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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 10. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 31. Oktober 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 287
[Beginn Spaltensatz] stechen, zum Einschüchtern, und ebensowenig ist sie im Stande,
sich Anmaßlichkeiten zu Schulden kommen zu lassen.

Ereignet es sich nicht zuweilen, unterbrach ich hier, daß Jhr
Vollziehungspräsident, der offenbar an den Platz des Königs ge-
treten ist, sich erniedrigt fühlt? erniedrigt durch seine untergeord-
nete Stellung?

Walmor erstaunte über diese meine Frage. Wie, rief er,
wie wäre es möglich, daß solcher Wahnwitz unter uns einrisse!
Diese Beamten stammen nicht etwa aus königlichem Geblüte,
sondern gerade wie alle übrigen Beamten, sind auch sie Hand-
arbeiter gewesen oder sind es auch noch. Unser jetziger Präsi-
dent, mit dem wir ganz zufrieden sein können, ist ein Maurer.
Früher bekleidete er den Posten des Präsidenten der National-
vertreterschaft; in der Zwischenzeit, ehe er auf's Neue mit dem
Zutrauen beehrt ward, hat er sein Handwerk wieder getrieben,
und seine Söhne arbeiten in den Werkstätten, nicht minder seine
Töchter.

Uebrigens, um jede Spannung zwischen den beiden Haupt-
mächten, der gesetzgebenden und gesetzaussührenden, zu meiden,
desgleichen um jedes Ueberschreiten unmöglich zu machen, wollte
man anfänglich eine dritte Körperschaft, die Behörde der Er-
halter, einsetzen, welche ein wachsames Auge auf die Verfas-
sung haben sollte. Allein dieses Ausrunftsmittel ist als über-
flüssig verworfen worden.

Von den Vollziehungsbehörden der Provinzen brauche ich
nur ein Wort zu sagen. Sie besorgen die Verwirklichung der
sich auf Provinzialinteressen beziehenden Gesetze; ernannt wer-
den die Mitglieder durch die Einwohnerschaft der Provinz; nach
einer Liste, die von der Vertreterschaft dieser Provinz entworfen
ist. Auch sind sie in Comit e ' s oder Ausschüsse oder Büreaus
getheilt.

Die Vollziehungsbehörde einer einzelnen Gemeinde besteht
ebenfalls aus sechszehn Personen, deren eine die Präsidentur be-
kleidet; sie werden vom Volke dieser Gemeinde gewählt, haben
jeder einen besonderen Wirkungskreis und stehen an der Spitze
eines Unterpersonals von Beamten. Dieser niederen Gemeinde-
beamten sind sehr viele, so daß jeder ein besonderes Fach bequem
versieht; auf solche Art läßt sich das Amt leicht mit Ausübung
eines Gewerbes verknüpfen, was sonst unmöglich wäre. Auch
erzweckt man dadurch, daß recht viele Bürger sich an die Ver-
waltung öffentlicher Geschäfte gewöhnen. Wir haben in der
Gemeinde auf dem Lande, in Dörfern und Städten besondere
Beamten für Schule, Hvspital, Werkstatt, Magazin, Theater,
Straßen und Plätze, Monumente u. s. w.

Sehr gut, sagte Eugen; aber ach! Leute, Euch fehlt die
stehende Armee, Euch fehlen Generale und Bürgergarde auf
Kriegsfuß, und Gendarmerie und Stadtpolizei, und die Spione
fehlen Euch, Jhr bedauerlichen Jkarier! Es ist wahr, Jhr habt
auch keine Kriege im Lande, keine Zwietracht, keine politische
Parteien, keine Aufstände und Verschwörungen.

Walmor lachte.

Und Euch fehlen auch die Henkersknechte sammt dem Schaffot,
und Kerker und Kerkerwärter.

Die braucht man nicht, sagte Walmor, in einem Lande, wo
keine Verbrechen vorfallen.

Und Auflagen, und Duanen, und Mauthen habt Jhr auch
nicht, wie es scheint?

Nein; aber wir haben Eintheiler, Buchführer, Rechenmeister,
Registrirer, wo es auf Vertheilung der Produkte ankommt; wir
haben Ober= und Unterdirektoren der Nationalwerkstätten, kurz
eine ungeheure Masse Verwalter oder Beamten, um die Jnteressen
jedes und aller Bürger wahrzunehmen. Alle diese Beamten
[Spaltenumbruch] wählt das Volk jährlich; sie wohnen stets den Versammlungen
bei, und sind immer bereit, Rechenschaft zu geben.

