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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 219
[Beginn Spaltensatz] war es auch, wo er mit dem jungen hochherzigen Dichter Koloman
Lißnyai bekannt wurde, der mit ihm seine Börse theilte und ihn
den Redakteuren der einflußreichsten belletristischen und politischen
Blätter nach Pest empfahl. Doch die alte Schauspielwuth tobte
wieder in Petöfi; denn kaum war er zu einigen Groschen gelangt,
als er Pest verließ und sich nach Debreczin begab, wo damals
eine jämmerliche Schauspielerbande die Künste der Göttin Thalia
zum Besten gab; hier trat er nun als Schauspieler auf, wurde
aber gleich bei seinem Auftreten so furchtbar ausgelacht, daß er
nicht weiter spielen konnte und der Bühne ein für alle Mal
Lebewohl sagen mußte. Petöfi war jetzt nahe am Rande der
Verzweiflung, als ihn ganz unerwartet eine Pester Zeitschrift
zum Mitarbeiter aufforderte. Land! Land! rief er entzückt und
wollte sich schon mit einem Band Gedichte, die er in Debreczin
verfertigt, auf die Reise nach Pest machen, als er zu seinem
Entsetzen bemerkte, daß das Reisegeld ihm ausgegangen sei: da
erschien ein Freund als rettender Engel, indem er mit Petöfi
die Hälfte seines Vermögens, nämlich -- zwei Gulden, ehrlich
und brüderlich theilte.

Jn Folge der Theißüberschwemmungen war P. gezwungen,
einen großen Umweg zu machen, und so gelangte er erst im
Frühjahre 1844 nach Pest, mit einem zerknitterten Band Ge-
dichte, zerrissenen Stiefeln, durchlöchertem Hute -- aber voll der
schönsten Hoffnungen und wie immer "lustig und fidel". Jn
Pest angekommen, machte er alsbald dem damaligen größten
Dichter Ungarns, Paul Vörosmarty, seine Aufwartung. Vöros-
marty war ein etwas zugeknöpfter, barscher Mann, der sich mit
Scheu vor dem zerlumpten jungen Mann zurückzog und sich gegen
das Ansinnen Petöfis, seine Gedichte vorlesen zu wollen, auf das
Entschiedenste verwahrte. Aber dies half nichts: P. las doch
dem ruhmgekrönten Dichter ein Gedicht nach dem andern vor.
Diese Lieder hatten auf den stolzen Vörosmarty einen außer-
ordentlichen Eindruck gemacht: "Sie sind", rief er begeistert aus,
"der einzige wirkliche Dichter, den Ungarn je hatte, mich mit
eingeschlossen; für Sie muß gesorgt werden!" Dieser Augenblick
war für Petöfi's ganzes Leben entscheidend. Die Buchhändler
und Journale rissen sich um ein neues Gedicht Petöfi's, und als
der damals in Pest bestehende literarische Verein seine Gedichte
herausgab, war sein Ruhm und sein Glück auf lange Zeit ge-
gründet. "Und so erwachte P. eines Tages," sagt ein Biograph
des Dichters, "und fand, daß er der populärste Dichter sei,
welchen Ungarn jemals gehabt. Wo er ging und stand, sang
man seine Lieder; er schlief des Abends ein, während er sie
hörte, und erwachte am Morgen, wenn man sie auf der Straße
sang." Unterdessen hatte er sich mit der Tochter eines Herr-
schaftsbeamten zu Szathm a r, Julie v. Szendrey, die er leiden-
schaftlich liebte, im September 1847 verheirathet und brachte
seine Flitterwochen auf dem Gute eines Freundes, Grafen
Alexander Teleki in Kalt o zu. Den am schönsten duftenden
Liederkranz Petöfi's haben wir dieser Heirath zu verdanken, kaum
ein anderer Dichter hat seine Frau so schön und prächtig ver-
herrlicht, wie er.

