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Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

Das Vermögen, welches der Kardinal hinterließ, war fast un-
ermeßlich. Er verfügte in seinem Testament über fünfzig Millionen
baar, und verbot dann ausdrücklich, daß ein Jnventarium von seinen
Gütern und Kostbarkeiten aufgenommen werde, um den Haß des
Volkes nicht noch mehr zu erregen.

Sein Haupterbe war der Herzog von Rethelois, der sich fortan
Herzog von Mazarin nennen mußte. Der Kardinal vermachte ihm
Alles, was nach Auszahlung der Legate übrig blieb. Es werden
noch immer gegen 35 bis 40 Millionen gewesen sein. Der Erbe
erfuhr den Betrag seines Vermächtnisses selber nie, weil man ihm die
Abschätzung der Hinterlassenschaft gleichfalls verboten hatte.

Jede der sieben Nichten erhielt die Summe von 200,000 Thalern;

Sein Neffe Mancini das Herzogthum Nevers, 900,000 Thaler
baares Geld, die Hälfte der Mobilien und Alles, was der Kardinal
in Rom besaß;

Frau von Martinozzi, seine Schwester, eine lebenslängliche Pension
von 18,000 Livres jährlich;

Der König zwei kostbare Kunstschränke.

Die Königin=Mutter einen Diamanten, der auf eine Million ge-
schätzt ward;

Die junge Königin einen Strauß von Diamanten im Werthe
von2 1 / 2 Millionen Francs;

Monsieur, der Bruder des Königs, 60 Mark in Gold, einen kost-
baren Tapetenvorhang und 30 Smaragden;

Seine Heiligkeit der Papst 600,000 Livres, um den Krieg gegen
die Türken führen zu können;

Die Armen von Paris 6000 Francs;

Endlich die Krone von Frankreich 18 große Diamanten, welche
"die Mazarins" genannt werden sollten.

Das war eine letzte Bemühung, seinen Namen andern berühmten
Namen gleichzustellen. Und in der That erhielten die 18 Mazarins
ihren Platz neben den 5 Medicis, den 4 Valois, den 16 Bourbons,
dem Richelieu und Anderen, d. h. neben den großen Krondiamanten.

Ueberhaupt verzehrte den Kardinal der glühende Wunsch, seinen
Namen zu verewigen; deßhalb hatte er dem Herzoge von Rethelois
einen Palast bauen lassen, der "Palast Mazarin" heißen sollte; deß-
halb hatte er ein Kartenspiel erfunden, welches nach ihm " le jeu
Mazarin
" genannt wurde; deßhalb hatte er endlich einer Pastetenart
seinen Namen beigelegt, welche ihm zu Ehren Pastete a la Ma-
zarin
hieß.

Die Spottschriften, welche den Minister bei Lebzeiten verfolgt
hatten, vervielfältigten sich bei seinem Tode bis ins Unglaubliche.
Es war eine förmliche Sucht, Grabschriften auf den Kardinal zu
machen. Dichter, Bürger und Kaufleute, Höflinge, Offiziere und
Schweizer, ein Jeder glaubte, seinen Beitrag liefern zu müssen. Alle
diese Epigramme waren namentlich gegen den Geiz und die Habsucht
des Ministers gerichtet, von welchen Lastern man immer neue Anekdoten
zu erzählen wußte, und sie waren meist begründet. Ein Paar der
schlagendsten mögen zum Schluß hier folgen.

Richelieu war sehr empfindlich gegen Satiren, Mazarin lachte
darüber und ließ sie ruhig verbreiten. Er meinte, den lustigen Fran-
zosen, die sich vornehmlich durch Spottschriften zu rächen lieben, ihr
Vergnügen nicht beeinträchtigen zu dürfen, und begnügte sich, ihnen
immer wieder neue Steuern und Abgaben aufzulegen. " Ils chantent,
ils paieront
!" "Laßt sie singen, aber sie sollen zahlen!" pflegte er zu
sagen, und dieses Bonmot ist nicht nur in Frankreich, sondern durch
ganz Europa sprichwörtlich geworden.

Einst wurde Mazarin benachrichtigt, daß ein schreckliches Pamphlet
gegen ihn im Buchhandel erschienen sei; er ließ Beschlag darauf
legen, und da diese Beschlagnahme die Schmähschrift um so begehrter
machte, ließ er sie unter der Hand zu einem hohen Preise wieder ver-
kaufen. Bei diesem merkantilischen Kniff, den er oft lachend selbst
erzählte, gewann er tausend Pistolen.

