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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 217
[Beginn Spaltensatz]

Auch mich zwang sie zu singen, zuerst mit ihr, dann mit
Dina.

-- Jetzt hört mich, sagte Korilla, ich bestimme die Preise:
der Herr Philosoph hat gesungen wie eine Lerche die den
Schnupfen hat; der bärtige Schüler aus England, wie ein Fuchs,
der in eine Grube gefallen, und Dina, wie eine Nachtigall, die
sich fürchtet. -- Als das Gelächter sich beruhigt, fuhr sie fort:
Jch bin bekanntlich die Königin des Gesanges, wer wagt's zu
läugnen? Daher erwarte ich sofort gebührenden Beifall in diesem
gebildeten musikalischen Publikum, und befehle, daß sofort die
Kuchen, die von Dina gebacken sind, und die anderen schönen
Siebensachen ohne Verzug kredenzt werden.

Der Abend verstrich schneller als ich wünschte. Jch war
nie so froh gewesen in irgend einem Cirkel, deren ich doch viele
in vielen Ländern besucht hatte.

Die herrliche Korilla entschuldigte sich bei mir wegen ihres
Necken's; ich kann's nicht unterlassen, sagte sie lächelnd. Der
Ton, mit dem sie dies sprach, wollte aus meinem Ohr nicht mehr
fort; ich träumte in der Nacht, ich sei selbst ein bunter Sing-
vogel, der auf Dina und Korilla im Scherz Jagd machte.



Zwölftes Kapitel.

Arbeit. -- Jndustrie.

Endlich weckte mich das Morgenlicht; ich fuhr erschrocken in
die Höhe. Wie? sollte ich Sie lieben? Und doch hatte ich das
ernste Wort des ikarischen Konsuls in Kamiris nicht vergessen,
der mir beim Einhändigen des Passes unerschütterliche Achtung
vor den Töchtern der ikarischen Nation einschärfte, und ich ge-
dachte auch ganz gut des Zurufs, den der würdige Greis, in
dessen Haus ich Eintritt gefunden, an mich gerichtet, indem er
meiner Ehre seine Kinder anvertraute. Und das Alles noch
während ich mit der schönen Miß Henriette in meiner Heimath
so gut wie verlobt hin, ja auch ernstlichst willens bin, dieses
Gelöbniß zu erfüllen! Wäre es möglich, daß trotz dem ich hier
in Jkarien?... Wohlan denn, ich muß mich prüfen. Und
so mit mir selbst redend, machte ich mich zu Walmor auf, der
uns in eine Maurerwerkstätte zu führen versprochen hatte. Unter-
wegs faßte ich mich und fragte mich: findest du sie schön, an-
muthig, geistvoll, herzvoll, liebenswerth? Freilich. -- Bist du
entzückt, wenn du vor oder hinter oder neben ihr stehst, und die
Möglichkeit genießest, Augen, Locken, Mund, Zähne, Hände, Füße
dieses Mädchens zu bewundern? Freilich; alles gefällt mir an
ihr. -- Bist du froh, wenn du an sie herantrittst? traurig, wenn
du sie verlässest? Freilich. -- Jst es wahr, daß du im Tage
ihrer gedenkst, und des Nachts ihr Bild dir vorschwebt? Frei-
lich. -- O du Bedauernswürdiger, ich glaube, du liebst sie! --
Und doch ist die Freude, die ich fühle, wenn ich sie sehe, ruhig,
rein, und die Unlust, die ich fühle, wenn ich sie verlasse, ist ohne
Bitterkeit, ohne Gewaltsamkeit. Jch kann daran denken, ohne
in Fieberglut zu gerathen; ich kann mit ihr sprechen, von ihr
träumen, ohne die Selbstmacht einzubüßen; ich kann ihren Arm
fassen, ohne zu erbeben; folglich liebe ich sie nur wie eine
Schwester, wie eine Freundin! -- Aber das Mädchen? wie steht's
um sie? wie, wenn ich ihre Ruhe geraubt hätte? Ha, dann
wäre ich schuldig, würde schwer leiden. Und doch wieder...
aber nein, nein. Uebrigens gehen wir heute Abend spazieren,
und ich will womöglich mit Geschicklichkeit ihr Herz ausfragen.

