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Sonntags-Blatt. Nr. 15. Berlin, 12. April 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

Keiner sagte das, und dennoch fühlten die beiden so eng ver-
bundenen Herzen dasselbe. Noch immer schwiegen sie. Sanft fing
der Abendwind an in den Blätterkronen zu säuseln, ganz leise sang
ein Vögelchen sein Schlummerlied, und wie gestern so feurig und
gluthroth neigte die Sonne sich dem Untergange zu, Alles mit ihren
goldigen Strahlen verklärend. Gerade so war es am vorigen Abend
gewesen, als sie einander ihre Liebe gestanden, und in dem verglim-
menden Abendroth, mit den vollen seligen Herzen, Hand in Hand
durch den Wald geschritten waren, für immer vereint, in Glück und
Leid, bis der Tod sie scheide, wie sie damals so zuversichtlich glaubten!

Und nun? Ein Tag lag dazwischen, und ihre erhoffte Glückselig-
keit war auf ewig zertrümmert. Der Gedanke war kaum auszudenken,
er war zu überwältigend.

"Gestern -- ach, gestern um diese Zeit!" mehr vermochte das
arme Mädchen nicht zu sagen. Thränen erstickten ihre Stimme.

Doch es lag genug in den wenigen Worten, ein herzerschütternder
Jammer sprach daraus.

Mit einer wilden Hast, beide Hände auf sein Herz pressend, stürzte
Ewald von dannen.

Der Mond war schon am Himmel heraufgezogen, als Gertrud
noch immer, den Kopf in die verschlungenen Arme gelegt, in der
Laube saß und still weinte. Als sie die Stimme des Vaters sie rufen
hörte, stand sie auf und eilte zu ihm ins Haus und bat ihn um Ver-
zeihung, daß sie ihre Pflicht versäumt und ihm den Abendimbiß nicht
gereicht, den sie Sonntags allein einnahmen. Solche Vergeßlichkeit
solle nicht wieder vorkommen.

Wie sanft der alte Gottfried über den blonden Scheitel seines
Kindes dahinstrich. Welche Liebesfülle in seinen guten treuen Augen
lag, mit denen er sie still anblickte! Wie er so gern das eigene Herz-
blut gegeben, das schwere Kreuz von seinem Liebling zu nehmen!



Jndessen ging in den beiden Wirthschaften alles seinen gewöhn-
lichen regelmäßigen Gang. Keine der Obliegenheiten wurde ver-
absäumt, weder von Ewald noch Gertrud, und gewiß ist, daß die
beiden so tief Gebeugten in der Arbeit noch das beste Gegengewicht
gegen den nagenden Schmerz fanden, der zuweilen schier in Ver-
zweiflung auflodern wollte.

Es war keine Familienfehde zwischen den Verwandten aus-
gebrochen; die Brüder kamen zu einander, wenn auch vielleicht seltener
als sonst, standen aber immer in freundlichem Verkehr. Jenes Ge-
spräches ward nie wieder Erwähnung gethan; doch zu einer harm-
losen, gemüthlichen Unterhaltung wie früher wollte es auch nicht
kommen, besonders schien sich der alte Kilian in Gertruds Gegenwart
unbehaglich zu fühlen, und trotzdem ging sie auf den Wunsch des
Vaters zuweilen, wie sonst, mit nach dem Ulmenhofe -- war sie doch
leider sicher, Ewald fast niemals anzutreffen, oder wenn es geschah,
so blieb er nie lange in der Stube. Nachdem er aus einer Ecke des
Zimmers nach ihr hingeschaut hatte, daß sie die Blicke fühlte, ohne
ihn anzusehen, eilte er gewöhnlich unter irgend einem Vorwand oder
auch ohne einen solchen von dannen.

Seit jenem Abend hatten die beiden jungen Leute, außer dem
üblichen Tagesgruß, kaum ein Wort mit einander gewechselt, und
dieses sichtliche Meiden that dem armen Mädchen besonders weh; sie
wußte damals noch nicht, wie in diesem Fernhalten sich gerade die
höchste Liebe des Mannes kund that.

Ohne daß die Betheiligten darüber sprachen, konnten die veränderten
Verhältnisse den Nachbarn und Dorfbewohnern doch nicht verborgen
bleiben. Gertrud und Ewald, die man sonst immer zusammen ge-
sehen, jetzt nie mehr bei einander; sie, welche die Anführer und Haupt-
personen bei all' den hübschen Lustbarkeiten der Dorfjugend gewesen,
kamen nun gar nicht mehr unter die Linde oder in die Schänke, und
selbst dem Wesen der Knechte und Mägde vom Ulmenhof und Rosen-
busch hatte sich etwas von der dumpfen, gedrückten Stimmung mit-
getheilt, welche über den beiden Häusern lag.

