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Sonntags-Blatt. Nr. 35. Berlin, 29. August 1869.

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Deutsche Künstler der Gegenwart.
II. Reinhold Begas und das Berliner Schiller-
Denkmal.

Am 10. November d. J. sind zehn Jahre seit jener großen natio-
nalen Feier vergangen, in welcher damals das gesammte deutsche Volk
seiner begeisterten Liebe für den, ihm vor Allen theuren Dichter, für
seinen Schiller, am hundertsten Jahrestage von dessen Geburt, den
schönen, würdigen, festlichen Ausdruck gab. Jn vielen Städten des
Vaterlandes verband man mit der Erinnerung an den, welchen jener
Tag zum Heil seines Volkes geboren, auch die Stiftung neuer Ge-
dächtnißmale für den herrlichen deutschen Geisteshelden, ob man sich
auch sehr wohl bewußt war, daß er das beste und bleibendste sich selbst
in seinen Schöpfungen begründet hat, die alle Bilder seiner sterblichen
Gestalt in Marmor und Erz überdauern werden.

Aber wenn man für Fürsten und Soldaten kaum genug der Plätze
in unsern Hauptstädten hat, um ihnen prächtige Monumente darauf hin
zu pflanzen, so war es ein sehr natürlicher und sehr wohl begründeter
Wunsch des Volkes, einen so viel größeren Herrscher über die Geister
und Herzen, als alle Jene, in nicht geringerer Form öffentlich geehrt
zu sehen durch Denkmale, welche auch den fernsten Nachkommen noch
das ideale Bild seiner Persönlichkeit immerdar vor Augen stellen wür-
den. Unter den deutschen Städten, welche diesen Gedanken freudig er-
griffen und eifrig die Mittel zusammen brachten, die nöthig waren, ihn
zu verwirklichen, fehlte natürlich auch Berlin nicht. Den eigentlichen
Mittelpunkt der Schillerfeier bildete auch hier wie in jenen, die Legung
des Grundsteins für das Denkmal, das sich baldmöglichst von be-
rufener Meisterhand ausgeführt, für den Dichter erheben sollte. Ob-
gleich wir uns damals in der Blüthezeit der liberalen sogenannten
"Neuen Aera" befanden, so begegnete die ganze Sache schon in jener
Zeit von einer gewissen Seite her einem kaum verhehlten Miß-
wollen, nicht unähnlich dem, welches von derselben Seite heute der
verwandten Angelegenheit der Humboldtfeier bewiesen wird. Man
bemühte sich, und nicht ganz erfolglos, damals wie jetzt einen " demo-
kratischen Schwindel" als den wahren Kern der ganzen Bewegung für
des Dichters Verherrlichung zu enthüllen.

Längst sind in allen Städten Deutschlands, welche 1859 solche
Grundsteinlegungen zu ihren Schillerdenkmalen festlich begingen, die
damals projektirten vollendet und aufgestellt worden. Nur in Berlin
blieb das Gitter, welches den dafür bestimmten Platz vor der großen
Freitreppe des Schauspielhauses einhegt, noch immer leer. Das " Schiller-
Gitter " wurde bereits ein Gegenstand des Volksgespöttes. Aber nun
nach zehn Jahren für den 10. November 1869 war die endliche Auf-
stellung mit Bestimmtheit angekündigt. Jm April bereits erwartete
man, mit den Erdarbeiten beginnen zu sehen. Man hörte, daß der
Grundstein von der ursprünglich gewählten Stelle entfernt und weiter
in den Platz hinein von der Freitreppe weggerückt werden würde, was
für die Wirkung des ganzen Monuments nur von großem Vortheil
sein könnte. Aber Monat auf Monat ist vergangen, und bis heute
hat man noch nicht die geringsten Anstalten gemacht, welche auf eine
wirkliche Ausführung des Beschlusses der Enthüllung am festgesetzten
Jahrestage hindeuten. Am Künstler liegt die Schuld nicht. Sein
Werk steht vollendet im Atelier da. Die städtischen Behörden, welche
sich für jene Verlegung des Platzes entschieden haben, weisen die Ver-
antwortlichkeit der Verzögerung von sich ab. Die Frage, wo der Grund
derselben dann zu suchen sei, bleibt unbeantwortet und Berlin wahr-
scheinlich wieder ohne Schillermonument, das in der Werkstatt ruht,
während das "Schiller=Gitter" den, nach wie vor "Gensdarmenmarkt"
genannten Platz wie seit zehn Jahren auch ferner zu "schmücken" be-
stimmt scheint. Es ist das freilich nicht das Einzige in unsern öffent-
lichen Zuständen, was sich dem Begreifen durch den "beschränkten Un-
terthanenverstand " völlig entzieht.

