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Sonntags-Blatt. Nr. 29. Berlin, 19. Juli 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

"Da sind wir also in der Höhle des Löwen, der alle Aristokraten
zermalmt!" sagte der zuerst Eingetretene zu seinem Begleiter.

Doch dieser antwortete nicht, er begrüßte vielmehr die Glieder der
Familie, die sich überrascht von ihren Sitzen erhoben hatten.

"Jch bin der Baron Twinkhorst", sagte nun der Erste mit lauter
Stimme, und auf Moser zuschreitend fragte er: "Heißen Sie Moser
-- Johannes Moser?"

"So heiße ich."

Die gemessene Weise, in welcher die Antwort gegeben wurde, ver-
anlaßte den Baron, sich den Lehrer näher zu betrachten, und nun
sagte er, den Hut vom Kopf nehmend, die Gesellschaft möge sich durch
sein Erscheinen nicht beunruhigen lassen und ihre Abendmahlzeit fort-
setzen. Moser war der Einzige, der dies denn auch that. Seine Frau
aber und Cäcilie, die älteste Tochter, brachten für die Herren Stühle
herbei.

Der Baron wollte eben wieder zu sprechen beginnen, als ihn Cäcilie
einlud, Platz zu nehmen. Da klärte sich sein Gesicht auf, und er
warf auf das Mädchen einen so eindringenden Blick, daß es erröthend
sich wegwendete.

Es trat eine peinliche Stille ein. Die jüngeren Kinder drückten
sich ängstlich an die Wand. Cäcilien pochte das Herz, sie wagte
nicht aufzuschauen; es war ihr, als ruhe noch immer der Blick auf
ihr, der sie im Jnnersten erschreckt hatte. Die Mutter aber blickte
bittend nach dem Gatten, sie kannte ihn und fürchtete einen Ausbruch
seiner Heftigkeit, obwohl er noch ruhig dasaß und die Fremden nicht
zu beachten schien.

Da nahm der Zweite der beiden Herren das Wort.

"Sie haben bis heut in dieser Gemeinde das Lehreramt verwaltet,
Herr Moser. Sie wurden durch die Gemeinde dazu berufen. Jst es
nicht so?"

Moser bejahte es kurz.

"Allein", fuhr Jener fort, "den Herren von Twinkhorst steht das
Recht zu, die von der Gemeinde für die verschiedenen Gemeindeämter
Vorgeschlagenen zu bestätigen. Diese Bestätigung fehlt Jhnen. Herr
von Twinkhorst kann Sie daher nicht als rechtmäßigen Jnhaber des
Amtes betrachten, um so weniger, als ein solcher rechtmäßiger Jn-
haber vorhanden ist."

"Das leugne ich!" rief Moser. "Der Andere ist einseitig von
dem Gutsherrn ernannt worden, ohne Zuthun der Gemeinde."

"Dann hätte die Gemeinde Einspruch erheben sollen. Sie können
sich darauf nicht stützen.

"Jch stütze mich", erwiderte der Lehrer schnell, "auf den Willen
Derer, die mir diese Stelle anvertraut haben. Volksämter soll das
Volk besetzen. Jch habe das ewige, das einzige Recht für mich."

Der Lehrer war aufgestanden; sein Antlitz glühte vor Erregung.
Ueber die Mienen des Andern aber ging ein stilles und wehmüthiges
Lächeln.

Der Baron dagegen sagte halblaut und spöttisch:

"Richtig, ein echter Volkstribun! Welch erhebendes Schauspiel
für Sie, Ulrich!" Dann, an Moser sich wendend, fuhr er fort: "Der
Herr Justitiar Hammer -- denn dies ist der neue Herr Justitiar --
hat Jhnen gezeigt, daß Sie das Lehreramt unbefugt inne hatten.
Allein er meint, ich solle der allgemeinen Verwirrung dieser letzten
Jahre Rechnung tragen, und da ich außerdem heut in Erfahrung ge-
bracht, daß Sie sich in mancher Hinsicht um meine Gutsherrschaft
Verdienste erworben --" Der Baron unterbrach sich selbst, sah von
Moser weg auf Cäcilien und schien sich zu besinnen.

