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Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Anblick erschrocken davon. Erst nach langer Frist kam ein entschlossener
Mann, der dem Aechzenden die Schlinge löste und ihn auf sein Zim-
mer zurück führte.

Endlich kamen Aerzte. Vier Stichwunden wurden für tödtlich
erklärt. Winckelmann vernahm es schweigend und gefaßt; er beichtete
mit sterbender Stimme, empfing Abendmahl und letzte Oelung, und setzte
den Kardinal Albani zu seinem Haupterben ein. Nachmittags um vier
Uhr starb er. Einige Tage nachher ward der flüchtige Mörder
ergriffen und auf dem Platze vor dem Gasthof, wo er die Blutthat
begangen, gerädert. Der unbekannte deutsche Gelehrte aber ward still
beerdigt; schon nach einigen Jahrzehnten war sein Grab nicht mehr
zu finden. Erst 1824 ward ihm zu Triest ein Denkmal errichtet; da-
gegen hat ihn seine Vaterstadt Stendal im Jahre 1859 geehrt durch
ein prächtiges Erzstandbild, ein Meisterwerk von Ludwig Wichmann.

Der Leser wird nun verstehen, wodurch Winckelmann seinen Platz
in der Vorhalle des Museums erworben hat. Durch seine Schriften,
vornehmlich durch seine Geschichte der Kunst des Alterthums, hat er
eine besondere Wissenschaft, die der Kunstgeschichte, erst geschaffen,
hat aufmerksam gemacht auf die wundervolle Schönheit der griechi-
schen Bildwerke, welche er mit feinstem Geschmack und dem tiefsten
Verständniß zu erklären wußte, und hat dadurch, obgleich er seine
besten Jahre in der Fremde verlebte, um die deutsche Wissenschaft das
größte Verdienst. So steht er würdig neben Schinkel, dem Erbauer
des edlen Gebäudes, und Rauch, dem großen Bildhauer, dessen kunst-
fertige Hand Berlin zu der Wiege und Prachtstätte deutscher Bildnerei
gemacht hat.

Winckelmann war von mittlerer Größe; er hatte eine bräunliche
Gesichtsfarbe, lebhafte schwarze Augen, rasche Bewegungen. Er lebte
einfach und mäßig als alter Junggeselle zu Rom, von Niemand ab-
hängig, eifersüchtig auf seine Freiheit, still und bescheiden im Verkehr,
aber seines Werthes bewußt und gewaltig losbrechend, wo er leerem
Dünkel begegnete. Er brauchte wenig, er verlangte nichts als die
Freiheit, seine vielgeliebten Alterthümer zu studiren, Erz= und Marmor-
werke, Gemälde, geschnittene Steine, und sie mit der ihm eigenen
umfassenden Gelehrsamkeit zu erklären. Er war katholisch geworden
und hatte sich so in Jtalien eingewurzelt, daß er, wo es anging,
italienisch sprach und alles Deutsche mehr oder weniger abscheulich
fand, und doch blieb er im Herzen Protestant und ein so guter
Deutscher, daß er einem Freunde 1759 schrieb: "Unter andern Din-
gen, für die ich Gott preise, ist auch dieses, daß ich ein Deutscher
und kein Franzos bin", ja, er nennt die Franzosen, ohne Zweifel
wegen ihrer damaligen verwerflichen Kunstrichtung, die verachtungs-
würdigste Art zweifüßiger Kreaturen. Jm Uebrigen war er auf
Preußen nicht eben gut zu sprechen, denn er hatte in seinem Vater-
lande wenig Freundliches erfahren; aber das soll uns nicht hindern,
Winckelmann als einen weitberühmten edlen Sohn des Preußenlandes
hoch zu ehren und sein Andenken allezeit werth zu halten.



Ueber Geheimmittel.
Von
Dr. Kirschstein.

