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Sonntags-Blatt. Nr. 28. Berlin, 12. Juli 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Wortes und fast meines ganzen noch übrigen Vorraths an heimath-
lichen Cigarren, um die zartfühlenden Söhne des Mars wieder zu
versöhnen.

Der Friede zwischen mir und Giovanna -- sie hätte Rebekka
heißen sollen! -- war indeß bald wieder hergestellt. Jch erging mich
in lautem Lob der prachtvollen, hier auch nicht übel gepflegten Wein-
berge, was die ernste Tochter des Besitzers -- denn wir befanden uns
bereits auf dem Gebiet des Vaters unserer Führerin -- doch ein wenig
zu erfreuen schien. Jhre Antworten blieben zwar einsilbig, zurück-
haltend -- es lag unverkennbar etwas Melancholisches, ja fast für
Alles um sie her Gleichgültiges in ihrem Wesen -- aber sie war
keineswegs unhöflich gegen die Fremden.

Plötzlich blieb sie stehen, warf einen scheuen Blick auf meine Klei-
dung und sagte:

"Es regnet stark, wollen Sie nicht den Rock anziehen? Auch",
fügte sie zögernd hinzu, "lieben ja nicht Alle das rothe Hemd."

Jch mußte lächeln, verstand aber sofort ihre gute Absicht. Jhr
Vater war eben, wie es sich später noch deutlicher herausstellte, ein
Feind der neuen Regierung, ein fanatischer Anhänger des Priester-
und Bourbonenthums, und sie wollte nicht, daß die gehaßte Gari-
baldifarbe mir vielleicht unfreundliche Blicke von ihm eintrage. Ein
gewisser Ton in ihrer Rede ließ mich aber auch schon damals ahnen,
daß das Töchterlein in diesen Dingen wohl etwas anderer Meinung
sei, als der Herr Vater.

Kaum hatte ich das verteufelte Roth bis zum Kragen verhüllt,
als uns auch schon zwischen den dichtgedrängten Stämmen und Laub-
massen hindurch die weißen Mauern eines kleinen, so recht in die
Mitte dieses Walddunkels hineingepflanzten Häuschens entgegen-
schimmerten. Der freundlich winkende Bau war bald erreicht. Wir
schritten an seiner Schmalseite vorüber und hatten nun, auf dem
kleinen Hofraum uns rechts wendend, mit einem Mal die ganze Fa-
milie unserer schönen Führerin vor Augen. Es war einmal bestimmt,
daß wir heut einen malerischen Anblick nach dem andern genießen
sollten. Uns gerade gegenüber, vergeblich bemüht, sich hinter Orangen-
und Citronenzweigen, denen man hier auch noch ihre ganze goldene
Fruchtlast gelassen, zu verstecken, lag eine in den Berg hineingearbeitete
Halle oder Grotte, an welche das schlichte, bereits oben genannte Wohn-
häuschen in rechtem Winkel anstieß. Rings an den Wänden der Grotte,
deren Thüren weit offen standen, waren mächtige Weinfässer aufge-
schichtet; die Mitte des kühlen Zufluchtsortes aber nahm eine lange
schmale Tafel ein, an der sieben oder acht Personen in bäuerlicher Tracht
beim Mittagsmahl saßen. Nur ein einziges Subjekt unter ihnen,
das übrigens so glücklich war, sofort meinen ganzen Widerwillen zu
erregen, war städtisch, und zwar, trotz der Hitze, von oben bis unten
in schwarzes, ziemlich schmieriges Tuch gekleidet. Der dunkle Anzug,
welchen ein früher weiß gewesenes Halstuch beschloß, die feiste Ge-
stalt, das glatt rasirte, sehr zweideutig geröthete Gesicht, in dem zwei
tückische, stark hervorquellende Augen sich mühsam drehten und ver-
drehten, das Alles gab diesem unserm Mitgast ein sehr pfäffisches
Aussehen, obgleich der Bursch, wie ich bald in Erfahrung brachte,
nichts anderes als ein biederer Weinhändler aus Neapel war.

Giovanna -- Nina wurde sie zu meinem Aerger in der Familie
genannt -- kündigte uns mit wenigen Worten den Jhrigen an. Der
finsterblickende Bauer, von dem die Tochter ganz deutlich den wunder-
baren Ausdruck der Augen geerbt und seine freundliche, äußerst leb-
hafte Frau erhoben sich sogleich, um uns zu begrüßen. Auch die
Kinder und Untergebenen des Hausherrn standen auf; nur der Wein-
händler blieb sitzen, warf einen frechen, verliebten Blick auf Giovanna
und grunzte uns, ohne den abgegriffenen Cylinderhut auf seinem
Schädel zu berühren und indem er eine ellenlange, von rother Pomo-
d 'oro= ( Liebesapfel ) Sauce triefende Makkaroni=Nudel aus den hoch
über das Gesicht emporgehobenen Fingern in seinen Schlund hinab-
gleiten ließ, ein unverschämt kordial klingendes " buon giorno " ent-
gegen. Wem hätte nicht die Sage einmal von sogenannten " Ohr-
feigengesichtern " berichtet, die in jeder Hand ein geheimnißvolles
Zucken hervorbringen sollen? Der Mensch da vor uns hatte ganz
ein solches.

