Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
letzte Seite

[Beginn Spaltensatz] Nebensache ist auch die Glätte und die Weiße des Hutes. Es giebt ganz
treffliche Spielarten, welche einen gelblichen und faserig schuppipen Hut
haben; eine andere Spielart ( Var. praticola ) hat sogar einen röthlich-
braunen, seidig schuppigen Hut und nicht konstant weißes Fleisch. Eine
Wirthin, die ihn unter anderen mitgekauft, schickte in ängstlicher Eile mir
eine Probe zu, ob der Pilz nicht giftig; die geschnittenen Stückchen seien
schnell röthlich bis rothbraun angelaufen. Jch konnte sie beruhigen; es ist
eben die Eigenthümlichkeit dieser Varietät, die sich auch bei dem genannten
Schafchampignon findet. Auch die plötzliche Röthung oder Bräunung des
Fleisches darf also, wie ja auch die Bläuung mancher Steinpilze, nicht
irre machen.

Soll der Champignon aber schmackhaft sein, so muß er in der Jugend
gepflückt werden, wenn der Hut noch kugelig den Stiel umschließt oder
doch die Lamellen noch ein zartes Rosa haben. Dann ist das Fleisch noch
am wenigsten wässerig und das Jnnere noch durchaus nicht von Maden
durchzogen. Nach einem milden Herbstregen ist er allenthalben zu finden,
außer in Gärten und auf Wiesen und Feldern, vor Allem an rasigen
Wegrändern. Da tritt er selten einzeln, meist reihen= oder kreisweise auf,
weehalb er auch unter dem Namen "Erdgürtel" vielfach kursirt. Aber wie
dieses Auftreten seinen ganz natürlichen Grund hat, nämlich in der Weise
der Sporenausstreuung, so ist auch der beliebte Standort nicht eine müßige
Laune, sondern hat ebenso seinen guten Grund, wie es etwa seinen Grund
hat, daß die Wachholderdrossel sich da einfindet, wo es Wachholdersträuche
giebt. Der Champignon ist von der Natur einmal so eingerichtet, daß
Pferdedünger die Bedingung seines Gedeihens ist. Ohne [unleserliches Material - 12 Zeichen fehlen]Pferdedünger
kein Champignon! An die rasigen Ränder befahrener Feldwege sammelt sich
nun derselbe vor Allem reichlich an. Da findet nun unser Pilz, wessen
er bedarf.

[Spaltenumbruch]

Auf die Erkenntniß dieser Abhängigkeit gründet sich denn auch die
künstliche Zucht des Champignon, die bei ihm, wie bei keinem andern Pilz,
einem Jeden unfehlbar glückt. Wer einen Garten hat, kann es im Kleinen
probiren. An manchen Orten, in Frankreich, besonders in der Umgebung
von Paris, ebenso in mehreren Provinzen Rußlands und auch in Deutsch-
land wird die rentable Zucht in der That im Großen getrieben. Man
stellt ein Beet aus einer Mischung von Wiesenerde und Pferdemist her
und streut darauf die Lamellen, welche die Köchin bei der Zubereitung
von den Pilzen abgeschabt hatte, oder ganz entfaltete Exemplare mit schon
gedunkelten Lamellen. Werden diese Beete öfters befeuchtet, so stellt sich
nach etwa vierzehn Tagen der junge Pilz als rundlicher Knollen mit
kleiiger Oberfläche ein. Da breche man ihn ab, denn in kurzer Zeit hat
er sich gestreckt und schirmartig zum gereiften, saamentragenden Pilz ent-
faltet. Noch besser ist es, ihn abzuschneiden, damit das Wurzelgeflecht
unversehrt bleibe, woraus fort und fort das edle Champignongeschlecht von
Neuem wuchert. So kann man den ganzen Sommer und Herbst über
Mahlzeiten davon herrichten. Man kann ihn in derselben Weise auch im
Winter ziehen, indem man im Gewächshause oder in passendem Keller
Erdkasten dazu besorgt. Jch weiß von einem Gärtner, der den Ertrag
eines Winters auf vierzig Thaler sich berechnete.

So ist er ein Kulturgewächs geworden, dessen Nahrungswerth dem des
Fleisches entspricht, wie auch der Geschmack des frischen Pilzes unwillkürlich
an solches erinnert. Aber über dem Genuß ruht noch die Poesie des dank-
baren Bewußtseins, einer Frucht sich zu erfreuen, für die im gewöhnlichsten
Falle keine Furche gezogen wurde und deren Saamen kein Säemann
streuete, die in einer einzigen ambrosischen Nacht wurde und wuchs und
reifte als freie Himmelsgabe der Natur.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

R. Warnung für junge Damen. Seit geraumer Zeit schon wird
zwischen Deutschland und Nord=Amerika ein Menschenhandel getrieben,
welcher den Abscheu aller Menschenfreunde in hohem Grade erregen muß
-- und den aufzudecken und zur möglichst allgemeinen warnenden Kenntniß
zu bringen die gesammte deutsche Presse als eine wichtige Pflicht erachten
sollte.

Von Bremen und Hamburg aus werden nämlich durch Annoncen in
den gelesensten deutschen Zeitungen junge Mädchen als Gouvernanten und
Erzieherinnen, Gesellschafterinnen u. s. w. zu engagiren gesucht, und
wenn sie jung und hübsch sind, auch gegen außerordentlich günstige Be-
dingungen nach Amerika hin angeworben. Als Bestimmungsort wird ge-
wöhnlich ein Landsitz in der Nähe New=Yorks oder irgend einer andern
großen und bekannten nordamerikanischen Stadt angegeben. So ist nun
schon so manches gebildete und schöne junge Mädchen, mit Reisegeld reich
ausgestattet, voll der besten Hoffnungen, dorthin abgereist -- um einem
offenbaren gräßlichen Verderben in die Arme zu laufen. Am ersten Be-
stimmungsorte, New York nämlich, wurde die junge Dame bereits erwartet,
von einer Abgesandten ihres neuen Dienstherrn liebevoll in Empfang ge-
nommen und vorläufig in ein Gasthaus untergebracht. Doch von dem
Augenblick, da sich die Pforte des vermeintlichen Gasthauses hinter ihr
schloß, war die Bedauernswerthe einem entsetzlichen Schicksal geweiht.

Wenn auch erst nach und nach, doch nur zu bald ward sie dann inne,
wo und in wessen Gewalt sie sich befand, und weder die Ausbrüche der
furchtbarsten Verzweiflung, noch die inständigsten Bitten um Erbarmen
konnten sie jetzt mehr vor dem Schicksal retten, das ihr bevorstand. Ganz
macht= und willenlos in die Hände der grausamsten und habgierigsten Un-
holde gegeben, von der Außenwelt durchaus abgeschnitten, ward die Aermste
durch Gewaltmittel jeder Art dem Willen ihrer Peiniger nur zu bald ge-
fügig gemacht -- ward ein elendes Werkzeug des scheußlichsten Erwerbes.