Ein solches Ereigniß in den zwei reichsten und angesehensten Fa-
milien des Dorfes erregte natürlich die allgemeine Aufmerksamkeit.
Stimmen für und wider wurden laut; der Eine schalt auf den Starr-
sinn des alten Kilian, der die beiden schmucken Kinder so elend zu
machen drohte; Andere, welche vielleicht den Ewald sich als Eidam
gewünscht oder die hübsche Gertrud selbst gern heimgeführt hätten,
meinten, der Ulmenhofer habe ganz Recht, es sei genug mit dem
steten Heirathen von Evangelischen und Katholiken, es habe sich in
letzter Zeit mehrfach gezeigt, daß solche gemischte Ehen nicht gut aus-
gefallen. Wieder Andere fanden plötzlich heraus, die Katholischen,
wenn man auch sonst nichts gegen sie einwenden wolle, thäten sich
mit einem Male gewaltig hervor, rängen wohl gar nach der Ober-
herrschaft im Dorfe; man sprach schon davon, sie wollten eine Kapelle
erbauen, um nicht länger nach der nahen Stadt zur Messe zu gehen.
Es sei denn doch an der Zeit, die Augen offen zu haben, die Sache
[Spaltenumbruch] nicht zu leicht zu nehmen, und der reiche Kilian Lembrecht sei gerade
der Mann dazu, dem Pfarrer als Stütze seiner Kirche zur Seite
zu stehen. Es sei traurig für Gertrud und Ewald; darin stimmten
Alle überein, denn Beide erfreuten sich großer Liebe im Dorfe; aber
einen Ausweg gäbe es nicht für sie, da der Ulmenhofer einmal sein
Wort verpfändet.

Auf den Gedanken, Gertrud könne ihren Glauben abschwören,
kam nicht Einer; war einem Jeden doch seine Religion zu heilig,
um sie zu wechseln wie ein Kleid. Ja, wenn das junge Mädchen
auf ein solches Ansinnen, welches ihr indessen gar nicht gestellt
wurde, eingegangen wäre, wahrscheinlich, daß der alte Kilian dann
seine Einwilligung zur Heirath ebenso verweigert hätte mit dem Aus-
spruch, wer so wetterwendisch sei in ernsten, heiligen Dingen, dem sei
in Nichts zu trauen, und jetzt erst habe sie gar keine Religion.
Aber es sprach Niemand davon, und so sehr Gertrud litt unter dem
schweren Kreuz, welches man ihr auferlegt: es um diesen Preis von
sich zu werfen und ihr Weh in Glück zu verwandeln, das hätte sie
nie vermocht. War sie auch nicht bigott und nicht unduldsam, so
war sie doch eine gute Katholikin, die fest an ihrem Glauben hing,
und es stand als die feierlichste Stunde ihres Lebens vor ihrer Er-
innerung, da sie als kleines Kind ihrer sterbenden Mutter in die
Hand geloben mußte, auch dort in dem fremden Lande, bei den Ver-
wandten, die sie aufnehmen würden, der Religion ihrer Aeltern treu
zu bleiben, worauf der alte Priester die Mutter und sie segnete und
Alles so ernst und feierlich war in dem kleinen Stübchen, durch
welches der Weihrauch duftete.

Es gab also keine Abhülfe, keinen Ausweg, das wußten Ewald
und Gertrud, dahin waren die Dorfbewohner nun auch gekommen.
Aber wie viel die Leute unter sich über die Sache debattirten, zu den
davon betroffenen Personen sprach Keiner darüber, es wagte sich Nie-
mand heran, seine Meinung kund zu thun; denn ein alter Bauer der
Gegenpartei hatte sich in seiner Stellung als Pathe von Ewald be-
wogen gefühlt, dem alten Ulmenhofer einmal den Kopf zurecht zu
rücken, war aber dabei so gewaltig angesaust worden, daß er Jedem
rieth, mit dem alten Eisenfresser nicht anzubinden. Und dem Pfarrer,
der es auch versucht mit Ewald zu sprechen, ihn zu ermahnen, dem
Vater zu Willen zu leben, war es nicht viel besser ergangen. Wenn
auch in den Schranken der Höflichkeit sich haltend, so hatte der junge
Mann doch trotzig und bitter geantwortet, er habe stets gemeint, es
sei eines Predigers Aufgabe, nicht zu trennen, sondern zu vereinigen,
Segen und nicht Zwietracht in die Familien zu streuen. Jn seiner
Verbindung mit der Base wäre nichts, was wider Gottes Gebote
verstoße; es sei eitel Menschenwerk und Klügelei, was man dagegen
erheben und einreden wolle.

