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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. Dezember 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 330
[Beginn Spaltensatz] richtet, glaube ich. Jch schäme mich es zu gestehen, Korilla, ich
hatte den rasenden Einfall: nicht blos ihn, sondern auch sie, und
zuletzt mich zu tödten; ich gestehe Dir, sogar nach einigen Stun-
den, nachdem ich über Land gelaufen, ist mir dieser tolle Gedanke
wieder erschienen.

Andererseits mußt Du mir zugeben, liebste Schwester, ich
habe ein Unglück sondergleichen zu erdulden; ich nahm den Frem-
den auf, überhäufte ihn mit Freundschaftsbeweisen, behandelte
ihn als Bruder; ich vertraue ihm das Geheimniß meiner Liebe
( Geheimniß, ich will sagen, den Schatz, das Jnnerste ) und siehe
da! William bringt mich darum! Noch mehr: kaum bin ich
etwas erholt, da ist er es, der mich wieder verwundet, denn als
ich zu ihm in's Hospital eile ( ich blieb Nachts sogar bei ihm
und sorgte für ihn auf's Beste ) , was geschieht? er wiederholt in
der Fieberhitze, daß er mein Nebenbuhler sei. Und sie, was
thut sie? sie sagt mir geradezu, sie ziehe mir einen Verräther
vor, denn sie war nicht blos vergeßlich genug, um mich über
zehn Jahre lange Freundschaft und Neigung, über Versprechen
und Hoffnungen hinwegzusetzen, sie hat nicht etwa nur die schlechte,
heuchlerische Ausflucht vorgebracht, sie wolle niemals heirathen: --
nein, kurze Zeit darauf hängt sie sich an den ersten besten Aus-
länder. Uebrigens jetzt ist die Sache vortrefflich eingerichtet;
sie lieben sich. sie wollen für einander leben und sterben, sind
ganz selig und triumphirend; sie können jetzt über meine Dumm-
heit und Qual lachen... Aber halt, ich will nicht allein
unglücklich sein, ich reise zurück, sie sollen mich recht bald
sehen." --

Nachschrift. "Nein, beste Korilla... Nein, sie sollen
mich nicht sehen, ich kehre nicht zurück; ich mache dies Schreiben
wieder auf, um Dir zu melden, daß ich unsinnig war! Jch reise weiter."

Driter Brief Walmors.

    Waldira, 29. Mai.

" Jch lese eben Dein Schreiben vom 28., liebe Schwester.
Sie ist also gefährlich krank? und er reist ab, sagst Du, um
meinethalben, ohne ihr seine Zuneigung zu gestehen? Sprich --
ist dem so? Ach Korilla, eile zu William -- nicht doch, zu Dina
lieber -- eile! -- Gieb mir schleunigst Nachricht, hörst Du? ich
vergehe vor Ungeduld."

Brief Korilla's an Walmor.

    Jkara, 2. Juni.

( Dieses Schreiben, im vorigen erwähnt, enthielt die Ab-
schrift des obigen Briefes. )

Vierter Brief Walmors.

    Waldira, 3. Juni.

" Freue Dich, theure Korilla, denn Du hast mir eine große
Freude ja auch gemacht, indem Du mir anzeigtest, daß Beide
außer Gefahr sind! Jch erhalte Deinen Brief vom 2. Mai und
die Abschrift des Schreibens von Dina. Also William besteht
auf seiner Abreise? Dina will mir ihre Liebe zum Opfer brin-
gen? -- Neben diesen zwei Personen bin ich sehr, sehr klein.
Aber ich fühle wie Feuerglut im Kopf, ich mag Dir noch nicht
mehr schreiben, ich muß laufen, rennen, in freier Luft. -- Spä-
ter will ich Dir schreiben, und Du sollst mit mir zufrieden sein,
denke ich."

[Spaltenumbruch]
Fünfter Brief Walmors.

    Waldira, 4. Juni.

" Höre, Schwesterchen, ich werde Rache nehmen, Rache an
mir. Jch habe die Briefe, die Du mir geschickt, noch zehn Mal
gelesen, stets mit neuem Jnteresse. Ach, jetzt sehe ich ein, wie
verrückt und wie feige, wie ungerecht und wie überheftig ich ge-
wesen. Die verfluchte Eifersucht, ja wohl, die fluchwürdige Eifer-
sucht, diese böse, verstandlose, tückische, blutdürstende Begierde,
hatte mich in Beschlag genommen, mich wie einen armen Be-
sessenen entmenschlicht. Aber ich will mich rächen für diese Un-
bill. Theure Schwester, ich danke Dir; ich bin stolz, Dein Bru-
der zu heißen; ich bin Dir viel, viel schuldig.

