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Sonntags-Blatt. Nr. 5. Berlin, 2. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

Kleists "Frühling" erschien 1749, und machte den Namen des Dich-
ters bei allen Freunden der Poesie bekannt, wenn er ihm gleich in
Preußen selbst, wo Friedrich II. nur für seine französischen Hofpoeten
Ohren hatte, keinerlei Beachtung oder Auszeichnung erwarb. Es ist
ein beschreibendes Gedicht in der Weise des Engländers Thomson,
eine mannichfaltige, zeitweise etwas bunte und zusammenhanglose
Schilderung der Reize des Frühlings, untermischt mit schönen betrach-
tenden Stellen, welche die Freuden des Landlebens, das Entzücken der
Freundschaft, Tugend und Weisheit in begeisterten Worten preisen,
oder auch in Kleist's ernster, schwermüthiger Weise das ihm versagte
Glück der Liebe und des friedlichen ländlichen Genusses herbeisehnen.
Er gab damit einem tiefen Drange der Zeit einen schönen Ausdruck,
dabei ist die Sprache warm, reich und flüssig; die Hexameter mit
Vorschlagssilbe, in welchen das Gedicht geschrieben ist, sind so gut,
als man sie damals irgend machen konnte, und so erklärt es sich, daß
die Dichtung dem Offizier, welcher sich trübsinnig und einsam und
unglücklich fühlte, allerorten warme Freunde und einen ausgebreiteten
Ruhm verschaffte.

Jm Jahre 1749 ward Kleist Hauptmann, 1752 als Werbe=Offizier
nach der Schweiz geschickt. Jn Zürich machte er die persönliche Be-
kanntschaft der damals hochgefeierten schweizerischen Dichter. Als
1756 der siebenjährige Krieg entbrannte, machte Kleist den ersten
Feldzug mit; 1757 ernannte ihn Friedrich II. zum Major, zugleich
aber, um seines menschlichen, wohlmeinenden Herzens willen, zum
obersten Leiter des in Leipzig eingerichteten Militärhospitals -- ihm zum
bitteren Leidwesen, daß es ihm nicht vergönnt sein sollte, im Ge-
tümmel der Schlacht sich auszuzeichnen. Das Jahr 1758 verbrachte
er beim Heere des Prinzen Heinrich, welches Sachsen gegen die Ein-
fälle der Oesterreicher und des Reichsheeres vertheidigte; aber auch
hier erschien keine Gelegenheit, sich entschieden auszuzeichnen, wenn
sich gleich Kleist allezeit, wann es zum Schlagen kam, eben so um-
sichtig als tapfer bewies. "Seit dem Jahre 1740", schreibt er, "habe
ich fast alle Campagnen gethan und Anstrengungen genug gehabt,
aber nicht die geringste Gelegenheit, einen Streich von einiger Wich-
tigkeit zu machen. Das Hundeleben, ohne Ehre einzulegen, bin ich
müde, und wenn ich diesen Krieg überleben soll, so nehme ich nachher
gleich meinen Abschied und gehe nach Hause, Kohl zu pflanzen."
[Spaltenumbruch] Die Gelegenheit, Ehre einzulegen, sollte auch für ihn noch kommen,
freilich ernst genug.

Jm Sommer 1759 ward Kleists Regiment dem Heere des Königs
Friedrich II. zugetheilt, welches der vereinten Streitmacht der Russen
und Oesterreicher gegenüberstand. Am 12. August erfolgte unweit
Frankfurt a. O. die verhängnißvolle blutige Schlacht von Kuners-
dorf, wo Kleist's langgehegter Wunsch, den edlen Tod für das
Vaterland zu sterben, in Erfüllung gehen sollte. Als er am 11. August
mit dem ganzen Fußvolk über die Oder ging, um seine Stellung in
der Schlachtordnung einzunehmen, trafen ihn seine Freunde schlum-
mernd auf dem Pferde, ohne Zweifel vor heftiger Ermüdung; besorgt
weckten sie ihn auf. Er erwachte mit gewohntem freundlichen Blick
und erzählte lächelnd, er habe geträumt von Kampf und Sieg. Mit
heiterem Muth sah er der furchtbaren Schlacht entgegen; er hatte sein
Leben niemals ängstlich geliebt und bewies im Kampf eine Tapferkeit,
welche dem sanften Sänger des Frühlings hohe Ehre macht.

