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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 228
[Beginn Spaltensatz] Unterdrückten erpreßt wird, wagt ihr es deshalb unsere stummen
und doch so beredeten Klagen für eine Lüge zu erklären?

Und ob auch diese Nichtswürdigkeit zu unserm Nachtheile
gewirkt hat, wie keine andere, so schöpfen wir doch daraus die
wichtige Lehre, daß, so wenig wie Jhr zur Erkenntniß unserer
Lage gelangen konntet, Jhr auch ebenso wenig im Stande seid,
sie jemals zu verbessern.

Und ist es denn nicht ein großer Gewinn, daß wir Euch
dadurch in Eurer ganzen Erbärmlichkeit kennen lernten? Daß
wir nun vereint rufen: Schande über die mit unserm Schweiß,
mit unserm Blut gemästete Brut, die bei vollen Schüsseln Mäßig-
keit, und nach gelungenem Raube Ehrlichkeit predigt! Daß wir
gegen Eure erbärmliche Ausflucht eine Entgeguung gefunden
haben, die werth ist von Lassalle zu stammen? Er rief aus:
Wenn Jhnen Jhre Kinder sterben, so halten Sie es für Zufall.
Es ist kein Zufall, es ist ein in Jhrer schlechten Lage wurzeln-
des Gesetz.

Prägt sie Euch tief ein diese Worte, Jhr deutschen Arbeiter,
und wenn Jhr am Lager der todten Frau, des todten Kindes
steht, wenn Jhr von Selbstmord und Raub hört, nennt das nicht
Zufall, nennt es ein Gesetz, dem wir Alle unterworfen sind und
berathet die Mittel, dasselbe zu bekämpfen.

Ein Beispiel biete unser wackerer Meister. Weil er nicht
einmal nach der Ursache seiner schlechten Lage forschte, weil er
demnach seine Kinder nicht besser erzog, konnte er nothwendig
nicht bessere Resultate erzielen.

( Schluß folgt. )



Ein Druckfehler.