Jetzt eile zu William, umarme ihn, und auch Dina. Jch
bin nunmehr entschlossen, mein Glück mit dem ihrigen zu ver-
knüpfen; ich willige darein, mögen sie sich lieben und mir ihre
Freundschaft bewahren. Vielleicht werde ich noch manche Kämpfe
in meinem Busen durchzumachen haben: allein ich bin dazu be-
reit. Wenn ich Euch nicht sofort wie sonst bin, wundert Euch
nicht zu sehr darüber; ich werde schon zu seiner Zeit wieder der
Alte sein. Und ich bin überzeugt, ich werde vollständig den
Sieg über meine blinde Leidenschaftlichkeit erringen; ich will
trachten, so viel wie möglich, Euch den Kummer zu vergütigen,
den ich Euch gemacht, ohne Absicht freilich. Vor Allem aber
danke ich Dir, schöne, liebe, edle Schwester!"

Acht Tage hinterher, zwei Tage vor den großen Festtagen
der ikarischen Nation, war Walmor zurück. Dina hatte sich er-
holt, und ich befand mich so nahe an der vollkommenen Gene-
sung, daß ich durch ihren Anblick ganz hergestellt ward.

Walmor umarmte uns mit ungeheucheltem Entzücken und es
schien endlich, nach den bösen vierzehn Tagen, ein günstiges Ge-
schick uns zu lächeln. Gleichwohl dachte ich allen Ernstes abzu-
reisen. Jch hatte Jkarien sattsam kennen gelernt, ich hatte auch
die Liebe dort gefühlt; es war Zeit, auf andere Verhältnisse
daheim den Blick zurückzuwenden. Dina bestärkte mich in diesem
Vorsatze; sie erklärte, sich nie verheirathen zu wollen. Unver-
hofft stellte sich Walmor diesem entgegen! Er brachte allerlei
Gründe vor, uns von unseren Entschlüssen abzuleiten. Jch
werde Euch Beide schon zum Gehorsam zwingen, rief er. Und
da wir lachten, erklärte er seinerseits, er heirathe Dina's Cou-
sine, die junge Alae, zu der er stets Freundschaft gehabt und die
ihn herzlich liebe.

Groß war unser Erstaunen bei dieser Wendung; wir dach-
ten anfangs, er scherze, aber glücklicherweise sprach er ernsthaft.
Er hatte in der That vor seiner Ankunft vier Tage bei Dina's
Großvater verweilt und ihm die Sache erzählt. Dort hatte man
die Heirath mit Alae angeordnet Beide Familien waren es
gern zufrieden. -- Korilla, das edle Mädchen, die wie der Schutz-
geist des Haufes zu betrachten war, flog ihrem Bruder um den
Hals. Eine sanftrührende Scene allseitigen Aussöhnens und
Beglückwünschens fand statt, und wir entwarfen allerlei Pläne,
wie man zu thun pflegt, wenn man aus schweren Mühen empor-
steigt. Zudem war das große Fest vor der Thür.



Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vorspiel der Festtage des Volkes. -- Geburtsfeier des Schülers, des
Arbeiters, des Bürgers.

Morgen ist Jahresfeier der Wiedergeburt des ikarischen
Staates. Eröffnet wird sie durch dreierlei Vorgänge vom größ-
ten, allgemeinsten Jnteresse. Das ikarische Jahr hebt an mit
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 330
[Beginn Spaltensatz] richtet, glaube ich. Jch schäme mich es zu gestehen, Korilla, ich
hatte den rasenden Einfall: nicht blos ihn, sondern auch sie, und
zuletzt mich zu tödten; ich gestehe Dir, sogar nach einigen Stun-
den, nachdem ich über Land gelaufen, ist mir dieser tolle Gedanke
wieder erschienen.