Als die Märztage von 1848 kamen, da begrüßte sie P. mit
außerordentlichem Jubelschrei; denn die Freiheit, die er über
Alles in der Welt liebte, war zu erkämpfen; jene Freiheit, die
zwar in dem schrecklichen Blutbade des Jahres 1849 von Oester-
reich niedergehalten, aber nicht gänzlich erstickt werden konnte.
Seine politischen Reden und Broschüren, seine feurigen Gedichte
zündeten in der Nation, kaum verstand man, wie er inmitten der
abenteuerlichsten Erlebnisse als ungarischer Freiwilliger und
Hauptmann des 27. Honv e dbataillons die nöthige Muße dazu
gewänne. Um so erschütternder wirkte die Nachricht von dem
traurigen Ende des glorreichen Lebens. Es war am 31. Juli
1849, als die Schlacht bei Schäßburg in Siebenbürgen von 10
Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends mit furchtbarer Grausamkeit
wüthete; Petöfi focht als Adjutant des Generals Bem an dessen
Seite, als plötzlich die heftig anstürmenden russischen Cavallerie-
kolonnen die Magyaren in die Flucht jagten und die Fliehenden
unter den Hufen der Rosse größtentheils zermalmt wurden.
Nach der Schlacht fand man Bem unter seinem Pferde begraben,
Petöfi aber war verschwunden. Man glaubte noch lange Zeit
hernach, daß er noch lebe und sich irgendwo versteckt halte, aber
es ist heutzutage leider eine traurige Gewißheit, daß er in der
Schlacht bei Schäßburg seinen Tod gefunden hat. Petöfi war
noch keine 27 Jahre alt. Er hat übrigens diesen seinen glor-
reichen Tod schon im Jahre 1846 geahnt, als er jenes herrliche
[Spaltenumbruch] Gedicht verfaßte, das seinen Heldentod mit großer Genauigkeit
beschreibt:

" Wenn jedes Volk dem Joch entflieht,
Vereint dereinst ins Feld zum Kampfe zieht,
Das Antlitz roth, entrollt die rothe Fahne: -- --
Dann will ich fallen dort;
Auf jenem Feld der Schlacht sofort
Entfließe meines Herzens junges Blut,
Und haucht ich auch aus das letzte Wort im freudigen Muth,
So mögen es verschlingen Schwertgeklirr,
Drometenton, Geschützdonner, lärmend Wirr.
Und über meinen Leichnam hin
Setz' im Galopp das Roß, zertretend ihn,
Wenn zum erfochtnen Sieg dahin man fliegt,
Laß dort mich liegen, bis das Recht ersiegt,
Und meine Knochen erst man sammeln mag,
Wenn anberaumt der große Allbegräbnißtag." -- --

So sang, so starb auch wirklich Alexander Petöfi, ein echter
Sohn des Volkes, stets bereit, sein Leben für dasselbe in die
Schanze zu schlagen.



Eine Handwerkerfamilie.
Wenn Jhnen Jhre Kinder sterben, so glauben Sie,
das sei ein Zufall Es ist kein Zufall, es ist ein
eisernes, statistisches Gesetz, wurzelnd in Jhrer
schlechten Lage.
Lassalle.

Der Held unserer Erzählung, ein Tischlermeister einer
mittelgroßen Stadt unseres deutschen Vaterlandes, heißt Neu-
mann. Ob dieser Name, der wahre sei, bezweifeln wir selbst,
hoffen aber, daß sich der Leser mit der Versicherung begnügen
wird, daß das traurige seltsame Geschick des Mannes, den wir
hier zu schildern haben, der strengsten Wahrheit entspricht.

Nach dieser nothwendigen Einleitung wollen wir uns sofort
zu dem engeren Schauplatz unserer Erzählung verfügen.

Das Stübchen, in welchem Meister Neumann arbeitete, war
ziemlich klein und hatte höchstens für die zwei Arbeiter Raum,
die -- Meister und Lehrling -- beim Beginn eines Sommer-
abends darin in eifriger Arbeit begriffen waren.

Raschelnd flogen die Hobelspäne auf den Fußboden, den sie
kniehoch bedeckten, die Sägespreu verfinsterte fast die Luft, --
als sich eine kleine Seitenthür öffnete und die Frau des Meisters,
eine rüstige Fünfzigerin, in die Werkstatt trat.

