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Sonntags-Blatt. Nr. 44. Berlin, 1. November 1868.

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[Beginn Spaltensatz] als der Krieg zu Ende ging, war er General. Von nun an bethei-
ligte er sich energisch an dem Kampf der Parteien. Er schloß sich
zunächst den Progressisten an; als jedoch deren Lage durch Espartero's
Mißgriffe eine schwierige wurde, versuchte er es mit den Moderados,
und leistete diesen bei den Aufständen in Catalonien wichtige mili-
tärische Dienste. Doch war Prim nicht der Mann, sich mit Narvaez
lange zu vertragen; er konspirirte gegen ihn, hatte dabei Unglück und
wurde verhaftet. Den Bitten seiner Mutter gelang es, ihm Be-
gnadigung bei der Königin zu erwirken. Prim stellte sich nunmehr
wieder Narvaez zur Verfügung. Jn rascher Folge erlangte er jetzt
hohe und einflußreiche Stellungen. Jm Jahre 1848 wurde er Gou-
verneur von Portorico. Er war indessen zu unruhig, um hier lange
auszudauern. 1854 erschien er wieder in der politischen Arena, und
trat von Neuem auf die Seite der Progressisten; auch zeigte er ge-
legentlich bedenkliche Hinneigung zu der sogenannten liberalen Union,
welche damals am Ruder war. Wir sehen, Prim ist kein konsequenter
Parteimann gewesen. Das Hauptfeld seiner Thätigkeit war weniger
die Rednerbühne, als das Feldlager. Jm Kriege ist er denn auch der
Liebling der Nation geworden; im marokkanischen Feldzuge, bei der
Expedition nach Mexiko, zeigte er die glänzendsten persönlichen Eigen-
schaften; seine Ritterlichkeit, seine Thatenlust, sein ungestümer, ver-
wegener Muth ließen ihn in den Augen der Nation als eine herrliche
Verkörperung aller derjenigen Eigenschaften erscheinen, die der Spa-
nier vor allen liebt. Umstrahlt von dem Nimbus seiner Thaten,
stand Prim zu Anfang dieses Jahrzehents auf dem Höhepunkt seines
Ruhmes. Vergöttert vom Volke, ausgezeichnet von der Königin, war
er damals die hervorragendste Person in Spanien. Er hielt wieder
fest zu den Progressisten und vertrat deren Sache im Senat. Seit
dem Jahre 1863 etwa fing er an, sich von der Politik anscheinend
zurückzuziehen; das Emporkommen der gemäßigten und konservativen
Partei in der Regierung gab ihm einen Vorwand zum Schmollen.
Man traute indessen seiner Zurückgezogenheit nicht und muthete ihm
die ehrgeizigsten Absichten zu. Seine geheimen Wühlereien fielen der
Regierung auf und gaben Narvaez Veranlassung, ihn im Jahre 1865
zu verbannen, eine Maßregel, die O'Donnell sofort wieder aufhob,
worauf sich Prim zu Anfang des Jahres 1866 an die Spitze eines
Militäraufstandes stellte, der allerdings gründlich mißglückte. Er
mußte wiederum das Land verlassen, und hat bis zu der gegenwär-
tigen Revolution größtentheils in England gelebt. So viel in der
Kürze über das Leben dieses Mannes, als dessen hervorstechendste
Eigenschaften man ohne Mühe abenteuerliche Thatenlust und hoch-
fliegenden Ehrgeiz erkennt. Auch hat er sich allezeit als eine edel-
geartete Natur bewährt; von jener Korruption, die namentlich in Geld-
angelegenheiten bei vielen leitenden Persönlichkeiten Spaniens an der
Tagesordnung war, ist nichts an ihm zu bemerken, obwohl er bei
seiner verschwenderischen, gern Anderen mittheilenden Natur, stets tief
genug in Schulden steckte. Was seine politischen Eigenschaften an-
geht, so ist er ein gewandter Redner, der mit Humor und Grazie
bei einer Debatte sich zu betheiligen versteht; auch fehlt es ihm nicht
an einem gewissen Scharfblick in der Beurtheilung von Situationen
und Persönlichkeiten; er hat das namentlich bei der mexikanischen
Affaire bewiesen, wo er sich bei Zeiten aus den Projekten des Kaisers
Napoleon loszumachen wußte. Aber von festen politischen Grund-
sätzen, von einem sicheren und tiefen Blick, von irgend welchem Talent
auf administrativem Gebiet ist bis jetzt nur wenig bei ihm zu be-
merken gewesen. Er versteht es, sicher die Massen zu führen und
fortzureißen; ob Weg und Ziel immer richtig sein werden, muß
dahingestellt bleiben.

