Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 26. Dezember 1874.Zur Unterhaltung und Belehrung. 354 [Beginn Spaltensatz]
deln und Kies, baarfuß, im härenen Rocke und mich geißelnd,er möge mein Land und die Menschheit erleuchten. Und meine Franzosen, denen Sie die Sonntagsvergnügungen als Sünde anzuschreiben scheinen, William, wie würden diese nicht, wären sie plötzlich gläubig geworden, vor dem zürnenden Meister knieen, wie würden diese nicht schaarenweise sich in die Kir- chenthüren drängen um seinen Grimm zu sühnen! Und die gesammte Menschheit, hörte sie wirklich eine göttliche Stimme vom Himmel, würde wahrlich stracks niedersinken und Buße thun vor dem Allgewaltigen. Allein meine Landsleute sind im Grunde nicht gläubiger als Hier hielt ich etwas inne, und Dinaros und Walmor rie- Jch begreife übrigens, daß ein rechtgläubiger Mensch, der William wußte nichts zu entgegnen. Da rief der junge Nicht doch, erwiederte ich, Freund William ist nicht so Dinaros und Walmor stimmten bei. Uebrigens, weil William, fuhr ich fort, so stark meine Sehen Sie, Lord, wenn Einer von euch aus Paris nach Einige Jhrer bedeutenden Männer, O'Connel z. B. den *) Wirklich darf die Post Sonntags in England keine Zeitungs- blätter austheilen, auch keine Briefe. **) Wenn in London Samstags das Theater über Mitternacht
währt, so eilen viele Leute Punkt zwölf weg, weil -- der heilige Tag beginnt! -- Zur Unterhaltung und Belehrung. 354 [Beginn Spaltensatz]
deln und Kies, baarfuß, im härenen Rocke und mich geißelnd,er möge mein Land und die Menschheit erleuchten. Und meine Franzosen, denen Sie die Sonntagsvergnügungen als Sünde anzuschreiben scheinen, William, wie würden diese nicht, wären sie plötzlich gläubig geworden, vor dem zürnenden Meister knieen, wie würden diese nicht schaarenweise sich in die Kir- chenthüren drängen um seinen Grimm zu sühnen! Und die gesammte Menschheit, hörte sie wirklich eine göttliche Stimme vom Himmel, würde wahrlich stracks niedersinken und Buße thun vor dem Allgewaltigen. Allein meine Landsleute sind im Grunde nicht gläubiger als Hier hielt ich etwas inne, und Dinaros und Walmor rie- Jch begreife übrigens, daß ein rechtgläubiger Mensch, der William wußte nichts zu entgegnen. Da rief der junge Nicht doch, erwiederte ich, Freund William ist nicht so Dinaros und Walmor stimmten bei. Uebrigens, weil William, fuhr ich fort, so stark meine Sehen Sie, Lord, wenn Einer von euch aus Paris nach Einige Jhrer bedeutenden Männer, O'Connel z. B. den *) Wirklich darf die Post Sonntags in England keine Zeitungs- blätter austheilen, auch keine Briefe. **) Wenn in London Samstags das Theater über Mitternacht
währt, so eilen viele Leute Punkt zwölf weg, weil — der heilige Tag beginnt! — <TEI> <text> <body> <div xml:id="Reise14" type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0006" n="354"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 354</fw><cb type="start"/> deln und Kies, baarfuß, im härenen Rocke und mich geißelnd,<lb/> er möge mein Land und die Menschheit erleuchten. Und meine<lb/> Franzosen, denen Sie die Sonntagsvergnügungen als Sünde<lb/> anzuschreiben scheinen, William, wie würden diese nicht, wären<lb/> sie plötzlich gläubig geworden, vor dem zürnenden Meister<lb/> knieen, wie würden diese nicht schaarenweise sich in die Kir-<lb/> chenthüren drängen um seinen Grimm zu sühnen! Und die<lb/> gesammte Menschheit, hörte sie wirklich eine göttliche Stimme<lb/> vom Himmel, würde wahrlich stracks niedersinken und Buße thun<lb/> vor dem Allgewaltigen.