Sie sind also niemals grob und hochfahrend gegen die Nicht-
beamten?

Das wäre schön! Sie sind ja blos Beauftragte, haben
weiter nichts zu thun, als den Willen der Mitbürger zu voll-
strecken, und beeifern sich, im freudigen Bewußtsein ihres Amtes,
sich stets des Vertrauens der Nation, deren Söhne zu fein sie
die Ehre haben, würdig zu machen. Da wäre Grobheit übel
am Platze. Sie wissen sehr gut, daß dem selbstregierenden
Volke, dessen Glieder auch sie sind, höchster Respekt gebührt.
Unser Volk, das ist ja unser Landesherr und unser Landesvater.
Anfangs wollte man dem Nichtbeamten erlauben, jedem Beam-
ten, der ihm zu nahe träte, sofort Widerstand zu leisten; doch
sah man bald ein, dies sei unnütz, und hat verordnet: jeder Bür-
ger sei den Beamten Gehorsam im Namen des Volkes und des
Gesetzes schuldig, hinterdrein mag er sie vor das Volksgericht
führen; wenn sie wirklich ihre Macht als Beamte gemißbraucht
haben sollten.

Die ikarischen Beamten sind also nicht unverletzlich?

Nein, das sind sie nicht; das Volk hat sie als die Würdig-
sten, als die in socialer wie politischer Beziehung Tauglichsten,
zu seinen Verwaltern erkoren; aber eben deshalb gilt das Ver-
gehen eines Beamten von rechtswegen für desto schlimmer
je höher
er vom Zutrauen der Mitbrürger auf den Stufen
der Geschäfte und Geschäftsehren gestellt ist. Sollte ein ikari-
scher Beamter Mißgriffe und Fehler sich zu Schulden kommen
lassen, so würde auf der Stelle die Sache veröffentlicht, er
würde scharf getadelt und abgesetzt werden. Diese Bestrafung
gilt für so hart, und unsere Erziehung und das Beispiel wirken
so günstig, daß zu solchem Aeußersten nie geschritten zu werden
brauchte.

Ja, rief Eugen nach einer Pause, die Gütergemeinschaft hat
die Menschen umgeschaffen. Wohl dir Jkarien!



Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Eine Heirath. -- Ball.

Schon vor einigen Tagen waren Dina und Korilla zur
Hochzeit einer ihrer Freundinnen eingeladen. Jn Jkarien ladet
man in solchem Falle stets die ganze Familie mit ein, da es nicht
anständig wäre, sähe man ein junges Mädchen ohne ihre Mut-
ter, eine Frau ohne ihren Gemahl und umgekehrt.

Man hatte zuerst abstehen wollen, aus Zartheit für Walmor,
doch merkte der junge Mann bald den Grund und hatte nicht
nachgelassen mit Bitten und Versicherungen, er fühle sich Mann
genug, um jegliche Prüfung zu ertragen. Da nun die Familien
mehrere Ausländer oder Provinzialen mitzuführen gedachten, ward
mir zu Theil, Ehrenritter für Korilla zu werden, mit der wie
mit Dina ich folglich zu tanzen hatte.

Um fünf Uhr kamen wir zum Hochzeitspalast, wo sich bald
alle Familien aus den Straßen der beiden Eheleute zusammen
fanden; diese sind allemal gegenwärtig, während eine specielle
Einladung specielle Bekannten trifft.

Dina's Mutter kam zur selbigen Zeit wie wir, und nahm
neben uns Platz. Alle Anwesende waren in Festanzügen, und
ich muß gestehen, dies Gemisch von jungen Männern, Kindern,
Greisen, Frauen und Mädchen machte einen malerischen Ein-
druck. Mit geheimer Freude bemerkte ich, daß meine beiden
Damen offenbar die Blicke Aller auf sich zogen; Korilla war in
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 287
[Beginn Spaltensatz] stechen, zum Einschüchtern, und ebensowenig ist sie im Stande,
sich Anmaßlichkeiten zu Schulden kommen zu lassen.