Vergegenwärtigen wir uns zum Schluß noch seine äußere Er-
scheinung nach dem Bilde, welches ein Mann, der oft mit ihm in
Berührung war, entwirft. Prim ist von mittlerer Größe, stark-
schultrig und breit über der Brust und doch schlank, wie fast alle
Spanier; sehr blaß oder vielmehr olivenfarbig, ist sein Haar und
Bart blauschwarz, die Nase etwas breit, der Mund groß, das Auge
dunkel und von einnehmendem Blick, und ein gutmüthiger, man
möchte sagen, fideler Ausdruck zeigt sich auf seinem Gesicht. Gegen-
wärtig ist er ein Mann von 54 Jahren, steht somit auf der vollen
Höhe seiner Kraft. Man sagt, daß in Zeiten schwerer und großer
Entscheidung häufig ungeahnte Kräfte und Fähigkeiten in tüchtigen
Männern sich regen; vielleicht ist es auch Prim beschieden, die hohen
und hinreißenden Eigenschaften, die er besitzt, seinen kühnen, stürmi-
schen Muth, seine heiße Vaterlandsliebe, seinen rühmlichen Ehrgeiz
durch jene klare, selbstlose und weitschauende Ruhe zu ergänzen, ohne
welche eine heilsame Umgestaltung der Dinge in Spanien nicht möglich
sein wird.

( Schluß folgt. )



[Spaltenumbruch]
Die letzten Tage und das Ende eines Königs.
Historische Skizze
von
C. Nissel.

Der Abend des 17. Mai 1815 dunkelte bereits, als ein einzelner
Reiter, eine hohe, stattliche, in einen weiten Mantel gehüllte Gestalt,
durch die Straßen Neapels nach dem königlichen Schlosse sprengte,
die ihm hie und da zu Theil werdenden ehrfurchtsvollen Begrüßungen
flüchtig erwiderte und, am Schlosse angekommen, rasch aus dem Sattel
sprang und hineineilte.

"Das Glück hat uns verlassen, es ist aus!" Mit diesen Worten
trat Joachim Murat, denn dieser war der Reiter, in das Zimmer
seiner Gemahlin und warf sich, erschöpft von den Strapatzen der
letzten Tage, von Zorn und Aerger abgespannt, in einen Sessel.
"Meine Armee ist geschlagen, vernichtet, hat sich aufgelöst! Verrath
und Abfall haben ihre Reihen gelichtet! Die Oesterreicher sind mir
auf den Fersen! Alles ist verloren!"

"Es kommt nur, was da kommen mußte", antwortete Carolina,
ihren Gatten liebkosend. "Wenn uns jedoch Ehre und Standhaftig-
keit bleiben, ist nicht Alles verloren."

"Aber mein schöner Thron von Neapel!" seufzte der König.

"Auch ohne Thron bleibst Du ein König! Und was wir heut
verlieren, können wir morgen wiedergewinnen. Doch habe ich, in der
Voraussicht dessen, Anstalten für den schlimmsten Fall getroffen, da-
mit uns das Unglück nicht unvorbereitet überrascht. Versäume auch
Du keine Deiner Pflichten."

Die ruhige Fassung der Königin verliehen auch Murat wieder
Muth und Vertrauen.

"Wohlan", sagte er, "ich will thun, was mir als König noch zu
thun obliegt."

Augenblicklich berief er den Ministerrath, erledigte alle Regierungs-
geschäfte, versammelte alle die Personen, die von den Bourbonen
Böses zu erwarten hatten, und deren war eine große Zahl, entließ
Viele davon reich beschenkt und sprach, obwohl selbst trostbedürftig,
den Meisten Trost zu. Nachdem dies geschehen und der König einige
Stunden ausgeruht, entbot er die Generale Carascosa und Coletta
zu sich und übertrug ihnen, als anerkannten tapferen Ehrenmännern,
das wichtige Amt der Unterhandlungen mit dem Feinde.