Während des ungarischen Freiheitskampfes schrieb Koloman
Lisznyay ein mächtiges Schlachtenlied, welches indessen aus
dem einfachen Grunde nicht erscheinen konnte, weil es zur Zeit,
da es fertig wurde, in Pest weder eine Zeitung noch eine Drucke-
rei mehr gab. -- Die Verse blieben im Pulte des Poeten. --
Später, als die Zeiten ruhiger wurden, dachte sich aber
Lisznyay: "Warum soll das Gedicht im Pulte ruhen? Es ver-
dient an's Tageslicht zu kommen, und dann ist es zwanzig Gul-
den werth unter Brüdern! Nehmen wir demnach an dem Liede
einige zeitgemäße Abänderungen vor und beglücken wir sodann
das Publikum damit. -- Es brauchte nur an die Stelle des
Titels: "Valentin Balassa's Klage in der Gefangenschaft" etwas
Anderes gesetzt zu werden: dann mußte er noch die Worte:
"gegen Rußland=Oesterreich" im Refrain durchstreichen und dar-
über schreiben: "gegen Türken und Tartaren." Dagegen konnte
der Censor dann wohl keine Einsprache mehr erheben. Lisznyay
trug das Manuseript zum Redacteur ( es gab nur einen Re-
dacteur in Pest, den Redacteur des Amtsblattes, Nadaskay ) ; der
freute sich sehr, daß er einen so berühmten Poeten für das Amts-
blatt bekehrt hatte, zahlte sofort das Honorar und sandte das
Gedicht in die Druckerei, damit es für das Feuilleton gesetzt
werde. -- Das Manuscript kam aber in die Hände des wackeren
Setzers K.. i, und der dachte sich, er werde damit einen kleinen
"Jux" machen. -- Der "Scherz" bestand darin, daß er nicht
"Gegen Türken und Tataren" setzte, sondern das darunter stehende,
durchstrichene "Gegen Rußland=Oesterreich." Und er dachte sich,
welch einen "Jux" das geben würde, wenn der Redacteur die
Worte erblickt, und sieht es der nicht, bemerkt es der Revisor;
wer aber in jedem Falle darüber stolpern müsse, das sei der
Corrector; im schlimmsten Falle stößt schließlich, wenn kein An-
derer, so doch der Censor darauf, und der wird schon dafür sor-
gen, daß es nicht erscheine. -- Der Redacteur aber war der An-
sicht, wenn irgend wer, so habe er das Amtsblatt nicht zu lesen;
ist ja doch der Revisor da, dem entgeht kein Fehler. Und er
fuhr ruhig in den Auwinkel. Der Revisor fand aber gegen
Abend das Bier in der "Kis Pipa" ausgezeichnet, und er dachte
sich, wenn das Blatt in der vergangenen Woche ohne Revision
erscheinen konnte, warum sollte dies nicht auch in dieser Woche
gehen? Wer wird sich damit die Augen verderben? Ohnehin
[Spaltenumbruch] liest der Corrector das Blatt. Der Corrector sah es auch durch, und wo
er einen Buchstaben fand, der mit dem Fuße gegen den Himmel
ragte, so bemerkte er an dem Rande " vertatur " oder er erwies
höchstens dem Musikreferenten die Freundschaft, daß er den Na-
men des Componisten Palestrina auf "Palästina" corrigirte; aber daß
er auch den Text im Allgemeinen einer Kritik unterziehe, konnte
doch Niemand von ihm fordern! Und er ließ Rußland, Ruß-
land und Oesterreich, Oesterreich sein. Sache des Censors ist
es. zu streichen. -- Der neue Censor aber hielt Nachts 11 Uhr,
als man ihm den Bürstenabzug des Blattes beachte, den folgen-
den Monolog: "Arbeitet etwa der Mensch den ganzen Tag
nicht wie ein Roß? Er sucht von Früh bis Abends in den
vielen Eseleien was Gescheidtes, damit er es streichen könne, und
nun soll er auch noch das Amtsblatt lesen von A bis Z? Er
ist nicht verrückt geworden. Trage es zurück ( zu Hause hat es
doch Jemand gelesen ) . Imprimatur." -- Und das Blatt wurde
gedruckt, wie es war, und Morgens wurde es mit der Post nach
allen Gegenden der Windrose versendet. -- Es hätte auch nie-
mals Jemand von dem Quid pro quo etwas erfahren, denn wer
liest außer den Concurseröffnungen und Lieitationen etwas im
Amtsblatt? Nun gab es aber Einen Menschen in der Welt,
der las auch die belletristristischen Rubrik im amtlichen Journal,
und das war -- der Autor selber. Vor Entsetzen entfiel ihm
der Kaffeelöffel, als er des andern Tages in das Amtsblatt blickt
und in seinem Gedicht das pompöse "Gegen Rußland=Oester-
reich " sieht. Er läßt den Kaffee im Stiche, eilt zum Redakteur,
reißt die Thüre auf und ruft: "Unglücklicher, was haft du ge-
than?" Nadaskay wankte vor Schreck, als er einen Blick auf
den Unglücksvers geworfen. "Wer hat das verbrochen?" Sie
fahren zur Polizei und fragen den Censor: "Haben Sie das
gesehen?" Sie können den armen Mann kaam daran verhin-
dern, daß er in selbstmörderischer Absicht den Rothstift verschlucke.
Dann gings im Galopp zur Post: "Wo sind die Amtsblätter?"
Die hatte aber bereits in alle Theile des Landes das schöne Ge-
dicht entführt, in welchem ein geehrtes Publikum amtlich aufge-
fordert wurde, Flinte und Säbel "gegen Rußland und Oester-
reich " zu ergreifen und Rußland und Oesterreich zu massacriren.
Es gab keinen anderen Ausweg, man mußte im nächsten Blatte
mit einem halbamtlichen Dementi herausrücken, was dann den
Jrrthum paralysirte. Der lustige K.. i aber, der Setzer, kam
des "Juxes" wegen drei Jährlein in's Gefängniß.



Album der Poesie.
An gewisse Abgeordnete.
Gern will ich sein ein Rather,
Verlangt nur keine That --
Jch bin Familienvater
Und auch Geheimerath.
Ja freilich, beides bin ich,
Das macht mir viele Pein --
Jch bin gewiß freisinnig,
Wie's immer nur kann sein.
Hätt' ich nicht Frau und Kinder,
Da wär's mir einerlei,
Vorsichtig wär' ich minder,
Spräch' auch noch mal so frei.
Doch ein Familienvater --
Der Punkt ist delikat,
Und noch viel delikater
Jst ein Geheimerath.
Hoffmann v. Fallersleben.
[Ende Spaltensatz]

Juhalt der 9. Lieferung. Nr. 1. 1. Die deutsche Arbeiterpartei. -- 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) -- 3. Aus der Loudoner
Verbrecherwelt. -- 4. Eine Handwerkerfamilie. -- 5. Ein Druckfehler. -- 6. Album der Poesie.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. -- Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

Zur Unterhaltung und Belehrung. 228
[Beginn Spaltensatz] Unterdrückten erpreßt wird, wagt ihr es deshalb unsere stummen
und doch so beredeten Klagen für eine Lüge zu erklären?