Nachdem die Bäuerin mit einer Flut herzlicher Worte meine
Frau, der Bauer mich aber fast ohne einen Laut, nur durch einen
Händedruck willkommen geheißen, wurde schnell ein Bänkchen für uns
an das obere Ende des Tisches gerückt und wir eingeladen, darauf
niederzusitzen. Dies war aber kaum geschehen, als uns unwillkürlich
ein neues Ah! der Ueberraschung entfuhr.

Die Bäume, Büsche und Reben, welche nebst einigen vereinzelt
stehenden, schon längst keinen Zaun mehr bildenden Aloestauden den
kleinen Hofraum vor uns umgaben, ließen nämlich, ohne daß wir es
bei der Ankunft bemerkt hatten, der Grotte gerade gegenüber eine
schmale Schlucht frei, und gewährten so von unserem Sitz aus, da
sich zudem die Weinberge wenige Schritte vor uns ziemlich steil zur
Küste hinabsenkten, einen zwar beschränkten, aber wahrhaft entzücken-
den Blick auf die sturmbewegte, im Vordergrund von furchtbar schwe-
[Spaltenumbruch] ren Wolkenmassen beschattete, in der Ferne aber noch im vollsten Licht
strahlende See. Eingerahmt vom Thürgewände der Grotte, durch
welches von allen Seiten die Orangen und Limonen hereinnickten,
erschien das Wirkliche da draußen wie ein durch Zauberschlag vor uns
aufgetauchtes Wundergemälde. Schade nur, daß der gleich darauf
mit unglaublicher Wuth niederprasselnde Regen allzu schnell einen
dichten Schleier vor diese Pracht zog.

Der Bauer saß neben mir, die Bäuerin neben meiner Frau.
Giovanna dagegen hatte den schmachtenden Weingelehrten zum vis-
a-vis
. All' die zärtlichen Blicke und all' die mühsam hervor-
gequetschten Reden dieses Würdigen aber konnten, trotz der auffälli-
gen Ehrerbietung, mit welcher der Bauer seinen schwarzen Gast be-
handelte, von der Tochter doch nur die deutlichsten Zeichen der Ver-
achtung, ja des Hasses erringen. Das freute mich sehr, lieber Leser!

Die Schüsseln, welche das unvermeidliche Makkaronigericht ent-
halten hatten, waren blitzschnell hinweggeräumt. Auch die rothen
Straßen, welche auf dem sonst äußerst sauber gehaltenen Tisch stern-
förmig von den Schüsseln zu den Plätzen liefen -- man hatte die
Speise, dem Antiken auch hierin getreu, mit den Händen direkt aus
der Schüssel zum Munde geführt -- verschwanden schnell mit Hülfe
des gleichfalls klassischen Tafelschwamms, und auf derselben Scholle,
die vielleicht vor zwei Jahrtausenden die lectos und culcitas eines
heidnischen Hauptschwelgers getragen, nahm jetzt auch dies christliche
Mahl seinen Fortgang. Zunächst gab der Bauer seiner Tochter einen
bedeutsamen Wink. Diese ergriff gehorsam einen auf der Tafel
stehenden irdenen Krug, der im Profil und mit seinen drei Schneppen
noch ganz der alten Oinochoe glich, schritt unter dem schweren Ge-
schützfeuer der Weinhändler=Augen zu einem der uns umgebenden
Fässer und füllte das Gefäß bis zum Rande mit funkelndem Wein.
Voll Grazie, wie immer, eine Mundschenkin, der wohl auch Nero
dort unten im alten Puteoli seine kaiserliche Gnade schwerlich würde
versagt haben, reichte sie darauf den Krug zum Trunk meiner Frau,
bot ihn dann mir, der ich auch tief, tief hineinschaute in die magisch-
lockende Flut, übergab das Gefäß dann meinem Nachbar und so fort,
bis dasselbe die Runde um die ganze Tafel gemacht und, sogleich
wieder gefüllt, bei meiner Frau seinen tröstlichen Umlauf von Neuem
begann. Mit natürlichem Takt ließen jedoch die sämmtlichen Trinker
die Schneppe, an welcher meine Frau getrunken, unberührt, so daß
diese dem Kruge noch oft ohne Scheu alle Ehre erwies. Der Wein
war trefflich, ein leichter, nicht allzu süßer Rothwein. Selbst das
Gesicht des Weinhändlers verklärte sich bei der Probe.