Ereignet es sich nicht zuweilen, unterbrach ich hier, daß Jhr
Vollziehungspräsident, der offenbar an den Platz des Königs ge-
treten ist, sich erniedrigt fühlt? erniedrigt durch seine untergeord-
nete Stellung?

Walmor erstaunte über diese meine Frage. Wie, rief er,
wie wäre es möglich, daß solcher Wahnwitz unter uns einrisse!
Diese Beamten stammen nicht etwa aus königlichem Geblüte,
sondern gerade wie alle übrigen Beamten, sind auch sie Hand-
arbeiter gewesen oder sind es auch noch. Unser jetziger Präsi-
dent, mit dem wir ganz zufrieden sein können, ist ein Maurer.
Früher bekleidete er den Posten des Präsidenten der National-
vertreterschaft; in der Zwischenzeit, ehe er auf's Neue mit dem
Zutrauen beehrt ward, hat er sein Handwerk wieder getrieben,
und seine Söhne arbeiten in den Werkstätten, nicht minder seine
Töchter.

Uebrigens, um jede Spannung zwischen den beiden Haupt-
mächten, der gesetzgebenden und gesetzaussührenden, zu meiden,
desgleichen um jedes Ueberschreiten unmöglich zu machen, wollte
man anfänglich eine dritte Körperschaft, die Behörde der Er-
halter, einsetzen, welche ein wachsames Auge auf die Verfas-
sung haben sollte. Allein dieses Ausrunftsmittel ist als über-
flüssig verworfen worden.

Von den Vollziehungsbehörden der Provinzen brauche ich
nur ein Wort zu sagen. Sie besorgen die Verwirklichung der
sich auf Provinzialinteressen beziehenden Gesetze; ernannt wer-
den die Mitglieder durch die Einwohnerschaft der Provinz; nach
einer Liste, die von der Vertreterschaft dieser Provinz entworfen
ist. Auch sind sie in Comit é ' s oder Ausschüsse oder Büreaus
getheilt.

Die Vollziehungsbehörde einer einzelnen Gemeinde besteht
ebenfalls aus sechszehn Personen, deren eine die Präsidentur be-
kleidet; sie werden vom Volke dieser Gemeinde gewählt, haben
jeder einen besonderen Wirkungskreis und stehen an der Spitze
eines Unterpersonals von Beamten. Dieser niederen Gemeinde-
beamten sind sehr viele, so daß jeder ein besonderes Fach bequem
versieht; auf solche Art läßt sich das Amt leicht mit Ausübung
eines Gewerbes verknüpfen, was sonst unmöglich wäre. Auch
erzweckt man dadurch, daß recht viele Bürger sich an die Ver-
waltung öffentlicher Geschäfte gewöhnen. Wir haben in der
Gemeinde auf dem Lande, in Dörfern und Städten besondere
Beamten für Schule, Hvspital, Werkstatt, Magazin, Theater,
Straßen und Plätze, Monumente u. s. w.

Sehr gut, sagte Eugen; aber ach! Leute, Euch fehlt die
stehende Armee, Euch fehlen Generale und Bürgergarde auf
Kriegsfuß, und Gendarmerie und Stadtpolizei, und die Spione
fehlen Euch, Jhr bedauerlichen Jkarier! Es ist wahr, Jhr habt
auch keine Kriege im Lande, keine Zwietracht, keine politische
Parteien, keine Aufstände und Verschwörungen.

Walmor lachte.

Und Euch fehlen auch die Henkersknechte sammt dem Schaffot,
und Kerker und Kerkerwärter.

Die braucht man nicht, sagte Walmor, in einem Lande, wo
keine Verbrechen vorfallen.

Und Auflagen, und Duanen, und Mauthen habt Jhr auch
nicht, wie es scheint?

Nein; aber wir haben Eintheiler, Buchführer, Rechenmeister,
Registrirer, wo es auf Vertheilung der Produkte ankommt; wir
haben Ober= und Unterdirektoren der Nationalwerkstätten, kurz
eine ungeheure Masse Verwalter oder Beamten, um die Jnteressen
jedes und aller Bürger wahrzunehmen. Alle diese Beamten
[Spaltenumbruch] wählt das Volk jährlich; sie wohnen stets den Versammlungen
bei, und sind immer bereit, Rechenschaft zu geben.