Dies letzte, freilich unvorhergesehene Hinderniß, welches sich dem
vollendeten Werk entgegenstellt, ist nur die Krönung einer ganzen
Folge von hemmenden Schwierigkeiten, mit denen dasselbe zu kämpfen
hatte, vom ersten Versuch an, der zur Verwirklichung des schönen Ge-
dankens unternommen wurde. Jm Jahre 1862 fand die erste Aus-
stellung der in Folge der Aufforderung an die deutschen Bildhauer
eingegangenen Modelle und Skizzen zu einem Schillermonument für
Berlin, im Concertsaal des Kgl. Schauspielhauses statt. Die bedeu-
tendsten Meister und die begabtesten Jünger der plastischen Kunst
hatten sich eifrig daran betheiligt. Es waren vielfach interessante Ar-
beiten eingegangen. Aber die öffentliche Meinung erklärte sich bald
genug für zwei aus der ganzen Menge: die von Siemering und
die von Reinhold Begas. Jn der ersteren sprach besonders die
Auffassung der Gestalt Schillers selbst in hohem Grade an, während das
Postament in Anlage und Form weniger befriedigen mochte. Das
zweite dagegen, ob auch nur ganz derb und skizzenhaft behandelt, zeigte
eine so großartige Totalcomposition, war so original, so abweichend
[Spaltenumbruch] von der ziemlich schematisch gewordenen Manier solcher Denkmals-
anlagen, erschien so poesievoll in der Erfindung, so mächtig in der
plastisch monumentalen Wirkung, daß selbst die Gegner der ganzen
Richtung des Urhebers nicht umhin konnten, "sein großes Verdienst
unwillig anzuerkennen."

Dieser Urheber, wenn auch zu den jüngsten Meistern Berlins zäh-
lend, war unserm Publikum damals schon keineswegs unbekannt.
Reinhold Begas ist am 15. Juli 1831 in Berlin geboren, der
Sohn des 1854 hier verstorbenen berühmten Malers Prof. Karl Be-
gas,
des Schöpfers zahlreicher bedeutender Werke der Geschichts=,
Genre= und Bildnißmalerei während der zwanziger, dreißiger und vier-
ziger Jahre und des Vaters einer ganzen Familie von Künstlern.
Wer in solchen Zufälligkeiten eine Verheißung und Vorbedeutung für
die Zukunft sieht, konnte ihm seinen Lebensberuf schon an der Wiege
aus dem Umstand prophezeien, daß die drei größten Bildhauer Deutsch-
lands, Gottfried Schadow, Rauch und Tieck den Knaben über
die Taufe gehalten haben. Jedenfalls hat sich ihr Segen als ganz
besonders kräftig und wirksam an ihm erwiesen. Die Neigung und
die Anlagen zur Skulptur äußerten sich bereits so früh und mit so
unwiderstehlicher Entschiedenheit bei ihm, daß kein Zweifel über die
Art seines Berufs möglich gewesen wäre. Wichmann und Rauch
waren seine hiesigen Meister. Jn des letztern Werkstatt führte er
jenes liebenswürdige Erstlingswerk aus, womit er in der Berliner Aus-
stellung von 1852 auftrat: die Marmorgruppe Hagar und Jsmael.