Andererseits mußt Du mir zugeben, liebste Schwester, ich
habe ein Unglück sondergleichen zu erdulden; ich nahm den Frem-
den auf, überhäufte ihn mit Freundschaftsbeweisen, behandelte
ihn als Bruder; ich vertraue ihm das Geheimniß meiner Liebe
( Geheimniß, ich will sagen, den Schatz, das Jnnerste ) und siehe
da! William bringt mich darum! Noch mehr: kaum bin ich
etwas erholt, da ist er es, der mich wieder verwundet, denn als
ich zu ihm in's Hospital eile ( ich blieb Nachts sogar bei ihm
und sorgte für ihn auf's Beste ) , was geschieht? er wiederholt in
der Fieberhitze, daß er mein Nebenbuhler sei. Und sie, was
thut sie? sie sagt mir geradezu, sie ziehe mir einen Verräther
vor, denn sie war nicht blos vergeßlich genug, um mich über
zehn Jahre lange Freundschaft und Neigung, über Versprechen
und Hoffnungen hinwegzusetzen, sie hat nicht etwa nur die schlechte,
heuchlerische Ausflucht vorgebracht, sie wolle niemals heirathen: —
nein, kurze Zeit darauf hängt sie sich an den ersten besten Aus-
länder. Uebrigens jetzt ist die Sache vortrefflich eingerichtet;
sie lieben sich. sie wollen für einander leben und sterben, sind
ganz selig und triumphirend; sie können jetzt über meine Dumm-
heit und Qual lachen... Aber halt, ich will nicht allein
unglücklich sein, ich reise zurück, sie sollen mich recht bald
sehen.“ —

Nachschrift. „Nein, beste Korilla... Nein, sie sollen
mich nicht sehen, ich kehre nicht zurück; ich mache dies Schreiben
wieder auf, um Dir zu melden, daß ich unsinnig war! Jch reise weiter.“

Driter Brief Walmors.

    Waldira, 29. Mai.

„ Jch lese eben Dein Schreiben vom 28., liebe Schwester.
Sie ist also gefährlich krank? und er reist ab, sagst Du, um
meinethalben, ohne ihr seine Zuneigung zu gestehen? Sprich —
ist dem so? Ach Korilla, eile zu William — nicht doch, zu Dina
lieber — eile! — Gieb mir schleunigst Nachricht, hörst Du? ich
vergehe vor Ungeduld.“

Brief Korilla's an Walmor.

    Jkara, 2. Juni.

( Dieses Schreiben, im vorigen erwähnt, enthielt die Ab-
schrift des obigen Briefes. )

Vierter Brief Walmors.

    Waldira, 3. Juni.

„ Freue Dich, theure Korilla, denn Du hast mir eine große
Freude ja auch gemacht, indem Du mir anzeigtest, daß Beide
außer Gefahr sind! Jch erhalte Deinen Brief vom 2. Mai und
die Abschrift des Schreibens von Dina. Also William besteht
auf seiner Abreise? Dina will mir ihre Liebe zum Opfer brin-
gen? — Neben diesen zwei Personen bin ich sehr, sehr klein.
Aber ich fühle wie Feuerglut im Kopf, ich mag Dir noch nicht
mehr schreiben, ich muß laufen, rennen, in freier Luft. — Spä-
ter will ich Dir schreiben, und Du sollst mit mir zufrieden sein,
denke ich.“

[Spaltenumbruch]
Fünfter Brief Walmors.

    Waldira, 4. Juni.

„ Höre, Schwesterchen, ich werde Rache nehmen, Rache an
mir. Jch habe die Briefe, die Du mir geschickt, noch zehn Mal
gelesen, stets mit neuem Jnteresse. Ach, jetzt sehe ich ein, wie
verrückt und wie feige, wie ungerecht und wie überheftig ich ge-
wesen. Die verfluchte Eifersucht, ja wohl, die fluchwürdige Eifer-
sucht, diese böse, verstandlose, tückische, blutdürstende Begierde,
hatte mich in Beschlag genommen, mich wie einen armen Be-
sessenen entmenschlicht. Aber ich will mich rächen für diese Un-
bill. Theure Schwester, ich danke Dir; ich bin stolz, Dein Bru-
der zu heißen; ich bin Dir viel, viel schuldig.

Jetzt eile zu William, umarme ihn, und auch Dina. Jch
bin nunmehr entschlossen, mein Glück mit dem ihrigen zu ver-
knüpfen; ich willige darein, mögen sie sich lieben und mir ihre
Freundschaft bewahren. Vielleicht werde ich noch manche Kämpfe
in meinem Busen durchzumachen haben: allein ich bin dazu be-
reit. Wenn ich Euch nicht sofort wie sonst bin, wundert Euch
nicht zu sehr darüber; ich werde schon zu seiner Zeit wieder der
Alte sein. Und ich bin überzeugt, ich werde vollständig den
Sieg über meine blinde Leidenschaftlichkeit erringen; ich will
trachten, so viel wie möglich, Euch den Kummer zu vergütigen,
den ich Euch gemacht, ohne Absicht freilich. Vor Allem aber
danke ich Dir, schöne, liebe, edle Schwester!“

Acht Tage hinterher, zwei Tage vor den großen Festtagen
der ikarischen Nation, war Walmor zurück. Dina hatte sich er-
holt, und ich befand mich so nahe an der vollkommenen Gene-
sung, daß ich durch ihren Anblick ganz hergestellt ward.