Statt seiner fuhr der Justitiar fort:

"Der Herr Baron will Sie nicht ohne Weiteres entlassen. Er
gestattet Jhnen einstweilen hier zu bleiben als Hülfslehrer, bis Sie
anderswo ein Unterkommen gefunden."

"Nein, nein", fiel ihm der Herr von Twinkhorst in die Rede;
"ich weiß es jetzt besser. Es freut mich, den Rath des Herrn Ju-
stitiars befolgt und Sie aufgesucht zu haben. Sie hätten mir ja
doch schwerlich die Ehre Jhres Besuchs geschenkt. Jch halte Sie für
einen wackern Mann, der ein Amt ausfüllt, auch wenn es ihm nicht
durch die allgemeine Wahl übertragen worden. Sie verstehen sich auf
die Fortschritte, welche die Landwirthschaft gemacht hat. Sie haben
schon manches Gute hier eingeführt, Sie können dieser Gegend noch
ferner nützlich sein. Wie wäre es, wenn Sie mit Jhrem Wissen
meinem Verwalter an die Hand gingen? Jch will Sie in meine
Dienste nehmen, Moser."

Der Baron hatte, obwohl seine Lippen anfänglich in leisem Spott
zuckten, dennoch ernsthaft gesprochen. Die Mutter und die älteren
Kinder standen freudig überrascht; solch ein Ergebniß dieses Abends
hatten sie nicht gehofft. Auch der Justitiar war erstaunt; nur die
Mildthätigkeit des Barons hatte er angerufen für den armen Schul-
meister, und des Barons Aufforderung war großmüthig. Moser
allein schaute düster und sagte:

"Jch will frei bleiben. Nehmen Sie in Jhre Dienste, Herr von
Twinkhorst, wer besser dafür paßt!"

[Spaltenumbruch]

"Sie sollen sich jetzt nicht entschließen; Sie sind vorschnell, trotz
Jhrer weißen Haare. Das taugt nicht für einen Mann und Vater."

Der Baron stand nach diesen scharf betonten Worten auf, grüßte
die Mutter und Cäcilien und schritt hinaus. Der Justitiar bemerkte
noch, der Vorschlag des Herrn von Twinkhorst sei gewiß freundlich
und annehmbar, und folgte diesem dann.

Am nächsten Tage ging Moser zum ersten Mal nicht um die ge-
wohnte Stunde nach dem Schulhause. Er blieb vielmehr im Sessel
sitzen und brütete vor sich hin; die Zeitung, die zu studiren sonst sein
erstes Tagewerk war, hatte er noch nicht angesehen. Vergebens auch
hatte Veronika, seine Frau, ihm vorzustellen gewagt, daß er unmöglich
das Anerbieten des Herrn von Twinkhorst ausschlagen könne. Ein
finsterer Blick seines dunkeln Auges machte sie verstummen.

Die Mutter ging in stiller Sorge im Hause umher. Es war
nicht das erste Mal, daß Moser aus Hochmuth oder übertriebenem
Hang zur Unabhängigkeit eine angemessene Lebensstellung verschmäht
hatte. Sie ehrte seinen Stolz, aber ihr mütterliches Gefühl empfand
es schmerzlich, die Kinder abermals einer trüben, ungewissen Zukunft
preisgegeben zu sehen. Sie rief Cäcilien zu sich und sagte fast bitter:

"Dir wird kein Frühlingsabend mehr unter Deinen geliebten Eichen
bescheert sein, Cäcilie!"

Das Mädchen aber antwortete:

"Der Vater hat Recht. Jch wollte nicht, daß er in die Dienste
dieses übermüthigen Adeligen träte."

"Uebermüthig nennst Du den Herrn von Twinkhorst?" rief die
Mutter verwundert. "Und weßhalb? Weil er uns nicht, wie er es
konnte, sofort weg trieb? Weil er uns ein Wohlwollen zeigte, das
wir nach seinen Begriffen sicher nicht verdienten?"

"Das mag wahr sein, und dennoch -- ich möchte nicht, daß wir
ihm Etwas zu danken hätten."

"Du bist die würdige Tochter Deines Vaters", sagte die Mutter,
rief aber, da sie eben durch ein Fenster hinaus blickte: "Wie? Da
kommt er ja schon wieder --"

"Der Baron?" fragte Cäcilie und eilte zur Mutter ans Fenster.