Mazarini betrog beim Spiel, was er "seinen Vortheil wahrnehmen"
nannte, und so geizig er war, spielte er doch so dreist, daß er fünfzig-
tausend Livres an einem Abend gewinnen oder verlieren konnte.
Uebrigens war er, wie das nicht anders zu erwarten stand, sehr
empfindlich gegen Gewinn oder Verlust.

So ungern der Kardinal gab, so vergnügt war er, wenn er
empfing, und um es dahin zu bringen, pflegte er mitunter Mittel
anzuwenden, deren nur er sich bediente.

Der Kardinal Barberino besaß ein reizendes Gemälde von Cor-
reggio, welches das Jesuskind auf dem Schooße der Jungfrau dar-
stellte, wie es in Gegenwart des heiligen Stephanus der heiligen
Katharina den Verlobungsring giebt. Der Kardinal erinnerte sich
immer daran, daß er dieses Gemälde in Rom gesehen hatte, wo es
ihm aufgefallen war; er wagte nicht, den Kardinal Barberino darum
zu bitten, der es ihm auch ohne Zweifel nicht gegeben haben würde;
aber er ließ im Namen der Königin darum bitten, der man es nicht
abzuschlagen wagte. Damit diesem Meisterstücke unterwegs kein
Schaden zugefügt werden möchte, ward ein besonderer Bote nach
[Spaltenumbruch] Rom geschickt, der, versteht sich, auf Kosten des früheren Besitzers,
das Gemälde nach Paris brachte. Barberino überreichte es selber
der Königin, die, um ihm die gebührende Ehre zu erzeigen, es
sogleich in ihrem Schlafzimmer aufhängen ließ. Sobald indessen
Barberino sich entfernt hatte, kam Mazarin und nahm den so ersehn-
ten Schatz mit sich fort. Nach seinem Tode jedoch kam Barberino,
dessen Absicht immer gewesen war, die Krone, nicht aber den Minister
zu beschenken, zum König und bat denselben, sich zu erinnern, daß
dies Bild von ihm der Königin=Mutter geschenkt worden sei, der es
folglich gehöre. Ludwig XIV. ließ dem Verlangen des Kardinals
sein Recht geschehen, und das Gemälde wurde abgeholt.

Wie gesagt, Mazarin hatte nur einen großen Fehler: er war
geizig. Aber dieser Geiz entstellte seine glänzenden Vorzüge, und er
allein zog ihm den Haß und die Verachtung der Zeitgenossen zu,
denn die Hand, die das Scepter führt, muß offen und freigebig wie
die Hand Gottes sein.



Ein berühmter Altmärker.
Von
W. Buchner.

Am 9. Dezember 1717 wurde dem Schuhflicker Martin Winckel-
mann zu Stendal in der Altmark ein Söhnlein geboren, Johann
Joachim; im Sommer 1865 aber wurde in der stolzesten Halle
[unleserliches Material - 12 Zeichen fehlen]Deutschlands, im Vorhause des Berliner alten Museums, ein
Marmorstandbild des Schuhflickersohns aufgestellt. Tausende gehen
vorüber, ohne das Kunstwerk eines ernsten Blickes zu würdigen;
wäre es nicht der Mühe werth, das merkwürdige Leben des Mannes
zu verfolgen, und zu betrachten, durch welche Verdienste der berühmteste
Sohn der Altmark, obwohl er fern von der Heimat lebte und starb,
die Ehre des Denkmals erworben hat?