Zu den einträglichsten Geschäften, welche durch die Gunst des leicht-
gläubigen Publikums eine schwindelnde Höhe erreicht haben und
einen fast beispiellosen Gewinn abwerfen, gehört der Geheim-
mittelkram. Er eröffnet den Gründern einer solchen Firma,
welche unter dem Aushängeschild von "Wohlthätern der leidenden
Menschen" mit dem höchsten Gut derselben, der Gesundheit, ein leicht-
fertiges und verbrecherisches Spiel treiben, in der Regel die sichere
Aussicht, ohne sonderliche Mühe und bei geringem Kapitalvermögen
in verhältnißmäßig kurzer Zeit reich zu werden. Kein Wunder, daß
unter solchen Auspizien die gewinnsüchtige Spekulation von vielen
Seiten her sich auf den Geheimmittelkram legt und die unberufensten
Menschen mit einer ans Unglaubliche grenzenden Frechheit sich diesem
lukrativen Geschäftszweige widmen. Heruntergekommene Buchhändler
erheben sich binnen Jahresfrist zu reichen Rittergutsbesitzern, Kauf-
leute, deren Konkurs kaum beendet, treten, ehe man es vermuthen
kann, als reiche Kapitalisten auf, überhaupt erwirbt derjenige, welcher
die Geheimmittel=Jndustrie richtig auszubeuten versteht, in kurzer Zeit
mehr Geld, als ein um= und vorsichtiger Kaufmann bei der größten
Vorsicht in seinen Spekulationen vielleicht sein ganzes Leben hindurch
zu erwerben im Stande ist. Daß auch Apotheker und Aerzte dieser
Kategorie angehören, bedauert gewiß Niemand mehr, als ich selbst. So
lebte, nach den Mittheilungen des Dr. Herrmann in Aschaffenburg *),
in Paris ein junger, talentvoller, mit hervorragenden Anlagen begabter
Arzt, der trotzdem keine lohnende Praxis finden konnte. Jm Ver-
trauen auf die Worte Zimmermanns: "Ein Charlatan, der mit
wunderbarlichen Mitteln prahlt, ist weit mehr gesucht, als ein
[Spaltenumbruch] Arzt, der die ebenen Wege der Natur geht", etablirte er auf einem
der besuchtesten Plätze der Seinestadt ein Geheimmittelgeschäft, bot
unter den verlockendsten Anpreisungen drei Arzeneien, eine weiße aus
Regenwasser, eine rothe aus Wasser mit Himbeer=, eine blaue aus
Wasser mit Veilchensaft gefärbt, feil, pries in pomphaften Annoncen
die untrügliche und außergewöhnliche Wirksamkeit seiner Mixturen,
und verkaufte im Jnteresse der leidenden Menschheit, und damit auch
die Armen sich der Wohlthat seiner Panacee erfreuen könnten, die
Flasche zu dem billigen Preise von einem Franken. Sein ganz un-
schuldiges Gemisch fand aber so viele gläubige Käufer, daß seine
Waare stets vergriffen war, so daß er bald sein Schäfchen im Trocknen
hatte. Als ihn ein berühmter Arzt über sein unwürdiges Treiben zur
Rede stellte, sagte er: "Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Men-
schen, die täglich an diesem Platze vorübergehen?" "Doch wohl 20,000".
"Wie viel, glauben Sie, haben davon einen gesunden Sinn und ein
richtiges Urtheil?" "Fünfhundert." "Sie irren sehr, die Zahl ist
viel zu hoch gegriffen". "Nun denn, zweihundert." "Auch dies Ver-
hältniß ist noch viel zu groß". "Dann sind es doch wohl hundert?"
"Nein, diese Zahl entspricht noch lange nicht der Wirklichkeit". "Vielleicht
denn fünfzig." "Sie haben sie noch nicht errathen". "Etwa zehn?" "Dies
dürfte annähernd die richtige Zahl sein. Lassen Sie mich doch mit den
19,990 Dummen und Leichtgläubigen die einträgliche Komödie weiter
treiben, und beneiden Sie mich nicht um den Tribut, den jene mit
geschäftigem Eifer mir täglich zollen. Kennen Sie nicht das alte
Sprüchwort? Mundus vult decipi, ergo decipiatur."

Diese Erzählung ist nach der Versicherung des Dr. Herrmann
kein Phantasiegebilde, sondern aus dem Leben gegriffen. Bei uns ist
es noch nicht vollkommen so arg, als in Frankreich und England;
allein wir sind auf dem besten Wege, auch in Betreff des Geheim-
mittel=Unfuges mit diesen beiden Ländern, die wir uns ja so gern zum
Vorbild nehmen, konkurriren zu können. Es dürfte vielleicht interessi-
ren, zu erfahren, daß in London sich Engros=Häuser mit nichts An-
derem, als mit dem Debit von Geheimmitteln beschäftigen. Ein
einziges Haus in London soll jährlich 300,000 Thaler für Reklamen
ausgeben, eine Summe, die der bekannte Berliner Bierbrauer noch nicht
erreicht*).