Und ob auch diese Nichtswürdigkeit zu unserm Nachtheile
gewirkt hat, wie keine andere, so schöpfen wir doch daraus die
wichtige Lehre, daß, so wenig wie Jhr zur Erkenntniß unserer
Lage gelangen konntet, Jhr auch ebenso wenig im Stande seid,
sie jemals zu verbessern.

Und ist es denn nicht ein großer Gewinn, daß wir Euch
dadurch in Eurer ganzen Erbärmlichkeit kennen lernten? Daß
wir nun vereint rufen: Schande über die mit unserm Schweiß,
mit unserm Blut gemästete Brut, die bei vollen Schüsseln Mäßig-
keit, und nach gelungenem Raube Ehrlichkeit predigt! Daß wir
gegen Eure erbärmliche Ausflucht eine Entgeguung gefunden
haben, die werth ist von Lassalle zu stammen? Er rief aus:
Wenn Jhnen Jhre Kinder sterben, so halten Sie es für Zufall.
Es ist kein Zufall, es ist ein in Jhrer schlechten Lage wurzeln-
des Gesetz.

Prägt sie Euch tief ein diese Worte, Jhr deutschen Arbeiter,
und wenn Jhr am Lager der todten Frau, des todten Kindes
steht, wenn Jhr von Selbstmord und Raub hört, nennt das nicht
Zufall, nennt es ein Gesetz, dem wir Alle unterworfen sind und
berathet die Mittel, dasselbe zu bekämpfen.

Ein Beispiel biete unser wackerer Meister. Weil er nicht
einmal nach der Ursache seiner schlechten Lage forschte, weil er
demnach seine Kinder nicht besser erzog, konnte er nothwendig
nicht bessere Resultate erzielen.

( Schluß folgt. )



Ein Druckfehler.

