Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
letzte Seite

[Beginn Spaltensatz] Gegen sich selbst gleichgültig und hart, verachtete er die Gefahr; das
Leben war ihm gleichgültig und hatte für ihn nur einen Werth durch
die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflicht. Der körperliche Schmerz
vermochte so wenig über ihn, daß er, dem Tode nah auf der Wahl-
statt liegend, über die seltsame Gesichtsbildung und die habsüchtige
Geschäftigkeit der ihn plündernden Kosaken lachen konnte. Auch auf
dem Todesbette bewahrte er eine bewundernswürdige Lebhaftigkeit und
Freiheit des Geistes. Aber so hart wie gegen sich, ebenso mild war
er gegen Andere, ebenso bereitwillig zu trösten und zu helfen.

Diese trefflichen sittlichen Eigenschaften waren es auch, welche zur
Wirkung von Kleists Gedichten so sehr beitrugen; der Mensch und
der Dichter waren in ihm nie getrennt, jedes Wort des Dichters
durch die schönste Menschlichkeit gereinigt, und so bleibt die beruhigende
reinigende Wirkung seiner besseren Gedichte ungestört, auch wenn wir
keine Veranlassung mehr haben, sie als Kunstwerke ebenso hoch zu
stellen, wie die Zeitgenossen. Kleist arbeitete schwer und langsam,
oft gestört durch kränkliche Verstimmung oder durch Berufsgeschäfte; dabei
war er ängstlich und streng gegen sich selbst, so daß wir nichts Großes
und Vollendetes von ihm besitzen, sondern nur eine Anzahl vereinzelter
kürzerer Gedichte, wie auch der "Frühling" nur aus an einander ge-
schobenen beschreibenden oder betrachtenden Bruchstücken besteht.

Wir besitzen von Kleist, außer dem "Frühling", eine Anzahl leichter
[Spaltenumbruch] Sinngedichte, dann hübsche Oden und Lieder, theils leicht scherzenden,
theils ernsten Jnhalts, als Bestes ohne Zweifel mehrere Jdyllen,
ländliche Erzählungen, von welchen Jrin und der gelähmte Kranich
noch immer bekannt sind und durch ihren freundlichen Ernst an-
sprechen. Das Hauptgedicht aus der Zeit des siebenjährigen Krieges
ist die lange poetische Erzählung "Cissides und Paches", die Geschichte
zweier befreundeten Macedonier, welche eine Burg gegen die Athener
tapfer vertheidigen und im Kampf fallen. Obgleich der Werth der
Gesinnung den dichterischen Werth ersetzen muß, so war naturgemäß
die Wirkung in jener Zeit angespannter vaterländischer Begeisterung
bedeutend, und der Ruhm, den er damit gewann, größer, als der des
poetisch viel werthvolleren "Frühlings". Das Trauerspiel "Seneca",
drei Akte in Prosa, ist ärmlich; Kleists ganzes Wesen war nur zur
Lyrik angelegt. Dagegen besitzen wir noch einige artige humoristische
Aufsätze; kurz, es sind der Arbeiten Kleists nicht viele, aber sie tragen
den Stempel der echten wahren Dichternatur, des Ungekünstelten in
Heiterkeit und Wehmuth, einer warmen, tiefen Persönlichkeit. Und
so spricht Herder über ihn: "Kleists Herz lebt in seinen Gedichten;
den edlen Geist, das patriotisch menschliche Gemüth, das mitten unter
Kriegesscenen in diese kleinen Gedichte wie in ein Asyl floh und jetzt
darin, wie in einer zerstückten Urne, sein ewiges Denkmal findet,
wollen wir werth halten und lieben."



[Ende Spaltensatz]
Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Ein Rathgeber Friedrichs II. machte diesem einst schriftlich den
Vorschlag, den in der königlichen Tabaksfabrik arbeitenden Tagelöhnern von
ihrem täglichen Arbeitslohn, der in acht Groschen bestand, den vierten
Theil abzuziehen, indem sie doch nur drei Viertheile des Tages arbeiteten.
Friedrich befahl, ihm über den Vorschlag zu berichten. Als er erfuhr, daß
diese Arbeiter größtentheils betagte Jnvaliden wären, und man ihm ver-
sicherte, daß sie eher Zulage als Abzug verdienten, richtete er an den
Rathgeber folgendes Handbillet:

"Jch danke dem Herrn Rath für seine guten Gesinnungen und seinen
ökonomischen Rath, finde aber denselben um so weniger acceptable, da die
armen Fabrikarbeiter ohnehin so kümmerlich leben müssen und ihre Kräfte
bei den theuren Lebensmitteln vollends zusetzen. Jndessen will ich doch
seinen Plan und die darin bemerkte gute Gesinnung annehmen und seinen
Vorschlag an ihm selbst in Anwendung bringen. Demzufolge werden ihm
von nun an jährlich tausend Reichsthaler am Traktament abgezogen, mit
dem Vorbehalt, daß er sich übers Jahr wieder melden und mir berichten
kann, ob dieser Etat und Abzug seiner eigenen häuslichen Einrichtung
vortheilhaft oder schädlich sei. Jm ersten Fall will ich ihm von seinem
ohnehin so großen als unverdienten Traktament von viertausend Reichs-
thalern auf die Hälfte heruntersetzen und bei dieser seiner Beruhigung
seine patriotische und ökonomische Gesinnung loben, und auch bei Andern,
die sich dieserhalb melden werden, diese Verfügung in Applikation bringen.