Jn Composition und Formengebung hat es zwar noch nichts von
jener Kühnheit und Breite, welche seine späteren Schöpfungen charak-
terisirt, aber schon hier in dieser Jugendarbeit sehen wir ihn die aus-
getretenen Geleise verschmähen, und statt der schablonenhaften, von der
Antike abstrahirten Formensprache, im treuen Studium der lebendigen
Natur sich seine eigene, ihr entsprechende Ausdrucksweise suchen. Eine
zweite Gruppe, Amor, von Psyche im Schlaf belauscht, folgte
im Winter 1854. Zu ihrer Ausführung in Marmor ( für den Banquier
Oppenheim ) begab er sich 1855 nach Jtalien. Entschiedener als für
die große Mehrzahl seiner Kunstgenossen, ist Jtalien epochemachend
für seine künstlerische Entwicklung geworden, hat tief eingreifend auf
den fernern Gang derselben gewirkt. Die normale Gesundheit und
Schönheit, der Formenadel und die natürliche Grazie und Hoheit der
Bewegungen, welche sich an den Gestalten des römischen Volkes zumal
viel reiner und häufiger finden, als bei dem durch die Nothwendigkeit
harter Arbeit und ein rauhes Klima bedingten Volk der nordischen
Heimath, die Größe der plastischen Schöpfungen der antiken Kunst
und mehr vielleicht noch derer der herrlichen italienischen Renaissance
-- diese Faktoren verfehlten nicht, ihren starken Einfluß auf seine
künstlerischen Anschauungen und auf die ganze fernere Richtung seines
Schaffens auszuüben. Als er 1858 im Sommer nach Deutschland zurück-
kehrte, war er gleichsam ein anderer Mensch. Das Werk, das er dort in
Rom zuletzt modellirt hatte und nun zur Berliner Ausstellung jenes
Jahres brachte: Pan, die verlassene Psyche tröstend, bewies
am besten die reiche Entfaltung seiner zuvor noch etwas befangenen
und gebundenen Kraft. Aus der conventionellen Manier unserer hei-
mischen Plastik ging es völlig heraus. Die Gestalten hatten ein so
warm pulsirendes Leben bei aller maßvollen Kunst=Schönheit und
Anmuth, eine so natürliche Frische und Energie, wie sie den
Gips und Marmor unserer modernen Bildwerke selten wohl beseelt
haben. Gleichzeitig mit dieser lebensgroßen Gruppe stellte Begas
noch eine kleine voll entzückend naiver Lieblichkeit aus: Nymphe,
der ein Amor in's Ohr flüstert,
und eine prächtige weinbekränzte
nackte Knabenfigur. Der Erfolg war allgemein. Jene Pansgruppe
wurde hier wie im Auslande auch mit allen äußern Zeichen der Aner-
kennung gekrönt. Aber das Erwünschteste, der Auftrag zur Ausführung
in Marmor oder Bronce, blieb noch lange aus. Der Künstler be-
gnügte sich freilich keineswegs mit gemächlichem Zuwarten. Er ging,
unbeeinflußt durch leidenschaftliche Gegnerschaft, wie sie jede bedeutende
und wahrhaft eigenartige Erscheinung auf jedem geistigen Gebiet sicher
ist, zu erwecken, seinen natürlichen Weg weiter. Auf der Ausstellung
von 1860 erschien eine neue lebensgroße Gruppe von ihm, eine Fau-
nenfamilie,
Mann und junge Frau, die ihr Kind in reizendem
Uebermuth des Mutterglücksgefühls über ihrem Haupte schwingt. Der
Gegensatz zu der akademischen, schulgerechten Plastik war hier vielleicht
noch entschiedener ausgesprochen. Jn der gleichzeitig damit entstandenen
großen Mittelgruppe für das neue Berliner Börsengebäude aber ging
er bis zu einer gewissen Maßlosigkeit und Uebertriebenheit in den
Formen, welche der Wirkung um so mehr Eintrag thun mußten, als
der Styl jenes ganzen Bau's, den sie krönen soll, eigentlich keinen Anlaß
dazu bietet, und mithin auch in keinem Einklang damit steht. Jn
demselben Jahre 1861 war Begas von dem Großherzog von Weimar
als Professor an die dort neu begründete Deutsche Kunstschule berufen
worden und hatte diesem Ruf Folge geleistet. Von dort aus hatte
er den Entwurf seines Schillerdenkmals eingesendet, von dort aus auch
noch an einer andern gleichzeitigen Concurrenz um ein großes monu-
mentales Werk sich betheiligt: an der um das in Köln zu errichtende

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Deutsche Künstler der Gegenwart.
II. Reinhold Begas und das Berliner Schiller-
Denkmal.

Am 10. November d. J. sind zehn Jahre seit jener großen natio-
nalen Feier vergangen, in welcher damals das gesammte deutsche Volk
seiner begeisterten Liebe für den, ihm vor Allen theuren Dichter, für
seinen Schiller, am hundertsten Jahrestage von dessen Geburt, den
schönen, würdigen, festlichen Ausdruck gab. Jn vielen Städten des
Vaterlandes verband man mit der Erinnerung an den, welchen jener
Tag zum Heil seines Volkes geboren, auch die Stiftung neuer Ge-
dächtnißmale für den herrlichen deutschen Geisteshelden, ob man sich
auch sehr wohl bewußt war, daß er das beste und bleibendste sich selbst
in seinen Schöpfungen begründet hat, die alle Bilder seiner sterblichen
Gestalt in Marmor und Erz überdauern werden.

Aber wenn man für Fürsten und Soldaten kaum genug der Plätze
in unsern Hauptstädten hat, um ihnen prächtige Monumente darauf hin
zu pflanzen, so war es ein sehr natürlicher und sehr wohl begründeter
Wunsch des Volkes, einen so viel größeren Herrscher über die Geister
und Herzen, als alle Jene, in nicht geringerer Form öffentlich geehrt
zu sehen durch Denkmale, welche auch den fernsten Nachkommen noch
das ideale Bild seiner Persönlichkeit immerdar vor Augen stellen wür-
den. Unter den deutschen Städten, welche diesen Gedanken freudig er-
griffen und eifrig die Mittel zusammen brachten, die nöthig waren, ihn
zu verwirklichen, fehlte natürlich auch Berlin nicht. Den eigentlichen
Mittelpunkt der Schillerfeier bildete auch hier wie in jenen, die Legung
des Grundsteins für das Denkmal, das sich baldmöglichst von be-
rufener Meisterhand ausgeführt, für den Dichter erheben sollte. Ob-
gleich wir uns damals in der Blüthezeit der liberalen sogenannten
„Neuen Aera“ befanden, so begegnete die ganze Sache schon in jener
Zeit von einer gewissen Seite her einem kaum verhehlten Miß-
wollen, nicht unähnlich dem, welches von derselben Seite heute der
verwandten Angelegenheit der Humboldtfeier bewiesen wird. Man
bemühte sich, und nicht ganz erfolglos, damals wie jetzt einen „ demo-
kratischen Schwindel“ als den wahren Kern der ganzen Bewegung für
des Dichters Verherrlichung zu enthüllen.

Längst sind in allen Städten Deutschlands, welche 1859 solche
Grundsteinlegungen zu ihren Schillerdenkmalen festlich begingen, die
damals projektirten vollendet und aufgestellt worden. Nur in Berlin
blieb das Gitter, welches den dafür bestimmten Platz vor der großen
Freitreppe des Schauspielhauses einhegt, noch immer leer. Das „ Schiller-
Gitter “ wurde bereits ein Gegenstand des Volksgespöttes. Aber nun
nach zehn Jahren für den 10. November 1869 war die endliche Auf-
stellung mit Bestimmtheit angekündigt. Jm April bereits erwartete
man, mit den Erdarbeiten beginnen zu sehen. Man hörte, daß der
Grundstein von der ursprünglich gewählten Stelle entfernt und weiter
in den Platz hinein von der Freitreppe weggerückt werden würde, was
für die Wirkung des ganzen Monuments nur von großem Vortheil
sein könnte. Aber Monat auf Monat ist vergangen, und bis heute
hat man noch nicht die geringsten Anstalten gemacht, welche auf eine
wirkliche Ausführung des Beschlusses der Enthüllung am festgesetzten
Jahrestage hindeuten. Am Künstler liegt die Schuld nicht. Sein
Werk steht vollendet im Atelier da. Die städtischen Behörden, welche
sich für jene Verlegung des Platzes entschieden haben, weisen die Ver-
antwortlichkeit der Verzögerung von sich ab. Die Frage, wo der Grund
derselben dann zu suchen sei, bleibt unbeantwortet und Berlin wahr-
scheinlich wieder ohne Schillermonument, das in der Werkstatt ruht,
während das „Schiller=Gitter“ den, nach wie vor „Gensdarmenmarkt“
genannten Platz wie seit zehn Jahren auch ferner zu „schmücken“ be-
stimmt scheint. Es ist das freilich nicht das Einzige in unsern öffent-
lichen Zuständen, was sich dem Begreifen durch den „beschränkten Un-
terthanenverstand “ völlig entzieht.

Dies letzte, freilich unvorhergesehene Hinderniß, welches sich dem
vollendeten Werk entgegenstellt, ist nur die Krönung einer ganzen
Folge von hemmenden Schwierigkeiten, mit denen dasselbe zu kämpfen
hatte, vom ersten Versuch an, der zur Verwirklichung des schönen Ge-
dankens unternommen wurde. Jm Jahre 1862 fand die erste Aus-
stellung der in Folge der Aufforderung an die deutschen Bildhauer
eingegangenen Modelle und Skizzen zu einem Schillermonument für
Berlin, im Concertsaal des Kgl. Schauspielhauses statt. Die bedeu-
tendsten Meister und die begabtesten Jünger der plastischen Kunst
hatten sich eifrig daran betheiligt. Es waren vielfach interessante Ar-
beiten eingegangen. Aber die öffentliche Meinung erklärte sich bald
genug für zwei aus der ganzen Menge: die von Siemering und
die von Reinhold Begas. Jn der ersteren sprach besonders die
Auffassung der Gestalt Schillers selbst in hohem Grade an, während das
Postament in Anlage und Form weniger befriedigen mochte. Das
zweite dagegen, ob auch nur ganz derb und skizzenhaft behandelt, zeigte
eine so großartige Totalcomposition, war so original, so abweichend
[Spaltenumbruch] von der ziemlich schematisch gewordenen Manier solcher Denkmals-
anlagen, erschien so poesievoll in der Erfindung, so mächtig in der
plastisch monumentalen Wirkung, daß selbst die Gegner der ganzen
Richtung des Urhebers nicht umhin konnten, „sein großes Verdienst
unwillig anzuerkennen.“

Dieser Urheber, wenn auch zu den jüngsten Meistern Berlins zäh-
lend, war unserm Publikum damals schon keineswegs unbekannt.