Wär' es der alte ehrwürdige Pfarrer gewesen, der Ewald einst
confirmirt, würde der junge Mann sich schwerlich unterfangen haben,
so zu reden, eben so gewiß hätte dieser auch wohl nicht hemmend in
sein Glück eingegriffen.

Nächst den beiden jungen Leuten schien der alte Ulmenhofer am
meisten zu leiden, oder, wenn nicht zu leiden, so schien er sich doch
gar nicht mehr so behaglich wie sonst im Leben zu fühlen. Er war
unwirsch und bissig, wie man ihn selten so andauernd gesehen, zankte
hier und dort um geringfügige Dinge, und seine sanfte Frau mußte
am meisten aushalten. An den Sohn wagte er sich am wenigsten
heran, den umging er mit einer gewissen Scheu. Ewald gab ihm
auch keinen Anlaß zum Zürnen; thätiger und ruhiger noch als sonst,
arbeitete er mit einer Art grimmiger Hast, als könne er nicht genug
schaffen, als sei das noch sein einziges Lebensziel. Ueber den Hof und
die Wirthschaft sprach er mit dem Vater ganz in der früheren Weise,
sonst aber ging er stumm und düster daher, und wer den alten Bauer
beobachtet, hätte bemerken können, wie seine Augen zuweilen forschend
und dann wieder mit einem trüben Ausdruck an dem Sohn hingen.
Daß aber des alten Kilian Sinn sich gewendet, ja daß ihm nur der
Gedanke gekommen wäre, er könne Unrecht haben, durfte Niemand
erwarten. Jm Gegentheil, er hatte sich noch eine Mauer aufgebaut,
damit nur ja kein Nachgeben möglich, indem er einem seiner Mündel
zur Heirath mit einem Katholiken seine Einwilligung rundweg ver-
weigert, und was er einem Andern nicht gestattet, konnte er doch un-
möglich dem eigenen Sohne nachsehen, so etwas vermochte wohl Nie-
mand von einem gerechten Manne zu verlangen. Freilich ließ der
Kilian dabei außer Acht, daß die Marie=Liese sich sehr schnell ge-
tröstet und statt des ersten Erwählten [unleserliches Material - 4 Zeichen fehlen]sich nach vierzehn Tagen einem
Andern verlobt hatte, wobei Jener ganz lustig auf dem Schmause
beim Angelöbniß mit der Braut tanzte, und daß Ewald und Gertrud
dem Anscheine nach niemals ihre gescheiterten Hoffnungen überwinden,
nie über ihr zerstörtes Glück sich trösten würden. Aber daran wollte der
alte Bauer durchaus nicht glauben, er war fest überzeugt, nachdem
Ewald ausgetrotzt und eingesehen, es könne mit ihm und Gertrud
nichts sein, werde er Vernunft annehmen und eine Andere freien. Wie
ein Mann die Liebe und Treue so weit zu treiben vermöge, nie zu
heirathen, wenn er das eine Mädchen, auf welches er seinen Kopf
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Keiner sagte das, und dennoch fühlten die beiden so eng ver-
bundenen Herzen dasselbe. Noch immer schwiegen sie. Sanft fing
der Abendwind an in den Blätterkronen zu säuseln, ganz leise sang
ein Vögelchen sein Schlummerlied, und wie gestern so feurig und
gluthroth neigte die Sonne sich dem Untergange zu, Alles mit ihren
goldigen Strahlen verklärend. Gerade so war es am vorigen Abend
gewesen, als sie einander ihre Liebe gestanden, und in dem verglim-
menden Abendroth, mit den vollen seligen Herzen, Hand in Hand
durch den Wald geschritten waren, für immer vereint, in Glück und
Leid, bis der Tod sie scheide, wie sie damals so zuversichtlich glaubten!

Und nun? Ein Tag lag dazwischen, und ihre erhoffte Glückselig-
keit war auf ewig zertrümmert. Der Gedanke war kaum auszudenken,
er war zu überwältigend.

„Gestern — ach, gestern um diese Zeit!“ mehr vermochte das
arme Mädchen nicht zu sagen. Thränen erstickten ihre Stimme.

Doch es lag genug in den wenigen Worten, ein herzerschütternder
Jammer sprach daraus.

Mit einer wilden Hast, beide Hände auf sein Herz pressend, stürzte
Ewald von dannen.