Während des ungarischen Freiheitskampfes schrieb Koloman
Lisznyay ein mächtiges Schlachtenlied, welches indessen aus
dem einfachen Grunde nicht erscheinen konnte, weil es zur Zeit,
da es fertig wurde, in Pest weder eine Zeitung noch eine Drucke-
rei mehr gab. — Die Verse blieben im Pulte des Poeten. —
Später, als die Zeiten ruhiger wurden, dachte sich aber
Lisznyay: „Warum soll das Gedicht im Pulte ruhen? Es ver-
dient an's Tageslicht zu kommen, und dann ist es zwanzig Gul-
den werth unter Brüdern! Nehmen wir demnach an dem Liede
einige zeitgemäße Abänderungen vor und beglücken wir sodann
das Publikum damit. — Es brauchte nur an die Stelle des
Titels: „Valentin Balassa's Klage in der Gefangenschaft“ etwas
Anderes gesetzt zu werden: dann mußte er noch die Worte:
„gegen Rußland=Oesterreich“ im Refrain durchstreichen und dar-
über schreiben: „gegen Türken und Tartaren.“ Dagegen konnte
der Censor dann wohl keine Einsprache mehr erheben. Lisznyay
trug das Manuseript zum Redacteur ( es gab nur einen Re-
dacteur in Pest, den Redacteur des Amtsblattes, Nadaskay ) ; der
freute sich sehr, daß er einen so berühmten Poeten für das Amts-
blatt bekehrt hatte, zahlte sofort das Honorar und sandte das
Gedicht in die Druckerei, damit es für das Feuilleton gesetzt
werde. — Das Manuscript kam aber in die Hände des wackeren
Setzers K.. i, und der dachte sich, er werde damit einen kleinen
„Jux“ machen. — Der „Scherz“ bestand darin, daß er nicht
„Gegen Türken und Tataren“ setzte, sondern das darunter stehende,
durchstrichene „Gegen Rußland=Oesterreich.“ Und er dachte sich,
welch einen „Jux“ das geben würde, wenn der Redacteur die
Worte erblickt, und sieht es der nicht, bemerkt es der Revisor;
wer aber in jedem Falle darüber stolpern müsse, das sei der
Corrector; im schlimmsten Falle stößt schließlich, wenn kein An-
derer, so doch der Censor darauf, und der wird schon dafür sor-
gen, daß es nicht erscheine. — Der Redacteur aber war der An-
sicht, wenn irgend wer, so habe er das Amtsblatt nicht zu lesen;
ist ja doch der Revisor da, dem entgeht kein Fehler. Und er
fuhr ruhig in den Auwinkel. Der Revisor fand aber gegen
Abend das Bier in der „Kis Pipa“ ausgezeichnet, und er dachte
sich, wenn das Blatt in der vergangenen Woche ohne Revision
erscheinen konnte, warum sollte dies nicht auch in dieser Woche
gehen? Wer wird sich damit die Augen verderben? Ohnehin
[Spaltenumbruch] liest der Corrector das Blatt. Der Corrector sah es auch durch, und wo
er einen Buchstaben fand, der mit dem Fuße gegen den Himmel
ragte, so bemerkte er an dem Rande „ vertatur “ oder er erwies
höchstens dem Musikreferenten die Freundschaft, daß er den Na-
men des Componisten Palestrina auf „Palästina“ corrigirte; aber daß
er auch den Text im Allgemeinen einer Kritik unterziehe, konnte
doch Niemand von ihm fordern! Und er ließ Rußland, Ruß-
land und Oesterreich, Oesterreich sein. Sache des Censors ist
es. zu streichen. — Der neue Censor aber hielt Nachts 11 Uhr,
als man ihm den Bürstenabzug des Blattes beachte, den folgen-
den Monolog: „Arbeitet etwa der Mensch den ganzen Tag
nicht wie ein Roß? Er sucht von Früh bis Abends in den
vielen Eseleien was Gescheidtes, damit er es streichen könne, und
nun soll er auch noch das Amtsblatt lesen von A bis Z? Er
ist nicht verrückt geworden. Trage es zurück ( zu Hause hat es
doch Jemand gelesen ) . Imprimatur.“ — Und das Blatt wurde
gedruckt, wie es war, und Morgens wurde es mit der Post nach
allen Gegenden der Windrose versendet. — Es hätte auch nie-
mals Jemand von dem Quid pro quo etwas erfahren, denn wer
liest außer den Concurseröffnungen und Lieitationen etwas im
Amtsblatt? Nun gab es aber Einen Menschen in der Welt,
der las auch die belletristristischen Rubrik im amtlichen Journal,
und das war — der Autor selber. Vor Entsetzen entfiel ihm
der Kaffeelöffel, als er des andern Tages in das Amtsblatt blickt
und in seinem Gedicht das pompöse „Gegen Rußland=Oester-
reich “ sieht. Er läßt den Kaffee im Stiche, eilt zum Redakteur,
reißt die Thüre auf und ruft: „Unglücklicher, was haft du ge-
than?“ Nadaskay wankte vor Schreck, als er einen Blick auf
den Unglücksvers geworfen. „Wer hat das verbrochen?“ Sie
fahren zur Polizei und fragen den Censor: „Haben Sie das
gesehen?“ Sie können den armen Mann kaam daran verhin-
dern, daß er in selbstmörderischer Absicht den Rothstift verschlucke.
Dann gings im Galopp zur Post: „Wo sind die Amtsblätter?“
Die hatte aber bereits in alle Theile des Landes das schöne Ge-
dicht entführt, in welchem ein geehrtes Publikum amtlich aufge-
fordert wurde, Flinte und Säbel „gegen Rußland und Oester-
reich “ zu ergreifen und Rußland und Oesterreich zu massacriren.
Es gab keinen anderen Ausweg, man mußte im nächsten Blatte
mit einem halbamtlichen Dementi herausrücken, was dann den
Jrrthum paralysirte. Der lustige K.. i aber, der Setzer, kam
des „Juxes“ wegen drei Jährlein in's Gefängniß.



Album der Poesie.
An gewisse Abgeordnete.
Gern will ich sein ein Rather,
Verlangt nur keine That —
Jch bin Familienvater
Und auch Geheimerath.
Ja freilich, beides bin ich,
Das macht mir viele Pein —
Jch bin gewiß freisinnig,
Wie's immer nur kann sein.
Hätt' ich nicht Frau und Kinder,
Da wär's mir einerlei,
Vorsichtig wär' ich minder,
Spräch' auch noch mal so frei.
Doch ein Familienvater —
Der Punkt ist delikat,
Und noch viel delikater
Jst ein Geheimerath.
Hoffmann v. Fallersleben.
[Ende Spaltensatz]