</p><lb/> <p>Allein meine Landsleute sind im Grunde nicht gläubiger als<lb/> ich. Jhre Schuld ist es nicht, die meinige auch nicht, denn<lb/> wir wären Muselmänner oder Protestanten, hätten wir in Kon-<lb/> stantinopel oder London zuerst die Welt erblickt. William wäre<lb/> Katholik, wenn seine Geburt und Erziehung in Paris oder Rom<lb/> geschehen. Meine Franzosen lachen über die Frömmlinge, aber<lb/> die Frömmlinge lachen nicht sondern fluchen und brechen über<lb/> uns den Stab. Und der Lord Carisdall, der eben über mich<lb/> und meine Jugendschwärmerei herzlich mitlachte und uns der<lb/> Gottlosigkeit bezichtigte, diesem Lord beweise ich daß auch er<lb/> gottlos lebt. Jm Ernst, William, antworten Sie auf meine<lb/> einfache Frage; Warum feiern Sie den Sonntag nicht gerade<lb/> so wenn Sie in Paris sind, wie wenn Sie in ihrer Heimath?<lb/> Weshalb fahren Sie in Paris zur Oper an demselben Tage des<lb/> Herrn, an dem Sie in England nicht einmal Musik hören und<lb/> machen wollen? Reden Sie! Sie schweigen?... Warum?<lb/> Antwort will ich haben. So? Sie wissen keine? Das ist schön.<lb/> Jch will es sagen: Sie glauben auch nicht an den Sonntag mehr;<lb/> folglich nicht mehr an Gott, der die Welt in sechs Tagen fabrizirte<lb/> und am siebenten von seiner Anstrengung sich erholte, an Gott,<lb/> der einem Hebräer den Auftrag gab allen Erdbewohnern zu<lb/> befehlen; sie sollten diesen siebenten Tag, wo der Weltallschöpfer<lb/> ausgeruht, auch ausruhen und erst am Montage die Arbeiten<lb/> wieder vornehmen; obschon eben jener Schöpfer seither fort und<lb/> fort ausruht. Aber dann glauben Sie auch nicht an die Bibel,<lb/> an die Offenbarung, an Moses, ja an Christus nicht. Altes<lb/> und Neues Testament sind für Sie keine Glaubensbücher. Ja,<lb/> ja mein bester Lord, Sie sind zwar ein rechtschaffener Mensch<lb/> den wir alle liebhaben, allein was hilft's? Sie sind ein Gott-<lb/> loser! werden in die Flammen des göttlichen Gerichts wandern,<lb/> mein armer Lord William Carisdall!</p><lb/> <p>Hier hielt ich etwas inne, und Dinaros und Walmor rie-<lb/> fen Beifall; dieser stürmische Angriff sagte ihnen zu.</p><lb/> <p>Jch begreife übrigens, daß ein rechtgläubiger Mensch, der<lb/> stets, wie ich damals, das große Gottesauge sieht, sehr eifrig<lb/> für die Religion erglüht; auch wohl verrückt wird, und in's<lb/> Jrrenhaus wandert; auch wohl ein Fanatiker wird, wie die<lb/> Büßer im brittischen Ostindien, die sich freiwillig unter die Rä-<lb/> der des heiligen Wagens stürzen, auf dem die riesenhafte Bild-<lb/> säule ihres Götzen zu Schagernat herumgefahren wird. Jch<lb/> verstehe jetzt wie der englische Deputirte Andrew im Parlament<lb/> verlangt, man möge ein Gesetz machen, welches am Sonntage<lb/> die Omnibus und Droschken verbiete, nicht zufrieden mit dem<lb/> schon vorhandenen Verbote der Zeitungen am heiligen Tage <note place="foot" n="*)">Wirklich darf die Post Sonntags in England keine Zeitungs-<lb/> blätter austheilen, auch keine Briefe.</note>.<lb/> Das aber begreife ich nicht wie, wenn es sich um Paradies<lb/> und Hölle handelt, der Lord William trotz seines Glaubens am<lb/> Sonntag Abends in die pariser Oper, ins Ballet läuft <note place="foot" n="**)">Wenn in London Samstags das Theater über Mitternacht<lb/> währt, so eilen viele Leute Punkt zwölf weg, weil — der heilige Tag<lb/> beginnt! —</note>.<lb/> Nein, William ist auch nicht mehr recht religiös. Wenn Sie,<lb/><cb n="2"/> mein Bester, an den Hof des Fürstleins gehen, das man zum<lb/> Oberherrn über das Sandkörnchen Großbritannien benannt,<lb/> gemacht: dann sind Sie schier ganz außer Athem, glaube ich,<lb/> beim Anblick solcher Majestät. Aber wenn Sie einen Tempel<lb/> betreten, wo der König der Könige thront, der Herr der unter-<lb/> gegangenen Nationen und der Schöpfer der künftigen und<lb/> der gegenwärtigen, der Gebieter der Welten, sind Sie da nicht<lb/> im Grunde ein bischen gleichgültig? ein bischen gelangweilt?<lb/> Ha, Sie sind auch ein Ungläubiger, mein werther Lord. Um<lb/> eine kleine Sache, die Sie etwas interessirt, da laufen Sie<lb/> kreuz und quer, und sparen keine Worte, keine Briefe. Um<lb/> Jhr Seelenheil, um Jhre Verdammniß jedoch scheinen Sie sich<lb/> keinen Schritt zu bemühen. Lord, Sie auch sind gottlos. Jch<lb/> sehe gleichwohl dort oben im Himmelsraum das große offene<lb/> Auge des Herrgottes; der erwartet nur Jhr Gebet England<lb/> zu beglücken, und dennoch werfen Sie sich nicht nieder vor ihm?