Auch in Deutschland hat das Geheimmittel=Unwesen riesige Fort-
schritte gemacht, und die Zeitungen, sowohl die der Metropolen als
auch die unbedeutendsten Lokalblätter, gleichviel ob sie konservativen
oder liberalen Jnteressen huldigen, öffnen bereitwilligst ihre Spalten
den Ankündigungen und Lobhudeleien der Geheimmittel=Jndustrie, als
ob es sich um die Verbreitung der höchsten Güter der Menschheit
handelte.

Nur die Augsburger Allgemeine Zeitung druckt keine Reklame ab,
der die Lüge handgreiflich auf der Stirn geschrieben steht**); in
Hannover durften Reklamen von Ausländern, die auf die Leichtgläu-
bigkeit des Publikums berechnet sind, in einheimischen Blättern nicht
abgedruckt werden, und in England sollen sich nach Krause***) 226
der gelesensten Journale dahin geeinigt haben, Jnserate über galante
Krankheiten nicht aufzunehmen.

Jch sagte, in Deutschland hätte der Geheimmittel=Unfug riesige
Fortschritte gemacht, und führe zum Beweise an, daß bis vor Kurzem
in der einen Stadt Braunschweig sechs Geheimmittelfabrikanten glän-
zende Geschäfte machten, von denen ich nur anführen will:

1 ) den Buchhändler Dr. philos. Carl Wilhelm August Müller,
Herausgeber des le Roi'schen Systems, weiland Ober=Sanitäts-
raths und Leibarztes des selig entschlafenen Kaisers von Utopien+);

2 ) den Handlanger, Helfershelfer und Annoncenschmied des Müller,
den Sachsen=Weimarschen Hofrath Dr. phil. Brinckmeier, alias
Hofrath Dr. Hummel++);

3 ) den ehemaligen Tabakshändler Louis Wundram, der seit seiner
Uebersiedelung nach Bückeburg auch als Professor in den Zeitun-
gen figurirt, und

4 ) den ehemaligen Barbier Kühne.

Diese Spekulanten verwertheten, gleich ihren Kollegen in an-
deren Städten, den Glauben, den schlichte Einfalt ihnen schenkt, zu
ihrem eigenen Vortheil und leerten und leeren gründlich die Taschen
derer, die sich durch deren prahlerische Annoncen zum Kauf ihrer
Mittel verleiten ließen und lassen.

Erwägt man, daß der Mehlhändler Barry du Barry, Besitzer der
noch immer der Entdeckung harrenden Revalenta=Staaten und Fa-
brikant der sogenannten Revalenta arabica, deren Verkauf bei uns
seit dem Juni 1855 verboten ist+++), in einem Jahre mehr als
[Ende Spaltensatz]

*) cf. Hygiea. 1861. No. 4.
*) Die sogenannten Geheimmittel von Dr. W. Krause.
**) Krause, Geheimmittel, pag. 15.
***) Ebendaselbst.
+) Hygiea, II. Jahrgang, pag. 171.
++) Hygiea, III. Jahrgang, pag. 14.
+++) Revalenta arabica des du Barry, ein großartiger Betrug , vom
Apotheker Frickhinger.

[Beginn Spaltensatz] Anblick erschrocken davon. Erst nach langer Frist kam ein entschlossener
Mann, der dem Aechzenden die Schlinge löste und ihn auf sein Zim-
mer zurück führte.

Endlich kamen Aerzte. Vier Stichwunden wurden für tödtlich
erklärt. Winckelmann vernahm es schweigend und gefaßt; er beichtete
mit sterbender Stimme, empfing Abendmahl und letzte Oelung, und setzte
den Kardinal Albani zu seinem Haupterben ein. Nachmittags um vier
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ergriffen und auf dem Platze vor dem Gasthof, wo er die Blutthat
begangen, gerädert. Der unbekannte deutsche Gelehrte aber ward still
beerdigt; schon nach einigen Jahrzehnten war sein Grab nicht mehr
zu finden. Erst 1824 ward ihm zu Triest ein Denkmal errichtet; da-
gegen hat ihn seine Vaterstadt Stendal im Jahre 1859 geehrt durch
ein prächtiges Erzstandbild, ein Meisterwerk von Ludwig Wichmann.