Kleist war dem rechten Flügel des preußischen Heeres zugetheilt,
welchem die Erstürmung der starken Verschanzungen von Kunersdorf
aufgetragen war. Lange schwankte der Kampf unentschieden. Drei
Batterien hatte bereits Kleist mit seinem Bataillon erstürmen helfen;
außer zwölf starken Quetschungen war er schon an zwei Fingern der
rechten Hand stark verwundet, so daß er den Degen mit der Linken
führen mußte. Als er den Kommandeur des Bataillons nicht mehr
erblickte, sprengte er sogleich hervor, stellte sich, hoch zu Roß, an die
Spitze und führte seine Tapferen unter einem furchtbaren Geschütz-
feuer gegen die vierte Batterie. Die Fahnen des Regiments sammelte
er um sich her, nahm selbst einen Fahnenjunker, welcher drei Fahnen
trug, am Arm und drang so gegen die Feuerschlünde vor. Eine
Flintenkugel durchfuhr ihm den linken Arm; Kleist faßte den Degen
wieder mit der blutenden Rechten. Nur wenige Schritte war er noch
von dem ersehnten Ziel entfernt, da zerschmetterteen ihm drei Kar-
tätschenkugeln zugleich das rechte Bein, so daß er sogleich vom Pferde
stürzte. Zweimal versucht er mit Hülfe seiner Leute das Pferd wieder
zu besteigen, aber vergeblich; kraftlos sinkt er zur Erde. "Kinder,
verlaßt Euren König nicht!" Das war Kleist's letztes Wort auf dem
Schlachtfelde; in der festen Hoffnung und Freude des Sieges war er
gefallen.     ( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Die ersten Volkszählungen lassen sich auf mehrere Jahrtausende
zurückführen, wenngleich dieselben lediglich im Jnteresse von Verwaltungs-
maßregeln, namentlich zu Steuerzwecken und behufs Heranziehung zum
Militärdienst vorgenommen wurden. Die alten Perser und Aegypter,
Griechen, Römer und Juden hatten in diesem Sinne ihre Volkszählungen,
ja selbst die Chinesen sollen schon 2000 Jahre vor Christus eine Volks=,
Jndustrie= und Ackerbau=Statistik gekannt haben.

Die aus dem Fundament der Volkszählung hervorgegangene Statistik,
diese mächtige Stütze der exakten Forschung und Analyse, die ihre Be-
obachtungen und Resultate über die Veränderungen und deren Ursachen
aus dem stets sich bewegenden Volksleben zieht, hat zuerst der Professor
Achenvall in Göttingen im Jahre 1749 nach systematischen Formen be-
arbeitet. Die Benennung "Statistik" kommt dagegen zuerst bei Girolamo
Ghilini, Canonikus von San Ambrogio in Mailand, und zwar in seinem
Werke " Teatro degli Uomini Letterati " vom Jahre 1633 vor. Er
spricht in demselben von einer Statistica und von Statistica affari.

Zur Berliner Volkszählung sei bemerkt, daß die älteste derselben zu
Ende des sechszehnten Jahrhunderts stattgefunden und ein Resultat von
12,000 Einwohnern ergeben hat; 1640 hatte der dreißigjährige Krieg die
Bevölkerung bis auf die Hälfte vermindert; unter dem großen Kurfürsten
war die Einwohnerzahl auf 20,000, beim Regierungs=Antritt Friedrichs II.
auf 70,000, und im Todesjahr desselben auf 147,400 ( ausschließlich des
Militärs mit 33,600 Seelen ) gestiegen. Hat die Volkszählung im Jahre
1864 eine Bevölkerung von 632,292 Seelen ( ausschließlich des Militärs )
ergeben, so ist die Einwohnerzahl der werdenden "Weltstadt" in den
letzten drei Jahren auf mehr als 704,000 gestiegen.



