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Sonntags-Blatt. Nr. 28. Berlin, 12. Juli 1868.

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Sonntags=Blatt
für
Jedermann aus dem Volke.
Nr. 28. -- 1868.Ernst Dohm.Am 12. Juli.


Erscheint jeden Sonntag. Preis bei allen Postämtern vierteljährlich 9 Sgr., bei allen Buchhandlungen und Zeitungs=Spediteuren vierteljährlich 9 Sgr., wöchentlich 9 Pf. frei ins Haus.
Beim Selbstabholen aus der Expedition des Sonntags=Blattes ( Taubenstraße Nr. 27 ) kostet die Nummer nur 6 Pf.



Ewig.
Novelle
von
Marie v. Roskowska.
( Schluß. )
[Beginn Spaltensatz]

Schwandt brachte das bald in Erfahrung. Als praktischer, dem
Realen zugewandter Mann tadelte er im Stillen den Verstor-
benen hart und begriff kaum einen so grenzenlosen Leichtsinn. Die
arme junge Frau war natürlich durchaus schuldlos -- liegt es
doch dem Manne ob, für die Geliebte mit zu denken, sie und sich
nicht durch eine unüberlegte Heirath ins Unglück zu stürzen. Und
statt dann unablässig zu arbeiten, um wenigstens das Nothwendigste
herbeizuschaffen, wurde der Mann noch gar lüderlich -- das war
mehr als Leichtsinn! Wie edel aber von dem jungen reizenden Wesen,
das er in die traurigste Lage gestürzt hatte, ihn dennoch so innig zu
lieben und zu betrauern! Ja, die Frauen sind doch besser als die
Männer! So treue, hingebende Herzen, wie das seiner Julie und --
der jungen Wittwe, schlügen wohl kaum jemals in einer männ-
lichen Brust!

Der Epheu auf Juliens Grab wollte nicht wachsen, bis Frau
Wertel sich seiner Pflege unterzog. Es rührte und bewegte den
Wittwer außerordentlich, die junge Frau, deren Schönheit und Grazie
immer mehr hervortrat, je mehr ihre Trostlosigkeit der mildernden
Zeit und seinem Zuspruch wich, so emsig an dem Grabe seiner lieben
Julie beschäftigt zu sehen. Der Hügel zeichnete sich bald durch die
Zierlichkeit seines Blumenschmucks so aus wie der des jungen Künst-
lers. Gemeinsam pflegten die Trauernden ihre theuren Gräber;
Schwandt besaß freilich so wenig Geschick dazu, daß er sich darauf
beschränken mußte, in Adolphinens Gießkännchen das Wasser vom
Brunnen herbeizutragen. Damit sie ausruhen könne, ließ er eine
Bank neben den Gräbern aufstellen. Hier saß die Wittwe oft und
flocht Kränze für Juliens Grab aus den Blumen, die Bertha in
einem Körbchen mitbrachte und der Kranzwinderin zureichte. Schwandt
betrachtete mit Rührung das schöne Bild; er dachte, wie seine Julie,
wenn sie herabschauen könnte, sich freuen müßte, daß man sich nicht
allein ihres Grabes, sondern auch ihres Kindes so liebevoll annehme.
Denn in Frau Wertel erwachte mehr und mehr der erzieherische,
gouvernantenhafte Jnstinkt, der jedem weiblichen Wesen inne wohnt,
das selber -- keine Kinder hat. Sie hofmeisterte an der Kleinen
in einer Weise, daß es deren Vater immer schwerer auf die Seele
fiel, wie er seine Tochter ohne weiblichen Beistand zu einem tüchtigen
und liebenswürdigen Mädchen werde erziehen können. Seine Mutter
wollte die Enkelin zwar zu sich nehmen, allein er vermochte sich nicht
von dem lieben Vermächtniß seiner theuren Julie zu trennen. Und
wie gut war die Gefährtin seines Kummers gegen das Kind, oder
vielmehr gegen Vater und Kind!

Einst dufteten auf dem Hügel des Künstlers zwei prachtvolle
Theerosen an einem einzigen Stämmchen, das die Wittwe daheim
mit Liebe gezogen hatte.