Potsdam, den 29. Junius 1786.     Friedrich. "



S. Das Nicolaithor zu Oppeln ward im Jahre 1854 wieder ge-
öffnet, nachdem es 358 Jahre geschlossen, d. h. vermauert gewesen. Es
hatte damit eine ganz eigene Bewandtniß. Der Landeshauptmann des
Königs Matthias von Ungarn und Böhmen, Herzog Casimir von Teschen,
hielt im Jahre 1496 einen Landtag in Oppeln, dem auch der Herzog
Nicolaus II. von Oppeln beiwohnte, der heimlich mit dem Landesfeinde,
den Polen, verbunden war. Während einer Sitzung erhielt Herzog Heinrich
von Münsterberg Briefe, die er las und auch dem Herzog von Teschen wie
dem Bischof von Neisse zu lesen gab. Nicolaus glaubte sich verrathen, zog
das Schwert, verwundete den Bischof und flüchtete in die Kirche. Hier
verhaftet, ward ihm sofort der Prozeß gemacht; er ward zum Tode ver-
urtheilt und noch in der nächsten Nacht hingerichtet. Seine Mutter aber
ließ später das Thor, durch welches die Leiche wieder in die Stadt zur
Beisetzung gebracht worden, sperren und vermauern. Merkwürdig genug,
verblieb es bei dieser Anordnung, zur größten Unbequemlichkeit der Stadt,
Jahrhunderte hindurch, und selbst das Jahr 1848 konnte nur die Oeffnung
einer Pforte für Fußgänger in der Gegend des Thores bewirken. Friedrich
Wilhelm IV. brach endlich bei einer Anwesenheit in Oppeln 1854 den fast
ewigen Bann, indem er befahl, das Thor wieder herzustellen, welches seit-
dem Königsthor heißt.



M. Der Ursprung der Stammbücher fällt in das Ende des fünf-
zehnten Jahrhunderts. Sie gehörten damals zu den Luxusartikeln und zu
[Spaltenumbruch] den gemüthlichen Bedürfnissen fürstlicher Personen. Wenn man auf deut-
schen Reichs= und Kreistagen, bei Vermählungs=, Kaiserwahl= und Krö-
nungsfesten alte Bekanntschaften und Brüderschaften erneuert oder neue
geschlossen, wenn man mit einander den Humpen geleert, die Turnierlanze
geschwungen und nach dem Ritterdank gestrebt hatte, dann wollte man sich
zum Abschied etwas bleibend Schönes sagen. Dazu bediente man sich der
Stammbücher, welche mit freundlichen Sentenzen der Erinnerung, mit
kräftigen Wahlsprüchen nebst entsprechenden Sinnbildern oder den Wappen
derer geschmückt waren, welche ihre Namen darin verzeichneten.

Kein berühmtes Turnier, kein fürstliches Vermählungs= oder Hoffest
verging, wobei nicht Wappenmaler sich einfanden, um die Gedenkbücher
mit den Bildern und Wappen treuer Waffen=, Turnier= und Trinkbrüder
zu füllen.

Von den Fürsten und Rittern ging die in ihrem Ursprunge ehrwürdige
Sitte der Stammbücher, welche die Stämme der vornehmsten deutschen
Geschlechter auf diese Weise auf die Fürstenfräulein ( denn Prinzessinnen
kannte man damals noch nicht ) , die Ritterfrauen und Fräulein, bald aber
auch auf die Gelehrten über, welche sich damals weit öfter als jetzt im
Gefolge der Fürsten befanden. Diese machten es sich zu einer wahren
Glorie, eine Menge vornehmer Namen in ihren Stammbüchern glänzen
zu lassen.

Demnächst theilte diese Sitte sich den Studenten mit, welche die Stamm-
bücher zu einer Art von Gedenkhallen machten, worin Spiel= und Trink-
brüder die Erinnerungen genossener akademischer Freiheit niederlegten.

Endlich wurden die Stammbücher ein Gemeingut aller Stände, mit
welchem die Vornehmeren nichts mehr zu schaffen haben wollten. Es
wurde einheimisch in den Taschen der Schulknaben, in den Ränzeln der
Handwerksburschen und in den Kommoden der Mägde.

Ein historisches, zum Theil auch artistisches Jnteresse haben die Stamm-
bücher verblichener Regenten, Staatsmänner und Gelehrten. Die köstlichste
Sammlung dieser Art besitzt unstreitig die großherzogliche Bibliothek in
Weimar; sie besteht aus 325 Exemplaren.

Für diejenigen, welche nicht wußten, was sie in ein ihnen dargereichtes
Stammbuch einschreiben sollten, gab es schon im sechszehnten Jahrhundert
so gut Noth= und Hülfsbüchlein, als im neunzehnten. So erschien 1578
zu Frankfurt ein "Stamm= oder Gesellenbuch mit vielen schönen Sprüchen,
auch allerlei offenen und bürgerlichen Schilden und Helmen."

Nebenbei wurden aber auch theologische Kompendien und Gram-
matiken als Stammbücher benutzt.



Briefkasten.

M. T. in Marienwerder: Soll besorgt werden. -- E. E. in
Stuttgart: Sehr gern, aber erst in einiger Zeit. -- Th. L. in Leipzig:
Besten Dank. Wir werden es in nächster Zeit vornehmen und, schon aus
persönlichem Jnteresse für den Autor, möglichst bald darüber berichten. --
R. Sch. in Berlin: Wir stehen Jhnen zu der von Jhnen gewünschten
Zeit zu Diensten. -- H. W. in Berlin: Mit Dank erhalten.

[Ende Spaltensatz]

Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

[Beginn Spaltensatz] Gegen sich selbst gleichgültig und hart, verachtete er die Gefahr; das
Leben war ihm gleichgültig und hatte für ihn nur einen Werth durch
die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflicht. Der körperliche Schmerz
vermochte so wenig über ihn, daß er, dem Tode nah auf der Wahl-
statt liegend, über die seltsame Gesichtsbildung und die habsüchtige
Geschäftigkeit der ihn plündernden Kosaken lachen konnte. Auch auf
dem Todesbette bewahrte er eine bewundernswürdige Lebhaftigkeit und
Freiheit des Geistes. Aber so hart wie gegen sich, ebenso mild war
er gegen Andere, ebenso bereitwillig zu trösten und zu helfen.