"Anno 1717, am Tage Joachimi, welches war der 9. Dezember,
des Morgens zwischen sechs und sieben Uhr, ist unser geliebtes Söhn-
lein Johann Joachim Winckelmann auf diese Welt geboren, und den
12. Dezember, als am dritten Adventsonntage, durch die heilige Taufe
dem Herrn Jesu Christo in seine Gemeinde einverleibt worden", so
schreibt der wackere Meister Martin in seine Familien=Chronik, welche
damit auch schließt; denn Johann Joachim blieb sein einziges Kind
und starb unverheirathet. Der Vater stammte aus Brieg in Schle-
sien, war nach Stendal gewandert, hatte dort geheirathet und wohnte
in einem kleinen Häuschen der Lehmgasse; obgleich Meister, war und
blieb er Schuhflicker, weil sein Vermögen nicht ausreichte, sich einen
Ledervorrath anzuschaffen. So mag es ärmlich genug hergegangen
sein, und Vater Martin dachte Anfangs nicht weiter, als auch den
Sohn zu seinem Handwerk anzuhalten. Anfangs besuchte Johann
Joachim Winckelmann die Volksschule, dann aber, da er eine außer-
ordentliche Neigung zum Studiren hatte, die lateinische Schule;
Schulgeld und Lebensunterhalt verdiente er sich mit Unterrichten und
indem er, wie Luther, auf den Gassen Choräle sang. Jn jener Zeit
forderte man weniger Bequemlichkeiten des Lebens als heutzutage,
und kam daher bei kräftigem Willen mit erstaunlich geringen Mitteln
aus. Der alte Rektor Tappert, welcher fast erblindet war, nahm den
jungen Winckelmann, der sich zeitig durch Begabung und Fleiß aus-
zeichnete, als Schreiber, Vorleser und Führer in sein Haus, wo er
denn seine freien Stunden zu rastlosem Studiren der griechischen und
römischen Schriftsteller benutzte. Das Spiel mit den Genossen reizte
ihn nicht; er setzte sich dann bei Seite, las und lernte; schon früh
gehörte es zu seinen liebsten Träumen, dereinst Jtalien und Aegypten
zu besuchen, ihre Alterthümer kennen zu lernen. Dann verweilte er
als Zögling des Gymnasiums Zum grauen Kloster ein Jahr oder
mehre zu Berlin, sich ohne Zweifel auch hier mit Freitischen und
Stundengeben mühsam durchschlagend. Er vernahm damals, daß zu
Hamburg eine berühmte Büchersammlung, die besonders Römer und
Griechen enthielt, zur Versteigerung komme. Er hatte kein Geld zur
Reise, noch zum Kauf. Er wanderte also zu Fuß den weiten Weg
nach Hamburg, erbat sich bei Adeligen, Predigern und Beamten einen
Zehrpfennig, erstand zu Hamburg mit dem so mühselig erworbenen
Gelde einen Pack werthvoller Bücher und trug die köstliche Last be-
schwerlich wieder nach Berlin. Dieselben Bücher sind heutzutage in
jedem Buchladen vielleicht für ein Paar Thaler zu haben; aber wie
Winckelmann sie sich eroberte durch wochenlange Entbehrungen und
Mühen, das beweist, daß in dem kleinen schmächtigen Menschen, der
nicht einmal zum Soldaten groß genug war, eine eiserne Willenskraft
verborgen lag.

Ostern 1738 bezog der einundzwanzigjährige Winckelmann die
Hochschule zu Halle, um Theologie zu studiren, wie solches bei armen,
von den Unterstützungen ihrer Gönner lebenden Jünglingen damals
öfter vorkam; er selbst hatte keine Neigung dazu, er hätte lieber Heil-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Das Vermögen, welches der Kardinal hinterließ, war fast un-
ermeßlich. Er verfügte in seinem Testament über fünfzig Millionen
baar, und verbot dann ausdrücklich, daß ein Jnventarium von seinen
Gütern und Kostbarkeiten aufgenommen werde, um den Haß des
Volkes nicht noch mehr zu erregen.

Sein Haupterbe war der Herzog von Rethelois, der sich fortan
Herzog von Mazarin nennen mußte. Der Kardinal vermachte ihm
Alles, was nach Auszahlung der Legate übrig blieb. Es werden
noch immer gegen 35 bis 40 Millionen gewesen sein. Der Erbe
erfuhr den Betrag seines Vermächtnisses selber nie, weil man ihm die
Abschätzung der Hinterlassenschaft gleichfalls verboten hatte.

Jede der sieben Nichten erhielt die Summe von 200,000 Thalern;

Sein Neffe Mancini das Herzogthum Nevers, 900,000 Thaler
baares Geld, die Hälfte der Mobilien und Alles, was der Kardinal
in Rom besaß;

Frau von Martinozzi, seine Schwester, eine lebenslängliche Pension
von 18,000 Livres jährlich;

Der König zwei kostbare Kunstschränke.