<lb/> Lord, Sie sind stark ungläubig, sonst thäten Sie es. Sie<lb/> haben trotzdem den schlimmen Scherz sich gemacht, sich als<lb/> gläubig und sehr fromm uns zu schildern. ( Während ich so<lb/> sprach, nickten Dinaros und Walmor mir jedesmal Beifall. )</p><lb/> <p>William wußte nichts zu entgegnen. Da rief der junge<lb/> Jkarier: Am Ende wird er uns sagen, die gebildeten Klassen<lb/> und die Edelleute und die Millionäre brauchten nicht zu glauben,<lb/> wohl aber das niedere Volk, denn es sei ein reißendes Unthier,<lb/> welches uns verschlänge, wäre es nicht durch den Schlaftrunk<lb/> der Religiosität unschädlich gemacht!...</p><lb/> <p>Nicht doch, erwiederte ich, Freund William ist nicht so<lb/> aristokratisch; er liebt das Volk, und spricht das nicht. Aber<lb/> wäre er toll genug so zu sprechen, dann würde ich ihm zu-<lb/> schreien: das Volk ist ein Thier, weil es von der hohen und<lb/> höchsten Klasse <hi rendition="#g">dazu</hi> gemacht wird. Das Volk, würde ich ihm<lb/> zudonnern, ist mordlustig, weil seine Zwingherren barbarisch<lb/> sind und seinen Zorn bis zur Wuth in die Höhe treiben. Sehe<lb/> man nur die Jkarier, die leben ohne hohe Herrschaften, ohne<lb/> Zuchtmeister, ohne Barbarei; sie sind nicht mordgierig, nicht<lb/> tückisch, verlangen auch nicht nach einer volksknechtenden Re-<lb/> ligion; eine Aristokratie, die dem Volke den letzten Pfennig ab-<lb/> Zwackt und es nachher in die Kirche schickt, kommt mir just<lb/> vor wie eine Räuberbande, die den Passagier niederwirft, knebelt,<lb/> mißhandelt, bestiehlt, und ihn zuletzt zu beten nöthigt, damit<lb/> er sich ruhig in sein Loos ergebe. Nicht wahr? —</p><lb/> <p>Dinaros und Walmor stimmten bei.</p><lb/> <p>Uebrigens, weil William, fuhr ich fort, so stark meine<lb/> Landsleute angriff ( ich hätte gemeint er sei weniger vorurtheils-<lb/> voll ) , muß ich dieselben vertheidigen, obschon ich über sie oft<lb/> zu klagen habe; ich ärgere mich über sie, ich hasse sie, und doch<lb/> liebe ich sie im tiefsten Herzen. Der Herr Engländer wird<lb/> erlauben, daß ich ein bischen seine Landsleute aufmarschiren<lb/> lasse.</p><lb/> <p>Sehen Sie, Lord, wenn Einer von euch aus Paris nach<lb/> Alt=England zurück geht, dann schimpft er und lästert gräßlich<lb/> über Franzosen und Frankreich, das böse Land der Gottlosen<lb/> und der Sünder. Aber jedes Jahr kommen diese oder andere<lb/> schimpfende Engländer und Engländerinnen haufenweis wieder<lb/> zu uns, sehen sich unsere Verderbniß an, achselzucken, streichen<lb/> sich pharisäisch das Kinn und lispeln: „ach wie danken wir dir<lb/> Gott, daß du uns nicht hast werden lassen wie dieser Einen.“<lb/> Und die schimpfenden Herren Engländer vergnügen sich weidlich<lb/> bei uns, bekommen selbst Freude am Genuß der schönen Künste,<lb/> da sie in ihrer Heimath keine kennen.</p><lb/> <p>Einige Jhrer bedeutenden Männer, O'Connel z. B. den<lb/> ich oft bewunderte, verschreien uns stets als unreligiös. Damit<lb/> schaden sie eigentlich der französischen Nation viel weniger als<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [354/0006]
Zur Unterhaltung und Belehrung. 354
deln und Kies, baarfuß, im härenen Rocke und mich geißelnd,
er möge mein Land und die Menschheit erleuchten. Und meine
Franzosen, denen Sie die Sonntagsvergnügungen als Sünde
anzuschreiben scheinen, William, wie würden diese nicht, wären
sie plötzlich gläubig geworden, vor dem zürnenden Meister
knieen, wie würden diese nicht schaarenweise sich in die Kir-
chenthüren drängen um seinen Grimm zu sühnen! Und die
gesammte Menschheit, hörte sie wirklich eine göttliche Stimme
vom Himmel, würde wahrlich stracks niedersinken und Buße thun
vor dem Allgewaltigen.