-- Aber sage mir, Neumann, was bedeutet denn das?
Willst Du Dir denn keinen Augenblick Ruhe gönnen? hob sie
an. Daß Du gestern bis in die sinkende Nacht gearbeitet, daß
Du heute bei dem ersten Tageslicht aufgewesen bist, daß Du Dir
nicht einmal am Sonntage ein Vergnügen, einen unschuldigen
Spaziergang gönnst -- na, das wäre noch zu entschuldigen;
aber daß Du nicht einmal heute ein halbes Stündchen von
Deiner Arbeitszeit abbrechen willst, um Deinen Sohn nach jahre-
langer Trennung auf dem Bahnhof zu empfangen, das finde ich
wirklich unverzeihlich! --

-- Du magst Recht haben, Alte, erwiderte der Meister, in-
dem er eine mächtige Prise nahm und seine Mütze verlegen hin
und her schob. Du magst Recht haben, aber ich denke, es wird
wohl noch Zeit sein, auf den Bahnhof -- -- --

Ein gellender Pfiff und dumpfes Rollen eines heranbrau-
senden Zuges, sowie seine Frau unterbrachen Neumann in seiner
Rede.

-- Da kommt der Zug, rief diese erzürnt, und Du hölzerner
Peter hast es nun wirklich dahin gebracht, daß der arme Junge
auf dem Bahnhof auch nicht einen Einzigen von uns treffen und
glauben wird, daß wir ihn während seiner Abwesenheit ganz
vergessen haben.

-- Es ist wahr, antwortete der Alte unmuthig, ich hätte
die Arbeit eher schließen können, aber sie war so dringend; na
-- und der Junge wird doch hoffentlich nicht böse sein, wenn er
seinen alten schwachen Vater 'mal einen Gang erspart. Wie
weit ist es denn übrigens?

-- Um so eher hättest Du gehen können, eiferte die Meisterin,
aber ach -- rief sie, sich unterbrechend, indem sie einen Blick
zum Fenster hinauswarf. Weiß Gott, sieh' doch dort an der
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 219
[Beginn Spaltensatz] war es auch, wo er mit dem jungen hochherzigen Dichter Koloman
Lißnyai bekannt wurde, der mit ihm seine Börse theilte und ihn
den Redakteuren der einflußreichsten belletristischen und politischen
Blätter nach Pest empfahl. Doch die alte Schauspielwuth tobte
wieder in Petöfi; denn kaum war er zu einigen Groschen gelangt,
als er Pest verließ und sich nach Debreczin begab, wo damals
eine jämmerliche Schauspielerbande die Künste der Göttin Thalia
zum Besten gab; hier trat er nun als Schauspieler auf, wurde
aber gleich bei seinem Auftreten so furchtbar ausgelacht, daß er
nicht weiter spielen konnte und der Bühne ein für alle Mal
Lebewohl sagen mußte. Petöfi war jetzt nahe am Rande der
Verzweiflung, als ihn ganz unerwartet eine Pester Zeitschrift
zum Mitarbeiter aufforderte. Land! Land! rief er entzückt und
wollte sich schon mit einem Band Gedichte, die er in Debreczin
verfertigt, auf die Reise nach Pest machen, als er zu seinem
Entsetzen bemerkte, daß das Reisegeld ihm ausgegangen sei: da
erschien ein Freund als rettender Engel, indem er mit Petöfi
die Hälfte seines Vermögens, nämlich — zwei Gulden, ehrlich
und brüderlich theilte.

Jn Folge der Theißüberschwemmungen war P. gezwungen,
einen großen Umweg zu machen, und so gelangte er erst im
Frühjahre 1844 nach Pest, mit einem zerknitterten Band Ge-
dichte, zerrissenen Stiefeln, durchlöchertem Hute — aber voll der
schönsten Hoffnungen und wie immer „lustig und fidel“. Jn
Pest angekommen, machte er alsbald dem damaligen größten
Dichter Ungarns, Paul Vörosmarty, seine Aufwartung. Vöros-
marty war ein etwas zugeknöpfter, barscher Mann, der sich mit
Scheu vor dem zerlumpten jungen Mann zurückzog und sich gegen
das Ansinnen Petöfis, seine Gedichte vorlesen zu wollen, auf das
Entschiedenste verwahrte. Aber dies half nichts: P. las doch
dem ruhmgekrönten Dichter ein Gedicht nach dem andern vor.
Diese Lieder hatten auf den stolzen Vörosmarty einen außer-
ordentlichen Eindruck gemacht: „Sie sind“, rief er begeistert aus,
„der einzige wirkliche Dichter, den Ungarn je hatte, mich mit
eingeschlossen; für Sie muß gesorgt werden!“ Dieser Augenblick
war für Petöfi's ganzes Leben entscheidend. Die Buchhändler
und Journale rissen sich um ein neues Gedicht Petöfi's, und als
der damals in Pest bestehende literarische Verein seine Gedichte
herausgab, war sein Ruhm und sein Glück auf lange Zeit ge-
gründet. „Und so erwachte P. eines Tages,“ sagt ein Biograph
des Dichters, „und fand, daß er der populärste Dichter sei,
welchen Ungarn jemals gehabt. Wo er ging und stand, sang
man seine Lieder; er schlief des Abends ein, während er sie
hörte, und erwachte am Morgen, wenn man sie auf der Straße
sang.“ Unterdessen hatte er sich mit der Tochter eines Herr-
schaftsbeamten zu Szathm à r, Julie v. Szendrey, die er leiden-
schaftlich liebte, im September 1847 verheirathet und brachte
seine Flitterwochen auf dem Gute eines Freundes, Grafen
Alexander Teleki in Kalt ó zu. Den am schönsten duftenden
Liederkranz Petöfi's haben wir dieser Heirath zu verdanken, kaum
ein anderer Dichter hat seine Frau so schön und prächtig ver-
herrlicht, wie er.