"Carascosa, es handelt sich nicht mehr um mein persönliches
Wohl, sondern um das Wohl und Jnteresse des Staates und Heeres,
wahren Sie das und richten Sie sich darnach."

Carascosa, innerlichst bewegt, wollte einige Worte erwidern, aber
Murat hinderte ihn daran.

"Jch weiß, was Sie sagen wollen, und ehre Jhr Gefühl, aber
seit den Unglückstagen von Tolentino, dem Verrath und der Nieder-
lage von Mignano ist jede Hoffnung für mich geschwunden. Suchen
Sie das, was ich Gutes gethan, zu erhalten, damit die Neapolitaner
dereinst mir ein liebevolles Angedenken bewahren. Jch wollte nur
ihr Bestes."

"Was sollen wir dem Feinde zugestehen, Sire?" fragte Coletta.

"Alles, was Sie vor Gott und Jhrem Gewissen verantworten
können. Wahren Sie vor Allem die Ehre des Heeres und die Ruhe
des Volks! Die Last des Mißgeschicks, die Schuld will ich allein auf
meine Schultern nehmen. Handeln Sie darnach!"

Nachdem Murat auch diese Angelegenheit geordnet und die Ge-
nerale entlassen, widmete er sich noch einmal mit ganzer voller Liebe
seiner Familie und lebte zwei Tage als Gatte und Vater in ihrer
Mitte, genoß den letzten Tropfen Seligkeit aus dem Becher des Fa-
milienglücks. Oft stand er an einem der Fenster des Pallastes und
ließ seine Blicke sehnsüchtig über Land und Meer in die Ferne schwei-
fen, ob trostbringende Kunde aus Frankreich herüberwehe, aber ver-
geblich. Und wenn er sich dann wieder dieses schöne Land betrach-
tete, dessen König er zur Stunde noch war, für das er in Wahrheit
große Opfer gebracht, das er aus dem Sumpf doppelter Knechtschaft
emporzuheben versucht, dann umflorte sich momentan sein Blick.

"Man wird diese Bourbonen, die nicht als Könige, sondern als
Henker in diesem schönen Lande gehaust, wieder jubelnd empfangen",
flüsterte er. "Und doch werden sie das Gute, was ich gethan, der
Vernichtung weihen."