Reinhold Begas ist am 15. Juli 1831 in Berlin geboren, der
Sohn des 1854 hier verstorbenen berühmten Malers Prof. Karl Be-
gas,
des Schöpfers zahlreicher bedeutender Werke der Geschichts=,
Genre= und Bildnißmalerei während der zwanziger, dreißiger und vier-
ziger Jahre und des Vaters einer ganzen Familie von Künstlern.
Wer in solchen Zufälligkeiten eine Verheißung und Vorbedeutung für
die Zukunft sieht, konnte ihm seinen Lebensberuf schon an der Wiege
aus dem Umstand prophezeien, daß die drei größten Bildhauer Deutsch-
lands, Gottfried Schadow, Rauch und Tieck den Knaben über
die Taufe gehalten haben. Jedenfalls hat sich ihr Segen als ganz
besonders kräftig und wirksam an ihm erwiesen. Die Neigung und
die Anlagen zur Skulptur äußerten sich bereits so früh und mit so
unwiderstehlicher Entschiedenheit bei ihm, daß kein Zweifel über die
Art seines Berufs möglich gewesen wäre. Wichmann und Rauch
waren seine hiesigen Meister. Jn des letztern Werkstatt führte er
jenes liebenswürdige Erstlingswerk aus, womit er in der Berliner Aus-
stellung von 1852 auftrat: die Marmorgruppe Hagar und Jsmael.
Jn Composition und Formengebung hat es zwar noch nichts von
jener Kühnheit und Breite, welche seine späteren Schöpfungen charak-
terisirt, aber schon hier in dieser Jugendarbeit sehen wir ihn die aus-
getretenen Geleise verschmähen, und statt der schablonenhaften, von der
Antike abstrahirten Formensprache, im treuen Studium der lebendigen
Natur sich seine eigene, ihr entsprechende Ausdrucksweise suchen. Eine
zweite Gruppe, Amor, von Psyche im Schlaf belauscht, folgte
im Winter 1854. Zu ihrer Ausführung in Marmor ( für den Banquier
Oppenheim ) begab er sich 1855 nach Jtalien. Entschiedener als für
die große Mehrzahl seiner Kunstgenossen, ist Jtalien epochemachend
für seine künstlerische Entwicklung geworden, hat tief eingreifend auf
den fernern Gang derselben gewirkt. Die normale Gesundheit und
Schönheit, der Formenadel und die natürliche Grazie und Hoheit der
Bewegungen, welche sich an den Gestalten des römischen Volkes zumal
viel reiner und häufiger finden, als bei dem durch die Nothwendigkeit
harter Arbeit und ein rauhes Klima bedingten Volk der nordischen
Heimath, die Größe der plastischen Schöpfungen der antiken Kunst
und mehr vielleicht noch derer der herrlichen italienischen Renaissance
— diese Faktoren verfehlten nicht, ihren starken Einfluß auf seine
künstlerischen Anschauungen und auf die ganze fernere Richtung seines
Schaffens auszuüben. Als er 1858 im Sommer nach Deutschland zurück-
kehrte, war er gleichsam ein anderer Mensch. Das Werk, das er dort in
Rom zuletzt modellirt hatte und nun zur Berliner Ausstellung jenes
Jahres brachte: Pan, die verlassene Psyche tröstend, bewies
am besten die reiche Entfaltung seiner zuvor noch etwas befangenen
und gebundenen Kraft. Aus der conventionellen Manier unserer hei-
mischen Plastik ging es völlig heraus. Die Gestalten hatten ein so
warm pulsirendes Leben bei aller maßvollen Kunst=Schönheit und
Anmuth, eine so natürliche Frische und Energie, wie sie den
Gips und Marmor unserer modernen Bildwerke selten wohl beseelt
haben. Gleichzeitig mit dieser lebensgroßen Gruppe stellte Begas
noch eine kleine voll entzückend naiver Lieblichkeit aus: Nymphe,
der ein Amor in's Ohr flüstert,
und eine prächtige weinbekränzte
nackte Knabenfigur. Der Erfolg war allgemein. Jene Pansgruppe
wurde hier wie im Auslande auch mit allen äußern Zeichen der Aner-
kennung gekrönt. Aber das Erwünschteste, der Auftrag zur Ausführung
in Marmor oder Bronce, blieb noch lange aus. Der Künstler be-
gnügte sich freilich keineswegs mit gemächlichem Zuwarten. Er ging,
unbeeinflußt durch leidenschaftliche Gegnerschaft, wie sie jede bedeutende
und wahrhaft eigenartige Erscheinung auf jedem geistigen Gebiet sicher
ist, zu erwecken, seinen natürlichen Weg weiter. Auf der Ausstellung
von 1860 erschien eine neue lebensgroße Gruppe von ihm, eine Fau-