Als die Märztage von 1848 kamen, da begrüßte sie P. mit
außerordentlichem Jubelschrei; denn die Freiheit, die er über
Alles in der Welt liebte, war zu erkämpfen; jene Freiheit, die
zwar in dem schrecklichen Blutbade des Jahres 1849 von Oester-
reich niedergehalten, aber nicht gänzlich erstickt werden konnte.
Seine politischen Reden und Broschüren, seine feurigen Gedichte
zündeten in der Nation, kaum verstand man, wie er inmitten der
abenteuerlichsten Erlebnisse als ungarischer Freiwilliger und
Hauptmann des 27. Honv é dbataillons die nöthige Muße dazu
gewänne. Um so erschütternder wirkte die Nachricht von dem
traurigen Ende des glorreichen Lebens. Es war am 31. Juli
1849, als die Schlacht bei Schäßburg in Siebenbürgen von 10
Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends mit furchtbarer Grausamkeit
wüthete; Petöfi focht als Adjutant des Generals Bem an dessen
Seite, als plötzlich die heftig anstürmenden russischen Cavallerie-
kolonnen die Magyaren in die Flucht jagten und die Fliehenden
unter den Hufen der Rosse größtentheils zermalmt wurden.
Nach der Schlacht fand man Bem unter seinem Pferde begraben,
Petöfi aber war verschwunden. Man glaubte noch lange Zeit
hernach, daß er noch lebe und sich irgendwo versteckt halte, aber
es ist heutzutage leider eine traurige Gewißheit, daß er in der
Schlacht bei Schäßburg seinen Tod gefunden hat. Petöfi war
noch keine 27 Jahre alt. Er hat übrigens diesen seinen glor-
reichen Tod schon im Jahre 1846 geahnt, als er jenes herrliche
[Spaltenumbruch] Gedicht verfaßte, das seinen Heldentod mit großer Genauigkeit
beschreibt:

„ Wenn jedes Volk dem Joch entflieht,
Vereint dereinst ins Feld zum Kampfe zieht,
Das Antlitz roth, entrollt die rothe Fahne: — —
Dann will ich fallen dort;
Auf jenem Feld der Schlacht sofort
Entfließe meines Herzens junges Blut,
Und haucht ich auch aus das letzte Wort im freudigen Muth,
So mögen es verschlingen Schwertgeklirr,
Drometenton, Geschützdonner, lärmend Wirr.
Und über meinen Leichnam hin
Setz' im Galopp das Roß, zertretend ihn,
Wenn zum erfochtnen Sieg dahin man fliegt,
Laß dort mich liegen, bis das Recht ersiegt,
Und meine Knochen erst man sammeln mag,
Wenn anberaumt der große Allbegräbnißtag.“ — —

So sang, so starb auch wirklich Alexander Petöfi, ein echter
Sohn des Volkes, stets bereit, sein Leben für dasselbe in die
Schanze zu schlagen.



Eine Handwerkerfamilie.
Wenn Jhnen Jhre Kinder sterben, so glauben Sie,
das sei ein Zufall Es ist kein Zufall, es ist ein
eisernes, statistisches Gesetz, wurzelnd in Jhrer
schlechten Lage.
Lassalle.