Unter solchem Selbstgespräch war ich bei Walmor angekom-
men. Wir machten uns sofort auf, um die Werkstätte der Mau-
rer zu sehen; da wir noch eine Strecke Wegs haben, sagte Wal-
mor, lassen Sie sich von mir unsere Organisation der Arbeit
[Spaltenumbruch] und Jndustrie, eine der Hauptgrundlagen der ikarischen Ge-
meinde, auseinandersetzen. Jch hatte mir dies schon längst vor-
genommen zu thun, und so erlauben Sie mir, ohne Umstände
anzufangen.

Arbeit. -- Jndustrie.

Erinnern Sie sich, William, gefälligst an einige wichtige
Thatsächlichkeiten, die gleichsam der Schlüssel zu dem Uebrigen
sind. Jch habe Jhnen bereits mitgetheilt, daß wir in Gemein-
schaft der Güter und der Arbeiten leben, in Gemeinschaft der
Pflichten und Rechte, in Gemeinschaft der Lasten und Frucht-
nießung. Die Jkarier haben weder sogenanntes Privateigenthum
noch Geld, weder Kauf noch Verkauf. Gleich in Allem sind
wir, wenigstens bis zu dem Punkte, wo eine völlige Unmöglich-
keit eintritt. Wir schaffen alle sammt und sonders gleichmäßig
für die Republik und für die Gemeinde. Sie ist es allein, welche
die Erzeugnisse des Bodens und Fleißes an sich nimmt, um sie
sofort gleichmäßig unter uns zu vertheilen; sie nährt, kleidet, be-
hauset uns; sie bildet unsern Geist aus, sie stärkt unsern Körper;
sie giebt Jedem, was ihm Noth thut. Erinnern Sie sich, lieber
Freund, unser Staatszweck ist: glücklich zu sein und glücklich zu
machen; das ist das Ziel, welchem alle unsere Gesetze zustreben;
demgemäß heften wir zuerst immer den Blick auf das Nothwen-
dige, dann auf das Nützliche, zuletzt auf das Anmuthige, ohne da
Schranken vorzuschieben. Um ein Beispiel unter tausend anzu-
führen: könnte der Staat Jedem Pferd und Wagen geben, so
würde kein Jkarier, glauben Sie's sicher, ohne Equipage sein.
Aber da dies nicht möglich ist, so hat keiner Pferd und Wagen,
sondern muß sich der öffentlichen Wagen, der öffentlichen Pferde
bedienen, auf die natürlich eben deswegen die höchste Sorgfalt
verwendet wird.

Diese Grundsätze sinden sich in Anwendung bei der Orga-
nisation der Arbeit.

Die Republik, oder die freie Gemeinde, bestimmt jährlich
alle diejenigen Gegenstände, die hervorgebracht werden müssen,
um als Nahrung, Wohnung, Kleidung des Volks, das heißt der
Nation, oder Aller, zu dienen. Unser Staat allein ist berechtigt,
in seinen Nationalwerkstätten, Nationalfabriken, Nationalmanu-
fakturen ( da nämlich nichts privat gemacht wird ) seine Arbeiter
zu beschäftigen. Unser Staat wählt überall die besten Plätze
aus, giebt die besten Grundrisse und die besten Materialien zum
Aufbau dieser Werkhäuser oder vielmehr Werkpaläste; er allein
weiß jedesmal diejenigen Gewerke zu verknüpfen, welche ge-
trennt nicht gut bestehen können. Da er, der Herr über Alles,
auch keine Ausgabe scheut, so sind seine Unternehmungen mit
dem glänzendsten Erfolge gekrönt. Er vermag es, jeden Zweig
bis ins Kleinste zu vervollkommnen, die besten Vorschläge nach
langem reiflichsten Prüfen anzunehmen, und alle übrigen abzu-
weisen. Er macht sofort die guten Neuerungen bekannt und
führt sie ein. Er bilde in Werkschulen seine Arbeiter, er übt sie
theoretisch und praktisch, er bezahlt sie ( nicht mit Geld, welches
bekanntlich nicht bei uns vorhanden ist, sondern ) in Naturalien.
Er endlich ist der Generalhaushalter und Hausmeister im
Reiche, denn er sammelt die Produkte in seinen Magazinen
und theilt sie von dort an die Arbeitenden, seine Söhne und
Töchter, aus. Dieser Staat ist die Nation selbst, durch das
Comit e der Jndustrie
dargestellt. Sie sehen jetzt ohne
Zweifel schon die ungeheuren Vorzüge dieses Organismus ein;
welche Ersparniß an Zeit, Mühe, Kraft, welche Tüchtigkeit sich
dadurch gewinnen läßt, ist wahrhaft bewundernswerth. Jeder
Jkarier und jede Jkarierin übt irgend eine Handbeschäftigung,
oder Kunstfertigkeit, oder Profession aus, die vom Gesetzbuch be-
stimmt ist.