R. Gänseleber=Pasteten- und Fettkrankheit. Kürzlich ward in der
"N. fr. Pr." in Wien eine scharfe Rüge der Thorheit ausgesprochen, mit
der die guten Deutschen nicht allein ihre Leiber in die albernen Moden-
gesetze der Franzosen zwängen, sondern mit der sie auch für den ekelhaften
und durchaus schädlichen Fettbrei, den man Gänseleber=Pastete nennt, ihr
Geld verschwenden -- bloß weil er theuer ist und sein Genuß "zum guten Ton"
gehört. Jn der That dürfte es sich wohl der Mühe verlohnen, einmal unsere
edlen Hausfrauen daran zu erinnern, daß sie mit dem Nudeln oder Stopfen der
Gänse einerseits doch eine ihrer selbst, sowie unserer Zeit unwürdige Barbarei,
andererseits aber auch ein schweres Unrecht gegen sich und die Jhrigen
[Spaltenumbruch] begehen. Denn jede genudelte Gans befindet sich keineswegs im natur-
gemäßen und gesunden Zustande; sie leidet vielmehr an der ekelhaften
"Fettkrankheit", welche allerdings künstlich und absichtlich erzeugt, dennoch
unzweifelhaft ihr Fleisch und Fett, namentlich aber ihre Leber und alle
Zubereitungen derselben für die menschliche Gesundheit durchaus nach-
theilig macht. Jene verschwollenen weißen, d. h. krankhaft entfärbten
Lebermassen, wie sie namentlich in Frankreich durch die Mastung hervor-
gerufen werden und die Grundlage zu den Straßburger Gänseleber-
Pasteten, Würsten u. s. w. liefern, sind mindestens völlig unverdaulich,
bergen jedoch auch noch andere unheimliche Gefahren für das menschliche
Wohlsein. Eine Aufforderung an die deutschen Hausfrauen, künftig weder
Gänseleber=Pasteten mehr auf ihre Tische zu bringen, noch selbst ihre
zur Mastung bestimmten Gänse hinfort dem grausamen, widernatürlichen
und ihnen selbst gefahrdrohenden Nudeln zu unterwerfen, dürfte hier viel-
leicht nicht ohne Beherzigung bleiben.



Der Tempel der Schrecken in Canton. Als abmahnendes Beispiel,
sind in diesem -- so erzählt Hildebrandt -- um der Geschäftsüberhäufung der
Kriminaljustiz vorzubeugen, die furchtbarsten Todesstrafen durch Holzfiguren
vergegenwärtigt. "Ein Delinquent wurde zwischen zwei Brettern zersägt;
ein anderer saß in einem mit Wasser gefüllten Kessel, unter dem Feuer
brannte. Eine mir vollkommen neue Todesstrafe war das haarsträubende
Verfahren, den Verbrecher zu Tode zu -- läuten. Eine große Glocke wird
über ihn herabgelassen und einen halben Fuß über dem Erdboden schwe-
bend erhalten. Nun bearbeiteten die Schergen das Metall so lange mit
gewaltigen Hämmern, bis das Opfer, von dem wüsten Lärm innerlich ver-
nichtet, zu Boden sinkt und endlich den Geist aufgiebt." Sind diese Jllu-
strationen zum chinesischen Strafgesetzbuch maßgebend, so werden im
himmlischen Reich Verbrecher auch wilden Thieren vorgeworfen.



Briefkasten.

W. J. in K.: Wir haben Jhnen längst " via Lübeck " geantwortet.
Durch diese Nummer ist die Antwort von selbst gegeben. -- E. J. in
Schwerin: Etwa drei, welche Jhnen gratis zu Gebote stehen. -- Th. G.
in Berlin: Besten Dank. Gelegentlich. -- L. O. in Magdeburg: Wir
haben selbst etwas Aehnliches für eine der nächsten Nummern vorbereitet.

[Ende Spaltensatz]

Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

[Beginn Spaltensatz]

Kleists „Frühling“ erschien 1749, und machte den Namen des Dich-
ters bei allen Freunden der Poesie bekannt, wenn er ihm gleich in
Preußen selbst, wo Friedrich II. nur für seine französischen Hofpoeten
Ohren hatte, keinerlei Beachtung oder Auszeichnung erwarb. Es ist
ein beschreibendes Gedicht in der Weise des Engländers Thomson,
eine mannichfaltige, zeitweise etwas bunte und zusammenhanglose
Schilderung der Reize des Frühlings, untermischt mit schönen betrach-
tenden Stellen, welche die Freuden des Landlebens, das Entzücken der
Freundschaft, Tugend und Weisheit in begeisterten Worten preisen,
oder auch in Kleist's ernster, schwermüthiger Weise das ihm versagte
Glück der Liebe und des friedlichen ländlichen Genusses herbeisehnen.
Er gab damit einem tiefen Drange der Zeit einen schönen Ausdruck,
dabei ist die Sprache warm, reich und flüssig; die Hexameter mit
Vorschlagssilbe, in welchen das Gedicht geschrieben ist, sind so gut,
als man sie damals irgend machen konnte, und so erklärt es sich, daß
die Dichtung dem Offizier, welcher sich trübsinnig und einsam und
unglücklich fühlte, allerorten warme Freunde und einen ausgebreiteten
Ruhm verschaffte.