Unterdessen hatte die Bäuerin zwei ungeheure Schüsseln voll grü-
nen, noch nicht angemachten Lattuga=Salats vor den frommen Liebling
ihres Gatten hingestellt. Giovanna nahm einen zweiten Krug, füllte
ihn aus einem faßgroßen, in der Ecke der Grotte in die Erde ge-
grabenen bauchigen Thongefäß mit Olivenöl und stellte auch dieses
dem Weinhändler zur Verfügung.

Der Gast erhob sich mit Würde, streifte die Rockärmel auf, wie
ein Opferpriester, ließ eine wahre Sündflut des köstlichen Oels über
die Salatberge schießen, fügte ein wenig Essig hinzu und begann
dann, das Ganze mit seinen großen, fleischigen Händen zu mischen.

So oft er eine Faust voll der zarten, gelblich=grünen Blätter
empor hob, träufelte das flüssige, durchsichtige Gold über die Finger
des Meisters zurück in die Schüssel, während er selbst, den abgeschabten
Cylinderhut nach Jtaliener Manier tief in den Nacken gerückt, bei
jedem der draußen immer häufiger und furchtbarer niederschießenden
Blitzstrahlen zusammenfuhr und bei jedem nachfolgenden Donner-
geprassel, mit einem ganz wunderbaren Ausdruck von Jntelligenz in
den Zügen, den Mund weit aufriß vor Entsetzen.

Nachdem er endlich sein Kunstwerk vollendet, stopfte er, der
Probe halber, eine tüchtige Hand voll des gesalbten Krauts zwischen
die Kinnladen und schob dann, sehend, daß Alles gut war, die
Schüsseln in die Mitte des Tisches, wodurch er das Zeichen zu einem
wüthenden Angriff von wenigstens sechszig Fingern auf die grün
schimmernden Schanzen gab.

"Auch die Hände des Kochs eines Cäsar träuften von Oel, auch
Kleopatra und Julia fuhren mit der Hand in die Schüssel!" rief ich
voll Begeisterung aus und betheiligte mich heroisch am Sturm.
Meine Frau aber -- o des Mangels an klassischer Bildung! -- war,
trotz alles Drängens der Wirthin, zu keiner Betheiligung zu vermögen.

Es wurde mir natürlich äußerst schwer, das Makkaroni=Jtalienisch
unserer Wirthe zu verstehen. Da die Leute aber mich verstanden und
der Bauer die Gabe der Jtaliener, Worte durch Gesten zu verdeut-
lichen, in hohem Grade besaß, so wurde dennoch eine Unterhaltung
ermöglicht. Durch mein Lob des Landes, namentlich der Weinberge
nächster Nähe, hatte ich auch dem Vater, wie früher schon der Tochter,
die Zunge etwas gelöst. Er klagte sehr über die Verheerungen der
Traubenkrankheit in den letzten Jahren und meinte, daß doch Alles
nichts helfe gegen diese Pest, weil sie ja offenbar vom Himmel ge-
schickt sei als Strafe für die täglich mehr überhand nehmende Ver-
achtung der Priester und der santissima religione -- eine Be-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Wortes und fast meines ganzen noch übrigen Vorraths an heimath-
lichen Cigarren, um die zartfühlenden Söhne des Mars wieder zu
versöhnen.

Der Friede zwischen mir und Giovanna — sie hätte Rebekka
heißen sollen! — war indeß bald wieder hergestellt. Jch erging mich
in lautem Lob der prachtvollen, hier auch nicht übel gepflegten Wein-
berge, was die ernste Tochter des Besitzers — denn wir befanden uns
bereits auf dem Gebiet des Vaters unserer Führerin — doch ein wenig
zu erfreuen schien. Jhre Antworten blieben zwar einsilbig, zurück-
haltend — es lag unverkennbar etwas Melancholisches, ja fast für
Alles um sie her Gleichgültiges in ihrem Wesen — aber sie war
keineswegs unhöflich gegen die Fremden.

Plötzlich blieb sie stehen, warf einen scheuen Blick auf meine Klei-
dung und sagte:

„Es regnet stark, wollen Sie nicht den Rock anziehen? Auch“,
fügte sie zögernd hinzu, „lieben ja nicht Alle das rothe Hemd.“

Jch mußte lächeln, verstand aber sofort ihre gute Absicht. Jhr
Vater war eben, wie es sich später noch deutlicher herausstellte, ein
Feind der neuen Regierung, ein fanatischer Anhänger des Priester-
und Bourbonenthums, und sie wollte nicht, daß die gehaßte Gari-
baldifarbe mir vielleicht unfreundliche Blicke von ihm eintrage. Ein
gewisser Ton in ihrer Rede ließ mich aber auch schon damals ahnen,
daß das Töchterlein in diesen Dingen wohl etwas anderer Meinung
sei, als der Herr Vater.