Dann waren es glänzende Erinnerungsbilder, die vor seinem innern
Auge emporstiegen. Der 6. September des Jahres 1808 trat ihm
vor die Seele in voller, frischer Farbenpracht. An diesem Tage hatte
er ja, hoch zu Roß in königlichem Schmuck, begrüßt von dem Jubel
des leicht erregten Volkes, seinen Einzug in Neapel gehalten, an-
gestaunt und bewundert als einer der schönsten und tapfersten Män-
ner seiner Zeit. Jn pomphaftem Zuge nach der festlich geschmückten
Kirche dello Spirito Santo wallend, dort von dem Kardinal Firao
die heilige Benediktion empfangend und die Huldigungen entgegen-
nehmend, zu denen man sich freudig drängte, und dann durch die in
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] als der Krieg zu Ende ging, war er General. Von nun an bethei-
ligte er sich energisch an dem Kampf der Parteien. Er schloß sich
zunächst den Progressisten an; als jedoch deren Lage durch Espartero's
Mißgriffe eine schwierige wurde, versuchte er es mit den Moderados,
und leistete diesen bei den Aufständen in Catalonien wichtige mili-
tärische Dienste. Doch war Prim nicht der Mann, sich mit Narvaez
lange zu vertragen; er konspirirte gegen ihn, hatte dabei Unglück und
wurde verhaftet. Den Bitten seiner Mutter gelang es, ihm Be-
gnadigung bei der Königin zu erwirken. Prim stellte sich nunmehr
wieder Narvaez zur Verfügung. Jn rascher Folge erlangte er jetzt
hohe und einflußreiche Stellungen. Jm Jahre 1848 wurde er Gou-
verneur von Portorico. Er war indessen zu unruhig, um hier lange
auszudauern. 1854 erschien er wieder in der politischen Arena, und
trat von Neuem auf die Seite der Progressisten; auch zeigte er ge-
legentlich bedenkliche Hinneigung zu der sogenannten liberalen Union,
welche damals am Ruder war. Wir sehen, Prim ist kein konsequenter
Parteimann gewesen. Das Hauptfeld seiner Thätigkeit war weniger
die Rednerbühne, als das Feldlager. Jm Kriege ist er denn auch der
Liebling der Nation geworden; im marokkanischen Feldzuge, bei der
Expedition nach Mexiko, zeigte er die glänzendsten persönlichen Eigen-
schaften; seine Ritterlichkeit, seine Thatenlust, sein ungestümer, ver-
wegener Muth ließen ihn in den Augen der Nation als eine herrliche
Verkörperung aller derjenigen Eigenschaften erscheinen, die der Spa-
nier vor allen liebt. Umstrahlt von dem Nimbus seiner Thaten,
stand Prim zu Anfang dieses Jahrzehents auf dem Höhepunkt seines
Ruhmes. Vergöttert vom Volke, ausgezeichnet von der Königin, war
er damals die hervorragendste Person in Spanien. Er hielt wieder
fest zu den Progressisten und vertrat deren Sache im Senat. Seit
dem Jahre 1863 etwa fing er an, sich von der Politik anscheinend
zurückzuziehen; das Emporkommen der gemäßigten und konservativen
Partei in der Regierung gab ihm einen Vorwand zum Schmollen.
Man traute indessen seiner Zurückgezogenheit nicht und muthete ihm
die ehrgeizigsten Absichten zu. Seine geheimen Wühlereien fielen der
Regierung auf und gaben Narvaez Veranlassung, ihn im Jahre 1865
zu verbannen, eine Maßregel, die O'Donnell sofort wieder aufhob,
worauf sich Prim zu Anfang des Jahres 1866 an die Spitze eines
Militäraufstandes stellte, der allerdings gründlich mißglückte. Er
mußte wiederum das Land verlassen, und hat bis zu der gegenwär-
tigen Revolution größtentheils in England gelebt. So viel in der
Kürze über das Leben dieses Mannes, als dessen hervorstechendste
Eigenschaften man ohne Mühe abenteuerliche Thatenlust und hoch-
fliegenden Ehrgeiz erkennt. Auch hat er sich allezeit als eine edel-
geartete Natur bewährt; von jener Korruption, die namentlich in Geld-
angelegenheiten bei vielen leitenden Persönlichkeiten Spaniens an der
Tagesordnung war, ist nichts an ihm zu bemerken, obwohl er bei
seiner verschwenderischen, gern Anderen mittheilenden Natur, stets tief
genug in Schulden steckte. Was seine politischen Eigenschaften an-
geht, so ist er ein gewandter Redner, der mit Humor und Grazie
bei einer Debatte sich zu betheiligen versteht; auch fehlt es ihm nicht
an einem gewissen Scharfblick in der Beurtheilung von Situationen
und Persönlichkeiten; er hat das namentlich bei der mexikanischen
Affaire bewiesen, wo er sich bei Zeiten aus den Projekten des Kaisers
Napoleon loszumachen wußte. Aber von festen politischen Grund-
sätzen, von einem sicheren und tiefen Blick, von irgend welchem Talent
auf administrativem Gebiet ist bis jetzt nur wenig bei ihm zu be-
merken gewesen. Er versteht es, sicher die Massen zu führen und
fortzureißen; ob Weg und Ziel immer richtig sein werden, muß
dahingestellt bleiben.

Vergegenwärtigen wir uns zum Schluß noch seine äußere Er-
scheinung nach dem Bilde, welches ein Mann, der oft mit ihm in
Berührung war, entwirft. Prim ist von mittlerer Größe, stark-
schultrig und breit über der Brust und doch schlank, wie fast alle
Spanier; sehr blaß oder vielmehr olivenfarbig, ist sein Haar und
Bart blauschwarz, die Nase etwas breit, der Mund groß, das Auge
dunkel und von einnehmendem Blick, und ein gutmüthiger, man
möchte sagen, fideler Ausdruck zeigt sich auf seinem Gesicht. Gegen-
wärtig ist er ein Mann von 54 Jahren, steht somit auf der vollen
Höhe seiner Kraft. Man sagt, daß in Zeiten schwerer und großer
Entscheidung häufig ungeahnte Kräfte und Fähigkeiten in tüchtigen
Männern sich regen; vielleicht ist es auch Prim beschieden, die hohen
und hinreißenden Eigenschaften, die er besitzt, seinen kühnen, stürmi-
schen Muth, seine heiße Vaterlandsliebe, seinen rühmlichen Ehrgeiz
durch jene klare, selbstlose und weitschauende Ruhe zu ergänzen, ohne
welche eine heilsame Umgestaltung der Dinge in Spanien nicht möglich
sein wird.