Der Mond war schon am Himmel heraufgezogen, als Gertrud
noch immer, den Kopf in die verschlungenen Arme gelegt, in der
Laube saß und still weinte. Als sie die Stimme des Vaters sie rufen
hörte, stand sie auf und eilte zu ihm ins Haus und bat ihn um Ver-
zeihung, daß sie ihre Pflicht versäumt und ihm den Abendimbiß nicht
gereicht, den sie Sonntags allein einnahmen. Solche Vergeßlichkeit
solle nicht wieder vorkommen.

Wie sanft der alte Gottfried über den blonden Scheitel seines
Kindes dahinstrich. Welche Liebesfülle in seinen guten treuen Augen
lag, mit denen er sie still anblickte! Wie er so gern das eigene Herz-
blut gegeben, das schwere Kreuz von seinem Liebling zu nehmen!



Jndessen ging in den beiden Wirthschaften alles seinen gewöhn-
lichen regelmäßigen Gang. Keine der Obliegenheiten wurde ver-
absäumt, weder von Ewald noch Gertrud, und gewiß ist, daß die
beiden so tief Gebeugten in der Arbeit noch das beste Gegengewicht
gegen den nagenden Schmerz fanden, der zuweilen schier in Ver-
zweiflung auflodern wollte.

Es war keine Familienfehde zwischen den Verwandten aus-
gebrochen; die Brüder kamen zu einander, wenn auch vielleicht seltener
als sonst, standen aber immer in freundlichem Verkehr. Jenes Ge-
spräches ward nie wieder Erwähnung gethan; doch zu einer harm-
losen, gemüthlichen Unterhaltung wie früher wollte es auch nicht
kommen, besonders schien sich der alte Kilian in Gertruds Gegenwart
unbehaglich zu fühlen, und trotzdem ging sie auf den Wunsch des
Vaters zuweilen, wie sonst, mit nach dem Ulmenhofe — war sie doch
leider sicher, Ewald fast niemals anzutreffen, oder wenn es geschah,
so blieb er nie lange in der Stube. Nachdem er aus einer Ecke des
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ihn anzusehen, eilte er gewöhnlich unter irgend einem Vorwand oder
auch ohne einen solchen von dannen.

Seit jenem Abend hatten die beiden jungen Leute, außer dem
üblichen Tagesgruß, kaum ein Wort mit einander gewechselt, und
dieses sichtliche Meiden that dem armen Mädchen besonders weh; sie
wußte damals noch nicht, wie in diesem Fernhalten sich gerade die
höchste Liebe des Mannes kund that.

Ohne daß die Betheiligten darüber sprachen, konnten die veränderten
Verhältnisse den Nachbarn und Dorfbewohnern doch nicht verborgen
bleiben. Gertrud und Ewald, die man sonst immer zusammen ge-
sehen, jetzt nie mehr bei einander; sie, welche die Anführer und Haupt-
personen bei all' den hübschen Lustbarkeiten der Dorfjugend gewesen,
kamen nun gar nicht mehr unter die Linde oder in die Schänke, und
selbst dem Wesen der Knechte und Mägde vom Ulmenhof und Rosen-
busch hatte sich etwas von der dumpfen, gedrückten Stimmung mit-
getheilt, welche über den beiden Häusern lag.

Ein solches Ereigniß in den zwei reichsten und angesehensten Fa-
milien des Dorfes erregte natürlich die allgemeine Aufmerksamkeit.
Stimmen für und wider wurden laut; der Eine schalt auf den Starr-
sinn des alten Kilian, der die beiden schmucken Kinder so elend zu
machen drohte; Andere, welche vielleicht den Ewald sich als Eidam
gewünscht oder die hübsche Gertrud selbst gern heimgeführt hätten,
meinten, der Ulmenhofer habe ganz Recht, es sei genug mit dem
steten Heirathen von Evangelischen und Katholiken, es habe sich in
letzter Zeit mehrfach gezeigt, daß solche gemischte Ehen nicht gut aus-
gefallen. Wieder Andere fanden plötzlich heraus, die Katholischen,
wenn man auch sonst nichts gegen sie einwenden wolle, thäten sich
mit einem Male gewaltig hervor, rängen wohl gar nach der Ober-
herrschaft im Dorfe; man sprach schon davon, sie wollten eine Kapelle
erbauen, um nicht länger nach der nahen Stadt zur Messe zu gehen.
Es sei denn doch an der Zeit, die Augen offen zu haben, die Sache
[Spaltenumbruch] nicht zu leicht zu nehmen, und der reiche Kilian Lembrecht sei gerade
der Mann dazu, dem Pfarrer als Stütze seiner Kirche zur Seite
zu stehen. Es sei traurig für Gertrud und Ewald; darin stimmten
Alle überein, denn Beide erfreuten sich großer Liebe im Dorfe; aber
einen Ausweg gäbe es nicht für sie, da der Ulmenhofer einmal sein
Wort verpfändet.