Walmor umarmte uns mit ungeheucheltem Entzücken und es
schien endlich, nach den bösen vierzehn Tagen, ein günstiges Ge-
schick uns zu lächeln. Gleichwohl dachte ich allen Ernstes abzu-
reisen. Jch hatte Jkarien sattsam kennen gelernt, ich hatte auch
die Liebe dort gefühlt; es war Zeit, auf andere Verhältnisse
daheim den Blick zurückzuwenden. Dina bestärkte mich in diesem
Vorsatze; sie erklärte, sich nie verheirathen zu wollen. Unver-
hofft stellte sich Walmor diesem entgegen! Er brachte allerlei
Gründe vor, uns von unseren Entschlüssen abzuleiten. Jch
werde Euch Beide schon zum Gehorsam zwingen, rief er. Und
da wir lachten, erklärte er seinerseits, er heirathe Dina's Cou-
sine, die junge Alae, zu der er stets Freundschaft gehabt und die
ihn herzlich liebe.

Groß war unser Erstaunen bei dieser Wendung; wir dach-
ten anfangs, er scherze, aber glücklicherweise sprach er ernsthaft.
Er hatte in der That vor seiner Ankunft vier Tage bei Dina's
Großvater verweilt und ihm die Sache erzählt. Dort hatte man
die Heirath mit Alae angeordnet Beide Familien waren es
gern zufrieden. — Korilla, das edle Mädchen, die wie der Schutz-
geist des Haufes zu betrachten war, flog ihrem Bruder um den
Hals. Eine sanftrührende Scene allseitigen Aussöhnens und
Beglückwünschens fand statt, und wir entwarfen allerlei Pläne,
wie man zu thun pflegt, wenn man aus schweren Mühen empor-
steigt. Zudem war das große Fest vor der Thür.



Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vorspiel der Festtage des Volkes. — Geburtsfeier des Schülers, des
Arbeiters, des Bürgers.

Morgen ist Jahresfeier der Wiedergeburt des ikarischen
Staates. Eröffnet wird sie durch dreierlei Vorgänge vom größ-
ten, allgemeinsten Jnteresse. Das ikarische Jahr hebt an mit
[Ende Spaltensatz]