Allein meine Landsleute sind im Grunde nicht gläubiger als
ich. Jhre Schuld ist es nicht, die meinige auch nicht, denn
wir wären Muselmänner oder Protestanten, hätten wir in Kon-
stantinopel oder London zuerst die Welt erblickt. William wäre
Katholik, wenn seine Geburt und Erziehung in Paris oder Rom
geschehen. Meine Franzosen lachen über die Frömmlinge, aber
die Frömmlinge lachen nicht sondern fluchen und brechen über
uns den Stab. Und der Lord Carisdall, der eben über mich
und meine Jugendschwärmerei herzlich mitlachte und uns der
Gottlosigkeit bezichtigte, diesem Lord beweise ich daß auch er
gottlos lebt. Jm Ernst, William, antworten Sie auf meine
einfache Frage; Warum feiern Sie den Sonntag nicht gerade
so wenn Sie in Paris sind, wie wenn Sie in ihrer Heimath?
Weshalb fahren Sie in Paris zur Oper an demselben Tage des
Herrn, an dem Sie in England nicht einmal Musik hören und
machen wollen? Reden Sie! Sie schweigen?... Warum?
Antwort will ich haben. So? Sie wissen keine? Das ist schön.
Jch will es sagen: Sie glauben auch nicht an den Sonntag mehr;
folglich nicht mehr an Gott, der die Welt in sechs Tagen fabrizirte
und am siebenten von seiner Anstrengung sich erholte, an Gott,
der einem Hebräer den Auftrag gab allen Erdbewohnern zu
befehlen; sie sollten diesen siebenten Tag, wo der Weltallschöpfer
ausgeruht, auch ausruhen und erst am Montage die Arbeiten
wieder vornehmen; obschon eben jener Schöpfer seither fort und
fort ausruht. Aber dann glauben Sie auch nicht an die Bibel,
an die Offenbarung, an Moses, ja an Christus nicht. Altes
und Neues Testament sind für Sie keine Glaubensbücher. Ja,
ja mein bester Lord, Sie sind zwar ein rechtschaffener Mensch
den wir alle liebhaben, allein was hilft's? Sie sind ein Gott-
loser! werden in die Flammen des göttlichen Gerichts wandern,
mein armer Lord William Carisdall!
Hier hielt ich etwas inne, und Dinaros und Walmor rie-
fen Beifall; dieser stürmische Angriff sagte ihnen zu.
Jch begreife übrigens, daß ein rechtgläubiger Mensch, der
stets, wie ich damals, das große Gottesauge sieht, sehr eifrig
für die Religion erglüht; auch wohl verrückt wird, und in's
Jrrenhaus wandert; auch wohl ein Fanatiker wird, wie die
Büßer im brittischen Ostindien, die sich freiwillig unter die Rä-
der des heiligen Wagens stürzen, auf dem die riesenhafte Bild-
säule ihres Götzen zu Schagernat herumgefahren wird. Jch
verstehe jetzt wie der englische Deputirte Andrew im Parlament
verlangt, man möge ein Gesetz machen, welches am Sonntage
die Omnibus und Droschken verbiete, nicht zufrieden mit dem
schon vorhandenen Verbote der Zeitungen am heiligen Tage *).
Das aber begreife ich nicht wie, wenn es sich um Paradies
und Hölle handelt, der Lord William trotz seines Glaubens am
Sonntag Abends in die pariser Oper, ins Ballet läuft **).
Nein, William ist auch nicht mehr recht religiös. Wenn Sie,
mein Bester, an den Hof des Fürstleins gehen, das man zum
Oberherrn über das Sandkörnchen Großbritannien benannt,
gemacht: dann sind Sie schier ganz außer Athem, glaube ich,
beim Anblick solcher Majestät. Aber wenn Sie einen Tempel
betreten, wo der König der Könige thront, der Herr der unter-
gegangenen Nationen und der Schöpfer der künftigen und
der gegenwärtigen, der Gebieter der Welten, sind Sie da nicht
im Grunde ein bischen gleichgültig? ein bischen gelangweilt?