Eine nähere Erklärung ist wohl kaum nothwendig. Jene Menschen,
welche in den genannten Hafenstädten so vortheilhafte Engagements junger
Damen abschließen -- sind die Agenten übelberüchtigter öffentlicher Häuser
in New=York. Alle Eltern und Vormünder, sowie die einzeln dastehenden
jungen Mädchen seien daher dringend gemahnt, wenn ihnen ein solches,
meistens doch als außerordentlicher Glücksfall angesehenes Angebot entgegen-
treten sollte, die Nothwendigkeit niemals außer Augen zu lassen, daß sie
entweder durch deutsche Bekannte dort, oder durch die norddeutsche Ge-
sandtschaft stets vorher die Erkundigung einziehen lassen, ob die Person,
welche sie zu engagiren wünscht, auch wirklich existire und ob es überhaupt
derjenige sei, als [unleserliches Material - 7 Zeichen fehlen]welcher er vom Unterhändler bezeichnet wird. Der An-
halt, welchen die Legitimationspapiere des Unterhändlers bieten, dürfte
nicht immer ausreichend sein. Auch sei noch darauf hingewiesen, daß
irgend ein Kontrakt oder Abkommen, gleichviel welcher Art, welches hier
für Amerika geschlossen wird, für beide Theile dort nur dann bindende
Kraft hat, wenn es unter der Autorität der amerikanischen Gesandtschaft
geschlossen worden.

Nach den [unleserliches Material - 10 Zeichen fehlen]mehrfachen, überaus traurigen Fällen, die ein in jene schauer-
lichen Verhältnisse [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]durch seine amtliche Stellung eingeweihter, durchaus
zuverlässiger Gewährsmann uns beispielsweise mitgetheilt, eilen wir, diese
Warnung unverzüglich zur Kenntniß der Leser dieses weitverbreiteten Blattes
zu bringen.     ( Nach einem Privatbriefe. )

[Spaltenumbruch]
E in bisher unbekanntes Gedicht Goethe's.
An Lili.
Jm holden Thal, auf schneebedeckten Höhen,
War stets Dein Bild mir nah,
Jch sah's um mich in lichten Wollen wehen,
Jm Herzen war mir's da.
Empfinde hier, wie mit allmächt'gem Triebe
Ein Herz das andre zieht
Und daß vergebens Liebe
Vor Liebe flieht.

Der Eingang bezieht sich auf Goethe's Schweizerreise im Sommer des
Jahres 1775. Wie lebhaft ihn dabei fortwährend Lili's Bild umschwebte,
bezeugt seine Schilderung in Wahrheit und Dichtung, bezeugen insbesondere
die Verse, welche der Blick auf den Zürcher See in ihm erweckte:

Wenn ich, liebe Lili, Dich nicht liebte,
Welche Wonne gäb' mir dieser Blick!
Und doch, wenn ich, Lili, Dich nicht liebte,
Wär', was wär' mein Glück?

Die Worte "Empfinde hier " gehen auf Goethe's Drama "Stella",
das während des Sommers 1775 im Druck vollendet sein mag und im
Herbst erschien. Goethe wird bei seiner Rückkehr aus der Schweiz in
Frankfurt die ersten fertigen Exemplare vorgefunden haben, und überreichte
eins Lili, worin er die obigen Verse als Widmung eingeschrieben hatte.
Aus diesem Exemplar, das sich jetzt auf der großherzoglichen Bibliothek in
Weimar befindet, hat Herr Bibliothekar Dr. Reinhold Köhler das vor-
stehende Gedicht kürzlich mitgetheilt.



M. Emanuel Swedenborg war einer der originellsten Schwärmer.
Noch auf seinem Sterbebette behauptete er, daß er mit dem Apostel Paulus
ein ganzes Jahr, mit Johannes dem Täufer siebenmal, mit dem lieben
Gott und Moses einmal, mit Luther aber hundertmal, und mit den Engeln
seit zweiundzwanzig Jahren konversirt habe. Einst auf der See machte
er in der Kajüte des Kapitäns vor leeren Stühlen tiefe Verbeugungen.

"Wat soll das?" fragte der Kapitän.

"Ei, sehen Sie denn nicht Karl XII., Sokrates und die Kaiserin Ka-
tharina von Rußland?"

"Was [unleserliches Material - 7 Zeichen fehlen]treiben sie denn?"

"Sie wünschen Whist zu spielen", entgegnete der Träumer, "und suchen
den vierten Mann."

Druckfehler. Erst jetzt bemerken wir in Nr. 43 in dem Aufsatz über
Diesterweg einen solchen. Diesterwegs nächster Vorgesetzter als Seminar-
Direktor in Mörs ist dort Superintendent Rost genannt; es muß heißen
Roß, der später als Probst und Bischof nach Berlin berufen, in so nahen
Beziehungen zu Friedrich Wilhelm III. stand. Er ist bis an sein Lebens-
ende für Diesterweg nicht nur ein Gönner, sondern ein warmer Freund
geblieben, der aber zuletzt auch durch seinen, unter dem Ministerium Eich-
horn freilich arg erschütterten Einfluß, die Maßregelung Diesterwegs nicht
mehr verhindern konnte.

[Ende Spaltensatz]

Die Besprechung von Angelegenheiten, welche die Redaction betreffen, kann täglich von 1 bis 3 Uhr im Redactions=Büreau,
Potsdamer Straße Nr. 20, stattfinden. Alle Zusendungen werden erbeten unter der Adresse: "An die Redaction des Sonntags=Blattes in
Berlin, Potsdamer Straße Nr. 20."



Druck von Franz Duncker in Berlin. -- Verlag der Expedition des Sonntags=Blattes ( Franz Duncker ) in Berlin.
Verantwortlicher Redakteur: Leonhard Simion in Berlin.

[Beginn Spaltensatz] Nebensache ist auch die Glätte und die Weiße des Hutes. Es giebt ganz
treffliche Spielarten, welche einen gelblichen und faserig schuppipen Hut
haben; eine andere Spielart ( Var. praticola ) hat sogar einen röthlich-
braunen, seidig schuppigen Hut und nicht konstant weißes Fleisch. Eine
Wirthin, die ihn unter anderen mitgekauft, schickte in ängstlicher Eile mir
eine Probe zu, ob der Pilz nicht giftig; die geschnittenen Stückchen seien
schnell röthlich bis rothbraun angelaufen. Jch konnte sie beruhigen; es ist
eben die Eigenthümlichkeit dieser Varietät, die sich auch bei dem genannten
Schafchampignon findet. Auch die plötzliche Röthung oder Bräunung des
Fleisches darf also, wie ja auch die Bläuung mancher Steinpilze, nicht
irre machen.