Kaum hatte ich das verteufelte Roth bis zum Kragen verhüllt,
als uns auch schon zwischen den dichtgedrängten Stämmen und Laub-
massen hindurch die weißen Mauern eines kleinen, so recht in die
Mitte dieses Walddunkels hineingepflanzten Häuschens entgegen-
schimmerten. Der freundlich winkende Bau war bald erreicht. Wir
schritten an seiner Schmalseite vorüber und hatten nun, auf dem
kleinen Hofraum uns rechts wendend, mit einem Mal die ganze Fa-
milie unserer schönen Führerin vor Augen. Es war einmal bestimmt,
daß wir heut einen malerischen Anblick nach dem andern genießen
sollten. Uns gerade gegenüber, vergeblich bemüht, sich hinter Orangen-
und Citronenzweigen, denen man hier auch noch ihre ganze goldene
Fruchtlast gelassen, zu verstecken, lag eine in den Berg hineingearbeitete
Halle oder Grotte, an welche das schlichte, bereits oben genannte Wohn-
häuschen in rechtem Winkel anstieß. Rings an den Wänden der Grotte,
deren Thüren weit offen standen, waren mächtige Weinfässer aufge-
schichtet; die Mitte des kühlen Zufluchtsortes aber nahm eine lange
schmale Tafel ein, an der sieben oder acht Personen in bäuerlicher Tracht
beim Mittagsmahl saßen. Nur ein einziges Subjekt unter ihnen,
das übrigens so glücklich war, sofort meinen ganzen Widerwillen zu
erregen, war städtisch, und zwar, trotz der Hitze, von oben bis unten
in schwarzes, ziemlich schmieriges Tuch gekleidet. Der dunkle Anzug,
welchen ein früher weiß gewesenes Halstuch beschloß, die feiste Ge-
stalt, das glatt rasirte, sehr zweideutig geröthete Gesicht, in dem zwei
tückische, stark hervorquellende Augen sich mühsam drehten und ver-
drehten, das Alles gab diesem unserm Mitgast ein sehr pfäffisches
Aussehen, obgleich der Bursch, wie ich bald in Erfahrung brachte,
nichts anderes als ein biederer Weinhändler aus Neapel war.

Giovanna — Nina wurde sie zu meinem Aerger in der Familie
genannt — kündigte uns mit wenigen Worten den Jhrigen an. Der
finsterblickende Bauer, von dem die Tochter ganz deutlich den wunder-
baren Ausdruck der Augen geerbt und seine freundliche, äußerst leb-
hafte Frau erhoben sich sogleich, um uns zu begrüßen. Auch die
Kinder und Untergebenen des Hausherrn standen auf; nur der Wein-
händler blieb sitzen, warf einen frechen, verliebten Blick auf Giovanna
und grunzte uns, ohne den abgegriffenen Cylinderhut auf seinem
Schädel zu berühren und indem er eine ellenlange, von rother Pomo-
d 'oro= ( Liebesapfel ) Sauce triefende Makkaroni=Nudel aus den hoch
über das Gesicht emporgehobenen Fingern in seinen Schlund hinab-
gleiten ließ, ein unverschämt kordial klingendes „ buon giorno “ ent-
gegen. Wem hätte nicht die Sage einmal von sogenannten „ Ohr-
feigengesichtern “ berichtet, die in jeder Hand ein geheimnißvolles
Zucken hervorbringen sollen? Der Mensch da vor uns hatte ganz
ein solches.

Nachdem die Bäuerin mit einer Flut herzlicher Worte meine
Frau, der Bauer mich aber fast ohne einen Laut, nur durch einen
Händedruck willkommen geheißen, wurde schnell ein Bänkchen für uns
an das obere Ende des Tisches gerückt und wir eingeladen, darauf
niederzusitzen. Dies war aber kaum geschehen, als uns unwillkürlich
ein neues Ah! der Ueberraschung entfuhr.