Ha, Sie sind auch ein Ungläubiger, mein werther Lord. Um
eine kleine Sache, die Sie etwas interessirt, da laufen Sie
kreuz und quer, und sparen keine Worte, keine Briefe. Um
Jhr Seelenheil, um Jhre Verdammniß jedoch scheinen Sie sich
keinen Schritt zu bemühen. Lord, Sie auch sind gottlos. Jch
sehe gleichwohl dort oben im Himmelsraum das große offene
Auge des Herrgottes; der erwartet nur Jhr Gebet England
zu beglücken, und dennoch werfen Sie sich nicht nieder vor ihm?
Lord, Sie sind stark ungläubig, sonst thäten Sie es. Sie
haben trotzdem den schlimmen Scherz sich gemacht, sich als
gläubig und sehr fromm uns zu schildern. ( Während ich so
sprach, nickten Dinaros und Walmor mir jedesmal Beifall. )
William wußte nichts zu entgegnen. Da rief der junge
Jkarier: Am Ende wird er uns sagen, die gebildeten Klassen
und die Edelleute und die Millionäre brauchten nicht zu glauben,
wohl aber das niedere Volk, denn es sei ein reißendes Unthier,
welches uns verschlänge, wäre es nicht durch den Schlaftrunk
der Religiosität unschädlich gemacht!...
Nicht doch, erwiederte ich, Freund William ist nicht so
aristokratisch; er liebt das Volk, und spricht das nicht. Aber
wäre er toll genug so zu sprechen, dann würde ich ihm zu-
schreien: das Volk ist ein Thier, weil es von der hohen und
höchsten Klasse dazu gemacht wird. Das Volk, würde ich ihm
zudonnern, ist mordlustig, weil seine Zwingherren barbarisch
sind und seinen Zorn bis zur Wuth in die Höhe treiben. Sehe
man nur die Jkarier, die leben ohne hohe Herrschaften, ohne
Zuchtmeister, ohne Barbarei; sie sind nicht mordgierig, nicht
tückisch, verlangen auch nicht nach einer volksknechtenden Re-
ligion; eine Aristokratie, die dem Volke den letzten Pfennig ab-
Zwackt und es nachher in die Kirche schickt, kommt mir just
vor wie eine Räuberbande, die den Passagier niederwirft, knebelt,
mißhandelt, bestiehlt, und ihn zuletzt zu beten nöthigt, damit
er sich ruhig in sein Loos ergebe. Nicht wahr? —
Dinaros und Walmor stimmten bei.
Uebrigens, weil William, fuhr ich fort, so stark meine
Landsleute angriff ( ich hätte gemeint er sei weniger vorurtheils-
voll ) , muß ich dieselben vertheidigen, obschon ich über sie oft
zu klagen habe; ich ärgere mich über sie, ich hasse sie, und doch
liebe ich sie im tiefsten Herzen. Der Herr Engländer wird
erlauben, daß ich ein bischen seine Landsleute aufmarschiren
lasse.
Sehen Sie, Lord, wenn Einer von euch aus Paris nach
Alt=England zurück geht, dann schimpft er und lästert gräßlich
über Franzosen und Frankreich, das böse Land der Gottlosen
und der Sünder. Aber jedes Jahr kommen diese oder andere
schimpfende Engländer und Engländerinnen haufenweis wieder
zu uns, sehen sich unsere Verderbniß an, achselzucken, streichen
sich pharisäisch das Kinn und lispeln: „ach wie danken wir dir
Gott, daß du uns nicht hast werden lassen wie dieser Einen.“
Und die schimpfenden Herren Engländer vergnügen sich weidlich
bei uns, bekommen selbst Freude am Genuß der schönen Künste,
da sie in ihrer Heimath keine kennen.
Einige Jhrer bedeutenden Männer, O'Connel z. B. den
ich oft bewunderte, verschreien uns stets als unreligiös. Damit
schaden sie eigentlich der französischen Nation viel weniger als
*) Wirklich darf die Post Sonntags in England keine Zeitungs-
blätter austheilen, auch keine Briefe.
**) Wenn in London Samstags das Theater über Mitternacht
währt, so eilen viele Leute Punkt zwölf weg, weil — der heilige Tag
beginnt! —
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung
Weitere Informationen:Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |