleinigkeit. Seit lange aber
ist Methode in allgemeiner Anwendung und jede Jkarierin be-
dient sich ihrer, wenn sie ihre Kinder unterrichtet.

Viel zur Erleichterung trägt natürlich unsere neue Sprache
bei, in der weder doppellautendes noch doppelsinniges vorkommt.
Was einst so manche Thräne und Züchtigung erforderte, das
Lesenlernen, wird heute ein erfreuendes Entfalten des jungen
Wesens, gleich angenehm für Lehrling und Lehrerin.

Die Republik hat ein besonderes Lesebuch für diese kindlichen
Anfänger bestimmt: „Kinderfreund“ genannt; in ihm, er ( über-
reichte es mir mit dem Gesuch, es zu Hause durchzublättern )
finden Sie, glaube ich, das Meisterwerk in dieser Kunst. Wir
besaßen schon seit geraumer Zeit ein recht gutes. Der Erzie-
hungsausschuß war indessen noch nicht zufrieden. Er schrieb
abermals, wie zur Anfertigung des früheren, einen Konkurs aus;
und so entstand das jetzige, mit Bildern aller Art geziert. Die
Republik hat den Verfasser mit einer Bildsänle beehrt.

In der Schule wird ebenfalls dieses Buch beautzt; der Un-
terricht geschieht dort anfänglich von Lehrerinnen, die an Freund-
lichkeit und Gerechtigkeit nichts den Müttern im Behandeln der
Kinder nachgeben.

Unsere Kinder lesen übrigens nicht so vielfältige Bücher, als
dies in anderen Nationen der Fall sein soll. Wir sind über-
zeugt, ein paar recht tüchtige, zweckdienliche Kinderschriften sind
tausendmal einem ganzen Haufen von Büchern, in denen Gutes
mit Nichtgutem vermischt ist, vorzuziehen. Uebrigens sind für
die verschiedenen Kindes= und Jugendalter, verschiedene Bücher
vorräthig, und Sie dürfen ja nicht glauben, wir scheerten, so zu
sagen, alle Schäfchen über einen und denselben Kamm. Solche
Tollheit fällt uns nicht ein.

Das Schreibenlernen geschieht bei der Mutter, welche, wie
Sie wissen, bei uns im Stande ist, eine Lehrerin, ein liebendes
Weib, und eine Wirthschafterin zu sein, ohne daß eine dieser
ihrer edlen Eigenschaften mit den andern in Widerstreit kommt.
Die Mutter und der Lehrer in der Schule bedeuten dem Kinde,
warum z. B. die Feder so, und nicht anders, anzufassen sei, und
von Zeit zu Zeit wird das Kind examinirt, warum etwas so,
und nicht anders. Wißbegier und Neugier treiben das Kind oft
zu Fragen, und es wird immer die passende Antwort ertheilt.
Es kommt hierdurch ein hoher Grad von Klarheit, Bündigkeit,
Schärfe in die kindliche Se le; der Zögling schämt sich nicht
mehr, etwas nicht zu wissen, was ihm noch nicht erklärt ward,
oder wohin ihn seine Urtheilskräfte noch nicht zu tragen ver-
mochten; er antwortet frisch drauf los: „dies da weiß ich nicht,“
und genießt dadurch den Vortheil, alles Gelüge aus Eitelkeit zu
meiden.

Die Schule lehrt Rechnen und Meßkunde in den Anfangs-
gründen nicht blos vermittelst der Schulbücher, sondern eben so
sehr im Anschauen der Werkstätten, Produkte, Naturumgebungen,
wo die Kinder selbsthändig und selbstäugig — um mich so aus-
zudrücken — mit Leichtheit und Sicherheit das erlernen, was oft
Erwachsene, unter einem verrückten Lehrsystem, nicht erlernen
wollen oder können. Jch sage Jhnen, Mylord, wenn eine viele
Millionen Einwohner umfassende, machtvolle, reiche Republik
sich einmal in den Kopf gesetzt hat: „die Hauptlinien alles
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den, daß jeder Einzelne, beiderlei Geschlechts, ohne überhohe Mühe
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[Ende Spaltensatz]