Die Bäume, Büsche und Reben, welche nebst einigen vereinzelt
stehenden, schon längst keinen Zaun mehr bildenden Aloestauden den
kleinen Hofraum vor uns umgaben, ließen nämlich, ohne daß wir es
bei der Ankunft bemerkt hatten, der Grotte gerade gegenüber eine
schmale Schlucht frei, und gewährten so von unserem Sitz aus, da
sich zudem die Weinberge wenige Schritte vor uns ziemlich steil zur
Küste hinabsenkten, einen zwar beschränkten, aber wahrhaft entzücken-
den Blick auf die sturmbewegte, im Vordergrund von furchtbar schwe-
[Spaltenumbruch] ren Wolkenmassen beschattete, in der Ferne aber noch im vollsten Licht
strahlende See. Eingerahmt vom Thürgewände der Grotte, durch
welches von allen Seiten die Orangen und Limonen hereinnickten,
erschien das Wirkliche da draußen wie ein durch Zauberschlag vor uns
aufgetauchtes Wundergemälde. Schade nur, daß der gleich darauf
mit unglaublicher Wuth niederprasselnde Regen allzu schnell einen
dichten Schleier vor diese Pracht zog.

Der Bauer saß neben mir, die Bäuerin neben meiner Frau.
Giovanna dagegen hatte den schmachtenden Weingelehrten zum vis-
à-vis
. All' die zärtlichen Blicke und all' die mühsam hervor-
gequetschten Reden dieses Würdigen aber konnten, trotz der auffälli-
gen Ehrerbietung, mit welcher der Bauer seinen schwarzen Gast be-
handelte, von der Tochter doch nur die deutlichsten Zeichen der Ver-
achtung, ja des Hasses erringen. Das freute mich sehr, lieber Leser!

Die Schüsseln, welche das unvermeidliche Makkaronigericht ent-
halten hatten, waren blitzschnell hinweggeräumt. Auch die rothen
Straßen, welche auf dem sonst äußerst sauber gehaltenen Tisch stern-
förmig von den Schüsseln zu den Plätzen liefen — man hatte die
Speise, dem Antiken auch hierin getreu, mit den Händen direkt aus
der Schüssel zum Munde geführt — verschwanden schnell mit Hülfe
des gleichfalls klassischen Tafelschwamms, und auf derselben Scholle,
die vielleicht vor zwei Jahrtausenden die lectos und culcitas eines
heidnischen Hauptschwelgers getragen, nahm jetzt auch dies christliche
Mahl seinen Fortgang. Zunächst gab der Bauer seiner Tochter einen
bedeutsamen Wink. Diese ergriff gehorsam einen auf der Tafel
stehenden irdenen Krug, der im Profil und mit seinen drei Schneppen
noch ganz der alten Oinochoe glich, schritt unter dem schweren Ge-
schützfeuer der Weinhändler=Augen zu einem der uns umgebenden
Fässer und füllte das Gefäß bis zum Rande mit funkelndem Wein.
Voll Grazie, wie immer, eine Mundschenkin, der wohl auch Nero
dort unten im alten Puteoli seine kaiserliche Gnade schwerlich würde
versagt haben, reichte sie darauf den Krug zum Trunk meiner Frau,
bot ihn dann mir, der ich auch tief, tief hineinschaute in die magisch-
lockende Flut, übergab das Gefäß dann meinem Nachbar und so fort,
bis dasselbe die Runde um die ganze Tafel gemacht und, sogleich
wieder gefüllt, bei meiner Frau seinen tröstlichen Umlauf von Neuem
begann. Mit natürlichem Takt ließen jedoch die sämmtlichen Trinker
die Schneppe, an welcher meine Frau getrunken, unberührt, so daß
diese dem Kruge noch oft ohne Scheu alle Ehre erwies. Der Wein
war trefflich, ein leichter, nicht allzu süßer Rothwein. Selbst das
Gesicht des Weinhändlers verklärte sich bei der Probe.

Unterdessen hatte die Bäuerin zwei ungeheure Schüsseln voll grü-
nen, noch nicht angemachten Lattuga=Salats vor den frommen Liebling
ihres Gatten hingestellt. Giovanna nahm einen zweiten Krug, füllte
ihn aus einem faßgroßen, in der Ecke der Grotte in die Erde ge-
grabenen bauchigen Thongefäß mit Olivenöl und stellte auch dieses
dem Weinhändler zur Verfügung.

Der Gast erhob sich mit Würde, streifte die Rockärmel auf, wie
ein Opferpriester, ließ eine wahre Sündflut des köstlichen Oels über
die Salatberge schießen, fügte ein wenig Essig hinzu und begann
dann, das Ganze mit seinen großen, fleischigen Händen zu mischen.

So oft er eine Faust voll der zarten, gelblich=grünen Blätter
empor hob, träufelte das flüssige, durchsichtige Gold über die Finger
des Meisters zurück in die Schüssel, während er selbst, den abgeschabten
Cylinderhut nach Jtaliener Manier tief in den Nacken gerückt, bei
jedem der draußen immer häufiger und furchtbarer niederschießenden
Blitzstrahlen zusammenfuhr und bei jedem nachfolgenden Donner-
geprassel, mit einem ganz wunderbaren Ausdruck von Jntelligenz in
den Zügen, den Mund weit aufriß vor Entsetzen.

Nachdem er endlich sein Kunstwerk vollendet, stopfte er, der
Probe halber, eine tüchtige Hand voll des gesalbten Krauts zwischen
die Kinnladen und schob dann, sehend, daß Alles gut war, die
Schüsseln in die Mitte des Tisches, wodurch er das Zeichen zu einem
wüthenden Angriff von wenigstens sechszig Fingern auf die grün
schimmernden Schanzen gab.

„Auch die Hände des Kochs eines Cäsar träuften von Oel, auch
Kleopatra und Julia fuhren mit der Hand in die Schüssel!“ rief ich
voll Begeisterung aus und betheiligte mich heroisch am Sturm.
Meine Frau aber — o des Mangels an klassischer Bildung! — war,
trotz alles Drängens der Wirthin, zu keiner Betheiligung zu vermögen.

Es wurde mir natürlich äußerst schwer, das Makkaroni=Jtalienisch
unserer Wirthe zu verstehen. Da die Leute aber mich verstanden und
der Bauer die Gabe der Jtaliener, Worte durch Gesten zu verdeut-
lichen, in hohem Grade besaß, so wurde dennoch eine Unterhaltung
ermöglicht. Durch mein Lob des Landes, namentlich der Weinberge
nächster Nähe, hatte ich auch dem Vater, wie früher schon der Tochter,
die Zunge etwas gelöst. Er klagte sehr über die Verheerungen der
Traubenkrankheit in den letzten Jahren und meinte, daß doch Alles
nichts helfe gegen diese Pest, weil sie ja offenbar vom Himmel ge-
schickt sei als Strafe für die täglich mehr überhand nehmende Ver-
achtung der Priester und der santissima religione — eine Be-
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[220/0004] 220 Wortes und fast meines ganzen noch übrigen Vorraths an heimath- lichen Cigarren, um die zartfühlenden Söhne des Mars wieder zu versöhnen. Der Friede zwischen mir und Giovanna — sie hätte Rebekka heißen sollen! — war indeß bald wieder hergestellt. Jch erging mich in lautem Lob der prachtvollen, hier auch nicht übel gepflegten Wein- berge, was die ernste Tochter des Besitzers — denn wir befanden uns bereits auf dem Gebiet des Vaters unserer Führerin — doch ein wenig zu erfreuen schien. Jhre Antworten blieben zwar einsilbig, zurück- haltend — es lag unverkennbar etwas Melancholisches, ja fast für Alles um sie her Gleichgültiges in ihrem Wesen — aber sie war keineswegs unhöflich gegen die Fremden. Plötzlich blieb sie stehen, warf einen scheuen Blick auf meine Klei- dung und sagte: „Es regnet stark, wollen Sie nicht den Rock anziehen? Auch“, fügte sie zögernd hinzu, „lieben ja nicht Alle das rothe Hemd.“ Jch mußte lächeln, verstand aber sofort ihre gute Absicht. Jhr Vater war eben, wie es sich später noch deutlicher herausstellte, ein Feind der neuen Regierung, ein fanatischer Anhänger des Priester- und Bourbonenthums, und sie wollte nicht, daß die gehaßte Gari- baldifarbe mir vielleicht unfreundliche Blicke von ihm eintrage. Ein gewisser Ton in ihrer Rede ließ mich aber auch schon damals ahnen, daß das Töchterlein in diesen Dingen wohl etwas anderer Meinung sei, als der Herr Vater. Kaum hatte ich das verteufelte Roth bis zum Kragen verhüllt, als uns auch schon zwischen den dichtgedrängten Stämmen und Laub- massen hindurch die weißen Mauern eines kleinen, so recht in die Mitte dieses Walddunkels hineingepflanzten Häuschens entgegen- schimmerten. Der freundlich winkende Bau war bald erreicht. Wir schritten an seiner Schmalseite vorüber und hatten nun, auf dem kleinen Hofraum uns rechts wendend, mit einem Mal die ganze Fa- milie unserer schönen Führerin vor Augen. Es war einmal bestimmt, daß wir heut einen malerischen Anblick nach dem andern genießen sollten. Uns gerade gegenüber, vergeblich bemüht, sich hinter Orangen- und Citronenzweigen, denen man hier auch noch ihre ganze goldene Fruchtlast gelassen, zu verstecken, lag eine in den Berg hineingearbeitete Halle oder Grotte, an welche das schlichte, bereits oben genannte Wohn- häuschen in rechtem Winkel anstieß. Rings an den Wänden der Grotte, deren Thüren weit offen standen, waren mächtige Weinfässer aufge- schichtet; die Mitte des kühlen Zufluchtsortes aber nahm eine lange schmale Tafel ein, an der sieben oder acht