Es war aber der Justitiar. Er trat in die Stube zu Moser und
begrüßte den gewesenen Lehrer mit Herzlichkeit, während dieser nur
scheu und steif eine halbe Verbeugung machte.

"Jch komme, Jhren Entschluß einzuholen oder, offen gesagt, Sie
zu dem Entschluß, welchen ich für den richtigen halte, zu bestimmen."

"Sie sind der Justitiar, der Beamte des Herrn von Twinkhorst",
versetzte Moser. "Sie halten den Entschluß für den richtigen, der
dem Herrn von Twinkhorst genehm ist."

Ulrich Hammer hörte ruhig diese verletzende Antwort an und
sagte dann:

"Sie vertrauen mir nicht, Herr Moser. Aber Sie können mir
vertrauen, denn unsere Lage hat viel Aehnlichkeit. Jch bin seit Jah-
ren mit Herrn von Twinkhorst bekannt; auf der Universität waren
wir Freunde. Unser Lebensgang führte uns aus einander; er, der
reiche Edelmann, genoß die Vortheile seiner Geburt, ich machte meine
Studien, bestand die Prüfungen und war meinem Ziel, einem Staats-
amt, nahe, als die Bewegung ausbrach. Sie führte mich wieder mit
dem Universitätsfreund zusammen, doch wir standen in verschiedenen
Lagern. Er ist erfüllt von seinem Beruf, von dem Beruf des Adels,
den ich nicht anerkenne. Wir haben wacker gekämpft, und nun --
nach zwei Jahren des Kampfes muß ich einsehen, nicht, daß meine
Bestrebungen falsch gewesen, aber daß die Sache, der ich diene, noch
nicht vorbereitet genug ist."

Da der Justitiar hier einhielt, so schaute Moser auf und sagte
mißtrauisch:

"Sie haben sich also bekehren lassen und wohnen nun mit dem
frühern Gegner in demselben Lager?"

"Nein", antwortete Hammer; "aber meiner Ansicht nach wird durch
ohnmächtiges Grollen, durch eitle Klage nichts erreicht. Jch gebe den
Kampf nicht auf; aber weil ich die Berge nicht erfliegen konnte, so
klimme ich Fuß für Fuß hinan. Und das thut uns Allen noth:
Ausdauer, Geduld und die Erkenntniß, daß zu jedem menschlichen Werk
nicht der schnelle Gedanke genügt, der, nur das Ziel im Auge, die
Hindernisse des Weges nicht sieht, daß jedes dieser Hindernisse durch
langsame, stetige Arbeit überwunden sein will."

"Sie arbeiten für die Sache des Volks, indem Sie in den Dienst
des Adels treten, indem sie eine Gerichtsbarkeit ausüben, die, statt
durch das allgemeine Gesetz eingeführt zu sein, ein Ausfluß schäd-
licher ererbter Vorurtheile ist!"

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]
[Beginn Spaltensatz]

„Da sind wir also in der Höhle des Löwen, der alle Aristokraten
zermalmt!“ sagte der zuerst Eingetretene zu seinem Begleiter.

Doch dieser antwortete nicht, er begrüßte vielmehr die Glieder der
Familie, die sich überrascht von ihren Sitzen erhoben hatten.

„Jch bin der Baron Twinkhorst“, sagte nun der Erste mit lauter
Stimme, und auf Moser zuschreitend fragte er: „Heißen Sie Moser
— Johannes Moser?“

„So heiße ich.“

Die gemessene Weise, in welcher die Antwort gegeben wurde, ver-
anlaßte den Baron, sich den Lehrer näher zu betrachten, und nun
sagte er, den Hut vom Kopf nehmend, die Gesellschaft möge sich durch
sein Erscheinen nicht beunruhigen lassen und ihre Abendmahlzeit fort-
setzen. Moser war der Einzige, der dies denn auch that. Seine Frau
aber und Cäcilie, die älteste Tochter, brachten für die Herren Stühle
herbei.

Der Baron wollte eben wieder zu sprechen beginnen, als ihn Cäcilie
einlud, Platz zu nehmen. Da klärte sich sein Gesicht auf, und er
warf auf das Mädchen einen so eindringenden Blick, daß es erröthend
sich wegwendete.