Auf den Gedanken, Gertrud könne ihren Glauben abschwören,
kam nicht Einer; war einem Jeden doch seine Religion zu heilig,
um sie zu wechseln wie ein Kleid. Ja, wenn das junge Mädchen
auf ein solches Ansinnen, welches ihr indessen gar nicht gestellt
wurde, eingegangen wäre, wahrscheinlich, daß der alte Kilian dann
seine Einwilligung zur Heirath ebenso verweigert hätte mit dem Aus-
spruch, wer so wetterwendisch sei in ernsten, heiligen Dingen, dem sei
in Nichts zu trauen, und jetzt erst habe sie gar keine Religion.
Aber es sprach Niemand davon, und so sehr Gertrud litt unter dem
schweren Kreuz, welches man ihr auferlegt: es um diesen Preis von
sich zu werfen und ihr Weh in Glück zu verwandeln, das hätte sie
nie vermocht. War sie auch nicht bigott und nicht unduldsam, so
war sie doch eine gute Katholikin, die fest an ihrem Glauben hing,
und es stand als die feierlichste Stunde ihres Lebens vor ihrer Er-
innerung, da sie als kleines Kind ihrer sterbenden Mutter in die
Hand geloben mußte, auch dort in dem fremden Lande, bei den Ver-
wandten, die sie aufnehmen würden, der Religion ihrer Aeltern treu
zu bleiben, worauf der alte Priester die Mutter und sie segnete und
Alles so ernst und feierlich war in dem kleinen Stübchen, durch
welches der Weihrauch duftete.

Es gab also keine Abhülfe, keinen Ausweg, das wußten Ewald
und Gertrud, dahin waren die Dorfbewohner nun auch gekommen.
Aber wie viel die Leute unter sich über die Sache debattirten, zu den
davon betroffenen Personen sprach Keiner darüber, es wagte sich Nie-
mand heran, seine Meinung kund zu thun; denn ein alter Bauer der
Gegenpartei hatte sich in seiner Stellung als Pathe von Ewald be-
wogen gefühlt, dem alten Ulmenhofer einmal den Kopf zurecht zu
rücken, war aber dabei so gewaltig angesaust worden, daß er Jedem
rieth, mit dem alten Eisenfresser nicht anzubinden. Und dem Pfarrer,
der es auch versucht mit Ewald zu sprechen, ihn zu ermahnen, dem
Vater zu Willen zu leben, war es nicht viel besser ergangen. Wenn
auch in den Schranken der Höflichkeit sich haltend, so hatte der junge
Mann doch trotzig und bitter geantwortet, er habe stets gemeint, es
sei eines Predigers Aufgabe, nicht zu trennen, sondern zu vereinigen,
Segen und nicht Zwietracht in die Familien zu streuen. Jn seiner
Verbindung mit der Base wäre nichts, was wider Gottes Gebote
verstoße; es sei eitel Menschenwerk und Klügelei, was man dagegen
erheben und einreden wolle.

Wär' es der alte ehrwürdige Pfarrer gewesen, der Ewald einst
confirmirt, würde der junge Mann sich schwerlich unterfangen haben,
so zu reden, eben so gewiß hätte dieser auch wohl nicht hemmend in
sein Glück eingegriffen.