Soll der Champignon aber schmackhaft sein, so muß er in der Jugend
gepflückt werden, wenn der Hut noch kugelig den Stiel umschließt oder
doch die Lamellen noch ein zartes Rosa haben. Dann ist das Fleisch noch
am wenigsten wässerig und das Jnnere noch durchaus nicht von Maden
durchzogen. Nach einem milden Herbstregen ist er allenthalben zu finden,
außer in Gärten und auf Wiesen und Feldern, vor Allem an rasigen
Wegrändern. Da tritt er selten einzeln, meist reihen= oder kreisweise auf,
weehalb er auch unter dem Namen „Erdgürtel“ vielfach kursirt. Aber wie
dieses Auftreten seinen ganz natürlichen Grund hat, nämlich in der Weise
der Sporenausstreuung, so ist auch der beliebte Standort nicht eine müßige
Laune, sondern hat ebenso seinen guten Grund, wie es etwa seinen Grund
hat, daß die Wachholderdrossel sich da einfindet, wo es Wachholdersträuche
giebt. Der Champignon ist von der Natur einmal so eingerichtet, daß
Pferdedünger die Bedingung seines Gedeihens ist. Ohne [unleserliches Material – 12 Zeichen fehlen]Pferdedünger
kein Champignon! An die rasigen Ränder befahrener Feldwege sammelt sich
nun derselbe vor Allem reichlich an. Da findet nun unser Pilz, wessen
er bedarf.

[Spaltenumbruch]

Auf die Erkenntniß dieser Abhängigkeit gründet sich denn auch die
künstliche Zucht des Champignon, die bei ihm, wie bei keinem andern Pilz,
einem Jeden unfehlbar glückt. Wer einen Garten hat, kann es im Kleinen
probiren. An manchen Orten, in Frankreich, besonders in der Umgebung
von Paris, ebenso in mehreren Provinzen Rußlands und auch in Deutsch-
land wird die rentable Zucht in der That im Großen getrieben. Man
stellt ein Beet aus einer Mischung von Wiesenerde und Pferdemist her
und streut darauf die Lamellen, welche die Köchin bei der Zubereitung
von den Pilzen abgeschabt hatte, oder ganz entfaltete Exemplare mit schon
gedunkelten Lamellen. Werden diese Beete öfters befeuchtet, so stellt sich
nach etwa vierzehn Tagen der junge Pilz als rundlicher Knollen mit
kleiiger Oberfläche ein. Da breche man ihn ab, denn in kurzer Zeit hat
er sich gestreckt und schirmartig zum gereiften, saamentragenden Pilz ent-
faltet. Noch besser ist es, ihn abzuschneiden, damit das Wurzelgeflecht
unversehrt bleibe, woraus fort und fort das edle Champignongeschlecht von
Neuem wuchert. So kann man den ganzen Sommer und Herbst über
Mahlzeiten davon herrichten. Man kann ihn in derselben Weise auch im
Winter ziehen, indem man im Gewächshause oder in passendem Keller
Erdkasten dazu besorgt. Jch weiß von einem Gärtner, der den Ertrag
eines Winters auf vierzig Thaler sich berechnete.

So ist er ein Kulturgewächs geworden, dessen Nahrungswerth dem des
Fleisches entspricht, wie auch der Geschmack des frischen Pilzes unwillkürlich
an solches erinnert. Aber über dem Genuß ruht noch die Poesie des dank-
baren Bewußtseins, einer Frucht sich zu erfreuen, für die im gewöhnlichsten
Falle keine Furche gezogen wurde und deren Saamen kein Säemann
streuete, die in einer einzigen ambrosischen Nacht wurde und wuchs und
reifte als freie Himmelsgabe der Natur.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

R. Warnung für junge Damen. Seit geraumer Zeit schon wird
zwischen Deutschland und Nord=Amerika ein Menschenhandel getrieben,
welcher den Abscheu aller Menschenfreunde in hohem Grade erregen muß
— und den aufzudecken und zur möglichst allgemeinen warnenden Kenntniß
zu bringen die gesammte deutsche Presse als eine wichtige Pflicht erachten
sollte.

Von Bremen und Hamburg aus werden nämlich durch Annoncen in
den gelesensten deutschen Zeitungen junge Mädchen als Gouvernanten und
Erzieherinnen, Gesellschafterinnen u. s. w. zu engagiren gesucht, und
wenn sie jung und hübsch sind, auch gegen außerordentlich günstige Be-
dingungen nach Amerika hin angeworben. Als Bestimmungsort wird ge-
wöhnlich ein Landsitz in der Nähe New=Yorks oder irgend einer andern
großen und bekannten nordamerikanischen Stadt angegeben. So ist nun
schon so manches gebildete und schöne junge Mädchen, mit Reisegeld reich
ausgestattet, voll der besten Hoffnungen, dorthin abgereist — um einem
offenbaren gräßlichen Verderben in die Arme zu laufen. Am ersten Be-
stimmungsorte, New York nämlich, wurde die junge Dame bereits erwartet,
von einer Abgesandten ihres neuen Dienstherrn liebevoll in Empfang ge-
nommen und vorläufig in ein Gasthaus untergebracht. Doch von dem
Augenblick, da sich die Pforte des vermeintlichen Gasthauses hinter ihr
schloß, war die Bedauernswerthe einem entsetzlichen Schicksal geweiht.

Wenn auch erst nach und nach, doch nur zu bald ward sie dann inne,
wo und in wessen Gewalt sie sich befand, und weder die Ausbrüche der
furchtbarsten Verzweiflung, noch die inständigsten Bitten um Erbarmen
konnten sie jetzt mehr vor dem Schicksal retten, das ihr bevorstand. Ganz
macht= und willenlos in die Hände der grausamsten und habgierigsten Un-
holde gegeben, von der Außenwelt durchaus abgeschnitten, ward die Aermste
durch Gewaltmittel jeder Art dem Willen ihrer Peiniger nur zu bald ge-
fügig gemacht — ward ein elendes Werkzeug des scheußlichsten Erwerbes.