Personen in bäuerlicher Tracht beim Mittagsmahl saßen. Nur ein einziges Subjekt unter ihnen, das übrigens so glücklich war, sofort meinen ganzen Widerwillen zu erregen, war städtisch, und zwar, trotz der Hitze, von oben bis unten in schwarzes, ziemlich schmieriges Tuch gekleidet. Der dunkle Anzug, welchen ein früher weiß gewesenes Halstuch beschloß, die feiste Ge- stalt, das glatt rasirte, sehr zweideutig geröthete Gesicht, in dem zwei tückische, stark hervorquellende Augen sich mühsam drehten und ver- drehten, das Alles gab diesem unserm Mitgast ein sehr pfäffisches Aussehen, obgleich der Bursch, wie ich bald in Erfahrung brachte, nichts anderes als ein biederer Weinhändler aus Neapel war. Giovanna — Nina wurde sie zu meinem Aerger in der Familie genannt — kündigte uns mit wenigen Worten den Jhrigen an. Der finsterblickende Bauer, von dem die Tochter ganz deutlich den wunder- baren Ausdruck der Augen geerbt und seine freundliche, äußerst leb- hafte Frau erhoben sich sogleich, um uns zu begrüßen. Auch die Kinder und Untergebenen des Hausherrn standen auf; nur der Wein- händler blieb sitzen, warf einen frechen, verliebten Blick auf Giovanna und grunzte uns, ohne den abgegriffenen Cylinderhut auf seinem Schädel zu berühren und indem er eine ellenlange, von rother Pomo- d 'oro= ( Liebesapfel ) Sauce triefende Makkaroni=Nudel aus den hoch über das Gesicht emporgehobenen Fingern in seinen Schlund hinab- gleiten ließ, ein unverschämt kordial klingendes „ buon giorno “ ent- gegen. Wem hätte nicht die Sage einmal von sogenannten „ Ohr- feigengesichtern “ berichtet, die in jeder Hand ein geheimnißvolles Zucken hervorbringen sollen? Der Mensch da vor uns hatte ganz ein solches. Nachdem die Bäuerin mit einer Flut herzlicher Worte meine Frau, der Bauer mich aber fast ohne einen Laut, nur durch einen Händedruck willkommen geheißen, wurde schnell ein Bänkchen für uns an das obere Ende des Tisches gerückt und wir eingeladen, darauf niederzusitzen. Dies war aber kaum geschehen, als uns unwillkürlich ein neues Ah! der Ueberraschung entfuhr. Die Bäume, Büsche und Reben, welche nebst einigen vereinzelt stehenden, schon längst keinen Zaun mehr bildenden Aloestauden den kleinen Hofraum vor uns umgaben, ließen nämlich, ohne daß wir es bei der Ankunft bemerkt hatten, der Grotte gerade gegenüber eine schmale Schlucht frei, und gewährten so von unserem Sitz aus, da sich zudem die Weinberge wenige Schritte vor uns ziemlich steil zur Küste hinabsenkten, einen zwar beschränkten, aber wahrhaft entzücken- den Blick auf die sturmbewegte, im Vordergrund von furchtbar schwe- ren Wolkenmassen beschattete, in der Ferne aber noch im vollsten Licht strahlende See. Eingerahmt vom Thürgewände der Grotte, durch welches von allen Seiten die Orangen und Limonen hereinnickten, erschien das Wirkliche da draußen wie ein durch Zauberschlag vor uns aufgetauchtes Wundergemälde. Schade nur, daß der gleich darauf mit unglaublicher Wuth niederprasselnde Regen allzu schnell einen dichten Schleier vor diese Pracht zog. Der Bauer saß neben mir, die Bäuerin neben meiner Frau. Giovanna dagegen hatte den schmachtenden Weingelehrten zum vis- à-vis. All' die zärtlichen Blicke und all' die mühsam hervor- gequetschten Reden dieses Würdigen aber konnten, trotz der auffälli- gen Ehrerbietung, mit welcher der Bauer seinen schwarzen Gast be- handelte, von der Tochter doch nur die deutlichsten Zeichen der Ver- achtung, ja des Hasses erringen. Das freute mich sehr, lieber Leser! Die Schüsseln, welche das unvermeidliche Makkaronigericht ent- halten hatten, waren blitzschnell hinweggeräumt. Auch die rothen Straßen, welche auf dem sonst äußerst sauber gehaltenen Tisch stern- förmig von den Schüsseln zu den Plätzen liefen — man hatte die Speise, dem Antiken auch hierin getreu, mit den Händen direkt aus der Schüssel zum Munde geführt — verschwanden schnell mit Hülfe des gleichfalls klassischen Tafelschwamms, und auf derselben Scholle, die vielleicht vor zwei Jahrtausenden