[Ende Spaltensatz]
Zur Unterhaltung und Belehrung. 217
[Beginn Spaltensatz]

Auch mich zwang sie zu singen, zuerst mit ihr, dann mit
Dina.

— Jetzt hört mich, sagte Korilla, ich bestimme die Preise:
der Herr Philosoph hat gesungen wie eine Lerche die den
Schnupfen hat; der bärtige Schüler aus England, wie ein Fuchs,
der in eine Grube gefallen, und Dina, wie eine Nachtigall, die
sich fürchtet. — Als das Gelächter sich beruhigt, fuhr sie fort:
Jch bin bekanntlich die Königin des Gesanges, wer wagt's zu
läugnen? Daher erwarte ich sofort gebührenden Beifall in diesem
gebildeten musikalischen Publikum, und befehle, daß sofort die
Kuchen, die von Dina gebacken sind, und die anderen schönen
Siebensachen ohne Verzug kredenzt werden.

Der Abend verstrich schneller als ich wünschte. Jch war
nie so froh gewesen in irgend einem Cirkel, deren ich doch viele
in vielen Ländern besucht hatte.

Die herrliche Korilla entschuldigte sich bei mir wegen ihres
Necken's; ich kann's nicht unterlassen, sagte sie lächelnd. Der
Ton, mit dem sie dies sprach, wollte aus meinem Ohr nicht mehr
fort; ich träumte in der Nacht, ich sei selbst ein bunter Sing-
vogel, der auf Dina und Korilla im Scherz Jagd machte.



Zwölftes Kapitel.

Arbeit. — Jndustrie.

Endlich weckte mich das Morgenlicht; ich fuhr erschrocken in
die Höhe. Wie? sollte ich Sie lieben? Und doch hatte ich das
ernste Wort des ikarischen Konsuls in Kamiris nicht vergessen,
der mir beim Einhändigen des Passes unerschütterliche Achtung
vor den Töchtern der ikarischen Nation einschärfte, und ich ge-
dachte auch ganz gut des Zurufs, den der würdige Greis, in
dessen Haus ich Eintritt gefunden, an mich gerichtet, indem er
meiner Ehre seine Kinder anvertraute. Und das Alles noch
während ich mit der schönen Miß Henriette in meiner Heimath
so gut wie verlobt hin, ja auch ernstlichst willens bin, dieses
Gelöbniß zu erfüllen! Wäre es möglich, daß trotz dem ich hier
in Jkarien?... Wohlan denn, ich muß mich prüfen. Und
so mit mir selbst redend, machte ich mich zu Walmor auf, der
uns in eine Maurerwerkstätte zu führen versprochen hatte. Unter-
wegs faßte ich mich und fragte mich: findest du sie schön, an-
muthig, geistvoll, herzvoll, liebenswerth? Freilich. — Bist du
entzückt, wenn du vor oder hinter oder neben ihr stehst, und die
Möglichkeit genießest, Augen, Locken, Mund, Zähne, Hände, Füße
dieses Mädchens zu bewundern? Freilich; alles gefällt mir an
ihr. — Bist du froh, wenn du an sie herantrittst? traurig, wenn
du sie verlässest? Freilich. — Jst es wahr, daß du im Tage
ihrer gedenkst, und des Nachts ihr Bild dir vorschwebt? Frei-
lich. — O du Bedauernswürdiger, ich glaube, du liebst sie! —
Und doch ist die Freude, die ich fühle, wenn ich sie sehe, ruhig,
rein, und die Unlust, die ich fühle, wenn ich sie verlasse, ist ohne
Bitterkeit, ohne Gewaltsamkeit. Jch kann daran denken, ohne
in Fieberglut zu gerathen; ich kann mit ihr sprechen, von ihr
träumen, ohne die Selbstmacht einzubüßen; ich kann ihren Arm
fassen, ohne zu erbeben; folglich liebe ich sie nur wie eine
Schwester, wie eine Freundin! — Aber das Mädchen? wie steht's
um sie? wie, wenn ich ihre Ruhe geraubt hätte? Ha, dann
wäre ich schuldig, würde schwer leiden. Und doch wieder...
aber nein, nein. Uebrigens gehen wir heute Abend spazieren,
und ich will womöglich mit Geschicklichkeit ihr Herz ausfragen.