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Und sie, was thut sie? sie sagt mir geradezu, sie ziehe mir einen Verräther vor, denn sie war nicht blos vergeßlich genug, um mich über zehn Jahre lange Freundschaft und Neigung, über Versprechen und Hoffnungen hinwegzusetzen, sie hat nicht etwa nur die schlechte, heuchlerische Ausflucht vorgebracht, sie wolle niemals heirathen: — nein, kurze Zeit darauf hängt sie sich an den ersten besten Aus- länder. Uebrigens jetzt ist die Sache vortrefflich eingerichtet; sie lieben sich. sie wollen für einander leben und sterben, sind ganz selig und triumphirend; sie können jetzt über meine Dumm- heit und Qual lachen... Aber halt, ich will nicht allein unglücklich sein, ich reise zurück, sie sollen mich recht bald sehen.“ — Nachschrift. „Nein, beste Korilla... Nein, sie sollen mich nicht sehen, ich kehre nicht zurück; ich mache dies Schreiben wieder auf, um Dir zu melden, daß ich unsinnig war! Jch reise weiter.“ Driter Brief Walmors. Waldira, 29. Mai. „ Jch lese eben Dein Schreiben vom 28., liebe Schwester. Sie ist also gefährlich krank? und er reist ab, sagst Du, um meinethalben, ohne ihr seine Zuneigung zu gestehen? Sprich — ist dem so? Ach Korilla, eile zu William — nicht doch, zu Dina lieber — eile! — Gieb mir schleunigst Nachricht, hörst Du? ich vergehe vor Ungeduld.“ Brief Korilla's an Walmor. Jkara, 2. Juni. ( Dieses Schreiben, im vorigen erwähnt, enthielt die Ab- schrift des obigen Briefes. ) Vierter Brief Walmors. Waldira, 3. Juni. „ Freue Dich, theure Korilla, denn Du hast mir eine große Freude ja auch gemacht, indem Du mir anzeigtest, daß Beide außer Gefahr sind! Jch erhalte Deinen Brief vom 2. Mai und die Abschrift des Schreibens von Dina. Also William besteht auf seiner Abreise? Dina will mir ihre Liebe zum Opfer brin- gen? — Neben diesen zwei Personen bin ich sehr, sehr klein. Aber ich fühle wie Feuerglut im Kopf, ich mag Dir noch nicht mehr schreiben, ich muß laufen, rennen, in freier Luft. — Spä- ter will ich Dir schreiben, und Du sollst mit mir zufrieden sein, denke ich.“ Fünfter Brief Walmors. Waldira, 4. Juni. „ Höre, Schwesterchen, ich werde Rache nehmen, Rache an mir. Jch habe die Briefe, die Du mir geschickt, noch zehn Mal gelesen, stets mit neuem Jnteresse. Ach, jetzt sehe ich ein, wie verrückt und wie feige, wie ungerecht und wie überheftig ich ge- wesen. Die verfluchte Eifersucht, ja wohl, die fluchwürdige Eifer- sucht, diese böse, verstandlose, tückische, blutdürstende Begierde, hatte mich in Beschlag genommen, mich wie einen armen Be- sessenen entmenschlicht. Aber ich will mich rächen für diese Un- bill. Theure Schwester, ich danke Dir; ich bin stolz, Dein Bru- der zu heißen; ich bin Dir viel, viel schuldig. Jetzt eile zu William, umarme ihn, und auch Dina. Jch bin nunmehr entschlossen, mein Glück mit dem ihrigen zu ver- knüpfen; ich willige darein, mögen sie sich lieben und mir ihre Freundschaft bewahren. Vielleicht werde ich noch manche Kämpfe in meinem Busen durchzumachen haben: allein ich bin dazu be- reit. Wenn ich Euch nicht sofort wie sonst bin, wundert Euch nicht zu sehr darüber; ich werde schon zu seiner Zeit wieder der Alte sein. Und ich bin überzeugt, ich werde vollständig den Sieg über meine blinde Leidenschaftlichkeit erringen; ich will trachten, so viel wie möglich, Euch den Kummer zu vergütigen, den ich Euch gemacht, ohne Absicht freilich. Vor Allem aber danke ich Dir, schöne, liebe, edle Schwester!“ Acht Tage hinterher, zwei Tage vor den großen Festtagen der ikarischen Nation, war Walmor zurück. Dina hatte sich er- holt, und ich befand mich so nahe an der vollkommenen Gene- sung, daß ich durch ihren Anblick ganz hergestellt ward. Walmor umarmte uns mit ungeheucheltem Entzücken und es schien endlich, nach den bösen vierzehn Tagen, ein günstiges Ge- schick uns zu lächeln. Gleichwohl dachte ich allen Ernstes abzu- reisen. Jch hatte Jkarien sattsam kennen gelernt, ich hatte auch die Liebe dort gefühlt; es war Zeit, auf andere Verhältnisse daheim den Blick zurückzuwenden. Dina bestärkte mich in diesem Vorsatze; sie erklärte, sich nie verheirathen zu wollen. Unver- hofft stellte sich Walmor diesem entgegen! Er brachte allerlei Gründe vor, uns von unseren Entschlüssen abzuleiten. Jch werde Euch Beide schon zum Gehorsam zwingen, rief er. Und da wir lachten, erklärte er seinerseits, er heirathe Dina's Cou- sine, die junge Alae, zu der er stets Freundschaft gehabt und die ihn herzlich liebe. Groß war unser Erstaunen bei dieser Wendung; wir dach- ten anfangs, er scherze, aber glücklicherweise sprach er ernsthaft. Er hatte in der That vor seiner Ankunft vier Tage bei Dina's Großvater verweilt und ihm die Sache erzählt. Dort hatte man die Heirath mit Alae angeordnet Beide Familien waren es gern zufrieden. — Korilla, das edle Mädchen, die wie der Schutz- geist des Haufes zu betrachten war, flog ihrem Bruder um den Hals. Eine sanftrührende Scene allseitigen Aussöhnens und Beglückwünschens fand statt, und wir entwarfen allerlei Pläne, wie man zu thun pflegt, wenn man aus schweren Mühen empor- steigt. Zudem war das große Fest vor der Thür. Dreiunddreißigstes Kapitel. Vorspiel der Festtage des Volkes. — Geburtsfeier des Schülers, des Arbeiters, des Bürgers. Morgen ist Jahresfeier der Wiedergeburt des ikarischen Staates. Eröffnet wird sie durch dreierlei Vorgänge vom größ- ten, allgemeinsten Jnteresse. Das ikarische Jahr hebt an mit

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. Dezember 1874, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1201_1874/6>, abgerufen am 21.11.2024.