"Und unser Grab hat nicht solche Blumen!" rief bei ihrem An-
blick die Kleine, zu kindisch, ihren Neid darüber zu verbergen.

Der Vater verwies ihr das ernstlich.

Die "Nachbarin" aber brach, ehe er es hindern konnte, eine der
beiden Rosen vom Stamm und legte sie auf Juliens Grab.

Er war überrascht, fast bestürzt von dieser Großmuth, und die
[Spaltenumbruch] Worte der jungen Frau machten ihn fast noch mehr als die Handlung
selbst zu ihrem ewigen Schuldner.

"Sie, die hier schlummert, verdient wohl, daß auch eine Fremde
eine Blume auf ihre Ruhestatt lege. Die bleiche Theerose ist ein
passenderes Symbol, als ihre glühendere Schwester, die Centifolie;
das Rosenroth der Freude ist dem, der hier trauert, mit dem
Heimgang der Geliebten ja auf ewig erblichen!"

"Ja wohl, ja wohl -- auf ewig!" seufzte er. "Aber haben Sie
Dank, verehrte Frau, innigeren Dank, als ich auszusprechen vermag.
Und wenn je eine Rose noch meinem armen Leben duften könnte,
vermöchte sie einzig diese liebe Hand zu brechen."

Er küßte diese liebe Hand, wobei ihm deren Weiße, Weichheit
und Kleinheit mehr als je auffiel. Verlegen trat er dann zurück,
und sie erröthete tief, während Bertha mit großen Augen und offenem
Munde dastand.

Doch nur einen Augenblick war die Kleine überrascht von diesem
nie gesehenen väterlichen Gebahren. Da sie selber gewöhnt war, für
jedes Geschenk die gebende Hand zu küssen, fand sie nach augenblick-
lichem Staunen die Sache ganz in der Ordnung und beeilte sich, der
"Tante" den pflichtschuldigen Handkuß ebenfalls darzubringen. Dadurch
gab sie den beiden Anderen das etwas ins Schwanken gerathene
Gleichgewicht zurück.

Mit dem Zagen und der Befriedigung, welche stets einen ersten
Versuch auf bisher unbeschrittenem Pfade begleiten, fühlte Schwandt,
er habe sich noch nie so poetisch ausgedrückt und so [unleserliches Material - 6 Zeichen fehlen]galant benommen.
Die Hand Juliens hatte er noch nie zu den Lippen geführt, wozu die-
selbe freilich auch weniger geeignet waren. Er fürchtete, sich recht
täppisch benommen und die Dame vielleicht gar durch die Beziehung in
seinen Worten, welche ihm hinterher erst einfiel, beleidigt zu haben.
Als sich in ihrer Miene nichts davon verrieth, ward die Befriedigung
überwiegend.

Adolphine lächelte im Stillen. Hatte sie nicht gleich gedacht, der
Mann könne mit der Zeit so artig und galant werden, wie irgend
Einer -- mit Ausnahme ihres seligen Edgar -- wenn nur eine
geschickte Hand seiner Bildung sich annähme? An seiner Erziehung
zu arbeiten, gewährte jedenfalls eine Zerstreuung in dem trostlosen
Wittwenstand. Sie war es sich selber schuldig, sich zu zerstreuen.
Um ihren Edgar ewig betrauern zu können, durfte sie ihre Gesund-
heit nicht untergraben durch die ausschließliche Hingabe an die Ver-
zweiflung!

Der Schüler erwies sich recht gelehrig. Zum Entgelt für ihre
Theerose brachte er am andern Tage Blumen für das Grab ihres
Gatten. Jhre Freude darüber, ihr weinender Dank begeisterte ihn zu
täglichen Blumenspenden. Da sie "sein" Grab so sinnig schmückte,
war es nur recht und billig, daß er die Blumen auch zum Schmuck
"ihres" Grabhügels kaufte. Und so geschah es nach einem kleinen
Sträuben ihrerseits. Bertha wachte mit kindlicher Eifersucht darüber,
daß die "Mutter mit dem Brüderchen im Arm" genau so viel Kränze,
Sträuße und Blumentöpfe erhielt, wie das benachbarte Grab. Un-
passend wäre es ihm erschienen, ihr wohlfeile Blumen darzubieten --
[Ende Spaltensatz]

Sonntags=Blatt
für
Jedermann aus dem Volke.
Nr. 28. — 1868.Ernst Dohm.Am 12. Juli.