Der Held unserer Erzählung, ein Tischlermeister einer
mittelgroßen Stadt unseres deutschen Vaterlandes, heißt Neu-
mann. Ob dieser Name, der wahre sei, bezweifeln wir selbst,
hoffen aber, daß sich der Leser mit der Versicherung begnügen
wird, daß das traurige seltsame Geschick des Mannes, den wir
hier zu schildern haben, der strengsten Wahrheit entspricht.

Nach dieser nothwendigen Einleitung wollen wir uns sofort
zu dem engeren Schauplatz unserer Erzählung verfügen.

Das Stübchen, in welchem Meister Neumann arbeitete, war
ziemlich klein und hatte höchstens für die zwei Arbeiter Raum,
die — Meister und Lehrling — beim Beginn eines Sommer-
abends darin in eifriger Arbeit begriffen waren.

Raschelnd flogen die Hobelspäne auf den Fußboden, den sie
kniehoch bedeckten, die Sägespreu verfinsterte fast die Luft, —
als sich eine kleine Seitenthür öffnete und die Frau des Meisters,
eine rüstige Fünfzigerin, in die Werkstatt trat.

— Aber sage mir, Neumann, was bedeutet denn das?
Willst Du Dir denn keinen Augenblick Ruhe gönnen? hob sie
an. Daß Du gestern bis in die sinkende Nacht gearbeitet, daß
Du heute bei dem ersten Tageslicht aufgewesen bist, daß Du Dir
nicht einmal am Sonntage ein Vergnügen, einen unschuldigen
Spaziergang gönnst — na, das wäre noch zu entschuldigen;
aber daß Du nicht einmal heute ein halbes Stündchen von
Deiner Arbeitszeit abbrechen willst, um Deinen Sohn nach jahre-
langer Trennung auf dem Bahnhof zu empfangen, das finde ich
wirklich unverzeihlich! —

— Du magst Recht haben, Alte, erwiderte der Meister, in-
dem er eine mächtige Prise nahm und seine Mütze verlegen hin
und her schob. Du magst Recht haben, aber ich denke, es wird
wohl noch Zeit sein, auf den Bahnhof — — —

Ein gellender Pfiff und dumpfes Rollen eines heranbrau-
senden Zuges, sowie seine Frau unterbrachen Neumann in seiner
Rede.

— Da kommt der Zug, rief diese erzürnt, und Du hölzerner
Peter hast es nun wirklich dahin gebracht, daß der arme Junge
auf dem Bahnhof auch nicht einen Einzigen von uns treffen und
glauben wird, daß wir ihn während seiner Abwesenheit ganz
vergessen haben.

— Es ist wahr, antwortete der Alte unmuthig, ich hätte
die Arbeit eher schließen können, aber sie war so dringend; na
— und der Junge wird doch hoffentlich nicht böse sein, wenn er
seinen alten schwachen Vater 'mal einen Gang erspart. Wie
weit ist es denn übrigens?

— Um so eher hättest Du gehen können, eiferte die Meisterin,
aber ach — rief sie, sich unterbrechend, indem sie einen Blick
zum Fenster hinauswarf. Weiß Gott, sieh' doch dort an der
[Ende Spaltensatz]