( Schluß folgt. )



[Spaltenumbruch]
Die letzten Tage und das Ende eines Königs.
Historische Skizze
von
C. Nissel.

Der Abend des 17. Mai 1815 dunkelte bereits, als ein einzelner
Reiter, eine hohe, stattliche, in einen weiten Mantel gehüllte Gestalt,
durch die Straßen Neapels nach dem königlichen Schlosse sprengte,
die ihm hie und da zu Theil werdenden ehrfurchtsvollen Begrüßungen
flüchtig erwiderte und, am Schlosse angekommen, rasch aus dem Sattel
sprang und hineineilte.

„Das Glück hat uns verlassen, es ist aus!“ Mit diesen Worten
trat Joachim Murat, denn dieser war der Reiter, in das Zimmer
seiner Gemahlin und warf sich, erschöpft von den Strapatzen der
letzten Tage, von Zorn und Aerger abgespannt, in einen Sessel.
„Meine Armee ist geschlagen, vernichtet, hat sich aufgelöst! Verrath
und Abfall haben ihre Reihen gelichtet! Die Oesterreicher sind mir
auf den Fersen! Alles ist verloren!“

„Es kommt nur, was da kommen mußte“, antwortete Carolina,
ihren Gatten liebkosend. „Wenn uns jedoch Ehre und Standhaftig-
keit bleiben, ist nicht Alles verloren.“

„Aber mein schöner Thron von Neapel!“ seufzte der König.

„Auch ohne Thron bleibst Du ein König! Und was wir heut
verlieren, können wir morgen wiedergewinnen. Doch habe ich, in der
Voraussicht dessen, Anstalten für den schlimmsten Fall getroffen, da-
mit uns das Unglück nicht unvorbereitet überrascht. Versäume auch
Du keine Deiner Pflichten.“

Die ruhige Fassung der Königin verliehen auch Murat wieder
Muth und Vertrauen.

„Wohlan“, sagte er, „ich will thun, was mir als König noch zu
thun obliegt.“

Augenblicklich berief er den Ministerrath, erledigte alle Regierungs-
geschäfte, versammelte alle die Personen, die von den Bourbonen
Böses zu erwarten hatten, und deren war eine große Zahl, entließ
Viele davon reich beschenkt und sprach, obwohl selbst trostbedürftig,
den Meisten Trost zu. Nachdem dies geschehen und der König einige
Stunden ausgeruht, entbot er die Generale Carascosa und Coletta
zu sich und übertrug ihnen, als anerkannten tapferen Ehrenmännern,
das wichtige Amt der Unterhandlungen mit dem Feinde.

„Carascosa, es handelt sich nicht mehr um mein persönliches
Wohl, sondern um das Wohl und Jnteresse des Staates und Heeres,
wahren Sie das und richten Sie sich darnach.“

Carascosa, innerlichst bewegt, wollte einige Worte erwidern, aber
Murat hinderte ihn daran.

„Jch weiß, was Sie sagen wollen, und ehre Jhr Gefühl, aber
seit den Unglückstagen von Tolentino, dem Verrath und der Nieder-
lage von Mignano ist jede Hoffnung für mich geschwunden. Suchen
Sie das, was ich Gutes gethan, zu erhalten, damit die Neapolitaner
dereinst mir ein liebevolles Angedenken bewahren. Jch wollte nur
ihr Bestes.“

„Was sollen wir dem Feinde zugestehen, Sire?“ fragte Coletta.