Erscheint jeden Sonntag. Preis bei allen Postämtern vierteljährlich 9 Sgr., bei allen Buchhandlungen und Zeitungs=Spediteuren vierteljährlich 9 Sgr., wöchentlich 9 Pf. frei ins Haus.
Beim Selbstabholen aus der Expedition des Sonntags=Blattes ( Taubenstraße Nr. 27 ) kostet die Nummer nur 6 Pf.



Ewig.
Novelle
von
Marie v. Roskowska.
( Schluß. )
[Beginn Spaltensatz]

Schwandt brachte das bald in Erfahrung. Als praktischer, dem
Realen zugewandter Mann tadelte er im Stillen den Verstor-
benen hart und begriff kaum einen so grenzenlosen Leichtsinn. Die
arme junge Frau war natürlich durchaus schuldlos — liegt es
doch dem Manne ob, für die Geliebte mit zu denken, sie und sich
nicht durch eine unüberlegte Heirath ins Unglück zu stürzen. Und
statt dann unablässig zu arbeiten, um wenigstens das Nothwendigste
herbeizuschaffen, wurde der Mann noch gar lüderlich — das war
mehr als Leichtsinn! Wie edel aber von dem jungen reizenden Wesen,
das er in die traurigste Lage gestürzt hatte, ihn dennoch so innig zu
lieben und zu betrauern! Ja, die Frauen sind doch besser als die
Männer! So treue, hingebende Herzen, wie das seiner Julie und —
der jungen Wittwe, schlügen wohl kaum jemals in einer männ-
lichen Brust!

Der Epheu auf Juliens Grab wollte nicht wachsen, bis Frau
Wertel sich seiner Pflege unterzog. Es rührte und bewegte den
Wittwer außerordentlich, die junge Frau, deren Schönheit und Grazie
immer mehr hervortrat, je mehr ihre Trostlosigkeit der mildernden
Zeit und seinem Zuspruch wich, so emsig an dem Grabe seiner lieben
Julie beschäftigt zu sehen. Der Hügel zeichnete sich bald durch die
Zierlichkeit seines Blumenschmucks so aus wie der des jungen Künst-
lers. Gemeinsam pflegten die Trauernden ihre theuren Gräber;
Schwandt besaß freilich so wenig Geschick dazu, daß er sich darauf
beschränken mußte, in Adolphinens Gießkännchen das Wasser vom
Brunnen herbeizutragen. Damit sie ausruhen könne, ließ er eine
Bank neben den Gräbern aufstellen. Hier saß die Wittwe oft und
flocht Kränze für Juliens Grab aus den Blumen, die Bertha in
einem Körbchen mitbrachte und der Kranzwinderin zureichte. Schwandt
betrachtete mit Rührung das schöne Bild; er dachte, wie seine Julie,
wenn sie herabschauen könnte, sich freuen müßte, daß man sich nicht
allein ihres Grabes, sondern auch ihres Kindes so liebevoll annehme.
Denn in Frau Wertel erwachte mehr und mehr der erzieherische,
gouvernantenhafte Jnstinkt, der jedem weiblichen Wesen inne wohnt,
das selber — keine Kinder hat. Sie hofmeisterte an der Kleinen
in einer Weise, daß es deren Vater immer schwerer auf die Seele
fiel, wie er seine Tochter ohne weiblichen Beistand zu einem tüchtigen
und liebenswürdigen Mädchen werde erziehen können. Seine Mutter
wollte die Enkelin zwar zu sich nehmen, allein er vermochte sich nicht
von dem lieben Vermächtniß seiner theuren Julie zu trennen. Und
wie gut war die Gefährtin seines Kummers gegen das Kind, oder
vielmehr gegen Vater und Kind!