Die Königin=Mutter einen Diamanten, der auf eine Million ge-
schätzt ward;

Die junge Königin einen Strauß von Diamanten im Werthe
von2 1 / 2 Millionen Francs;

Monsieur, der Bruder des Königs, 60 Mark in Gold, einen kost-
baren Tapetenvorhang und 30 Smaragden;

Seine Heiligkeit der Papst 600,000 Livres, um den Krieg gegen
die Türken führen zu können;

Die Armen von Paris 6000 Francs;

Endlich die Krone von Frankreich 18 große Diamanten, welche
„die Mazarins“ genannt werden sollten.

Das war eine letzte Bemühung, seinen Namen andern berühmten
Namen gleichzustellen. Und in der That erhielten die 18 Mazarins
ihren Platz neben den 5 Medicis, den 4 Valois, den 16 Bourbons,
dem Richelieu und Anderen, d. h. neben den großen Krondiamanten.

Ueberhaupt verzehrte den Kardinal der glühende Wunsch, seinen
Namen zu verewigen; deßhalb hatte er dem Herzoge von Rethelois
einen Palast bauen lassen, der „Palast Mazarin“ heißen sollte; deß-
halb hatte er ein Kartenspiel erfunden, welches nach ihm „ le jeu
Mazarin
“ genannt wurde; deßhalb hatte er endlich einer Pastetenart
seinen Namen beigelegt, welche ihm zu Ehren Pastete à la Ma-
zarin
hieß.

Die Spottschriften, welche den Minister bei Lebzeiten verfolgt
hatten, vervielfältigten sich bei seinem Tode bis ins Unglaubliche.
Es war eine förmliche Sucht, Grabschriften auf den Kardinal zu
machen. Dichter, Bürger und Kaufleute, Höflinge, Offiziere und
Schweizer, ein Jeder glaubte, seinen Beitrag liefern zu müssen. Alle
diese Epigramme waren namentlich gegen den Geiz und die Habsucht
des Ministers gerichtet, von welchen Lastern man immer neue Anekdoten
zu erzählen wußte, und sie waren meist begründet. Ein Paar der
schlagendsten mögen zum Schluß hier folgen.

Richelieu war sehr empfindlich gegen Satiren, Mazarin lachte
darüber und ließ sie ruhig verbreiten. Er meinte, den lustigen Fran-
zosen, die sich vornehmlich durch Spottschriften zu rächen lieben, ihr
Vergnügen nicht beeinträchtigen zu dürfen, und begnügte sich, ihnen
immer wieder neue Steuern und Abgaben aufzulegen. „ Ils chantent,
ils paieront
!“ „Laßt sie singen, aber sie sollen zahlen!“ pflegte er zu
sagen, und dieses Bonmot ist nicht nur in Frankreich, sondern durch
ganz Europa sprichwörtlich geworden.

Einst wurde Mazarin benachrichtigt, daß ein schreckliches Pamphlet
gegen ihn im Buchhandel erschienen sei; er ließ Beschlag darauf
legen, und da diese Beschlagnahme die Schmähschrift um so begehrter
machte, ließ er sie unter der Hand zu einem hohen Preise wieder ver-
kaufen. Bei diesem merkantilischen Kniff, den er oft lachend selbst
erzählte, gewann er tausend Pistolen.

Mazarini betrog beim Spiel, was er „seinen Vortheil wahrnehmen“
nannte, und so geizig er war, spielte er doch so dreist, daß er fünfzig-
tausend Livres an einem Abend gewinnen oder verlieren konnte.
Uebrigens war er, wie das nicht anders zu erwarten stand, sehr
empfindlich gegen Gewinn oder Verlust.

So ungern der Kardinal gab, so vergnügt war er, wenn er
empfing, und um es dahin zu bringen, pflegte er mitunter Mittel
anzuwenden, deren nur er sich bediente.