„Alles, was Sie vor Gott und Jhrem Gewissen verantworten
können. Wahren Sie vor Allem die Ehre des Heeres und die Ruhe
des Volks! Die Last des Mißgeschicks, die Schuld will ich allein auf
meine Schultern nehmen. Handeln Sie darnach!“

Nachdem Murat auch diese Angelegenheit geordnet und die Ge-
nerale entlassen, widmete er sich noch einmal mit ganzer voller Liebe
seiner Familie und lebte zwei Tage als Gatte und Vater in ihrer
Mitte, genoß den letzten Tropfen Seligkeit aus dem Becher des Fa-
milienglücks. Oft stand er an einem der Fenster des Pallastes und
ließ seine Blicke sehnsüchtig über Land und Meer in die Ferne schwei-
fen, ob trostbringende Kunde aus Frankreich herüberwehe, aber ver-
geblich. Und wenn er sich dann wieder dieses schöne Land betrach-
tete, dessen König er zur Stunde noch war, für das er in Wahrheit
große Opfer gebracht, das er aus dem Sumpf doppelter Knechtschaft
emporzuheben versucht, dann umflorte sich momentan sein Blick.

„Man wird diese Bourbonen, die nicht als Könige, sondern als
Henker in diesem schönen Lande gehaust, wieder jubelnd empfangen“,
flüsterte er. „Und doch werden sie das Gute, was ich gethan, der
Vernichtung weihen.“