Diese trefflichen sittlichen Eigenschaften waren es auch, welche zur
Wirkung von Kleists Gedichten so sehr beitrugen; der Mensch und
der Dichter waren in ihm nie getrennt, jedes Wort des Dichters
durch die schönste Menschlichkeit gereinigt, und so bleibt die beruhigende
reinigende Wirkung seiner besseren Gedichte ungestört, auch wenn wir
keine Veranlassung mehr haben, sie als Kunstwerke ebenso hoch zu
stellen, wie die Zeitgenossen. Kleist arbeitete schwer und langsam,
oft gestört durch kränkliche Verstimmung oder durch Berufsgeschäfte; dabei
war er ängstlich und streng gegen sich selbst, so daß wir nichts Großes
und Vollendetes von ihm besitzen, sondern nur eine Anzahl vereinzelter
kürzerer Gedichte, wie auch der „Frühling“ nur aus an einander ge-
schobenen beschreibenden oder betrachtenden Bruchstücken besteht.

Wir besitzen von Kleist, außer dem „Frühling“, eine Anzahl leichter
[Spaltenumbruch] Sinngedichte, dann hübsche Oden und Lieder, theils leicht scherzenden,
theils ernsten Jnhalts, als Bestes ohne Zweifel mehrere Jdyllen,
ländliche Erzählungen, von welchen Jrin und der gelähmte Kranich
noch immer bekannt sind und durch ihren freundlichen Ernst an-
sprechen. Das Hauptgedicht aus der Zeit des siebenjährigen Krieges
ist die lange poetische Erzählung „Cissides und Paches“, die Geschichte
zweier befreundeten Macedonier, welche eine Burg gegen die Athener
tapfer vertheidigen und im Kampf fallen. Obgleich der Werth der
Gesinnung den dichterischen Werth ersetzen muß, so war naturgemäß
die Wirkung in jener Zeit angespannter vaterländischer Begeisterung
bedeutend, und der Ruhm, den er damit gewann, größer, als der des
poetisch viel werthvolleren „Frühlings“. Das Trauerspiel „Seneca“,
drei Akte in Prosa, ist ärmlich; Kleists ganzes Wesen war nur zur
Lyrik angelegt. Dagegen besitzen wir noch einige artige humoristische
Aufsätze; kurz, es sind der Arbeiten Kleists nicht viele, aber sie tragen
den Stempel der echten wahren Dichternatur, des Ungekünstelten in
Heiterkeit und Wehmuth, einer warmen, tiefen Persönlichkeit. Und
so spricht Herder über ihn: „Kleists Herz lebt in seinen Gedichten;
den edlen Geist, das patriotisch menschliche Gemüth, das mitten unter
Kriegesscenen in diese kleinen Gedichte wie in ein Asyl floh und jetzt
darin, wie in einer zerstückten Urne, sein ewiges Denkmal findet,
wollen wir werth halten und lieben.“



[Ende Spaltensatz]
Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Ein Rathgeber Friedrichs II. machte diesem einst schriftlich den
Vorschlag, den in der königlichen Tabaksfabrik arbeitenden Tagelöhnern von
ihrem täglichen Arbeitslohn, der in acht Groschen bestand, den vierten
Theil abzuziehen, indem sie doch nur drei Viertheile des Tages arbeiteten.
Friedrich befahl, ihm über den Vorschlag zu berichten. Als er erfuhr, daß
diese Arbeiter größtentheils betagte Jnvaliden wären, und man ihm ver-
sicherte, daß sie eher Zulage als Abzug verdienten, richtete er an den
Rathgeber folgendes Handbillet:

„Jch danke dem Herrn Rath für seine guten Gesinnungen und seinen
ökonomischen Rath, finde aber denselben um so weniger acceptable, da die
armen Fabrikarbeiter ohnehin so kümmerlich leben müssen und ihre Kräfte
bei den theuren Lebensmitteln vollends zusetzen. Jndessen will ich doch
seinen Plan und die darin bemerkte gute Gesinnung annehmen und seinen
Vorschlag an ihm selbst in Anwendung bringen. Demzufolge werden ihm
von nun an jährlich tausend Reichsthaler am Traktament abgezogen, mit
dem Vorbehalt, daß er sich übers Jahr wieder melden und mir berichten
kann, ob dieser Etat und Abzug seiner eigenen häuslichen Einrichtung
vortheilhaft oder schädlich sei. Jm ersten Fall will ich ihm von seinem
ohnehin so großen als unverdienten Traktament von viertausend Reichs-
thalern auf die Hälfte heruntersetzen und bei dieser seiner Beruhigung
seine patriotische und ökonomische Gesinnung loben, und auch bei Andern,
die sich dieserhalb melden werden, diese Verfügung in Applikation bringen.

Potsdam, den 29. Junius 1786.     Friedrich.



S. Das Nicolaithor zu Oppeln ward im Jahre 1854 wieder ge-
öffnet, nachdem es 358 Jahre geschlossen, d. h. vermauert gewesen. Es
hatte damit eine ganz eigene Bewandtniß. Der Landeshauptmann des
Königs Matthias von Ungarn und Böhmen, Herzog Casimir von Teschen,
hielt im Jahre 1496 einen Landtag in Oppeln, dem auch der Herzog
Nicolaus II. von Oppeln beiwohnte, der heimlich mit dem Landesfeinde,
den Polen, verbunden war. Während einer Sitzung erhielt Herzog Heinrich
von Münsterberg Briefe, die er las und auch dem Herzog von Teschen wie
dem Bischof von Neisse zu lesen gab. Nicolaus glaubte sich verrathen, zog
das Schwert, verwundete den Bischof und flüchtete in die Kirche. Hier
verhaftet, ward ihm sofort der Prozeß gemacht; er ward zum Tode ver-
urtheilt und noch in der nächsten Nacht hingerichtet. Seine Mutter aber
ließ später das Thor, durch welches die Leiche wieder in die Stadt zur
Beisetzung gebracht worden, sperren und vermauern. Merkwürdig genug,
verblieb es bei dieser Anordnung, zur größten Unbequemlichkeit der Stadt,
Jahrhunderte hindurch, und selbst das Jahr 1848 konnte nur die Oeffnung
einer Pforte für Fußgänger in der Gegend des Thores bewirken. Friedrich
Wilhelm IV. brach endlich bei einer Anwesenheit in Oppeln 1854 den fast
ewigen Bann, indem er befahl, das Thor wieder herzustellen, welches seit-
dem Königsthor heißt.