Sie sind also niemals grob und hochfahrend gegen die Nicht-
beamten?

Das wäre schön! Sie sind ja blos Beauftragte, haben
weiter nichts zu thun, als den Willen der Mitbürger zu voll-
strecken, und beeifern sich, im freudigen Bewußtsein ihres Amtes,
sich stets des Vertrauens der Nation, deren Söhne zu fein sie
die Ehre haben, würdig zu machen. Da wäre Grobheit übel
am Platze. Sie wissen sehr gut, daß dem selbstregierenden
Volke, dessen Glieder auch sie sind, höchster Respekt gebührt.
Unser Volk, das ist ja unser Landesherr und unser Landesvater.
Anfangs wollte man dem Nichtbeamten erlauben, jedem Beam-
ten, der ihm zu nahe träte, sofort Widerstand zu leisten; doch
sah man bald ein, dies sei unnütz, und hat verordnet: jeder Bür-
ger sei den Beamten Gehorsam im Namen des Volkes und des
Gesetzes schuldig, hinterdrein mag er sie vor das Volksgericht
führen; wenn sie wirklich ihre Macht als Beamte gemißbraucht
haben sollten.

Die ikarischen Beamten sind also nicht unverletzlich?

Nein, das sind sie nicht; das Volk hat sie als die Würdig-
sten, als die in socialer wie politischer Beziehung Tauglichsten,
zu seinen Verwaltern erkoren; aber eben deshalb gilt das Ver-
gehen eines Beamten von rechtswegen für desto schlimmer
je höher
er vom Zutrauen der Mitbrürger auf den Stufen
der Geschäfte und Geschäftsehren gestellt ist. Sollte ein ikari-
scher Beamter Mißgriffe und Fehler sich zu Schulden kommen
lassen, so würde auf der Stelle die Sache veröffentlicht, er
würde scharf getadelt und abgesetzt werden. Diese Bestrafung
gilt für so hart, und unsere Erziehung und das Beispiel wirken
so günstig, daß zu solchem Aeußersten nie geschritten zu werden
brauchte.

Ja, rief Eugen nach einer Pause, die Gütergemeinschaft hat
die Menschen umgeschaffen. Wohl dir Jkarien!



Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Eine Heirath. — Ball.

Schon vor einigen Tagen waren Dina und Korilla zur
Hochzeit einer ihrer Freundinnen eingeladen. Jn Jkarien ladet
man in solchem Falle stets die ganze Familie mit ein, da es nicht
anständig wäre, sähe man ein junges Mädchen ohne ihre Mut-
ter, eine Frau ohne ihren Gemahl und umgekehrt.

Man hatte zuerst abstehen wollen, aus Zartheit für Walmor,
doch merkte der junge Mann bald den Grund und hatte nicht
nachgelassen mit Bitten und Versicherungen, er fühle sich Mann
genug, um jegliche Prüfung zu ertragen. Da nun die Familien
mehrere Ausländer oder Provinzialen mitzuführen gedachten, ward
mir zu Theil, Ehrenritter für Korilla zu werden, mit der wie
mit Dina ich folglich zu tanzen hatte.

Um fünf Uhr kamen wir zum Hochzeitspalast, wo sich bald
alle Familien aus den Straßen der beiden Eheleute zusammen
fanden; diese sind allemal gegenwärtig, während eine specielle
Einladung specielle Bekannten trifft.

Dina's Mutter kam zur selbigen Zeit wie wir, und nahm
neben uns Platz. Alle Anwesende waren in Festanzügen, und
ich muß gestehen, dies Gemisch von jungen Männern, Kindern,
Greisen, Frauen und Mädchen machte einen malerischen Ein-
druck. Mit geheimer Freude bemerkte ich, daß meine beiden
Damen offenbar die Blicke Aller auf sich zogen; Korilla war in
[Ende Spaltensatz]