Der Kardinal Barberino besaß ein reizendes Gemälde von Cor-
reggio, welches das Jesuskind auf dem Schooße der Jungfrau dar-
stellte, wie es in Gegenwart des heiligen Stephanus der heiligen
Katharina den Verlobungsring giebt. Der Kardinal erinnerte sich
immer daran, daß er dieses Gemälde in Rom gesehen hatte, wo es
ihm aufgefallen war; er wagte nicht, den Kardinal Barberino darum
zu bitten, der es ihm auch ohne Zweifel nicht gegeben haben würde;
aber er ließ im Namen der Königin darum bitten, der man es nicht
abzuschlagen wagte. Damit diesem Meisterstücke unterwegs kein
Schaden zugefügt werden möchte, ward ein besonderer Bote nach
[Spaltenumbruch] Rom geschickt, der, versteht sich, auf Kosten des früheren Besitzers,
das Gemälde nach Paris brachte. Barberino überreichte es selber
der Königin, die, um ihm die gebührende Ehre zu erzeigen, es
sogleich in ihrem Schlafzimmer aufhängen ließ. Sobald indessen
Barberino sich entfernt hatte, kam Mazarin und nahm den so ersehn-
ten Schatz mit sich fort. Nach seinem Tode jedoch kam Barberino,
dessen Absicht immer gewesen war, die Krone, nicht aber den Minister
zu beschenken, zum König und bat denselben, sich zu erinnern, daß
dies Bild von ihm der Königin=Mutter geschenkt worden sei, der es
folglich gehöre. Ludwig XIV. ließ dem Verlangen des Kardinals
sein Recht geschehen, und das Gemälde wurde abgeholt.

Wie gesagt, Mazarin hatte nur einen großen Fehler: er war
geizig. Aber dieser Geiz entstellte seine glänzenden Vorzüge, und er
allein zog ihm den Haß und die Verachtung der Zeitgenossen zu,
denn die Hand, die das Scepter führt, muß offen und freigebig wie
die Hand Gottes sein.



Ein berühmter Altmärker.
Von
W. Buchner.

Am 9. Dezember 1717 wurde dem Schuhflicker Martin Winckel-
mann zu Stendal in der Altmark ein Söhnlein geboren, Johann
Joachim; im Sommer 1865 aber wurde in der stolzesten Halle
[unleserliches Material – 12 Zeichen fehlen]Deutschlands, im Vorhause des Berliner alten Museums, ein
Marmorstandbild des Schuhflickersohns aufgestellt. Tausende gehen
vorüber, ohne das Kunstwerk eines ernsten Blickes zu würdigen;
wäre es nicht der Mühe werth, das merkwürdige Leben des Mannes
zu verfolgen, und zu betrachten, durch welche Verdienste der berühmteste
Sohn der Altmark, obwohl er fern von der Heimat lebte und starb,
die Ehre des Denkmals erworben hat?

„Anno 1717, am Tage Joachimi, welches war der 9. Dezember,
des Morgens zwischen sechs und sieben Uhr, ist unser geliebtes Söhn-
lein Johann Joachim Winckelmann auf diese Welt geboren, und den
12. Dezember, als am dritten Adventsonntage, durch die heilige Taufe
dem Herrn Jesu Christo in seine Gemeinde einverleibt worden“, so
schreibt der wackere Meister Martin in seine Familien=Chronik, welche
damit auch schließt; denn Johann Joachim blieb sein einziges Kind
und starb unverheirathet. Der Vater stammte aus Brieg in Schle-
sien, war nach Stendal gewandert, hatte dort geheirathet und wohnte
in einem kleinen Häuschen der Lehmgasse; obgleich Meister, war und
blieb er Schuhflicker, weil sein Vermögen nicht ausreichte, sich einen
Ledervorrath anzuschaffen. So mag es ärmlich genug hergegangen
sein, und Vater Martin dachte Anfangs nicht weiter, als auch den
Sohn zu seinem Handwerk anzuhalten. Anfangs besuchte Johann
Joachim Winckelmann die Volksschule, dann aber, da er eine außer-
ordentliche Neigung zum Studiren hatte, die lateinische Schule;
Schulgeld und Lebensunterhalt verdiente er sich mit Unterrichten und
indem er, wie Luther, auf den Gassen Choräle sang. Jn jener Zeit
forderte man weniger Bequemlichkeiten des Lebens als heutzutage,
und kam daher bei kräftigem Willen mit erstaunlich geringen Mitteln
aus. Der alte Rektor Tappert, welcher fast erblindet war, nahm den
jungen Winckelmann, der sich zeitig durch Begabung und Fleiß aus-
zeichnete, als Schreiber, Vorleser und Führer in sein Haus, wo er
denn seine freien Stunden zu rastlosem Studiren der griechischen und
römischen Schriftsteller benutzte. Das Spiel mit den Genossen reizte
ihn nicht; er setzte sich dann bei Seite, las und lernte; schon früh
gehörte es zu seinen liebsten Träumen, dereinst Jtalien und Aegypten
zu besuchen, ihre Alterthümer kennen zu lernen. Dann verweilte er
als Zögling des Gymnasiums Zum grauen Kloster ein Jahr oder
mehre zu Berlin, sich ohne Zweifel auch hier mit Freitischen und
Stundengeben mühsam durchschlagend. Er vernahm damals, daß zu
Hamburg eine berühmte Büchersammlung, die besonders Römer und
Griechen enthielt, zur Versteigerung komme. Er hatte kein Geld zur
Reise, noch zum Kauf. Er wanderte also zu Fuß den weiten Weg
nach Hamburg, erbat sich bei Adeligen, Predigern und Beamten einen
Zehrpfennig, erstand zu Hamburg mit dem so mühselig erworbenen
Gelde einen Pack werthvoller Bücher und trug die köstliche Last be-
schwerlich wieder nach Berlin. Dieselben Bücher sind heutzutage in
jedem Buchladen vielleicht für ein Paar Thaler zu haben; aber wie
Winckelmann sie sich eroberte durch wochenlange Entbehrungen und
Mühen, das beweist, daß in dem kleinen schmächtigen Menschen, der
nicht einmal zum Soldaten groß genug war, eine eiserne Willenskraft
verborgen lag.