die lectos und culcitas eines heidnischen Hauptschwelgers getragen, nahm jetzt auch dies christliche Mahl seinen Fortgang. Zunächst gab der Bauer seiner Tochter einen bedeutsamen Wink. Diese ergriff gehorsam einen auf der Tafel stehenden irdenen Krug, der im Profil und mit seinen drei Schneppen noch ganz der alten Oinochoe glich, schritt unter dem schweren Ge- schützfeuer der Weinhändler=Augen zu einem der uns umgebenden Fässer und füllte das Gefäß bis zum Rande mit funkelndem Wein. Voll Grazie, wie immer, eine Mundschenkin, der wohl auch Nero dort unten im alten Puteoli seine kaiserliche Gnade schwerlich würde versagt haben, reichte sie darauf den Krug zum Trunk meiner Frau, bot ihn dann mir, der ich auch tief, tief hineinschaute in die magisch- lockende Flut, übergab das Gefäß dann meinem Nachbar und so fort, bis dasselbe die Runde um die ganze Tafel gemacht und, sogleich wieder gefüllt, bei meiner Frau seinen tröstlichen Umlauf von Neuem begann. Mit natürlichem Takt ließen jedoch die sämmtlichen Trinker die Schneppe, an welcher meine Frau getrunken, unberührt, so daß diese dem Kruge noch oft ohne Scheu alle Ehre erwies. Der Wein war trefflich, ein leichter, nicht allzu süßer Rothwein. Selbst das Gesicht des Weinhändlers verklärte sich bei der Probe. Unterdessen hatte die Bäuerin zwei ungeheure Schüsseln voll grü- nen, noch nicht angemachten Lattuga=Salats vor den frommen Liebling ihres Gatten hingestellt. Giovanna nahm einen zweiten Krug, füllte ihn aus einem faßgroßen, in der Ecke der Grotte in die Erde ge- grabenen bauchigen Thongefäß mit Olivenöl und stellte auch dieses dem Weinhändler zur Verfügung. Der Gast erhob sich mit Würde, streifte die Rockärmel auf, wie ein Opferpriester, ließ eine wahre Sündflut des köstlichen Oels über die Salatberge schießen, fügte ein wenig Essig hinzu und begann dann, das Ganze mit seinen großen, fleischigen Händen zu mischen. So oft er eine Faust voll der zarten, gelblich=grünen Blätter empor hob, träufelte das flüssige, durchsichtige Gold über die Finger des Meisters zurück in die Schüssel, während er selbst, den abgeschabten Cylinderhut nach Jtaliener Manier tief in den Nacken gerückt, bei jedem der draußen immer häufiger und furchtbarer niederschießenden Blitzstrahlen zusammenfuhr und bei jedem nachfolgenden Donner- geprassel, mit einem ganz wunderbaren Ausdruck von Jntelligenz in den Zügen, den Mund weit aufriß vor Entsetzen. Nachdem er endlich sein Kunstwerk vollendet, stopfte er, der Probe halber, eine tüchtige Hand voll des gesalbten Krauts zwischen die Kinnladen und schob dann, sehend, daß Alles gut war, die Schüsseln in die Mitte des Tisches, wodurch er das Zeichen zu einem wüthenden Angriff von wenigstens sechszig Fingern auf die grün schimmernden Schanzen gab. „Auch die Hände des Kochs eines Cäsar träuften von Oel, auch Kleopatra und Julia fuhren mit der Hand in die Schüssel!“ rief ich voll Begeisterung aus und betheiligte mich heroisch am Sturm. Meine Frau aber — o des Mangels an klassischer Bildung! — war, trotz alles Drängens der Wirthin, zu keiner Betheiligung zu vermögen. Es wurde mir natürlich äußerst schwer, das Makkaroni=Jtalienisch unserer Wirthe zu verstehen. Da die Leute aber mich verstanden und der Bauer die Gabe der Jtaliener, Worte durch Gesten zu verdeut- lichen, in hohem Grade besaß, so wurde dennoch eine Unterhaltung ermöglicht. Durch mein Lob des Landes, namentlich der Weinberge nächster Nähe, hatte ich auch dem Vater, wie früher schon der Tochter, die Zunge etwas gelöst. Er klagte sehr über die Verheerungen der Traubenkrankheit in den letzten Jahren und meinte, daß doch Alles nichts helfe gegen diese Pest, weil sie ja offenbar vom Himmel ge- schickt sei als Strafe für die täglich mehr überhand nehmende Ver- achtung der Priester und der santissima religione — eine Be-

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 28. Berlin, 12. Juli 1868, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt28_1868/4>, abgerufen am 16.07.2024.