Eine nähere Erklärung ist wohl kaum nothwendig. Jene Menschen,
welche in den genannten Hafenstädten so vortheilhafte Engagements junger
Damen abschließen — sind die Agenten übelberüchtigter öffentlicher Häuser
in New=York. Alle Eltern und Vormünder, sowie die einzeln dastehenden
jungen Mädchen seien daher dringend gemahnt, wenn ihnen ein solches,
meistens doch als außerordentlicher Glücksfall angesehenes Angebot entgegen-
treten sollte, die Nothwendigkeit niemals außer Augen zu lassen, daß sie
entweder durch deutsche Bekannte dort, oder durch die norddeutsche Ge-
sandtschaft stets vorher die Erkundigung einziehen lassen, ob die Person,
welche sie zu engagiren wünscht, auch wirklich existire und ob es überhaupt
derjenige sei, als [unleserliches Material – 7 Zeichen fehlen]welcher er vom Unterhändler bezeichnet wird. Der An-
halt, welchen die Legitimationspapiere des Unterhändlers bieten, dürfte
nicht immer ausreichend sein. Auch sei noch darauf hingewiesen, daß
irgend ein Kontrakt oder Abkommen, gleichviel welcher Art, welches hier
für Amerika geschlossen wird, für beide Theile dort nur dann bindende
Kraft hat, wenn es unter der Autorität der amerikanischen Gesandtschaft
geschlossen worden.

Nach den [unleserliches Material – 10 Zeichen fehlen]mehrfachen, überaus traurigen Fällen, die ein in jene schauer-
lichen Verhältnisse [unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]durch seine amtliche Stellung eingeweihter, durchaus
zuverlässiger Gewährsmann uns beispielsweise mitgetheilt, eilen wir, diese
Warnung unverzüglich zur Kenntniß der Leser dieses weitverbreiteten Blattes
zu bringen.     ( Nach einem Privatbriefe. )

[Spaltenumbruch]
E in bisher unbekanntes Gedicht Goethe's.
An Lili.
Jm holden Thal, auf schneebedeckten Höhen,
War stets Dein Bild mir nah,
Jch sah's um mich in lichten Wollen wehen,
Jm Herzen war mir's da.
Empfinde hier, wie mit allmächt'gem Triebe
Ein Herz das andre zieht
Und daß vergebens Liebe
Vor Liebe flieht.

Der Eingang bezieht sich auf Goethe's Schweizerreise im Sommer des
Jahres 1775. Wie lebhaft ihn dabei fortwährend Lili's Bild umschwebte,
bezeugt seine Schilderung in Wahrheit und Dichtung, bezeugen insbesondere
die Verse, welche der Blick auf den Zürcher See in ihm erweckte:

Wenn ich, liebe Lili, Dich nicht liebte,
Welche Wonne gäb' mir dieser Blick!
Und doch, wenn ich, Lili, Dich nicht liebte,
Wär', was wär' mein Glück?

Die Worte „Empfinde hier “ gehen auf Goethe's Drama „Stella“,
das während des Sommers 1775 im Druck vollendet sein mag und im
Herbst erschien. Goethe wird bei seiner Rückkehr aus der Schweiz in
Frankfurt die ersten fertigen Exemplare vorgefunden haben, und überreichte
eins Lili, worin er die obigen Verse als Widmung eingeschrieben hatte.
Aus diesem Exemplar, das sich jetzt auf der großherzoglichen Bibliothek in
Weimar befindet, hat Herr Bibliothekar Dr. Reinhold Köhler das vor-
stehende Gedicht kürzlich mitgetheilt.



M. Emanuel Swedenborg war einer der originellsten Schwärmer.
Noch auf seinem Sterbebette behauptete er, daß er mit dem Apostel Paulus
ein ganzes Jahr, mit Johannes dem Täufer siebenmal, mit dem lieben
Gott und Moses einmal, mit Luther aber hundertmal, und mit den Engeln
seit zweiundzwanzig Jahren konversirt habe. Einst auf der See machte
er in der Kajüte des Kapitäns vor leeren Stühlen tiefe Verbeugungen.

„Wat soll das?“ fragte der Kapitän.

„Ei, sehen Sie denn nicht Karl XII., Sokrates und die Kaiserin Ka-
tharina von Rußland?“

„Was [unleserliches Material – 7 Zeichen fehlen]treiben sie denn?“

„Sie wünschen Whist zu spielen“, entgegnete der Träumer, „und suchen
den vierten Mann.“

Druckfehler. Erst jetzt bemerken wir in Nr. 43 in dem Aufsatz über
Diesterweg einen solchen. Diesterwegs nächster Vorgesetzter als Seminar-
Direktor in Mörs ist dort Superintendent Rost genannt; es muß heißen
Roß, der später als Probst und Bischof nach Berlin berufen, in so nahen
Beziehungen zu Friedrich Wilhelm III. stand. Er ist bis an sein Lebens-
ende für Diesterweg nicht nur ein Gönner, sondern ein warmer Freund
geblieben, der aber zuletzt auch durch seinen, unter dem Ministerium Eich-
horn freilich arg erschütterten Einfluß, die Maßregelung Diesterwegs nicht
mehr verhindern konnte.

[Ende Spaltensatz]

☞ Die Besprechung von Angelegenheiten, welche die Redaction betreffen, kann täglich von 1 bis 3 Uhr im Redactions=Büreau,
Potsdamer Straße Nr. 20, stattfinden. Alle Zusendungen werden erbeten unter der Adresse: „An die Redaction des Sonntags=Blattes in
Berlin, Potsdamer Straße Nr. 20.“