Der Leser wird nun verstehen, wodurch Winckelmann seinen Platz
in der Vorhalle des Museums erworben hat. Durch seine Schriften,
vornehmlich durch seine Geschichte der Kunst des Alterthums, hat er
eine besondere Wissenschaft, die der Kunstgeschichte, erst geschaffen,
hat aufmerksam gemacht auf die wundervolle Schönheit der griechi-
schen Bildwerke, welche er mit feinstem Geschmack und dem tiefsten
Verständniß zu erklären wußte, und hat dadurch, obgleich er seine
besten Jahre in der Fremde verlebte, um die deutsche Wissenschaft das
größte Verdienst. So steht er würdig neben Schinkel, dem Erbauer
des edlen Gebäudes, und Rauch, dem großen Bildhauer, dessen kunst-
fertige Hand Berlin zu der Wiege und Prachtstätte deutscher Bildnerei
gemacht hat.

Winckelmann war von mittlerer Größe; er hatte eine bräunliche
Gesichtsfarbe, lebhafte schwarze Augen, rasche Bewegungen. Er lebte
einfach und mäßig als alter Junggeselle zu Rom, von Niemand ab-
hängig, eifersüchtig auf seine Freiheit, still und bescheiden im Verkehr,
aber seines Werthes bewußt und gewaltig losbrechend, wo er leerem
Dünkel begegnete. Er brauchte wenig, er verlangte nichts als die
Freiheit, seine vielgeliebten Alterthümer zu studiren, Erz= und Marmor-
werke, Gemälde, geschnittene Steine, und sie mit der ihm eigenen
umfassenden Gelehrsamkeit zu erklären. Er war katholisch geworden
und hatte sich so in Jtalien eingewurzelt, daß er, wo es anging,
italienisch sprach und alles Deutsche mehr oder weniger abscheulich
fand, und doch blieb er im Herzen Protestant und ein so guter
Deutscher, daß er einem Freunde 1759 schrieb: „Unter andern Din-
gen, für die ich Gott preise, ist auch dieses, daß ich ein Deutscher
und kein Franzos bin“, ja, er nennt die Franzosen, ohne Zweifel
wegen ihrer damaligen verwerflichen Kunstrichtung, die verachtungs-
würdigste Art zweifüßiger Kreaturen. Jm Uebrigen war er auf
Preußen nicht eben gut zu sprechen, denn er hatte in seinem Vater-
lande wenig Freundliches erfahren; aber das soll uns nicht hindern,
Winckelmann als einen weitberühmten edlen Sohn des Preußenlandes
hoch zu ehren und sein Andenken allezeit werth zu halten.



Ueber Geheimmittel.
Von
Dr. Kirschstein.