Einst dufteten auf dem Hügel des Künstlers zwei prachtvolle
Theerosen an einem einzigen Stämmchen, das die Wittwe daheim
mit Liebe gezogen hatte.

„Und unser Grab hat nicht solche Blumen!“ rief bei ihrem An-
blick die Kleine, zu kindisch, ihren Neid darüber zu verbergen.

Der Vater verwies ihr das ernstlich.

Die „Nachbarin“ aber brach, ehe er es hindern konnte, eine der
beiden Rosen vom Stamm und legte sie auf Juliens Grab.

Er war überrascht, fast bestürzt von dieser Großmuth, und die
[Spaltenumbruch] Worte der jungen Frau machten ihn fast noch mehr als die Handlung
selbst zu ihrem ewigen Schuldner.

„Sie, die hier schlummert, verdient wohl, daß auch eine Fremde
eine Blume auf ihre Ruhestatt lege. Die bleiche Theerose ist ein
passenderes Symbol, als ihre glühendere Schwester, die Centifolie;
das Rosenroth der Freude ist dem, der hier trauert, mit dem
Heimgang der Geliebten ja auf ewig erblichen!“

„Ja wohl, ja wohl — auf ewig!“ seufzte er. „Aber haben Sie
Dank, verehrte Frau, innigeren Dank, als ich auszusprechen vermag.
Und wenn je eine Rose noch meinem armen Leben duften könnte,
vermöchte sie einzig diese liebe Hand zu brechen.“

Er küßte diese liebe Hand, wobei ihm deren Weiße, Weichheit
und Kleinheit mehr als je auffiel. Verlegen trat er dann zurück,
und sie erröthete tief, während Bertha mit großen Augen und offenem
Munde dastand.

Doch nur einen Augenblick war die Kleine überrascht von diesem
nie gesehenen väterlichen Gebahren. Da sie selber gewöhnt war, für
jedes Geschenk die gebende Hand zu küssen, fand sie nach augenblick-
lichem Staunen die Sache ganz in der Ordnung und beeilte sich, der
„Tante“ den pflichtschuldigen Handkuß ebenfalls darzubringen. Dadurch
gab sie den beiden Anderen das etwas ins Schwanken gerathene
Gleichgewicht zurück.

Mit dem Zagen und der Befriedigung, welche stets einen ersten
Versuch auf bisher unbeschrittenem Pfade begleiten, fühlte Schwandt,
er habe sich noch nie so poetisch ausgedrückt und so [unleserliches Material – 6 Zeichen fehlen]galant benommen.
Die Hand Juliens hatte er noch nie zu den Lippen geführt, wozu die-
selbe freilich auch weniger geeignet waren. Er fürchtete, sich recht
täppisch benommen und die Dame vielleicht gar durch die Beziehung in
seinen Worten, welche ihm hinterher erst einfiel, beleidigt zu haben.
Als sich in ihrer Miene nichts davon verrieth, ward die Befriedigung
überwiegend.

Adolphine lächelte im Stillen. Hatte sie nicht gleich gedacht, der
Mann könne mit der Zeit so artig und galant werden, wie irgend
Einer — mit Ausnahme ihres seligen Edgar — wenn nur eine
geschickte Hand seiner Bildung sich annähme? An seiner Erziehung
zu arbeiten, gewährte jedenfalls eine Zerstreuung in dem trostlosen
Wittwenstand. Sie war es sich selber schuldig, sich zu zerstreuen.
Um ihren Edgar ewig betrauern zu können, durfte sie ihre Gesund-
heit nicht untergraben durch die ausschließliche Hingabe an die Ver-
zweiflung!