Druck von Franz Duncker in Berlin. — Verlag der Expedition des Sonntags=Blattes ( Franz Duncker ) in Berlin.
Verantwortlicher Redakteur: Leonhard Simion in Berlin.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0008" n="360"/><fw type="pageNum" place="top">360</fw><cb type="start"/>
Nebensache ist auch die Glätte und die Weiße des Hutes. Es giebt ganz<lb/>
treffliche Spielarten, welche einen gelblichen und faserig schuppipen Hut<lb/>
haben; eine andere Spielart ( <hi rendition="#aq">Var. praticola</hi> ) hat sogar einen röthlich-<lb/>
braunen, seidig schuppigen Hut und nicht konstant weißes Fleisch. Eine<lb/>
Wirthin, die ihn unter anderen mitgekauft, schickte in ängstlicher Eile mir<lb/>
eine Probe zu, ob der Pilz nicht giftig; die geschnittenen Stückchen seien<lb/>
schnell röthlich bis rothbraun angelaufen. Jch konnte sie beruhigen; es ist<lb/>
eben die Eigenthümlichkeit dieser Varietät, die sich auch bei dem genannten<lb/>
Schafchampignon findet. Auch die plötzliche Röthung oder Bräunung des<lb/>
Fleisches darf also, wie ja auch die Bläuung mancher Steinpilze, nicht<lb/>
irre machen.</p><lb/>
        <p>Soll der Champignon aber schmackhaft sein, so muß er in der Jugend<lb/>
gepflückt werden, wenn der Hut noch kugelig den Stiel umschließt oder<lb/>
doch die Lamellen noch ein zartes Rosa haben. Dann ist das Fleisch noch<lb/>
am wenigsten wässerig und das Jnnere noch durchaus nicht von Maden<lb/>
durchzogen. Nach einem milden Herbstregen ist er allenthalben zu finden,<lb/>
außer in Gärten und auf Wiesen und Feldern, vor Allem an rasigen<lb/>
Wegrändern. Da tritt er selten einzeln, meist reihen= oder kreisweise auf,<lb/>
weehalb er auch unter dem Namen &#x201E;Erdgürtel&#x201C; vielfach kursirt. Aber wie<lb/>
dieses Auftreten seinen ganz natürlichen Grund hat, nämlich in der Weise<lb/>
der Sporenausstreuung, so ist auch der beliebte Standort nicht eine müßige<lb/>
Laune, sondern hat ebenso seinen guten Grund, wie es etwa seinen Grund<lb/>
hat, daß die Wachholderdrossel sich da einfindet, wo es Wachholdersträuche<lb/>
giebt. Der Champignon ist von der Natur einmal so eingerichtet, daß<lb/>
Pferdedünger die Bedingung seines Gedeihens ist. Ohne <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="12"/>Pferdedünger<lb/>
kein Champignon! An die rasigen Ränder befahrener Feldwege sammelt sich<lb/>
nun derselbe vor Allem reichlich an. Da findet nun unser Pilz, wessen<lb/>
er bedarf.</p><lb/>
        <cb n="2"/>
        <p>Auf die Erkenntniß dieser Abhängigkeit gründet sich denn auch die<lb/>
künstliche Zucht des Champignon, die bei ihm, wie bei keinem andern Pilz,<lb/>
einem Jeden unfehlbar glückt. Wer einen Garten hat, kann es im Kleinen<lb/>
probiren. An manchen Orten, in Frankreich, besonders in der Umgebung<lb/>
von Paris, ebenso in mehreren Provinzen Rußlands und auch in Deutsch-<lb/>
land wird die rentable Zucht in der That im Großen getrieben. Man<lb/>
stellt ein Beet aus einer Mischung von Wiesenerde und Pferdemist her<lb/>
und streut darauf die Lamellen, welche die Köchin bei der Zubereitung<lb/>
von den Pilzen abgeschabt hatte, oder ganz entfaltete Exemplare mit schon<lb/>
gedunkelten Lamellen. Werden diese Beete öfters befeuchtet, so stellt sich<lb/>
nach etwa vierzehn Tagen der junge Pilz als rundlicher Knollen mit<lb/>
kleiiger Oberfläche ein. Da breche man ihn ab, denn in kurzer Zeit hat<lb/>
er sich gestreckt und schirmartig zum gereiften, saamentragenden Pilz ent-<lb/>
faltet. Noch besser ist es, ihn abzuschneiden, damit das Wurzelgeflecht<lb/>
unversehrt bleibe, woraus fort und fort das edle Champignongeschlecht von<lb/>
Neuem wuchert. So kann man den ganzen Sommer und Herbst über<lb/>
Mahlzeiten davon herrichten. Man kann ihn in derselben Weise auch im<lb/>
Winter ziehen, indem man im Gewächshause oder in passendem Keller<lb/>
Erdkasten dazu besorgt. Jch weiß von einem Gärtner, der den Ertrag<lb/>
eines Winters auf vierzig Thaler sich berechnete.</p><lb/>
        <p>So ist er ein Kulturgewächs geworden, dessen Nahrungswerth dem des<lb/>
Fleisches entspricht, wie auch der Geschmack des frischen Pilzes unwillkürlich<lb/>
an solches erinnert. Aber über dem Genuß ruht noch die Poesie des dank-<lb/>
baren Bewußtseins, einer Frucht sich zu erfreuen, für die im gewöhnlichsten<lb/>
Falle keine Furche gezogen wurde und deren Saamen kein Säemann<lb/>
streuete, die in einer einzigen ambrosischen Nacht wurde und wuchs und<lb/>
reifte als freie Himmelsgabe der Natur.</p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jVarious" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Lose Blätter</hi>.</hi> </head><lb/>
        <cb type="start"/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><hi rendition="#aq">R</hi>. <hi rendition="#in">W</hi>arnung für junge Damen. Seit geraumer Zeit schon wird<lb/>
zwischen Deutschland und Nord=Amerika ein Menschenhandel getrieben,<lb/>
welcher den Abscheu aller Menschenfreunde in hohem Grade erregen muß<lb/>
&#x2014; und den aufzudecken und zur möglichst allgemeinen warnenden Kenntniß<lb/>
zu bringen die gesammte deutsche Presse als eine wichtige Pflicht erachten<lb/>
sollte.</p><lb/>
          <p>Von Bremen und Hamburg aus werden nämlich durch Annoncen in<lb/>
den gelesensten deutschen Zeitungen junge Mädchen als Gouvernanten und<lb/>
Erzieherinnen, Gesellschafterinnen u. s. w. zu engagiren gesucht, und<lb/>
wenn sie jung und hübsch sind, auch gegen außerordentlich günstige Be-<lb/>
dingungen nach Amerika hin angeworben. Als Bestimmungsort wird ge-<lb/>
wöhnlich ein Landsitz in der Nähe New=Yorks oder irgend einer andern<lb/>
großen und bekannten nordamerikanischen Stadt angegeben. So ist nun<lb/>
schon so manches gebildete und schöne junge Mädchen, mit Reisegeld reich<lb/>
ausgestattet, voll der besten Hoffnungen, dorthin abgereist &#x2014; um einem<lb/>
offenbaren gräßlichen Verderben in die Arme zu laufen. Am ersten Be-<lb/>
stimmungsorte, New York nämlich, wurde die junge Dame bereits erwartet,<lb/>