Nächst den beiden jungen Leuten schien der alte Ulmenhofer am
meisten zu leiden, oder, wenn nicht zu leiden, so schien er sich doch
gar nicht mehr so behaglich wie sonst im Leben zu fühlen. Er war
unwirsch und bissig, wie man ihn selten so andauernd gesehen, zankte
hier und dort um geringfügige Dinge, und seine sanfte Frau mußte
am meisten aushalten. An den Sohn wagte er sich am wenigsten
heran, den umging er mit einer gewissen Scheu. Ewald gab ihm
auch keinen Anlaß zum Zürnen; thätiger und ruhiger noch als sonst,
arbeitete er mit einer Art grimmiger Hast, als könne er nicht genug
schaffen, als sei das noch sein einziges Lebensziel. Ueber den Hof und
die Wirthschaft sprach er mit dem Vater ganz in der früheren Weise,
sonst aber ging er stumm und düster daher, und wer den alten Bauer
beobachtet, hätte bemerken können, wie seine Augen zuweilen forschend
und dann wieder mit einem trüben Ausdruck an dem Sohn hingen.
Daß aber des alten Kilian Sinn sich gewendet, ja daß ihm nur der
Gedanke gekommen wäre, er könne Unrecht haben, durfte Niemand
erwarten. Jm Gegentheil, er hatte sich noch eine Mauer aufgebaut,
damit nur ja kein Nachgeben möglich, indem er einem seiner Mündel
zur Heirath mit einem Katholiken seine Einwilligung rundweg ver-
weigert, und was er einem Andern nicht gestattet, konnte er doch un-
möglich dem eigenen Sohne nachsehen, so etwas vermochte wohl Nie-
mand von einem gerechten Manne zu verlangen. Freilich ließ der
Kilian dabei außer Acht, daß die Marie=Liese sich sehr schnell ge-
tröstet und statt des ersten Erwählten [unleserliches Material – 4 Zeichen fehlen]sich nach vierzehn Tagen einem
Andern verlobt hatte, wobei Jener ganz lustig auf dem Schmause
beim Angelöbniß mit der Braut tanzte, und daß Ewald und Gertrud
dem Anscheine nach niemals ihre gescheiterten Hoffnungen überwinden,
nie über ihr zerstörtes Glück sich trösten würden. Aber daran wollte der
alte Bauer durchaus nicht glauben, er war fest überzeugt, nachdem
Ewald ausgetrotzt und eingesehen, es könne mit ihm und Gertrud
nichts sein, werde er Vernunft annehmen und eine Andere freien. Wie
ein Mann die Liebe und Treue so weit zu treiben vermöge, nie zu
heirathen, wenn er das eine Mädchen, auf welches er seinen Kopf
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[115/0003] 115 Keiner sagte das, und dennoch fühlten die beiden so eng ver- bundenen Herzen dasselbe. Noch immer schwiegen sie. Sanft fing der Abendwind an in den Blätterkronen zu säuseln, ganz leise sang ein Vögelchen sein Schlummerlied, und wie gestern so feurig und gluthroth neigte die Sonne sich dem Untergange zu, Alles mit ihren goldigen Strahlen verklärend. Gerade so war es am vorigen Abend gewesen, als sie einander ihre Liebe gestanden, und in dem verglim- menden Abendroth, mit den vollen seligen Herzen, Hand in Hand durch den Wald geschritten waren, für immer vereint, in Glück und Leid, bis der Tod sie scheide, wie sie damals so zuversichtlich glaubten! Und nun? Ein Tag lag dazwischen, und ihre erhoffte Glückselig- keit war auf ewig zertrümmert. Der Gedanke war kaum auszudenken, er war zu überwältigend. „Gestern — ach, gestern um diese Zeit!“ mehr vermochte das arme Mädchen nicht zu sagen. Thränen erstickten ihre Stimme. Doch es lag genug in den wenigen Worten, ein herzerschütternder Jammer sprach daraus. Mit einer wilden Hast, beide Hände auf sein Herz pressend, stürzte Ewald von dannen. Der Mond war schon am Himmel heraufgezogen, als Gertrud noch immer, den Kopf in die verschlungenen Arme gelegt, in der Laube saß und still weinte. Als sie die Stimme des Vaters sie rufen hörte, stand sie auf und eilte zu ihm ins Haus und bat ihn um Ver- zeihung, daß sie ihre Pflicht versäumt und ihm den Abendimbiß nicht gereicht, den sie Sonntags allein einnahmen. Solche Vergeßlichkeit solle nicht wieder vorkommen. Wie sanft der alte Gottfried über den blonden Scheitel seines Kindes dahinstrich. Welche Liebesfülle in seinen guten treuen Augen lag, mit denen er sie still anblickte! Wie er so gern das eigene Herz- blut gegeben, das schwere Kreuz von seinem Liebling zu nehmen! Jndessen ging in den beiden Wirthschaften alles seinen gewöhn- lichen regelmäßigen