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Uebrigens, um jede Spannung zwischen den beiden Haupt- mächten, der gesetzgebenden und gesetzaussührenden, zu meiden, desgleichen um jedes Ueberschreiten unmöglich zu machen, wollte man anfänglich eine dritte Körperschaft, die Behörde der Er- halter, einsetzen, welche ein wachsames Auge auf die Verfas- sung haben sollte. Allein dieses Ausrunftsmittel ist als über- flüssig verworfen worden. Von den Vollziehungsbehörden der Provinzen brauche ich nur ein Wort zu sagen. Sie besorgen die Verwirklichung der sich auf Provinzialinteressen beziehenden Gesetze; ernannt wer- den die Mitglieder durch die Einwohnerschaft der Provinz; nach einer Liste, die von der Vertreterschaft dieser Provinz entworfen ist. Auch sind sie in Comit é ' s oder Ausschüsse oder Büreaus getheilt. Die Vollziehungsbehörde einer einzelnen Gemeinde besteht ebenfalls aus sechszehn Personen, deren eine die Präsidentur be- kleidet; sie werden vom Volke dieser Gemeinde gewählt, haben jeder einen besonderen Wirkungskreis und stehen an der Spitze eines Unterpersonals von Beamten. Dieser niederen Gemeinde- beamten sind sehr viele, so daß jeder ein besonderes Fach bequem versieht; auf solche Art läßt sich das Amt leicht mit Ausübung eines Gewerbes verknüpfen, was sonst unmöglich wäre. Auch erzweckt man dadurch, daß recht viele Bürger sich an die Ver- waltung öffentlicher Geschäfte gewöhnen. Wir haben in der Gemeinde auf dem Lande, in Dörfern und Städten besondere Beamten für Schule, Hvspital, Werkstatt, Magazin, Theater, Straßen und Plätze, Monumente u. s. w. Sehr gut, sagte Eugen; aber ach! Leute, Euch fehlt die stehende Armee, Euch fehlen Generale und Bürgergarde auf Kriegsfuß, und Gendarmerie und Stadtpolizei, und die Spione fehlen Euch, Jhr bedauerlichen Jkarier! 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Nein, das sind sie nicht; das Volk hat sie als die Würdig- sten, als die in socialer wie politischer Beziehung Tauglichsten, zu seinen Verwaltern erkoren; aber eben deshalb gilt das Ver- gehen eines Beamten von rechtswegen für desto schlimmer je höher er vom Zutrauen der Mitbrürger auf den Stufen der Geschäfte und Geschäftsehren gestellt ist. Sollte ein ikari- scher Beamter Mißgriffe und Fehler sich zu Schulden kommen lassen, so würde auf der Stelle die Sache veröffentlicht, er würde scharf getadelt und abgesetzt werden. Diese Bestrafung gilt für so hart, und unsere Erziehung und das Beispiel wirken so günstig, daß zu solchem Aeußersten nie geschritten zu werden brauchte. Ja, rief Eugen nach einer Pause, die Gütergemeinschaft hat die Menschen umgeschaffen. Wohl dir Jkarien! Siebenundzwanzigstes Kapitel. Eine Heirath. — Ball. Schon vor einigen Tagen waren Dina und Korilla zur Hochzeit einer ihrer Freundinnen eingeladen. Jn Jkarien ladet man in solchem Falle stets die ganze Familie mit ein, da es nicht anständig wäre, sähe man ein junges Mädchen ohne ihre Mut- ter, eine Frau ohne ihren Gemahl und umgekehrt. Man hatte zuerst abstehen wollen, aus Zartheit für Walmor, doch merkte der junge Mann bald den Grund und hatte nicht nachgelassen mit Bitten und Versicherungen, er fühle sich Mann genug, um jegliche Prüfung zu ertragen. Da nun die Familien mehrere Ausländer oder Provinzialen mitzuführen gedachten, ward mir zu Theil, Ehrenritter für Korilla zu werden, mit der wie mit Dina ich folglich zu tanzen hatte. Um fünf Uhr kamen wir zum Hochzeitspalast, wo sich bald alle Familien aus den Straßen der beiden Eheleute zusammen fanden; diese sind allemal gegenwärtig, während eine specielle Einladung specielle Bekannten trifft. Dina's Mutter kam zur selbigen Zeit wie wir, und nahm neben uns Platz. Alle Anwesende waren in Festanzügen, und ich muß gestehen, dies Gemisch von jungen Männern, Kindern, Greisen, Frauen und Mädchen machte einen malerischen Ein- druck. Mit geheimer Freude bemerkte ich, daß meine beiden Damen offenbar die Blicke Aller auf sich zogen; Korilla war in

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 10. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 31. Oktober 1874, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1005_1874/3>, abgerufen am 21.11.2024.