von einer Abgesandten ihres neuen Dienstherrn liebevoll in Empfang ge-<lb/>
nommen und vorläufig in ein Gasthaus untergebracht. Doch von dem<lb/>
Augenblick, da sich die Pforte des vermeintlichen Gasthauses hinter ihr<lb/>
schloß, war die Bedauernswerthe einem entsetzlichen Schicksal geweiht.</p><lb/>
          <p>Wenn auch erst nach und nach, doch nur zu bald ward sie dann inne,<lb/>
wo und in wessen Gewalt sie sich befand, und weder die Ausbrüche der<lb/>
furchtbarsten Verzweiflung, noch die inständigsten Bitten um Erbarmen<lb/>
konnten sie jetzt mehr vor dem Schicksal retten, das ihr bevorstand. Ganz<lb/>
macht= und willenlos in die Hände der grausamsten und habgierigsten Un-<lb/>
holde gegeben, von der Außenwelt durchaus abgeschnitten, ward die Aermste<lb/>
durch Gewaltmittel jeder Art dem Willen ihrer Peiniger nur zu bald ge-<lb/>
fügig gemacht &#x2014; ward ein elendes Werkzeug des scheußlichsten Erwerbes.</p><lb/>
          <p>Eine nähere Erklärung ist wohl kaum nothwendig. Jene Menschen,<lb/>
welche in den genannten Hafenstädten so vortheilhafte Engagements junger<lb/>
Damen abschließen &#x2014; sind die Agenten übelberüchtigter öffentlicher Häuser<lb/>
in New=York. Alle Eltern und Vormünder, sowie die einzeln dastehenden<lb/>
jungen Mädchen seien daher dringend gemahnt, wenn ihnen ein solches,<lb/>
meistens doch als außerordentlicher Glücksfall angesehenes Angebot entgegen-<lb/>
treten sollte, die Nothwendigkeit niemals außer Augen zu lassen, daß sie<lb/>
entweder durch deutsche Bekannte dort, oder durch die norddeutsche Ge-<lb/>
sandtschaft stets vorher die Erkundigung einziehen lassen, ob die Person,<lb/>
welche sie zu engagiren wünscht, auch wirklich existire und ob es überhaupt<lb/>
derjenige sei, als <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="7"/>welcher er vom Unterhändler bezeichnet wird. Der An-<lb/>
halt, welchen die Legitimationspapiere des Unterhändlers bieten, dürfte<lb/>
nicht immer ausreichend sein. Auch sei noch darauf hingewiesen, daß<lb/>
irgend ein Kontrakt oder Abkommen, gleichviel welcher Art, welches hier<lb/>
für Amerika geschlossen wird, für beide Theile dort nur dann bindende<lb/>
Kraft hat, wenn es unter der Autorität der amerikanischen Gesandtschaft<lb/>
geschlossen worden.</p><lb/>
          <p>Nach den <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="10"/>mehrfachen, überaus traurigen Fällen, die ein in jene schauer-<lb/>
lichen Verhältnisse <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="5"/>durch seine amtliche Stellung eingeweihter, durchaus<lb/>
zuverlässiger Gewährsmann uns beispielsweise mitgetheilt, eilen wir, diese<lb/>
Warnung unverzüglich zur Kenntniß der Leser dieses weitverbreiteten Blattes<lb/>
zu bringen.  <space dim="horizontal"/>   ( Nach einem Privatbriefe. ) </p>
        </div><lb/>
        <cb n="2"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#in">E</hi> in bisher unbekanntes Gedicht Goethe's.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <head> <hi rendition="#g">An Lili.</hi> </head><lb/>
            <l>Jm holden Thal, auf schneebedeckten Höhen,</l><lb/>
            <l>War stets Dein Bild mir nah,</l><lb/>
            <l>Jch sah's um mich in lichten Wollen wehen,</l><lb/>
            <l>Jm Herzen war mir's da.</l><lb/>
            <l>Empfinde hier, wie mit allmächt'gem Triebe</l><lb/>
            <l>Ein Herz das andre zieht</l><lb/>
            <l>Und daß vergebens Liebe</l><lb/>
            <l>Vor Liebe flieht.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Der Eingang bezieht sich auf Goethe's Schweizerreise im Sommer des<lb/>
Jahres 1775. Wie lebhaft ihn dabei fortwährend Lili's Bild umschwebte,<lb/>
bezeugt seine Schilderung in Wahrheit und Dichtung, bezeugen insbesondere<lb/>
die Verse, welche der Blick auf den Zürcher See in ihm erweckte:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Wenn ich, liebe Lili, Dich nicht liebte,</l><lb/>
            <l>Welche Wonne gäb' mir dieser Blick!</l><lb/>
            <l>Und doch, wenn ich, Lili, Dich nicht liebte,</l><lb/>
            <l>Wär', was wär' mein Glück?</l>
          </lg><lb/>
          <p>Die Worte &#x201E;Empfinde <hi rendition="#g">hier</hi> &#x201C; gehen auf Goethe's Drama &#x201E;Stella&#x201C;,<lb/>
das während des Sommers 1775 im Druck vollendet sein mag und im<lb/>
Herbst erschien. Goethe wird bei seiner Rückkehr aus der Schweiz in<lb/>
Frankfurt die ersten fertigen Exemplare vorgefunden haben, und überreichte<lb/>
eins Lili, worin er die obigen Verse als Widmung eingeschrieben hatte.<lb/>
Aus diesem Exemplar, das sich jetzt auf der großherzoglichen Bibliothek in<lb/>
Weimar befindet, hat Herr Bibliothekar <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Reinhold Köhler das vor-<lb/>
stehende Gedicht kürzlich mitgetheilt.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><hi rendition="#aq">M</hi>. <hi rendition="#in">E</hi>manuel Swedenborg war einer der originellsten Schwärmer.<lb/>
Noch auf seinem Sterbebette behauptete er, daß er mit dem Apostel Paulus<lb/>
ein ganzes Jahr, mit Johannes dem Täufer siebenmal, mit dem lieben<lb/>
Gott und Moses einmal, mit Luther aber hundertmal, und mit den Engeln<lb/>
seit zweiundzwanzig Jahren konversirt habe. Einst auf der See machte<lb/>
er in der Kajüte des Kapitäns vor leeren Stühlen tiefe Verbeugungen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wat soll das?&#x201C; fragte der Kapitän.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ei, sehen Sie denn nicht Karl <hi rendition="#aq">XII</hi>., Sokrates und die Kaiserin Ka-<lb/>
tharina von Rußland?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="7"/>treiben sie denn?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie wünschen Whist zu spielen&#x201C;, entgegnete der Träumer, &#x201E;und suchen<lb/>
den vierten Mann.&#x201C;</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <p>Druckfehler. Erst jetzt bemerken wir in Nr. 43 in dem Aufsatz über<lb/>