M. Der Ursprung der Stammbücher fällt in das Ende des fünf-
zehnten Jahrhunderts. Sie gehörten damals zu den Luxusartikeln und zu
[Spaltenumbruch] den gemüthlichen Bedürfnissen fürstlicher Personen. Wenn man auf deut-
schen Reichs= und Kreistagen, bei Vermählungs=, Kaiserwahl= und Krö-
nungsfesten alte Bekanntschaften und Brüderschaften erneuert oder neue
geschlossen, wenn man mit einander den Humpen geleert, die Turnierlanze
geschwungen und nach dem Ritterdank gestrebt hatte, dann wollte man sich
zum Abschied etwas bleibend Schönes sagen. Dazu bediente man sich der
Stammbücher, welche mit freundlichen Sentenzen der Erinnerung, mit
kräftigen Wahlsprüchen nebst entsprechenden Sinnbildern oder den Wappen
derer geschmückt waren, welche ihre Namen darin verzeichneten.

Kein berühmtes Turnier, kein fürstliches Vermählungs= oder Hoffest
verging, wobei nicht Wappenmaler sich einfanden, um die Gedenkbücher
mit den Bildern und Wappen treuer Waffen=, Turnier= und Trinkbrüder
zu füllen.

Von den Fürsten und Rittern ging die in ihrem Ursprunge ehrwürdige
Sitte der Stammbücher, welche die Stämme der vornehmsten deutschen
Geschlechter auf diese Weise auf die Fürstenfräulein ( denn Prinzessinnen
kannte man damals noch nicht ) , die Ritterfrauen und Fräulein, bald aber
auch auf die Gelehrten über, welche sich damals weit öfter als jetzt im
Gefolge der Fürsten befanden. Diese machten es sich zu einer wahren
Glorie, eine Menge vornehmer Namen in ihren Stammbüchern glänzen
zu lassen.

Demnächst theilte diese Sitte sich den Studenten mit, welche die Stamm-
bücher zu einer Art von Gedenkhallen machten, worin Spiel= und Trink-
brüder die Erinnerungen genossener akademischer Freiheit niederlegten.

Endlich wurden die Stammbücher ein Gemeingut aller Stände, mit
welchem die Vornehmeren nichts mehr zu schaffen haben wollten. Es
wurde einheimisch in den Taschen der Schulknaben, in den Ränzeln der
Handwerksburschen und in den Kommoden der Mägde.

Ein historisches, zum Theil auch artistisches Jnteresse haben die Stamm-
bücher verblichener Regenten, Staatsmänner und Gelehrten. Die köstlichste
Sammlung dieser Art besitzt unstreitig die großherzogliche Bibliothek in
Weimar; sie besteht aus 325 Exemplaren.

Für diejenigen, welche nicht wußten, was sie in ein ihnen dargereichtes
Stammbuch einschreiben sollten, gab es schon im sechszehnten Jahrhundert
so gut Noth= und Hülfsbüchlein, als im neunzehnten. So erschien 1578
zu Frankfurt ein „Stamm= oder Gesellenbuch mit vielen schönen Sprüchen,
auch allerlei offenen und bürgerlichen Schilden und Helmen.“

Nebenbei wurden aber auch theologische Kompendien und Gram-
matiken als Stammbücher benutzt.



Briefkasten.

M. T. in Marienwerder: Soll besorgt werden. — E. E. in
Stuttgart: Sehr gern, aber erst in einiger Zeit. — Th. L. in Leipzig:
Besten Dank. Wir werden es in nächster Zeit vornehmen und, schon aus
persönlichem Jnteresse für den Autor, möglichst bald darüber berichten. —
R. Sch. in Berlin: Wir stehen Jhnen zu der von Jhnen gewünschten
Zeit zu Diensten. — H. W. in Berlin: Mit Dank erhalten.

[Ende Spaltensatz]

☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div xml:id="Ewald2" type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0008" n="48"/><fw type="pageNum" place="top">48</fw><cb type="start"/>
Gegen sich selbst gleichgültig und hart, verachtete er die Gefahr; das<lb/>
Leben war ihm gleichgültig und hatte für ihn nur einen Werth durch<lb/>
die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflicht. Der körperliche Schmerz<lb/>
vermochte so wenig über ihn, daß er, dem Tode nah auf der Wahl-<lb/>
statt liegend, über die seltsame Gesichtsbildung und die habsüchtige<lb/>
Geschäftigkeit der ihn plündernden Kosaken lachen konnte. Auch auf<lb/>
dem Todesbette bewahrte er eine bewundernswürdige Lebhaftigkeit und<lb/>
Freiheit des Geistes. Aber so hart wie gegen sich, ebenso mild war<lb/>
er gegen Andere, ebenso bereitwillig zu trösten und zu helfen.</p><lb/>
          <p>Diese trefflichen sittlichen Eigenschaften waren es auch, welche zur<lb/>
Wirkung von Kleists Gedichten so sehr beitrugen; der Mensch und<lb/>
der Dichter waren in ihm nie getrennt, jedes Wort des Dichters<lb/>
durch die schönste Menschlichkeit gereinigt, und so bleibt die beruhigende<lb/>
reinigende Wirkung seiner besseren Gedichte ungestört, auch wenn wir<lb/>
keine Veranlassung mehr haben, sie als Kunstwerke ebenso hoch zu<lb/>
stellen, wie die Zeitgenossen. Kleist arbeitete schwer und langsam,<lb/>
oft gestört durch kränkliche Verstimmung oder durch Berufsgeschäfte; dabei<lb/>
war er ängstlich und streng gegen sich selbst, so daß wir nichts Großes<lb/>
und Vollendetes von ihm besitzen, sondern nur eine Anzahl vereinzelter<lb/>
kürzerer Gedichte, wie auch der &#x201E;Frühling&#x201C; nur aus an einander ge-<lb/>
schobenen beschreibenden oder betrachtenden Bruchstücken besteht.</p><lb/>
          <p>Wir besitzen von Kleist, außer dem &#x201E;Frühling&#x201C;, eine Anzahl leichter<lb/><cb n="2"/>
Sinngedichte, dann hübsche Oden und Lieder, theils leicht scherzenden,<lb/>
theils ernsten Jnhalts, als Bestes ohne Zweifel mehrere Jdyllen,<lb/>
ländliche Erzählungen, von welchen Jrin und der gelähmte Kranich<lb/>
noch immer bekannt sind und durch ihren freundlichen Ernst an-<lb/>
sprechen. Das Hauptgedicht aus der Zeit des siebenjährigen Krieges<lb/>
ist die lange poetische Erzählung &#x201E;Cissides und Paches&#x201C;, die Geschichte<lb/>
zweier befreundeten Macedonier, welche eine Burg gegen die Athener<lb/>
tapfer vertheidigen und im Kampf fallen. Obgleich der Werth der<lb/>
Gesinnung den dichterischen Werth ersetzen muß, so war naturgemäß<lb/>
die Wirkung in jener Zeit angespannter vaterländischer Begeisterung<lb/>
bedeutend, und der Ruhm, den er damit gewann, größer, als der des<lb/>
poetisch viel werthvolleren &#x201E;Frühlings&#x201C;. Das Trauerspiel &#x201E;Seneca&#x201C;,<lb/>
drei Akte in Prosa, ist ärmlich; Kleists ganzes Wesen war nur zur<lb/>
Lyrik angelegt. Dagegen besitzen wir noch einige artige humoristische<lb/>
Aufsätze; kurz, es sind der Arbeiten Kleists nicht viele, aber sie tragen<lb/>
den Stempel der echten wahren Dichternatur, des Ungekünstelten in<lb/>
Heiterkeit und Wehmuth, einer warmen, tiefen Persönlichkeit. Und<lb/>
so spricht Herder über ihn: &#x201E;Kleists Herz lebt in seinen Gedichten;<lb/>
den edlen Geist, das patriotisch menschliche Gemüth, das mitten unter<lb/>
Kriegesscenen in diese kleinen Gedichte wie in ein Asyl floh und jetzt<lb/>
darin, wie in einer zerstückten Urne, sein ewiges Denkmal findet,<lb/>
wollen wir werth halten und lieben.&#x201C;</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <cb type="end"/>
      <div type="jVarious" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Lose Blätter</hi>.</hi> </head><lb/>
        <cb type="start"/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><hi rendition="#aq">M</hi>. <hi rendition="#in">E</hi>in Rathgeber Friedrichs <hi rendition="#aq">II</hi>. machte diesem einst schriftlich den<lb/>
Vorschlag, den in der königlichen Tabaksfabrik arbeitenden Tagelöhnern von<lb/>
ihrem täglichen Arbeitslohn, der in acht Groschen bestand, den vierten<lb/>
Theil abzuziehen, indem sie doch nur drei Viertheile des Tages arbeiteten.<lb/>
Friedrich befahl, ihm über den Vorschlag zu berichten. Als er erfuhr, daß<lb/>
diese Arbeiter größtentheils betagte Jnvaliden wären, und man ihm ver-<lb/>
sicherte, daß sie eher Zulage als Abzug verdienten, richtete er an den<lb/>
Rathgeber folgendes Handbillet:</p><lb/>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p>&#x201E;Jch danke dem Herrn Rath für seine guten Gesinnungen und seinen<lb/>
ökonomischen Rath, finde aber denselben um so weniger acceptable, da die<lb/>
armen Fabrikarbeiter ohnehin so kümmerlich leben müssen und ihre Kräfte<lb/>
bei den theuren Lebensmitteln vollends zusetzen. Jndessen will ich doch<lb/>
seinen Plan und die darin bemerkte gute Gesinnung annehmen und seinen<lb/>
Vorschlag an ihm selbst in Anwendung bringen. Demzufolge werden ihm<lb/>
von nun an jährlich tausend Reichsthaler am Traktament abgezogen, mit<lb/>
dem Vorbehalt, daß er sich übers Jahr wieder melden und mir berichten<lb/>
kann, ob dieser Etat und Abzug seiner eigenen häuslichen Einrichtung<lb/>
vortheilhaft oder schädlich sei. Jm ersten Fall will ich ihm von seinem<lb/>