Dann waren es glänzende Erinnerungsbilder, die vor seinem innern
Auge emporstiegen. Der 6. September des Jahres 1808 trat ihm
vor die Seele in voller, frischer Farbenpracht. An diesem Tage hatte
er ja, hoch zu Roß in königlichem Schmuck, begrüßt von dem Jubel
des leicht erregten Volkes, seinen Einzug in Neapel gehalten, an-
gestaunt und bewundert als einer der schönsten und tapfersten Män-
ner seiner Zeit. Jn pomphaftem Zuge nach der festlich geschmückten
Kirche dello Spirito Santo wallend, dort von dem Kardinal Firao
die heilige Benediktion empfangend und die Huldigungen entgegen-
nehmend, zu denen man sich freudig drängte, und dann durch die in
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[350/0006] 350 als der Krieg zu Ende ging, war er General. Von nun an bethei- ligte er sich energisch an dem Kampf der Parteien. Er schloß sich zunächst den Progressisten an; als jedoch deren Lage durch Espartero's Mißgriffe eine schwierige wurde, versuchte er es mit den Moderados, und leistete diesen bei den Aufständen in Catalonien wichtige mili- tärische Dienste. Doch war Prim nicht der Mann, sich mit Narvaez lange zu vertragen; er konspirirte gegen ihn, hatte dabei Unglück und wurde verhaftet. Den Bitten seiner Mutter gelang es, ihm Be- gnadigung bei der Königin zu erwirken. Prim stellte sich nunmehr wieder Narvaez zur Verfügung. Jn rascher Folge erlangte er jetzt hohe und einflußreiche Stellungen. Jm Jahre 1848 wurde er Gou- verneur von Portorico. Er war indessen zu unruhig, um hier lange auszudauern. 1854 erschien er wieder in der politischen Arena, und trat von Neuem auf die Seite der Progressisten; auch zeigte er ge- legentlich bedenkliche Hinneigung zu der sogenannten liberalen Union, welche damals am Ruder war. Wir sehen, Prim ist kein konsequenter Parteimann gewesen. Das Hauptfeld seiner Thätigkeit war weniger die Rednerbühne, als das Feldlager. Jm Kriege ist er denn auch der Liebling der Nation geworden; im marokkanischen Feldzuge, bei der Expedition nach Mexiko, zeigte er die glänzendsten persönlichen Eigen- schaften; seine Ritterlichkeit, seine Thatenlust, sein ungestümer, ver- wegener Muth ließen ihn in den Augen der Nation als eine herrliche Verkörperung aller derjenigen Eigenschaften erscheinen, die der Spa- nier vor allen liebt. Umstrahlt von dem Nimbus seiner Thaten, stand Prim zu Anfang dieses Jahrzehents auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Vergöttert vom Volke, ausgezeichnet von der Königin, war er damals die hervorragendste Person in Spanien. Er hielt wieder fest zu den Progressisten und vertrat deren Sache im Senat. Seit dem Jahre 1863 etwa fing er an, sich von der Politik anscheinend zurückzuziehen; das Emporkommen der gemäßigten und konservativen Partei in der Regierung gab ihm einen Vorwand zum Schmollen. Man traute indessen seiner Zurückgezogenheit nicht und muthete ihm die ehrgeizigsten Absichten zu. Seine geheimen Wühlereien fielen der Regierung auf und gaben Narvaez Veranlassung, ihn im Jahre 1865 zu verbannen, eine Maßregel, die O'Donnell sofort wieder aufhob, worauf sich Prim zu Anfang des Jahres 1866 an die Spitze eines Militäraufstandes stellte, der allerdings gründlich mißglückte. Er mußte wiederum das Land verlassen, und hat bis zu der gegenwär- tigen Revolution größtentheils in England gelebt. So viel in der Kürze über das Leben dieses Mannes, als dessen hervorstechendste Eigenschaften man ohne Mühe abenteuerliche Thatenlust und hoch- fliegenden Ehrgeiz erkennt. Auch hat er sich allezeit als eine edel- geartete Natur bewährt; von jener Korruption, die namentlich in Geld- angelegenheiten bei vielen leitenden Persönlichkeiten Spaniens an der Tagesordnung war, ist nichts an ihm zu bemerken, obwohl er bei seiner verschwenderischen, gern Anderen mittheilenden Natur, stets tief genug in Schulden steckte. Was seine politischen Eigenschaften an- geht, so ist er ein gewandter Redner, der mit Humor und Grazie bei einer Debatte sich zu betheiligen versteht; auch fehlt es ihm nicht an einem gewissen Scharfblick in der Beurtheilung von Situationen und Persönlichkeiten; er hat das namentlich bei der mexikanischen Affaire bewiesen, wo er sich bei Zeiten aus den Projekten des Kaisers Napoleon loszumachen wußte. Aber von festen politischen Grund- sätzen, von einem sicheren und tiefen Blick, von irgend welchem Talent auf administrativem Gebiet ist bis jetzt nur wenig bei ihm zu be- merken gewesen. Er versteht es, sicher die Massen zu führen und fortzureißen; ob Weg und Ziel immer richtig sein werden, muß dahingestellt bleiben. Vergegenwärtigen wir uns zum Schluß noch seine äußere Er- scheinung nach dem Bilde, welches ein Mann, der oft mit ihm in Berührung war, entwirft. Prim ist von mittlerer Größe, stark- schultrig und breit über der Brust und doch schlank, wie fast alle Spanier; sehr blaß oder vielmehr olivenfarbig, ist sein Haar und Bart blauschwarz, die Nase etwas breit, der Mund groß, das Auge dunkel und von einnehmendem Blick, und ein gutmüthiger, man möchte sagen, fideler Ausdruck zeigt sich auf seinem Gesicht. Gegen- wärtig ist er ein Mann von 54 Jahren, steht somit auf der vollen Höhe seiner Kraft. Man sagt, daß in Zeiten