Diesterweg einen solchen. Diesterwegs nächster Vorgesetzter als Seminar-<lb/>
Direktor in Mörs ist dort Superintendent <hi rendition="#g">Rost</hi> genannt; es muß heißen<lb/><hi rendition="#g">Roß,</hi> der später als Probst und Bischof nach Berlin berufen, in so nahen<lb/>
Beziehungen zu Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">III</hi>. stand. Er ist bis an sein Lebens-<lb/>
ende für Diesterweg nicht nur ein Gönner, sondern ein warmer Freund<lb/>
geblieben, der aber zuletzt auch durch seinen, unter dem Ministerium Eich-<lb/>
horn freilich arg erschütterten Einfluß, die Maßregelung Diesterwegs nicht<lb/>
mehr verhindern konnte.</p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
    <back>
      <div type="imprint" n="1">
        <p>&#x261E; Die Besprechung von Angelegenheiten, welche die Redaction betreffen, kann täglich von 1 bis 3 Uhr im Redactions=Büreau,<lb/>
Potsdamer Straße Nr. 20, stattfinden. Alle Zusendungen werden erbeten unter der Adresse: &#x201E;An die Redaction des Sonntags=Blattes in<lb/>
Berlin, Potsdamer Straße Nr. 20.&#x201C;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p> <hi rendition="#c">Druck von <hi rendition="#g">Franz Duncker</hi> in Berlin. &#x2014; Verlag der Expedition des Sonntags=Blattes ( <hi rendition="#g">Franz Duncker</hi> ) in Berlin.<lb/>
Verantwortlicher Redakteur: <hi rendition="#g">Leonhard Simion</hi> in Berlin.</hi> </p>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[360/0008] 360 Nebensache ist auch die Glätte und die Weiße des Hutes. Es giebt ganz treffliche Spielarten, welche einen gelblichen und faserig schuppipen Hut haben; eine andere Spielart ( Var. praticola ) hat sogar einen röthlich- braunen, seidig schuppigen Hut und nicht konstant weißes Fleisch. Eine Wirthin, die ihn unter anderen mitgekauft, schickte in ängstlicher Eile mir eine Probe zu, ob der Pilz nicht giftig; die geschnittenen Stückchen seien schnell röthlich bis rothbraun angelaufen. Jch konnte sie beruhigen; es ist eben die Eigenthümlichkeit dieser Varietät, die sich auch bei dem genannten Schafchampignon findet. Auch die plötzliche Röthung oder Bräunung des Fleisches darf also, wie ja auch die Bläuung mancher Steinpilze, nicht irre machen. Soll der Champignon aber schmackhaft sein, so muß er in der Jugend gepflückt werden, wenn der Hut noch kugelig den Stiel umschließt oder doch die Lamellen noch ein zartes Rosa haben. Dann ist das Fleisch noch am wenigsten wässerig und das Jnnere noch durchaus nicht von Maden durchzogen. Nach einem milden Herbstregen ist er allenthalben zu finden, außer in Gärten und auf Wiesen und Feldern, vor Allem an rasigen Wegrändern. Da tritt er selten einzeln, meist reihen= oder kreisweise auf, weehalb er auch unter dem Namen „Erdgürtel“ vielfach kursirt. Aber wie dieses Auftreten seinen ganz natürlichen Grund hat, nämlich in der Weise der Sporenausstreuung, so ist auch der beliebte Standort nicht eine müßige Laune, sondern hat ebenso seinen guten Grund, wie es etwa seinen Grund hat, daß die Wachholderdrossel sich da einfindet, wo es Wachholdersträuche giebt. Der Champignon ist von der Natur einmal so eingerichtet, daß Pferdedünger die Bedingung seines Gedeihens ist. Ohne ____________Pferdedünger kein Champignon! An die rasigen Ränder befahrener Feldwege sammelt sich nun derselbe vor Allem reichlich an. Da findet nun unser Pilz, wessen er bedarf. Auf die Erkenntniß dieser Abhängigkeit gründet sich denn auch die künstliche Zucht des Champignon, die bei ihm, wie bei keinem andern Pilz, einem Jeden unfehlbar glückt. Wer einen Garten hat, kann es im Kleinen probiren. An manchen Orten, in Frankreich, besonders in der Umgebung von Paris, ebenso in mehreren Provinzen Rußlands und auch in Deutsch- land wird die rentable Zucht in der That im Großen getrieben. Man stellt ein Beet aus einer Mischung von Wiesenerde und Pferdemist her und streut darauf die Lamellen, welche die Köchin bei der Zubereitung von den Pilzen abgeschabt hatte, oder ganz entfaltete Exemplare mit schon gedunkelten Lamellen. Werden diese Beete öfters befeuchtet, so stellt sich nach etwa vierzehn Tagen der junge Pilz als rundlicher Knollen mit kleiiger Oberfläche ein. Da breche man ihn ab, denn in kurzer Zeit hat er sich gestreckt und schirmartig zum gereiften, saamentragenden Pilz ent- faltet. Noch besser ist es, ihn abzuschneiden, damit das Wurzelgeflecht unversehrt bleibe, woraus fort und fort das edle Champignongeschlecht von Neuem wuchert. So kann man den ganzen Sommer und Herbst über Mahlzeiten davon herrichten. Man kann ihn in derselben Weise auch im Winter ziehen, indem man im Gewächshause oder in passendem Keller Erdkasten dazu besorgt. Jch weiß von einem Gärtner, der den Ertrag eines Winters auf vierzig Thaler sich berechnete. So ist er ein Kulturgewächs geworden, dessen Nahrungswerth dem des Fleisches entspricht, wie auch der Geschmack des frischen Pilzes unwillkürlich an solches erinnert. Aber über dem Genuß ruht noch die Poesie des dank- baren Bewußtseins, einer Frucht sich zu erfreuen, für die im gewöhnlichsten Falle keine Furche gezogen wurde und deren Saamen kein Säemann streuete, die in einer einzigen ambrosischen Nacht wurde und wuchs und reifte als freie Himmelsgabe der Natur. Lose Blätter. R. Warnung für junge Damen. Seit geraumer Zeit schon wird zwischen Deutschland und Nord=Amerika ein Menschenhandel getrieben, welcher den Abscheu aller Menschenfreunde in hohem Grade erregen muß — und den aufzudecken und zur möglichst allgemeinen warnenden Kenntniß zu bringen die gesammte deutsche Presse als eine wichtige Pflicht erachten sollte. Von Bremen und Hamburg aus werden nämlich durch Annoncen in den gelesensten deutschen Zeitungen junge Mädchen als Gouvernanten und Erzieherinnen, Gesellschafterinnen u. s. w. zu engagiren gesucht, und wenn sie jung und hübsch sind, auch gegen außerordentlich günstige Be- dingungen nach