Ostern 1738 bezog der einundzwanzigjährige Winckelmann die
Hochschule zu Halle, um Theologie zu studiren, wie solches bei armen,
von den Unterstützungen ihrer Gönner lebenden Jünglingen damals
öfter vorkam; er selbst hatte keine Neigung dazu, er hätte lieber Heil-
[Ende Spaltensatz]

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[55/0007] 55 Das Vermögen, welches der Kardinal hinterließ, war fast un- ermeßlich. Er verfügte in seinem Testament über fünfzig Millionen baar, und verbot dann ausdrücklich, daß ein Jnventarium von seinen Gütern und Kostbarkeiten aufgenommen werde, um den Haß des Volkes nicht noch mehr zu erregen. Sein Haupterbe war der Herzog von Rethelois, der sich fortan Herzog von Mazarin nennen mußte. Der Kardinal vermachte ihm Alles, was nach Auszahlung der Legate übrig blieb. Es werden noch immer gegen 35 bis 40 Millionen gewesen sein. Der Erbe erfuhr den Betrag seines Vermächtnisses selber nie, weil man ihm die Abschätzung der Hinterlassenschaft gleichfalls verboten hatte. Jede der sieben Nichten erhielt die Summe von 200,000 Thalern; Sein Neffe Mancini das Herzogthum Nevers, 900,000 Thaler baares Geld, die Hälfte der Mobilien und Alles, was der Kardinal in Rom besaß; Frau von Martinozzi, seine Schwester, eine lebenslängliche Pension von 18,000 Livres jährlich; Der König zwei kostbare Kunstschränke. Die Königin=Mutter einen Diamanten, der auf eine Million ge- schätzt ward; Die junge Königin einen Strauß von Diamanten im Werthe von2 1 / 2 Millionen Francs; Monsieur, der Bruder des Königs, 60 Mark in Gold, einen kost- baren Tapetenvorhang und 30 Smaragden; Seine Heiligkeit der Papst 600,000 Livres, um den Krieg gegen die Türken führen zu können; Die Armen von Paris 6000 Francs; Endlich die Krone von Frankreich 18 große Diamanten, welche „die Mazarins“ genannt werden sollten. Das war eine letzte Bemühung, seinen Namen andern berühmten Namen gleichzustellen. Und in der That erhielten die 18 Mazarins ihren Platz neben den 5 Medicis, den 4 Valois, den 16 Bourbons, dem Richelieu und Anderen, d. h. neben den großen Krondiamanten. Ueberhaupt verzehrte den Kardinal der glühende Wunsch, seinen Namen zu verewigen; deßhalb hatte er dem Herzoge von Rethelois einen Palast bauen lassen, der „Palast Mazarin“ heißen sollte; deß- halb hatte er ein Kartenspiel erfunden, welches nach ihm „ le jeu Mazarin “ genannt wurde; deßhalb hatte er endlich einer Pastetenart seinen Namen beigelegt, welche ihm zu Ehren Pastete à la Ma- zarin hieß. Die Spottschriften, welche den Minister bei Lebzeiten verfolgt hatten, vervielfältigten sich bei seinem Tode bis ins Unglaubliche. Es war eine förmliche Sucht, Grabschriften auf den Kardinal zu machen. Dichter, Bürger und Kaufleute, Höflinge, Offiziere und Schweizer, ein Jeder glaubte, seinen Beitrag liefern zu müssen. Alle diese Epigramme waren namentlich gegen den Geiz und die Habsucht des Ministers gerichtet, von welchen Lastern man immer neue Anekdoten zu erzählen wußte, und sie waren meist begründet. Ein Paar der schlagendsten mögen zum Schluß hier folgen. Richelieu war sehr empfindlich gegen Satiren, Mazarin lachte darüber und ließ sie ruhig verbreiten. Er meinte, den lustigen Fran- zosen, die sich vornehmlich durch Spottschriften zu rächen lieben, ihr Vergnügen nicht beeinträchtigen zu dürfen, und begnügte sich, ihnen immer wieder neue Steuern und Abgaben aufzulegen. „ Ils chantent, ils paieront!