Es trat eine peinliche Stille ein. Die jüngeren Kinder drückten
sich ängstlich an die Wand. Cäcilien pochte das Herz, sie wagte
nicht aufzuschauen; es war ihr, als ruhe noch immer der Blick auf
ihr, der sie im Jnnersten erschreckt hatte. Die Mutter aber blickte
bittend nach dem Gatten, sie kannte ihn und fürchtete einen Ausbruch
seiner Heftigkeit, obwohl er noch ruhig dasaß und die Fremden nicht
zu beachten schien.

Da nahm der Zweite der beiden Herren das Wort.

„Sie haben bis heut in dieser Gemeinde das Lehreramt verwaltet,
Herr Moser. Sie wurden durch die Gemeinde dazu berufen. Jst es
nicht so?“

Moser bejahte es kurz.

„Allein“, fuhr Jener fort, „den Herren von Twinkhorst steht das
Recht zu, die von der Gemeinde für die verschiedenen Gemeindeämter
Vorgeschlagenen zu bestätigen. Diese Bestätigung fehlt Jhnen. Herr
von Twinkhorst kann Sie daher nicht als rechtmäßigen Jnhaber des
Amtes betrachten, um so weniger, als ein solcher rechtmäßiger Jn-
haber vorhanden ist.“

„Das leugne ich!“ rief Moser. „Der Andere ist einseitig von
dem Gutsherrn ernannt worden, ohne Zuthun der Gemeinde.“

„Dann hätte die Gemeinde Einspruch erheben sollen. Sie können
sich darauf nicht stützen.

„Jch stütze mich“, erwiderte der Lehrer schnell, „auf den Willen
Derer, die mir diese Stelle anvertraut haben. Volksämter soll das
Volk besetzen. Jch habe das ewige, das einzige Recht für mich.“

Der Lehrer war aufgestanden; sein Antlitz glühte vor Erregung.
Ueber die Mienen des Andern aber ging ein stilles und wehmüthiges
Lächeln.

Der Baron dagegen sagte halblaut und spöttisch:

„Richtig, ein echter Volkstribun! Welch erhebendes Schauspiel
für Sie, Ulrich!“ Dann, an Moser sich wendend, fuhr er fort: „Der
Herr Justitiar Hammer — denn dies ist der neue Herr Justitiar —
hat Jhnen gezeigt, daß Sie das Lehreramt unbefugt inne hatten.
Allein er meint, ich solle der allgemeinen Verwirrung dieser letzten
Jahre Rechnung tragen, und da ich außerdem heut in Erfahrung ge-
bracht, daß Sie sich in mancher Hinsicht um meine Gutsherrschaft
Verdienste erworben —“ Der Baron unterbrach sich selbst, sah von
Moser weg auf Cäcilien und schien sich zu besinnen.

Statt seiner fuhr der Justitiar fort:

„Der Herr Baron will Sie nicht ohne Weiteres entlassen. Er
gestattet Jhnen einstweilen hier zu bleiben als Hülfslehrer, bis Sie
anderswo ein Unterkommen gefunden.“

„Nein, nein“, fiel ihm der Herr von Twinkhorst in die Rede;
„ich weiß es jetzt besser. Es freut mich, den Rath des Herrn Ju-
stitiars befolgt und Sie aufgesucht zu haben. Sie hätten mir ja
doch schwerlich die Ehre Jhres Besuchs geschenkt. Jch halte Sie für
einen wackern Mann, der ein Amt ausfüllt, auch wenn es ihm nicht
durch die allgemeine Wahl übertragen worden. Sie verstehen sich auf
die Fortschritte, welche die Landwirthschaft gemacht hat. Sie haben
schon manches Gute hier eingeführt, Sie können dieser Gegend noch
ferner nützlich sein. Wie wäre es, wenn Sie mit Jhrem Wissen
meinem Verwalter an die Hand gingen? Jch will Sie in meine
Dienste nehmen, Moser.“

Der Baron hatte, obwohl seine Lippen anfänglich in leisem Spott
zuckten, dennoch ernsthaft gesprochen. Die Mutter und die älteren
Kinder standen freudig überrascht; solch ein Ergebniß dieses Abends
hatten sie nicht gehofft. Auch der Justitiar war erstaunt; nur die
Mildthätigkeit des Barons hatte er angerufen für den armen Schul-
meister, und des Barons Aufforderung war großmüthig. Moser
allein schaute düster und sagte:

„Jch will frei bleiben. Nehmen Sie in Jhre Dienste, Herr von
Twinkhorst, wer besser dafür paßt!“

[Spaltenumbruch]

„Sie sollen sich jetzt nicht entschließen; Sie sind vorschnell, trotz
Jhrer weißen Haare. Das taugt nicht für einen Mann und Vater.“

Der Baron stand nach diesen scharf betonten Worten auf, grüßte
die Mutter und Cäcilien und schritt hinaus. Der Justitiar bemerkte
noch, der Vorschlag des Herrn von Twinkhorst sei gewiß freundlich
und annehmbar, und folgte diesem dann.

Am nächsten Tage ging Moser zum ersten Mal nicht um die ge-
wohnte Stunde nach dem Schulhause. Er blieb vielmehr im Sessel
sitzen und brütete vor sich hin; die Zeitung, die zu studiren sonst sein
erstes Tagewerk war, hatte er noch nicht angesehen. Vergebens auch
hatte Veronika, seine Frau, ihm vorzustellen gewagt, daß er unmöglich
das Anerbieten des Herrn von Twinkhorst ausschlagen könne. Ein
finsterer Blick seines dunkeln Auges machte sie verstummen.

Die Mutter ging in stiller Sorge im Hause umher. Es war
nicht das erste Mal, daß Moser aus Hochmuth oder übertriebenem
Hang zur Unabhängigkeit eine angemessene Lebensstellung verschmäht
hatte. Sie ehrte seinen Stolz, aber ihr mütterliches Gefühl empfand
es schmerzlich, die Kinder abermals einer trüben, ungewissen Zukunft
preisgegeben zu sehen. Sie rief Cäcilien zu sich und sagte fast bitter:

„Dir wird kein Frühlingsabend mehr unter Deinen geliebten Eichen
bescheert sein, Cäcilie!“

Das Mädchen aber antwortete:

„Der Vater hat Recht. Jch wollte nicht, daß er in die Dienste
dieses übermüthigen Adeligen träte.“

„Uebermüthig nennst Du den Herrn von Twinkhorst?“ rief die
Mutter verwundert. „Und weßhalb? Weil er uns nicht, wie er es
konnte, sofort weg trieb? Weil er uns ein Wohlwollen zeigte, das
wir nach seinen Begriffen sicher nicht verdienten?“

„Das mag wahr sein, und dennoch — ich möchte nicht, daß wir
ihm Etwas zu danken hätten.“

„Du bist die würdige Tochter Deines Vaters“, sagte die Mutter,
rief aber, da sie eben durch ein Fenster hinaus blickte: „Wie? Da
kommt er ja schon wieder —“

„Der Baron?“ fragte Cäcilie und eilte zur Mutter ans Fenster.

Es war aber der Justitiar. Er trat in die Stube zu Moser und
begrüßte den gewesenen Lehrer mit Herzlichkeit, während dieser nur
scheu und steif eine halbe Verbeugung machte.

„Jch komme, Jhren Entschluß einzuholen oder, offen gesagt, Sie
zu dem Entschluß, welchen ich für den richtigen halte, zu bestimmen.“

„Sie sind der Justitiar, der Beamte des Herrn von Twinkhorst“,
versetzte Moser. „Sie halten den Entschluß für den richtigen, der
dem Herrn von Twinkhorst genehm ist.“

Ulrich Hammer hörte ruhig diese verletzende Antwort an und
sagte dann:

„Sie vertrauen mir nicht, Herr Moser. Aber Sie können mir
vertrauen, denn unsere Lage hat viel Aehnlichkeit. Jch bin seit Jah-
ren mit Herrn von Twinkhorst bekannt; auf der Universität waren
wir Freunde. Unser Lebensgang führte uns aus einander; er, der
reiche Edelmann, genoß die Vortheile seiner Geburt, ich machte meine
Studien, bestand die Prüfungen und war meinem Ziel, einem Staats-
amt, nahe, als die Bewegung ausbrach. Sie führte mich wieder mit
dem Universitätsfreund zusammen, doch wir standen in verschiedenen
Lagern. Er ist erfüllt von seinem Beruf, von dem Beruf des Adels,
den ich nicht anerkenne. Wir haben wacker gekämpft, und nun —
nach zwei Jahren des Kampfes muß ich einsehen, nicht, daß meine
Bestrebungen falsch gewesen, aber daß die Sache, der ich diene, noch
nicht vorbereitet genug ist.“