ohnehin so großen als unverdienten Traktament von viertausend Reichs-<lb/>
thalern auf die Hälfte heruntersetzen und bei dieser seiner Beruhigung<lb/>
seine patriotische und ökonomische Gesinnung loben, und auch bei Andern,<lb/>
die sich dieserhalb melden werden, diese Verfügung in Applikation bringen.</p><lb/>
                <p>Potsdam, den 29. Junius 1786.  <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#g">Friedrich.</hi> &#x201C;</p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><hi rendition="#aq">S</hi>. <hi rendition="#in">D</hi>as Nicolaithor zu Oppeln ward im Jahre 1854 wieder ge-<lb/>
öffnet, nachdem es 358 Jahre geschlossen, d. h. vermauert gewesen. Es<lb/>
hatte damit eine ganz eigene Bewandtniß. Der Landeshauptmann des<lb/>
Königs Matthias von Ungarn und Böhmen, Herzog Casimir von Teschen,<lb/>
hielt im Jahre 1496 einen Landtag in Oppeln, dem auch der Herzog<lb/>
Nicolaus <hi rendition="#aq">II</hi>. von Oppeln beiwohnte, der heimlich mit dem Landesfeinde,<lb/>
den Polen, verbunden war. Während einer Sitzung erhielt Herzog Heinrich<lb/>
von Münsterberg Briefe, die er las und auch dem Herzog von Teschen wie<lb/>
dem Bischof von Neisse zu lesen gab. Nicolaus glaubte sich verrathen, zog<lb/>
das Schwert, verwundete den Bischof und flüchtete in die Kirche. Hier<lb/>
verhaftet, ward ihm sofort der Prozeß gemacht; er ward zum Tode ver-<lb/>
urtheilt und noch in der nächsten Nacht hingerichtet. Seine Mutter aber<lb/>
ließ später das Thor, durch welches die Leiche wieder in die Stadt zur<lb/>
Beisetzung gebracht worden, sperren und vermauern. Merkwürdig genug,<lb/>
verblieb es bei dieser Anordnung, zur größten Unbequemlichkeit der Stadt,<lb/>
Jahrhunderte hindurch, und selbst das Jahr 1848 konnte nur die Oeffnung<lb/>
einer Pforte für Fußgänger in der Gegend des Thores bewirken. Friedrich<lb/>
Wilhelm <hi rendition="#aq">IV</hi>. brach endlich bei einer Anwesenheit in Oppeln 1854 den fast<lb/>
ewigen Bann, indem er befahl, das Thor wieder herzustellen, welches seit-<lb/>
dem <hi rendition="#g">Königsthor</hi> heißt.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><hi rendition="#aq">M</hi>. <hi rendition="#in">D</hi>er Ursprung der Stammbücher fällt in das Ende des fünf-<lb/>
zehnten Jahrhunderts. Sie gehörten damals zu den Luxusartikeln und zu<lb/><cb n="2"/>
den gemüthlichen Bedürfnissen fürstlicher Personen. Wenn man auf deut-<lb/>
schen Reichs= und Kreistagen, bei Vermählungs=, Kaiserwahl= und Krö-<lb/>
nungsfesten alte Bekanntschaften und Brüderschaften erneuert oder neue<lb/>
geschlossen, wenn man mit einander den Humpen geleert, die Turnierlanze<lb/>
geschwungen und nach dem Ritterdank gestrebt hatte, dann wollte man sich<lb/>
zum Abschied etwas bleibend Schönes sagen. Dazu bediente man sich der<lb/>
Stammbücher, welche mit freundlichen Sentenzen der Erinnerung, mit<lb/>
kräftigen Wahlsprüchen nebst entsprechenden Sinnbildern oder den Wappen<lb/>
derer geschmückt waren, welche ihre Namen darin verzeichneten.</p><lb/>
          <p>Kein berühmtes Turnier, kein fürstliches Vermählungs= oder Hoffest<lb/>
verging, wobei nicht Wappenmaler sich einfanden, um die Gedenkbücher<lb/>
mit den Bildern und Wappen treuer Waffen=, Turnier= und Trinkbrüder<lb/>
zu füllen.</p><lb/>
          <p>Von den Fürsten und Rittern ging die in ihrem Ursprunge ehrwürdige<lb/>
Sitte der Stammbücher, welche die Stämme der vornehmsten deutschen<lb/>
Geschlechter auf diese Weise auf die Fürstenfräulein ( denn Prinzessinnen<lb/>
kannte man damals noch nicht ) , die Ritterfrauen und Fräulein, bald aber<lb/>
auch auf die Gelehrten über, welche sich damals weit öfter als jetzt im<lb/>
Gefolge der Fürsten befanden. Diese machten es sich zu einer wahren<lb/>
Glorie, eine Menge vornehmer Namen in ihren Stammbüchern glänzen<lb/>
zu lassen.</p><lb/>
          <p>Demnächst theilte diese Sitte sich den Studenten mit, welche die Stamm-<lb/>
bücher zu einer Art von Gedenkhallen machten, worin Spiel= und Trink-<lb/>
brüder die Erinnerungen genossener akademischer Freiheit niederlegten.</p><lb/>
          <p>Endlich wurden die Stammbücher ein Gemeingut aller Stände, mit<lb/>
welchem die Vornehmeren nichts mehr zu schaffen haben wollten. Es<lb/>
wurde einheimisch in den Taschen der Schulknaben, in den Ränzeln der<lb/>
Handwerksburschen und in den Kommoden der Mägde.</p><lb/>
          <p>Ein historisches, zum Theil auch artistisches Jnteresse haben die Stamm-<lb/>
bücher verblichener Regenten, Staatsmänner und Gelehrten. Die köstlichste<lb/>
Sammlung dieser Art besitzt unstreitig die großherzogliche Bibliothek in<lb/>
Weimar; sie besteht aus 325 Exemplaren.</p><lb/>
          <p>Für diejenigen, welche nicht wußten, was sie in ein ihnen dargereichtes<lb/>
Stammbuch einschreiben sollten, gab es schon im sechszehnten Jahrhundert<lb/>
so gut Noth= und Hülfsbüchlein, als im neunzehnten. So erschien 1578<lb/>
zu Frankfurt ein &#x201E;Stamm= oder Gesellenbuch mit vielen schönen Sprüchen,<lb/>
auch allerlei offenen und bürgerlichen Schilden und Helmen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Nebenbei wurden aber auch theologische Kompendien und Gram-<lb/>