Juhalt der 9. Lieferung. Nr. 1. 1. Die deutsche Arbeiterpartei. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Aus der Loudoner
Verbrecherwelt. — 4. Eine Handwerkerfamilie. — 5. Ein Druckfehler. — 6. Album der Poesie.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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[228/0008] Zur Unterhaltung und Belehrung. 228 Unterdrückten erpreßt wird, wagt ihr es deshalb unsere stummen und doch so beredeten Klagen für eine Lüge zu erklären? Und ob auch diese Nichtswürdigkeit zu unserm Nachtheile gewirkt hat, wie keine andere, so schöpfen wir doch daraus die wichtige Lehre, daß, so wenig wie Jhr zur Erkenntniß unserer Lage gelangen konntet, Jhr auch ebenso wenig im Stande seid, sie jemals zu verbessern. Und ist es denn nicht ein großer Gewinn, daß wir Euch dadurch in Eurer ganzen Erbärmlichkeit kennen lernten? Daß wir nun vereint rufen: Schande über die mit unserm Schweiß, mit unserm Blut gemästete Brut, die bei vollen Schüsseln Mäßig- keit, und nach gelungenem Raube Ehrlichkeit predigt! Daß wir gegen Eure erbärmliche Ausflucht eine Entgeguung gefunden haben, die werth ist von Lassalle zu stammen? Er rief aus: Wenn Jhnen Jhre Kinder sterben, so halten Sie es für Zufall. Es ist kein Zufall, es ist ein in Jhrer schlechten Lage wurzeln- des Gesetz. Prägt sie Euch tief ein diese Worte, Jhr deutschen Arbeiter, und wenn Jhr am Lager der todten Frau, des todten Kindes steht, wenn Jhr von Selbstmord und Raub hört, nennt das nicht Zufall, nennt es ein Gesetz, dem wir Alle unterworfen sind und berathet die Mittel, dasselbe zu bekämpfen. Ein Beispiel biete unser wackerer Meister. Weil er nicht einmal nach der Ursache seiner schlechten Lage forschte, weil er demnach seine Kinder nicht besser erzog, konnte er nothwendig nicht bessere Resultate erzielen. ( Schluß folgt. ) Ein Druckfehler. Während des ungarischen Freiheitskampfes schrieb Koloman Lisznyay ein mächtiges Schlachtenlied, welches indessen aus dem einfachen Grunde nicht erscheinen konnte, weil es zur Zeit, da es fertig wurde, in Pest weder eine Zeitung noch eine Drucke- rei mehr gab. — Die Verse blieben im Pulte des Poeten. — Später, als die Zeiten ruhiger wurden, dachte sich aber Lisznyay: „Warum soll das Gedicht im Pulte ruhen? Es ver- dient an's Tageslicht zu kommen, und dann ist es zwanzig Gul- den werth unter Brüdern! Nehmen wir demnach an dem Liede einige zeitgemäße Abänderungen vor und beglücken wir sodann das Publikum damit. — Es brauchte nur an die Stelle des Titels: „Valentin Balassa's Klage in der Gefangenschaft“ etwas Anderes gesetzt zu werden: dann mußte er noch die Worte: „gegen Rußland=Oesterreich“ im Refrain durchstreichen und dar- über schreiben: „gegen Türken und Tartaren.“ Dagegen konnte der Censor dann wohl keine Einsprache mehr erheben. Lisznyay trug das Manuseript zum Redacteur ( es gab nur einen Re- dacteur in Pest, den Redacteur des Amtsblattes, Nadaskay ) ; der freute sich sehr, daß er einen so berühmten Poeten für das Amts- blatt bekehrt hatte, zahlte sofort das Honorar und sandte das Gedicht in die Druckerei, damit es für das Feuilleton gesetzt werde. — Das Manuscript kam aber in die Hände des wackeren Setzers K.. i, und der dachte sich, er werde damit einen kleinen „Jux“ machen. — Der „Scherz“ bestand darin, daß er nicht „Gegen Türken und Tataren“ setzte, sondern das darunter stehende, durchstrichene „Gegen Rußland=Oesterreich.