“ „Laßt sie singen, aber sie sollen zahlen!“ pflegte er zu sagen, und dieses Bonmot ist nicht nur in Frankreich, sondern durch ganz Europa sprichwörtlich geworden. Einst wurde Mazarin benachrichtigt, daß ein schreckliches Pamphlet gegen ihn im Buchhandel erschienen sei; er ließ Beschlag darauf legen, und da diese Beschlagnahme die Schmähschrift um so begehrter machte, ließ er sie unter der Hand zu einem hohen Preise wieder ver- kaufen. Bei diesem merkantilischen Kniff, den er oft lachend selbst erzählte, gewann er tausend Pistolen. Mazarini betrog beim Spiel, was er „seinen Vortheil wahrnehmen“ nannte, und so geizig er war, spielte er doch so dreist, daß er fünfzig- tausend Livres an einem Abend gewinnen oder verlieren konnte. Uebrigens war er, wie das nicht anders zu erwarten stand, sehr empfindlich gegen Gewinn oder Verlust. So ungern der Kardinal gab, so vergnügt war er, wenn er empfing, und um es dahin zu bringen, pflegte er mitunter Mittel anzuwenden, deren nur er sich bediente. Der Kardinal Barberino besaß ein reizendes Gemälde von Cor- reggio, welches das Jesuskind auf dem Schooße der Jungfrau dar- stellte, wie es in Gegenwart des heiligen Stephanus der heiligen Katharina den Verlobungsring giebt. Der Kardinal erinnerte sich immer daran, daß er dieses Gemälde in Rom gesehen hatte, wo es ihm aufgefallen war; er wagte nicht, den Kardinal Barberino darum zu bitten, der es ihm auch ohne Zweifel nicht gegeben haben würde; aber er ließ im Namen der Königin darum bitten, der man es nicht abzuschlagen wagte. Damit diesem Meisterstücke unterwegs kein Schaden zugefügt werden möchte, ward ein besonderer Bote nach Rom geschickt, der, versteht sich, auf Kosten des früheren Besitzers, das Gemälde nach Paris brachte. Barberino überreichte es selber der Königin, die, um ihm die gebührende Ehre zu erzeigen, es sogleich in ihrem Schlafzimmer aufhängen ließ. Sobald indessen Barberino sich entfernt hatte, kam Mazarin und nahm den so ersehn- ten Schatz mit sich fort. Nach seinem Tode jedoch kam Barberino, dessen Absicht immer gewesen war, die Krone, nicht aber den Minister zu beschenken, zum König und bat denselben, sich zu erinnern, daß dies Bild von ihm der Königin=Mutter geschenkt worden sei, der es folglich gehöre. Ludwig XIV. ließ dem Verlangen des Kardinals sein Recht geschehen, und das Gemälde wurde abgeholt. Wie gesagt, Mazarin hatte nur einen großen Fehler: er war geizig. Aber dieser Geiz entstellte seine glänzenden Vorzüge, und er allein zog ihm den Haß und die Verachtung der Zeitgenossen zu, denn die Hand, die das Scepter führt, muß offen und freigebig wie die Hand Gottes sein. Ein berühmter Altmärker. Von W. Buchner. Am 9. Dezember 1717 wurde dem Schuhflicker Martin Winckel- mann zu Stendal in der Altmark ein Söhnlein geboren, Johann Joachim; im Sommer 1865 aber wurde in der stolzesten Halle ____________Deutschlands, im Vorhause des Berliner alten Museums, ein Marmorstandbild des Schuhflickersohns aufgestellt. Tausende gehen vorüber, ohne das Kunstwerk eines ernsten Blickes zu würdigen; wäre es nicht der Mühe werth, das merkwürdige Leben des Mannes zu verfolgen, und zu betrachten, durch