Gang. Keine der Obliegenheiten wurde ver- absäumt, weder von Ewald noch Gertrud, und gewiß ist, daß die beiden so tief Gebeugten in der Arbeit noch das beste Gegengewicht gegen den nagenden Schmerz fanden, der zuweilen schier in Ver- zweiflung auflodern wollte. Es war keine Familienfehde zwischen den Verwandten aus- gebrochen; die Brüder kamen zu einander, wenn auch vielleicht seltener als sonst, standen aber immer in freundlichem Verkehr. Jenes Ge- spräches ward nie wieder Erwähnung gethan; doch zu einer harm- losen, gemüthlichen Unterhaltung wie früher wollte es auch nicht kommen, besonders schien sich der alte Kilian in Gertruds Gegenwart unbehaglich zu fühlen, und trotzdem ging sie auf den Wunsch des Vaters zuweilen, wie sonst, mit nach dem Ulmenhofe — war sie doch leider sicher, Ewald fast niemals anzutreffen, oder wenn es geschah, so blieb er nie lange in der Stube. Nachdem er aus einer Ecke des Zimmers nach ihr hingeschaut hatte, daß sie die Blicke fühlte, ohne ihn anzusehen, eilte er gewöhnlich unter irgend einem Vorwand oder auch ohne einen solchen von dannen. Seit jenem Abend hatten die beiden jungen Leute, außer dem üblichen Tagesgruß, kaum ein Wort mit einander gewechselt, und dieses sichtliche Meiden that dem armen Mädchen besonders weh; sie wußte damals noch nicht, wie in diesem Fernhalten sich gerade die höchste Liebe des Mannes kund that. Ohne daß die Betheiligten darüber sprachen, konnten die veränderten Verhältnisse den Nachbarn und Dorfbewohnern doch nicht verborgen bleiben. Gertrud und Ewald, die man sonst immer zusammen ge- sehen, jetzt nie mehr bei einander; sie, welche die Anführer und Haupt- personen bei all' den hübschen Lustbarkeiten der Dorfjugend gewesen, kamen nun gar nicht mehr unter die Linde oder in die Schänke, und selbst dem Wesen der Knechte und Mägde vom Ulmenhof und Rosen- busch hatte sich etwas von der dumpfen, gedrückten Stimmung mit- getheilt, welche über den beiden Häusern lag. Ein solches Ereigniß in den zwei reichsten und angesehensten Fa- milien des Dorfes erregte natürlich die allgemeine Aufmerksamkeit. Stimmen für und wider wurden laut; der Eine schalt auf den Starr- sinn des alten Kilian, der die beiden schmucken Kinder so elend zu machen drohte; Andere, welche vielleicht den Ewald sich als Eidam gewünscht oder die hübsche Gertrud selbst gern heimgeführt hätten, meinten, der Ulmenhofer habe ganz Recht, es sei genug mit dem steten Heirathen von Evangelischen und Katholiken, es habe sich in letzter Zeit mehrfach gezeigt, daß solche gemischte Ehen nicht gut aus- gefallen. Wieder Andere fanden plötzlich heraus, die Katholischen, wenn man auch sonst nichts gegen sie einwenden wolle, thäten sich mit einem Male gewaltig hervor, rängen wohl gar nach der Ober- herrschaft im Dorfe; man sprach schon davon, sie wollten eine Kapelle erbauen, um nicht länger nach der nahen Stadt zur Messe zu gehen. Es sei denn doch an der Zeit, die Augen offen zu haben, die Sache nicht zu leicht zu nehmen, und der reiche Kilian Lembrecht sei gerade der Mann dazu, dem Pfarrer als Stütze seiner Kirche zur Seite zu stehen. Es sei traurig für Gertrud und Ewald; darin stimmten Alle überein, denn Beide erfreuten sich großer Liebe im Dorfe; aber einen Ausweg gäbe es nicht für sie, da der Ulmenhofer einmal sein Wort verpfändet. Auf den Gedanken, Gertrud könne ihren Glauben abschwören, kam nicht Einer; war einem Jeden doch seine Religion zu heilig, um sie zu wechseln wie ein Kleid. Ja, wenn das junge Mädchen auf ein solches Ansinnen, welches ihr indessen gar nicht gestellt wurde, eingegangen wäre, wahrscheinlich, daß der alte Kilian dann seine Einwilligung zur Heirath ebenso verweigert hätte mit dem Aus- spruch, wer so wetterwendisch sei in ernsten, heiligen Dingen, dem sei in Nichts zu trauen, und jetzt erst habe sie gar keine Religion. Aber es sprach Niemand davon, und so sehr Gertrud litt unter dem schweren Kreuz, welches man ihr auferlegt: es um diesen Preis von sich zu werfen und ihr Weh in Glück zu verwandeln, das hätte sie nie vermocht. War sie auch nicht bigott und nicht unduldsam, so war sie doch eine gute Katholikin, die fest an ihrem Glauben hing, und