nenfamilie,
Mann und junge Frau, die ihr Kind in reizendem
Uebermuth des Mutterglücksgefühls über ihrem Haupte schwingt. Der
Gegensatz zu der akademischen, schulgerechten Plastik war hier vielleicht
noch entschiedener ausgesprochen. Jn der gleichzeitig damit entstandenen
großen Mittelgruppe für das neue Berliner Börsengebäude aber ging
er bis zu einer gewissen Maßlosigkeit und Uebertriebenheit in den
Formen, welche der Wirkung um so mehr Eintrag thun mußten, als
der Styl jenes ganzen Bau's, den sie krönen soll, eigentlich keinen Anlaß
dazu bietet, und mithin auch in keinem Einklang damit steht. Jn
demselben Jahre 1861 war Begas von dem Großherzog von Weimar
als Professor an die dort neu begründete Deutsche Kunstschule berufen
worden und hatte diesem Ruf Folge geleistet. Von dort aus hatte
er den Entwurf seines Schillerdenkmals eingesendet, von dort aus auch
noch an einer andern gleichzeitigen Concurrenz um ein großes monu-
mentales Werk sich betheiligt: an der um das in Köln zu errichtende

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[276/0004] 276 Deutsche Künstler der Gegenwart. II. Reinhold Begas und das Berliner Schiller- Denkmal. Am 10. November d. J. sind zehn Jahre seit jener großen natio- nalen Feier vergangen, in welcher damals das gesammte deutsche Volk seiner begeisterten Liebe für den, ihm vor Allen theuren Dichter, für seinen Schiller, am hundertsten Jahrestage von dessen Geburt, den schönen, würdigen, festlichen Ausdruck gab. Jn vielen Städten des Vaterlandes verband man mit der Erinnerung an den, welchen jener Tag zum Heil seines Volkes geboren, auch die Stiftung neuer Ge- dächtnißmale für den herrlichen deutschen Geisteshelden, ob man sich auch sehr wohl bewußt war, daß er das beste und bleibendste sich selbst in seinen Schöpfungen begründet hat, die alle Bilder seiner sterblichen Gestalt in Marmor und Erz überdauern werden. Aber wenn man für Fürsten und Soldaten kaum genug der Plätze in unsern Hauptstädten hat, um ihnen prächtige Monumente darauf hin zu pflanzen, so war es ein sehr natürlicher und sehr wohl begründeter Wunsch des Volkes, einen so viel größeren Herrscher über die Geister und Herzen, als alle Jene, in nicht geringerer Form öffentlich geehrt zu sehen durch Denkmale, welche auch den fernsten Nachkommen noch das ideale Bild seiner Persönlichkeit immerdar vor Augen stellen wür- den. Unter den deutschen Städten, welche diesen Gedanken freudig er- griffen und eifrig die Mittel zusammen brachten, die nöthig waren, ihn zu verwirklichen, fehlte natürlich auch Berlin nicht. Den eigentlichen Mittelpunkt der Schillerfeier bildete auch hier wie in jenen, die Legung des Grundsteins für das Denkmal, das sich baldmöglichst von be- rufener Meisterhand ausgeführt, für den Dichter erheben sollte. Ob- gleich wir uns damals in der Blüthezeit der liberalen sogenannten „Neuen Aera“ befanden, so begegnete die ganze Sache schon in jener Zeit von einer gewissen Seite her einem kaum verhehlten Miß- wollen, nicht unähnlich dem, welches von derselben Seite heute der verwandten Angelegenheit der Humboldtfeier bewiesen wird. Man bemühte sich, und nicht ganz erfolglos, damals wie jetzt einen „ demo- kratischen Schwindel“ als den wahren Kern der ganzen Bewegung für des Dichters Verherrlichung zu enthüllen. Längst sind in allen Städten Deutschlands, welche 1859 solche Grundsteinlegungen zu ihren Schillerdenkmalen festlich begingen, die damals projektirten vollendet und aufgestellt worden. Nur in Berlin blieb das Gitter, welches den dafür bestimmten Platz vor der großen Freitreppe des Schauspielhauses einhegt, noch immer leer. Das „ Schiller- Gitter “ wurde bereits ein Gegenstand des Volksgespöttes. Aber nun nach zehn Jahren für den 10. November 1869 war die endliche Auf- stellung mit Bestimmtheit angekündigt. Jm April bereits erwartete man, mit den Erdarbeiten beginnen zu