welche Verdienste der berühmteste Sohn der Altmark, obwohl er fern von der Heimat lebte und starb, die Ehre des Denkmals erworben hat? „Anno 1717, am Tage Joachimi, welches war der 9. Dezember, des Morgens zwischen sechs und sieben Uhr, ist unser geliebtes Söhn- lein Johann Joachim Winckelmann auf diese Welt geboren, und den 12. Dezember, als am dritten Adventsonntage, durch die heilige Taufe dem Herrn Jesu Christo in seine Gemeinde einverleibt worden“, so schreibt der wackere Meister Martin in seine Familien=Chronik, welche damit auch schließt; denn Johann Joachim blieb sein einziges Kind und starb unverheirathet. Der Vater stammte aus Brieg in Schle- sien, war nach Stendal gewandert, hatte dort geheirathet und wohnte in einem kleinen Häuschen der Lehmgasse; obgleich Meister, war und blieb er Schuhflicker, weil sein Vermögen nicht ausreichte, sich einen Ledervorrath anzuschaffen. So mag es ärmlich genug hergegangen sein, und Vater Martin dachte Anfangs nicht weiter, als auch den Sohn zu seinem Handwerk anzuhalten. Anfangs besuchte Johann Joachim Winckelmann die Volksschule, dann aber, da er eine außer- ordentliche Neigung zum Studiren hatte, die lateinische Schule; Schulgeld und Lebensunterhalt verdiente er sich mit Unterrichten und indem er, wie Luther, auf den Gassen Choräle sang. Jn jener Zeit forderte man weniger Bequemlichkeiten des Lebens als heutzutage, und kam daher bei kräftigem Willen mit erstaunlich geringen Mitteln aus. Der alte Rektor Tappert, welcher fast erblindet war, nahm den jungen Winckelmann, der sich zeitig durch Begabung und Fleiß aus- zeichnete, als Schreiber, Vorleser und Führer in sein Haus, wo er denn seine freien Stunden zu rastlosem Studiren der griechischen und römischen Schriftsteller benutzte. Das Spiel mit den Genossen reizte ihn nicht; er setzte sich dann bei Seite, las und lernte; schon früh gehörte es zu seinen liebsten Träumen, dereinst Jtalien und Aegypten zu besuchen, ihre Alterthümer kennen zu lernen. Dann verweilte er als Zögling des Gymnasiums Zum grauen Kloster ein Jahr oder mehre zu Berlin, sich ohne Zweifel auch hier mit Freitischen und Stundengeben mühsam durchschlagend. Er vernahm damals, daß zu Hamburg eine berühmte Büchersammlung, die besonders Römer und Griechen enthielt, zur Versteigerung komme. Er hatte kein Geld zur Reise, noch zum Kauf. Er wanderte also zu Fuß den weiten Weg nach Hamburg, erbat sich bei Adeligen, Predigern und Beamten einen Zehrpfennig, erstand zu Hamburg mit dem so mühselig erworbenen Gelde einen Pack werthvoller Bücher und trug die köstliche Last be- schwerlich wieder nach Berlin. Dieselben Bücher sind heutzutage in jedem Buchladen vielleicht für ein Paar Thaler zu haben; aber wie Winckelmann sie sich eroberte durch wochenlange Entbehrungen und Mühen, das beweist, daß in dem kleinen schmächtigen Menschen, der nicht einmal zum Soldaten groß genug war, eine eiserne Willenskraft verborgen lag. Ostern 1738 bezog der einundzwanzigjährige Winckelmann die Hochschule zu Halle, um Theologie zu studiren, wie solches bei armen, von den Unterstützungen ihrer Gönner lebenden Jünglingen damals öfter vorkam; er selbst hatte keine Neigung dazu, er hätte lieber Heil-

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt07_1868/7>, abgerufen am 13.06.2024.