schwerer und großer Entscheidung häufig ungeahnte Kräfte und Fähigkeiten in tüchtigen Männern sich regen; vielleicht ist es auch Prim beschieden, die hohen und hinreißenden Eigenschaften, die er besitzt, seinen kühnen, stürmi- schen Muth, seine heiße Vaterlandsliebe, seinen rühmlichen Ehrgeiz durch jene klare, selbstlose und weitschauende Ruhe zu ergänzen, ohne welche eine heilsame Umgestaltung der Dinge in Spanien nicht möglich sein wird. ( Schluß folgt. ) Die letzten Tage und das Ende eines Königs. Historische Skizze von C. Nissel. Der Abend des 17. Mai 1815 dunkelte bereits, als ein einzelner Reiter, eine hohe, stattliche, in einen weiten Mantel gehüllte Gestalt, durch die Straßen Neapels nach dem königlichen Schlosse sprengte, die ihm hie und da zu Theil werdenden ehrfurchtsvollen Begrüßungen flüchtig erwiderte und, am Schlosse angekommen, rasch aus dem Sattel sprang und hineineilte. „Das Glück hat uns verlassen, es ist aus!“ Mit diesen Worten trat Joachim Murat, denn dieser war der Reiter, in das Zimmer seiner Gemahlin und warf sich, erschöpft von den Strapatzen der letzten Tage, von Zorn und Aerger abgespannt, in einen Sessel. „Meine Armee ist geschlagen, vernichtet, hat sich aufgelöst! Verrath und Abfall haben ihre Reihen gelichtet! Die Oesterreicher sind mir auf den Fersen! Alles ist verloren!“ „Es kommt nur, was da kommen mußte“, antwortete Carolina, ihren Gatten liebkosend. „Wenn uns jedoch Ehre und Standhaftig- keit bleiben, ist nicht Alles verloren.“ „Aber mein schöner Thron von Neapel!“ seufzte der König. „Auch ohne Thron bleibst Du ein König! Und was wir heut verlieren, können wir morgen wiedergewinnen. Doch habe ich, in der Voraussicht dessen, Anstalten für den schlimmsten Fall getroffen, da- mit uns das Unglück nicht unvorbereitet überrascht. Versäume auch Du keine Deiner Pflichten.“ Die ruhige Fassung der Königin verliehen auch Murat wieder Muth und Vertrauen. „Wohlan“, sagte er, „ich will thun, was mir als König noch zu thun obliegt.“ Augenblicklich berief er den Ministerrath, erledigte alle Regierungs- geschäfte, versammelte alle die Personen, die von den Bourbonen Böses zu erwarten hatten, und deren war eine große Zahl, entließ Viele davon reich beschenkt und sprach, obwohl selbst trostbedürftig, den Meisten Trost zu. Nachdem dies geschehen und der König einige Stunden ausgeruht, entbot er die Generale Carascosa und Coletta zu sich und übertrug ihnen, als anerkannten tapferen Ehrenmännern, das wichtige Amt der Unterhandlungen mit dem Feinde. „Carascosa, es handelt sich nicht mehr um mein persönliches Wohl, sondern um das Wohl und Jnteresse des Staates und Heeres, wahren Sie das und richten Sie sich darnach.“ Carascosa, innerlichst bewegt, wollte einige Worte erwidern, aber Murat hinderte ihn daran. „Jch weiß, was Sie sagen wollen, und ehre Jhr Gefühl, aber seit den Unglückstagen von Tolentino, dem Verrath und der Nieder- lage von Mignano ist jede Hoffnung für mich geschwunden. Suchen Sie das, was ich Gutes gethan, zu erhalten, damit die Neapolitaner dereinst mir ein liebevolles Angedenken bewahren. Jch wollte nur ihr Bestes.“ „Was sollen wir dem Feinde zugestehen, Sire?“ fragte Coletta. „Alles, was Sie vor Gott und Jhrem Gewissen verantworten können. Wahren Sie vor Allem die Ehre des Heeres und die Ruhe des Volks! Die Last des Mißgeschicks, die Schuld will ich allein auf meine Schultern nehmen. Handeln Sie darnach!“ Nachdem Murat auch diese Angelegenheit geordnet und die Ge- nerale entlassen, widmete er sich noch einmal mit ganzer voller Liebe seiner Familie und lebte zwei Tage als Gatte und Vater in ihrer Mitte, genoß den letzten Tropfen Seligkeit aus dem Becher des Fa- milienglücks. Oft stand er an einem der Fenster des Pallastes und ließ seine Blicke sehnsüchtig über Land und Meer in die Ferne schwei- fen, ob trostbringende Kunde aus Frankreich herüberwehe, aber ver- geblich. Und wenn er sich dann wieder dieses schöne Land betrach- tete, dessen König er zur Stunde noch war, für das er in Wahrheit große Opfer gebracht, das er aus dem Sumpf doppelter Knechtschaft emporzuheben versucht, dann umflorte sich momentan sein Blick. „Man wird diese Bourbonen, die nicht als Könige, sondern als Henker in diesem schönen Lande gehaust, wieder jubelnd empfangen“, flüsterte er. „Und doch werden sie das Gute, was ich gethan, der Vernichtung weihen.“ Dann waren es glänzende Erinnerungsbilder, die vor seinem innern Auge emporstiegen. Der 6. September des Jahres 1808 trat ihm vor die Seele in voller, frischer Farbenpracht. An diesem Tage hatte er ja, hoch zu Roß in königlichem Schmuck, begrüßt von dem Jubel des leicht erregten Volkes, seinen Einzug in Neapel gehalten, an- gestaunt und bewundert als einer der schönsten und tapfersten Män- ner seiner Zeit. Jn pomphaftem Zuge nach der festlich geschmückten Kirche dello Spirito Santo wallend, dort von dem Kardinal Firao die heilige Benediktion empfangend und die Huldigungen entgegen- nehmend, zu denen man sich freudig drängte, und dann durch die in

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 44. Berlin, 1. November 1868, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt44_1868/6>, abgerufen am 01.06.2024.