Jm Jahre 1749 ward Kleist Hauptmann, 1752 als Werbe=Offizier
nach der Schweiz geschickt. Jn Zürich machte er die persönliche Be-
kanntschaft der damals hochgefeierten schweizerischen Dichter. Als
1756 der siebenjährige Krieg entbrannte, machte Kleist den ersten
Feldzug mit; 1757 ernannte ihn Friedrich II. zum Major, zugleich
aber, um seines menschlichen, wohlmeinenden Herzens willen, zum
obersten Leiter des in Leipzig eingerichteten Militärhospitals — ihm zum
bitteren Leidwesen, daß es ihm nicht vergönnt sein sollte, im Ge-
tümmel der Schlacht sich auszuzeichnen. Das Jahr 1758 verbrachte
er beim Heere des Prinzen Heinrich, welches Sachsen gegen die Ein-
fälle der Oesterreicher und des Reichsheeres vertheidigte; aber auch
hier erschien keine Gelegenheit, sich entschieden auszuzeichnen, wenn
sich gleich Kleist allezeit, wann es zum Schlagen kam, eben so um-
sichtig als tapfer bewies. „Seit dem Jahre 1740“, schreibt er, „habe
ich fast alle Campagnen gethan und Anstrengungen genug gehabt,
aber nicht die geringste Gelegenheit, einen Streich von einiger Wich-
tigkeit zu machen. Das Hundeleben, ohne Ehre einzulegen, bin ich
müde, und wenn ich diesen Krieg überleben soll, so nehme ich nachher
gleich meinen Abschied und gehe nach Hause, Kohl zu pflanzen.“
[Spaltenumbruch] Die Gelegenheit, Ehre einzulegen, sollte auch für ihn noch kommen,
freilich ernst genug.

Jm Sommer 1759 ward Kleists Regiment dem Heere des Königs
Friedrich II. zugetheilt, welches der vereinten Streitmacht der Russen
und Oesterreicher gegenüberstand. Am 12. August erfolgte unweit
Frankfurt a. O. die verhängnißvolle blutige Schlacht von Kuners-
dorf, wo Kleist's langgehegter Wunsch, den edlen Tod für das
Vaterland zu sterben, in Erfüllung gehen sollte. Als er am 11. August
mit dem ganzen Fußvolk über die Oder ging, um seine Stellung in
der Schlachtordnung einzunehmen, trafen ihn seine Freunde schlum-
mernd auf dem Pferde, ohne Zweifel vor heftiger Ermüdung; besorgt
weckten sie ihn auf. Er erwachte mit gewohntem freundlichen Blick
und erzählte lächelnd, er habe geträumt von Kampf und Sieg. Mit
heiterem Muth sah er der furchtbaren Schlacht entgegen; er hatte sein
Leben niemals ängstlich geliebt und bewies im Kampf eine Tapferkeit,
welche dem sanften Sänger des Frühlings hohe Ehre macht.

Kleist war dem rechten Flügel des preußischen Heeres zugetheilt,
welchem die Erstürmung der starken Verschanzungen von Kunersdorf
aufgetragen war. Lange schwankte der Kampf unentschieden. Drei
Batterien hatte bereits Kleist mit seinem Bataillon erstürmen helfen;
außer zwölf starken Quetschungen war er schon an zwei Fingern der
rechten Hand stark verwundet, so daß er den Degen mit der Linken
führen mußte. Als er den Kommandeur des Bataillons nicht mehr
erblickte, sprengte er sogleich hervor, stellte sich, hoch zu Roß, an die
Spitze und führte seine Tapferen unter einem furchtbaren Geschütz-
feuer gegen die vierte Batterie. Die Fahnen des Regiments sammelte
er um sich her, nahm selbst einen Fahnenjunker, welcher drei Fahnen
trug, am Arm und drang so gegen die Feuerschlünde vor. Eine
Flintenkugel durchfuhr ihm den linken Arm; Kleist faßte den Degen
wieder mit der blutenden Rechten. Nur wenige Schritte war er noch
von dem ersehnten Ziel entfernt, da zerschmetterteen ihm drei Kar-
tätschenkugeln zugleich das rechte Bein, so daß er sogleich vom Pferde
stürzte. Zweimal versucht er mit Hülfe seiner Leute das Pferd wieder
zu besteigen, aber vergeblich; kraftlos sinkt er zur Erde. „Kinder,
verlaßt Euren König nicht!“ Das war Kleist's letztes Wort auf dem
Schlachtfelde; in der festen Hoffnung und Freude des Sieges war er
gefallen.     ( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Die ersten Volkszählungen lassen sich auf mehrere Jahrtausende
zurückführen, wenngleich dieselben lediglich im Jnteresse von Verwaltungs-
maßregeln, namentlich zu Steuerzwecken und behufs Heranziehung zum
Militärdienst vorgenommen wurden. Die alten Perser und Aegypter,
Griechen, Römer und Juden hatten in diesem Sinne ihre Volkszählungen,
ja selbst die Chinesen sollen schon 2000 Jahre vor Christus eine Volks=,
Jndustrie= und Ackerbau=Statistik gekannt haben.