Zu den einträglichsten Geschäften, welche durch die Gunst des leicht-
gläubigen Publikums eine schwindelnde Höhe erreicht haben und
einen fast beispiellosen Gewinn abwerfen, gehört der Geheim-
mittelkram. Er eröffnet den Gründern einer solchen Firma,
welche unter dem Aushängeschild von „Wohlthätern der leidenden
Menschen“ mit dem höchsten Gut derselben, der Gesundheit, ein leicht-
fertiges und verbrecherisches Spiel treiben, in der Regel die sichere
Aussicht, ohne sonderliche Mühe und bei geringem Kapitalvermögen
in verhältnißmäßig kurzer Zeit reich zu werden. Kein Wunder, daß
unter solchen Auspizien die gewinnsüchtige Spekulation von vielen
Seiten her sich auf den Geheimmittelkram legt und die unberufensten
Menschen mit einer ans Unglaubliche grenzenden Frechheit sich diesem
lukrativen Geschäftszweige widmen. Heruntergekommene Buchhändler
erheben sich binnen Jahresfrist zu reichen Rittergutsbesitzern, Kauf-
leute, deren Konkurs kaum beendet, treten, ehe man es vermuthen
kann, als reiche Kapitalisten auf, überhaupt erwirbt derjenige, welcher
die Geheimmittel=Jndustrie richtig auszubeuten versteht, in kurzer Zeit
mehr Geld, als ein um= und vorsichtiger Kaufmann bei der größten
Vorsicht in seinen Spekulationen vielleicht sein ganzes Leben hindurch
zu erwerben im Stande ist. Daß auch Apotheker und Aerzte dieser
Kategorie angehören, bedauert gewiß Niemand mehr, als ich selbst. So
lebte, nach den Mittheilungen des Dr. Herrmann in Aschaffenburg *),
in Paris ein junger, talentvoller, mit hervorragenden Anlagen begabter
Arzt, der trotzdem keine lohnende Praxis finden konnte. Jm Ver-
trauen auf die Worte Zimmermanns: „Ein Charlatan, der mit
wunderbarlichen Mitteln prahlt, ist weit mehr gesucht, als ein
[Spaltenumbruch] Arzt, der die ebenen Wege der Natur geht“, etablirte er auf einem
der besuchtesten Plätze der Seinestadt ein Geheimmittelgeschäft, bot
unter den verlockendsten Anpreisungen drei Arzeneien, eine weiße aus
Regenwasser, eine rothe aus Wasser mit Himbeer=, eine blaue aus
Wasser mit Veilchensaft gefärbt, feil, pries in pomphaften Annoncen
die untrügliche und außergewöhnliche Wirksamkeit seiner Mixturen,
und verkaufte im Jnteresse der leidenden Menschheit, und damit auch
die Armen sich der Wohlthat seiner Panacee erfreuen könnten, die
Flasche zu dem billigen Preise von einem Franken. Sein ganz un-
schuldiges Gemisch fand aber so viele gläubige Käufer, daß seine
Waare stets vergriffen war, so daß er bald sein Schäfchen im Trocknen
hatte. Als ihn ein berühmter Arzt über sein unwürdiges Treiben zur
Rede stellte, sagte er: „Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Men-
schen, die täglich an diesem Platze vorübergehen?“ „Doch wohl 20,000“.
„Wie viel, glauben Sie, haben davon einen gesunden Sinn und ein
richtiges Urtheil?“ „Fünfhundert.“ „Sie irren sehr, die Zahl ist
viel zu hoch gegriffen“. „Nun denn, zweihundert.“ „Auch dies Ver-
hältniß ist noch viel zu groß“. „Dann sind es doch wohl hundert?“
„Nein, diese Zahl entspricht noch lange nicht der Wirklichkeit“. „Vielleicht
denn fünfzig.“ „Sie haben sie noch nicht errathen“. „Etwa zehn?“ „Dies
dürfte annähernd die richtige Zahl sein. Lassen Sie mich doch mit den
19,990 Dummen und Leichtgläubigen die einträgliche Komödie weiter
treiben, und beneiden Sie mich nicht um den Tribut, den jene mit
geschäftigem Eifer mir täglich zollen. Kennen Sie nicht das alte
Sprüchwort? Mundus vult decipi, ergo decipiatur.“

Diese Erzählung ist nach der Versicherung des Dr. Herrmann
kein Phantasiegebilde, sondern aus dem Leben gegriffen. Bei uns ist
es noch nicht vollkommen so arg, als in Frankreich und England;
allein wir sind auf dem besten Wege, auch in Betreff des Geheim-
mittel=Unfuges mit diesen beiden Ländern, die wir uns ja so gern zum
Vorbild nehmen, konkurriren zu können. Es dürfte vielleicht interessi-
ren, zu erfahren, daß in London sich Engros=Häuser mit nichts An-
derem, als mit dem Debit von Geheimmitteln beschäftigen. Ein
einziges Haus in London soll jährlich 300,000 Thaler für Reklamen
ausgeben, eine Summe, die der bekannte Berliner Bierbrauer noch nicht
erreicht*).

Auch in Deutschland hat das Geheimmittel=Unwesen riesige Fort-
schritte gemacht, und die Zeitungen, sowohl die der Metropolen als
auch die unbedeutendsten Lokalblätter, gleichviel ob sie konservativen
oder liberalen Jnteressen huldigen, öffnen bereitwilligst ihre Spalten
den Ankündigungen und Lobhudeleien der Geheimmittel=Jndustrie, als
ob es sich um die Verbreitung der höchsten Güter der Menschheit
handelte.

Nur die Augsburger Allgemeine Zeitung druckt keine Reklame ab,
der die Lüge handgreiflich auf der Stirn geschrieben steht**); in
Hannover durften Reklamen von Ausländern, die auf die Leichtgläu-
bigkeit des Publikums berechnet sind, in einheimischen Blättern nicht
abgedruckt werden, und in England sollen sich nach Krause***) 226
der gelesensten Journale dahin geeinigt haben, Jnserate über galante
Krankheiten nicht aufzunehmen.