matiken <choice><abbr>ec.</abbr></choice> als Stammbücher benutzt.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jReadersLetters" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Briefkasten</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>M. T. in <hi rendition="#g">Marienwerder:</hi> Soll besorgt werden. &#x2014; E. E. in<lb/><hi rendition="#g">Stuttgart:</hi> Sehr gern, aber erst in einiger Zeit. &#x2014; Th. L. in <hi rendition="#g">Leipzig:</hi><lb/>
Besten Dank. Wir werden es in nächster Zeit vornehmen und, schon aus<lb/>
persönlichem Jnteresse für den Autor, möglichst bald darüber berichten. &#x2014;<lb/>
R. Sch. in <hi rendition="#g">Berlin:</hi> Wir stehen Jhnen zu der von Jhnen gewünschten<lb/>
Zeit zu Diensten. &#x2014; H. W. in <hi rendition="#g">Berlin:</hi> Mit Dank erhalten.</p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
    <back>
      <div type="imprint" n="1">
        <p>&#x261E; Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes <hi rendition="#g">jeden</hi> Montag und Dienstag von<lb/>
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p> <hi rendition="#c">Druck und Verlag von <hi rendition="#g">Franz Duncker</hi> in Berlin. &#x2014; Verantwortlicher Redakteur: <hi rendition="#g">Ernst Dohm</hi> in Berlin.</hi> </p>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[48/0008] 48 Gegen sich selbst gleichgültig und hart, verachtete er die Gefahr; das Leben war ihm gleichgültig und hatte für ihn nur einen Werth durch die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflicht. Der körperliche Schmerz vermochte so wenig über ihn, daß er, dem Tode nah auf der Wahl- statt liegend, über die seltsame Gesichtsbildung und die habsüchtige Geschäftigkeit der ihn plündernden Kosaken lachen konnte. Auch auf dem Todesbette bewahrte er eine bewundernswürdige Lebhaftigkeit und Freiheit des Geistes. Aber so hart wie gegen sich, ebenso mild war er gegen Andere, ebenso bereitwillig zu trösten und zu helfen. Diese trefflichen sittlichen Eigenschaften waren es auch, welche zur Wirkung von Kleists Gedichten so sehr beitrugen; der Mensch und der Dichter waren in ihm nie getrennt, jedes Wort des Dichters durch die schönste Menschlichkeit gereinigt, und so bleibt die beruhigende reinigende Wirkung seiner besseren Gedichte ungestört, auch wenn wir keine Veranlassung mehr haben, sie als Kunstwerke ebenso hoch zu stellen, wie die Zeitgenossen. Kleist arbeitete schwer und langsam, oft gestört durch kränkliche Verstimmung oder durch Berufsgeschäfte; dabei war er ängstlich und streng gegen sich selbst, so daß wir nichts Großes und Vollendetes von ihm besitzen, sondern nur eine Anzahl vereinzelter kürzerer Gedichte, wie auch der „Frühling“ nur aus an einander ge- schobenen beschreibenden oder betrachtenden Bruchstücken besteht. Wir besitzen von Kleist, außer dem „Frühling“, eine Anzahl leichter Sinngedichte, dann hübsche Oden und Lieder, theils leicht scherzenden, theils ernsten Jnhalts, als Bestes ohne Zweifel mehrere Jdyllen, ländliche Erzählungen, von welchen Jrin und der gelähmte Kranich noch immer bekannt sind und durch ihren freundlichen Ernst an- sprechen. Das Hauptgedicht aus der Zeit des siebenjährigen Krieges ist die lange poetische Erzählung „Cissides und Paches“, die Geschichte zweier befreundeten Macedonier, welche eine Burg gegen die Athener tapfer vertheidigen und im Kampf fallen. Obgleich der Werth der Gesinnung den dichterischen Werth ersetzen muß, so war naturgemäß die Wirkung in jener Zeit angespannter vaterländischer Begeisterung bedeutend, und der Ruhm, den er damit gewann, größer, als der des poetisch viel werthvolleren „Frühlings“. Das Trauerspiel „Seneca“, drei Akte in Prosa, ist ärmlich; Kleists ganzes Wesen war nur zur Lyrik angelegt. Dagegen besitzen wir noch einige artige humoristische Aufsätze; kurz, es sind der Arbeiten Kleists nicht viele, aber sie tragen den Stempel der echten wahren Dichternatur, des Ungekünstelten in Heiterkeit und Wehmuth, einer warmen, tiefen Persönlichkeit. Und so spricht Herder über ihn: „Kleists Herz lebt in seinen Gedichten; den edlen Geist, das patriotisch menschliche Gemüth, das mitten unter Kriegesscenen in diese kleinen Gedichte wie in ein Asyl floh und jetzt darin, wie in einer zerstückten Urne, sein ewiges Denkmal findet, wollen wir werth halten und lieben.“ Lose Blätter. M. Ein Rathgeber Friedrichs II. machte diesem einst schriftlich den Vorschlag, den in der königlichen Tabaksfabrik arbeitenden Tagelöhnern von ihrem täglichen Arbeitslohn, der in acht Groschen bestand, den vierten Theil abzuziehen, indem sie doch nur drei Viertheile des Tages arbeiteten. Friedrich befahl, ihm über den Vorschlag zu berichten. Als er erfuhr, daß diese Arbeiter größtentheils betagte Jnvaliden wären, und man ihm ver- sicherte, daß sie eher Zulage als Abzug verdienten, richtete er an den Rathgeber folgendes Handbillet: „Jch danke dem Herrn Rath für seine guten Gesinnungen und seinen ökonomischen Rath, finde aber denselben um so weniger acceptable, da die armen Fabrikarbeiter ohnehin so kümmerlich leben müssen und ihre Kräfte bei den theuren Lebensmitteln vollends zusetzen. Jndessen will ich doch seinen Plan und die darin bemerkte gute Gesinnung annehmen und seinen Vorschlag an ihm selbst in Anwendung bringen. Demzufolge werden ihm von nun an jährlich tausend