Amerika hin angeworben. Als Bestimmungsort wird ge- wöhnlich ein Landsitz in der Nähe New=Yorks oder irgend einer andern großen und bekannten nordamerikanischen Stadt angegeben. So ist nun schon so manches gebildete und schöne junge Mädchen, mit Reisegeld reich ausgestattet, voll der besten Hoffnungen, dorthin abgereist — um einem offenbaren gräßlichen Verderben in die Arme zu laufen. Am ersten Be- stimmungsorte, New York nämlich, wurde die junge Dame bereits erwartet, von einer Abgesandten ihres neuen Dienstherrn liebevoll in Empfang ge- nommen und vorläufig in ein Gasthaus untergebracht. Doch von dem Augenblick, da sich die Pforte des vermeintlichen Gasthauses hinter ihr schloß, war die Bedauernswerthe einem entsetzlichen Schicksal geweiht. Wenn auch erst nach und nach, doch nur zu bald ward sie dann inne, wo und in wessen Gewalt sie sich befand, und weder die Ausbrüche der furchtbarsten Verzweiflung, noch die inständigsten Bitten um Erbarmen konnten sie jetzt mehr vor dem Schicksal retten, das ihr bevorstand. Ganz macht= und willenlos in die Hände der grausamsten und habgierigsten Un- holde gegeben, von der Außenwelt durchaus abgeschnitten, ward die Aermste durch Gewaltmittel jeder Art dem Willen ihrer Peiniger nur zu bald ge- fügig gemacht — ward ein elendes Werkzeug des scheußlichsten Erwerbes. Eine nähere Erklärung ist wohl kaum nothwendig. Jene Menschen, welche in den genannten Hafenstädten so vortheilhafte Engagements junger Damen abschließen — sind die Agenten übelberüchtigter öffentlicher Häuser in New=York. Alle Eltern und Vormünder, sowie die einzeln dastehenden jungen Mädchen seien daher dringend gemahnt, wenn ihnen ein solches, meistens doch als außerordentlicher Glücksfall angesehenes Angebot entgegen- treten sollte, die Nothwendigkeit niemals außer Augen zu lassen, daß sie entweder durch deutsche Bekannte dort, oder durch die norddeutsche Ge- sandtschaft stets vorher die Erkundigung einziehen lassen, ob die Person, welche sie zu engagiren wünscht, auch wirklich existire und ob es überhaupt derjenige sei, als _______welcher er vom Unterhändler bezeichnet wird. Der An- halt, welchen die Legitimationspapiere des Unterhändlers bieten, dürfte nicht immer ausreichend sein. Auch sei noch darauf hingewiesen, daß irgend ein Kontrakt oder Abkommen, gleichviel welcher Art, welches hier für Amerika geschlossen wird, für beide Theile dort nur dann bindende Kraft hat, wenn es unter der Autorität der amerikanischen Gesandtschaft geschlossen worden. Nach den __________mehrfachen, überaus traurigen Fällen, die ein in jene schauer- lichen Verhältnisse _____durch seine amtliche Stellung eingeweihter, durchaus zuverlässiger Gewährsmann uns beispielsweise mitgetheilt, eilen wir, diese Warnung unverzüglich zur Kenntniß der Leser dieses weitverbreiteten Blattes zu bringen. ( Nach einem Privatbriefe. ) E in bisher unbekanntes Gedicht Goethe's. An Lili. Jm holden Thal, auf schneebedeckten Höhen, War stets Dein Bild mir nah, Jch sah's um mich in lichten Wollen wehen, Jm Herzen war mir's da. Empfinde hier, wie mit allmächt'gem Triebe Ein Herz das andre zieht Und daß vergebens Liebe Vor Liebe flieht. Der Eingang bezieht sich auf Goethe's Schweizerreise im Sommer des Jahres 1775. Wie lebhaft ihn dabei fortwährend Lili's Bild umschwebte, bezeugt seine Schilderung in Wahrheit und Dichtung, bezeugen insbesondere die Verse, welche der Blick auf den Zürcher See in ihm erweckte: Wenn ich, liebe Lili, Dich nicht liebte, Welche Wonne gäb' mir dieser Blick! Und doch, wenn ich, Lili, Dich nicht liebte, Wär', was wär' mein Glück? Die Worte „Empfinde hier “ gehen auf Goethe's Drama „Stella“, das während des Sommers 1775 im Druck vollendet sein mag und im Herbst erschien. Goethe wird bei seiner Rückkehr aus der Schweiz in Frankfurt die ersten fertigen Exemplare vorgefunden haben, und überreichte eins Lili, worin er die obigen Verse als Widmung eingeschrieben hatte. Aus diesem Exemplar, das sich jetzt auf der großherzoglichen Bibliothek in Weimar befindet, hat Herr Bibliothekar Dr. Reinhold Köhler das vor- stehende Gedicht kürzlich mitgetheilt. M. Emanuel Swedenborg war einer der originellsten Schwärmer. Noch auf seinem Sterbebette behauptete er, daß er mit dem Apostel Paulus ein ganzes Jahr, mit Johannes dem Täufer siebenmal, mit dem lieben Gott und Moses einmal, mit Luther aber hundertmal, und mit den Engeln seit zweiundzwanzig Jahren konversirt habe. Einst auf der See machte er in der Kajüte des Kapitäns vor leeren Stühlen tiefe Verbeugungen. „Wat soll das?“ fragte der Kapitän. „Ei, sehen Sie denn nicht Karl XII., Sokrates und die Kaiserin Ka- tharina von Rußland?“ „Was _______treiben sie denn?“ „Sie wünschen Whist zu spielen“, entgegnete der Träumer, „und suchen den vierten Mann.“ Druckfehler. Erst jetzt bemerken wir in Nr. 43 in dem Aufsatz über Diesterweg einen solchen. Diesterwegs nächster Vorgesetzter als Seminar- Direktor in Mörs ist dort Superintendent Rost genannt; es muß heißen Roß, der später als Probst und Bischof nach Berlin berufen, in so nahen Beziehungen zu Friedrich Wilhelm III. stand. Er ist bis an sein Lebens- ende für Diesterweg nicht nur ein Gönner, sondern ein warmer Freund geblieben, der aber zuletzt auch durch seinen, unter dem Ministerium Eich- horn freilich arg erschütterten Einfluß, die Maßregelung Diesterwegs nicht mehr verhindern konnte. ☞ Die Besprechung von Angelegenheiten, welche die Redaction betreffen, kann täglich von 1 bis 3 Uhr im Redactions=Büreau, Potsdamer Straße Nr. 20, stattfinden. Alle Zusendungen werden erbeten unter der Adresse: „An die Redaction des Sonntags=Blattes in Berlin, Potsdamer Straße Nr. 20.“ Druck von Franz Duncker in Berlin. — Verlag der Expedition des Sonntags=Blattes ( Franz Duncker ) in Berlin. Verantwortlicher Redakteur: Leonhard Simion in Berlin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868/8
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868/8>, abgerufen am 01.06.2024.