Jch sagte, in Deutschland hätte der Geheimmittel=Unfug riesige
Fortschritte gemacht, und führe zum Beweise an, daß bis vor Kurzem
in der einen Stadt Braunschweig sechs Geheimmittelfabrikanten glän-
zende Geschäfte machten, von denen ich nur anführen will:

1 ) den Buchhändler Dr. philos. Carl Wilhelm August Müller,
Herausgeber des le Roi'schen Systems, weiland Ober=Sanitäts-
raths und Leibarztes des selig entschlafenen Kaisers von Utopien†);

2 ) den Handlanger, Helfershelfer und Annoncenschmied des Müller,
den Sachsen=Weimarschen Hofrath Dr. phil. Brinckmeier, alias
Hofrath Dr. Hummel††);

3 ) den ehemaligen Tabakshändler Louis Wundram, der seit seiner
Uebersiedelung nach Bückeburg auch als Professor in den Zeitun-
gen figurirt, und

4 ) den ehemaligen Barbier Kühne.

Diese Spekulanten verwertheten, gleich ihren Kollegen in an-
deren Städten, den Glauben, den schlichte Einfalt ihnen schenkt, zu
ihrem eigenen Vortheil und leerten und leeren gründlich die Taschen
derer, die sich durch deren prahlerische Annoncen zum Kauf ihrer
Mittel verleiten ließen und lassen.

Erwägt man, daß der Mehlhändler Barry du Barry, Besitzer der
noch immer der Entdeckung harrenden Revalenta=Staaten und Fa-
brikant der sogenannten Revalenta arabica, deren Verkauf bei uns
seit dem Juni 1855 verboten ist†††), in einem Jahre mehr als
[Ende Spaltensatz]