Unter solchem Selbstgespräch war ich bei Walmor angekom-
men. Wir machten uns sofort auf, um die Werkstätte der Mau-
rer zu sehen; da wir noch eine Strecke Wegs haben, sagte Wal-
mor, lassen Sie sich von mir unsere Organisation der Arbeit
[Spaltenumbruch] und Jndustrie, eine der Hauptgrundlagen der ikarischen Ge-
meinde, auseinandersetzen. Jch hatte mir dies schon längst vor-
genommen zu thun, und so erlauben Sie mir, ohne Umstände
anzufangen.

Arbeit.Jndustrie.

Erinnern Sie sich, William, gefälligst an einige wichtige
Thatsächlichkeiten, die gleichsam der Schlüssel zu dem Uebrigen
sind. Jch habe Jhnen bereits mitgetheilt, daß wir in Gemein-
schaft der Güter und der Arbeiten leben, in Gemeinschaft der
Pflichten und Rechte, in Gemeinschaft der Lasten und Frucht-
nießung. Die Jkarier haben weder sogenanntes Privateigenthum
noch Geld, weder Kauf noch Verkauf. Gleich in Allem sind
wir, wenigstens bis zu dem Punkte, wo eine völlige Unmöglich-
keit eintritt. Wir schaffen alle sammt und sonders gleichmäßig
für die Republik und für die Gemeinde. Sie ist es allein, welche
die Erzeugnisse des Bodens und Fleißes an sich nimmt, um sie
sofort gleichmäßig unter uns zu vertheilen; sie nährt, kleidet, be-
hauset uns; sie bildet unsern Geist aus, sie stärkt unsern Körper;
sie giebt Jedem, was ihm Noth thut. Erinnern Sie sich, lieber
Freund, unser Staatszweck ist: glücklich zu sein und glücklich zu
machen; das ist das Ziel, welchem alle unsere Gesetze zustreben;
demgemäß heften wir zuerst immer den Blick auf das Nothwen-
dige, dann auf das Nützliche, zuletzt auf das Anmuthige, ohne da
Schranken vorzuschieben. Um ein Beispiel unter tausend anzu-
führen: könnte der Staat Jedem Pferd und Wagen geben, so
würde kein Jkarier, glauben Sie's sicher, ohne Equipage sein.
Aber da dies nicht möglich ist, so hat keiner Pferd und Wagen,
sondern muß sich der öffentlichen Wagen, der öffentlichen Pferde
bedienen, auf die natürlich eben deswegen die höchste Sorgfalt
verwendet wird.

Diese Grundsätze sinden sich in Anwendung bei der Orga-
nisation der Arbeit.