Da der Justitiar hier einhielt, so schaute Moser auf und sagte
mißtrauisch:

„Sie haben sich also bekehren lassen und wohnen nun mit dem
frühern Gegner in demselben Lager?“

„Nein“, antwortete Hammer; „aber meiner Ansicht nach wird durch
ohnmächtiges Grollen, durch eitle Klage nichts erreicht. Jch gebe den
Kampf nicht auf; aber weil ich die Berge nicht erfliegen konnte, so
klimme ich Fuß für Fuß hinan. Und das thut uns Allen noth:
Ausdauer, Geduld und die Erkenntniß, daß zu jedem menschlichen Werk
nicht der schnelle Gedanke genügt, der, nur das Ziel im Auge, die
Hindernisse des Weges nicht sieht, daß jedes dieser Hindernisse durch
langsame, stetige Arbeit überwunden sein will.“

„Sie arbeiten für die Sache des Volks, indem Sie in den Dienst
des Adels treten, indem sie eine Gerichtsbarkeit ausüben, die, statt
durch das allgemeine Gesetz eingeführt zu sein, ein Ausfluß schäd-
licher ererbter Vorurtheile ist!“

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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[227/0003] 227 „Da sind wir also in der Höhle des Löwen, der alle Aristokraten zermalmt!“ sagte der zuerst Eingetretene zu seinem Begleiter. Doch dieser antwortete nicht, er begrüßte vielmehr die Glieder der Familie, die sich überrascht von ihren Sitzen erhoben hatten. „Jch bin der Baron Twinkhorst“, sagte nun der Erste mit lauter Stimme, und auf Moser zuschreitend fragte er: „Heißen Sie Moser — Johannes Moser?“ „So heiße ich.“ Die gemessene Weise, in welcher die Antwort gegeben wurde, ver- anlaßte den Baron, sich den Lehrer näher zu betrachten, und nun sagte er, den Hut vom Kopf nehmend, die Gesellschaft möge sich durch sein Erscheinen nicht beunruhigen lassen und ihre Abendmahlzeit fort- setzen. Moser war der Einzige, der dies denn auch that. Seine Frau aber und Cäcilie, die älteste Tochter, brachten für die Herren Stühle herbei. Der Baron wollte eben wieder zu sprechen beginnen, als ihn Cäcilie einlud, Platz zu nehmen. Da klärte sich sein Gesicht auf, und er warf auf das Mädchen einen so eindringenden Blick, daß es erröthend sich wegwendete. Es trat eine peinliche Stille ein. Die jüngeren Kinder drückten sich ängstlich an die Wand. Cäcilien pochte das Herz, sie wagte nicht aufzuschauen; es war ihr, als ruhe noch immer der Blick auf ihr, der sie im Jnnersten erschreckt hatte. Die Mutter aber blickte bittend nach dem Gatten, sie kannte ihn und fürchtete einen Ausbruch seiner Heftigkeit, obwohl er noch ruhig dasaß und die Fremden nicht zu beachten schien. Da nahm der Zweite der beiden Herren das Wort. „Sie haben bis heut in dieser Gemeinde das Lehreramt verwaltet, Herr Moser. Sie wurden durch die Gemeinde dazu berufen. Jst es nicht so?“ Moser bejahte es kurz. „Allein“, fuhr Jener fort, „den Herren von Twinkhorst steht das Recht zu, die von der Gemeinde für die verschiedenen Gemeindeämter Vorgeschlagenen zu bestätigen. Diese Bestätigung fehlt Jhnen. Herr von Twinkhorst kann Sie daher nicht als rechtmäßigen Jnhaber des Amtes betrachten, um so weniger, als ein solcher rechtmäßiger Jn- haber vorhanden ist.“ „Das leugne ich!“ rief Moser. „Der Andere ist einseitig von dem Gutsherrn ernannt worden, ohne Zuthun der Gemeinde.“ „Dann hätte die Gemeinde Einspruch erheben sollen. Sie können sich darauf nicht stützen. „Jch stütze mich“, erwiderte der Lehrer schnell, „auf den Willen Derer, die mir diese Stelle anvertraut haben. Volksämter soll das Volk besetzen. Jch habe das ewige, das einzige Recht für mich.