*) cf. Hygiea. 1861. No. 4.
*) Die sogenannten Geheimmittel von Dr. W. Krause.
**) Krause, Geheimmittel, pag. 15.
***) Ebendaselbst.
†) Hygiea, II. Jahrgang, pag. 171.
††) Hygiea, III. Jahrgang, pag. 14.
†††) Revalenta arabica des du Barry, ein großartiger Betrug , vom
Apotheker Frickhinger.
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[63/0007] 63 Anblick erschrocken davon. Erst nach langer Frist kam ein entschlossener Mann, der dem Aechzenden die Schlinge löste und ihn auf sein Zim- mer zurück führte. Endlich kamen Aerzte. Vier Stichwunden wurden für tödtlich erklärt. Winckelmann vernahm es schweigend und gefaßt; er beichtete mit sterbender Stimme, empfing Abendmahl und letzte Oelung, und setzte den Kardinal Albani zu seinem Haupterben ein. Nachmittags um vier Uhr starb er. Einige Tage nachher ward der flüchtige Mörder ergriffen und auf dem Platze vor dem Gasthof, wo er die Blutthat begangen, gerädert. Der unbekannte deutsche Gelehrte aber ward still beerdigt; schon nach einigen Jahrzehnten war sein Grab nicht mehr zu finden. Erst 1824 ward ihm zu Triest ein Denkmal errichtet; da- gegen hat ihn seine Vaterstadt Stendal im Jahre 1859 geehrt durch ein prächtiges Erzstandbild, ein Meisterwerk von Ludwig Wichmann. Der Leser wird nun verstehen, wodurch Winckelmann seinen Platz in der Vorhalle des Museums erworben hat. Durch seine Schriften, vornehmlich durch seine Geschichte der Kunst des Alterthums, hat er eine besondere Wissenschaft, die der Kunstgeschichte, erst geschaffen, hat aufmerksam gemacht auf die wundervolle Schönheit der griechi- schen Bildwerke, welche er mit feinstem Geschmack und dem tiefsten Verständniß zu erklären wußte, und hat dadurch, obgleich er seine besten Jahre in der Fremde verlebte, um die deutsche Wissenschaft das größte Verdienst. So steht er würdig neben Schinkel, dem Erbauer des edlen Gebäudes, und Rauch, dem großen Bildhauer, dessen kunst- fertige Hand Berlin zu der Wiege und Prachtstätte deutscher Bildnerei gemacht hat. Winckelmann war von mittlerer Größe; er hatte eine bräunliche Gesichtsfarbe, lebhafte schwarze Augen, rasche Bewegungen. Er lebte einfach und mäßig als alter Junggeselle zu Rom, von Niemand ab- hängig, eifersüchtig auf seine Freiheit, still und bescheiden im Verkehr, aber seines Werthes bewußt und gewaltig losbrechend, wo er leerem Dünkel begegnete. Er brauchte wenig, er verlangte nichts als die Freiheit, seine vielgeliebten Alterthümer zu studiren, Erz= und Marmor- werke, Gemälde, geschnittene Steine, und sie mit der ihm eigenen umfassenden Gelehrsamkeit zu erklären. Er war katholisch geworden und hatte sich so in Jtalien eingewurzelt, daß er, wo es anging, italienisch sprach und alles Deutsche mehr oder weniger abscheulich fand, und doch blieb er im Herzen Protestant und ein so guter Deutscher, daß er einem Freunde 1759 schrieb: „Unter andern Din- gen, für die ich Gott preise, ist auch dieses, daß ich ein Deutscher und kein Franzos bin“, ja, er nennt die Franzosen, ohne Zweifel wegen ihrer damaligen verwerflichen Kunstrichtung, die verachtungs- würdigste Art zweifüßiger Kreaturen. Jm Uebrigen war er auf Preußen nicht eben gut zu sprechen, denn er hatte in seinem Vater- lande wenig Freundliches erfahren; aber das soll uns nicht hindern, Winckelmann als einen weitberühmten edlen Sohn des Preußenlandes hoch zu ehren und sein Andenken allezeit werth zu halten. Ueber Geheimmittel. Von Dr. Kirschstein. Zu den einträglichsten Geschäften, welche durch die Gunst des leicht- gläubigen Publikums eine schwindelnde Höhe erreicht haben und einen fast beispiellosen Gewinn abwerfen, gehört der Geheim- mittelkram. Er eröffnet den Gründern einer solchen Firma, welche unter dem Aushängeschild von „Wohlthätern der leidenden Menschen“ mit dem höchsten Gut derselben, der Gesundheit, ein leicht- fertiges und verbrecherisches Spiel treiben, in der Regel die sichere Aussicht, ohne sonderliche Mühe und bei geringem Kapitalvermögen in verhältnißmäßig kurzer Zeit reich zu werden. Kein Wunder, daß unter solchen Auspizien die gewinnsüchtige Spekulation von vielen Seiten her sich auf den Geheimmittelkram legt und die unberufensten Menschen mit einer ans Unglaubliche grenzenden Frechheit sich diesem lukrativen Geschäftszweige widmen. Heruntergekommene Buchhändler erheben sich binnen Jahresfrist zu reichen Rittergutsbesitzern, Kauf- leute, deren Konkurs kaum beendet, treten, ehe man es vermuthen kann, als reiche Kapitalisten auf, überhaupt erwirbt derjenige, welcher die Geheimmittel=Jndustrie richtig auszubeuten versteht, in kurzer Zeit mehr Geld, als ein um= und vorsichtiger Kaufmann bei der größten Vorsicht in seinen Spekulationen vielleicht sein ganzes Leben hindurch zu erwerben im Stande ist. Daß auch Apotheker und Aerzte dieser Kategorie angehören, bedauert gewiß Niemand mehr, als ich selbst. So lebte, nach den Mittheilungen des Dr. Herrmann in Aschaffenburg *), in Paris ein junger, talentvoller, mit hervorragenden Anlagen begabter Arzt, der trotzdem keine lohnende Praxis finden konnte. Jm Ver- trauen