Die aus dem Fundament der Volkszählung hervorgegangene Statistik,
diese mächtige Stütze der exakten Forschung und Analyse, die ihre Be-
obachtungen und Resultate über die Veränderungen und deren Ursachen
aus dem stets sich bewegenden Volksleben zieht, hat zuerst der Professor
Achenvall in Göttingen im Jahre 1749 nach systematischen Formen be-
arbeitet. Die Benennung „Statistik“ kommt dagegen zuerst bei Girolamo
Ghilini, Canonikus von San Ambrogio in Mailand, und zwar in seinem
Werke „ Teatro degli Uomini Letterati “ vom Jahre 1633 vor. Er
spricht in demselben von einer Statistica und von Statistica affari.

Zur Berliner Volkszählung sei bemerkt, daß die älteste derselben zu
Ende des sechszehnten Jahrhunderts stattgefunden und ein Resultat von
12,000 Einwohnern ergeben hat; 1640 hatte der dreißigjährige Krieg die
Bevölkerung bis auf die Hälfte vermindert; unter dem großen Kurfürsten
war die Einwohnerzahl auf 20,000, beim Regierungs=Antritt Friedrichs II.
auf 70,000, und im Todesjahr desselben auf 147,400 ( ausschließlich des
Militärs mit 33,600 Seelen ) gestiegen. Hat die Volkszählung im Jahre
1864 eine Bevölkerung von 632,292 Seelen ( ausschließlich des Militärs )
ergeben, so ist die Einwohnerzahl der werdenden „Weltstadt“ in den
letzten drei Jahren auf mehr als 704,000 gestiegen.



R. Gänseleber=Pasteten- und Fettkrankheit. Kürzlich ward in der
„N. fr. Pr.“ in Wien eine scharfe Rüge der Thorheit ausgesprochen, mit
der die guten Deutschen nicht allein ihre Leiber in die albernen Moden-
gesetze der Franzosen zwängen, sondern mit der sie auch für den ekelhaften
und durchaus schädlichen Fettbrei, den man Gänseleber=Pastete nennt, ihr
Geld verschwenden — bloß weil er theuer ist und sein Genuß „zum guten Ton“
gehört. Jn der That dürfte es sich wohl der Mühe verlohnen, einmal unsere
edlen Hausfrauen daran zu erinnern, daß sie mit dem Nudeln oder Stopfen der
Gänse einerseits doch eine ihrer selbst, sowie unserer Zeit unwürdige Barbarei,
andererseits aber auch ein schweres Unrecht gegen sich und die Jhrigen
[Spaltenumbruch] begehen. Denn jede genudelte Gans befindet sich keineswegs im natur-
gemäßen und gesunden Zustande; sie leidet vielmehr an der ekelhaften
„Fettkrankheit“, welche allerdings künstlich und absichtlich erzeugt, dennoch
unzweifelhaft ihr Fleisch und Fett, namentlich aber ihre Leber und alle
Zubereitungen derselben für die menschliche Gesundheit durchaus nach-
theilig macht. Jene verschwollenen weißen, d. h. krankhaft entfärbten
Lebermassen, wie sie namentlich in Frankreich durch die Mastung hervor-
gerufen werden und die Grundlage zu den Straßburger Gänseleber-
Pasteten, Würsten u. s. w. liefern, sind mindestens völlig unverdaulich,
bergen jedoch auch noch andere unheimliche Gefahren für das menschliche
Wohlsein. Eine Aufforderung an die deutschen Hausfrauen, künftig weder
Gänseleber=Pasteten mehr auf ihre Tische zu bringen, noch selbst ihre
zur Mastung bestimmten Gänse hinfort dem grausamen, widernatürlichen
und ihnen selbst gefahrdrohenden Nudeln zu unterwerfen, dürfte hier viel-
leicht nicht ohne Beherzigung bleiben.