sehen. Man hörte, daß der Grundstein von der ursprünglich gewählten Stelle entfernt und weiter in den Platz hinein von der Freitreppe weggerückt werden würde, was für die Wirkung des ganzen Monuments nur von großem Vortheil sein könnte. Aber Monat auf Monat ist vergangen, und bis heute hat man noch nicht die geringsten Anstalten gemacht, welche auf eine wirkliche Ausführung des Beschlusses der Enthüllung am festgesetzten Jahrestage hindeuten. Am Künstler liegt die Schuld nicht. Sein Werk steht vollendet im Atelier da. Die städtischen Behörden, welche sich für jene Verlegung des Platzes entschieden haben, weisen die Ver- antwortlichkeit der Verzögerung von sich ab. Die Frage, wo der Grund derselben dann zu suchen sei, bleibt unbeantwortet und Berlin wahr- scheinlich wieder ohne Schillermonument, das in der Werkstatt ruht, während das „Schiller=Gitter“ den, nach wie vor „Gensdarmenmarkt“ genannten Platz wie seit zehn Jahren auch ferner zu „schmücken“ be- stimmt scheint. Es ist das freilich nicht das Einzige in unsern öffent- lichen Zuständen, was sich dem Begreifen durch den „beschränkten Un- terthanenverstand “ völlig entzieht. Dies letzte, freilich unvorhergesehene Hinderniß, welches sich dem vollendeten Werk entgegenstellt, ist nur die Krönung einer ganzen Folge von hemmenden Schwierigkeiten, mit denen dasselbe zu kämpfen hatte, vom ersten Versuch an, der zur Verwirklichung des schönen Ge- dankens unternommen wurde. Jm Jahre 1862 fand die erste Aus- stellung der in Folge der Aufforderung an die deutschen Bildhauer eingegangenen Modelle und Skizzen zu einem Schillermonument für Berlin, im Concertsaal des Kgl. Schauspielhauses statt. Die bedeu- tendsten Meister und die begabtesten Jünger der plastischen Kunst hatten sich eifrig daran betheiligt. Es waren vielfach interessante Ar- beiten eingegangen. Aber die öffentliche Meinung erklärte sich bald genug für zwei aus der ganzen Menge: die von Siemering und die von Reinhold Begas. Jn der ersteren sprach besonders die Auffassung der Gestalt Schillers selbst in hohem Grade an, während das Postament in Anlage und Form weniger befriedigen mochte. Das zweite dagegen, ob auch nur ganz derb und skizzenhaft behandelt, zeigte eine so großartige Totalcomposition, war so original, so abweichend von der ziemlich schematisch gewordenen Manier solcher Denkmals- anlagen, erschien so poesievoll in der Erfindung, so mächtig in der plastisch monumentalen Wirkung, daß selbst die Gegner der ganzen Richtung des Urhebers nicht umhin konnten, „sein großes Verdienst unwillig anzuerkennen.“ Dieser Urheber, wenn auch zu den jüngsten Meistern Berlins zäh- lend, war unserm Publikum damals schon keineswegs unbekannt. Reinhold Begas ist am 15. Juli 1831 in Berlin geboren, der Sohn des 1854 hier verstorbenen berühmten Malers Prof. Karl Be- gas, des Schöpfers zahlreicher bedeutender Werke der Geschichts=, Genre= und Bildnißmalerei während der zwanziger, dreißiger und vier- ziger Jahre und des Vaters einer ganzen Familie von Künstlern. Wer in solchen Zufälligkeiten eine Verheißung und Vorbedeutung für die Zukunft sieht, konnte ihm seinen Lebensberuf schon an der Wiege aus dem Umstand prophezeien, daß die drei größten Bildhauer Deutsch- lands, Gottfried Schadow, Rauch und Tieck den Knaben über die Taufe gehalten haben. Jedenfalls hat sich ihr Segen als ganz besonders kräftig und wirksam an ihm erwiesen. Die Neigung und die Anlagen zur Skulptur äußerten sich bereits so früh und mit so unwiderstehlicher Entschiedenheit bei ihm, daß kein Zweifel über die Art seines Berufs möglich gewesen wäre. Wichmann und Rauch waren seine hiesigen Meister. Jn des letztern Werkstatt führte er jenes liebenswürdige Erstlingswerk aus, womit er in der Berliner Aus- stellung von 1852 auftrat: die Marmorgruppe Hagar und Jsmael. Jn Composition und Formengebung hat es zwar noch nichts von jener Kühnheit und Breite, welche seine