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[219/0007] Zur Unterhaltung und Belehrung. 219 war es auch, wo er mit dem jungen hochherzigen Dichter Koloman Lißnyai bekannt wurde, der mit ihm seine Börse theilte und ihn den Redakteuren der einflußreichsten belletristischen und politischen Blätter nach Pest empfahl. Doch die alte Schauspielwuth tobte wieder in Petöfi; denn kaum war er zu einigen Groschen gelangt, als er Pest verließ und sich nach Debreczin begab, wo damals eine jämmerliche Schauspielerbande die Künste der Göttin Thalia zum Besten gab; hier trat er nun als Schauspieler auf, wurde aber gleich bei seinem Auftreten so furchtbar ausgelacht, daß er nicht weiter spielen konnte und der Bühne ein für alle Mal Lebewohl sagen mußte. Petöfi war jetzt nahe am Rande der Verzweiflung, als ihn ganz unerwartet eine Pester Zeitschrift zum Mitarbeiter aufforderte. Land! Land! rief er entzückt und wollte sich schon mit einem Band Gedichte, die er in Debreczin verfertigt, auf die Reise nach Pest machen, als er zu seinem Entsetzen bemerkte, daß das Reisegeld ihm ausgegangen sei: da erschien ein Freund als rettender Engel, indem er mit Petöfi die Hälfte seines Vermögens, nämlich — zwei Gulden, ehrlich und brüderlich theilte. Jn Folge der Theißüberschwemmungen war P. gezwungen, einen großen Umweg zu machen, und so gelangte er erst im Frühjahre 1844 nach Pest, mit einem zerknitterten Band Ge- dichte, zerrissenen Stiefeln, durchlöchertem Hute — aber voll der schönsten Hoffnungen und wie immer „lustig und fidel“. Jn Pest angekommen, machte er alsbald dem damaligen größten Dichter Ungarns, Paul Vörosmarty, seine Aufwartung. Vöros- marty war ein etwas zugeknöpfter, barscher Mann, der sich mit Scheu vor dem zerlumpten jungen Mann zurückzog und sich gegen das Ansinnen Petöfis, seine Gedichte vorlesen zu wollen, auf das Entschiedenste verwahrte. Aber dies half nichts: P. las doch dem ruhmgekrönten Dichter ein Gedicht nach dem andern vor. Diese Lieder hatten auf den stolzen Vörosmarty einen außer- ordentlichen Eindruck gemacht: „Sie sind“, rief er begeistert aus, „der einzige wirkliche Dichter, den Ungarn je hatte, mich mit eingeschlossen; für Sie muß gesorgt werden!“ Dieser Augenblick war für Petöfi's ganzes Leben entscheidend. Die Buchhändler und Journale rissen sich um ein neues Gedicht Petöfi's, und als der damals in Pest bestehende literarische Verein seine Gedichte herausgab, war sein Ruhm und sein Glück auf lange Zeit ge- gründet. „Und so erwachte P. eines Tages,“ sagt ein Biograph des Dichters, „und fand, daß er der populärste Dichter sei, welchen Ungarn jemals gehabt. Wo er ging und stand, sang man seine Lieder; er schlief des Abends ein, während er sie hörte, und erwachte am Morgen, wenn man sie auf der Straße sang.“ Unterdessen hatte er sich mit der Tochter eines Herr- schaftsbeamten zu Szathm à r, Julie v. Szendrey, die er leiden- schaftlich liebte, im September 1847 verheirathet und brachte seine Flitterwochen auf dem Gute eines Freundes, Grafen Alexander Teleki in Kalt ó zu. Den am schönsten duftenden Liederkranz Petöfi's haben wir dieser Heirath zu verdanken, kaum ein anderer Dichter hat seine Frau so schön und prächtig ver- herrlicht, wie er. Als die Märztage von 1848 kamen, da begrüßte sie P. mit außerordentlichem Jubelschrei; denn die Freiheit, die er über Alles in der Welt liebte, war zu erkämpfen; jene Freiheit, die zwar in dem schrecklichen Blutbade des Jahres 1849 von Oester- reich niedergehalten, aber nicht gänzlich erstickt werden konnte. Seine politischen Reden und Broschüren, seine feurigen Gedichte zündeten in der Nation, kaum verstand man, wie er inmitten der abenteuerlichsten Erlebnisse als ungarischer Freiwilliger und Hauptmann des 27. Honv é dbataillons die nöthige Muße dazu gewänne. Um so erschütternder wirkte die Nachricht von dem traurigen Ende des glorreichen Lebens. Es war am 31. Juli 1849, als die Schlacht bei Schäßburg in Siebenbürgen von 10 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends mit furchtbarer Grausamkeit wüthete; Petöfi focht als Adjutant des Generals Bem an dessen Seite, als plötzlich die heftig anstürmenden russischen Cavallerie- kolonnen die Magyaren in die