Der Tempel der Schrecken in Canton. Als abmahnendes Beispiel,
sind in diesem — so erzählt Hildebrandt — um der Geschäftsüberhäufung der
Kriminaljustiz vorzubeugen, die furchtbarsten Todesstrafen durch Holzfiguren
vergegenwärtigt. „Ein Delinquent wurde zwischen zwei Brettern zersägt;
ein anderer saß in einem mit Wasser gefüllten Kessel, unter dem Feuer
brannte. Eine mir vollkommen neue Todesstrafe war das haarsträubende
Verfahren, den Verbrecher zu Tode zu — läuten. Eine große Glocke wird
über ihn herabgelassen und einen halben Fuß über dem Erdboden schwe-
bend erhalten. Nun bearbeiteten die Schergen das Metall so lange mit
gewaltigen Hämmern, bis das Opfer, von dem wüsten Lärm innerlich ver-
nichtet, zu Boden sinkt und endlich den Geist aufgiebt.“ Sind diese Jllu-
strationen zum chinesischen Strafgesetzbuch maßgebend, so werden im
himmlischen Reich Verbrecher auch wilden Thieren vorgeworfen.



Briefkasten.

W. J. in K.: Wir haben Jhnen längst „ via Lübeck “ geantwortet.
Durch diese Nummer ist die Antwort von selbst gegeben. — E. J. in
Schwerin: Etwa drei, welche Jhnen gratis zu Gebote stehen. — Th. G.
in Berlin: Besten Dank. Gelegentlich. — L. O. in Magdeburg: Wir
haben selbst etwas Aehnliches für eine der nächsten Nummern vorbereitet.

[Ende Spaltensatz]

☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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[40/0008] 40 Kleists „Frühling“ erschien 1749, und machte den Namen des Dich- ters bei allen Freunden der Poesie bekannt, wenn er ihm gleich in Preußen selbst, wo Friedrich II. nur für seine französischen Hofpoeten Ohren hatte, keinerlei Beachtung oder Auszeichnung erwarb. Es ist ein beschreibendes Gedicht in der Weise des Engländers Thomson, eine mannichfaltige, zeitweise etwas bunte und zusammenhanglose Schilderung der Reize des Frühlings, untermischt mit schönen betrach- tenden Stellen, welche die Freuden des Landlebens, das Entzücken der Freundschaft, Tugend und Weisheit in begeisterten Worten preisen, oder auch in Kleist's ernster, schwermüthiger Weise das ihm versagte Glück der Liebe und des friedlichen ländlichen Genusses herbeisehnen. Er gab damit einem tiefen Drange der Zeit einen schönen Ausdruck, dabei ist die Sprache warm, reich und flüssig; die Hexameter mit Vorschlagssilbe, in welchen das Gedicht geschrieben ist, sind so gut, als man sie damals irgend machen konnte, und so erklärt es sich, daß die Dichtung dem Offizier, welcher sich trübsinnig und einsam und unglücklich fühlte, allerorten warme Freunde und einen ausgebreiteten Ruhm verschaffte. Jm Jahre 1749 ward Kleist Hauptmann, 1752 als Werbe=Offizier nach der Schweiz geschickt. Jn Zürich machte er die persönliche Be- kanntschaft der damals hochgefeierten schweizerischen Dichter. Als 1756 der siebenjährige Krieg entbrannte, machte Kleist den ersten Feldzug mit; 1757 ernannte ihn Friedrich II. zum Major, zugleich aber, um seines menschlichen, wohlmeinenden Herzens willen, zum obersten Leiter des in Leipzig eingerichteten Militärhospitals — ihm zum bitteren Leidwesen, daß es ihm nicht vergönnt sein sollte, im Ge- tümmel der Schlacht sich auszuzeichnen. Das Jahr 1758 verbrachte er beim Heere des Prinzen Heinrich, welches Sachsen gegen die Ein- fälle der Oesterreicher und des Reichsheeres vertheidigte; aber auch hier erschien keine Gelegenheit, sich entschieden auszuzeichnen, wenn sich gleich Kleist allezeit, wann es zum Schlagen kam, eben so um- sichtig als tapfer bewies. „Seit dem Jahre 1740“, schreibt er, „habe ich fast alle Campagnen gethan und Anstrengungen genug gehabt, aber nicht die geringste Gelegenheit, einen Streich von einiger Wich- tigkeit zu machen. Das Hundeleben, ohne Ehre einzulegen, bin ich müde, und wenn ich diesen Krieg überleben soll, so nehme ich nachher gleich meinen Abschied und gehe nach Hause, Kohl zu pflanzen.“ Die Gelegenheit, Ehre einzulegen, sollte auch für ihn noch kommen, freilich ernst genug. Jm Sommer 1759 ward Kleists Regiment dem Heere des Königs Friedrich II. zugetheilt, welches der vereinten Streitmacht der Russen und Oesterreicher gegenüberstand. Am 12. August erfolgte unweit Frankfurt a. O. die verhängnißvolle blutige Schlacht von Kuners- dorf, wo Kleist's langgehegter Wunsch, den edlen Tod für das Vaterland zu sterben, in Erfüllung gehen sollte. Als er am 11. August mit dem ganzen Fußvolk über die Oder ging, um seine Stellung in der Schlachtordnung einzunehmen, trafen ihn seine Freunde schlum- mernd auf dem Pferde, ohne Zweifel vor heftiger Ermüdung; besorgt weckten sie ihn auf. Er erwachte mit gewohntem freundlichen Blick und erzählte lächelnd, er habe geträumt von Kampf und Sieg. Mit heiterem Muth sah er der furchtbaren Schlacht entgegen; er hatte sein Leben niemals ängstlich geliebt und bewies im Kampf eine Tapferkeit, welche dem sanften Sänger des Frühlings hohe Ehre macht. Kleist war dem rechten Flügel des preußischen Heeres zugetheilt, welchem die Erstürmung der starken Verschanzungen von Kunersdorf aufgetragen war. Lange schwankte der Kampf unentschieden. Drei Batterien hatte bereits Kleist mit seinem Bataillon erstürmen helfen; außer zwölf starken Quetschungen war er schon an zwei Fingern der rechten Hand stark verwundet, so daß er den Degen mit der Linken führen mußte. Als er den Kommandeur des Bataillons nicht mehr erblickte, sprengte er sogleich hervor, stellte sich, hoch zu Roß, an die Spitze und führte seine Tapferen unter einem furchtbaren Geschütz- feuer gegen die vierte Batterie. Die Fahnen des Regiments sammelte er um sich her, nahm selbst einen Fahnenjunker, welcher drei Fahnen trug, am Arm und drang so gegen die Feuerschlünde vor. Eine Flintenkugel durchfuhr ihm den linken Arm; Kleist faßte den Degen wieder mit der blutenden Rechten. Nur wenige Schritte war er noch von dem ersehnten Ziel entfernt, da zerschmetterteen ihm drei Kar- tätschenkugeln zugleich das rechte Bein, so daß er sogleich vom Pferde stürzte. Zweimal versucht er mit Hülfe seiner Leute das Pferd wieder zu besteigen, aber vergeblich; kraftlos sinkt er zur Erde. „Kinder, verlaßt Euren König nicht!