späteren Schöpfungen charak- terisirt, aber schon hier in dieser Jugendarbeit sehen wir ihn die aus- getretenen Geleise verschmähen, und statt der schablonenhaften, von der Antike abstrahirten Formensprache, im treuen Studium der lebendigen Natur sich seine eigene, ihr entsprechende Ausdrucksweise suchen. Eine zweite Gruppe, Amor, von Psyche im Schlaf belauscht, folgte im Winter 1854. Zu ihrer Ausführung in Marmor ( für den Banquier Oppenheim ) begab er sich 1855 nach Jtalien. Entschiedener als für die große Mehrzahl seiner Kunstgenossen, ist Jtalien epochemachend für seine künstlerische Entwicklung geworden, hat tief eingreifend auf den fernern Gang derselben gewirkt. Die normale Gesundheit und Schönheit, der Formenadel und die natürliche Grazie und Hoheit der Bewegungen, welche sich an den Gestalten des römischen Volkes zumal viel reiner und häufiger finden, als bei dem durch die Nothwendigkeit harter Arbeit und ein rauhes Klima bedingten Volk der nordischen Heimath, die Größe der plastischen Schöpfungen der antiken Kunst und mehr vielleicht noch derer der herrlichen italienischen Renaissance — diese Faktoren verfehlten nicht, ihren starken Einfluß auf seine künstlerischen Anschauungen und auf die ganze fernere Richtung seines Schaffens auszuüben. Als er 1858 im Sommer nach Deutschland zurück- kehrte, war er gleichsam ein anderer Mensch. Das Werk, das er dort in Rom zuletzt modellirt hatte und nun zur Berliner Ausstellung jenes Jahres brachte: Pan, die verlassene Psyche tröstend, bewies am besten die reiche Entfaltung seiner zuvor noch etwas befangenen und gebundenen Kraft. Aus der conventionellen Manier unserer hei- mischen Plastik ging es völlig heraus. Die Gestalten hatten ein so warm pulsirendes Leben bei aller maßvollen Kunst=Schönheit und Anmuth, eine so natürliche Frische und Energie, wie sie den Gips und Marmor unserer modernen Bildwerke selten wohl beseelt haben. Gleichzeitig mit dieser lebensgroßen Gruppe stellte Begas noch eine kleine voll entzückend naiver Lieblichkeit aus: Nymphe, der ein Amor in's Ohr flüstert, und eine prächtige weinbekränzte nackte Knabenfigur. Der Erfolg war allgemein. Jene Pansgruppe wurde hier wie im Auslande auch mit allen äußern Zeichen der Aner- kennung gekrönt. Aber das Erwünschteste, der Auftrag zur Ausführung in Marmor oder Bronce, blieb noch lange aus. Der Künstler be- gnügte sich freilich keineswegs mit gemächlichem Zuwarten. Er ging, unbeeinflußt durch leidenschaftliche Gegnerschaft, wie sie jede bedeutende und wahrhaft eigenartige Erscheinung auf jedem geistigen Gebiet sicher ist, zu erwecken, seinen natürlichen Weg weiter. Auf der Ausstellung von 1860 erschien eine neue lebensgroße Gruppe von ihm, eine Fau- nenfamilie, Mann und junge Frau, die ihr Kind in reizendem Uebermuth des Mutterglücksgefühls über ihrem Haupte schwingt. Der Gegensatz zu der akademischen, schulgerechten Plastik war hier vielleicht noch entschiedener ausgesprochen. Jn der gleichzeitig damit entstandenen großen Mittelgruppe für das neue Berliner Börsengebäude aber ging er bis zu einer gewissen Maßlosigkeit und Uebertriebenheit in den Formen, welche der Wirkung um so mehr Eintrag thun mußten, als der Styl jenes ganzen Bau's, den sie krönen soll, eigentlich keinen Anlaß dazu bietet, und mithin auch in keinem Einklang damit steht. Jn demselben Jahre 1861 war Begas von dem Großherzog von Weimar als Professor an die dort neu begründete Deutsche Kunstschule berufen worden und hatte diesem Ruf Folge geleistet. Von dort aus hatte er den Entwurf seines Schillerdenkmals eingesendet, von dort aus auch noch an einer andern gleichzeitigen Concurrenz um ein großes monu- mentales Werk sich betheiligt: an der um das in Köln zu errichtende

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 35. Berlin, 29. August 1869, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt35_1869/4>, abgerufen am 01.06.2024.