“ Und er dachte sich, welch einen „Jux“ das geben würde, wenn der Redacteur die Worte erblickt, und sieht es der nicht, bemerkt es der Revisor; wer aber in jedem Falle darüber stolpern müsse, das sei der Corrector; im schlimmsten Falle stößt schließlich, wenn kein An- derer, so doch der Censor darauf, und der wird schon dafür sor- gen, daß es nicht erscheine. — Der Redacteur aber war der An- sicht, wenn irgend wer, so habe er das Amtsblatt nicht zu lesen; ist ja doch der Revisor da, dem entgeht kein Fehler. Und er fuhr ruhig in den Auwinkel. Der Revisor fand aber gegen Abend das Bier in der „Kis Pipa“ ausgezeichnet, und er dachte sich, wenn das Blatt in der vergangenen Woche ohne Revision erscheinen konnte, warum sollte dies nicht auch in dieser Woche gehen? Wer wird sich damit die Augen verderben? Ohnehin liest der Corrector das Blatt. Der Corrector sah es auch durch, und wo er einen Buchstaben fand, der mit dem Fuße gegen den Himmel ragte, so bemerkte er an dem Rande „ vertatur “ oder er erwies höchstens dem Musikreferenten die Freundschaft, daß er den Na- men des Componisten Palestrina auf „Palästina“ corrigirte; aber daß er auch den Text im Allgemeinen einer Kritik unterziehe, konnte doch Niemand von ihm fordern! Und er ließ Rußland, Ruß- land und Oesterreich, Oesterreich sein. Sache des Censors ist es. zu streichen. — Der neue Censor aber hielt Nachts 11 Uhr, als man ihm den Bürstenabzug des Blattes beachte, den folgen- den Monolog: „Arbeitet etwa der Mensch den ganzen Tag nicht wie ein Roß? Er sucht von Früh bis Abends in den vielen Eseleien was Gescheidtes, damit er es streichen könne, und nun soll er auch noch das Amtsblatt lesen von A bis Z? Er ist nicht verrückt geworden. Trage es zurück ( zu Hause hat es doch Jemand gelesen ) . Imprimatur.“ — Und das Blatt wurde gedruckt, wie es war, und Morgens wurde es mit der Post nach allen Gegenden der Windrose versendet. — Es hätte auch nie- mals Jemand von dem Quid pro quo etwas erfahren, denn wer liest außer den Concurseröffnungen und Lieitationen etwas im Amtsblatt? Nun gab es aber Einen Menschen in der Welt, der las auch die belletristristischen Rubrik im amtlichen Journal, und das war — der Autor selber. Vor Entsetzen entfiel ihm der Kaffeelöffel, als er des andern Tages in das Amtsblatt blickt und in seinem Gedicht das pompöse „Gegen Rußland=Oester- reich “ sieht. Er läßt den Kaffee im Stiche, eilt zum Redakteur, reißt die Thüre auf und ruft: „Unglücklicher, was haft du ge- than?“ Nadaskay wankte vor Schreck, als er einen Blick auf den Unglücksvers geworfen. „Wer hat das verbrochen?“ Sie fahren zur Polizei und fragen den Censor: „Haben Sie das gesehen?“ Sie können den armen Mann kaam daran verhin- dern, daß er in selbstmörderischer Absicht den Rothstift verschlucke. Dann gings im Galopp zur Post: „Wo sind die Amtsblätter?“ Die hatte aber bereits in alle Theile des Landes das schöne Ge- dicht entführt, in welchem ein geehrtes Publikum amtlich aufge- fordert wurde, Flinte und Säbel „gegen Rußland und Oester- reich “ zu ergreifen und Rußland und Oesterreich zu massacriren. Es gab keinen anderen Ausweg, man mußte im nächsten Blatte mit einem halbamtlichen Dementi herausrücken, was dann den Jrrthum paralysirte. Der lustige K.. i aber, der Setzer, kam des „Juxes“ wegen drei Jährlein in's Gefängniß. Album der Poesie. An gewisse Abgeordnete. Gern will ich sein ein Rather, Verlangt nur keine That — Jch bin Familienvater Und auch Geheimerath. Ja freilich, beides bin ich, Das macht mir viele Pein — Jch bin gewiß freisinnig, Wie's immer nur kann sein. Hätt' ich nicht Frau und Kinder, Da wär's mir einerlei, Vorsichtig wär' ich minder, Spräch' auch noch mal so frei. Doch ein Familienvater — Der Punkt ist delikat, Und noch viel delikater Jst ein Geheimerath. Hoffmann v. Fallersleben. Juhalt der 9. Lieferung. Nr. 1. 1. Die deutsche Arbeiterpartei. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Aus der Loudoner Verbrecherwelt. — 4. Eine Handwerkerfamilie. — 5. Ein Druckfehler. — 6. Album der Poesie. Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0901_1874/8>, abgerufen am 23.11.2024.