Der Schüler erwies sich recht gelehrig. Zum Entgelt für ihre
Theerose brachte er am andern Tage Blumen für das Grab ihres
Gatten. Jhre Freude darüber, ihr weinender Dank begeisterte ihn zu
täglichen Blumenspenden. Da sie „sein“ Grab so sinnig schmückte,
war es nur recht und billig, daß er die Blumen auch zum Schmuck
„ihres“ Grabhügels kaufte. Und so geschah es nach einem kleinen
Sträuben ihrerseits. Bertha wachte mit kindlicher Eifersucht darüber,
daß die „Mutter mit dem Brüderchen im Arm“ genau so viel Kränze,
Sträuße und Blumentöpfe erhielt, wie das benachbarte Grab. Un-
passend wäre es ihm erschienen, ihr wohlfeile Blumen darzubieten —
[Ende Spaltensatz]

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Er war überrascht, fast bestürzt von dieser Großmuth, und die Worte der jungen Frau machten ihn fast noch mehr als die Handlung selbst zu ihrem ewigen Schuldner. „Sie, die hier schlummert, verdient wohl, daß auch eine Fremde eine Blume auf ihre Ruhestatt lege. Die bleiche Theerose ist ein passenderes Symbol, als ihre glühendere Schwester, die Centifolie; das Rosenroth der Freude ist dem, der hier trauert, mit dem Heimgang der Geliebten ja auf ewig erblichen!“ „Ja wohl, ja wohl — auf ewig!“ seufzte er. „Aber haben Sie Dank, verehrte Frau, innigeren Dank, als ich auszusprechen vermag. Und wenn je eine Rose noch meinem armen Leben duften könnte, vermöchte sie einzig diese liebe Hand zu brechen.“ Er küßte diese liebe Hand, wobei ihm deren Weiße, Weichheit und Kleinheit mehr als je auffiel. Verlegen trat er dann zurück, und sie erröthete tief, während Bertha mit großen Augen und offenem Munde dastand. Doch nur einen Augenblick war die Kleine überrascht von diesem nie gesehenen väterlichen Gebahren. Da sie selber gewöhnt war, für jedes Geschenk die gebende Hand zu küssen, fand sie nach augenblick- lichem Staunen die Sache ganz in der Ordnung und beeilte sich, der „Tante“ den pflichtschuldigen Handkuß ebenfalls darzubringen. Dadurch gab sie den beiden Anderen das etwas ins Schwanken gerathene Gleichgewicht zurück. Mit dem Zagen und der Befriedigung, welche stets einen ersten Versuch auf bisher unbeschrittenem Pfade begleiten, fühlte Schwandt, er habe sich noch nie so poetisch ausgedrückt und so ______galant benommen. Die Hand Juliens hatte er noch nie zu den Lippen geführt, wozu die- selbe freilich auch weniger geeignet waren. Er fürchtete, sich recht täppisch benommen und die Dame vielleicht gar durch die Beziehung in seinen Worten, welche ihm hinterher erst einfiel, beleidigt zu haben. Als sich in ihrer Miene nichts davon verrieth, ward die Befriedigung überwiegend. Adolphine lächelte im Stillen. Hatte sie nicht gleich gedacht, der Mann könne mit der Zeit so artig und galant werden, wie irgend Einer — mit Ausnahme ihres seligen Edgar — wenn nur eine geschickte Hand seiner Bildung sich annähme? An seiner Erziehung zu arbeiten, gewährte jedenfalls eine Zerstreuung in dem trostlosen Wittwenstand. Sie war es sich selber schuldig, sich zu zerstreuen. Um ihren Edgar ewig betrauern zu können, durfte sie ihre Gesund- heit nicht untergraben durch die ausschließliche Hingabe an die Ver- zweiflung! Der Schüler erwies sich recht gelehrig. Zum Entgelt für ihre Theerose brachte er am andern Tage Blumen für das Grab ihres Gatten. Jhre Freude darüber, ihr weinender Dank begeisterte ihn zu täglichen Blumenspenden. Da sie „sein“ Grab so sinnig schmückte, war es nur recht und billig, daß er die Blumen auch zum Schmuck „ihres“ Grabhügels kaufte. Und so geschah es nach einem kleinen Sträuben ihrerseits. Bertha wachte mit kindlicher Eifersucht darüber, daß die „Mutter mit dem Brüderchen im Arm“ genau so viel Kränze, Sträuße und Blumentöpfe erhielt, wie das benachbarte Grab. Un- passend wäre es ihm erschienen, ihr wohlfeile Blumen darzubieten —

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 28. Berlin, 12. Juli 1868, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt28_1868/1>, abgerufen am 17.05.2024.