Reichsthaler am Traktament abgezogen, mit dem Vorbehalt, daß er sich übers Jahr wieder melden und mir berichten kann, ob dieser Etat und Abzug seiner eigenen häuslichen Einrichtung vortheilhaft oder schädlich sei. Jm ersten Fall will ich ihm von seinem ohnehin so großen als unverdienten Traktament von viertausend Reichs- thalern auf die Hälfte heruntersetzen und bei dieser seiner Beruhigung seine patriotische und ökonomische Gesinnung loben, und auch bei Andern, die sich dieserhalb melden werden, diese Verfügung in Applikation bringen. Potsdam, den 29. Junius 1786. Friedrich. “ S. Das Nicolaithor zu Oppeln ward im Jahre 1854 wieder ge- öffnet, nachdem es 358 Jahre geschlossen, d. h. vermauert gewesen. Es hatte damit eine ganz eigene Bewandtniß. Der Landeshauptmann des Königs Matthias von Ungarn und Böhmen, Herzog Casimir von Teschen, hielt im Jahre 1496 einen Landtag in Oppeln, dem auch der Herzog Nicolaus II. von Oppeln beiwohnte, der heimlich mit dem Landesfeinde, den Polen, verbunden war. Während einer Sitzung erhielt Herzog Heinrich von Münsterberg Briefe, die er las und auch dem Herzog von Teschen wie dem Bischof von Neisse zu lesen gab. Nicolaus glaubte sich verrathen, zog das Schwert, verwundete den Bischof und flüchtete in die Kirche. Hier verhaftet, ward ihm sofort der Prozeß gemacht; er ward zum Tode ver- urtheilt und noch in der nächsten Nacht hingerichtet. Seine Mutter aber ließ später das Thor, durch welches die Leiche wieder in die Stadt zur Beisetzung gebracht worden, sperren und vermauern. Merkwürdig genug, verblieb es bei dieser Anordnung, zur größten Unbequemlichkeit der Stadt, Jahrhunderte hindurch, und selbst das Jahr 1848 konnte nur die Oeffnung einer Pforte für Fußgänger in der Gegend des Thores bewirken. Friedrich Wilhelm IV. brach endlich bei einer Anwesenheit in Oppeln 1854 den fast ewigen Bann, indem er befahl, das Thor wieder herzustellen, welches seit- dem Königsthor heißt. M. Der Ursprung der Stammbücher fällt in das Ende des fünf- zehnten Jahrhunderts. Sie gehörten damals zu den Luxusartikeln und zu den gemüthlichen Bedürfnissen fürstlicher Personen. Wenn man auf deut- schen Reichs= und Kreistagen, bei Vermählungs=, Kaiserwahl= und Krö- nungsfesten alte Bekanntschaften und Brüderschaften erneuert oder neue geschlossen, wenn man mit einander den Humpen geleert, die Turnierlanze geschwungen und nach dem Ritterdank gestrebt hatte, dann wollte man sich zum Abschied etwas bleibend Schönes sagen. Dazu bediente man sich der Stammbücher, welche mit freundlichen Sentenzen der Erinnerung, mit kräftigen Wahlsprüchen nebst entsprechenden Sinnbildern oder den Wappen derer geschmückt waren, welche ihre Namen darin verzeichneten. Kein berühmtes Turnier, kein fürstliches Vermählungs= oder Hoffest verging, wobei nicht Wappenmaler sich einfanden, um die Gedenkbücher mit den Bildern und Wappen treuer Waffen=, Turnier= und Trinkbrüder zu füllen. Von den Fürsten und Rittern ging die in ihrem Ursprunge ehrwürdige Sitte der Stammbücher, welche die Stämme der vornehmsten deutschen Geschlechter auf diese Weise auf die Fürstenfräulein ( denn Prinzessinnen kannte man damals noch nicht ) , die Ritterfrauen und Fräulein, bald aber auch auf die Gelehrten über, welche sich damals weit öfter als jetzt im Gefolge der Fürsten befanden. Diese machten es sich zu einer wahren Glorie, eine Menge vornehmer Namen in ihren Stammbüchern glänzen zu lassen. Demnächst theilte diese Sitte sich den Studenten mit, welche die Stamm- bücher zu einer Art von Gedenkhallen machten, worin Spiel= und Trink- brüder die Erinnerungen genossener akademischer Freiheit niederlegten. Endlich wurden die Stammbücher ein Gemeingut aller Stände, mit welchem die Vornehmeren nichts mehr zu schaffen haben wollten. Es wurde einheimisch in den Taschen der Schulknaben, in den Ränzeln der Handwerksburschen und in den Kommoden der Mägde. Ein historisches, zum Theil auch artistisches Jnteresse haben die Stamm- bücher verblichener Regenten, Staatsmänner und Gelehrten. Die köstlichste Sammlung dieser Art besitzt unstreitig die großherzogliche Bibliothek in Weimar; sie besteht aus 325 Exemplaren. Für diejenigen, welche nicht wußten, was sie in ein ihnen dargereichtes Stammbuch einschreiben sollten, gab es schon im sechszehnten Jahrhundert so gut Noth= und Hülfsbüchlein, als im neunzehnten. So erschien 1578 zu Frankfurt ein „Stamm= oder Gesellenbuch mit vielen schönen Sprüchen, auch allerlei offenen und bürgerlichen Schilden und Helmen.“ Nebenbei wurden aber auch theologische Kompendien und Gram- matiken als Stammbücher benutzt. Briefkasten. M. T. in Marienwerder: Soll besorgt werden. — E. E. in Stuttgart: Sehr gern, aber erst in einiger Zeit. — Th. L. in Leipzig: Besten Dank. Wir werden es in nächster Zeit vornehmen und, schon aus persönlichem Jnteresse für den Autor, möglichst bald darüber berichten. — R. Sch. in Berlin: Wir stehen Jhnen zu der von Jhnen gewünschten Zeit zu Diensten. — H. W. in Berlin: Mit Dank erhalten. ☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von 12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt06_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt06_1868/8
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt06_1868/8>, abgerufen am 14.06.2024.