Die Republik, oder die freie Gemeinde, bestimmt jährlich
alle diejenigen Gegenstände, die hervorgebracht werden müssen,
um als Nahrung, Wohnung, Kleidung des Volks, das heißt der
Nation, oder Aller, zu dienen. Unser Staat allein ist berechtigt,
in seinen Nationalwerkstätten, Nationalfabriken, Nationalmanu-
fakturen ( da nämlich nichts privat gemacht wird ) seine Arbeiter
zu beschäftigen. Unser Staat wählt überall die besten Plätze
aus, giebt die besten Grundrisse und die besten Materialien zum
Aufbau dieser Werkhäuser oder vielmehr Werkpaläste; er allein
weiß jedesmal diejenigen Gewerke zu verknüpfen, welche ge-
trennt nicht gut bestehen können. Da er, der Herr über Alles,
auch keine Ausgabe scheut, so sind seine Unternehmungen mit
dem glänzendsten Erfolge gekrönt. Er vermag es, jeden Zweig
bis ins Kleinste zu vervollkommnen, die besten Vorschläge nach
langem reiflichsten Prüfen anzunehmen, und alle übrigen abzu-
weisen. Er macht sofort die guten Neuerungen bekannt und
führt sie ein. Er bilde in Werkschulen seine Arbeiter, er übt sie
theoretisch und praktisch, er bezahlt sie ( nicht mit Geld, welches
bekanntlich nicht bei uns vorhanden ist, sondern ) in Naturalien.
Er endlich ist der Generalhaushalter und Hausmeister im
Reiche, denn er sammelt die Produkte in seinen Magazinen
und theilt sie von dort an die Arbeitenden, seine Söhne und
Töchter, aus. Dieser Staat ist die Nation selbst, durch das
Comit é der Jndustrie
dargestellt. Sie sehen jetzt ohne
Zweifel schon die ungeheuren Vorzüge dieses Organismus ein;
welche Ersparniß an Zeit, Mühe, Kraft, welche Tüchtigkeit sich
dadurch gewinnen läßt, ist wahrhaft bewundernswerth. Jeder
Jkarier und jede Jkarierin übt irgend eine Handbeschäftigung,
oder Kunstfertigkeit, oder Profession aus, die vom Gesetzbuch be-
stimmt ist.