Flucht jagten und die Fliehenden unter den Hufen der Rosse größtentheils zermalmt wurden. Nach der Schlacht fand man Bem unter seinem Pferde begraben, Petöfi aber war verschwunden. Man glaubte noch lange Zeit hernach, daß er noch lebe und sich irgendwo versteckt halte, aber es ist heutzutage leider eine traurige Gewißheit, daß er in der Schlacht bei Schäßburg seinen Tod gefunden hat. Petöfi war noch keine 27 Jahre alt. Er hat übrigens diesen seinen glor- reichen Tod schon im Jahre 1846 geahnt, als er jenes herrliche Gedicht verfaßte, das seinen Heldentod mit großer Genauigkeit beschreibt: „ Wenn jedes Volk dem Joch entflieht, Vereint dereinst ins Feld zum Kampfe zieht, Das Antlitz roth, entrollt die rothe Fahne: — — Dann will ich fallen dort; Auf jenem Feld der Schlacht sofort Entfließe meines Herzens junges Blut, Und haucht ich auch aus das letzte Wort im freudigen Muth, So mögen es verschlingen Schwertgeklirr, Drometenton, Geschützdonner, lärmend Wirr. Und über meinen Leichnam hin Setz' im Galopp das Roß, zertretend ihn, Wenn zum erfochtnen Sieg dahin man fliegt, Laß dort mich liegen, bis das Recht ersiegt, Und meine Knochen erst man sammeln mag, Wenn anberaumt der große Allbegräbnißtag.“ — — So sang, so starb auch wirklich Alexander Petöfi, ein echter Sohn des Volkes, stets bereit, sein Leben für dasselbe in die Schanze zu schlagen. Eine Handwerkerfamilie. Wenn Jhnen Jhre Kinder sterben, so glauben Sie, das sei ein Zufall Es ist kein Zufall, es ist ein eisernes, statistisches Gesetz, wurzelnd in Jhrer schlechten Lage. Lassalle. Der Held unserer Erzählung, ein Tischlermeister einer mittelgroßen Stadt unseres deutschen Vaterlandes, heißt Neu- mann. Ob dieser Name, der wahre sei, bezweifeln wir selbst, hoffen aber, daß sich der Leser mit der Versicherung begnügen wird, daß das traurige seltsame Geschick des Mannes, den wir hier zu schildern haben, der strengsten Wahrheit entspricht. Nach dieser nothwendigen Einleitung wollen wir uns sofort zu dem engeren Schauplatz unserer Erzählung verfügen. Das Stübchen, in welchem Meister Neumann arbeitete, war ziemlich klein und hatte höchstens für die zwei Arbeiter Raum, die — Meister und Lehrling — beim Beginn eines Sommer- abends darin in eifriger Arbeit begriffen waren. Raschelnd flogen die Hobelspäne auf den Fußboden, den sie kniehoch bedeckten, die Sägespreu verfinsterte fast die Luft, — als sich eine kleine Seitenthür öffnete und die Frau des Meisters, eine rüstige Fünfzigerin, in die Werkstatt trat. — Aber sage mir, Neumann, was bedeutet denn das? Willst Du Dir denn keinen Augenblick Ruhe gönnen? hob sie an. Daß Du gestern bis in die sinkende Nacht gearbeitet, daß Du heute bei dem ersten Tageslicht aufgewesen bist, daß Du Dir nicht einmal am Sonntage ein Vergnügen, einen unschuldigen Spaziergang gönnst — na, das wäre noch zu entschuldigen; aber daß Du nicht einmal heute ein halbes Stündchen von Deiner Arbeitszeit abbrechen willst, um Deinen Sohn nach jahre- langer Trennung auf dem Bahnhof zu empfangen, das finde ich wirklich unverzeihlich! — — Du magst Recht haben, Alte, erwiderte der Meister, in- dem er eine mächtige Prise nahm und seine Mütze verlegen hin und her schob. Du magst Recht haben, aber ich denke, es wird wohl noch Zeit sein, auf den Bahnhof — — — Ein gellender Pfiff und dumpfes Rollen eines heranbrau- senden Zuges, sowie seine Frau unterbrachen Neumann in seiner Rede. — Da kommt der Zug, rief diese erzürnt, und Du hölzerner Peter hast es nun wirklich dahin gebracht, daß der arme Junge auf dem Bahnhof auch nicht einen Einzigen von uns treffen und glauben wird, daß wir ihn während seiner Abwesenheit ganz vergessen haben. — Es ist wahr, antwortete der Alte unmuthig, ich hätte die Arbeit eher schließen können, aber sie war so dringend; na — und der Junge wird doch hoffentlich nicht böse sein, wenn er seinen alten schwachen Vater 'mal einen Gang erspart. Wie weit ist es denn übrigens? — Um so eher hättest Du gehen können, eiferte die Meisterin, aber ach — rief sie, sich unterbrechend, indem sie einen Blick zum Fenster hinauswarf. Weiß Gott, sieh' doch dort an der

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0805_1874/7>, abgerufen am 21.11.2024.