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Ein Abriß der Ackerbaulehre, Geschichte, Jndustrie und Mechanik ist auch in den Kreis der ersten Erziehung aufgenom- men. Dinaros machte mir bemerklich, daß die Mädchen völlig so gut lernen wie die Knaben, und es sich lediglich um einiger- maßen gescheidtes Anordnen, und so zu sagen Zurechtmachen der zu lehrenden Gegenstände handle, um die weiblichen Zöglinge sofort in manchen Punkten den männlichen Zöglingen den Rang ablaufen zu sehen; während freilich in andern umgekehrt die Knaben Vorsprung haben. Jch sage Jhnen, Lord, es kommt darauf an, wie man die Menschen anpackt; begießen Sie eine junge Pflanze im Garten mit Branntwein oder geschmolzenem Wachs, so zweifle ich an deren Gedeihen. Gerade so mit dem Kinde. Und das Kind, wohl gemerkt, das ist die künftige Nation; Respekt vor ihm! 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Was später nachfolgt, ist zwar nicht mehr vorgeschrieben, doch schließen sich nur wenige, sehr wenige Per- sonen von stetem Weiterlernen und Fortbilden aus. Wie jener Philosoph der Vorzeit sagte: „ich will lernen, während ich altere,“ so sprechen und handeln wir. Unterrichtsmethode. Unser Grundsatz ist: dem Kinde möglichst viel, möglichst schnell und möglichst wirksam zu lehren. Daher entwickeln wir unablässig sein Denken und Fühlen. Wir machen oft das Lernen zum Spiel und das Spiel zum Lernen. Mit größter Achtsamkeit wird seitens der Eltern wie der Lehrer vermieden, dem Zögling leeren Wortschwall zu geben; es wird die Sache, der Gegenstand, worauf das Wort sich be- zieht, dem Kinde, welches zum ersten Male dasselbe vernimmt, vorgewiesen, wenn dieses nur irgend thunlich. Da allgemeine Bildung vorhanden ist, braucht man nicht zu zittern, ein thörich- ter Vater, eine unwissende, abergläubische Mama, eine verzogene Schwester, ein entarteter Bruder, ein albernes Dienstmädchen werde dem Kinde falsches Zeug iu den Kopf setzen. Der Erziehungsrath, diese erhabene Behörde unserer Repu- plik, hatte nach langen Arbeiten endlich die Weise ausfindig ge- macht, dem Kinde das Lesen auf die passendste Art zu lehren. Glauben Sie, Lord, das war keine Kleinigkeit. Seit lange aber ist Methode in allgemeiner Anwendung und jede Jkarierin be- dient sich ihrer, wenn sie ihre Kinder unterrichtet. Viel zur Erleichterung trägt natürlich unsere neue Sprache bei, in der weder doppellautendes noch doppelsinniges vorkommt. Was einst so manche Thräne und Züchtigung erforderte, das Lesenlernen, wird heute ein erfreuendes Entfalten des jungen Wesens, gleich angenehm für Lehrling und Lehrerin. Die Republik hat ein besonderes Lesebuch für diese kindlichen Anfänger bestimmt: „Kinderfreund“ genannt; in ihm, er ( über- reichte es mir mit dem Gesuch, es zu Hause durchzublättern ) finden Sie, glaube ich, das Meisterwerk in dieser Kunst. Wir besaßen schon seit geraumer Zeit ein recht gutes. Der Erzie- hungsausschuß war indessen noch nicht zufrieden. Er schrieb abermals, wie zur Anfertigung des früheren, einen Konkurs aus; und so entstand das jetzige, mit Bildern aller Art geziert. Die Republik hat den Verfasser mit einer Bildsänle beehrt. In der Schule wird ebenfalls dieses Buch beautzt; der Un- terricht geschieht dort anfänglich von Lehrerinnen, die an Freund- lichkeit und Gerechtigkeit nichts den Müttern im Behandeln der Kinder nachgeben. Unsere Kinder lesen übrigens nicht so vielfältige Bücher, als dies in anderen Nationen der Fall sein soll. Wir sind über- zeugt, ein paar recht tüchtige, zweckdienliche Kinderschriften sind tausendmal einem ganzen Haufen von Büchern, in denen Gutes mit Nichtgutem vermischt ist, vorzuziehen. Uebrigens sind für die verschiedenen Kindes= und Jugendalter, verschiedene Bücher vorräthig, und Sie dürfen ja nicht glauben, wir scheerten, so zu sagen, alle Schäfchen über einen und denselben Kamm. Solche Tollheit fällt uns nicht ein. Das Schreibenlernen geschieht bei der Mutter, welche, wie Sie wissen, bei uns im Stande ist, eine Lehrerin, ein liebendes Weib, und eine Wirthschafterin zu sein, ohne daß eine dieser ihrer edlen Eigenschaften mit den andern in Widerstreit kommt. Die Mutter und der Lehrer in der Schule bedeuten dem Kinde, warum z. B. die Feder so, und nicht anders, anzufassen sei, und von Zeit zu Zeit wird das Kind examinirt, warum etwas so, und nicht anders. Wißbegier und Neugier treiben das Kind oft zu Fragen, und es wird immer die passende Antwort ertheilt. Es kommt hierdurch ein hoher Grad von Klarheit, Bündigkeit, Schärfe in die kindliche Se le; der Zögling schämt sich nicht mehr, etwas nicht zu wissen, was ihm noch nicht erklärt ward, oder wohin ihn seine Urtheilskräfte noch nicht zu tragen ver- mochten; er antwortet frisch drauf los: „dies da weiß ich nicht,“ und genießt dadurch den Vortheil, alles Gelüge aus Eitelkeit zu meiden. Die Schule lehrt Rechnen und Meßkunde in den Anfangs- gründen nicht blos vermittelst der Schulbücher, sondern eben so sehr im Anschauen der Werkstätten, Produkte, Naturumgebungen, wo die Kinder selbsthändig und selbstäugig — um mich so aus- zudrücken — mit Leichtheit und Sicherheit das erlernen, was oft Erwachsene, unter einem verrückten Lehrsystem, nicht erlernen wollen oder können. Jch sage Jhnen, Mylord, wenn eine viele Millionen Einwohner umfassende, machtvolle, reiche Republik sich einmal in den Kopf gesetzt hat: „die Hauptlinien alles Wissenswürdigen sollen, müssen und können so dargestellt wer- den, daß jeder Einzelne, beiderlei Geschlechts, ohne überhohe Mühe sie in sich aufnehme,“ — alsdann vermag kein Hinderniß diesem

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0804_1874/3>, abgerufen am 23.11.2024.