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Der Ton, mit dem sie dies sprach, wollte aus meinem Ohr nicht mehr fort; ich träumte in der Nacht, ich sei selbst ein bunter Sing- vogel, der auf Dina und Korilla im Scherz Jagd machte. Zwölftes Kapitel. Arbeit. — Jndustrie. Endlich weckte mich das Morgenlicht; ich fuhr erschrocken in die Höhe. Wie? sollte ich Sie lieben? Und doch hatte ich das ernste Wort des ikarischen Konsuls in Kamiris nicht vergessen, der mir beim Einhändigen des Passes unerschütterliche Achtung vor den Töchtern der ikarischen Nation einschärfte, und ich ge- dachte auch ganz gut des Zurufs, den der würdige Greis, in dessen Haus ich Eintritt gefunden, an mich gerichtet, indem er meiner Ehre seine Kinder anvertraute. Und das Alles noch während ich mit der schönen Miß Henriette in meiner Heimath so gut wie verlobt hin, ja auch ernstlichst willens bin, dieses Gelöbniß zu erfüllen! Wäre es möglich, daß trotz dem ich hier in Jkarien?... Wohlan denn, ich muß mich prüfen. 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Jch kann daran denken, ohne in Fieberglut zu gerathen; ich kann mit ihr sprechen, von ihr träumen, ohne die Selbstmacht einzubüßen; ich kann ihren Arm fassen, ohne zu erbeben; folglich liebe ich sie nur wie eine Schwester, wie eine Freundin! — Aber das Mädchen? wie steht's um sie? wie, wenn ich ihre Ruhe geraubt hätte? Ha, dann wäre ich schuldig, würde schwer leiden. Und doch wieder... aber nein, nein. Uebrigens gehen wir heute Abend spazieren, und ich will womöglich mit Geschicklichkeit ihr Herz ausfragen. Unter solchem Selbstgespräch war ich bei Walmor angekom- men. Wir machten uns sofort auf, um die Werkstätte der Mau- rer zu sehen; da wir noch eine Strecke Wegs haben, sagte Wal- mor, lassen Sie sich von mir unsere Organisation der Arbeit und Jndustrie, eine der Hauptgrundlagen der ikarischen Ge- meinde, auseinandersetzen. Jch hatte mir dies schon längst vor- genommen zu thun, und so erlauben Sie mir, ohne Umstände anzufangen. Arbeit. — Jndustrie. Erinnern Sie sich, William, gefälligst an einige wichtige Thatsächlichkeiten, die gleichsam der Schlüssel zu dem Uebrigen sind. Jch habe Jhnen bereits mitgetheilt, daß wir in Gemein- schaft der Güter und der Arbeiten leben, in Gemeinschaft der Pflichten und Rechte, in Gemeinschaft der Lasten und Frucht- nießung. Die Jkarier haben weder sogenanntes Privateigenthum noch Geld, weder Kauf noch Verkauf. Gleich in Allem sind wir, wenigstens bis zu dem Punkte, wo eine völlige Unmöglich- keit eintritt. Wir schaffen alle sammt und sonders gleichmäßig für die Republik und für die Gemeinde. Sie ist es allein, welche die Erzeugnisse des Bodens und Fleißes an sich nimmt, um sie sofort gleichmäßig unter uns zu vertheilen; sie nährt, kleidet, be- hauset uns; sie bildet unsern Geist aus, sie stärkt unsern Körper; sie giebt Jedem, was ihm Noth thut. Erinnern Sie sich, lieber Freund, unser Staatszweck ist: glücklich zu sein und glücklich zu machen; das ist das Ziel, welchem alle unsere Gesetze zustreben; demgemäß heften wir zuerst immer den Blick auf das Nothwen- dige, dann auf das Nützliche, zuletzt auf das Anmuthige, ohne da Schranken vorzuschieben. Um ein Beispiel unter tausend anzu- führen: könnte der Staat Jedem Pferd und Wagen geben, so würde kein Jkarier, glauben Sie's sicher, ohne Equipage sein. Aber da dies nicht möglich ist, so hat keiner Pferd und Wagen, sondern muß sich der öffentlichen Wagen, der öffentlichen Pferde bedienen, auf die natürlich eben deswegen die höchste Sorgfalt verwendet wird. Diese Grundsätze sinden sich in Anwendung bei der Orga- nisation der Arbeit. Die Republik, oder die freie Gemeinde, bestimmt jährlich alle diejenigen Gegenstände, die hervorgebracht werden müssen, um als Nahrung, Wohnung, Kleidung des Volks, das heißt der Nation, oder Aller, zu dienen. Unser Staat allein ist berechtigt, in seinen Nationalwerkstätten, Nationalfabriken, Nationalmanu- fakturen ( da nämlich nichts privat gemacht wird ) seine Arbeiter zu beschäftigen. Unser Staat wählt überall die besten Plätze aus, giebt die besten Grundrisse und die besten Materialien zum Aufbau dieser Werkhäuser oder vielmehr Werkpaläste; er allein weiß jedesmal diejenigen Gewerke zu verknüpfen, welche ge- trennt nicht gut bestehen können. Da er, der Herr über Alles, auch keine Ausgabe scheut, so sind seine Unternehmungen mit dem glänzendsten Erfolge gekrönt. Er vermag es, jeden Zweig bis ins Kleinste zu vervollkommnen, die besten Vorschläge nach langem reiflichsten Prüfen anzunehmen, und alle übrigen abzu- weisen. Er macht sofort die guten Neuerungen bekannt und führt sie ein. Er bilde in Werkschulen seine Arbeiter, er übt sie theoretisch und praktisch, er bezahlt sie ( nicht mit Geld, welches bekanntlich nicht bei uns vorhanden ist, sondern ) in Naturalien. Er endlich ist der Generalhaushalter und Hausmeister im Reiche, denn er sammelt die Produkte in seinen Magazinen und theilt sie von dort an die Arbeitenden, seine Söhne und Töchter, aus. Dieser Staat ist die Nation selbst, durch das Comit é der Jndustrie dargestellt. Sie sehen jetzt ohne Zweifel schon die ungeheuren Vorzüge dieses Organismus ein; welche Ersparniß an Zeit, Mühe, Kraft, welche Tüchtigkeit sich dadurch gewinnen läßt, ist wahrhaft bewundernswerth. Jeder Jkarier und jede Jkarierin übt irgend eine Handbeschäftigung, oder Kunstfertigkeit, oder Profession aus, die vom Gesetzbuch be- stimmt ist.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0805_1874/5>, abgerufen am 23.11.2024.