“ Der Lehrer war aufgestanden; sein Antlitz glühte vor Erregung. Ueber die Mienen des Andern aber ging ein stilles und wehmüthiges Lächeln. Der Baron dagegen sagte halblaut und spöttisch: „Richtig, ein echter Volkstribun! Welch erhebendes Schauspiel für Sie, Ulrich!“ Dann, an Moser sich wendend, fuhr er fort: „Der Herr Justitiar Hammer — denn dies ist der neue Herr Justitiar — hat Jhnen gezeigt, daß Sie das Lehreramt unbefugt inne hatten. Allein er meint, ich solle der allgemeinen Verwirrung dieser letzten Jahre Rechnung tragen, und da ich außerdem heut in Erfahrung ge- bracht, daß Sie sich in mancher Hinsicht um meine Gutsherrschaft Verdienste erworben —“ Der Baron unterbrach sich selbst, sah von Moser weg auf Cäcilien und schien sich zu besinnen. Statt seiner fuhr der Justitiar fort: „Der Herr Baron will Sie nicht ohne Weiteres entlassen. Er gestattet Jhnen einstweilen hier zu bleiben als Hülfslehrer, bis Sie anderswo ein Unterkommen gefunden.“ „Nein, nein“, fiel ihm der Herr von Twinkhorst in die Rede; „ich weiß es jetzt besser. Es freut mich, den Rath des Herrn Ju- stitiars befolgt und Sie aufgesucht zu haben. Sie hätten mir ja doch schwerlich die Ehre Jhres Besuchs geschenkt. Jch halte Sie für einen wackern Mann, der ein Amt ausfüllt, auch wenn es ihm nicht durch die allgemeine Wahl übertragen worden. Sie verstehen sich auf die Fortschritte, welche die Landwirthschaft gemacht hat. Sie haben schon manches Gute hier eingeführt, Sie können dieser Gegend noch ferner nützlich sein. Wie wäre es, wenn Sie mit Jhrem Wissen meinem Verwalter an die Hand gingen? Jch will Sie in meine Dienste nehmen, Moser.“ Der Baron hatte, obwohl seine Lippen anfänglich in leisem Spott zuckten, dennoch ernsthaft gesprochen. Die Mutter und die älteren Kinder standen freudig überrascht; solch ein Ergebniß dieses Abends hatten sie nicht gehofft. Auch der Justitiar war erstaunt; nur die Mildthätigkeit des Barons hatte er angerufen für den armen Schul- meister, und des Barons Aufforderung war großmüthig. Moser allein schaute düster und sagte: „Jch will frei bleiben. Nehmen Sie in Jhre Dienste, Herr von Twinkhorst, wer besser dafür paßt!“ „Sie sollen sich jetzt nicht entschließen; Sie sind vorschnell, trotz Jhrer weißen Haare. Das taugt nicht für einen Mann und Vater.“ Der Baron stand nach diesen scharf betonten Worten auf, grüßte die Mutter und Cäcilien und schritt hinaus. Der Justitiar bemerkte noch, der Vorschlag des Herrn von Twinkhorst sei gewiß freundlich und annehmbar, und folgte diesem dann. Am nächsten Tage ging Moser zum ersten Mal nicht um die ge- wohnte Stunde nach dem Schulhause. Er blieb vielmehr im Sessel sitzen und brütete vor sich hin; die Zeitung, die zu studiren sonst sein erstes Tagewerk war, hatte er noch nicht angesehen. Vergebens auch hatte Veronika, seine Frau, ihm vorzustellen gewagt, daß er unmöglich das Anerbieten des Herrn von Twinkhorst ausschlagen könne. Ein finsterer Blick seines dunkeln Auges machte sie verstummen. Die Mutter ging in stiller Sorge im Hause umher. Es war nicht das erste Mal, daß Moser aus Hochmuth oder übertriebenem Hang zur Unabhängigkeit eine angemessene Lebensstellung verschmäht hatte. Sie ehrte seinen Stolz, aber ihr mütterliches Gefühl empfand es schmerzlich, die Kinder abermals einer trüben, ungewissen Zukunft preisgegeben zu sehen. Sie rief Cäcilien zu sich und sagte fast bitter: „Dir wird kein Frühlingsabend mehr unter Deinen geliebten Eichen bescheert sein, Cäcilie!