auf die Worte Zimmermanns: „Ein Charlatan, der mit wunderbarlichen Mitteln prahlt, ist weit mehr gesucht, als ein Arzt, der die ebenen Wege der Natur geht“, etablirte er auf einem der besuchtesten Plätze der Seinestadt ein Geheimmittelgeschäft, bot unter den verlockendsten Anpreisungen drei Arzeneien, eine weiße aus Regenwasser, eine rothe aus Wasser mit Himbeer=, eine blaue aus Wasser mit Veilchensaft gefärbt, feil, pries in pomphaften Annoncen die untrügliche und außergewöhnliche Wirksamkeit seiner Mixturen, und verkaufte im Jnteresse der leidenden Menschheit, und damit auch die Armen sich der Wohlthat seiner Panacee erfreuen könnten, die Flasche zu dem billigen Preise von einem Franken. Sein ganz un- schuldiges Gemisch fand aber so viele gläubige Käufer, daß seine Waare stets vergriffen war, so daß er bald sein Schäfchen im Trocknen hatte. Als ihn ein berühmter Arzt über sein unwürdiges Treiben zur Rede stellte, sagte er: „Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Men- schen, die täglich an diesem Platze vorübergehen?“ „Doch wohl 20,000“. „Wie viel, glauben Sie, haben davon einen gesunden Sinn und ein richtiges Urtheil?“ „Fünfhundert.“ „Sie irren sehr, die Zahl ist viel zu hoch gegriffen“. „Nun denn, zweihundert.“ „Auch dies Ver- hältniß ist noch viel zu groß“. „Dann sind es doch wohl hundert?“ „Nein, diese Zahl entspricht noch lange nicht der Wirklichkeit“. „Vielleicht denn fünfzig.“ „Sie haben sie noch nicht errathen“. „Etwa zehn?“ „Dies dürfte annähernd die richtige Zahl sein. Lassen Sie mich doch mit den 19,990 Dummen und Leichtgläubigen die einträgliche Komödie weiter treiben, und beneiden Sie mich nicht um den Tribut, den jene mit geschäftigem Eifer mir täglich zollen. Kennen Sie nicht das alte Sprüchwort? Mundus vult decipi, ergo decipiatur.“ Diese Erzählung ist nach der Versicherung des Dr. Herrmann kein Phantasiegebilde, sondern aus dem Leben gegriffen. Bei uns ist es noch nicht vollkommen so arg, als in Frankreich und England; allein wir sind auf dem besten Wege, auch in Betreff des Geheim- mittel=Unfuges mit diesen beiden Ländern, die wir uns ja so gern zum Vorbild nehmen, konkurriren zu können. Es dürfte vielleicht interessi- ren, zu erfahren, daß in London sich Engros=Häuser mit nichts An- derem, als mit dem Debit von Geheimmitteln beschäftigen. Ein einziges Haus in London soll jährlich 300,000 Thaler für Reklamen ausgeben, eine Summe, die der bekannte Berliner Bierbrauer noch nicht erreicht *). Auch in Deutschland hat das Geheimmittel=Unwesen riesige Fort- schritte gemacht, und die Zeitungen, sowohl die der Metropolen als auch die unbedeutendsten Lokalblätter, gleichviel ob sie konservativen oder liberalen Jnteressen huldigen, öffnen bereitwilligst ihre Spalten den Ankündigungen und Lobhudeleien der Geheimmittel=Jndustrie, als ob es sich um die Verbreitung der höchsten Güter der Menschheit handelte. Nur die Augsburger Allgemeine Zeitung druckt keine Reklame ab, der die Lüge handgreiflich auf der Stirn geschrieben steht **); in Hannover durften Reklamen von Ausländern, die auf die Leichtgläu- bigkeit des Publikums berechnet sind, in einheimischen Blättern nicht abgedruckt werden, und in England sollen sich nach Krause ***) 226 der gelesensten Journale dahin geeinigt haben, Jnserate über galante Krankheiten nicht aufzunehmen. Jch sagte, in Deutschland hätte der Geheimmittel=Unfug riesige Fortschritte gemacht, und führe zum Beweise an, daß bis vor Kurzem in der einen Stadt Braunschweig sechs Geheimmittelfabrikanten glän- zende Geschäfte machten, von denen ich nur anführen will: 1 ) den Buchhändler Dr. philos. Carl Wilhelm August Müller, Herausgeber des le Roi'schen Systems, weiland Ober=Sanitäts- raths und Leibarztes des selig entschlafenen Kaisers von Utopien †); 2 ) den Handlanger, Helfershelfer und Annoncenschmied des Müller, den Sachsen=Weimarschen Hofrath Dr. phil. Brinckmeier, alias Hofrath Dr. Hummel ††); 3 ) den ehemaligen Tabakshändler Louis Wundram, der seit seiner Uebersiedelung nach Bückeburg auch als Professor in den Zeitun- gen figurirt, und 4 ) den ehemaligen Barbier Kühne. Diese Spekulanten verwertheten, gleich ihren Kollegen in an- deren Städten, den Glauben, den schlichte Einfalt ihnen schenkt, zu ihrem eigenen Vortheil und leerten und leeren gründlich die Taschen derer, die sich durch deren prahlerische Annoncen zum Kauf ihrer Mittel verleiten ließen und lassen. Erwägt man, daß der Mehlhändler Barry du Barry, Besitzer der noch immer der Entdeckung harrenden Revalenta=Staaten und Fa- brikant der sogenannten Revalenta arabica, deren Verkauf bei uns seit dem Juni 1855 verboten ist †††), in einem Jahre mehr als *) cf. Hygiea. 1861. No. 4. *) Die sogenannten Geheimmittel von Dr. W. Krause. **) Krause, Geheimmittel, pag. 15. ***) Ebendaselbst. †) Hygiea, II. Jahrgang, pag. 171. ††) Hygiea, III. Jahrgang, pag. 14. †††) Revalenta arabica des du Barry, ein großartiger Betrug , vom Apotheker Frickhinger.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt08_1868/7>, abgerufen am 17.06.2024.