“ Das war Kleist's letztes Wort auf dem Schlachtfelde; in der festen Hoffnung und Freude des Sieges war er gefallen. ( Schluß folgt. ) Lose Blätter. M. Die ersten Volkszählungen lassen sich auf mehrere Jahrtausende zurückführen, wenngleich dieselben lediglich im Jnteresse von Verwaltungs- maßregeln, namentlich zu Steuerzwecken und behufs Heranziehung zum Militärdienst vorgenommen wurden. Die alten Perser und Aegypter, Griechen, Römer und Juden hatten in diesem Sinne ihre Volkszählungen, ja selbst die Chinesen sollen schon 2000 Jahre vor Christus eine Volks=, Jndustrie= und Ackerbau=Statistik gekannt haben. Die aus dem Fundament der Volkszählung hervorgegangene Statistik, diese mächtige Stütze der exakten Forschung und Analyse, die ihre Be- obachtungen und Resultate über die Veränderungen und deren Ursachen aus dem stets sich bewegenden Volksleben zieht, hat zuerst der Professor Achenvall in Göttingen im Jahre 1749 nach systematischen Formen be- arbeitet. Die Benennung „Statistik“ kommt dagegen zuerst bei Girolamo Ghilini, Canonikus von San Ambrogio in Mailand, und zwar in seinem Werke „ Teatro degli Uomini Letterati “ vom Jahre 1633 vor. Er spricht in demselben von einer Statistica und von Statistica affari. Zur Berliner Volkszählung sei bemerkt, daß die älteste derselben zu Ende des sechszehnten Jahrhunderts stattgefunden und ein Resultat von 12,000 Einwohnern ergeben hat; 1640 hatte der dreißigjährige Krieg die Bevölkerung bis auf die Hälfte vermindert; unter dem großen Kurfürsten war die Einwohnerzahl auf 20,000, beim Regierungs=Antritt Friedrichs II. auf 70,000, und im Todesjahr desselben auf 147,400 ( ausschließlich des Militärs mit 33,600 Seelen ) gestiegen. Hat die Volkszählung im Jahre 1864 eine Bevölkerung von 632,292 Seelen ( ausschließlich des Militärs ) ergeben, so ist die Einwohnerzahl der werdenden „Weltstadt“ in den letzten drei Jahren auf mehr als 704,000 gestiegen. R. Gänseleber=Pasteten- und Fettkrankheit. Kürzlich ward in der „N. fr. Pr.“ in Wien eine scharfe Rüge der Thorheit ausgesprochen, mit der die guten Deutschen nicht allein ihre Leiber in die albernen Moden- gesetze der Franzosen zwängen, sondern mit der sie auch für den ekelhaften und durchaus schädlichen Fettbrei, den man Gänseleber=Pastete nennt, ihr Geld verschwenden — bloß weil er theuer ist und sein Genuß „zum guten Ton“ gehört. Jn der That dürfte es sich wohl der Mühe verlohnen, einmal unsere edlen Hausfrauen daran zu erinnern, daß sie mit dem Nudeln oder Stopfen der Gänse einerseits doch eine ihrer selbst, sowie unserer Zeit unwürdige Barbarei, andererseits aber auch ein schweres Unrecht gegen sich und die Jhrigen begehen. Denn jede genudelte Gans befindet sich keineswegs im natur- gemäßen und gesunden Zustande; sie leidet vielmehr an der ekelhaften „Fettkrankheit“, welche allerdings künstlich und absichtlich erzeugt, dennoch unzweifelhaft ihr Fleisch und Fett, namentlich aber ihre Leber und alle Zubereitungen derselben für die menschliche Gesundheit durchaus nach- theilig macht. Jene verschwollenen weißen, d. h. krankhaft entfärbten Lebermassen, wie sie namentlich in Frankreich durch die Mastung hervor- gerufen werden und die Grundlage zu den Straßburger Gänseleber- Pasteten, Würsten u. s. w. liefern, sind mindestens völlig unverdaulich, bergen jedoch auch noch andere unheimliche Gefahren für das menschliche Wohlsein. Eine Aufforderung an die deutschen Hausfrauen, künftig weder Gänseleber=Pasteten mehr auf ihre Tische zu bringen, noch selbst ihre zur Mastung bestimmten Gänse hinfort dem grausamen, widernatürlichen und ihnen selbst gefahrdrohenden Nudeln zu unterwerfen, dürfte hier viel- leicht nicht ohne Beherzigung bleiben. Der Tempel der Schrecken in Canton. Als abmahnendes Beispiel, sind in diesem — so erzählt Hildebrandt — um der Geschäftsüberhäufung der Kriminaljustiz vorzubeugen, die furchtbarsten Todesstrafen durch Holzfiguren vergegenwärtigt. „Ein Delinquent wurde zwischen zwei Brettern zersägt; ein anderer saß in einem mit Wasser gefüllten Kessel, unter dem Feuer brannte. Eine mir vollkommen neue Todesstrafe war das haarsträubende Verfahren, den Verbrecher zu Tode zu — läuten. Eine große Glocke wird über ihn herabgelassen und einen halben Fuß über dem Erdboden schwe- bend erhalten. Nun bearbeiteten die Schergen das Metall so lange mit gewaltigen Hämmern, bis das Opfer, von dem wüsten Lärm innerlich ver- nichtet, zu Boden sinkt und endlich den Geist aufgiebt.“ Sind diese Jllu- strationen zum chinesischen Strafgesetzbuch maßgebend, so werden im himmlischen Reich Verbrecher auch wilden Thieren vorgeworfen. Briefkasten. W. J. in K.: Wir haben Jhnen längst „ via Lübeck “ geantwortet. Durch diese Nummer ist die Antwort von selbst gegeben. — E. J. in Schwerin: Etwa drei, welche Jhnen gratis zu Gebote stehen. — Th. G. in Berlin: Besten Dank. Gelegentlich. — L. O. in Magdeburg: Wir haben selbst etwas Aehnliches für eine der nächsten Nummern vorbereitet. ☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von 12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 5. Berlin, 2. Februar 1868, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt05_1868/8>, abgerufen am 01.06.2024.