“ Das Mädchen aber antwortete: „Der Vater hat Recht. Jch wollte nicht, daß er in die Dienste dieses übermüthigen Adeligen träte.“ „Uebermüthig nennst Du den Herrn von Twinkhorst?“ rief die Mutter verwundert. „Und weßhalb? Weil er uns nicht, wie er es konnte, sofort weg trieb? Weil er uns ein Wohlwollen zeigte, das wir nach seinen Begriffen sicher nicht verdienten?“ „Das mag wahr sein, und dennoch — ich möchte nicht, daß wir ihm Etwas zu danken hätten.“ „Du bist die würdige Tochter Deines Vaters“, sagte die Mutter, rief aber, da sie eben durch ein Fenster hinaus blickte: „Wie? Da kommt er ja schon wieder —“ „Der Baron?“ fragte Cäcilie und eilte zur Mutter ans Fenster. Es war aber der Justitiar. Er trat in die Stube zu Moser und begrüßte den gewesenen Lehrer mit Herzlichkeit, während dieser nur scheu und steif eine halbe Verbeugung machte. „Jch komme, Jhren Entschluß einzuholen oder, offen gesagt, Sie zu dem Entschluß, welchen ich für den richtigen halte, zu bestimmen.“ „Sie sind der Justitiar, der Beamte des Herrn von Twinkhorst“, versetzte Moser. „Sie halten den Entschluß für den richtigen, der dem Herrn von Twinkhorst genehm ist.“ Ulrich Hammer hörte ruhig diese verletzende Antwort an und sagte dann: „Sie vertrauen mir nicht, Herr Moser. Aber Sie können mir vertrauen, denn unsere Lage hat viel Aehnlichkeit. Jch bin seit Jah- ren mit Herrn von Twinkhorst bekannt; auf der Universität waren wir Freunde. Unser Lebensgang führte uns aus einander; er, der reiche Edelmann, genoß die Vortheile seiner Geburt, ich machte meine Studien, bestand die Prüfungen und war meinem Ziel, einem Staats- amt, nahe, als die Bewegung ausbrach. Sie führte mich wieder mit dem Universitätsfreund zusammen, doch wir standen in verschiedenen Lagern. Er ist erfüllt von seinem Beruf, von dem Beruf des Adels, den ich nicht anerkenne. Wir haben wacker gekämpft, und nun — nach zwei Jahren des Kampfes muß ich einsehen, nicht, daß meine Bestrebungen falsch gewesen, aber daß die Sache, der ich diene, noch nicht vorbereitet genug ist.“ Da der Justitiar hier einhielt, so schaute Moser auf und sagte mißtrauisch: „Sie haben sich also bekehren lassen und wohnen nun mit dem frühern Gegner in demselben Lager?“ „Nein“, antwortete Hammer; „aber meiner Ansicht nach wird durch ohnmächtiges Grollen, durch eitle Klage nichts erreicht. Jch gebe den Kampf nicht auf; aber weil ich die Berge nicht erfliegen konnte, so klimme ich Fuß für Fuß hinan. Und das thut uns Allen noth: Ausdauer, Geduld und die Erkenntniß, daß zu jedem menschlichen Werk nicht der schnelle Gedanke genügt, der, nur das Ziel im Auge, die Hindernisse des Weges nicht sieht, daß jedes dieser Hindernisse durch langsame, stetige Arbeit überwunden sein will.“ „Sie arbeiten für die Sache des Volks, indem Sie in den Dienst des Adels treten, indem sie eine Gerichtsbarkeit ausüben, die, statt durch das allgemeine Gesetz eingeführt zu sein, ein Ausfluß schäd- licher ererbter Vorurtheile ist!“ ( Fortsetzung folgt. )

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 29. Berlin, 19. Juli 1868, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt29_1868/3>, abgerufen am 01.06.2024.