es stand als die feierlichste Stunde ihres Lebens vor ihrer Er- innerung, da sie als kleines Kind ihrer sterbenden Mutter in die Hand geloben mußte, auch dort in dem fremden Lande, bei den Ver- wandten, die sie aufnehmen würden, der Religion ihrer Aeltern treu zu bleiben, worauf der alte Priester die Mutter und sie segnete und Alles so ernst und feierlich war in dem kleinen Stübchen, durch welches der Weihrauch duftete. Es gab also keine Abhülfe, keinen Ausweg, das wußten Ewald und Gertrud, dahin waren die Dorfbewohner nun auch gekommen. Aber wie viel die Leute unter sich über die Sache debattirten, zu den davon betroffenen Personen sprach Keiner darüber, es wagte sich Nie- mand heran, seine Meinung kund zu thun; denn ein alter Bauer der Gegenpartei hatte sich in seiner Stellung als Pathe von Ewald be- wogen gefühlt, dem alten Ulmenhofer einmal den Kopf zurecht zu rücken, war aber dabei so gewaltig angesaust worden, daß er Jedem rieth, mit dem alten Eisenfresser nicht anzubinden. Und dem Pfarrer, der es auch versucht mit Ewald zu sprechen, ihn zu ermahnen, dem Vater zu Willen zu leben, war es nicht viel besser ergangen. Wenn auch in den Schranken der Höflichkeit sich haltend, so hatte der junge Mann doch trotzig und bitter geantwortet, er habe stets gemeint, es sei eines Predigers Aufgabe, nicht zu trennen, sondern zu vereinigen, Segen und nicht Zwietracht in die Familien zu streuen. Jn seiner Verbindung mit der Base wäre nichts, was wider Gottes Gebote verstoße; es sei eitel Menschenwerk und Klügelei, was man dagegen erheben und einreden wolle. Wär' es der alte ehrwürdige Pfarrer gewesen, der Ewald einst confirmirt, würde der junge Mann sich schwerlich unterfangen haben, so zu reden, eben so gewiß hätte dieser auch wohl nicht hemmend in sein Glück eingegriffen. Nächst den beiden jungen Leuten schien der alte Ulmenhofer am meisten zu leiden, oder, wenn nicht zu leiden, so schien er sich doch gar nicht mehr so behaglich wie sonst im Leben zu fühlen. Er war unwirsch und bissig, wie man ihn selten so andauernd gesehen, zankte hier und dort um geringfügige Dinge, und seine sanfte Frau mußte am meisten aushalten. An den Sohn wagte er sich am wenigsten heran, den umging er mit einer gewissen Scheu. Ewald gab ihm auch keinen Anlaß zum Zürnen; thätiger und ruhiger noch als sonst, arbeitete er mit einer Art grimmiger Hast, als könne er nicht genug schaffen, als sei das noch sein einziges Lebensziel. Ueber den Hof und die Wirthschaft sprach er mit dem Vater ganz in der früheren Weise, sonst aber ging er stumm und düster daher, und wer den alten Bauer beobachtet, hätte bemerken können, wie seine Augen zuweilen forschend und dann wieder mit einem trüben Ausdruck an dem Sohn hingen. Daß aber des alten Kilian Sinn sich gewendet, ja daß ihm nur der Gedanke gekommen wäre, er könne Unrecht haben, durfte Niemand erwarten. Jm Gegentheil, er hatte sich noch eine Mauer aufgebaut, damit nur ja kein Nachgeben möglich, indem er einem seiner Mündel zur Heirath mit einem Katholiken seine Einwilligung rundweg ver- weigert, und was er einem Andern nicht gestattet, konnte er doch un- möglich dem eigenen Sohne nachsehen, so etwas vermochte wohl Nie- mand von einem gerechten Manne zu verlangen. Freilich ließ der Kilian dabei außer Acht, daß die Marie=Liese sich sehr schnell ge- tröstet und statt des ersten Erwählten ____sich nach vierzehn Tagen einem Andern verlobt hatte, wobei Jener ganz lustig auf dem Schmause beim Angelöbniß mit der Braut tanzte, und daß Ewald und Gertrud dem Anscheine nach niemals ihre gescheiterten Hoffnungen überwinden, nie über ihr zerstörtes Glück sich trösten würden. Aber daran wollte der alte Bauer durchaus nicht glauben, er war fest überzeugt, nachdem Ewald ausgetrotzt und eingesehen, es könne mit ihm und Gertrud nichts sein, werde er Vernunft annehmen und eine Andere freien. Wie ein Mann die Liebe und Treue so weit zu treiben vermöge, nie zu heirathen, wenn er das eine Mädchen, auf welches er seinen Kopf

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 15. Berlin, 12. April 1868, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt15_1868/3>, abgerufen am 01.06.2024.